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Schweizerisches Bundesblatt.

36 Jahrgang. II.

Nr. 27.

24. Mai 1884.

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Druck und Expedition der Stämpflischen Buchdruckerei in Bern.

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Bericht der

ständeräthlichen Kommission, betreffend die gewerbliche Enquête.

(Vom 3. Mai 1884.)

Tit.

In gleicher Weise, wie der Bericht des Bundesrathes vom 20. November 1883 und der nationalräthlichen Kommission vom 8. März 1884, leiten wir unser Referat ein mit der Wiedergabe des von der Bundesversammlung am 28. April 1882 beschlossenen Postulates (Nr. 273).

Dasselbe lautet: ,,Der Bundesrath ist eingeladen, eine Untersuchung über die Lage derjenigen Industrien und Gewerbe zu veranstalten, welche sich über die Handelsverträge beschweren, und zu prüfen, in welchem Maße zur Hebung dieser Industrien und des Handwerks beigetragen werden könnte, sei es durch die Umarbeitung des Zolltarifs, sei es durch Unterstützung von Handwerker- und Kunstgewerbeschulen, sei es durch andere Mittel.« Wir haben vorerst zu prüfen, ob vom Bundesrath diesem Beschluß formell und materiell ein zweckmäßiger Vollzug gegeben worden ist.

Die uns vorgelegten Akten umfassen ein reiches und interessantes Material. Nachdem schon der Bericht des Bundesrathes und Bundesblatt.

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derjenige der nationalräthlichen Kommission in gründlicher Weise eine übersichtliche Darstellung desselben gegeben haben , können wir auf diese Aktenstücke verweisen und sofort darauf übergehen, zu beurtheilen : o b d e r v o m B u n d e s r a t h f ü r d i e g e w e r b l i c h e E n q u e t e b e t r e t e n e W e g d e r richtige w a r , u n d o b s i e demnach i h r Z i e l i n v o l l g e n ü gender Weise erreicht habe, oder ob noch weitere E r h e b u n g e n und Aufschlüsse nöthig erscheinen.

Der Zweck der Enquete war dem Sinne nach folgender : a. die Lage der s c h w e i z e r i s c h e n I n d u s t r i e n und Gewerbe, welche sich über dieHandelsverträge beschweren, klar zu legen; b. d i e M i t t e l z u e r w ä g e n u n d v o r z u s c h l a g e n , welche geeignet erscheinen, die betreffenden Gewerbe und Industrien zu heben.

Die Frage, ob wirklich gewisse Gewerbe und Industrien leiden und im Rückgang begriffen seien, wurde zum vornherein als eine unbestrittene betrachtet. Klar vorliegende Thatsachen, welche hier nicht weiter aufzuführen sind, sprechen unzweideutig für die Richtigkeit dieser Annahme. Die Kommission konnte sich daher sofort auf diesen Boden stellen, ohne nach irgend einer Richtung irre zu gehen.

Der Bundesrath wendete sich zunächst auf Grundlage der Vorschläge einer speziell zu diesem Zweck gebildeten Fachkommission, mit einem Fragenschema an sämmtliche Kantonsregierungen, sodann aber an jene Gesellschaften, weiche die materiellen und vorab gewerblichen Interessen in der Schweiz pflegen, und endlich an eine gewisse Zahl kompetenter Privatpersonen.

Wir verweisen auf die bezüglichen Schriftstücke, deren Inhalt in dem bundesräthlichen und nationalräthlichen Bericht bereits allseitig erörtert und beurtheilt wurde und hier als bekannt angenommen werden dürfen.

Im Allgemeinen bildete sich uns beim Studium der eingelangten Akten folgende Ansicht aus: 1) Die Antworten der Kantonsregierungen konnten , der Natur der Sache nach , nicht genug umfassend und dea Stoff erschöpfend sein, wie es für die definitive Erörterung der Frage durchaus nothwendig ist.

2) Dagegen hat der schweizerische Gewerbeverein die Frage ebenso ernst als eingehend erfaßt und unter Leitung seinei-

879 trefflichen Spezialkommissionen eine Arbeit eingeliefert, welche einen unsere Zeit weit überdauernden Werth repräsentirt.

Man darf daher wohl sagen, daß diese aus tiefsten Quellen geschöpften Resultate und Vorschläge die Sachlage nach allen maßgebenden Richtungen klar legen und uns direkte vor die Lösung der Aufgabe, soweit eine solche überhaupt möglich ist, stellen.

3) In mehr oder weniger umfassender Weise haben sich ferner auch zahlreiche schweizerische Handels-, Gewerbe- und Industrievereine, sowie eine Anzahl Privatpersonen, über die Angelegenheit ausgesprochen u n d , nach vielen Richtungen ergänzend, werthvolle und sogar maßgebende Aufschlüsse ertheilt.

Endlich haben im Auftrag des Handelsdepartements die Herren Nationalrath Riniker , Professor Hunziker und Wolfinger in Aarau eine sehr verdienstvolle Arbeit über das gewerbliche Bildungswesen in Oesterreich, Württemberg, Frankreich und der Schweiz ausgearbeitet. Sie erzeigt, welche wohlüberlegten großen Anstrengungen in diesen Ländern für Hebung der gewerblichen Bildung schon seit Jahren gemacht werden, und wie weit die Schweiz heute noch und durchschnittlich hinter diesen Bestrebungen zurücksteht.

Auch hier beziehen wir uns auf den bezüglichen Bericht, sowie auf die Erörterungen des Bundesrathes und der nationalräthlichen Kommission. Wir haben infolge dessen nicht nöthig, auf denselben und seine Schlüsse näher einzutreten. Indessen haben wir zunächst folgende Bemerkung anzubringen : Der Bundesrath faßt von Seite 31 bis 35 seines Berichtes die ,,gestellten Begehren" zusammen, erörtert dieselben bis Seite 48 und kommt dann z u m Schlüsse: ,, d a ß d e r S c h w e i z d i e gewerbliche Bildung im höchsten Grade Noth t h u t und in s e i n e n A u g e n der Z w e c k der E n q u e t e er r e i c h t sei, w e n n s e i n e g e s t e l l t e n A n t r ä g e angenommen und die Förderung jenes wichtigen G e b i e t e s v e r w i r k l i c h t w ü r d e .a Ihre Kommission kann diese Ansicht nicht theilen. Die Enquête eröffnete bei Untersuchung unseres schweizerischen Gewerbewesens so viele, oft neue Gesichtspunkte, in ungern Volkszuständen so manche Schattenseiten und in unserm sozialen Loben so verschiedene Schäden, daß ganz unmöglich einzig durch die Unterstützung der gewerblichen Ausbildung des Volkes dem Uebel auch nur theilweise Abhülfe gebracht werden kann. Und wir denken, der Bundesrath werde seinen Schluß schon deßwegen nicht in jener

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so bestimmt ausgesprochenen Form aufgefaßt wissen wollen , weil eine große Anzahl der erhobenen Beschwerden bereits in der Behandlung der Behörden des Bundes, der Kantone und Privaten stehen und von da aus successive ihre sachgemäße Erledigung finden dürften. Es muß daher wohl angenommen werden, und die Kommission stellt sich auf diesen Boden , daß der Vorschlag des Bundesrathes für Förderung der gewerblichen Ausbildung allerdings einen eminent wichtigen Theil in der Sorge um die gemeinsame Wohlfahrt des schweizerischen Volkes bildet. Sie glaubt aber, daß damit das Ziel der gewerblichen Enquête so lange nicht als erreicht betrachtet werden könne, als nicht die allmälige Prüfung und Erledigung der verschiedenen andern Beschwerden derselben vollzogen sein wird. Wenn sie daher, von diesem Standpunkt ausgehend, auf die Vorlage des Bundesrathes eintritt, so kann und will sie damit zugleich bestätigen, daß speziell mit Rücksicht auf das Bildungswesen die gewerbliche Enquête ein spruchreifes Material zu Tage gefördert hat, welches gestattet, ein Urtheil abzugeben.

In diesem Sinne gestaltet sich nun vor unsern Augen die gesammte Enquête als ein lebensvolles Bild der gegenwärtigen gewerblichen Zustände der Schweiz, umrahmt von den Vorschlägen für eine Verbesserung derselben. Wir stehen vor einem reichen , verständnißvoll gesammelten, inhaltlich wohl durchdachten und benutzton Material. Es legt die Wunden bloß, an welchen Handwerk, Kleingewerbe und Kleinindustrie kranken, und prüft die Mittel, welche geeignet sein könnten, eine dauernde Erstarkung derselben in umfassender Weise zu erreichen. Wir befinden uns somit nicht mehr vor einem unbestimmten Etwas, sondern vor einem thatsächlich nachgewiesenen, greifbaren Uebel, welches am Mark unseres Volkswohlstandes nagt, dessen Beseitigung oder wenigstens Milderung aber nicht über unsere Kräfte reicht, wenn wir nur ernstlich sie aufraffen wollen.

Ihre Kommission hat aus Allem die Ueberzeugung gewonnen, daß die gewerbliche Enquête, soweit solche bis heute ausgedehnt wurde, nicht nur den schweizerischen Verhältnissen angepaßt und wohl organisirt war, sondern auch gut vollzogen wurde, dank der Einsicht der Behörden, aber namentlich auch den von Liebe zum gemeinsamen Vaterland erfüllten ernsten Bemühungen von Vereinen und einzelnen thatkräftigen, einsichtsvollen Männern.
Gemäß dieser Sachlage ergibt sich für uns die Aufgabe, zu prüfen : i~) O b u n ' d i n w e l c h e r W e i s e d u r c h F ö r d e r u n g der gewerblichen Bildung dem Handwerk u n d G e w e r b e g e h o l f e n w e r d e n k a n n ,u n d

881 2 ) o b d e r Bund b e r u f e n s e i , s e i n e r s e i t s h e l f e n d einzutreten.

Der Bundesrath und der Nationalrath haben beide Fragen bejaht, und die Beschlüsse vom 20. November 1883 und 18. März 1884 zeigen, wie diese Behörden die Bethätigung in den Kantonen und von Seite des Bundes auffassen.

Die ständeräthliche Kommission dürfte ihren bisherigen Auseinandersetzungen und den sie leitenden Motiven folgend sofort auch das Eintreten auf die Detailberathung der Beschlüsse des Nationalrathes vom 18. März 1884 beantragen. Sie kann und will dies nicht thun, ohne dem Kern der Frage selbst nahe getreten zu sein und ohne ihrerseits eine Prüfung der Sachlage, sowie der Vorschläge der zwei vorangegangenen Räthe vollzogen zu haben. Nach der eingehenden und logischen Behandlungsweise, mit welcher bereits die Ergebnisse der. Enquête gesichtet und zur Urtheilsbildung vorbereitet wurden, kann sie sich indessen darauf beschränken, die Angelegenheit von ; mehr allgemeinen Gesichtspunkten zu erwägen und hieraus ihre Schlüsse zu ziehen. In diesem Sinne ist zunächst die Frage zu erörtern : 1) Ob und in w e l c h e r Weise d u r c h F ö r d e r u n g d e r gewerblichen Bildung d e m H a n d w e r k und G e w e r b e geholfen werden kann.

Das Uebel, dem wir entgegen zu wirken haben, ist kein verborgenes. Es tritt allerorts zu Tage und Jedermann vor Augen.

Die Enquete bestätigt daher die Richtigkeit der Thatsache, daß Handwerk und Kleingewerbe in bedenklichem Rückgang begriffen sind. Es ist nun kaum zu bezweifeln, daß, wenn man diesen Rückschritt nicht wenigstens aufzuhalten vermag, hieraus eine allmälige Verarmung großer Volksklassen erfolgen muß. Eine solche ist aber sogar theilweise bereits eingetreten und hat sich uns da und dort in mannigfachen Gestalten präsentirt. Wir irren kaum, wenn wir sagen, daß wir hier vor einem jener sozialen Schäden unserer Zeit stehen, welche, da sie die Existenz und Lebensbedingungen des einzelnen Individuums und der Massen in ihrem Kampf um's Dasein aufs Empfindlichste bedrohen, zu einer Gefahr für die gegenwärtige Organisation der Gesellschaft werden müssen. Diese soziale Frage wird allerdings fortbestehen, so lange es Menschen gibt.

Denn sie erzeugt sieh stets wieder aus der innern Natur, der Erwerbsthätigkeit, sowie den geistigen Erfolgen derselben, aber auch
durch Verhältnisse, deren Lenkung außer jeder Macht eines Sterblichen liegt. Darin darf nun aber kein Grund gesucht werden, sie zu verkennen oder ihr aus dem Wege zu gehen. Sie ist auch nur zum Theil abhängig von der Staatsform. Aber sie wird sich zu

882 einem Feind jedes Staates ausbilden und verschärfen, welcher sie mit Gewalt unterdrücken statt mit werkthätiger Hülfe lösen will.

Die Republik, welche die Sorge um die Freiheit uud Wohlfahrt aller Bürger als ihren Endzweck aufstellt, welche, im Gegensatz zur Monarchie, kein sogenanntes ererbtes Vorrecht auf Verwaltung und Regierung des Landes, dagegen deu Grundsatz der gleichen Rechte und Pflichten jedes Bürgers im Staat anerkennt, die Republik, uud sagen wir, vorab die schweizerische, hat die hohe Aufgabe, da, wo fortschreitende Kulturentwicklung des Volkes oder andere Ursachen das gesellschaftliche Gleichgewicht zu stören drohen, dasselbe wieder herzustellen zu suchen. Wenn sie auch in diesem Streben menschlichen Irrungen und unerfüllbaren Wünschen und Vorstellungen nicht folgen kann, so darf sie doch die Thatsache selbst nicht leugnen. Diese auferlegt ihr aber die ernste Pflicht, den Ursachen des Uebels nachzuforschen und durch Milderung oder Beseitigung die Zwecke des demokratischen Staates zu erfüllen.

Die Enquete gibt als Gründe für deu Rückgang unseres Handwerks uud Kleingewerbes mannigfache Lebensverhältnisse und zur Zeit bestehende Staatseinrichtuugen au. Nicht weniger als 45 Begehren macht sie namhaft, welche geeignet sein sollen, diesem Uebel abzuhelfen. Wir können nicht über alle in Erörterung treten.

Der Bundesrath hat dies bereits in seiner Botschaft von pag. 35---43 gethars. Heben wir indessen einige Punkte hervor, um an denselben zu zeigen, welche Bemühungen schon gegenwärtig gemacht werden, um die innere Organisation unseres Staatswesons den Umgestaltungen, wie sich solche im Leben des Volkes vollziehen, anzupassen und ihnen gerecht zu werden.

Als solche Punkte nennen wir unter andern : 1. Handelsverträge und Zolltarife; 2. das gewerbliche Kreditwesen ; 3. Gewerbeordnung und damit in Verbindung das Lehrlingswesen ; um dann überzugehen auf: 4. die Förderung der gewerblichen und industriellen Berufsbildung.

Wir wollen dieselben kurz betrachten : 1. Handelsverträge und Zolltarife. Es ist vielfach bestritten worden, aber durch Thatsachen dennoch festgestellt, daß durch dieselben Handwerk und Gewerbe, wenigstens theilweise, zu Gunsten einzelner Großindustrien geschädigt worden sind. Indem gewisse Zollansät/e verändert werden mußten, ist für manches Gewerbe der

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Schwerpunkt seiner Thätigkeit nachtheilig verschoben worden. Die Handelsverträge haben nun zum Glück ihre beschränkte Dauer.

Nach Ablauf der bezüglichen Fristen wird sich fragen, ob ihre Erneuerung im Interesse der Mehrheit des schweizerischen Volkes liegen wird. Wir stellen diesen Satz auf und denken dabei vorzugsweise an unsere Handelsbeziehungen mit Deutschland. Das Schutzzollsystem, welches dieser große Staat angenommen hat, im Glauben, seine industrielle Entwicklung und staatliche Finanzkraft zu stärken, und die leichten Finanzzölle, welche die Schweiz diesen Schranken entgegenzusetzen vermag, bewirkte, daß die deutschen Erzeugnisse des Handwerks, der Groß- und Kleiuindustrie unsere Schweiz, meist zu Schleuderpreisen, überschwemmen können.

Einem solchen Zustand gegenüber ist unser bescheidenes Kapital und jede Arbeitskraft des kleinen Mannes fast schütz- und machtlos geworden. Sie werden beide mehr und mehr von dem eigenen heimathlichen Boden verdrängt und müssen auf fremdem bessere, d. h. wenigstens gesicherte Zustände suchen. Wenn durch diese Verhältnisse für das konsumirende Volk ein Vortheil in erniedrigten Preisen geschaffen würde, so könnte man sich denselben anbequemen. Allein in Wirklichkeit steht ihnen meist ein minderwerthiges Produkt zur Seite, so daß die bessere Schweizerarbeit ihre höhern Preise in der Regel rechtfertigt.

Die Aufgabe einer gesunden, unsarn Interessen dienenden, schweizerischen Zollpolitik sollte es sein, sobald als nur immer thunlich einem solchen widernatürlichen Zustand ein vertragliches oder, wenn dies nicht möglich wäre, ein vertragloses Ende zu bereiten. Die Schweiz hat die Möglichkeit in ihrer Hand, ihre hier in Frage kommenden Interessen zu wahren.

In enger Verbindung mit diesen Verhältnissen ist die endliche Feststellung des schweizerischen Zolltarifs. Hier besteht die klare Absicht der Behörden, die Einfuhr der nöthigen Lebensrnittel, der dem Kleingewerbe und der Großindustrie in gleicher Weise dienenden Rohstoffe, sowie der in der Schweiz nicht leicht erzeugbaren Halbfabrikate, mit möglich ermäßigten Zollausätzen zu belegen. Auf der andern Seite muß dann aber der Eingang der in der Schweiz erstellbaren Fabrikate soweit besteuert werden, als solches die finden schweizerischen Staatshaushalt nothwendigen Nettoeinnahmen bedingen. Dies ist ein von den
hohlen Schlagwörtern Schutz- und Freihandel ganz unabhängiger Standpunkt. In Wirklichkeit bedeutet ja die Aufstellung des Zolltarifs gar nichts anderes, als eine billige Vertheilung derjenigen Gesamnitsumme auf alle Einfuhrartikel, welcher die Eidgenossenschaft zur Bestreitung ihrer Verwaltungs-Bedürfhisse unbedingt bedarf. Die vom Ständerath in? dieser Richtung bereits.

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angenommenen Grundsätze werden wohl ohne Zweifel auch vom Nationalrath gebilligt werden. In diesem Falle kommen also die Räthe den Wünschen des Handwerks und Kleingewerbes bereits entgegen.

Wir dürfen daher wohl sagen, daß bessere und gerechtere Zustände im Zollwesen von den Behörden ernstlich angestrebt werden. Hoffen wir aber auch, daß der Tag nicht mehr ferne sei,, wo unter der Macht der öffentlichen Meinung und der Interessen der Völker, sowie in den maßgebenden Behörden, eine freie und sachedienliche Auffassung über ihren gegenseitigen Verkehr und Handelsaustausch Platz greife. Handwerk und Kleingewerbe müssen daher mit Bezug auf Handelsverträge und Zolltarif noch so lange oder kurze Zeit zuwarten, bis dieselben vertraglich oder gesetzlich zur Anwendung gelangen können.

2. Das Kreditwesen ist allerdings für Handwerk und Klein' gewerbe in gleicher Weise, ·wie für die Landwirthschaft, ein wichtiges Moment ihrer Existenz und ihres Gedeihens. Die gegenwärtige Organisation kann aber, wenigstens zum größten Theil, wohl auf die Dauer unmöglich fortbestehen. Auf der einen Seite das verhängnißvolle System des Bürgschaftswesens, auf der andern die Tendenz des Kapitals: als Ersatz für die allmälige Entvverthung des Geldes ein Erträgniß zu sichern, welches das Gleichgewicht mit den Anforderungen vermehrter Lebensbedürfnisse zu erhalten vermag.

Damit stehen in Verbindung die Bestrebungen für eia Bundesgesetz über Betreibung und Konkursverfahren, für Wuchergesetze etc.

Es ist denn auch die Frage des Kreditwesens in vielen Kautoneu in ernste Behandlung gezogen worden und nicht zu bezweifeln, daß sich aus dieser Bewegung gesunde Ergebnisse herausbilden werden. Wir glauben aber nicht, daß dem Bund gegenwärtig schon die Aufgabe werden solle, das schweizerische gewerbliche Kreditwesen von sich aus weiter auszubilden. Ein schweizerisches Konkursgesetz ist das zunächst dringliche Bedürfniß und beschäftigt sich der Bundesrath bereits damit. Es kann und wird aber wahrscheinlich bald auch der Zeitpunkt kommen, wo innere Verhältnisse ihn zwingen, die Frage des schweizerischen Kredites und der Organisation des Bankwesefis an die Hand zu nehmen. Bis dahin v.'erden sich wohl noch weitere Geschicke erfüllen müssen.

3, Gewerbeordnung und Lehrlingswesen. Wir können hier unmöglich eingehend den Auseinandersetzungen folgen, welche die geweibliche Enquête und die Botschaft des Bundesrathes anstellen.

Allein wir glauben richtig zu handeln, wenn wir kurz jene An-

885' Behauungen zusammenfassen, welche wohl von der Mehrheit dea denkenden schweizerischen Volkes und auch von unserer Kommission getheilt werden.

Der Zunftzwang, wie er noch bis in unser Jahrhundert hinein bestanden und, infolge der Prinzipien der großen französischen Revolution, auf den Sterbeetat menschlicher Kulturbestrebungen gesetzt wurde, kann und darf nicht mehr auferstehen. Seine Wiedereinführung, wenn solche überhaupt möglich wäre, müßte als ein unhaltbarer Gegensatz zu den heute bestehenden allgemeingültigen Lebensbedingungen des Handwerks und Gewerbes betrachtet werden. Denn freie Arbeit, gute Ausbildung und technische Fortschritte sind die Grundlagen ihrer Existenz geworden. Kommt der Einzelne auf diesem Boden, trota alledem, gegen die Konkurrenz, welche ihm Kapital, wohlfeilere Arbeit und Maschinenbetrieb bieten, niöht mehr auf, so kann das Handwerk jener Macht wirksam nur die Assoziation der Arbeit und des Kapitals, durch, die gute Schulung gestärkt, entgegenstellen, wie sie sich im Genossenschaftswesen und in dem auf Gegenseitigkeit begründeten Kreditwesen manifestirt. Allerdings wird auch in vielen Kreisen jetzt schon die Schaffung des lunungswesens, auf dem Boden einer sogenannten Gewerbeordnung, angerathen und damit bezweckt, die Regulirung des Verhältnisses zwischen Meister und Lehrling zu bewerkstelligen und der äußern Konkurrenz Spitze zu bieten.

Der Bundesrath glaubt, ohne Revision der Bundesverfassung, diesen Wünschen nur theilweise entgegenkommen zu können.

Allein, so viel scheint festzustehen, daß jede, noch so gute, Form der Organisation des Handwerks und Gewerbes immer nur eine Form bleiben wird, wenn ihr nicht die Grundbedingung : d e r G e i s t eingehaucht werden kann. Und dieser Geist ist und bleibt die gute ge werbliche Vorbildung und W e i t e r b i l d u n g des Lehrlings, daher die gute, den heutigen Lebensbedürfnissen angepaßte, Volksschule.

Damit sind wir auch zugleich auf die eine Lösung der Frage gekommen, wie sie vom Bundesrath aufgefaßt und vorgeschlagen wird, zur: 4. Förderung der gewerblichen und industriellen Berufsbildung.

Blicken wir um uns her und treten wir in die Werkstätte des Handwerks und des Gewerbes. Viele trefflich geleitete und daher, trotz aller Konkurrenz, wohl gedeihende Geschäfte treffen xvir da, wo der Meister gut geschult, daher die Verwaltung und das Werkzeug, sowie seine Arbeiter richtig zu führen versteht. Da ist der Handwerker, wie es sein soll, ein Kopfwerker geworden und

886 wird dem Beruf sein goldener Boden erhalten. Da aber, wo der Meister, oft ohne sein Verschulden, die erforderliche Vorbildung sich nicht erwerben konnte und daher in der geschäftlichen Ausübung seiner Erwerbsthätigkeit ein Unwissender, in der Handhabung seines Werkzeugs immer ein Lehrling geblieben und nie Meister geworden ist, da helfen ihm weder Gewerbeordnung noch Innung.

Da, und unter solchen Verhältnissen, werden auch die Lehrbuben und Gesellen, beim besten Willen, vorwärts zu kommen, ihr Leben lang bleiben, was sie in der Werkstatt waren. Dann aber, durch die Erfolglosigkeit ihrer Bestrebungen verbittert, worden sie in jene große Armee gedrängt, welche gegen den Staat, der sie nicht ausgebildet hat, als solchen ankämpft und gegen das Kapital, welches sie nunmehr erdrückt.

Also : die g u t e , u n s e r n L e b e n s b e d ü r f n i s s e n a n g e paßte Volksschule muß der A n f a n g e n d das Bude j ed er V er b e s s e r uug des H a n d w e r k s u n d G e w e r b e s sein.

Wird diese endlich einmal in gemeiner Eidgenossenschaft gründlieh ein- und durchgeführt, so werden wir innert verhältnißmäßig wenigen Jahren Lehrlinge, Gesellen und Meister haben, welche mit einem durchschnittlich bei weitem bessern Bildungsgrad eine verständnißvolle Handfertigkeit vereinigen. Dannzumal erst werden die Genossenschaften und eine Gewerbeordnung segensreich wirken, indem sie das gut geschulte und eingeübte Handwerk kräftig zu organisiren vermögen, stark genug, um dem uns heute zum großen Theil überlegenen, deutscheu, österreichischen und französischen Gewerbe die Stime bieten zu können.

Wie soll a b e r d i e V o l k s s c h u l e g e s t a l t e t w e r d e n , u m dieses Z i e l zu e r r e i c h e n ?

Längst haben die besten schweizerischen Schulmänner diese Frage erschöpfend bearbeitet und die Antwort in das Leben des Volkes zu übersetzen gesucht. Die Resultate der Anwendung haben jedoch nur theilweise, ja oft sehr unvollständig genügt und einen fühlbaren Mangel konstatirt. Die militärischen Prüfungen, deren Werth allerdings auch nicht ein absoluter ist, haben den Beweis hiefür erbracht.

Den menschlicheil Gedanken durch Sprache, Schrift und Rechnung zum klaren Ausdruch zu bringen, ist in der Volksschule meist nur höchst unvollkommen eingeübt und ausgebildet, und die Uebertragung desselben
durch Zeichnung fast ganz versäumt worden.

Dagegen hat man geglaubt, den Schillern eine Zahl manigfacher Kenntnisse beibringen zu sollen, welche, ihrer Natur nach, erst von dem gereifteren Verstand gut erfaßt und bewahrt werden können.

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Daher kommt es deun auch, daß Vielen unserer jungen Leute, beim Austritt aus der Volksschule,-sogar im größern Durchschnitt, selbst die für das Leben so unerläßliche geläufige Fertigkeit im Schreiben, Lesen und Rechnen, geschweige denn im Zeichnen, abgeht. Die sogenannten allgemeinen Kenntnisse aber sind ihnen in der Regel schon nach kurzer Zeit wieder verloren gegangen. Dieser große Uebeistand zeigt sich selbst bei geistig gut angelegten Naturen und weist darauf hin, daß seine Ursache in einem überhäuften Lehrplan und in der hiefür zu kurzen Dauer der Unterrichtszeit zu suchen sein wird. Wenn man also den Grund für eine bessere gewerbh'ehe Ausbildung unseres Volkes legen will, so muß man unbedingt zuerst bei der Volksschule beginnen, selbst auf die Gefahr hin, mit den heute noch geltenden pädagogischen Anschauungen zu brechen, um das bekannte ,,Weniger aber Guta durchzuführen.

Weil dies aber Sache der Kantone ist, wird nur die Noth und das Ehrgefühl derselben sie zwingen, hier kräftig einzugreifen.

Die Ausbildung der Schule auf diesem Boden wird und muß aher auch sofort zur bessern Pflege ; des. Zeichnens führen.

Das Z e i c h n e n und, in seinem erweiterten Begriff, die Kunst in ihrer vielfachen Gestaltung ist mehr noch, als Sprache und Schrift, geeignet, den Gedanken allen Menschen zum Verständniß zu bringen. Der Deutsc'he, welcher die französische Sprache und Schrift, und der Franzose, welcher die deutsche Sprache und Schrift nicht versteht, sie begreifen und verstehen ganz gleich gut jede zeichnerische und künstlerische Darstellung der Erscheinungen der uns umgebenden Welt, stamme solche, woher sie wolle. Daher ist es denn auch seit Langem erkannt worden, daß Sprache und Schrift, wenn sie im einzelnen Falle nicht mißverstanden sein will, ·d^r erläuternden Zeichnung in ihrer ganz allgemeinen Bedeutung bedarf. Ja man kann heute schon sagen, daß z. B. das mechanische, bauliche u. s. w. Zeichnen mit seinen konventionellen typischen Formen zu einer Art technischer Weltsprache geworden ist, welche überall, wo Kultur besteht, verstanden wird, und zwar ganz abgesehen von den Idiomen der einzelnen Völker.

Das Zeichnen sollte daher, was bis jetzt nicht geschehen, schon in der Volksschule mindestens gleichberechtigt mit den andern elementaren Lehrfächern methodisch und rationell geübt werden.
Da die Möglichkeit seiner Ausbildung wesentlich auf dem, der menschlichen Natur allgemein' innewohnenden Naohahmungsvermögen beruht, so wird der Erfolg keineswegs ein einseitiger, also bloß talentirten Individuen zukommender sein, sondern, wie Sprache und Schrift, bald mehr oder minder vollkommen das Gemeingut des ganzen Volkes werden können. Dieses Ziel soll heute auch unserer

Volksschule bis zu einem gewissen Grad gesteckt werden. In andern Ländern ist es längst erkannt und eingeführt worden, während die Schweiz zurückgeblieben ist. Man will hierin auch den Grund erkennen, daß, nach gemachten Wahrnehmungen, sogar die schweizerischen Schüler des Polytechnikums im Zeichnen durchschnittlich weniger geübt sein sollen, als z. B. Deutsche und Oesterreicher.

Da aber die Volksschule wegen der durch die Erwerbsverhältnisse des Schülers bedingten und meist beschränkten Dauer die ganze ihr obliegende Aufgabe nie umfassend genug wird erfüllen können, so wird sich ihr, speziell zur Vorbereitung für Handwerk und Gewerbe, die sog. H a n d w e r k e r s c h u l e anfügen müssen. Der Lehrplan derselben soll allerdings bereits in die Volksschule zurückgreifen, sodann aber diejenigen Disziplinen, welche für den künftigen Beruf unerläßlich sind -- daher namentlich das Zeichnen in seinen verschiedenen Formen und das gewerbliche Rechnen -- verfolgen. Damit müßte aber gleichzeitig durch eine praktische Einübung und Handarbeit das Verständniß und die Fertigkeit für den erwählten Beruf gewonnen werden. Hinwieder müßte vorgesorgt werden, daß der junge Mann, wenn er bereits als Lehrling arbeitet, eine gewisse Zeit des Tages oder der Woche den Unterricht, der Fachschule obligatorisch besuchen kann -- ein Punkt, welcher in die Regulirung des Lehrlingswesens hinübergreift.

An diese so gestaltete Lehrschule des Handwerks schließen sich dann im Weilern an: die eigentlichen Industrie-, Handels-, Real- und Kunstge wer beschulen bis zum Technikum, mit ihren Handels-, Gewerbe- und Kunstmuseen, mit dem Zweck, jene mittlere technische Ausbildung zu ermöglichen, welche Industrie und Gewerbe zu ihrem praktischen und erfolgreichen Betrieb nöthig haben. Die letzte Stufe der Vorbereitung in den höhern Disziplinen des gegenwärtigen sogenannten realen Wissens sollen, die technischen und künstlerischen Hochschulen übernehmen.

Die Art und .Weise, wie diese Lehrorganisation durchzuführen wäre, ist theils durch bestehende Verhältnisse bereits normirt, theil» durch die. gewerbliche Enquête neuerdings klar gestellt. Jene verständnißvolle Vergleichung mit den bezüglichen Einrichtungen des Auslandes: fuhrt dabei zur Ueberzeugung, daß wir nicht weit irren werden, wenn wir den daherigen Vorschlägen unserer Experten folgen.
': V'v'" · -.'

Wir können also diese Seite der Frage verlassen und uns derjenigen zuwenden, welche sich in; den Satz zusammenfassen läßt: Wenn der Bund Leistungen an die gewerbliche und

889 ind u s t r i e l l e B e r u f s b i l d u n g ü b e r n e h m e n soll, wo soll er damit anfangen und wo e n d e n ?

Hierauf kann man sofort antworten : Der B u n d s o l l u n t e n b e g i n n e n u n d d a h e l f e n , w o e s a m n o t h w e n d i g s t e n ist, und er soll da a u f h ö r e n , wo die Mittel des E i n z e l n e n u n d der K a n t o n e a u s r e i c h e n und eine U n t e r s t ü t z u n g n i c h t m e h r als n o t h w e n d i g e r s c h e i n e n lassen.

Um unten beginnen zu können, .ist vor allem absolut unerläßlich, daß die Lehrer, welche berufen sein sollen, den Unterricht der Primär-, beziehungsweise Handwerkerschule zu ertheilen, auch . befähigt seien, ihrer Pflicht voll zu genügen. Es kann und darf wohl angenommen werden, daß dies durchschnittlich für Lesen, Schreiben und Rechnen, sowie die allgemeinen Disziplinen der Volksschule, der Fall sein, dürfte., Die Erfahrung zeigt aber, daß, um nicht zu viel zu sagen,, der,größere Theil der· schweizerischen Primarlehrer des Zeichnens, soweit, es für «inen erfolgreichen Unterricht erforderlich erscheint, unkundig oder wenigstens hiefür nicht genügend eingeübt und vorgebildet ist.

Als ein erster Schritt zur Hebung der Schule muß daher angesehen werden, daß den Lehrern selbst zunächst die nöthige ergänzende und methodischeFähigkeit des Zeichnens zu.Theil werde, welche sie dann im Unterricht verwerthen können.

Es e r s c h e i n t d a h e r . , z u m V o r a u s d r i n g l i c h , d a ß die K a n t o n e durch regelmäßige W i e d e r h o l u n g s k u r s e i h r e V o l k s s c h u l l e h r e r , z u r gu.ten A u s ü b u n g d e s L e h r a m t s i m Z e i c h n e n u n d d e n i h m v e r w a n d t e n Diszip l i n e n b e f ä h i g e n . Hieraus dürfte folgen: daß d e r B und denjenigen Kantonen, welche diesen Weg b e t r e t e n , im Sinne des nationalräthlichen Beschlusses einen B e i t r a g bis auf die Hälfte der K o s t e n dieser K u r s e zuleistenhätte.

' -' Sodann aber sollten diejenigen Anstalten, welche sich die Ausbildung der Lehrer im Zeichnen zur Aufgabe stellen, oder sogar einzelne begabte Männer, entsprechend unterstützt werden. Dadurch werden wir uns in wenigen Jahren gute Lehrkräfte schaffen.

Im Weitern aber sollte, wo aus der Initiative der Kantone, Gemeinden, Korporationen und Privaten
sog. H a n d w e r k e r - und G e w e r b e s c h u l e n bestehen oder weiter entstehen, der Bund wiederum sich bereit zeigen, an die Kosten des Fachunterrichtes bis auf die H ä l f t e derselben beizutragen. Es wäre sehr wünschenswerth, w e n n dieser B e i t r a g auf ä am m t li che U n t e r r i c h t s fächer der Handwerkerschule ausgedehnt werden

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könnte, weil doch dieselben alle, im Zusammenhangaufgefaßt, die Berufsbildung des Handwerks zum Z w e c k h a b e n und a u s m a c h e n . Allein die Konimission gelangte, aus vielfachen Erwägungen formeller und materieller Natur, dazu, sich zu sagen, daß eine solche Unterstützung des Bundes vielleicht zu weit gehend werden müßte.

Bis zu dem genannten Punkt scheint uns daher das unmittelbare und dauernde Interesse des Bundes zur Zeit zu reichen und glauben wir, daß derselbe hiefür jahrlich einen dem entsprechenden Ansatz in's Budget aufnehmen könnte, welcher nur wechseln würde, wenn sich die Zahl der schweiz.Handwerks- und Gewerbeschulen verändert.

Es ist nun ferner zu prüfen, ob auch die zwischen diesen Handwerksschulen und dem Polytechnikum liegenden hohem technischen und künstlerischen Schulanstalten zu subventioniren seien und in wie weit. Ihre Zahl ist eine beschränkte und wird es wahrscheinlich auch bleiben, zumal sie nur in größern Verkehrscentren bestehen können, und dort nur, wenn sie durch bereits vorhandene oder neue Fonds oder Gesetze gehalten werden.

Wir sind nun der Ansicht, daß der Bund ein ausgesprochenes Interesse hat, zur Förderung der Leistungsfähigkeit solcher Institute erheblich mitzuwirken. Nicht nur die Vor- und Ausbildung des eigentlichen Handwerks, sondern auch diejenige des sogenannten Klein- und Kunstgewerbes und der Kleinindustrie soll eine stete Sorge des Volkes und seiner Behörden sein. Denn diese Berufsgattungen sind, wenn tüchtig gewaffnet, einzig in der Lage, wirksam den Kampf mit der Konkurrenz des Auslandes aufzunehmen ; auf der andern Seite aber, durch Beispiel, Beiziehung von Arbeit und Aufträgen und Schaffung neuer Industriezweige u. s w.

sieh selbst und das eigentliche Handwerk zu heben und dadurch deren materielles Wohlergehen 3« fördern. Auch hier erscheint es aber angezeigt, daß die Beitragsleistung des Bundes, im Sinne des nationalräthlichen Beschlusses, nur auf diejenigen Fächer bezogen werde, welche die wirkliche gewerbliche und industrielle Ausbildung betreffen, und daß die sogenannte allgemeine Bildung hievon ausgeschlossen bleibe. E b e n s o d a r f a l s r i c h t i g a n g-e s e h e n w e r d e n , daß, wie d e r N a t i o n a l r ath vorschlug, die Subvention grundsätzlich bis auf die H ä l f t e j e n e s B e t r a g e ? gehe, w e l c h e
r j ä h r l i e h v o n d e n Kantonen G e m e i n d e n u n d K o r p o r a t i o n e n , sowie v o n - P r i v a t e n a u f g e b r a c h t wird.

Der Bund wird dabei wohl in jedem -einzelnen Fall die speziell bestehenden Verhältnisse in's Auge zu fassen haben. Er

891 wird nicht bereits reich fundirte Anstalten aus dem Grund noch reichlicher bedenken, weil seine Leistungen bis auf die Hälfte derjenigen in den Kantonen gehen können. Sondern er wird wahrscheinlich nach bestimmten, vertraglichen Vereinbarungen mit den Regierungen und nur in einer Höhe Subventioniren, welche ihm möglich macht, mit seinem Budget überall da zu helfen, wo solches nöthig erscheint. Dies ist aber vor allem aus im Fachunterricht der Handwerkerschulen der Fall, welche in der Regel nur selten in der Lage sind, sich die zureichenden Mittel einer erfolgreichen Existenz zu verschaffen.

Der wirkliche und gesunde Zweck der Bundessubvention kann also nur dann erreicht werden, wenn zunächst die Handwerkerschule, wo es unerläßlich ist, möglichst im vollen Betrag, die höhern gewerblichen Anstalten aber nach Erforderniß bedacht werden. Es ist indessen anzunehmen, daß im Verlauf der Jahre durch dievereinten Bemühungen der Kantone une) des Bundes ein gewisses Gleichgewicht und Ziel in der technischen Ausbildung des Volkes erreicht wird. Dannzumal werden wahrscheinlich auch die Sub ventionsbestimmungen angemessen modifizirt werden müssen.

Man kann nun allen diesen Vorschlägen, und gewiß nicht ohne guten Grund, entgegenhalten, d a ß d u r c h s i e d e r v o r g e sehene Beitrag des Bundes-unh.estimmt und uns i c h e r g e s t a l t e t werde.

Es ist nämlich anzunehmen, daß die Kreirung der Subvention geeignet sein wird, die Erstellung von Handwerkerschulen und selbst höhern technischen Anstalten in den Kantonen wesentlich zu veranlaßen. In Bolge dessen müßte der vorgesehene hälftige Beitrag, nach Maßgabe der in den Kantonen aufgewendeten Mittel, successive zu einer Höhe anwachsen, -welche, wenigstens jetzt schon, über die Grenzen der wirklichen Bedürfnisse und somit der Interessen des Bundes hinausgehen würde; Hiegegen läßt sich jedoch mit Recht einwenden, daß allerdings sich heute die Beiträge an die Handwerker- und hohem Schulen in ihrer Gesamtntsutnme noch nicht genau werden bemessen lassen.

Indessen ist doch, gemäß der Natur unserer schweizerischen Verhältnisse, kaum anzunehmen, daß dieselben sehr wesentlich die Ansprüche derjenigen Ziffer jetzt schon übersehi'eiten werden, welche die gewerbliche Enquête ertnittelt liât. Dies wird noch weniger der Fall sein, wenn, wie unsere Kommission annimmt,
die Beiträge an die Kantone mit denselben vereinbart und v e r t r a g l i c h festgesetzt werden sollen und .der Bundeskredit, um sicher zu gehen, von Anfang an schon bis auf Fr. 200,000 bewilligt Würde.

Von diesen Betrachtungen ausgehend, resümiren wir unsereAnsichten, dem Sinne nach, in Folgendem:

.892 Es erscheint wohlbegründet, daß: 1) der B u n d z u n ä c h s t den F a c h u n t e r r i c h t der Handwerker- und Gewerbeschulen und die Ausb i l d u n g d e r f ü r d i e s e l b e n nöthigen L e h r e r unterstütze, i n d e m er an die d a h e r i g e n Kosten einen Bundesbeitrag bis auf die Hälfte der S u m m e leistet, welche jährlich von den Kantonen, Gemeinden, Korporationen und Privaten hiefür aufgebracht wird; '2) d e r B u n d a u c h a n d e n e i g e n t l i c h e n F a c h u n t e r r i c h t der h ö h e r n g e w e r b l i c h e n und industriellen Fortbildungsschulen und Sammlungen einen vertraglich bestimmten Beitrag bis zur Hälfte derjenigen Summe leistet, welche von Kantonen, Gemeinden, Korporationen und Privaten jährlich zu diesem Zweck aufgebracht, wird.

Wir haben die Ueberzeugung gewonnen, daß, wenn man die B undesunterstützung des Handwerks und Gewerbes nach diesen leitenden Anschauungen gewähren will, der wirkliche und große .Zweck derselben nach Möglichkeit erreicht und dabei zugleich die Unsicherheit des jährlichen Budgets thunlichst beschränkt wird.

Wir können übergehen zur zweiten Frage, welche wir uns Eingangs gestellt haben : 2) Ob de r B u n d b e r u f e n sei, a u c h s e i n e r s e i t s helfend einzutreten.

Der Bundesrath und der Nationalrath haben diese Frage bejaht, indem sie sich auf Art. 2 der Bundesverfassung stützen.

Wir theilen diese Ansicht vollständig, nachdem durch die gewerbliche Enquête der Nachweis voll erbracht worden ist, daß die Wohlfahrt eines großen Theiles unseres Volkes durch Verhältnisse .gefährdet erscheint, welche abzuändern außer seiner Macht liegt.

Wir können uns daher kurz fassen, haben indessen unserer Zustimmung noch einige sachliche Bemerkungen beizufügen.

Nach unserer Ansicht ist es nicht Aufgabe des Bundes, ·durch direkte Einwirkung in den Kantonen das Bestreben für Verbesserung des Realschulwesens wach zu rufen. Es muß sicher hiezu -die Initiative aus dem Bedürfnisse des Volkes, beziehungsweise aus dem staatlichen Leben der Kantone herauswachsen. Auch hier ist es angezeigt, daß man sich an das bereits Bestehende anschließe und dasselbe weiter fortbilde. Dagegen muß als ebenso berechtigt bezeichnet

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werden, daß der Bund stets ein offenes Auge dafür behält, ob seine Subventionen im Speziellen gut verwendet werden, mit andern Worten, daß er, wie es der Beschluß des Nationalrathes vorsieht, eine sachgemäße Kontrole führe, wie er solche auch bei andern Subventionirungen (z. B. Flußkorrektionen u. s. w.) stets ausgeübt hat.

Wenn wir uns in einem sogenannten Rechtsstaat befinden würden oder befinden könnten, welcher die.sogenannten Manchesterideen als maßgebend anerkennt, so müßten wir es allerdings jedem Kanton anheimstellen, in Sachen zu thun, was er will und was er vermag.

Die Bundesverfassung von 1874 aber hat diesen Boden verlassen und das Volk anerkennt heute faktisch die Förderung ,, d e r gem e i n s a m e n W o h l f a h r t der Eidgenossen" auch in denjenigen Funkten, welche in der Verfassung nicht speziell und wörtlich erwähnt sind. Wir glauben also, daß keine formellen Gründe entgegen stehen, um die Theilnahme des Bundes an der Förderung der schweizerischen gewerblichen und industriellen Berufsbildung abzulehnen, daß aber zahlreiche materielle Erwägungen zwingend dafür sprechen, eine sachgemäße Subventionirung zu bewilligen.

Die Kommission des Ständerathes stimmt daher, im Prinzip, hierin den Anschauungen des Nationalrathes bei und beantragt das E i n t r e t e n auf die a r t i k e I w e i s e Berathung des Bes c h l u s s e s d e s N a t i o n a l r a t h e s v o m 1 8 . M ä r z 1884.

In der Begründung unserer Abänderungsanträge können wir uns nunmehr, nach den vorausgegebenen Erörterungen, kurz fassen und uns im Weitern auf mündliche Aufschlüsse des Referenten beziehen.

Ad Art. 1. Zustimmung zum Nationalrath Ad Art. 2. Denselben sehlagen wir vor, in folgender Form zu fassen : > Art. 2. Als Anstalten-für die gewerbliche und industrielle Ausbildung sind zu betrachten: a. Die Handwerkerschulen, selbständig oder in Verbindung mit der Volksschule; die gewerblichen Fortbildungs- und Zeichnungsschulen, dazu bestimmt, jungen Leuten die Wahl und Ausbildung des Berufes zu ermöglichen b. die höhern industriellen und technischen Anstalten, sowie Kunst- und Fachschulen; c. die Muster-, Modell- und Lehrmittelsammlungen, Gewerbeund Industriemuseen.

Durch diese Redaktion wollen wir denjenigen leitenden Gedanken Ausdruck geben, welche wir in unserem Bericht entwickelt Bundesblatt.

36. Jahrg. Bd. II.

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haben und- welche, mit Bezug auf die Priorität der Subvention, dahin gehen, daß zunächst der Fachunterricht der sogenannten Handsverkerschulen und sodann derjenige der höhern Schulaustalten und Mehrung der Sammlungen in's Auge zu fassen sei.

Ad Art. 3. Zustimmung zum Nationalrath.

Ad Art. 4. Hier fügen wir nach Korporationen die Worte ,, u n d Privaten" ein, damit dießfalls bestehende Verhältnisse in den Kantonen berücksichtigt und Privatleistungen, gleichberechtigt mit den andern, von der Wohlthat der Subvention nicht ausgeschlossen werden.

Ad Art. 5. Zustimmung zu Lemma l und 2 des Bundes- und Nationalrathes. Dagegen beantragen wir, das dritte Lemma zu redigiren wie folgt : Lemma 3. Der B u n d betheiligt sich in gleicher Weise an den Kosten der Ausbildung von Lehramtskandidaten für die in Art. 2 genannten Anstalten.

Zunächst wird statt Bundesrath der ,,Bund" gesetzt, weil es sich hier um diesen handelt. Sodann werden die Worte ,, w e i te r n ·' und B i m A u s l a n d e " gestrichen, um damit hervorzuheben, daß der Bund überhaupt die Ausbildung der Lehrer des Fachunterrichtes in geeigneter Weise mit als ein Ziel der Subvention betrachtet. Zur Verdeutlichung fügen wir dann noch bei: ,, f ü r d i e i n A r t . 2 g e n a n n t e n " Anstalten.

Ad Art. 6. Hier, wie in den Art. 7 und 8, ersetzen wir jeweilen und konform mit der Ausdrucksweise in Art. l die Worte: ,, i n d u s t r i e l l e Bildung" durch ,, i n d u t r i e l l e B e r u f s b i l d u n g " .

Am Schluß des Art. 6 setzen wir das Wort ,, v e r t r a g l i c h " ein. Damit wollen wir, im Sinne unseres Berichtes, einerseits die formelle Wegleitung für die Art und Weise der bezüglichen Abmachungen mit den Kantonsregierungen, andererseits aber auch dem Gedanken Ausdruck gehen: gesetzlich dahin zu wirken suchen, daß das Budget des Bundes für Förderung der gewerblichen und industriellen Bildung allmälig zu einem bestimmten, in gewissen Grenzen sich bewegenden gestaltet werde. Endlich aber soll damit gleichzeitig für die Leistungen in den Kantonen eine Sicherheit der Gegenleistung des Bundes auf eine bestimmte Dauer geschaffen werden.

Ad Art. 7. Zustimmung mit Bemerkung wie zu Art. 6: ,,Berufsbildung."

Ad Art. 8. Wir. beantragen hier eine Krediterhöhung von Fr. 150,000 auf Fr. 200,000 aus folgenden Gründen: In Art. 2

895 haben wir eine genaue Ausscheidung derjenigen Anstalten getroffen, welche wir als subventionsfähig betrachten. Dieselbe wird, im Sinne der im Bericht abgegebenen Motivirung, wahrscheinlich schon von Anfang an eine Erhöhung des Kredites bedingen, namentlich wenn man annimmt, daß bei Inkrafttreten des Gesetzes voraussichtlich in den Kantonen das rege Bestreben für Errichtung neuer Handwerkerschulen zu Tage treten dürfte.

Sodann aber haben wir im 3. Lemma des Art. 5 dem Bund auch eine etwas erweiterte Zumuthung für Ausbildung der Zeichnungslehrer gemacht, welche ebenfalls eine Krediterhöhung voraussetzen läßt.

Bndlich erinnern wir an unsere Anregung, wenigstens während der Uebergangsperiode Wiederholungskurse im Zeichnen für die vorhandenen Volksschullehrer in den Kantonen zu unterstützen.

Auch diese gewiß zweckmäßige Maßregel würde vermehrte Kosten nach sich ziehen müssen.

Die Kommission glaubt daher, es sei wohl begründet, die definitive Büdgetsumme jetzt schon mit Fr. 200,QOO in Aussicht zu nehmen, auch wenn damit selbstverständlich keineswegs gesagt sein soll, daß sie unter allen Umständen voll verwendet werde oder werden müsse.

Im Uebrigen geben wir der Redaktion des Art. 8, wieder mit Berücksichtigung unserer Bemerkung zu Art. 6, unsere Zustimmung.

Ad Art. 9. Zustimmung zum Nationalrath.

Die Kommission beantragt die Annahme des Bundesbeschlusses betreffend die gewerbliche und industrielle Bildung mit den von ihr vorgeschlagenen Abänderungen.

Vom Nationalrath wird an den Bundesrath folgendes Postulat gewiesen : ,,Der Bundesrath wird eingeladen, zu untersuchen und Antrag zu bringen, ob nicht die gesetzliche Regulirung der Verhältnisse zwischen Meister und Lehrling und Meister und Gesellen stattfinden soll."

Wir wollen unser Referat nicht schließen, ohne demselben noch eine kurze Bemerkung beizufügen. Diese neue Anregung zeigt deutlieh, daß alle nöthigen und mögliehen Schlüsse aus der

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gewerblichen Enquête noch nicht gezogen worden sind. Noch viele der in ihr angeregten Fragen von größter Bedeutung harren, wie wir schon früher erörtert haben, ihrer Antwort durch die eidgenössischen und kantonalen Behörden. Als eine ,,der nächsten Aufgaben muß aber die gesetzliche Regulirung der Verhältnisse zwischen Meister, Gesellen und Lehrlingen betrachtet werden, weil dieselbe mit den Bestrebungen für Verbesserung des Fachunterrichtes der Volksschule in engstem Zusammenhang steht. Man darf wohl sagen, daß der Erfolg der letztern bedingt wird durch eine gedeihliche Ordnung des sog. Lehrlingswesens. Die Kommission begrüßt daher das Postulat des Nationalrathes nach Form und Inhalt und wünscht, es möchte demselben bald durch den Bundesrath Folge gegeben werden.

L u z e r n , den 3. Mai 1884.

Der B e r i c h t e i-statte r: Olivier Zschokke.

Mitglieder der Kommission: Herr 0. Zschokke, ,, E. Blumev, ,, F. Oiittisheim, ,, A. Théranlaz, ,, T. Wirz.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht der ständeräthlichen Kommission, betreffend die gewerbliche Enquête. (Vom 3.

Mai 1884.)

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1884

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24.05.1884

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