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Verordnung betreffend

die Maßregeln der Epidemienpolizei zum Schutze gegen die Cholera, soweit sie die Verkehrsanstalten betreffen.

(Vom 4. Juli 1884.)

Der schweizerische Bundesrath, in Anwendung von Artikel 31, lit. b. der Bundesverfassung, verordnet: 1. Die Verkehrsanstalten: Eisenbahnen, Posten und Dampfschiffe, haben, soweit Bahnhöfe und Stationen, Transporte und Transportmittel in Frage kommen, die Verpflichtung, bei Epidemien, zunächst Cholera, alle nöthigen Schutzmaßregeln nach denselben Grundsätzen, welche für Kantone und Gemeinden gelten, durchzuführen.

2. Der Bund organisirt die auszuführenden Schutzmaßregeln durch Vermittlung des eidgenössischen Departements des Innern und überwacht sie durch Sachverständige, welche er erforderlichen Falles für einzelne von ihm zu umschreibende Regionen und für die Zeit des Bedürfnisses ernennt.

3. Diese Sachverständigen haben das Recht der sanitären Inspektion, sie haben freie Fahrt in dem ihnen zugetheilten Kreise während der Dauer der Epidemie zum Zwecke

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der Ausübung der in Frage stehenden Punktionen. Ihren Verfügungen muß sofort Folge geleistet werden, unter Vorbehalt des nachträglichen Rekurses an den Bundesrath.

1. Reinlichkeit.

1. Alle Wartsäle, Restaurationen und Kajüten müssen so stark als überhaupt möglich gelüftet werden. Zu diesem Zwecke ist wenigstens ein Fenster Tag und Nacht offen zu halten, soweit die Witterungsverhältnisse dies gestatten und nicht andere ausreichende Ventilationseinrichtungen vorhanden sind.

2. Die Böden aller hiebei in Betracht fallenden Lokalitäten sind täglich nach vorheriger Anfeuchtung auszukehren und bei wachsender Gefahr mindestens alle 48 Stunden einmal erst mit warmem Seifenvvasser (siehe III, 4) abzureiben und dann mit Wasser aufzuwasohen.

Der Zeitpunkt des Beginns der Anwendung letzterer Maßregel wird durch die vom Bund ernannten Sachverständigen bestimmt.

3. Die Möbel sind täglich zu reinigen, ferner bei wachsender Gefahr auf besondere Anordnung der vom Bund ernannten Sachverständigen die Wände bis auf Mannshöhe wöchentlich zwei Mal mit Seifenwasser oder Karbolwasser (siehe III, 5) abzuwaschen, ohne Rücksieht auf Tapeten oder Anstrichfarben.

4. Dieselbe Forderung gilt für Wände und Böden der Abtritte.

5. Die Abtritte sind unbedingt ran zu halten.

a. Die Gruben müssen sofort nach Eintritt der Choleragefahr geleert und dann mit "Wieaerlösung so lange behandelt werden, bis eine Probe des Inhaltes blaues Lakmuspapier entschieden röthet (III, 2) ; b. nachher ist jeden Tag so viel Wienerlösung nachzuschütten, daß die Röthung des Lakmuspapieres anhält ;

388 e. die Pissoirs sollen zur Verhütung des charakteristischen, stechenden Ammoniakgeruches täglich mit so viel Chlorkalk bestreut werden, als nöthig ist, um jenen Geruch gänzlich zu beseitigen.

6. Personen und Gepäckwagen sind, abgesehen von der regelmäßigen täglichen Reinigung, auf allen Endstationen, wo die benöthigte Zeit vorhanden ist, nach Anfeuchtung des Bodens und eventuell der Wände aufs Sorgfältigste zu reinigen.

Bei zunehmender Gefahr können die Sachverständigen noch weiter gehende Rweinigungsmassregeln vorschreiben.

Wagen joder Art, in denen Cholerakranke oder Choleraverdächtige Personen befördert worden sind, müssen ausgesetzt und nach Ziffer 7 behandelt werden.

7. Wagen, welche von einem Cholerakranken durchirgend welche Ausleerungen verunreinigt oder von einem Choleraverdächtigen benutzt worden, sind auf der Station auszuschalten, au welcher der Kranke ausgesetzt wird. An der nächsten DepotStation sind sodann diese Wagen einer gründlichen Desinfektion unter Aufsicht und nach Anleitung der vom Bundesrathe aufgestellten Sachverständigen zu unterziehen. Die verunreinigten ungepolsterten Sitze, Wagenboden und Wände, letztere bis auf Mannshöhe, sind mit heißem Wasser, nachher mit 5 °,o iger Karbolsäure zu waschen. Die verunreinigten gepolsterten Sitzesollen überdies mit 5%igem Karbolsäurewasser so behandelt und getränkt werden, daß die Polster durchwegs feucht sind und wenigstens acht Tage bis zu ihrer Trocknung und ihrer Wiederverwendung bedürfen, wenn nicht deren vollständige Zerstörung als zweckmäßig erseheint.

8. Nach konstatirtem Ausbruche der Cholera dürfen Leichen, Kleider, Bettzeug und Hadern nicht mehr zum Transport angenommen werden.

9. Auf allen Bahnhöfen, Stationen, Posthöfen und in allen Häfen und Dampfschiffen ist durch die betreffende Ver-

389 waltung ein zu iastruirender Angestellter der Sanitätsbehörde zur Verfügung zu stellen, der die Reinlichkeit überwacht, die Desinfektion leitet und dem Inspektor des Bundesrathes verantwortlich ist.

II. Personendienst.

1. Cholerakranke dürfen zur Beförderung nicht angenommen werden.

Auf den Eingangsstationen eines Grenzlandes, in welchem die Cholera aufgetreten ist, hat durch den hiefiir von der Staatsbehörde bezeichneten Arzt eine Inspektion der Reisenden jedes ankommenden Zuges stattzufinden. Personen, welche choleraverdächtig sind, werden von der Weiterreise zurückgehalten und bleiben unter der Obhut der Gesundheitsbehörde des Ortes bis die Fortsetzung der Reise durch den Arzt gestattet wird. Die Effekten sind der Desinfektion zu unterwerfen.

2. Das Fahrpersonal ist verpflichtet, auf die Reisenden Acht zu haben.

Passagiere, welche durch Erbrechen und Diarrhöen den Verdacht erregen, eholerakrank zu sein, sind möglichst zu isoliren und auf den Stationen, welche von, der Bundesbehörde zu diesem Zwecke zu bezeichnen sind, der zuständigen, ebenfalls von der Bundesbehörde zu bezeichnenden Stelle zu übergeben. Bis zur Uebernahme bleibt der Kranke in dem ausgeschalteten Wagen unter der Aufsicht des Bahnhof- oder Stations Vorstandes.

3. Es ist verboten, cholerakranke Passagiere in Grasthöfe abzugeben.

4. Die Staats-, beziehungsweise Gemeindebehörden werden an den vorgesehenen Stationen Aerate bezeichnen, welche in vorkommenden Fällen über das Verbleiben oder Weiterreisen des Kranken zu entscheiden und allfällige weitere Verfügungen zu treffen haben.

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III. Desinfektion.

1. Sie wird durch den Gesundheitsbeamten der Station (I, 9) persönlich ausgeführt oder geleitet, jedenfalls verantwortet.

2. Die zum Eingießen in die Abtritte zu verwendende Wienerlösung besteht aus: Rohe Carbolsäure 100 Gramm und Eisenvitriol 200 Gramm, in 2 Liter heißen Wassers aufgelöst.

3. Zum Bestreuen der Böden in den Pissoirs : FrischeiChlorkalk.

4. Zum Aufwaschen der Böden und Wände : Seifenlösung : Schwarze Seife (auch grüne Seife, Schmierseife genannt), 50 Gramm auf 10 Liter heißen Wassers gelöst.

5. Zum Abbürsten der Polster und Wände: Carbolsäurelösung, 5 % stark.

IY. Schlußbestimmung.

Obige Verordnung hat eine temporäre und eventuell territorial begrenzte Gültigkeit, entsprechend der Dauer und Ausdehnung einer Epidemie. Der Bundesrath bestimmt die Zeitdauer (Anfang und Ende), während welcher, sowie bezüglich der einzelnen Verkehrsanstalten den Umfang, in welchem diese Verordnung Anwendung finden soll.

B e r n , den 4. Juli 1884.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Welti.

Der Kauzler der Eidgenossenschaft : Ringier.

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Verordnung betreffend die Maßregeln der Epidemienpolizei zum Schutze gegen die Cholera, soweit sie die Verkehrsanstalten betreffen. (Vom 4. Juli 1884.)

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1884

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05.07.1884

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386-390

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