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Bericht des

Bundesrathes an die Bundesversammlung über Erwerbung der Pfahlbauten-Sammlung von Dr. Gross und das Postulat vom 9. Juli 1883 betreffend Gründung eines Schweiz. Nationalmuseums.

(Vom 25. November 1884.)

Tit.

Indem der Bundesrath der Bundesversammlung den Ankauf der Groß'schen Sammlung von Pfahlbautenalterthümern 211 Händen der Eidgenossenschaft empfiehlt, glaubt ei- dieser gegenüber eine Forderung der Wissenschaft, aber auch eine solche der Pietät zu erfüllen.

Die Sammlung des Hrn. Ur. Groß in Neuenstadt repräsentirt einen großen Theil derjenigen K u n d e , welche seit dem Jahre 1868 im Nenenburger-, im Bieler- und im Murtener-See gemacht wurden, als zum Zwecke der Entsumpfung der Gebiele des Jurageländes dio Abflussverhältnisse der genannten Seen rektifizirt wurden und der Wasserspiegel derselben um zirka 2 Meter sank.

Damals wurden die alten Pfahlbautenniederlassungen und ihre Kulturreste trocken gelegt und begann auch ein ganz neues Stadium für die Exploitation derselben. Während die frühem Forscher, wie Oberst Schwab in Biel und Professor Desor in Neuenburg, ihre Funde noch aus dem Wasser hatten herausfischen müssen und dabei trote aller Mühe und Sorgfalt doch nur mehr oder weniger fragmentarische Erhebungen machen konnten, war jetzt eine plan-

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Jetzt erst boten die Pfuhlbautenfunde nicht nur zufällige Einzelnheiten , sondern e i n v o l l s t ä n d i g e s u n d ü b e r s i c h t l i c h e s Bild d e r K u l t u r s t u f e d e r auf d e n Seen der W e s t s c h w e i z n i e d e r g e l a s s e n e n P f a h l b a u er dar.

In diese Ausbeute theilten sich, abgesehen von vereinzelten Erwerbungen, die öffentlichen Sammlungen von Bern. Neuenburg und Lausanne, sowie die Privatsammlung des Hrn. Dr. Groß in Neuenstadt. Von diesen ist die letztgenannte, wenn nicht der Zahl, so doch der Mannigfaltigkeit der Objekte, dem Reichthum der technischen und künstlerischen Typen nach die hervorragendste.

Hier sieht man nicht, wie in den genannten Sammlungen (denen sich auch die ältere Kollektion des Hrn. Oberst Schwab, jetzt im Museum in Biel, anreiht), Hunderte von gleichartigen Gegenständen aufgehäuft, sondern jeweilen nur die charakteristischen Formen eines Geräthes, eines Schmuckgegenstandes, die Etappen aller Wandelungen, welche das Objekt von seiner ersten rohen Gestalt bis zu seiner Vollendung durchlaufen hat. So bietet diese Sammlung vermöge des Reichthums und der Vollständigkeit ihrer Typen mehr als jede andere ein klares und kompietes Bild der Kultur der Westschweiz zu den Zeiten der Pfahlbauer. Nirgends so wie hier vermag man die Entwicklung unserer Vorfahren von den dürftigen Anfängen der Steinperiode zu den immer kunstreicheren Stufen der Kupfer-, der Bronze- und der Eisenzeit zu überblicken ; nirgends tritt das Gesetz des natürlichen Fortschrittes uns so überzeugend vor Augen, wie angesichts dieser mit dein höchsten Verständniß getroffenen Auswahl von Pfahlbautengegenständen.

o o Der wissenschaftliche Werth der Sammlung des Hm. Dr. Groß steht in den Kreisen der Fachgelehrten vollkommen fest, seitdem dieser Forscher seine Fundstücke auf den prähistorischem und anthropologischen Kongressen vorgewiesen und durch literarische Publikationen weitern Kreisen bekannt gemacht hat. Die umfassendste dieser Veröffentlichungen erfolgte auf Anregung desjenigen Gelehrten, der gegenwärtig wohl die erste Autorität auf dem Gebiete der prähistorischen Forschung ist, des Professor R. Virchow in Berlin. Es ist das Werk : ,,Les protohelvètes ou les premiers colons sur les bords des lacs de
Bienne et Neuchâtel, Berlin 1883", welchem auf 33 phototypischen Tafeln die Abbildung von 950 Gegenständen der Groß'schen Sammlung beigegeben ist. Aus der Vorrede, mit welcher Prof. Virchow das Buch bei der gelehrten Welt einfuhrt, soll hier nur ein Punkt hervorgehoben werden : ,,Das vorgeschichtliche Europa, sagt er, interessirt uns vor Allem deßhalb, weil es die

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Elemente jener großen ethnischen Bewegung enthält, aus denen sieb die geschichtlichen Völker entwickelt haben. Dieses Interesse ist gewachsen, seitdem man sich überzeugt hat, daß die erste Vorstellung, welche man hatte, als müßten den Anfängen der Kultur Menschen niederster physischer Bildung entsprechen, eine irrige war. Es ist ein besonderes Verdienst des Hrn. Groß, auch die Reste der alten Seebewohner selbst mit besonderer Pietät gesammelt und bewahrt zu haben. -- Nichts in den physischen Eigenthümlichkeiten dieser Rasse entspricht der Voraussetzung einer Inferiorität der körperlichen Anlage. Im Gegen t hei l man muß anerkennen, daß dies Fleisch von unserm Fleisch und Blut von unserm Blute war. D i e p r ä c h t i g e n S c h ä d e l v o n Auvernier k ö n n e n m i t E h r e n u n t e r d e n S c h ä d e l n der K u l t u r völker gezeigt werden. Durch ihre Kapazität, i h r e F o r m u n d die E i n z e l n h e i t e u i h r e r B i l d u n g s t e l l e n sie sich d e n b e s t e n S c h ä d e l n a r i s c h e r R a s s e a n d i e S e i t e."

Die Schädel von Auvernier, an welche sich für die Urbewohner unseres Landes so bedeutsame Folgerungen knüpfen, sind aber nahezu die einzigen menschlichen Ueberreste der Pfahlbauer. Darum erscheint es als eine Pflicht nicht nur der Wissenschaft, sondern auch der Pietät, dieselben dem Lande zu erhalten.

Hieß kann aber, nur geschehen, wenn die Bundesbehörden die Sammlung des Hrn. Dr. Groß zu Händen der Eidgenossenschaft ankaufen. Schon sind dem Besitzer verlockende Angebote von Amerika aus gemacht worden. Er hegt aber den Wunsch, die Sammlung dem Lande zu erhalten und würde sie deßhalb dem Bunde zu wesentlich reduzirterem Preise überlassen.

Daß die von Hrn. Groß von der Eidgenossenschaft geforderte Summe von Fr. 60,000 für die ihr abzutretenden zirka 6000 Objekte eine keineswegs übertriebene ist, -anerkennen Fachmänner, wie Herr von Feilenberg - von Bonstetten, Direktor der antiquarischen Sammlung in Bern, und Herr Morel-Fatio, Direktor der kantonalen Alterthumssammlung in Lausanne. Es muß zur richtigen BeurtheiJung jener Summe in's Auge gefaßt werden, daß, wenn auch zur Zeit, als Herr Dr. Groß seine Sammlung anlegte, die Exploitation der Pfahlbauten nicht mehr so hohe Kosten verursachte wie früher, dafür die Pfahlbautenalterthümer bereits Handels-
und Spekulationsgegenstände geworden waren und den Landleuten, in deren Hände sie fielen, rnit enormen Preisen abgekauft werden mußten. Auch kaufte Herr Dr. Groß, um jeweilen die besten Exemplare und Typen der Geräthe, Schmuckgegenstände und Waffen zu erhalten, verschiedene ganze Sammlungen an, deren Doubletten dann, nach

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Wegnahme jener Prachtstücke, beim Wiederverkauf nicht mehr viel abwarfen. M a n d a r f d i e S u m m e v o n F r . 60,000 a l s d e n u n g e f ä h r e n S e l b s t k o s t e n p r e i s für Herrn Dr. G r o ß b e z e i c h n e n u n d a l s e i n e s e h r b i l l i g e S u m m e für eine S a m m l u n g von solch e r k u l t u r h i s t o r i s c h e r B e d e u t u n g b e t r a c h t e n . Denn d a s Kulturgebiet des Bieler-, des Neuenburger- und des Murtener-Sees ist nunmehr nach der Trockenlegung ihrer ehemaligen Ufer und der umfassenden Nachgrabung während des letzten Decenniums definitiv erschöpft. Neue Pfahlbauten werden keine mehr zu Tage treten, und neue Sammlungen von Pfahlbauten-Alterthümern können sich also nicht mehr bilden.

Was die Aufstellung der Sammlung betrifft, so zweifeln wir nicht daran, daß eine der Städte der Westschweiz die nöthigen Lokalitäten zur Disposition stellen und auch die Konservirung der Sammlung übernehmen werde. Sollte dieß gegen unser Erwarten nicht der Fall sein, so würden wir die Sammlung bis auf Weiteres entweder in den Räumen der polytechnischen Schule in Zürich oder in dem neuen Militärverwaltungsgebäude in Bern unterbringen.

Gestützt auf obige Darlegung beehren wir uns zu beantragen: Es wolle die B u n d e s v e r s a m m l u n g den Bundesrat h e r m ä c h t i g e n , die Groß'sche S a m m l u n g von P f a h l b a u t e n - A l t e r t h ü m e r n um den Preis von Fr. 6 0 , 0 0 0 a n z u k a u f e n u n d d e m s e l b e n h i e f ü r F r . 30,000 a u f d e r R e c h n u n g v o n 1884 u n d F r . 30,000 p r o 1885 a n w e i s e n .

Mit dem Vorschlag, die Groß'sche Sammlung für die Eidgenossenschaft zu erwerben, glaubt der Bundesrath auch dem ihm vom Nationalrath in der Junisession des Jahres 1883 gewordenen Auftrag ,,der Bundesversammlung Bericht und Antrag zu hinterbringen, ob ein schweizerisches National muséum errichtet werden solle, und welche finanzielle Tragweite ein solcher Beschluß für den Bund haben möchte," auf praktischem Wege nachzukommen.

Der Vorsteher des Departements des Innern, au den dieser Auftrag zunächst überwiesen wurde, berief im Januar 1884 eine Kommission von Fachmännern auf dem Gebiet der Alterthumskunde aus den verschiedenen Landesgegenden ein und legte ihnen die Frage nach der Wünschbarkeit und nach der Möglichkeit der Errichtung eines Nationalmuseums vor. Die sozusagen einstimmige Meinungsäußerung dieser Versammlung ging dahin : Was vor Allem Bundesblatt, 36. Jahrg. Bd. IV.

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Noth tliue, das seien Maßregeln des Bundes, um der Verschleuderung und dem Verkauf unserer einheimischen AHerthümer und Kunstwerke, in's Ausland entgegen zu steuern. Man vereinigte sich von allen Seiten zu dem Vorschlag, es möchte die Bundesversammlung dem Bundesrath einen jährlichen Kredit von Fr. 50,000 ertheilen, um jeweilen Alterthümer und Kunstwerke von nationaler Bedeutung, deren Verkauf in's Ausland drohe, der Eidgenossenschaft zu erhalten.

Dieser Maßregel gegenüber sei die Errichtung eines Nationalmuseums, d. h. die Vereinigung der so dem Lande geretteten Werthstücke zu einer centralisirten Sammlung, eine sekundäre Frage, deren Beantwortung man der Zukunft überlassen könne.

Der Bundesrath stellt sieh im Grundsatz auf den Boden, den jene Expertenkommission eingenommen ; aber er bringt die Angelegenheit nicht in der Form des Begehrens eines festen jährlich wiederkehrenden Kredites für Ankauf von schweizerischen Alterthums- und Kunstgegenständen vor die Bundesversammlung, sondern er wird, wenn die Käthe nicht den andern Weg vorziehen, in jedem einzelnen Fall, wo eine solche Erwerbung wünschbar oder geboten erscheint, von den eidg. Käthen den erforderlichen Kredit sich erbitten. Dadurch glaubt der Bundesrath den Befürchtungen, die sich unverkennbar auch im Schooße der Bundesversammlung an den Begriff eines ,,schweizerischen Nationalmuseums a als eines die fernere Entwicklung der kantonalen Museen gefährdenden Institutes knüpfen, von vornherein zu begegnen.

Indem wir Ihnen vorstehenden Bericht und Antrag zur Genehmigung empfehlen, benutzen wir den Anlaß, Sie, Tit., unserer vollkommensten Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 25. November 1884.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Welti.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bericht des Bundesrathes an die Bundesversammlung über Erwerbung der PfahlbautenSammlung von Dr. Gross und das Postulat vom 9. Juli 1883 betreffend Gründung eines schweiz. Nationalmuseums. (Vom 25. November 1884.)

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06.12.1884

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