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Bericht des

Bundesrathes an den Nationalrath betreffend die Wahlen in diese Behörde, vom 26. Oktober 1884 etc.

(Vom 30. November 1884.)

Herr Alterspräsident !

Herren Nationalräthe !

Nach Anleitung von Art. 76 der Bundesverfassung und Art. 16 des Bundesgesetzes betreffend die eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen haben d i e E r n e u e r u n g s w a h l e n i n d e n N a t i o n a l r ath in allen Kantonen Sonntag den 26. Oktober laufenden Jahres stattgefunden, und wir beehren uns, Ihnen über das Ergebniß nachfolgenden Bericht zu erstatten : Gewählt wurden am 26. Oktober, wie sich aus dem ausgetheilten Tableau ergibt, 141 Mitglieder.

Einzig im 1., 33., 37. und 49. eidgenössischen Wahlkreise kam je eine Wahl nicht zu Stande.

Für die beiden erstgenannten Kreise wurde ein zweiter Wahlgang auf Sonntag den 9., für die beiden letztgenannten auf Sonntag den 16. November angesetzt, und es wurden an diesen Tagen nachträglich gewählt: Im i. K r e i s e : Herr Major A. S y f r i g , in Mettmenstetten.

I m 33. K r e i s e : Herr L. R a s c h e i n , Obergerichtspräsident, in Malix.

Bundesblatt. 36. Jahrg. Bd. IV.

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I m 37. K r e i s e : Herr Theodor H a i l e v , Fürsprech, in Brugg.

I m 49. K r e i s e : Herr Gustave Pic te t, alt Bundesrichter, in Genf.

Es sind hienach, bei einer Mitgliederzahl von 145 Mitgliedern, sämmtliche Wahlen zu Stande gekommen.

Davon sind 120 Bestätigungs- und 25 Neuwahlen.

W a h l e i n s p r a c h e n sind bis jetzt eingelangt aus den Kantonen B e r n , F r e i b ü r g und T e s s i n, gegen die Wahlen im 10., 21.

und 40. eidgenössischen Wahlkreise, resp. gegen die Wahl der Herren Stockmar, Francillon, Jolissaint, Cuénat und Klaye (Bern), Cressier und Python (Freiburg), Battaglini und Bernascom (Tessin).

(Eine Beschwerde aus dem Kanton Luzern, von der man im Zweifel sein konnte, ob sie sich als eine eigentliche Wahleinsprache darstelle, ist nach einem vom Beschwerdeführer direkt an den Nationalrath gerichteten Nachtrag nicht als solche, sondern als vcn diesem zu behandelnde Beschwerde betreffend Stirnmregisterführung zu betrachten.)

Die Reklamationen aus den Kantonen Bern, Luzern und Freiburg geben zu keinen besondern Bemerkungen Anlaß, und es erübrigt uns, nach Anleitung des Gesetzes, nur, Ihnen dieselben zur Behandlung und Erledigung zu übermitteln.

Verwickelter gestaltet sieh dagegen die Frage, wie die aus dem 40. W a h l k r e i s eingelangte E i n s p r a c h e zu behandeln sei, zumal sie mit einer Reihe uns aus dem gleichen Wahlkreis eingekommener, die Frage der Stimmberechtigung beschlagender R e k u r s e zusammenhängt und einer dieser letzteren in der Folge zu dem bekannten Konflikte mit der Regierung von Tessin geführt hat.

Wir müssen daher etwas weiter ausholen, und beehren uns, Ihnen hier einen kurzen historischen Ueberblick des Verlaufes der ganzen Angelegenheit zu geben.

Am Vorabend der Wahlen, d. h. den 25. Oktober, Nachmittags zwischen 4 und 5 Uhr, gelangte an uns ein Telegramm der Munizipalität von Lugano, folgenden Inhaltes: ,,Der Staatsrath befiehlt uns heute mittelst fünf uns um l Uhr Nachmittags zugestellten Dekreten, und /.war ohne den dadurch Betroffenen Gelegenheit zur Vertheidigung zu geben, die Ausmerzung

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aus dem, beziehungsweise die Eintragung in das Stimmregister von über 117 Individuen, unter Androhung von fünf Bußen von je Fr. 500. Wir erwiderten, daß das Register, in Gemäßheit des staatsräthlichen Dekretes vom 27. September 1884, den 22. Oktober geschlossen worden sei, im Uebrigen mehrere der verlangten Abänderungen schon vorher vorgenommen worden seien. Nach Schluß der Stimmregister sei keine Abänderung und auch keine Reklamation mehr möglich, außer an die Bundesbehörden, in G-emäßheit des kantonalen Gesetzes vom 19. September 1872, Art. 7.

Wir halten demnach an unserem Stimmregister fest und verlangen, daß die morgende Abstimmung sich auf Grund dieses Registers mache, vorbehaltlich jeder weitern Reklamation.

Um Unordnungen vorzubeugen, ersuchen wir, unser Vorgehen zu billigen und der Regierung in diesem Sinne zu telegraphiren, indem wir nöthigenfalls Protest einlegen."

N a m e n s der M u n i z i p a l i t ä t , Der Vi/e-Syndik us-Präsident :

(gez.) Vegezzi.

Wir haben diese Beschwerde gleichen Abends noch dem Stnatsrath von Tessin telegraphisch mitgetheilt und ihn um sofortigen Bericht ersucht, im Uebrigen die Erwartung ausgesprochen, daß die gesetzlichen Vorschriften strikte eingehalten werden.

Mittelst eines am späten Abend nach Bern gelangten Telegramms, welches dem Vizepräsi lenten des Bundesrathes erst den 26. Oktober, Abends 5 Uhr zukam, erwiderte der Staatsrath von Tessin, daß die der Munizipalität von Lugano aufgetragenen Sireichungen und Eintragungen schon vor dem 22. Oktober, d. h. schon vor Schluß des Stimmregisters, bei ihm anbegehrt worden seien, daß er übrigens erst nach Anhörung der Munizipalität vorgegangen sei, welch1 letztere die staatsräthliche Entscheidung'sbef'ugniß implicite anerkannt habe, daß im Uebrigen die Thatsaohen, auf welche sich seine Anordnung stütze, unbestritten seien, während sie die verfügten Abänderungen des Registers vollständig rechtfertigten, daß daher sein Vorgehen streng gesetzlich sei und daß folgeweise Abweisung der Beschwerde als einer unbegründeten verlangt werde.

Diese Depeschen wurden den 27. Oktober unserem Justin- und Polizeidepartemente zugestellt, welches seinerseits abwarten zu sollen glaubte, welche Folge die Munizipalität von Lugano dem von ihr am 25. Oktober angemeldeten Rekurs geben würde.

·Mit brieflich bestätigter Depesche vom 7. November theilte uns nun allerdings diese Behörde mit, daß sie am 30. Oktober

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gegen fünf Dekrete des Staatsrathes von Tessin vom 24./25. Oktober Rekurs an den Bundesrath eingelegt habe, welche Dekrete willkürliche und verspätete Abänderungen des Stimmregisters angeordnet hätten. Dieser Rekurs sei dem Staatsrath in zwei Doppeln Übermacht worden, um von ihm, in Gemäßheit von Art. 7 des Gesetzes von 1872, dem Bundesrathe zugeleitet zu werden; dessen ungeachtet habe der Staatsrath militärische Exekution angeordnet, um die fünf Bußen von je Fr. 500 einzutreiben ; bereits sei das Vorzimmer der Munizipalität von Grensdarmerie besetzt.

Angesichts dieser Vorgänge luden wir unterm 8. November die Begierung von Tessin ein, die Vollstreckungsmaßregeln zu sistiren, bis wir, eventuell die Bundesversammlung, über den Rekurs der Munizipalität von Lugano zu Recht erkannt hätten.

Am Nachmittage des gleichen Tages protestirte die Regierung unter Aufrechterhaltung und näheren Begründung ihrer Behauptung, daß ihr Vorgehen ein durchaus gesetzmäßiges sei, resp. gewesen sei, telegraphisch gegen diese Sistirung, welche, wie sie sagte, ihrem Ansehen nachtheilig sein müßte.

Allein mit Schreiben vom 10. November erklärten wir, indem wir gleichzeitig um beförderliche Uebermittlung des Rekurses der Munizipalität von Lugano ersuchten, unsern Beschluß nicht zurücknehmen zu können, da in derartigen Fällen den Rekursen an die Bundesbehörden Suspensiveffekt nothwendig beigelegt werden müsse.

Ihrerseits erklärte die Regierung unterm 12. November, auf ihrem Standpunkte beharren zu sollen. Da sie auf ihre Berichterstattung vom 24./25. Oktober spät keinerlei Antwort und keinerlei Instruktion erhalten habe, seien die von ihr erlassenen Dekrete als in Kraft erwachsen zu betrachten gewesen , und die Weigerung, sich ihnen zu fügen, als ein Akt der Rebellion. Uebrigens sei keine Gefahr im Verzüge, da eine einmal bezahlte Buße später immer wieder restituir! werden könne. Man könne unmöglich die Hand zu einer Abschwächung des Ansehens der Regierung bieten, was die fatalsten Polgen nach sich ziehen würde.

Mittlerweile hatte die Exekution nach den Mittheilungen der Munizipalität von Lugano ihren Fortgang genommen ; bereits sei (wurde unterm 11. mitgetheilt), ein Garten nebst .Gartenhaus des Mitgliedes der Munizipalität, Hrn. Bnderlin, gepfändet worden, und der Verkauf stehe demnächst zu gewärtigen.

Bei dieser Sachlage
antworteten wir der Regierung den 13. November telegraphisch und brieflieh wie folgt: ,,Die Ihnen am 8. ertheilte und am 10. bestätigte Weisung, die Vollziehung der von Ihnen gegen die Mitglieder der Munizi-

501 palität von Lugano ausgesprochenen Strafe so lange einzustellen, bis über den Rekurs dieser Munizipalität Entscheid gefällt sei, wird vom Bundesrathe aufrecht erhalten und erneuert.

,,Er ladet Sie ein, ihm telegraphisch noch heute mitzutheilen, daß Sie dieser Weisung nachgekommen sind.

,,Andernfalls wird er sich, wenn auch mit Bedauern, genöthigt sehen, sich hierüber hei der rekurrirenden Munizipalität zu erkundigen und diejenigen Maßnahmen zu treffen, welche die Umstände erheischen, um seiner Schlußnahme Nachachtung zu verschaffen.

,,Er erinnert Sie daran, daß er immer noch den Rekurs der Munizipalität erwartet, wiewohl derselbe bereits seit dem 30. Oktober in Ihren Händen sein muß. c(p Darauf erwiderte die Regierung unterm 13., Abends: ,,Der Rekurs der Munizipalität von Lugano wird mit unsern Bemerkungen heute Abend noch abgehen, da das Bundesgesetz vom 19. Juli 1872 im Art. 11 festsetzt, daß derartige Rekurse nach Ablauf von seehs Tagen, von der Verkündung des Wahlresultates an gerechnet, übermittelt werden sollen. Was die Eintreibung der Buße betrifft, so wiederholt der Staatsrath, daß er die Verantwortlichkeit nicht auf sich nehmen kann, eine Gesetzesverletzung zu begehen und seine Würde zu kompromittiren, und protestirt energisch gegen alle eventuellen Beeinträchtigungen der kantonalen Autonomie.11 Angesichts dieser hartnäckigen Weigerung, den von uns innerhalb der Schranken unserer Kompetenz erlassenen Weisungen und Befehlen Folge zu leisten, mußten wir, um die Autorität des Bundes zu wahren, zu andern Mitteln greifen.

Wir beschlossen in unserer Sitzung vom 14 November: ,,Es sei sofort in der Person des Herrn Nationalrath K a r r er von Sumiswald ein eidgenössischer Kommissär in den Kanton Tessia abzusenden; demselben werde Auftrag und Vollmacht ertheilt, von der tessiiiischeu Regierung nochmals die sofortige Beobachtung der Schlußnahme des Bundesrathes, d. h. die Einstellung des Exekutionsverfahrens gegen die Munizipalität von Lugano z,u verlangen; die Regierung für alle Folgen ihres Widerstandes verantwortlich zu erklären, mit Vorbehalt der weitern Maßnahmen, welche die Bundesbehörden für nothwendig erachten sollten; sowie alle Handlungen des Staatsrathes, welche mit den Schlußnnhmen des Bundesrathes in Widerspruch stehen würden, für null und nichtig zu erklären."

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Die Regierung von Tessin wurde sofort von dieser Schlußnahme in Kenntniß gesetzt. Der eidgenössische Kommissär reiste mit dem Zuge 5. 50 ab.

Den 15. November Mittags langten zwei Telegramme desselben ein.

In dem ersten theilte er mit, daß die Regierung erklärt habe, bei ihren Beschlüssen zu beharren, dagegen keine Opposition zu machen, wenn der Kommissär die Suspension der gegen die Munizipalität in Lugano angeordneten Exekutionsmaßregeln seihst anbefehle; daß er demzufolge dem Regierungskommissär Masella Auftrag ertheilt habe, die Versteigerung des Enderlin'schen Gartens nicht vorzunehmen.

In der zweiten theilte er mit, daß der Regierungskommissär sich weigere, seinen Befehlen zu gehorchen.

Es veranlagte uns das, ungern Kommissär anzuweisen, er solle von der Regierung verlangen, daß diese die von ihm überbrachten Befehle selbst ihrem Kommissär in Lugano übermittle und im Uebrigen für alle Fälle die nöthige Truppenzahl aufs Piket zu stellen. Hievon wurde für den Fall, daß der eidgenössische Kommissär Bellinzona schon verlassen hätte und daher verhindert gewesen wäre, seinem Auftrage nachzukommen, der Regierung direkt Mittheilung gemacht.

Am Nachmittage des gleichen Tages langte aber der Bericht ein, daß die Versteigerung des Enderlin'schen Gartens dennoch stattgefunden habe und um 12 Uhr beendigt worden sei. Kaum hatten wir in außerordentlicher Sitzung die der veränderten Sachlage entsprechenden Beschlüsse gefaßt, so ging ein Telegramm des tessinischen Staatsrathes, datirt 3 Uhr 20 Minuten, ein, folgenden Inhaltes : ,,Der Staatsrath habe dem eidgenössischen Kommissär auf dessen Aufforderung, seine Befehle betreffend Exekution zurückzuziehen, geantwortet, er könne das zwar nicht thun, dagegen lasse er zu, daß der eidgenössische Kommissär nach seinem Vermögen und seinen Weisungen handle. In diesem Sinne kabe er, der Staatsrath, au seinen Präfekten in Lugano telegraphirt. Auf die Androhung der militärischen Okkupation hin erkläre er jedoch, der höhern Gewalt zu weichen. Er habe Befehl ertheilt, daß alle weiteren Vollziehungsmaßregeln zu unterbleiben hätten.a Wir beschlossen hierauf, in etwelcher Modifikation des von uns bereits gefaßten Beschlusses, unser Kommissär sei zu beauftragen, der Regierung von Tessin au eröffnen, daß der Bundesrath

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die in Lugano stattgehabten Vollstreekungsmaßnahmep, und vorab die Versteigerung des Grundstückes Enderlin, für null und nichtig erkläre, und infolge dessen zu verlangen, daß die Regierung den status quo ante wieder herstelle und sich bei ihm über den Vollzug dieser Befehle ausweise.

Dieser Auftrag ging den 15. November Abends Va 5 Uhr an Herrn Karrer ab und wurde, zufolge Berichtes desselben, von ihm am gleichen Tage noch vollzogen.

Darauf erfolgte von Seite des tessinisehen Staatsrath.es am Nachmittag des 16. November die Mittheilung, daß er, wenn auch in die Lage versetzt, höherer Gewalt zu weichen, doch als politische und administrative Behörde nicht im Stande sei, die zivilrechtliche Sachlage zu ändern; daß er auf der andern Seite getreulich der gestern schon gefaßten Schlußnahme nachzuleben beabsicht'ge, dahin gehend, sich den Befehlen des Bundesrathes zu unterziehen, insoweit sie von ihm wirklich befolgt werden könnten; daß er daher beschlossen habe, die durch Vermittlung seines Kommissärs in Lugano von dem Ersteigerer, Herrn S a r ò l i, Schwiegersohn des ausgepfändeten Herrn Enderlin, bezogenen Fr. 3100 dem eidgen.

Kommissär zur Verfügung zu stellen, damit sie dieser, falls er es für angemessen erachte, Herrn Saroli wieder zurückstellen könne.

Unser Kommissär, dem die Tessiner Regierung von dieser ihrer Schlußnahme direkte Mittlieiluog gemacht hatte, entgegnete derselben, laut Bericht vom l7. Morgens, daß sich der Bundesrath mit jener Schlußnahme voraussichtlich nicht zufrieden geben werde, da es nicht seine Sache, resp. Sache seines Kommissärs sein könne, mit Saroli, oder wem immer, in Unterhandlung zu treten, sondern vielmehr Sache der Regierung sei, den status quo ante wieder herzustellen.

Am gleichen Tage erhielten wir denn auch einen Bericht der Regierung, welcher uns in Kenntniß seìzte, daß der Käufer Saroli auf der von ihr bereits inhibirten Ausfertigung des für die Eigenthumsübertragung nothwendigen Instrumentes beharre.

Nachdem uns diese Mittheilung von unserni Kommissär mit dem Beifügen bestätigt worden war, daß Herr Saroli nur gegen Vergütung des reellen Werthes auf seine, durch die Zwangssteigerung erworbenen, Rechte verzichten wolle und die vom Bundesrathe ausgesprochene Annullirung des Stoigerungsaktes zwar wohl für die Regierung gelten lasse, dagegen seiner Person
gegenüber nicht als verbindlich anerkenne; nachdem mittlerweile auch Herr Enderlin uns angezeigt hatte, daß er den Staatsrath von Tessin direkt aufgefordert habe, die nöthigen Schritte zu thun, um ihn

504 wieder in den Besitz seines Grundstückes zu setzen und angemessen zu entschädigen, widrigenfalls er die diesfalls nöthigen Schritte bei den kompetenten Behörden einleiten werde, sahen wir uns veranlaßt, den 22. November abhin nachfolgende Weisung an unsern Kommissär abgehen zu lassen : ,,Nach Einsichtnahme Ihrer Berichte laden wir Sie ein, den Staatsrath anzuweisen, daß er bis zum 28. dies, in Vollziehung unserer Schlußnahme vom 15. November, alle ihm zu Gebote stehenden Mittel anwende, damit Herr Enderlin wieder in den Besitz des Verkauften Grundstückes gesetzt werde.

,,Sie werden ermächtigt, Ihre guten Dienste bei den Verhandlungen eintreten zu lassen, welche in Bezug auf die verlangte Wiederherstellung des vorigen Standes nothwendig sein sollten.

,,Herrn Enderlin wollen Sie von der Sachlage verständigen.tt Mit Telegramm vom 26. November theille sodann der Staatsrath den Beschluß mit, den er, in Vollziehung obiger Weisungen, am 25. gefaßt hatte, und welcher wie folgt lautet: ,,Dem Herrn Advokat Cesare Saroli wird sofort notifizirt, daß ihm der Betrag von Fr. 3100, den er für die Zusprechung des Enderlin'sehen Grundstückes erlegte, werde erstattet werden, wenn er binnen 24 Stunden die Schlüssel dem Regierungskommissär in Lugano und die schriftliche Erklärung dem Staatsrathe abgegeben haben werde, daß er die Annullirung der Exekutionshandlungen, mit Einschluß der Zusprechung des Grundstückes, sowie die vom Bundesrathe verlangte Einsetzung des Herrn Enderlin in den Besitz desselben (e l'immissione in possesso decretata dal Consiglio federale) als gültig anerkenne.11 Der Staatsrath berichtete ferner, daß Herr Saroli hierauf die Erklärung abgegeben habe, er nehme keine Rücksicht auf dieses Dekret, da er beim Bundesgericht Klage erhoben habe. Damit verband der Staatsrath die Aufrage, ob der Bundesrath ihn für den Fall, daß Saroli nach Verfluß von 24 Stunden die Schlüssel des Enderlin'sehen Grundstuckes behufs Rückgabe desselben an Herrn Enderlin nicht abgeben würde, ermächtige, in Vollziehung der herwärtigen Befehle, Gewalt anzuwenden, um Enderlin wieder in den Besitz einzusetzen.

Wir luden hierauf unsern Kommissär ein, dem Staatsrath zu erwidern, der Bundesrath müsse die Beantwortung der gestellten Anfrage betreffend das Vorgehen gegen Herrn Saroli ablehnen, da er sich in die Frage, in welcher Weise der vorige Zustand durch den Staatsrath wieder herzustellen sei, nicht einzumischen habe und

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es Sache des letztern sei, zu entscheiden, welche Vorkehren zu diesem Zwecke zu treffen seien; wir beauftragten den Kommissär des Fernern, sich nach den Gründen zu erkundigen, warum der Staatsrath die Kaufsumme nicht Herrn Enderlin anbiete, dem, nach Mitgabe des tessinischen Gesetzes, das Rückkaufsrecht zustehe.

Mit Telegramm vom 28. November, dem letzten Tage der dem Staatsrathe eingeräumten Frist, berichtete sodanti Herrr Karrer, daß eine Konferenz zwischen dem Staatsrath einerseits und Herrn Enderlin andererseits stattgefunden habe, aber deßwegen fruchtlos abgelaufen sei, weil der Staatsrath nur Fr. 3100 habe restituiren wollen, während Herr Enderlin überdies eine Entschädigung von Fr. 5000 verlangt habe. Der Staatsrath bestätigt seinerseits diesen Bericht, mit dem Beifügen, daß er, unter Umständen, Alles gethan zu haben glaube, was ihm, in Nachachtung der hierseitigen Befehle, zu* thun möglich gewesen sei.

Wir haben hierauf, in Erledigung dieser Angelegenheit, nachfolgenden Beschluß gefaßt : 1. Die Regierung von Tessin bleibt für alle Folgen ihrer Handlungen, gemäß den vorerwähnten frühern Schlußnahmeri dea Bundesrathes, verantwortlich.

2. Die vom Staatsrathe auf Befehl des Bundesrathes angeordnete Einstellung des Vollstreckungsverfahrens gegen die Munizipalität von Lugano wird aufrecht erhalten und der Verkaufspreis des Enderlin'schen Grundstückes bleibt, in den Händen der genannten Kautonsregierung, den Betheiligten zur Verfügung.

3. Der Bundesrath behält skh nach Erledigung der Wahlbeschwerden durch den Nationalrath den Entscheid in der Hauptsache vor.

B e r n , den 30. November 1884.

Infolge dessen haben wir die Mission unsers Kommissärs als für einmal beendigt erklärt und ibn ermächtigt, aus dem Kantern Tessin zurückzukehren.

Dies der jetzige Stand der Sache.

Wir haben die historische Darstellung unsers Konfliktes mit der Tessiner Regierung nicht durch Einschaltung von Episoden unterbrechen wollen, welche mit diesem nicht in unmittelbarem Zusammenhange stehen.

SOG Es bleibt uns nun noch übrig, Ihnen folgende weitere Mittheilungen zu machen : Der von der Munizipalität von Lugano mit Telegramm vom 25. Oktober, resp. 7. November, vom Tessiner Staatsrathe mit Telegramm vom 13. November angekündigte Rekurs der ersteren, d. d. 30./3l. Oktober, ist uns mit Begleitschreiben des letztern, d. d. 13. November, richtig zugekommen.

Dieser Rekurs schließt dahin : 1. Es seien die mehrerwähnten Dekrete des Staatsrathes von Tessin zu annulliren.

2. Dieser sei anzuweisen, die Eintreibung der angedrohten Geldbußen bis Austrags der Sache zu suspendiren.

Der Staatsrath seinerseits schließt, in Bestätigung seiner früheren Ausführungen in dieser Sache, und mit namentlicher Hinweisung auf seine Depeschen vom 25. Oktober und 10. November, auf Abweisung der Rekursbegehren.

Er stellt gleichzeitig in Aussicht, daß er uns alle übrigen, ihm zur Kenntniß gekommenen Beschwerden, mit seinen gutfindenden Bemerkungen versehen, demnächst übermitteln werde.

Diese Beschwerden sind uns mittlerweile zugekommen.

Es sind die folgenden : 1. Rekurs der Munizipalität von Mendrisio gegen ein Dekret des Staatsrathes von Tessin vom 25. Oktober, dahin gehend, daß erstere unter Androhung einer Buße von Fr. 500 verhalten sei, eine Anzahl Schweizerbürger deßwegen aus dem Stimmregister zu streichen, weil sie noch nicht 3 Monate in Mendrisio domizilirt seien.

Dieser Rekurs war den 25. Oktober spät Abends beim Bundesrathe telegraphisch angemeldet worden und konnte daher vor der Abstimmung nicht mehr erledigt werden. Er wurde von der Rekurrentin, in erweiterter Form, dem Staatsrathe den 11. November eingereicht, von diesem mit seiner Begutachtung versehen und uns den 18./19. November übermittelt, 2. Ein auf das gleiche Dekret bezuglicher, dem Bundesrath direkt eingegebener Rekurs der drei in Mendrisio ansäßigen Aargauer: Otto Stocker, Gaston Feer und Julius Hauswirth, welchen gemäß des soeben erwähnten Dekrets des Staatsrathes von Tessin die Theilnahme an den Nationalrathswahlen untersagt worden war.

Dieser Rekurs, dalirt vom 29. Oktober, wurde dem Staatsrathe den 3. November zur Anbringung allfälliger Gegenbemerkungen

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mitgetheilt und mit letzteren den 14./l 5. November dem Bundesrathe wieder rückgemittelt.

3. Eine vom liberal-konservativen Romite in Lugano dem Teseiner Staatsrathe sub 10. November zuhanden der Bundesbehörden übergebene Einsprache gegen die im 40. eidgenössischen Wahlkreise vorgenommenen Wahlen der Herren Battagliti! und Bernasconi.

Diese Einsprache stützt sich darauf, daß infolge der Weigerung der Munizipalität von Lugano, den vom Staatsrathe unterm 25. Oktober eilassenen Dekreten nachzukommen, viele Bürger zur Abstimmung zugelassen worden seien, welche dazu kein Recht besessen hätten, während umgekehrt Andere ausgeschlossen worden seien, welche hätten zugelassen werden sollen; daß ähnliche Unregelmäßigkeiten auch in andern Gemeinden des 40. Wahlkreises stattgefunden hätten und daß daher anzunehmen sei, es sei das Resultat der Abstimmung durch diese Vorgänge beeinflußt worden.

Sie schließt im Wesentlichen dahin: * Es seien die Wahlen des 40. eidgenössischen Wahlkreises zu kassiren, eventuell, es sei, falls die vorgekommenen Unregelmäßigkeiten nicht genügend gewesen sein sollten, das Wahlresultat zu beeinflussen., in geeigneter Weise dafür zu sorgen, daß ähnlichen Fälschungen des Volkswillens in Zukunft vorgebeugt werde.

Der Staatsrath schließt sich in seiner Vernehmlassung vom 20. November den Ausführungen des genannten Komites und dessen eventuellem Begehren an.

Ein ebenfalls den 25. Oktober vorläufig angemeldeter Rekurs der Munizipalität von Noranoo gegen ein die Abänderung des dortigen Stimmregisters anordnendes Dekret des Tessiner Staatsrathes wurde, wie es scheint, nicht weiter verfolgt; wenigstens ist uns seither keine weitere Kundgebung jener Munizipalität zugekommen.

Dies die Rekurse aus dem 40. Wahlkreise.

Aus dem 41. Wahlkreise wurde ein solcher von Lorenz Gut von Altishofen und 13 andern in der Gemeinde Darò (bei Bellinzona) wohnhaften Schweizer bürgern dem Bundesrathe unterm 5. November eingereicht. Er richtet sich gegen die dortige Gemeindebehörde, welche die Beschwerdeführer in rechtswidriger Weise von der Theilnahme an den Nationalrathswahlen ausgeschlossen habe.

Der Rekurs wurde dem Staatsrathe von Tessiu den 12. November zur Einleitung einer Untersuchung und einläßlicher Berichterstattung übermittelt. Diese steht zur Zeit noch aus.

508 Aus dem Angeführten ergibt sich, daß wir mit Bezug auf die Wahlvorkommnisse im Kanton Tessin einer dreifachen Kategorie von Reklamationen gegenüber stehen.

In die erste Kategorie fallen diejenigen, auf die Führung* der Stimmregister, beziehungsweise die Ausübung des Wahlrechtes bezüglichen R e k u r s e , welche zwar v o r dem Wahltage (26. Oktober) angemeldet wurden, jedoch nicht vorher erledigt werden konnten.

In die zweite Kategorie fallen diejenigen jener R e k u r s e , welche erst n a c h Beendigung der Wahlen eingereicht wurden.

Eine dritte Kategorie endlich bildet die gegen die Gültigkeit der Wahlen im 40. eidgenössischen Wahlkreise erhobene E i n sprache.

Hätten wir es nur mit dieser Einsprache zu Ihun, so würde die Frage, in welcher Weise von uns vorzugehen sei, nicht den mindesten Schwierigkeiten begegnen. Art. 25, Alinea 2 des Bundesgesetzes betreffend die eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen vom 19. Juli 1872 spricht sich mit aller nur wünschbaren Deutlichkeit aus. Die Wahlverhandlungen im 40. Wahlkreise sind schon den 26. Oktober zum Abschlüsse gediehen; die Einsprache selbst ist erst am 10. November erhoben worden; hiernach entscheidet weder der Staatsrath noch der Bundesrath, sondern einzig und allein der Nationalrath.

Allein es liegt nicht nur eine förmliche Wahleinsprache, sondern, wie gezeigt wurde, noch eine Reihe auf die Frage der Führung der Stimmregister, resp. auf die Stimrnberechtigung bezüglicher Rekurse vor. Sie sind an den Bundesrath gerichtet, und dieser ist nach Mitgabe vom Artikel 7 des zitirten Gesetzes zur Entgegennahme und Entscheidung derartiger Rekurse an und für sich kompetent.

Es mußte sich uns daher die Frage aufdrängen, ob wir diese Entscheidung gelbst noch an die Hand zu nehmen hätten, wiewohl, wenigstens bei einem Theil jener Rekurse, eine abschließliche Erledigung erst zu einer Zeit möglich sein dürfte, wo Ihre hohe Behörde bereits versammelt ist.

Wir glaubten, angesichts der gesetzliehen Bestimmungen, jene Frage mit n e i n beantworten zu sollen.

Schon der Wortlaut der Artikel 2--6 des zitirten Gesetzes weist unsers Erachtens darauf hin, daß die Entscheidungsbefugaiß des Bundesrathes überall da cessirt, wo ein Rekurs nach der Wahl erst eingelegt wurde und mindestens suspendirt bleibt, wo die Bnt-

509 Scheidung, gleichgültig aus welchen Gründen, erst nach beendigter Wahlverhandlung erfolgen könnte, und diese Ansicht findet ihre Unterstützung in der analogen Bestimmung des Art. 25 cit. Vollends entscheidend aber ist wenigstens für die Rekurse aus dein 40. Wahlkreise, Alinea 2 des Art. 10, wonach zum Gegenstande einer Wahleinsprache Alles gemacht werden kann, was während des ganzen Verlaufes der Wahlverhandlung vorgefallen ist, sachbezügliche Beschlüsse der Kantonalbehörden und des Bundesrathes nicht ausgenommen. Eine solche Einsprache liegt nun vor, und zwar stützt sie sich gerade darauf, daß die Nichtbefolgung der Dekrete, welche die Munizipalität von Lugano zum Gegenstande ihres Rekurses gemacht hat, das Wahlresultat beeinflußt haben dürfte.

Die Frage der Führung der Stimrnregister hat also jedenfalls aufgehört, eine selbstständige zu sein ; sie ist zu einer bloßen Vorfrage geworden, die sich von derjenigen der Gültigkeit der Wahlen schlechterdings nicht mehr trennen läßt; nachdem nun diese letztere bei Ihnen anhängig gemacht ist, so fällt unsere Entscheid ungsbefugniß für einmal dahin, und wir sind in der Lage, Ihnen auch die cratere intakt zu überweisen.

Selbstverständlich aber behalten wir uns die Bntscheidungsbefugniß, namentlich auch mit Bezug auf das erste Rekursbegehren der Munizipalität in Lugano, insoweit vor, als dasselbe nicht durch Ihren Entscheid über die Begründetheit der erhobenen Wahleinsprache, beziehungsweise über die Gültigkeit der angefochtenen Wahlen erledigt werden wird.

Wir wollen noch beizufügen nicht unterlassen, daß Ihnen sämmtliche Wahlprotokolle, sowie sämmtliche auf die Tessinerrekurse bezüglichen Akten zur Disposition stehen, und benutzen, indem wir Sie in der Bundesstadt willkommen heißen, gerne den Anlaß, um Sie, Herr Alterspräsident, Herren Nationalräthe, unserer ausgezeichnetsten Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 30. November

1884.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Welti.

Des Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bericht des Bundesrathes an den Nationalrath betreffend die Wahlen in diese Behörde, vom 26. Oktober 1884 etc. (Vom 30. November 1884.)

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