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Bundesrathsbeschluß betreffend

den Instanzenzug im Rekursverfahren.

(Vom 5. September 1884.)

Die Regierung des Kantons Neuenburg weigerte sich, ihr Gutachten über einen Rekurs wegen Verletzung der Artikel 49 und 50 der Bundesverfassung einzureichen, und verlangte, daß der Rekurrent, bevor er sich an die Bundesbehörden wende, seine Beschwerde an den Großen Rath von Neuenburg richte.

Der Bundesrath hat die Regierung eiugeladen, auf den Rekurs einzutreten. Er stützt sich dabei auf folgende Erwägungen : Es ist zu unterscheiden zwischen Rekursen betreffend Nichtbeobachtung von B u n d e s v o r s c h r i f t e n und Rekursen betreffend die innere Verwaltung eines Kantons, d. h. die Verfassungsmäßigkeit einer Verfügung oder Verordnung nach k a n t o n a l e m Staatsrechte.

Die auf Bundesvorschriften bezüglichen Rekurse können a dm i n i s t r a t i v e Verfügungen der Kantonsbehörden, oder solche, welche sich auf den Gerichtsstand beziehen oder überhaupt ger i c h t l i c h e r Natur sind, beschlagen.

Nach einer seit 1848 bestehenden konstanten Praxis kann wegen Verletzung bundesrechtlicher Normen in A d m i n i s t r a t i v s a c h e n vom Entscheide der obersten kantonalen Verwaltungsbehörde an den Bundesrath rekurrirt werden. Nur wo Beschwerden betreffend die Beobachtung des rein k a n t o n a l e n V e r f a s s u n g s r e c h t e s in Frage stehen oder solche g e r i c h t l i c h e r N a t u r , finden Ausnahmen statt, -- dort im Sinne der Inanspruchnahme

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sämtntlicher kantonaler Instanzen, auch der obersten kantonalen Behörde (Großer Rath, Kantonsrath, Landrath), -- hier im Sinne der Umgehung höherer gerichtlicher Instanzen der Kantone. IQ beiden letztbezeichneten Richtungen hat nunmehr auf Grund des Organisationsgesetzes über die Bundesrechtspflege vom 27. Juni 1874 nicht mehr (wie von 1848--1874) der Bundesrath, sondern das Bundesgericht zu erkennen, Beschwerden nach Artikel 59, Ziffer 8 des allegirten Bundesgesetzes immerhin vorbehalten. Es bleibt also dem Bundesrath nur das durch Artikel 102, Ziffer 2 und Artikel 113, Absatz 2 der Bundesverfassung und Artikel 59 des Bundesgesetzes vom 27. Juni 1874 umschriebene Rekursgebiet unterstellt.

Die vorliegende Beschwerde betrifft nun aber gerade eine der Judikatur des Bundesrathes, resp. der Bundesversammlung, unterworfene Administrativstreitigkeit.

Es ist auch in casu die Regierung des Kantons Neuenburg die letzte ordentliche zur Entscheidung berufene kantonale Instanz, und weder das im Artikel 10 der kantonalen Verfassung gewährleistete allgemeine Petitionsrecht, noch die im Artikel 39 dem Großen Rathe übertragene Obliegenheit, die Geschäftsführung der Regierung jährlich zu prüfen, können zu dem von der Regierung aufgestellten Grundsatze fuhren, daß der Bürger regelmäßig gegen ·die Entscheidungen der Regierung, über die er sich beschweren wolle, an den Großen Rath gelangen (,,petitioniren") müsse, oder daß der Große Rath vorgängig jeder eidgenössischen Intervention über den staatsräthlichen Entscheid zu erkennen, d. h. denselben zu bestätigen oder aufzuheben habe. Das liegt nicht im Wesen des Petitionsrechtes und ist nicht der Zweck und die Bedeutung der großräthlichen Geschäftspriifung.

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Bundesrathsbeschluß betreffend den Instanzenzug im Rekursverfahren. (Vom 5.

September 1884.)

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