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Bericht des

Bundesrathes an die Bundesversammlung über eine Petition des Hrn. Dr. A. A. G i r a r d , Advokat, in La Chauxde-Fonds, betreffend Statthafterklärung der Leichenverbrennung.

(Vom 20. November 1884.)

Tit.

Unterm 27. März 1884 hat Herr Dr. A.A. Girard, Advokat, in Chaux-de-Fonds, im Namen eines an genanntem Orte entstandenen Initiativkomite dem Bundesrathe zu Händen der eidgenössischen Kammern folgende Schriftstücke eingereicht: 1) Siebenzehn Exemplare einer mit einigen hundert Unterschriften bedeckten Petition ; 2) ein zur Unterstützung der Desiderata dieser Petition abgefaßtes Memorial; 3) ein Blatt mit Zeitungsausschnitten, in welchen zur Sache gehörende Mittheilungen aus andern Staaten enthalten sind.

Die Petition verlangt die Ausarbeitung eines gesetzgeberischen Aktes, durch welchen den Kantonen und Gemeinden die Einführung der fakultativen Leichenverbrennung gestattet würde, oder wenigstens eine authentische Interpretation des Art. 53 der Bundesverfassung mit Bezug auf diese Frage.

Das M e m o r i a l gelangt zu folgenden S c h l u ß b e g e h r e n: l) Die Leichenverbrennung sei als die in jeder Hinsieht vorzüglichste Bestattungsart anzuerkennen;

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2) dieselbe sei schon jetzt als eine schickliche und daher im Sinne der schweizerischen Bundesverfassung zuläßige Bestattungsweise für alle Kantone und Gemeinden zu erklären, welche sie einzuführen beabsichtigen.

Diese Eingaben wurden nebst den Beilagen am 3. April d. J.

den hohen gesetzgebenden Käthen von uns zugeleitet.

Der Nationalrath, dem die Erstbehandlung zukam, beschloß jedoch am 27. Juni 1884 auf den Antrag seiner Kommission, vorerst den Bundesrath mit der Begutachtung der Frage zu betrauen.

In ihren Erwägungen hatte die nationalräthliche Kommission erklärt, daß der erste Punkt der Schlußbegehren des Memorials eine akademische Frage sei und daher nicht wohl zum Gegenstand einer Berathung in dei' Bundesversammlung gemacht werden könne; daß dagegen der zweite Punkt sieh eher eigne, durch den Bundesrath begutachtet zu. werden.

Durch den Präsidenten des Initiativkomite in Chaux-de-Fonds, Herrn Dr. Girard, sind im Monat Juni und seither noch eine Reihe von Druckschriften, welche auf die Angelegenheit der Leichenverbrennung Bezug haben, zu den Akten gebracht worden.

Tit.

Unsere Berichterstattung kann sich auf wenige Bemerkungen beschränken.

I. In f o r m e l l e r Beziehung zunächst glauben wir auf allseitige Zustimmung rechnen zu dürfen, wenn wir es von vornherein und ohne weitere Begründung ablehnen, auf das erste Schlußbegehren des M e m o r i a l s der Petitionäre einzutreten.

In Bezug «uf das erste Begehren der P e t i t i o n , dahingehend, es möge durch einen Bundesgesetzgebungsakt die Einführung der fakultativen Leichenverbrennung als zuläßig erklärt werden, erlauben \vir uns, daran zu erinnern, daß kurz nach dem Inkrafttreten der Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 durch Postulat der eidgenössischen Räthe vom 24. Dezember 1874 der Bundesrath eingeladen wurde, die Kantonsregieruiigen auf die Bestimmungen des Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung aufmerksam zu machen und Bericht von ihnen zu verlangen, welche Maßregeln getroffen worden seien, um eine schickliehe Beerdigung jedes Verstorbenen au sichern, mit dem weitern Auftrage, über das Resultat der Bundesversammlung Mitteilung zu machen und damit die ihm angemessen scheinenden Anträge zu verbinden (Postulatensammlung,

545 neue Folge, Nr. 14). Der Bundesrath erstattete den gesetzgebenden Käthen einen sachbezüglichen einläßlichen Bericht unterm 24. Mai 1875 (siehe Bundesblatt 1875, III, 4), welcher mit der Ansichtäußerung endigt, es sei von dem Erlaß eines eidgenössischen Gesetzes betreffend das Begräbnißwesen Umgang zu nehmen, der Bundesrath aber einzuladen, die Beobachtung des Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung zu überwachen. Die Bundesversammlung konstatirte, ihrem Beschlüsse vom 16. Juni 1875 (Amtl.

Samml. n. F. I, 571) vorgehend, daß gemäß dem Berichte des Bundesrathes in keinem Kantone eine schickliche Beerdigung aus Gründen der Todesart oder der Konfession verweigert werde, und kam demgemäß am obengenannten Tage zürn Schlüsse, dermalen vom Erlasse eines eidgenössischen Gesetzes betreffend Regelung des Begräbnißwesens abzusehen.

Wir sind nun nicht der Meinung, Tit., daß die Frage der Leichenverbrennung gegenwärtig zum Erlaß bundesgesetzlicher Bestimmungen nöthige oder solche auch nur wünschbar erscheinen lasse. Die den Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung beherrschenden zwei Gesichtspunkte: 1) Die Verfügung über die Begräbnißplätze steht den bürgerlichen Behörden zu, und 2) Jeder Verstorbene soll schicklich beerdigt (bestattet) werden, erfordern zunächst nur eine Aufsicht der Bundesbehörde über diese Materie.

Die Ausführung darf in erster Linie wohl den Kantonsbehörden überlassen werden. Die Bundesbehörde hat unter Umständen mahnend, rügend, befehlend einzuschreiten. Dieses Verfahren ist seit 10 Jahren mit Erfolg eingehalten worden. Die Einführung einer von der bisher gewohnten abweichenden Bestattungsweise kann O ~ sehr wohl unter den gleichen Bedingungen deo kantonalen Behörden anheimgestellt werden. Es sind auch ihr gegenüber die beiden Fragen aufzuwerfen : Geht die Bestattung nach den Anordnungen der bürgerlichen Behörden vor sich? Und: Ist die neue Bestattungsart eine schickliche? Die Beantwortung dieser Fragen wird keine Schwierigkeiten verursachen, mit und ohne bundesgesetzliche Normen. Daß in der Bundesverfassung nur von B e g r a b ni ß platzen und von schicklicher B e e r d i g u n g die Rede ist, kann unseres Brachtens kein Hinderniß bilden, eine andei-e Art der Bestattung von Bundes \vegen als zuläßig zu erklären, sofern die zwei von der Bundesverfassung im Art. 53, Absatz 2, aufgestellten
Postulate erfüllt werden.

Wir können uns sonach weder von der Nothwendigkeit noch von der Zweckmäßigkeit eines die Frage der Leichenverbrennutig von Bundes wegen regelnden legislativen Aktes überzeugen und demgemäß auch nicht das Eintreten auf den ersten Theil des Begehrens der Petition befürworten.

546 II. Viel näher liegt dem Bundesrathe das materielle Eintreten auf den zweiten Theil der Petition und des Memorials der Herren Girard und Konsorten, in welchem dieselben eine Interpretation des Art. 53 der Bundesverfassung mit Bezug auf die Frage der Leichenverbrennung oder geradezu einen diese Bestattungsart als schicklich und zuläßig im Sinne des Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung anerkennenden Ausspruch der Bundesbehörden verlangen.

Doch w ü r d e es g e g e n e i n e f e s t s t e h e n d e Praxis der B u n d e s b e h ö r d e n verstoßen, einen derartigen, rein t h e o r e t i s c h e n , interpretativen B e s c h l u ß z u f a s s e n . -- Allerdings dürfte die Beantwortung der von den Petitionären gestellten Frage vom Standpunkte, des Bundesrechtes aus keine besondern Schwierigkeiten bieten. Wir sehen, daß in den meisten Kulturstaaten der Gegenwart (Deutsehland, Frankreich, Italien, England, Belgien, Holland, Oesterreich, Ungarn, Portugal, Nordamerika, Japan u. s. w.) diese Frage lebhaft ventilirt und zum Gegenstand der Berathung der kompetenten Behörden gemacht wird. Wir wissen, daß die Feuerbestattung z. B. in Italien (Mailand, Lodi) praktizirt wird und sich von Jahr zn Jahr mehr Freunde gewinnt; deßgleichen in Deutschland (Gotha, Dresden, Hamburg u. a. 0.). Ja, wir erinnern uns, daß vor einigen Jahren (1877) der Regierungsrath des Kantons Zürich dem Leichenverbrennungsverein für Zürich und Umgebung die Vornahme fakultativer Feuerbestattung unter gewissen Bedingungen bewilligt hat, Bedingungen, deren wir hier im Einzelnen nicht Erwähnung thun wollen, die aber im Allgemeinen unabweisbaren Anforderungen der bürgerlichen Polizeibehörden zu genügen bestimmt sind. Freilich scheint bis zur Stunde der Verein in Zürich nicht zur Verwirklichung seiner Idee gelangt zu sein. Allein wir führen die Thatsache seines Bestehens und das Vorhandensein einer seinem Begehren entsprechenden regierungsräthlichen Verordnung a n , um die Petitionäre von La Chaux-de-Fonds an der Hand dieses Vorganges auf den auch von ihnen einzuschlagenden Weg der praktischen Bethätigung ihres Vorhabens hinzuweisen. Es ist den Freunden der Feuerbestattung in Zürich und den Zürcher Behörden nicht als nothwendig erschienen, vom Bundesrathe oder der Bundesversammlung ein Gutachten über die Schicklichkeit dieser Bestattungsweise
einzuholen. Wir glauben, daß sie recht daran gethan haben. Mit Recht sind sie nicht auf den Gedanken gekommen, daß die von den Männern der sanitarischen Wissenschaft warm befürwortete, von den Geistlichen als mit der christlichen Religion vereinbar erklärte, in alter und neuer Zeit sogar dichterisch besungene Veraschung (Incinération) der irdischen Ueberreste des Menschen vom schweizerischen Bundesrathe oder Parlamente als etwas ,, U n -

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s c h i c k l i c h e s " verpönt werden könnte! In keiner Behörde, die sich mit der vorwürfigen Frage zu befassen hatte, ist unsers Wissens eine solche Einwendung erhoben worden.

Aus den vorstehend entwickelten Motiven finden wir, es liege kein Grund vor, mit Rücksicht auf Art. 53, Absatz 2 der Bundesverfassung über diese Frage einen Bundesbeschluß zu veranlaßen, und wir stellen daher den Antrag, in diesem Sinne über die Begehren der Petition und des Memorials der Herren Girard und Genossen zur Tagesordnung zu schreiten.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommensten Hochachtung.

B e r n , den 20. November 1884.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Welti.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

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Botschaft des

Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend Konzession einer Eisenbahn von Territet nach Montfleuri.

(Vom 22. November 1884.)

Tit.

Im Frühling des laufenden Jahres sind in der Nähe des Hôtel des Alpes in T e r r i t e t Versuche mit einer elektrischen Eisenbahn gemacht worden. Die Länge der Versuchslinie war 50 Meter, die Geleiseweite 50 Centimeter, und es lief die Linie nach beiden Seiten in Kurven von 20 Meter Radius aus, während eine mittlere Steigung von 32, eine größte Steigung von 36 Prozent zu bewältigen war.

Die Resultate dieser Versuche sind so zufriedenstellend gewesen, daß der Besitzer des Hotel des Alpes, Hr. Ami Chessex, sich entschloß, denselben eine praktische Folge zu geben.

Mit Eingabe vom 24. Okt. 1884 richtet nämlich Hr. Chessex an den Bundesrath das Gesuch um die Bewilligung des Baues und Betriebs einer elektrischen Eisenbahn, welche bestimmt sein soll, die Station Territet der Westbahnen mit dem in horizontaler Richtung 885 Meter davon entfernten und 210 Meter höher liegenden Montfleuri zu verbinden. Die Steigung werde im Mittel 23,78 °/o, im Maximum 29,6 °/o und eventuell 32 °/o betragen. Kurven werden zur Anwendung kommen mit 20--30 Meter, ausnahmsweise sogar mit 18 Meter Radius. Die wirkliche Länge der Linie werde 910 Meter sein. Dabei wird eine Spurweite von 60 Centimeter angenommen, und es ist die Geleiseanlage in der Art projektirt, daß während der Fahrt ein am Vehikel angebrachtes Zahnrad in eine

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Bericht des Bundesrathes an die Bundesversammlung über eine Petition des Hrn. Dr. A. A.

Girard, Advokat, in La Chaux-de-Fonds, betreffend Statthafterklärung der Leichenverbrennung. (Vom 20. November 1884.)

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1884

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06.12.1884

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