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Schweizerisches Bundesblatt.

39. Jahrgang. III.

Nr. 28.

18. Juni 1887.

Jahresabonnement (portofrei in der ganzen Schweiz): 4 Franken.

Einrückungsgebühr per Zeile 15 Ep. -- Inserate sind franko an die Expedition einzusenden.

Druck und Expedition der Stämpflischen Buchdruckerei in Bern.

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Botschaft des

Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend die Revision des Bundesgesetzes über den Geschäftsbetrieb von Auswanderungsagenturen vom 24. Dezember 1880.

(Vom 6. Juni 1887.)

L

Tit.

Seit dein Inkrafttreten des Bundesgesetzes betreffend den Geschäftsbetrieb von Auswanderungsagenturen, vom 24. Dezember 1880 {A. S. n. F. V, 348), sind vier Postulate, welche das Auswanderungswesen betreffen, angenommen worden, nämlich : 1. Der Beschluß des Nationalrathes vom 3. Mai 1881, mit welchem der Bundesrath eingeladen wird, ,,angesichts der von Jahr zu Jahr sich steigernden *) Auswanderung von Schweizern, die Frage zu untersuchen und der Bundesversammlung beförderlich Bericht und Antrag einzubringen, auf welche Weise der planlosen Auswanderung vorgebeugt, und im Weitern, wie namentlich das Streben auswandernder F a m i l i e n nach einer gesicherten neuen Heimut in richtige Bahnen geleitet werden könnte. " *) Vom Jahre 1878 an hat die Auswanderung aus der Schweiz allerdings zugenommen : seit dem Jahre 1884 aber ist sie in Abnahme begriffen.

-- Es wanderten nämlich aus : 1883 1878 2,608 Personen.

13,502 Personen.

1879 1884 9,668 4,288 ,, 1880 7,583 7,255 ,, 1885 6,342 , 1886 1881 10,935 1882 11,962 ,, Bundesblatt.

39. Jahrg. Bd. III.

194 2. Der auf Antrag des verstorbeaen Herrn Philippin unterm 26. April 1882 vom Nationalrath gefaßte Beschluß: ,,Der Bundesrath wolle: 1) die Auswanderungsfrage in der Kichtung untersuchen, ob die Erwerbsverhältnisse in unserm Vaterlande derart sind, daß die Auswanderung nothwendig geworden,, oder daß dieselbe doch wenigstens, im Interesse der Auswanderer und im Interesse des Landes, zu begünstigen ist 5 -- 2) je nach dem Ergebnisse dieser Untersuchung Bericht und legislative Anträge vorlegen; -- 3) jedenfalls Anträge über Maßregeln zum Schutze der Auswandernden einbringen."· 3. Das Postulat der Bundesversammlung vom 9. Juli 1883, lautend : ,,Der Bundesrath wird eingeladen, die nöthigen Maßnahmen zu treffen, um den Uebelständen, welche in seinem Geschäftsbericht mit Bezug auf die Thätigkeit der Auswanderungsagenturen bezeichnet werden, abzuhelfen, und der Bundesversammlung die zur Erreichung dieses Zweckes nöthig erscheinenden Anträge auf Abänderung des Gesetzes einzubringen."1 4. Das Postulat der Bundesversammlung vom 1. Juli 1886., lautend : ,,Der Bundesrath wird eingeladen, die* Frage zu prüfen, ob das Bundesgesetz vom 24. Dezember 1880 betreffend die Auswanderungsagenturen nicht einer ergänzenden Revision zu unterziehen sei."

Der chronologischen Reihenfolge nach Kollten wir Ihnen zuerst über die Untersuchung der in den beiden Poslulaten vom 3. Mai 1881 und 26. April 1882 enthaltenen Fragen berichten; da diese Untersuchung aber zu negativen Konklusionen geführt hat,, während wir als Resultat der Prüfung der beiden Postulate der Bundesversammlung Ihnen ein bestimmtes Projekt vorzulegen haben, beginnen wir mit der Besprechung der Postulate Jüngern Datums.

Das Postulat vom 9. Juli 1883 ist durch die Mittheilungeu veranlaßt worden, die der Bundesrath in seinem Geschäftsberichte pro 1882 hinsichtlich der überaus großen Zahl von Unteragenten gemacht hat, die im Dienste der patentirten Auswanderungsagenturen stehen. Die bezügliche Stelle des Geschäftsberichtes lautet: ,,Die Zahl der Unteragenteu auf Ende 1881 betrug 184; genehmigt wurde im Jahr 1882 die Anstellung von 145; 56 wurden entlassen, so daß Ende 1882 273 Unteragenteu in Punktion waren, eine Zahl, welche zu Bedenken Veranlassung gibt. Nach Art. 5 des zitirten Bundesgesetzes ist es den Agenten gestattet, sich mit

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Unteragentea zu versehen. Diese müssen dieselben Bedingungen erfüllen wie die Hauptagenten, d. h. sie müssen einen guten Leumund genießen, in bürgerlichen Rechten und Ehren stehen, mit der Geschäftsführung der Auswanderung vertraut und im Stande sein, die sichere Beförderung der Auswanderer zu besorgen, und in der Schweiz ein festes Domizil haben. Weiteren Beschränkungen unterliegt die Anstellung von Unteragenlen nicht, während vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes in vielen Kantonen die Agenturen auch da Kautionen zu leisten hatten, wo sie Unteragenten hatten.

Daraus erklärt sich, daß zur Stunde es weit mehr Unteragenten gibt, als vor Inkrafttreten des Gesetzes. Die Konkurrenz zwingt die eine Agentur, überall da Unteragenten zu haben, wo die andere ebenfalls welche hat, und die Unteragenten suchen sich gegenseitig bei der Engagirung von Auswanderern zu überbieten. Es beschränken sich dieselben nicht darauf, mit Leuten Auswanderungsverträge abzuschließen, die sich spontan bei ihnen dafür anmelden, sondern sie scheinen auch durch allerlei Vorspiegelungen zur Auswanderung aufzumuntern. Dies dürfte namentlich da der Fall sein, wo Unteragenteu Inhaber von Wirthschaften sind, und wir haben deßhalb die Frage geprüft, ob nicht die Anstellung von Wirthen als Unteragenten zu verbieten sei, mußten aber zu unserm Bedauern finden, daß das Gesetz keine Handhabe für einen solchen Ausschluß gibt. Wir hegen die Ueberzeugung, daß in der Zahl der von den Agenturen beschäftigten Unteragenten eine nicht zu unterschätzende Ursache für die Zunahme der schweizerischen Auswanderung zu suchen ist.tt Die mit der Prüfung der Geschäftsführung des Bundesrathes im Jahr 1882 beauftragte Kommission des Ständerathes machte hiezu folgende Bemerkung : ,,Im Bericht über das Auswaoderungswesen wird mit Recht auf eine Lücke im bezüglichen Bundesgesetz aufmerksam gemacht, indem übersehen wurde, von Auswandorungsageoten und namentlich von deren Unteragenten zu verlangen, daß sie weder Inhaber noch Pächter einer Wirthschaft sein dürfen. Es gibt gegenwärtig Kantone, in welchen fast sämmtliche Unteragenten Wirthe sind.

Wer weiß, welche Mittel solche Agenten, die augenblicklich das Loos der Auswanderer in Händen haben und deren Verhältnisse aus begreifliehen Gründen genau kennen, oft anwenden, um aus der Situation den größtmöglichen Nutzen
für sich zu ziehen, wird nicht anstehen, zu verlangen, daß hier sofort eingeschritten werde.

Und da die Auswanderungsagenturen unter ganz besonderer Aufsicht des Bundes stehen, der letztere zudem nach Sage des Gesetzes das Recht hat, sofort einzuschreiten, wenn sich Unordnungen er-

196 geben, empfiehlt sich als das einfachste Mittel, das Gesetz dahin zu ergänzen, daß die betreffenden Agenten und Unteragenten keine Wirthe sein dürfen. Wir bringen deßhalb ein Postulat, das den Bundesrath zu einer bezüglichen Vorlage einladet." Dieses Postulat lautete: ,,Der Bundesrath wird eingeladen, Artikel 5 des Bundesgesetzes betreffend den Geschäftsbetrieb von Auswanderungsagenturen dahin zu vervollständigen, daß Auswanderungsagentea und deren Unteragenten nicht Inhaber oder Pächter von Wirthschafteu sein dürfen."· Diese Fassung des Postulates ist dann bei der Diskussion der Frage in den Räthen abgelehnt worden, hauptsächlich wohl deßhalb, weil man fand, daß einzelner Vorkommnisse wegen nicht eine ganze Berufsklasse von dem Betrieb einer Auswanderungsagentur ausgeschlossen werden dürfe und die Uebelstände doch nicht so groß seien, um eine derartige, auch auf andern Gebieten verpönte Ungleichheit zu rechtfertigen.

Während das Postulat vom 9. Juli 1883 die Aenderung des Gesetzes nur in einem Punkte verlangt, spricht dasjenige vor« 1. Juli 1886 von einer Revision des Gesetzes im Allgemeinen. Die ursprüngliche Fassung dieses Postulates läßt darauf schließen, daß außer dem die Unteragenten betreffenden Artikel einzig noch der von den Kolonisationsunternehmungen handelnde Artikel 9 als revisionsbedürftig angesehen wurde. Im Schooße Ihrer Behörde wenigstens sind, soviel uns bekannt ist, keine Artikel genannt worden, deren Abänderung oder Ergänzung vorzunehmen sei. DHgegen hat sich für die mit der Vollziehung des Gesetzes betraute Behörde ergeben, daß auch noch andere Bestimmungen des letztem vervollständigt werden könnten.

Die Mängel der zu rovidirenden Vorschriften wollen wir bei den einzelnen Artikeln gleichzeitig mit den Motiven besprechen, die den Abänderungsvorschlägen zu Grunde liegen.

Art. 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 1880.

Dieser lautet: ,,Die im Artikel 34, Alinea 2, der Bundesverfassung vorgesehene Aufsicht über den Geschäftsbetrieb der Auswanderungsagenturen wird vom Bundesrathe unter Mitwirkung der kantonalen Behörden ausgeübt.11 Wir haben seit Inkrafttreten des Gesetzes alljährlich öfter Gelegenheit gehabt, die Erfahrung zu machen, daß es vielfacli übersehen wird, daß die Aufsicht über den Geschäftsbetrieb der Auswanderungsagenturen allerdings vom Bundesrathe ausgeübt wird, aber unter Mitwirkung der kantonalen Behörden. Nach Art. Iß

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des Gesetzes sollen Personen, welche unbefugt Auswanderungsgeschäfte betreiben oder dazu behülfiich sind, von den kantonalen Gerichten bestraft werden ; nach Artikel 17 sind Entschädigungsklagen bei den zuständigen Gerichten der Kantone anzubringen.

Wir haben aber alle Ursache, anzunehmen, daß die weitaus größte Zahl von Klagen, welche auf diese beiden Artikel fußten, an die administrative Bundesbehörde gelangt ist, offenbar weil das Publikum ziemlieh allgemein des Glaubens ist, daß, weil ein Bundesgesetz über das Auswanderungswesen existire, alle hierauf bezüglichen Klagen von der Bundesbehürde zu behandeln seien.

Mag dieser Irrthum, wenn er bei Privaten waltet, in der Regel nicht von schlimmen Folgen für Letztere sein, öfter sogar nützlich, indem so die Klage von der Bundesbehörde der zuständigen kantonalen Behörde überwiesen wird, und vielleicht eher auf Anhandnähme d'er Klage gezählt werden kann, als wenn ein Auswanderer aus dem fernen Westen an die betreffende Behörde gelangt wäre.

Anders aber verhält es sich, wenn der Artikel l des Gesetzes von den kantonalen Behörden selbst übersehen wird. Da der Bund iti den Kantonen keine eigenen Polizeiorgane hat, mußte die Ausführung der meisten Polizeigesetze des Bundes den Kantonen überlassen werden. Nur die letztern sind in der Lage, in Erfahrung zu bringen, oh nicht Personen, welche hiezu nicht befugt sind, Auswanderungsgeschäfte betreiben oder Publikationen betreffend die Beförderung von Auswanderern erlassen (Art. 7, AI. 2). Aber nur selten ist uns zur Kenntniß gelangt, daß eine kantonale Behörde gegen solche Personen eingeschritten sei, und doch steht fest, daß in einer Reihe von Kantonen es Personen gibt, welche, ohne den Behörden als Agenten oder als Unteragenten bekannt zu sein, entweder im Dienste von patentirten Agenturen stehen, Aus\vanderungslustige ausfindig machen und jenen zuweisen, oder «elbstständig Geschäfte betreiben, indem sie mit auswärtigen Schiffsgesellschaften in Verbindung stehen. So ist uns berichtet worden, daß eine ganz bedeutende Zahl von Auswanderern aus dem Kanton Tessin sieh nicht der Vermittlung schweizerischer Auswanderungsagenturen bedient, sondern direkt nach Genua reist und dort sich Sehiffsbillete erwirbt. Dieser Verkehr wird solchen Auswanderern dadurch erleichtert, daß die Genueser Schiffsgesellschaften beinahe
in jeder Gemeinde eine Person bezeichnet haben, welcher das Haftgeld bezahlt werden kann, durch welches sich ein Auswanderer das Anrecht auf einen Platz auf dem zunächst abgehenden Schiffe der Gesellschaft sichert. Aehnliche Vorkommnisse sind uns auch aus andern Kantonen mitgetheilt worden ; sie lassen darauf schließen, daß die kantonalen Polizeiorgane, entsprechend allerdings einer bei einem großen T h eil der Bevölkerung herrschenden Voreingenom-

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menheit gegen jede polizeiliche Intervention, es an der erforderlichen Aufsieht darüber, ob nicht Personen Auswanderungsgeschäfte betreiben, die dazu nicht befugt sind, sehr oft fehlen lassen. Wir haben die Erfahrung gemacht, daß diese Kontrole weit eher von den bei der Frage interessirtep Agenturen ausgeübt wird. Da aber der Staat den Schutz des Gesetzes in der Regel nur denjenigen Auswanderern angedeihen lassen kann, die durch Vermittlung deiin der Schweiz etablirten und patentirten Auswanderungsagenturen verreisen, so muß ihm daran gelegen sein, daß mehr oder weniger alle Auswanderer sich jener Vermittlung bedienen, wenn er es auch weder hindern kann noch darf, daß Auswanderer sich direkt Schiffskontrakte kommen lassen, sofern nur hiebei keine Zwischenpersonen thätig sind.

Wir beantragen deßhalb in Art. l die Aufgaben der kantoualen Behörden etwas zu präzisiren, und hervorzuheben, daß ihnen die vorläufige Prüfung der Requisite obliegt, von denen das Gesetz die Ertheilung eines Patentes für Auswanderungsagenturen und die Genehmigung von Unteragenten abhängig macht und daß die Bestrafung von Personen, welche unbefugt die Beförderung von Auswanderern betreffende Publikationen erlassen (Art. 7, al. 2), oder Auswanderungsgeschäfte betreiben oder bei solchen behülflich sind (vergi. Art. 16 des Gesetzes), Sache der kantonalen Gerichte ist. Es soll aber damit keineswegs festgestellt werden, daß sich die Thätigkeit der kantonalen Behörden auf dem Gebiete des Auswanderungswesens auf diese drei Punkte zu beschränken hat. Vielmehr kann und soll die Mitwirkung der Kantone bei der Vollziehung der meisten Vorschriften des Gesetzes Platz greifen und nur durch eine solche Mitwirkung kann das Ziel, das der Gesetzgeber im Auge hatte, Schutz der Auswanderer gegen Uebervortheilung, humane Behandlung derselben auf der ganzen Reise und Verhütung, daß derselbe nicht nach Gegenden auswandert, in denen nach zuverlässigen Berichten dieselben die zu einem gedeihlichen Fortkommen nöthigeo Verhältnisse nicht antreffen, erreicht werden.

Art. 2.

In Gemäßheit dieses Artikels haben sich bis anhia nur solche Agenturen um eia Patent beworben, welche gestützt auf Reiseverträge Auswanderer aus der Schweiz nach überseeischen Staaten spediren.

Neben diesen Agenturen gibt es aber Geschäfte, welche Auswanderer, befördern, ohne mit denselben Verträge abzuschließen; sie verkaufen denselben vielmehr direkte Reisebillets nach allen Orten der Welt oder Schiffskontrakte und Jedem, der solche ver-

199 Jungt. Insbesondere befassen sich mit der Verabfolgung solcher direkten Reisebillets und Schiffskontrakte die internationalen Reisebiireaux und einige Frachttrnnsportgeschäfte. Es kommt dabei nicht selten vor, daß von solchen Geschäften Personen spedirt werden, deren Beförderung nach Art. 10 des Gesetzes den Auswanderungs·agenten verboten ist. Es ist auch vorgekommen, daß die Inhaber «iner Agentur zugleich Inhaber eines internationalen Reisebüreau waren. Meldeten sieh solche Personen, die das Gesetz zu spediren verbietet, beim Auswanderungsbureau, so wurden sie einfach an ·das in der Nähe der Agentur befindliehe internationale Reisebüreau gewiesen, wo sie ohne Schwierigkeit zur Spedition angenommen ·wurden, ohne in die Speditionskontrole der Agentur eingetragen zu werden. Es ist nun offenbar, daß bei einem Verkauf von Passagebilleten nach einem überseeischen Bestimmungsort die guten Absichten, welche das Gesetz über die Auswanderuugsagentureu ··erreichen sollte, auf dem einfachsten Wege vereitelt werden; wird tler Verkauf solcher Billets dem Gesetze nicht unterstellt, so wird die Auswanderung von Personen ermöglicht, deren Beförderung man aus humanen oder internationalen und andern Rücksichten den Agenten verboten hat. Die Auswanderer, die sich solcher Billets bedienen, verlieren allen Anspruch auf den Schutz, den das Gesetz ihnen sichern wollte, und die Verkäufer entziehen sich jeder Kontrole. Ein solches Verhältniß erscheint aber auf die Dauer unzulässig, wenn anders die Hauptzwecke, welche man bei Aufstellung des Gesetzes im Auge hatte, erreicht werden sollen. Fraglich konnte nur erscheinen, welche Verfügung innerhalb der dem Bundesrathe durch das Gesetz eingeräumten Kompetenz getroffen werden sollte. Zunächst lag es nun, jene Geschäfte, welche sich mit dem Vertrieb von Reise- oder Passagebilleten nach überseeischen Staaten abgeben, zu verhalten, um ein Auswanderungsagenturpatent einzukommen. Hiegegen würde ohne Zweifel der Einwurf erhoben worden sein, daß nicht alle Käufer von Passagebillets Auswanderer seien, daß diese Geschäfte keine Auswanderungsverträge abschließen und daß also zum Mindesten die Vorschriften des Art. 14 auf sie keine Anwendung finden können. Es läßt sich allerdings nicht leugnen, daß nicht jeder Verkäufer von Passagebillets dazu verhalten werden kann, um ein
Auswanderungsagenturpatent sich zu bewerben, indem nicht jeder Käufer solcher Billets als Auswanderer bezeichnet werden kann.

Das Gesetz hat, ohne eine Definition des Wortes ,,Auswanderer* zu geben, offenbar nur den im Sinn, welcher seine bisherige Heimat aufgibt, in der Absicht verreist, sich in einem überseeischen Staate dauernd niederzulassen und der sich seines Charakters als Auswanderer nicht entledigt durch die Hoffnung, in unbestimmter Zeit

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wieder nach seinem Vaterlande zurückzukehren. Es unterscheidet sich somit von ihm derjenige Reisende mit überseeischem Reiseziel,, welcher ohne seinen Beruf, sein Geschäft, seine Anstellung etc.

aufzugeben, von vornherein die Absicht hat, nach einer mehr oder weniger bestimmten Zeit und nach Erreichung einer mehr oder weniger präzis ihm vorschwebenden Absicht in seine Heimat zurückzukehren.

Andererseits kann der Umstand, daß ein Geschäft mit einer Kategorie von Auswanderern nicht solche Reiseverträge abschließt,, deren Normen durch das Gesetz (Art. 14) vorgeschrieben sind^ dasselbe nicht seines Charakters als Auswanderungsagentur entkleiden. Art. 2 spricht nur von der geschäftsmäßigen Beförderung von Auswanderern und eine solche kann auch vorliegen, wennzwischen dem Spedirenden und dem Spedirten kein Vertrag abgeschlossen wird. Auch die Thatsache, daß sehr viele Käufer von Passagebillets erster oder zweiter Klasse reisen, während die Mehrzahl der Auswanderer auf Zwischendeck angewiesen ist, kann nicht in Betracht fallen, indem nicht die von dem Reisenden benutzte Schiffsklasse ihm den Charakter eines Auswanderers verleiht.

Das Polizeidepartement des Kantons Basel-Stadt hat seiner Zeit folgenden Ausweg für zweckmäßig gehalten: es sollte der Verkauf direkter Reisebillets nach überseeischen Bestimmungsorten als ein unter das Bundesgesetz fallender Theil des Auswanderungswesens, erklärt werden, der nur den Inhabern von Auswanderungsagenturpatenten zu gestatten sei. Die Bestimmungen des Gesetzes, welcheauf die Verkäufer solcher Billets anwendbar sein sollen, müßten besonders bezeichnet werden. Ob eine solche Verfügung in der Kompetenz des Bundesrathes liege oder ob hiefür ein besonderes Gesetz zu erlassen sei, stellte die baslerische Behörde dem Bundesrath anheim. Die einfachste Lösung dieser Frage dürfte nun die sein, Art. 2 des Gesetzes so zu redigiren, daß in Zukunft auch die g e s c h ä f t s m ä ß i g e n Verkäufer von Passagebillets verhalten werden, um ein Patent einzukommen. Durch die Beifügung des Wortes ,,geschäftsmäßig"' wird verhütet, daß Personen oder Ge sehäfte zur Erwerbung eines Patentes verhalten werden, welche blos gelegentlich und mehr Gefälligkeits halber Leuten, die sich nicht der Vermittlung einer Auswanderungsagentur bedienen wollen, Passagebillete verschaffen. Ueberdies versteht
es sich dabei von selbst, daß Personen, welche sich mit dem geschäftsmäßigen Vertrieb von Passagebillets befassen wollen, nicht sämmtlichen Bestimmungen des Gesetzes unterworfen werden können. Es wird Sache der Vollziehungsbehörde sein, zu bestimmen, von welchen Obliegenheiten der in Rede stehende Geschäftsbetrieb zu dispensiren sein dürfte.

201 Die Art. 3, 4 und 5

enthalten die Bedingungen, unter denen Patente zum Betrieb einer Auswanderungsagentur und die Genehmigung der Anstellung von Unteragenten ertheilt werden kann, sowie die die Kaution betreffenden Bestimmungen.

Wir haben bereits in der Einleitung gezeigt, daß die Wünsche nach einer Revision des Gesetzes durch die Uebelstände hervorgerufen worden sind, welche durch die überaus große Zahl der im Dienste der patentirten Agenturen arbeitenden Uuteragenten zu Tage getreten sind. Eine Uebersicht der seit Inkrafttreten des Gesetzes erfolgten Genehmigungen der Anstellung von Unteragenteii dürfte hier am Platze sein :

1881: 31. Mai 22. Juli 14. Oktober 6. Dezember .

.

.'

.

.

69 56 49 . 2 6

Total

200

1882: 10. Februar 21. März 19. Mai 23. Juni 25. August 27. Oktober 29. Dezember überdies früher Entlassene und neu Eingetretene .

.

.

.

.

.

29 29 15 17 22 11 14

Total

145

8

1883: 13. Marx 40 14. April 21 7. Juli 26 6. Oktober 28 überdies früher Entlassene und neu Eingetretene .

.

.

.

.

. 2 5 Total

140

202

1884: 19. Februar 16. September 7. Oktober

23 23 33 Total

79

1885: 27. Februar 7. August

29 40 Total

15. Junuar J2. Juli

.

.

1886: .

.

.

69

. 34 26 Total

60

Es sind somit seit Inkrafttreten des Gesetzes von dea Agenturen 693 Unteragenten angestellt worden. Zu Ende des Jahres 18bö standen in Funktion 332. Es wäre aber ein Irrthura, zu glauben, daß diese 332 Unteragenten von Anfang an bis heute ununterbrochen im Dienste der Agenturen gestanden wären, und daß nur 361 Unteragenten ihre Entlassung als solche genommen oder erhalten haben ; vielmehr hat ein beständiger Wechsel in der Weise stattgefunden, daß Unteragenten ab- und nach kürzerer oder längerer Zeit wieder angemeldet wurden und von einer Agentur zur andern übertraten. Dieser kontinnirliche Wechsel im Bestände der Unteragenten zeigt am Deutlichsten, daß die Agenturen in der Auswahl derselben nicht sehr vorsichtig sind. Es ließe sich nun hiegegen einwenden, daß es der Bundesrath in der Hand gehabt hätte, sowohl der überaus starken Zunahme der Zahl der Unteragenten, als dem Wechsel im Bestände derselben vorzubeugen, indem die Anstellung von solchen seiner Genehmigung unterworfen ist. Aber, wenn die in Art. 3 geforderten Ausweise vorlagen und überdies die kantonalen Behörden die Genehmigung der Anstellung befürwortet hatten, hätte es nur den Charakter der Willkür gehabt, wenn der Bundesrath die Genehmigung der Anstellung eines Unteragenten verweigert haben würde. Und wenn die Zahl der Unteragenten auf das Dreifache gestiegen wäre, so hätte ihm das Gesetz keine Handhabe dazu geholen, eine Reduktion der Unteragenten eintreten zu lassen, indem keine Maximalzahl vorgeschrieben ist, noch sich aus einer Bestimmung des Gesetzes deduziren läßt. Daß das starke Anwachsen der Zahl der

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Unteragenten nicht etwa einer laxen Handhabung der einschlägigen Bestimmungen seitens des Bundesrathes zuzuschreiben ist, anerkennt auch der Wortlaut des Postulates vom 9. Juli 1883, indem dieses nicht ein anderes Vorgehen des Bundesrathes in der Angelegenheil verlangt, sondern eine Abänderung der bezüglichen Bestimmungen des Gesetzes beantragt. Daß die Anstellung einer exorbitanten Zahl von Unteragenten auch auf die Höhe des Preises, den die Auswanderer für ihre Spedition zu bezahlen haben, von schädlichem Einfluß ist, liegt auf der Hand; denn es darf ja nicht aagenommen werden, daß die überaus große Konkurrenz etwa zur Reduktion des Passagepreises beigelragen hat; denn diesen fixiren nicht die Unteragenten, sondern die Schiffsgesellschaften und Hauptagenturen, und es sind nur äußerst wenige Unterageuten, welche eine fixe Besoldung haben, vielmehr erhalten die meisten derselben eine Entschädigung je nach der Zahl der zur Spedition übernommenen Auswanderer; diese Entschädigungen zahlen die Letztern. Daß es ferner bei der so großen Zahl von Unteragenten viele gibt, welche durchaus nicht in der Lage sind, den Auswanderern Räthe zu ertheilen, wie sie sich auf der Reise und am Bestimmungsorte zu verhalten haben, kann mit Sicherheit angenommen werden.

Es mag auch nicht unerwähnt gelassen werden, daß die sämmtlichen Hauptagenturen selbst darin durchaus einig gehen, daß sie in dem bisherigen Verhältniß einen Uebelstand erblicken und eine Aenderung des Gesetzes in dieser Richtung, wenn auch vielleicht aus andern Gründen als die Behörden, für sehr wünschenswerth halten. Wir weisen schließlich noch darauf hin, daß es im Jahre 1874 in der Schweiz nur 87 Agenten und Unteragenten gab uud daß es offenbar nicht die Absicht des Gesetzgebers sein konnte, den Agenturen die Anstellung von Unteragenten leichter zu inachen, als die kantonalen Gesetze es gethan.

Nachdem wir so die Uebelstände gezeigt haben, welche mit der großen Zahl von Unteragenten verbunden sind, wollen wir ia Kürze die Vorschläge erwähnen, welche zum Zwecke der Abhülfe gemacht worden sind.

Es ist vorgeschlagen worden : 1) In Art. 3, Ziffer 2, zu sagen, daß die Agenten und Unteragenten ,,die für die Geschäftsführung der Auswanderung erforderlichen B e f ä h i g u n g e n besitzen", statt ,,mit der Geschäftsführung der Auswanderung vertraut"- sein müssen ; 2) zu verbieten, daß Lehrer, Gemeindebeamte, Post- und Telegraphenbeamte als Unteragenten angestellt werden;

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3) eine Maximalzahl von Unteragenten aufzustellen und zwar entweder für jede Agentur oder für jeden Kanton ; 4) die Unteragenten zu verhalten, ebenfalls eine Kaution zu leisten und für die Genehmigung ihrer Anstellung eine Gebühr zu bezahlen.

Es würde zu weit führen, die Begründung dieser Vorschläge hier wiederzugeben. Wir bemerken hinsichtlich des Vorschlags 1) bloß, daß er nur die Ersetzung eines Wortes durch ein anderes, resp. die Ersetzung einer Formalität durch eine andere enthält. Es ist übrigens daran zu erinnern, daß dieser Vorschlag nichts Neues enthält, sondern bereits im Entwürfe des Bundesrathes zu einem Auswanderungsgesetz stand, auch die nationalräthliche Diskussion passirte, im Ständerathe jedoch die allgemeinere Passung erhielt, die wir im gegenwärtigen Gesetze vorfinden. Die angemeldeten.

Unteragenten einer Prüfung zu unterwerfen, wie dies vorgeschlagen worden ist, erscheint uns nicht am Platze. Den Bundesrath über die Qualifikalion von Angestellten von Privatgeschäften, für deren Geschäftsführung er nicht verantwortlich ist, eine Prüfung vornehmen zu lasaen, während er ein Gleiches auf ihm näher stehendem Gebiete nicht vorkehrt, ein solcher Vorschlag ist undurchführbar und würde die in Art. 6 des Gesetzes vorgesehene Verantwortlichkeit der Hauptagentur für ihre Unteragenten bedeutend schwächen.

Der Vorschlag, gewisse Berufsarten auszuschließen, hat ebenfalls, wie wir bereits oben gezeigt haben, etwas willkürliches und vexatorisches. Es ist überdies zu beuchten, daß wenn dieser Vorschlag angenommen würde, die Agenturen eben ihre Unteragenten unter andern Berufsklassen suchen werden. Wird eine Maximalzahl, sei es pro Kanton, sei es pro Agentur, festgesetzt, so haftet auch einer solchen Vorschrift der Charakter der Willkürlichkeit an und es wäre schwierig, eine absolute Zahl anzugeben, welche allen Verhältnissen billige Rechaung tragen würde.

Was sodann die kantonalen Beamten anbetrifft, so glauben wir, daß es nicht Sache des Bundes, sondern ihrer Oberbehörde sei> ihnen zu verbieten, die Funktionen eines Auswanderungsuuteragenten zu übernehmen. Dagegen mag es angezeigt sein, in dem neuen Gesetze die Beamten und Angestellten des Bundes von der Uebernahme einer Agentur auszuschließen.

Allen übrigen Vorschlägen haftet außer den bereits signalisirten Mängeln der Hauptmangel an,
daß sie den Zweck, welchen man im Auge hat, nämlich eine erhebliche Reduktion der Zahl der Unteragenten herbeizuführen, nur in höchst unvollständiger Weiee erreichen.

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Ganz unannehmbar aber und dem Sinn und Geiste des äußerst zweckmäßigen und gerechtfertigten Art. (5 widersprechend wäre es, wenn man die Unteragenten eine Kaution zu leisten oder eine Gebühr zu bezahlen verhalten würde. Dieser Art. 6 überbindet nämlich die Verantwortlichkeit der Geschäftsführung der Unteragenten den Hauptagentureu. Diese Verantwortlichkeit würde aber dahin fallen, wenn die Leistung von Kautionen oder Gebühren den Unteragenten überbunden würde.

Wir beantragen deßhalb eine Aenderung, welche 1) es den Agenturen wie bis anhin freistellt, sich mit einer beliebigen Anzahl von Unterageuten zu versehen ; 2) absolut keinen Charakter der Willkürlichkeit hat; 3) keine Verschiebung der Verantwortlichkeit involvirt, und dennoch, wie sich mit Sicherheit annehmen läßt, eine größere Reduktion der Unteragenten herbeizuführen geeignet ist, als die übrigen Vorschläge. Wir beantragen nämlich, ziu bestimmen, daß jede Agentur, außer der Kaution von Fr. 40,000, im Verhältniß von je einem Unteragenten, den sie in ihren Dienst nimmt, Fr. 3000 als weitere Kaution zu hinterlegen habe. Zur fernem Begründung; dieses Vorschlages mag angeführt werden, daß in dem ursprünglichen Entwürfe zum Gesetze über die Auswanderungsagenturen eine Kaution^ von Fr. 50,000 vorgesehen war, daß unter der Herrschaft der kantonalen Gesetze einzelne Agenturen in den verschiedeneu Kantonen zusammen bis auf Fr. 70,000 und zeitweise noch mehr als Kaution zu depôniren hatten. Es rechtfertigt sich auch, die Kaution nach der Zahl der Unteragenten festzusetzen, offenbar schon deßhalb, weil es unbillig ist, von allen Agenturen dieselbe Kaution ·/.u verlangen, während die im Verhiiltuiß zur Zahl der Uuteragenten stehende Ausdehnung der Geschäfte bei den einzelnen sehr verschieden sein kann*). Wir erinnern auch daran, daß bei der Diskussion des Gesetzes im Nationalrathe ein Antrag auf Festsetzung eines Minimums und eines Maximums der Kaution gefallen ist, welcher allerdings in Minderheit blieb. Setzen wir den Fall, daß eine Agentur im Ganzen 10 Unteragenten habe, -- und *) Von den 9 zur Zeit bestehenden Agenturen hatten zu Ende des Jahres 1886 diejenige von A. Zwilchenbart 75 Unteragenten L. Kaiser 71 , Kommel & Cie. .

. . . . 5ö ,, Schneebeli & Oie 37 ,, Wirth-Herzog 34 ,, 0. Stör 26 Leuenberger 20 ,, Corecoo & Brivio 13 ,, Christ-Simmener 0 ,,

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für die faktischen Bedürfnisse dürfte diese Zahl ausreichen -- so hätte sie im Ganzen doch nicht mehr als Fr. 70,000 zu hinterlegen.

Die Rückerstattung der je nach der Zahl der Unteragenten zu leistenden Kautionen stellen wir uns so vor, daß dieselbe nicht erst zu erfolgen hat, wie diejenige der Hauptkaution, nach Eingehen der Agentur, sondern je nach dem Bestände der Unteragenten am Schlüsse des zweiten Jahres, vom Tage der Anstellung der Unteragenten an gerechnet. Bin Beispiel mag diesen Punkt verdeutlichen gesetzt, eine Agentur beschäftige am 1. Januar 1888 10 Unteragenten, so hat sie dafür zusammen mit der Hauptkaution Fr. 70,000 zu hinterlegen; hat sie aber während des Jahres 1888 5 Unteragenten entlassen, so sind ihr dann Ende 1889 Fr. 15,000 herauszugeben.

Der kontinuirliche Wechsel im Bestände der Unteragenten hat auch zur Folge, daß die Führung der im Art. 7 des Gesetzes vorgeschriebenen Kontrole eine äußerst komplizirte ist. Jede Genehmigung, jede Entlassung von Unteragenten, jeder Uebertritt von solchen von einer Agentur zu einer andern, jeder Wiedereintritt von früher entlassenen Uuteragenten, jeder Domizilwechsel von solchen wurde aber nicht blos in die Koutrole eingetragen, sondern auch im Bundesblatt publizirt und den kantonalen, mit der Aufsicht über das Auswanderungswesen betrauten Amtsstellen mitgetheilt. ifs rechtfertigt sich deßhalb und liegt ebenfalls im Interesso einer Verminderung der Zahl der Unteragenten, für jede Genehmigung der Anstellung von solchen und überhaupt jede Mutation im Bestände derselben eine Gebühr zu erheben. Die Festsetzung derselben dürfte dem Bundesrathe überlassen werden und wir geben heute schon die Zusicherung, daß wir dieselbe nicht zu hoch ansetzen werden.

Es liegt in der Festsetzung einer solchen Gebühr ja übrigens auch eine Garantie dafür, daß die Agenturen in der Wahl ihrer Uuteragenteii etwas vorsichtiger zu Werke gehen werden, womit nicht nur die Quantität vermindert, sondern auch die Qualität verbessert wird. Die Agenturen haben es übrigens in der Hand, sich vorzusehen, daß sie möglichst wenig Gebühren bezahlen müssen. Es mag hier noch daran erinnert werden, daß der Entwurf zum Gesetze, wie er aus den Berathungen des Nationalrathes hervorging, die Bestimmung enthielt, daß die Veröffentlichung der Namen der Agenten und Uuteragenten auf Kosten
der Agenturen zu erfolgen habe, daß der Nationalrath diese Bestimmung aufgenommen hat, ohne daß sie vom Bundesrathe beantragt, daß dieselbe dann allerdings vom Ständerathe gestrichen worden ist. Wenn man bei Erlaß des Gesetzes von Gebühren für die Genehmigung der Unteragenten abgesehen hat, so ist es ivohl nur aus dem Grunde geschehen,

207 weil man befürchtete, es werde dadurch eine Vermehrung der Reisekosten der Auswanderer entstehen. Wir können diese Befürchtung heute nicht mehr hegen, denn wir sind überzeugt, daß sich jene Reisekosten aus andern Elementen zusammensetzen, daß einzig das Benefiz der Agenturen geringer und daß überhaupt das Gesammterträgniß der Gebühren nicht beträchtlich sein wird.

Auch hinsichtlich der Patentgebühren schlagen wir eine Aenderung vor. Bis jetzt wurde für jedes Patent eine Gebühr von Fr. 50 bezahlt; dasselbe hat eine Gültigkeit von 5 Jahren. Für jede Erneuerung eines Patentes mußten Fr. 25 bezahlt werden, so daß also eine Agentur in 10 Jahren durchschnittlich jährlich Fr. 7. 50 KU bezahlen hat, wahrlich eine äußerst geringfügige Gebühr, wie sie vielleicht von keinem Gewerbetreibenden, der ein Patent lösen muß, in so geringer Höhe bezahlt wird. Wir beantragen, für das Patent eine jährliche Gebühr von Fr. 50 zu erheben, von einer Erneuerung der Patente abzusehen, da dieselbe nach unserm Dafürhalten keinen Zweck hat, indem der Bundesrath, wenn einer der im Gesetze vorgesehenen Fälle eintritt, das Patent jederzeit zurückziehen kann und nicht erst die Zeit der Erneuerung abzuwarten braucht.

Wir erwähnen noch, daß in Art. 3, Alinea 4, des Entwurfes vorgesehen ist, daß das Patent auch dann zurückgezogen werden kann, wenn sich eine Agentur einer oft er n Uebertvetung der Vorschriften des Gesetzes schuldig gemacht hat. Eventuell dürfte von dem Bezug einer Gebühr für die Genehmigung der Anstellung von solchen Personen abgesehen werden, die in den Bureaux der Hauptagenturen beschäftigt werden, indem solche Angestellte nicht eigentliche Unteragenten sind.

Art. 5, Alinea 4, enthält bloß eine redaktionelle Aenderung.

Art. 8, Absatz 1.

Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß nicht nur die Hauptagenten, sondern auch die Unteragenten verpflichtet seien, die in Absatz l vorgeschriebene Kontrole über ihre Vertragsabschlüsse und gebundene und paginirte Kopirbücher über ihre Korrespondenzen zu führen. Ein solcher Zweifel aber muß bei dem gegenwärtigen Wortlaute um so eher autkommen, als im zweiten Absatz, im Unterschiede vom ersten, ausdrücklich beide Arten von Agenten (Haupt- und Unteragenten) ausdrücklich genannt sind, indem es sich dort um die Berechtigung des Bundesrathes und der kantonalen Polizeidirektionen handelt, von allen Büchern und Skripturen Einsicht zu nehmen. In Wirklichkeit gab es bisher einzelne Unteragenten, welche nur höchst unvollkommene, und andere, welche gar keine

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Kontrolen führten und sich damit der Möglichkeit entzogen, daß ·die Vorschrift der Absätze l-und 2 auch auf sie Anwendung finde.

Wir beantragen daher, im ersten Absatz anstatt des Wortes -,,Agenten11 zu sagen: ^Die Hauptagenten und die Unteragenten.lt Im Uebrigen können wir beifügen, daß dieser Artikel bereits bis anhin°im Sinne dieser Aenderung von uns aufgefaßt und daß auch demgemäß verfahren worden ist.

Ein weiterer Zusatz in Alinea l bezweckt, die Agenturen zu verhalten, der Bundesbehörde auf Verlangen auch über ihr Verhältniß zu den fremden Schiffsgesellschaften, durch deren Vermittlung sie die von ihnen engagirten Auswanderer spediren, Aufschluß ertheilen.

Art. 9 handelt von der Betheiligung von Auswanderungsagenturen bei Kolonisationsunternehmungen und schreibt in dieser Beziehung lediglieh vor, daß Agenturen, welche in irgend einer Eigenschaft ein solches Unternehmen vertreten, dies dem Bundesrathe anzuzeigen und ihm über das Unternehmen vollständigen Aufschluß zu geben haben. Die Behörde ist aber bald nach Erlaß des Gesetzes in den Fall gekommen, sich fragen zu müssen, ob sie bei der Betheiligung von Auswanderungsagenturen bei Kolonisationsunternehmungen sich nach dem Wortlaut des Gesetzes darauf zu beschränken habe, die in Rede stehenden Anzeigen und Aufschlüsse entgegenzunehmen. Bei der Prüfung dieser Frage mußte man finden, daß die Bestimmung des Art. 9 äußerst vag und lückenhaft sei und die vollziehende Behörde über die Intention des Gesetzgebers im Unklaren lasse. Wir haben bei sämmtliehen Mittheilungen von Agenturen betreffend ihre Betheiligung an Kolonisationsunternehmungen es so gehalten, daß wir aus der Pflicht der Agenturen, uns von jeder Betheiligung an solchen Unternehmungen Anzeige zu machen und über die letzteren Aufschluß zu ertheilen, für uns die Pflicht ableiteten, die Mittheilung der Agenturen sorgfaltig zu prüfen und zwar sowohl in Beziehung auf die Verhältnisse der zu gründenden Kolonie im Allgemeinen, als auch hinsichtlich der Vertrauenswürdigkeit der Personen, in deren Händen sich die Leitung der Unternehmen befand. Sodann glaubten wir stets, uns nicht cniit den von den Agenturen gegebenen Aufschlüssen begnügen zu sollen, sondern wandten uns an die schweizerischen Vertreter in denjenigen Staaten, in denen die Kolonien angelegt werden wollten, um von denselben einläßlichen Bericht über das Koloninlland zu erhalten. Lauteten die Nachrichten über letzteres oder

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über die Leiter der Unternehmung nicht befriedigend, so versagten wir einfach der Beiheiligung der Agentur unsere Genehmigung.

Wir verweisen in dieser Beziehung auf die einläßliehe Darlegung unseres Standpunktes im Berichte über unsere Geschäftsführung während des Jahres 1886. Schwieriger gestaltete sich aber die Frage dann, wenn die Nachrichten über Kolonisationsunternehmungen befriedigend lauteten, resp. keine wichtigen Gründe vorlagen, um einer Agentur die Betheiligung an einem Kolonisationsunternehmen zu verbieten. Wir mußten dann nämlich befürchten, daß eine förmliche Schlußnahme, mit welcher einer Agentur gestattet worden wäre, ein Kolonisationsunternehmen zu vertreten, von der letztern leicht zur Reklame und zur Dekoration ihrer propagandistischen Prospekte mißbraucht werden, und insbesondere daß dem Bundesrath oder dem Konsularbeamten, auf dessen Berichte hin die bezügliche Schlußnahme getroffen worden, der größere Theil der Verantwortlichkeit für das Unternehmen zugeschrieben werden könnte. Da, wie bereits erwähnt, der Art. 9 Stillschweigen beobachtet über die Frage, ob der Bundesrath ermächtigt ist, den Agenturen die Betheiligung an Kolonisationsunternehmungen zu gestatten oder zu verbieten, kamen wir -- wir müssen es sagen -- in solchen Fällen in nicht geringe Verlegenheit, aus der wir uns dadurch zu ziehen suchten, daß wir selbst dann, wenn die erhaltenen und eingezogenen Berichte über das Kolonisationsunternehmen befriedigend lauteten, von einer förmlichen Genehmigung der Betheiligung der Agentur an demselben Umgang nahmen und uns darauf beschränkten, den Bescheid zu ertheilen, daß sich die Behörde zu Bemerkungen über das Vorhaben vorläufig nicht veranlaßt finde, sich indessen vorbehalte, auf die Angelegenheit zurückzukommen, falls ungunstige Berichte eingehen sollten oder in Erfahrung gebracht werde, daß bei der Spedition von Schweizerbürgern nach den betreffenden Kolonien sich Uebelstände zeigen. So haben wir es bekanntlich bei Anlaß der von der Agentur Rommel & Comp.

in Basel nachgesuchten Bewilligung der Betheiligung an der Kolonisation des südlichen Chiles gehalten. Es ist der Agentur verboten worden, diesen Beseheid in ihre Prospekte aufzunehmen, da das Publikum darin eine Ermuthigung zur Auswanderung nach Chile hätte erblicken können. Zur Vervollständigung des Artikels scheint
uns eine Bestimmung nothwendig, welche besagt, daß der Bundesrath in jedem einzelnen Falle entscheiden könne, ob und unter welchen Bedingungen die Vertretung eines Kolonisatio'nsunternehniens gestattet sei.

Bin zweiter Mangel dieses Artikels besteht darin, daß er vollständiges Stillschweigen beobachtet über die Frage, wie es zu halten sei, wenn sich Personen oder Gesellschaften, welche nicht Inhaber Bnndesblatt. 39. Jahrg. Bd. III.

15

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von Auswand erungsagenturpatenten sind, mit Kolonisationsunternehmungen befassen. Wir erinnern hier in erster Linie an die Motivirung dieses Artikels in unserer Botschaft vom 25. November 1879 (Bundesbl. 1879, III. 929), wo es also heißt: ,,Der Art. 9 verbietet den Auswanderungsagenturen ohne besondere Erlaubniß des Bundesrathes eigentliche K o l o n i s a t i o n s u n t e r n e h m u n g e n , die sonst unter dem gewöhnlichen Titel eines Auswanderungsgeschäftes betrieben werden könnten. Der Bundesrath beabsichtigt damit keineswegs etwa, solche Unternehmungen zu erschweren, und es fand sich auch in dem ursprünglichen Entwurfe des Gesetzes ein etwas anders gefaßter Artikel. Es ist jedoch offenbar, daß solche größere Kolonisationen, wie die s. Z. in Brasilien gemachten Erfahrungen beweisen, einer ganz besonderen Aufsicht und zum Theil stringenteren Bestimmungen, namentlich auch höheren Kautionen unterliegen müssen, als die gewöhnliche Art der Beförderung von Auswanderern, uod es schien außerhalb des Rahmens dieses Gesetzes zu liegen, darüber das Nähere zu statuiren, n a m e n t l i c h a u c h für solche Fälle, wo gar n i c h t die g e w ö h n l i c h e n p a t e n t i r t e n A u s w a n d e r u n g s a g e n t u r e n sich mit solchen Geschäften befassen.a In dem ersten Entwurfe, auf den hier Bezug genommen ist, lautete der Artikel folgendermaßen : ,,Eigentliche Kolonisationsverträge mit fremden Staaten oder Gesellschaften, behufs Spedition von Auswanderern in bestimmte Kolonien, dürfen nicht stattfinden ohne vorherige Anfrage und Bewilligung seitens der Aufsichtsbehörde, welche Bewilligung jederzeit rückziehbar und jedenfalls an eine den Umständen angemessene weitere Kaution, sowie nach Gutflnden an andere Bedingungen geknüpft ist." Der Verfasser des Entwurfs begleitete diese Redaktion mit folgender Notiz : ,,Die Behörde wird natürlich dann jeden solchen Fall zuerst untersuchen und danach bei allfälliger Gestattung dieser Kolonisation ihre Bedingungen stellen. Das ist dann gewissermaßen ein besonderer Vertrag mit der Agentur, wofür auch besondere Kaution geleistet wird, die natürlich meistenteils sehr bedeutend sein wird. a In dem zweiten, auf Grundlage der eingeholten Meinungsäußerungen der Kantone, schweizerischen Konsulate und bestehenden Auswanderungsagenturen erstellten Entwürfe blieb der
Artikel, abgesehen von einigen Redaktionsänderungen, unverändert.

Dem Protokoll über die Verhandlungen einer vom Handelsund Landwirthschaftsdepartement einberufenen Expertenkommission zur Berathung des Gesetzesentwurfes entnehmen wir folgende, diesen Artikel betreffende Stelle:

211 ,,Der Artikel 9, welcher den Abschluß von Kolonisationsverträgen regelt, gibt zu einer längern Diskussion Anlaß. Es wird die Ansicht geäußert, daß man im Gesetze von Kolonisation gar nicht sprechen sollte, daß die Regelung dieser Sache für den Bund große Schwierigkeiten biete, daß man dazu gedrängt werden könnte, die Auswanderung (Kolonisation) nach dem einen Punkte hin zu begünstigen, nach dem andern zu erschweren, daß eine solche Regelung der Tradition der Bundesbehörden in dieser Angelegenheit nicht entspreche, etc. Von anderer Seite wird betont, daß, wenn man die Auswanderung des Einzelnen reglementire, so sei doch um so mehr eine Massen-Auswanderung (Kolonisation) unter staatlichen Schutz zu stellen, daß gerade die Kolonisation es sei, die den Auswanderer vor Noth und Elend schütze, indem ihm gleich von Anfang an sein Reiseziel bekannt sei und Arbeit angewiesen werde etc. ; ' es müsse daher wohl oder übel über diese Materie eine Bestimmung ins Gesetz aufgenommen werden.

Dieser letztern Ansicht wird allgemein beigepflichtet und es erfolgt hierauf Einreichung folgender zwei Anträge: a. Von Hrn. Direktor Kummer: ,,Wenn Gesellschaften oder einzelne Uebernehmer außer mit der Ueberfahrt auch noch mit der ersten Einrichtung (Kolonisation) dei' Auswanderer sich befassen, so können die Forderungen die Ausweise nach Art. 3 erhöhen, sei es durch Steigern der Kautionssumme, sei es durch- Aufstellung anderer Garantien.a b. Von Hrn. Nationalrath und Oberst Frei : ,,Die Vorschriften dieses Gesetzes finden in entsprechender Weise auch Anwendung auf diejenigen Personen, Gesellschaften, Korporationen u. s. w., welche in der Schweiz Kolonisationsverträge abzuschließen beabsichtigen. Die Aufsichtsbehörde kann in solchen Fällen außerordentliche Kautionen verlangen und überhaupt auch sonst besondere Bedingungen aufstellen."

Nachdem Herr Kummer seinen Autrag zu Gunsten desjenigen des Hrn. Frei zurückgezogen, wird dieser letztere Antrag, nähere Redaktion vorbehalten, als Art. 8 angenommen.

In der Folge wurde nachstehende Redaktion vorgeschlagen : ,,Wenn Personen, Gesellschaften, Korporationen etc. in 'der Schweiz Kolonisationsverträge abschließen wollen, so hat die Aufsichtsbehörde die nöthigen Kautionen und Garantien festzustellen."'

Aus den Akten ist nicht ersichtlich, warum dann später diejenige Redaktion fallen gelassen worden ist, welche es ermöglicht

211> hätte, der Aufsicht des Bundesrathes auch diejenigen Kolonisationsunternehmungen zu unterstellen, an denen andere Personen als Auswanderungsagenten betheiligt sind. Wenn es der Wortlaut derjenigen Verf'assungsbeslimmung war, auf welche gestützt das Auswanderungsgesetz erlassen wurde und welche einzig von A u s w a n d e r u n g s a g e n t u r e n spricht, so müssen wir gestehen, daß dieser Wortlaut in zu engem Sinn gefaßt wurde. Es unterliegt ja keinem Zweifel, daß mit Art. 34 der Schutz der Auswanderer durch die Bundesbehörde angestrebt w u r d e , daß dieser Schutz es auch erheischt, festzustellen, daß eine Kontrole auch über solche Kolonisationsunternehrnungeu existire, bei welchen Auswanderungsagenturen nicht betheiligt sind. Jener Schutz macht es der Bundesbehörde offenbar zur Pflicht, Vorkehrungen zu treffen, daß Schweizerbürger nicht nach Gegenden auswandern, in denen nach zuverlässigen Berichten dieselben die zu einem gedeihlichen Fortkoramen nöthigen Verhältnisse nicht antreffen. Ja, es hat die Bundesbehörde schon vor Inkrafttreten des Gesetzes und schon vor der Existenz des Art. 34 der Bundesverfassung in diesem Sinne gehandelt, indem sie zu wiederholten Malen vor der Auswanderung nach gewissen Gegenden zu warnen sich veranlaßt gesehen hat. Dabei kommt noch ganz besonders in Betracht, daß in den meisten Fällen die Thätigkeit einer Person oder Gesellschaft, welche für ein Kolonisationsunternehrnen wirkt, den Geschäftskreis eines Auswanderungsagenten streift, in mancher Beziehung sogar mit demselben identisch ist. Ein Kolonisator wird zwar hehaupten, daß er sich mit der Spedition von Auswanderern nicht beflisse, aber es ist doch wohl natürlich, daß er alle Hebel in Bewegung setzt, um das Kolonialland zu besiedeln, und daß er in dieser Absicht nicht allein zur Auswanderung Entschlossene auf sein Land zu ziehen, sondern auch Solche dahin zu befördern sucht, welche zur Auswanderung keine Lust verspüren. Wir sind in dieser Anschauung noch kürzlich durch eine Klage bestärkt worden, welche mehrere in Texas niedergelassene Schweizer gegen die in Basel domizilirte Texas-Landgesellschaft geführt haben und welche unter Anderm behaupten, daß sie durch falsche Vorstellungen der Gesellschaft sich haben verleiten lassen, sich in der Kolonie der letztern in Guadalupe County (Texas) anzukaufen,
und welche sich in bitterster Weise über den Verwalter der Gesellschaft in der Kolonie beschweren. Ist es, fragen wir, billig, ist es den Intentionen des Art. 34 der Bundesverfassung entsprechend, daß Kolonisationsunternehmer frei sehalten und walten können und keinerlei Kontrole unterworfen werden, bloß deßhalb, weil sie nicht Auswanderungsagenten sind, resp. sich nicht selbst so nennen? Wir glauben nein, und beantragen Ihnen deßhalb, Art. 9 in dem Sinne abzuändern, daß wer immer ein Kolonisations-

213 unternehmen vertreten will, dies dem Bundesrathe anzuzeigen und ihm über das Unternehmen vollständigen Aufschluß zu ertheilen habe.

Art. 11 des gegenwärtigen Gesetzes lautet: ,,Die Agenten haben Vorsorge zu treffen, daß die Auswanderer Geldbeträge, welche diese ihnen vor der Abreise übergeben, am vertragsmäßigen Bestimmungsort baar und ohne Abzug ausbezahlt erhallen."'

So klar auch der Wortlaut dieser Gesetzesbestimmung ist, so genügt er doch nicht zur Erreichung ihres eigentlichen Zweckes.

Der Auswanderer, welcher dem ihn spedireuden Agenten vor der Abreise einen Geldbetrag von 100 Dollars einbezahlt und eine Anweisung auf eine Firma in Buenos Aires oder Valparaiso für 100 Dollars dafür erhält, läuft Gefahr, daß ihm in Südamerika, /war ohne den vom Gesetz mit dem Worte ,,Abzug 01 bezeichneten Verlust, also spesenfrei, 100 Dollars ausbezahlt werden, aber an' statt in Silber oder Gold, in Papier, das dort Zwangskurs hat und seit Jahren kaum mehr als die Hälfte des Nominalbetrags in Gold werth ist. Es erscheint fraglich, ob der gegenwärtige Wortlaut des Art. 11 genügt, um einen Agenten für einen derartigen Verlust verantwortlich zu machen. Ueberdies ist mit Sicherheit anzunehmen, daß nicht selten unbehülfüche Auswanderer von solchen Kursverhältnissen keine Ahnung haben oder diesbezüglich erhaltene Aufklärungen nicht verstehen, sich mit dem erhaltenen Papier zufrieden erklären und erst dann reklamiren, wenn es zu spät und jede Handhabe zur Geltendmachung ihrer Ansprüche verloren ist.

Es sollte daher durch eine Gesetzesbestimmung, welche einer Mißdeutung nicht fähig ist, dafür gesorgt werden, daß inskünftig die Auswanderer vor ähnlichen Täuschungen und Verlusten geschützt werden.

Seit dem Inkrafttreten des Auswanderungsgesetzes sind eine ganze Reihe von Beschwerden gegen die Auswanderungsagenturea wegen Verletzung von Art. 11 an uns gelangt. Wir wollen hier nur einige derselben erwähnen: 1) Ein Auswanderer von Chàtel St. Denis hatte im Dezember 1884 einem Agenten die Summe von Fr. 5300 übergeben, um dieselbe in Buenos Aires wieder ausbezahlt zu erhalten. In letzterer Stadt angekommen, erhielt der Auswanderer einen Wechsel von 1051 Papierpiastern; da das Papiergeld eine starke Entwerthung erfahren hatte, würde der Werth des Wechsels etwa Fr. 2000

214

weniger als die einbezahlte Summe betragen haben. Die eingeleitete Untersuchung ergab, daß der Agent Fr. 45 als Kommission beizogen und die übrigen Fr. 5255 einem Bankhause in Genf übergeben, welches ihm dafür unterm 31. Januar 1885 einen Wechsel von 1051 Piastern (den Piaster zu Fr. 5 berechnet) auf ein Zweiggeschäft in Buenos Aires ausgestellt habe, und daß durch Beschluß der argentinischen Regierung vom 9. Januar 1885 der Zwangskurs eingeführt worden sei, wodurch dem Auswanderer allerdings ein Verlust von Fr. 2000 habe erwachsen müssen. Unserer Vermittlung gelang es, das Bankhaus zu veranlassen, den Wechsel wieder zurückzunehmen und die Fr. 5255 herauszugeben.

2) Von einer anderen Seite wurden wir darauf aufmerksam gemacht, daß Agenturen Auswanderern für die ihnen vor der Abreise übergebenen Geldbeträge, statt Anweisungen auf eine solide Staatsbank einzuhändigen, Cliecks auf deutsche Wirthe ausstellen, wodurch der Auswanderer, sei es weil der Wirth Mangel an Baarschaft habe, sei es weil Letzterer den Vorweiser des Check zu einem längern Aufenthalt bei ihm veranlassen wolle, den Betrag der Anweisung erst 2--3 Tage nach seiner Ankunft in Empfang · nehmen könne.

3j Ein ausländischer Agent hatte zwei schweizerischen Auswanderern für einen Wechsel von 300 Doli, auf New-York Fr. 1670 abgenommen, d. h. circa Fr. 80 mehr als der seit vielen Jahren bekannte höchste Kurs.

Ein weiterer Fall ist im Creschäftsbericht pro 1886 erwähnt.

Es handelt sich darum, den Art. 11 des gegenwärtigen Gesetzes in der Weise zu-'revidiren, daß der Auswanderer vor Täuschungen bewahrt bleibe, und es ist deßhalb vorgeschlagen worden, nach den Worten ,,ohne Abzug"1 im bisherigen Art 11 die Worte einzuschalten : ,,und zum Tageskurse der einbezahlten Münzsortena. Von anderer, fachmännischer Seite ist die Fassung vorgeschlagen worden, welche Sie in dem Entwurfe finden ; sie scheint uns klarer als die andere.

Art. 14, Ziffer 4. Inlandbillets.

Es ist bekannt, dass die Mehrzahl der Auswanderer, welche sich in das Innere eines amerikanischen Staates begeben wollen, den Reisevertrag nicht bloß für die Strecke bis zum Ausschiffungshafen abschliesst, sondern bis zu der dem definitiven Reiseziele zunächst gelegenen Eisenbahnstation. Die Agenten besitzen die Tarife der verschiedenen Eisenbahngesellschaften und stellen den

215

Emigranten Gutscheine oder Ordres aus, welche die Letztern den Vertretern der Agenturen im Ausschiffungshafen übergeben und von welchen sie Bmigrantenbillets für die Benutzung amerikanischer Eisenbahnen erhalten. Es kann nun vorkommen und ist schon infolge eines sogenannten Tarifkriegs amerikanischer Eisen bahngesellschaften vorgekommen, daß solche Billete theurer verkauft wurden, als sie in Amerika zu haben gewesen wären. So hat uns das Schweiz. Konsulat in New-York im März 1885 eine Klage übermittelt, welche 12 schweizerische Auswanderer bei der Immigrationskommission daselbst gegen eine schweizerische Auswanderungsagentur deßhalb eingereicht hatten, weil sie ihnen für die Fahrt nach San Prancisko, St. Louis, Chicago, Pittsburgh etc. im Ganzen 269 Dollars 20 Cts. zu viel abgenommen hatte. Der Vertreter der Agentur in New York hat dann allerdings die Summe den Auswanderern wieder zurückbezahlt. Es kann aber auch das Gegentheil vorkommen, nämlich, daß der Preis der Eisenbahnbillete während der Ueberfahrt erhöht wird. Für solche Fälle scheint es angezeigt, im Gesetze zu stipuliren, daß der Auswanderungsvertrag den Preis des Inlandfahrbillets anzugeben habe. Enthält nämlich der Vertrag bloß die Summe, welche der Auswanderer für die ganze Strecke seiner Reise bezahlt hat, so ist es nicht sicher, ob letzterer bei Ankunft im Ausschiffungshafen noch weiß, welche Summe er für die Inlandfahrt bezahlt hat, und es ist doch auch denkbar, daß der Gutschein oder die Ordre, gestutzt auf welche er von dem Vertreter der Agentur das Inlandbillet reklamiren kann, nur die Strecke und nicht die Taxe angibt.

Art. 15

normirt die Strafkompetenz des Bundesrathes. Danach können die Agenten, wenn sie oder ihre Vertreter sich einer Verletzung des Gesetzes schuldig machen, mit Fr. 20 bis 200, unter Umständen auch mit Entzug des Patentes bestraft werden. Wir haben nun finden müssen, daß das in diesem Artikel vorgesehene Bußenmaximum viel zu niedrig ist. In der That muß es auffallen, daß, während nach Art. 16 Personen, welche unbefugt Auswanderungsgeschäfte betreiben, oder dazu behulflich sind, mit Fr. 1000 und im Wiederholungsfalle mit Gefängniß bis auf 6 Monate bestraft werden, die Agenten, welche sich unter Umständen weit gröberer Verletzungen des Gesetzes schuldig machen können, im Maximum nur um Fr. 200 gebüßt werden sollen. Daß in dem einten Falle es eine Administrativbehörde ist, welche die Buße ausfällt, und in dem andern eine richterliche, darf nicht in Betracht fallen, indem nur die Bedeutung und Natur und die Polgen der Verletzung für

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den Auswanderer maßgebend sein sollten, während die Frage, ob eine administrative oder eine richterliche Behörde die Strafkompetenz; hat, von keinem Belang ist. An der Natur und an den Folgen einer Gesetzesübertretung ändert ja die Frage nichts. Wir richteten die Höhe der Bußen stets in erster Linie nach der Gravität des Falles, dann aber auch nach der Zahl der von der betreffenden Agentur begangenen und zur Kenntniß der Behörden gelangten Gesetzesübertretungen. Eine Rücksichtnahme auf di& Wiederholung von Uebertretungen gestattet nun ein Bußenmaxirnurn von Fr. 200 nicht. Es gibt Agenturen, die schon so oft bestraft worden sind, daß, um auf die Zahl der Rückfälle Rücksicht nehmen zu können, dem Bundesrath ein höheres Strafmaß auszusprechen die Kompetenz ertheilt werden sollte. Es ist auch zu beachten, daß bei einer und derselben Spedition von einer Agentur mehrere Bestimmungen des Gesetzes mißachtet worden sein können. Es könnte eingewendet werden, daß der Buudesrath auch den Entzug des Patentes verfügen könne; es ist aber hiegegen zu bemerken, daß.

der Schritt von einem Bußenmaximum von Fr. 200 zum Patententzug denn doch ein zu großer ist, und es wäre ungerechtfertigt, den letztern überall da zu verfügen, wo der Bundesrath die Verhängung des Bußenmaximurns noch für eine geringe Strafe ansehen muß. Wir beantragen Ihnen deßhalb, das Bußenmaximum von Fr. 200 auf Fr. 1000 zu erhöhen.

Art. 17.

Zu einer richtigen Durchführung der Aufsicht über das Auswanderungswesen scheint es nöthig, daß die Bundesbehörde auch von denjenigen Urtheilen Kenntniß erhalte, welche kantonale Behörden auf Grund des Auswanderungsgesetzes ausfällen. Eine dem entsprechende Verpflichtung der letztern Behörden beantrage» wir Ihnen, in einem Zusatz zu Art. 17 aufzustellen.

Art. 18.

Da schon auf der Reise bis zum Einschiffungshafen und io diesem selbst Verletzungen der Reiseverträge vorkommen können, so darf die Mitwirkung der schweizerischen Konsulate bei der Aufsicht über die Agenturen und bei Fällen, in welchen Auswanderer Reklamationen zu machen haben, nicht in der Weise beschränkt werden, daß die in nicht überseeischen Hafenplätzen wohnenden Schweizerkonsuln davon ausgeschlossen sind , wie dies durch den Wortlaut des Art. 18 in bestimmter Weise geschieht.

Sie ist gegentheils auch hier dringend erforderlich. Wir bemerken

217 zwar, daß dieser Artikel nie in dem engen Sinne aufgefaßt worden ist, als ob die Konsuln in den Einschiffuagshäfen von der in diesem Artikel den Konsuln der überseeischen Häfen übertragenen Aufgabe befreit wären; wir haben vielmehr eine ganze Reihe von Beweisen dafür, daß sich die Konsularbearnten in den Einschiffungshäfen alle Mühe geben, den Auswanderern nützlich zu sein. Aber es erscheint dennoch angezeigt, jeden Zweifel in dieser Richtung zu beseitigen, und wir beantragen Ihnen deßhalb, statt in den ,,überseeischen Häfena, zu sagen ,,in den Seehäfena, und im Folgenden die Worte ,,auf dem Lande" zu streichen. Des Fernern dürfte es angezeigt erseheinen, die Frist, innert welcher Auswanderer Reklamationen anbringen können, um das Doppelte zu verlängern. Es sind uns zwar noch nie Klagen darüber zugekommen, daß die in Rede stehende Frist zu kurz bemessen wäre; aber es darf mit Sicherheit angenommen werden, daß manche Auswanderer, obwohl sie sich zu beschweren Ursache hätten, es dennoch unterlassen, weil sie in den ersten 48 Stunden nach Ankunft, sei es am Ausschiffungshafen, sei es am Bestimmungsorte, Dringenderes zu thun zu haben glauben, als das Konsulat aufzusuchen und bei demselben Vorstellungen zu erheben, namentlich wenn diese Vorstellungen nicht den Zweck haben, eine Entschädigung zu beanspruchen, sondern bloß die Wirkung haben könnten, spätem Auswanderern nützlich zu werden. Wir können es nicht anders verstehen, wenn, was öfters vorkommt, Auswanderer sieh in der Presse des Heimatlandes über die Agenturen oder Schiffsgesellschaften beschweren, während sie es unterlassen haben, beim Konsul Reklamationen zu erheben, wodurch mehr Aussicht auf Abstellung von Uebelständen geboten wäre, da nicht erwartet werden darf, daß alle in der Presse niedergelegten Klagen der Behörde zu Gesichte kommen.

Art. 21.

Eine wichtige Neuerung enthält Art. 2t des Gesetzes. Wir schlagen Ihnen nämlich vor, dem Departement, welches mit der Kontrole über die Durchführung des Gesetzes betraut ist, ein besonderes Bureau beizugeben, welches sich mit ähnlichen Bureaux anderer Staaten in Verbindung zu setzen und außerdem den Auswanderern, sofern sie es verlangen, unentgeltlich mit den nöthigen Auskünften, Rathschlägen und uöthigenfalls auch Empfehlungen an die Hand zu gehen hätte.

Indem das Bureau sich mit den Kommissariaten auswärtiger Staaten in den Hafenstädten in beständige Verbindung setzen wird, wird es durch Vermittlung derselben möglich werden, den schweizerischen Auswanderern einen wirksamen Schutz gerade da ange-

218 ·deihen zu lassen, wo sie dessen am meisten bedürfen. Außerdem ·empfiehlt es sich, von Zeit zu Zeit Auswandererzüge bis zum Einschiffungshafen begleiten zu lassen und sich durch eigene Anschauung zu überzeugen, ob die im Gesetze zum Schutze der Auswanderer aufgenommenen Bestimmungen auch wirklich eingehalten werden. Nur so wird es möglich sein, die Ausführung des Gesetzes in einer wirksamen Weise zu kontroliren.

Eine Hauptaufgabe des Bureaus wird ferner darin bestehen, den zur Auswanderung entschlossenen Bürgern auf ihr Begehren zuverlässigen Rath und Auskunft zu ertheilen. Indem wir damit einem immer wieder auftauchenden Wunsche entsprechen, dürfte die Organisation des Bureaus genügende Gewähr dafür bieten, daß diese Ertheilung von Rath nicht in eine Begünstigung der Auswanderung ausarte. Man wird die Freiheit des Einzelnen nicht beeinträchtigen, seinen Rath Keinem aufdrängen, aber wenn wir die Auswanderer mit Erfolg und so gut als möglich schützen wollen, so muß der Schutz schon da beginnen, wo Viele aus lauter Unkenntniß oder übler Anleitung eine verfehlte Wahl der neuen Heimat zu treffen in Gefahr stehen.

Ueberall dringt die Spekulation ein und beeinflußt die Wahl der Auswanderungsziele, und nur ein sachverständiger Rath von einer un betheiligten, von dem öffentlichen Vertrauen getragenen Amtsstelle vermag derselben einen festen Damm entgegenzusetzen.

Wir empfehlen Ihnen die Annahme dieser Abänderungsvorschläge, indem wir der Ueberzeugung leben, daß damit die hauptsächlichsten Uebelstände, die wir seit Inkrafttreten des Gesetzes vom 24. Dezember 1880 zu konstatiren im Falle gewesen sind, beseitigt werden können, und daß damit die Behörde den Auswanderern einen wirksamem Schutz angedeihen zu lassen in den Stand gesetzt werden wird.

219

II.

Was nun die beiden Postulate vom 3. Mai 1881 und 26. April 1882 anbetrifft, so beantragen wir Ihnen, denselben, soweit die darin enthaltenen Anregungen nicht durch die gegenwärtige Vorlage berücksichtigt sind, keine weitere Folge zu geben. Wir können, trotzdem die Motionen der Herren Joos und Philippin von Ihnen nicht abgelehnt worden, wie viele andere dieser Art, dennoch nicht annehmen, daß Sie Willens sind, eine andere Auswanderungspolitik zu verfolgen, als die bis anhin konsequent beobachtete und welche am kürzesten in dem Satze zusammengefaßt ist, ,,die Bundesbehörde habe nicht an Vorkehrungen Theil zu nehmen, welche die Auswanderung hervorrufen, sondern dieselbe als eine Thatsache hinzunehmen und sich darauf zu beschränken, diejenigen schweizerischen Staatsangehörigen, welche Willens sind, auszuwandern, oder die wirklich auswandern, bestmöglich zu schutzentt. Die Annahme jener beiden Motionen ist kein Beweis für uns, daß Sie heute an die Richtigkeit dieses Satzes nicht mehr glauben und eine neue Aera im Auswanderungswesen einführen wollen, und zwar um so weniger, als kurz vor der Annahme, ja noch fast gleichzeitig und nach derselben, ganz gegentheilige Voten in Ihrer Versammlung gefallen sind. Wir wollen hier nicht über die Zeit der ersten Verfassungsrevision hinausgehen.

1. Wie bestimmt die Bundesversammlung bei diesem Anlaß den Standpunkt des Schutzes gegenüber weitergehenden Tendenzen festgehalten, zeigt ein Blick auf die Revisionsverhandlungen des Jahres 1871. Herr Dr. Joos beantragte damals im Nationalrathe, nachdem die nunmehrige Verfassungsbestimmung bereits ohne Widerspruch angenommen worden, die Aufnahme eines fernem Artikels: ·,,Der Oberaufsicht des Bundes unterliegen die Bestimmungen über Auswanderung und Kolonisation.11 In der gleichen Sitzung war dieser Antrag in nachstehender Weise von Herrn Bleuler erweitert worden : ,,Dem Bunde steht die Gesetzgebung und Aufsicht über das Auswanderungswesen zu. Derselbe ist befugt, sich bei nationalen Kolonisationsunternehmungen zu betheiligen.'*'

220 Dem Protokoll über die Verhandlungen des schweizerischen Nationalrathes betreffend Revision der Bundesverfassung 1871/1872 entnehmen wir mit Bezug auf diese Anträge folgenden Passus: ,,Ausgehend von der Ansicht, daß ein so wichtiger Antrag nicht sofort in Behandlung genommen werden könne, war derselbe zur Vorprüfung der Kommission überwiesen worden.

Die Kommission (vertreten durch Herrn Heer), welche bei ihren Berathungen auch den Herrn Antragsteller Joos noch besonders angehört hatte, gelangte zu dem Vorschlage, auf den Gegenstand nicht einzutreten.

Die Fassung des Antrages sei jedenfalls zu unbestimmt und zu wenig klar, insofern sie nicht einfach dahin laute, daß der Bund die Aufsicht habe über die Bestimmungen, welche in Beziehung auf die Auswanderung und Kolonisation aufgestellt werden. Nun wisse man nicht, was unter solchen Bestimmungen gemeint sei, und jedenfalls müssen dieselben erst wirklich erlassen sein, bevor sie der Aufsicht des Bundesrathes unterliegen können.

Wenn solche Bestimmungen von Kantonen oder Gemeinden ausgehen und diese mit dem Antrage gerneint seien, so berühren solche den Bund nicht, und damit falle der Antrag auch als gegenstandslos dahin.

Herr Joos habe in der That solche Kolonien im Auge, die, wie z.B. N e u - G r l a r u s , von Gemeinden an die Hand genommen werden. Allein wenn die Gemeinden den Risiko übernehmen und von sich aus vorgehen, so könne die Einmischung des Bundes nicht für begründet erachtet werden. Allerdings sei es Sache der obern Behörden, den Auswanderern gegen etwaige Uebergriffe von Agenten Schute zu gewähren und die Auswanderung im Allgemeinen gegen Uebervortheilung zu sichern, überhaupt dafür zu sorgen, daß den Emigranten nicht unbefugte Hindernisse in den Weg treten. Allein nach dieser Richtung sei bereits vorgesorgt, da im Ai't. 32 des Verfassungsentwurfes der Geschäftsbetrieb von Auswanderun«sagenturen ausdrücklich unter die Bundesgesetzgebung gestellt werde, womit also dem Bunde die Befugniß eingeräumt sei, hier flir das Nöthige zu sorgen.

In ferneren Betracht falle sodann derjenige Sehute, welcher den Auswanderern bei ihrer Landung, also beim Eintreffen in demjenigen Lande, auf welches das Ziel der Auswanderung gerichtet sei, gewährt werden müsse.

In dieser Hinsicht stehen dem Heimatlande allerdings keine bedeutendem und wirksamem Mittel zu Gebote, indem natürlich

221 seine Gewalt nicht auf das Land der Einwanderung sich erstrecken könne, während es vielmehr im Interesse des letztem Hege, dafür zu sorgen, daß die Einwanderer nicht schutzlos dastehen, sondern ein Fortkommen finden können. Und in der That habe namentlich Amerika diesfalls an den Hauptlandungsplätzen sehr zweckmäßige Vorkehrungen getroffen, von denen nur zu wünschen wäre, daß die Einwanderer davon einen umfassenden Gebrauch macheu möchten.

Was vom Bunde iu dieser Richtung möglich sei, habe derselbe auch bis anhin zu thun nicht unterlassen, indem ein N e t / v o n s c h w e i z e r i s c h e n K o n s u l a t e n » b e r das g a n z e U n i o n s g e b i e t sich ausdehne und indem die am meisten in Anspruch genommenen Konsuln für ihre Bemühungen um die Einwanderer eine nach unsero Verhältnissen und Begriffen nicht gerade unbedeutende Entschädigung erhalten, mit der Verpflichtung, die Einwanderer nach Möglichkeit zu schützen, sowie denselben mit ihrem Rathe und ihrer Erfahrung an die Hand zu gehen. Sollte das Bedürfniß eintreten, so ließe sich dieses Konsulatsnetz noch erweitern, allein weiterhin könne die Mitwirkung des Mutterlandes sich nicht erstrecken.

Wollte der Bund sich in die Kolonisation bestimmter einmischen, so würde dies nur die Folge haben, alle möglichen Beg e h r l i c h k e i t e n w ach z u r u fe n, weßhalb die Kommission dazu unmöglich rathen könne. Für einen Binnenstaat zumal, der über eine Seemacht nicht verfüge, läge eine ungeheure Verantwortlichkeit darin, wenn er in das Kolonisationsverhältniß sich näher einmischen wollte, und bei der Entfernung von dem Lande der Einwanderung wäre eine gedeihliche Mitwirkung des Bundes geradezu unmöglich, uud könnte ein solches Einschreiten unter Umständen dazu beitragen, die Lage der Einwanderer nur zu verschlimmern.

Diese und ähnliche Rücksichten bestimmten die Kommission zu dem Antrage., daß auf den vorgeschlagenen Artikel nicht eingetreten werde, und dies um so weniger, als der Herr Antragsteller selbst von einer Kolonisation durch den Bund absehen und dieselbe den Kantonen, Gemeinden und Privatgesellschaften überlassen wolle und somit für den Bund eine Veranlassung nicht vorliege, hier maßgebend einzuschreiten.

Herr Dr. Joos, welcher seinen Vorschlag bereits in der Sitzung vom 6. Dezember sehr einläßlich begründet hatte, sah sich hierauf veranlaßt, seine Anschauungen über Kolonisation und über die Nothwendigkeit der Auswanderung heute nochmals eingehender zu ent-

222

wickeln, indem er sich vorbehielt, die Hauptgesichtspunkte seiner Erörterung schriftlich einzugeben.

Hinwieder hat Herr Bleuler seinen Antrag zurückgezogen, indem gegenwärtig der Moment noch nicht gekommen zu sein scheine, um dem in Frage stehenden Gegenstande die erforderliche Aufnahme und Durchführung zu sichern.

Nach längerer Diskussion, welche sich namentlich über die Frage wegen der Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit der Auswanderung entsponnen hatte, ohne daß jedoch die Anträge der Kommission oder des Herrn Proponenten amendirt worden wären,, konnte es sich für die Abstimmung nur darum handeln, ob auf den Antrag eingetreten oder nach dem Vorschlage der Kommission derselbe abgelehnt werden wolle."

In dieser Abstimmung ist der von Herrn Dr. Joos beantragte Artikel (nach Art. 46) mit 59 gegen 14 Stimmen abgelehnt worden.

2. Bei den Revisiousverhandlungen des Jahres 1873, nachdem «leder der nunmehrige Auswanderungsartikel ohne Diskussion angenommen worden, erneuerte Herr Dr. Joos im Nationalrathe seinen Versuch und stellte seinen Antrag in der obigen, bestimmteren Fassung des Herrn Bleuler, unterlag aber mit 32 gegen 42 Stimmen.

3. Unterm 19. März 1877 stellte Herr Dr. Joos folgende Motion : ,,Der Bundesrath wird eingeladen, in Erwägung : 1) daß die volkswirtschaftlichen Zustände der Schweiz für Tausende von Familien die Hoffnung ausschHessen, durch Fleiß und Sparsamkeit zu einem dem Grade der heutigen Gesittung angemessenen Lebensbedarf (standard of life) zu gelangen ; 2) daß die Schweiz nicht so viel Holz und Brennmaterial erzeugt, als für den häuslichen Bedarf und die Gewerbe gebraucht wird, -- auch kein zureichender Grund zur Annahme vorliegt, es werde dieser Uebelstand, bei anwachsender Bevölkerungszahl, in den nächsten Jahrzehnten gehoben werden ; 3) daß in Folge von Uebernutzung oder fehlerhafter Behandlung der schweizerischen Waldungen große Flächen unfruchtbar geworden sind und viel größere von ihrer Fruchtbarkeit verloren haben, mithin die Schönheit, Annehmlichkeit und Ertragsfähigkeit des Landes abnimmt;

23 4) daß Jahr um Jahr Hunderte von Personen und Familien · ihren heimischen Herd verlassen, um eine lange, kostspielige und gefahrvolle Reise zu unternehmen und ein Ungewisses Loos gegen das Leben im Lande ihrer Geburt einzutauschen ; 5j daß man in der Schweiz stets anerkannt hat, es solle die a l t e Heimat dem scheidenden Bürger auf seinem oft schweren "Wege nach der n e u e n Heimat mit Rath und That an die Hand gehen, am ihn vor Uebervortheilung zu bewahren und ihm sonst nützlich zu sein; 6) daß ein großer Theil der das schweizerische Auswanderungswesen begleitenden Uebel aus Unkenntnis eines geeigneten Ansiedelungszieles herrührt, und es namentlich für ziellos auswandernde Familien von hoher Wichtigkeit ist, möglichst bald nach ihrer Ankunft in Amerika einen Piata zu finden, wo sie geborgen sind und ihren Unterhalt verdienen können; 8) daß, laut amtlichen Konsularberiehten an den hohen schweizerischen Bundesrath, gerade aus der Schweiz verhältnißmäßig mehr entblößte und hilflose Einwanderer, als aus irgend einem andern Lande, in Amerika ankommen, und es noch im Jahr 1873 einzelne schweizerische Gemeinden gab, die, um sieh der ihnen unbequemen Angehörigen zu entledigen, Frauen und Kinder einem sicheren Tode aussetzten; 8) daß Nutzen und Ehre kräftiger gefördert, Schaden früher gewendet wird, wenn die Eidgenossenschaft auf eine Erfolgversprechende und volkswirtschaftlich gerechtfertigte Weise der Wiederholung von solchen, den Ruf des Gesammtvaterlandes gefährdenden Vorkommnissen vorbeugt, als wenn sie sich mit wohlgemeinten Warnungen begnügt; 9) daß, sofern berechtigte und ehrenhafte Interessen der im Lande Verharrenden unverletzt bleiben, nichts einzuwenden ist gegen die Entfaltung einer staatlichen Thätigkeit, wodurch dem Auswanderer die ersten Schritte im fremden Lande erleichtert und die Gründung einer zukunftverheißenden Existenz ermöglicht wird ; 10) daß eine Reihe von blühenden, jedoch in zu kleinem Maßstabe angelegten schweizerischen Niederlassungen den Wunsch nach Anlegung wenigstens e i n e r größern Niederlassung rechtfertigt;

'224 11) daß ein zu vollkommen f r e i e r Niederlassung geeigneter Sammelplatz, wenn im Besitze der Eidgenossenschaft, oder von Kantonen oder von Gemeinden, von vornherein das nöthige Vertrauen erwecken und die ausreichende Anziehungskraft ausüben würde für manche auch nicht-schweizerische Ansiedler; 12) daß in Folge dessen, neben einer baldigen und stetigen Werthvermehrung des durch die Staatsvermittlung erworbenen Grundeigentums, das Band freundschaftlicher Beziehungen zur alten Heimat fortbestände, die Wahrung der Kulturinteressen gesichert wäre und wohl auch auf eine häufiger eintretende Rückkehr v ermöglich gewordener Mitbürger gehofft werden dürfte; zu prüfen und zu begutachten, ob nicht auf den Namen der Eidgenossenschaft, oder auf den Namen von Kantonen oder Gemeinden, oder auf den Namen einer in vollem Einverständniß mit dem Bundesrath handelnden Gesellschaft ein zur Ansiedelung geeigneter größerer Landkomplex kaufs- oder schenkungsweise zu erwerben sei. a Unterm 11. Juni 1877 beschloß der Nationalrath, in Abweichung der Redaktion des Motionsstellers und in Annahme eines Abänderungsantrags von Herrn Frei, folgendes Postulat: ,,Der Bundesrath wird eingeladen, zu prüfen und zu begutachten, ob es angezeigt sei, von Bundes wegen Vorkehrungen zum Schutze der schweizerischen Auswanderer zu treffen."

4. Ueber die Petition eines P. R. Michod d. d. Lausanne 10. Au.gust 1878, welcher eine eidgenössische Subvention zur Gründung einer schweizerischen Kolonie in Nord-Karolina (Amerika) verlangte, sind Sie am 22. August 1878 zur Tagesordnung geschritten.

5. Auch in unserer Botschaft vom 25. November 1879, mit welcher wir Ihnen den Entwurf zu einem Gesetze über den Geschäftsbetrieb von Auswanderungsagenturen vorgelegt haben, haben wir, ohne auf Widerspruch zu stoßen, erklärt, Ihnen eine Betheiligung der Eidgenossenschaft an Kolonisationsunternehmungen nicht empfehlen zu können, und es hält sich auch das Gesetz, wie es aus Ihren damaligen Berathungen hervorging, genau innerhalb der Grenzen, welche theils durch den Wortlaut des Art. 34 der Bundesverfassung, theils durch ihre Stellungnahme gegenüber eine weitere Intervention des Bundes fordernden Anträgen vorgezeichnet worden sind.

225 6. Unterm 15. Dezember 1880, also kurz vor Annahme des Gesetzes, stellte Herr Nationalrath Joos folgende Motion: ,,Der Bundesrath ist eingeladen, die Frage zu untersuchen, oh und in welcher Weise ein oder mehrere für die Ansiedelung schweizerischer Auswanderer geeignete überseeische Landkomplexe zu erwerben seien, und darüber Bericht und Antrag zu hinterbringen."1 Dieselbe wurde aber unterm 20. desselben Monats abgelehnt.

7. In ihrem Berichte über die Geschäftsführung des BundeKrathes und des Bundesgerichtes während des Jahres 1880, vom 20. Mai 1881, also genau 17 Tage nach Annahme der Eingangs dieser Botschaft aufgeführten Motion, spricht sich die Kommission des Ständerathes folgendermaßen über die Frage aus : ,,Das Auswanderungswesen gehört auch zu denjenigen Fragen, welche die öffentliche Meinung unseres Landes mit Recht, wiewohl in verschiedenen und selbst ganz entgegengesetzten Richtungen, beschäftigen. Während man einerseits die Auswanderung unserer Mitbürger nach der neuen Welt als etwas Günstiges und Aufmunterungswürdiges ansieht, erblicken dagegen viele Andere in dem Abgange einer namhaften Anzahl leistungsfähiger Männer, die ihre Kräfte künftig jenseits des Meeres statt für das Vaterland verwerthen, einen wahren Verlust für letzteres. Was sodann die leider nur zu zahlreichen Individuen betrifft, welche nach Amerika oder sonst in die Ferne gehen, unter solchen Verhältnissen, daß voraussichtlich statt Glück und Wohlstand nur Elend und Enttäuschung ihr Loos sein wird, so kann man die Leute und die Behörden nicht genug tadeln, welche zu dieser Auswanderung ermuthigen oder drängen. Es kann daher die Kommission die Stellung nur gutheißen, welche das Handels- und Landwirthschafts-Uepartement einnahm, indem dasselbe, von verschiedenen Seiten dazu gedrängt, an Sehritten für Begünstigung oder selbst Provozirung der Auswanderung thätigen Antheil zu nehmen, dies abgelehnt und dahin Stellung genommen hat, die Auswanderung lediglich als eine Thatsache anzusehen, die zu verhüten nicht in seiner Macht steht, und sieh darauf zu beschränken, denjenigen, welche durchaus ihre Heimat verlassen wollen, den nöthigen Schutz zu sichern. Die Kommission hält dafür, daß dies die wahre Rolle der obersten Exekutivbehörde der Eidgenossenschaft ist, und empfiehlt letzterer, sich so lauge mit derselben zu begnügen,
bis die Bundesversammlung eine andere Anschauung eintreten läßt."

8. Unterm 19. März 1884 hatte der Nationalrath eine weitere Motion des Herrn Dr. Joos, mit welcher der Bundesrath eingeladen werden sollte, Bericht und Antrag zu bringen, ob und wie weit Bnndesblatt. 39. Jahrg. Bd. III.

IG

226 er seine Vermittlung eintreten lassen wolle, behufs Erwerbung von zur Niederlassung auswandernder Schweizer geeigneten Ländereien,, obwohl diese Motion noch von 38 andern Mitgliedern des Käthes mitunterzeichnet war, abgelehnt.

Wir wollen auch nicht unerwähnt lassen, daß die schweizerische gemeinnützige Gesellschaft, welche seit mehr denn zwanzig Jahren sich mit der Auswanderungsfrage ernstlich beschäftigt hat, in ihrer Jahresversammlung vom September 1885 sich ebenfalls und entschieden gegen eine Begünstigung der Auswanderung durch den Staat ausgesprochen hat, indem sie nach Anhörung eines einläßlichen Referates eines ihrer MitgliederfolgendeThesen aufstellte : 1) Die Auswanderung muß zur Zeit als ein normales, nationalökonomisches Faktum betrachtet werden.

2) Die Rolle des Staates ist, in der freien Entscheidung der zur Auswanderung geneigten Personen neutral zu bleiben; er soll die Auswanderung nicht begünstigen, sondern nur den Auswanderer gegen solche Unternehmungen schützen, vvelche auf seine Unerfahrenheit spekuliren.

Diese Abneigung gegen eine Begünstigung der Auswanderung und Betheiligung des Staates an Kolonisationsunternehmungen ist nur zu sehr gerechtfertigt. Mit einer solchen Betheiligung würde der Bund eine Verantwortlichkeit übernehmen, der er unter Umständen absolut nicht gerecht werden könnte. Darüber sind alle Nationalökonomen einig, daß, um zu kolonisiren, ein Staat ein Küstenland sein und eine Flotte haben muß. Ohne eine solche wird eine Kolonie früher oder später sich dem Einfluß des Mutterlandes vollständig entziehen. Daß durch Anlegen von Kolonien der Handel und die Industrie des Mutterlandes belebt werden, hat sich fast immer als Illusion erwiesen. Der Handel ist kosmopolitisch ; er kauft und verkauft, wo der Absatz resp. das Bezugsgebiet am günstigsten zu sein scheint und keineswegs aus patriotischen Motiven.

Ja, wenn unser Staat über das Meer hinaus sein Gebiet erweitern und dieses Gebiet festhalten könnte, dann wären unsere Kolonisten dem Mutterlande nicht verloren; diese Kolonien würden, wie diejenigen Englands, einen großartigen Austausch von Natur- und Industrieerzeugnissen zur Folge haben, welcher ebenso sehr im Interesse des Mutterlandes wie der Kolonien läge ; für eine staatliche Entwicklung der Kolonie im Geiste des Mutterlandes wäre hinreichende Garantie
gegeben. In Kolonien aber wie die angestrebten, ist das alles nicht möglich; unsere Angehörigen müssen sich nicht allein die mitunter sehr traurigen Institutionen des Ansiedlungslandes ge-

227 fallen lassen, sie werden auch wirthschaftlich von uns getrennt durch Schutzzölle, wie sie z. B. von Nordamerika und der argentinischen Republik aufgestellt worden, Schutzzölle, welche nicht allein die gehoffte Erweiterung unseres Absatzes illusorisch machen, sondern geradezu unseren eigenthümlichen Industriezweigen aus unserem Lande stammende, mit unsern Hülfsmitteln erzogene Konkurrenten schaffen, so daß wir in Wahrheit mit unsern eigenen Waffen bekämpft werden.

Indessen, wenn auch ein positiver Nutzen, wegen dessen die Auswanderung von Staatswegen zu fördern wäre, noch nicht nachgewiesen ist, so könnte uns dieselbe doch vielleicht von Uebeln befreien. Als solche Uebel werden uns bezeichnet die U e b e rv ö l k e r u n g , die aus derselben angeblich resultirende A r m e n n o t h und die n i e d r i g e n L ö h n e . Diese Argumente scheinen gewichtig genug und werden auch von so Vielen für richtig gehalten, daß -wir Ihnen durchaus einige Aufmerksamkeit schenken müssen.

Vor Uebervölkerung hat man sich bei uns bekanntlich schon gefürchtet, als unsere Bevölkerung kaum die Hälfte der jetzigen betrug und man hat damit u. A. die Militärkapitulationen, die gesetzlichen Ehehindernisse u. s. w. zu rechtfertigen gesucht. Und jetzt machen die Nachkommen den Vorfahren den Vorwurf, das sei eine abergläubische Ausrede der Trägheit gewesen, welche es nicht verstund, Landwirtbschaft und Industrie zu entwickeln. Angesichts der vielen Erzeugnisse der Landwirthschaft und der Industrie, welche noch jetzt °in die Schweiz eingeführt werden, während sie bei uns ebenso gut produzirt werden könnten, wenn Einsicht und Geschick dafür vorhanden wären, müssen wir befürchten, es werden einst unsere Nachkommen dieselben Vorwürfe gegen uns erheben. So lange übrigens diese Verhältnisse so stehen, halten wir es geradezu für unmöglich, durch künstliche Maßregeln unsere Bevölkerung dauernd zu vermindern. Zur Zeit der letzten Volkszählung lebten allerdings etwa 234,000 Schweizer im Ausland, nämlich*): in Frankreich 66,281 Schweizer: i m deutschen Reich .

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. 28,241 ,, in Italien 12,104 ,, ,, Oesterreich-Ungarn .

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6,714 w ,, Belgien .

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890 in der Schweiz geborne Einwohner; *) S. die Abhandlung: Die Schweizer in der Fremde von Jos. Durrer in der Zeitschrift für schweizerische Statistik, Jahrgang 1885, 1. und 2.

Quartalheft, Seite 85 u. ff.).

228 in Großbritanniens und Irland .

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4,466 in der Schweiz geborene Einwohner; ^ andern europäischen Staaten circa .

985 Schweizer; ,, den Vereinigten Staaten von Amerika . 88,621 in der Schweiz geborene Einwohner; ,, der Argentinischen Republik.

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. 12,100 Schweizer; ,, Kanada 4,588 ,,· ,, andern amerikanischen Ländern außer Brasilien u n d Peru, circa .

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100 ,, ,, Algier .

3,024 ,, .

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432 ,, w andern afrikanischen Ländern ,, Australien, circa .

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. 2,300 ,, ,, Asien .

802 ,, Dagegen ist aber auch die Zahl der in der Schweiz sich aufhaltenden (nicht in der Schweiz eingebürgerten) Ausländer gestiegen. Hören wir auch über diesen Punkt das eidgenössische statistische Bureau, das sich im ersten, die -Resultate der Volkszählung vom 1. Dezember 1880 veröffentlichenden Bande (pag. XXXI) folgendermaßen vernehmen läßt: ,,Wir müssen aber, mit unsern bevölkerungsstatistischen Ergebnissen in der Hand, noch auf eine andere Gefahr aufmerksam machen, welche uns selbst dann bedroht, wenn wir auch nur in bisheriger Weise die Auswanderung gewähren lassen, d. h. den Uebeln nicht abzuhelfen suchen, welche zur Vermehrung0 der Auswanderung führen. Wir zählten im Jahr 1850 in der Schweiz 2,321,170 Schweizerbürger, im Jahre 1880 dagegen 2,635,067, d. h. etwa 1/s mehr. Wir zählten aber im Jahre 1850 in der Schweiz 71,570 Ausländer, im Jahre 1880 dagegen 211,035, d. h.

fast die dreifache Zahl ! *) Einzig im letzten Jahrzehnt hat sich die normale ausländische Bevölkerung in der Schweiz durch große Geburtenüberschüsse und zahlreichen Zuzug von außen (die vielen unterdessen eingebürgerten Ausländer nicht einmal gerechnet) um 70,000 vermehrt, ungefähr ebensoviele, als unterdessen Schweizer ausgewandert sind. Jeder auswandernde Schweizer ist durch einen Ausländer ersetzt worden. Diese in geometrischer Progression sich *) Das deutsche Keich mit einer Bevölkerung von circa 46 Millionen hatte am 1. Dezember 1880 nur 276,057 Ausländer, also eine Kleinigkeit mehr als die Schweiz bei einer Bevölkerung von circa 2,846,000 Einwohner.

Unter jenen im deutschen Reiche sich aufhaltenden Ausländern befinden sich 28,241 Schweizer, während die Schweiz 95,262 Deutsche beherbergt, mit Ausnahme der Vereinigten Staaten mehr als irgend ein Land der Welt.

t

229 vollziehende Zunahme der Fremden, deren Zahl jährlich 1,08B2 mal stärker wird, während diejenige der Schweizerbürger nur l,0044 mal, ladet uns ein zu dem Rechenexempel : Wann würde -- die Fortdauer dieser Vermehrungskoeffizienten vorausgesetzt -- die Zahl der Ausländer in der Schweiz die Zahl der Bürger in derselben erreichen? Antwort: im Jahre 1963! Wir halten nun zwar eine anhaltende Vermehrung der Fremden in der Schweiz in diesem Maßstabe als unwahrscheinlich; aber das wäre doch möglich, daß in einzelnen Kantonen der Schweiz mit der Zeit die Einwohner deutscher oder italienischer Herkunft zur Mehrheit gelangen könnten und daß alsdann, wenn diese noch immer zum größern Theile von der Leitung der öffentlichen Angelegenheiten ausgeschlossen, mit derselben aber unzufrieden wären, daraus ernste Schwierigkeiten entstehen könnten, wie wir sie in andern Ländern von gemischter Bevölkerung schon jetzt beobachten können.

Es kann natürlich heutzutage nicht die Rede davon sein, durch Zwang die auswanderungslustigen Schweizer zurück-, die einwanderungslustigen Fremden fern zu halten. Aber die Frage müssen wir uns stellen, woher es komme, daß so viele Schweizer aus Mangel an lukrativer Arbeit (so behauptet man) wegziehen, während eine fast gleiche Zahl von Ausländern Arbeit und guten Verdienst bei uns findet? Wir werden in einer spätem Publikation Gelegenheit finden, auf die große Zahl nicht bloß von Erdarbeitern und Dienstboten, sondern auch von Gärtnern, Köchen, Bäckern, Metzgern, Maurern, Gypsern, Schreinern, Schlossern, Zimmerleuten Kaufleuten, Apothekern, Künstlern und Gelehrten hinzuweisen, welche in der Schweiz mit Erfolg ihr Auskommen suchen, während wir dieselbe für übervölkert erklären. Und zu diesem Import von Arbeitskräften kommt ein noch viel größerer von Arbeitsprodukten aller Art, welche wir von Außen beziehen müssen, während wir an Arbeitern Ueberfluß zu haben erklären. Wie stimmt diese starke Verwendung von fremden Arbeitskräften und fremden Arbeitsprodukten zu der Klage, daß wir überflüssige Arbeiter haben und unsere Arbeitsprodukte nicht mehr absetzen können? Haben wir etwa unsere Arbeiter ohne Rücksicht auf unsere Bedürfnisse, also planlos, erzogen? Produziren wir etwa planlos, d. h. ohne genügende Berücksichtigung der wirklichen Nachfrage?

So viel ist, angesichts dieser Thatsachen,
schon jetzt klar, daß wir aus dem Vorhandensein nicht beschäftigter Arbeiter nicht sofort den Schluß ziehen dürfen: also leiden wir an Uebervölkerung und müssen die Auswanderung von Staatswegen fördern. ,,Die Klagen wegen Uebervölkerung, sagt Röscher, sind in den meisten Fällen eben nur eine abergläubische Ausrede der Trägheit, welche

230 den Druck der Volksvermehrung empfindet, ohne sich dadurch zur Vermehrung der Unterhaltsmittel spornen und helfen zu lassen."

(Röscher, die Grundlagen der Nationalökonomie, 1875, Seite 612.)

Und in seinem gemeinschaftlich mit R. Jannasch herausgegebenen Werke über Kolonien, Kolonialpolitik und Auswanderung, Leipzig 1885, pag. 332 sagt derselbe Verfasser: ,,Man entsage also der Hoffnung, als wenn eine wirkliche Uebervölkerung durch bloße Auswanderung leicht zu heilen wäre. Die große Mehrzahl der Menschen glaubt immer, was sie wünscht, und gerade auf diesem Gebiete, wo die Spekulation in gewisser Hinsicht den allerschrankenlosesten Spielraum hat, gibt es nur zu viele eigennützige, zum Theil sogar seelenverkäuferische Interessen, welche den Auswanderungsrausch noch fortwährend zu steigern suchen.

Nun ist aber jede übertriebene Meinung, welche sich ein ganzes Volk über den Nutzen der Auswanderung bildet, ein großes Unglück. Die Volksvermehrung, wie die Menschen einmal sind, hat bei der großen Allgemeinheit und Stärke des Geschlechtstriebes und der Kinderliebe regelmäßig die Tendenz, gerade so weit zu gehen, wie da,s Maß der Nahrungsmittel (im weitern Sinne des Wortes), mit den üblichen Bedürfnissen verglichen, irgend verstattet. Dieses Naturgesetz ist in seiner Art ebenso unzweifelhaft, wie das Gesetz der Schwere. Jede Erweiterung des Nahrungsspielraumes, wenn die sonstigen Lebensgewohnheiten unverändert bleiben, zieht ein Wachsen der Einwohnerzahl nach sich; und zwar muß eine allgemein vorausgesetzte Erweiterung in dieser Hinsicht ziemlich dieselben Polgen haben, wie eine wirklich eingetretene.

Hegen z. B. jetzt, wo die Auswanderung so gewaltig im Schwung ist, Millionen Deutsche die Ansicht, daß nicht bloß die Auswanderer selbst dadurch in eine zufriedenstellende Lage kommen, sondern auch die Zurückbleibenden sich behaglich ausdehnen können, so werden unfehlbar auf diese Hoffnung hin zahlreiche Ehen geschlossen und Kinder gezeugt werden, die sonst unterblieben wären.

Dies kann natürlich, war die Voraussetzung falsch, die etwa vorhandene Uebervölkerung nur noch schlimmer machen, im höchsten Grade schlimmer machen, wenn dabei solche kolossale Unwahrheiten geglaubt werden, wie die von den fünf Millionen Deutschen, welche schon zu Anfang der vierziger Jahre im Gebiete der Vereinigten Staaten
gewohnt hätten ! "· Angesichts der in unserm Lande der Auswanderung parallel laufenden Einwanderung muß jeder Versuch, durch künstliche Pflege der Auswanderung unsere Bevölkerungszahl zu vermindern, absolut scheitern. Wir glaubten an die Ausführbarkeit eines solchen Experiments nicht einmal in dem Falle, wenn wir im Stande wären,

231 die E i n w a n d e r u n g zu v e r h i n d e r n . Da nämlich bei uns noch jetzt die jungen Männer durchschnittlich erst nach zurückgelegtem 29., die Mädchen nach zurückgelegtem 26. Altersjahre heirathen, so ist vorauszusehen, daß in demselben Verhältnisse, als durch Auswanderung Verdienstgelegenheiten, Grundstücke, G-emeindenutzungen, Quellen der Wohlthätigkeit frei werden, die Möglichkeit zur Verheirathung in Jüngern Jahren geschaffen und sofort benutzt werden wird *), wenn man nicht in dieser Beziehung soeben niedergerissene Schranken wieder aufrichten will. Wie also der Staat durch künstliche Mehrung der Auswanderung die Zahl der Arbeiter vermindern, die Löhne erhöhen kann, so lange die bisherigen Löhne eine hinlängliche Aufmunterung zur Volksvermehrung bieten, ist nicht abzusehen.

Noch trügerischer aber erscheint uns die Hoffnung, durch Förderung der Auswanderung die A r m e n l a s t zu vermindern.

Die wirklichen Armen, d. h. die arbeitsunfähigen Erwachsenen und hülflose Kinder darf man gar nicht in dieser Weise abschieben; und wenn leider gleichwohl in früheren Jahren notorisch von mancher Oemeinde Krüppel, Blinde, Schwächlinge und Waisenkinder abgeschoben worden sind, so sind die schlimmen Ergebnisse solcher Auswanderung auch nicht ausgeblieben ; auch hat dieselbe strenge Gegenmaßregeln Seitens der nordamerikanischen Staaten herbeigeführt. Es können vernünftiger Weise nur solche Leute die Ansiedlung in fremden, unkultivirten Ländern versuchen, welche nebst nicht unbedeutenden finanziellen Hülfsmitteln auch in hohem Grade die Fähigkeit besitzen, sich selbst zu helfen; Leute, welche, wenn sie daheim blieben, in ihrer Mehrzahl an den öffentlichen Lasten mittragen würden.

Aehnlich spricht sich das bereits zitirte Werk von Röscher und Jannasch (Seite 336) aus: ,, A u c h g l a u b e N i e m a n d , daß Menscrhen, welche bei uns wirklich unbrauchbar sind, in den Kolonien g e b r a u c h t w e r d e n k ö n n t e n . 0 nein! Man bezahlt den Arbeiter dort gut, aber man verlangt auch viel von ihm. Ich könnte eine Menge von Aeußerungen der Kolonisten anführen, wonach sich diese gegen Uebersiedlung aus den englischen Armenhäusern auf das Heftigste sträuben. Diejenigen Klassen, welche *) Noch nirgends hat sich mit der Aaswanderung die Bevölkerung auf die Dauer vermindert; der Abgang wird immer
ergänzt durch ein Mehr von Heirathen und Geburten, schreibt Herr Dr. Joos auf Seite 3 seiner Schrift: Ueber Schutzaufsicht, Organisation und Leitung der schweizerischen Auswanderung, 1864.

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bei uns am leichtesten zur Auswanderung bereit sind -- Müßiggänger und unruhige, veränderungssüchtige Köpfe; Familienväter mit allzu vielen Kindern; endlich Gewerbtreibende, welche durch einen Umschwung der Industrie ihr Brod verloren haben -- gerade diese finden jenseits des Weltmeeres am schwersten Beschäftigung.

So kamen z. B. nach Australien zu einer Zeit, als dort im Allgemeinen die lebhafteste Nachfrage nach Arbeit herrschte, drei Regierungssehiffe mit Einwanderern. Das eine war mit Feldarbeitern von Sussex und Kent besetzt, das zweite mit Auswanderern aus Gloucestershire, welche früher größtenteils in Fabriken gearbeitet hatten, das dritte mit Irländern. Wie ganz verschieden aber die Leichtigkeit, womit diese Leute in ihrer neuen Heimat ein Unterkommen fanden! Die Feldarbeiter gingen schon in den ersten Tagen reißend ab (were rapidly engaging) ; die bisherigen Fabrikarbeiter nur mit ziemlicher Schnelligkeit (only tolerably well); von den armen Irländern hingegen konnte die Hälfte durchaus keinen Dienst bekommen. Während der ersten 14 Tage nach ihrer Ankunft empfangen diejenigen Einwanderer, welche nicht anders zu bleiben wissen, freie Kost und Wohnung in den Barraken des Staates; hernach werden sie natürlich ausgewiesen. Ein großer Theil jener Iren fiel darauf der Mildthätigkeit des Publikums zur Last. Wie würde es da jenen unglücklichen schlesischen Webern ergangen sein, die auch in ihrer Heimat zum Feldbau, Holzfällen etc.

zu schwach waren? Einwanderer, welche schon über 40 Jahre alt sind, weigern sich die meisten Kolonisten geradezu, auf ihre Kosten anzunehmen. Nun aber kann ein junger Arbeiter, der geistige und körperliche Tüchtigkeit besitzt, auch in Europa überall noch durchkommen; nur die Schwächeren werden im Gedränge der Uebervölkerung zu Boden getreten."

Und an einer andern Stelle (S. 351): ,,So lange dagegen die bisherige Form der Auswanderung fortdauert , muß ich jede kostspielige Beihülfe des Staates für eine Thorheit erklären Wer möchte diejenigen Kinder der große» Volksfamilie, welche dem Vaterhause treu bleiben wollen oder müssen, zu einem Tribute an diejenigen zwingen, die der Heimat für immer den Rücken kehren wollen? Zumal ja den reichern Daheimbleibenden aus der Bmigration schon von selbst der privatwirthschaftliche Nachtheil höherer Arbeitslohnzahlungen erwächst?
Zugleich aber auch ja keine regelmäßige Auswanderung zum Zweck der Armenpflege ! Das ist nicht die rechte A r t , die Hydra de» Pauperismus zu bekämpfen; für jeden Kopf, den man nach Amerika verpflanzt hätte, würden daheim in der Regel zwei neue hervorwachsen. Oder es müßte die schreckliche Absicht zu Grunde

233

liegen, die Arinenhauspfleglinge eben, nur los zu werden , sie auszusetzen unter der Maske der Auswanderung.11 Die Hoffnung, ohne Konflikte zu riskiren, sich durch die Auswanderung der für das Gemeinwesen nachtheiligen Elemente zu entledigen, schrumpft somit für unser Land, das keine eigenen Kolonien hat und haben kann, auf ein Minimum zusammen; die Auswanderung beansprucht vielmehr tüchtige, unternehmende Kräfte, und auch diese dürfen sich nicht Illusionen hingeben. Die unparteiischen Berichte unserer Konsuln lauten ganz anders als die oft schwindelhaften Prospekte und Anpreisungen der Agenten. Herr Generalkonsul Hitz, in Washington berichtete unterm 28. April 1876, die zum Anbau günstig gelegenen und geeignetsten Ländereien seien in den Vereinigten Staaten zum größern Theil schon besetzt.

Schon unterm 23. November 1868 schrieb er: ,,nur wenige können sich einen Begriff machen, wie schwierig es für einen Landesfremden ist, vom Heimstättegesetz Nutzen zu ziehen. Er (sie !) bedenkt nicht, daß er sich in der Auswahl des Landes der Konkurrenz erfahrener Landeseinwohner, sowie ihrer Freunde und Verwandten auszusetzen hat, wenn er nicht von allen Verkehrswegen entfernt sich ansiedeln will, und es ihm nicht an allen Vortheilen, welche Schulen, Kirchen und ärztliche Hülfe anderswo bieten, mangeln soll, ja daß er sogar nicht selten in lebensgefahrlicher Lage oder wenigstens beständig allen möglichen Beraubungen seiner Habe und seines Viehes ausgesetzt ist. Es glückt überhaupt selten einem Ausländer, gerade sehr günstig gelegenes Land zu finden, welches sieh noch ira Besitze der Bundesregierung befindet. Ferner ist die Landwirthschaft hier an abgelegenen Orten eine so verschiedenartige von der heimatlichen, daß der einwandernde Landsmann Alles von Neuem zu lernen hat. Hat er genügende Mittel, so wird sich dieses auch schon mit der Zeit anfassen lassen. Ohne Geldmittel jedoch, nur mit dem guten Willen, sollte Keiner daran denken, sich hiesiges Regierungsland unter den Bedingungen des Heimstättengesetzes aneignen zu wollen. Es ist kaum nothwendig anzuführen, daß Leute, welche gelbst in der Heimat dem Ackerbau fremd waren, allfällige Geldmittel bald eingebüßt haben, und wenn sie nichts besitzen, unfehlbar in's Elend gerathen (Siehe auch unsern Geschäftsbericht pro 1686, Bundesbl. 1887 II, Seite 492 u. ff.)-
Das sind die Schwierigkeiten im nächsten und fortgeschrittensten Ansiedlungsland ; wir haben ein Bild von den Opfern nicht blos an Geld, sondern an Arbeitskraft, welche zu einem gedeihlichen Erfolg erforderlieh sind. Diese Schwierigkeiten würden nicht gemindert dadurch, daß viele Familien sich zusammen ansiedeln, welchen allen dasselbe mangelt.

Die Erfahrung beweist, daß dadurch das Risiko bei Mißgriffen

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vermehrt, die Initiative der Einzelnen gelähmt, die Gewöhnung au Sprache und Sitte des Ansiedlungslandes, ohne welche das selbstständige Fortkommen nicht möglich ist, verzögert wird. So haben Spekulationsgesellschaften, welche zu keinen Opfern verpflichtet sind, ihre Kapitalien eingebüßt. Welche Summe würde das Kolonisiren erst den Bund kosten, wenn eine P f l i c h t desselben, eine Kolonie aufrecht zu halten, ausgesprochen würde ! ? Angesichts dieser Opfer stehen wir nicht an, zu erklären, daß die Auswanderung vom Standpunkte der Volkswirtschaft aus im Allgemeinen als Verlust zu bezeichnen sei, zu dessen Vermeidung die Landesbehörden ihr Möglichstes thun sollten; für den Auswanderer ist sie meistentheils eine gewagte Unternehmung und so sehr bedingt durch das Glück und durch persönliche Initiative, abhängig von allerlei Umständen, die außerhalb des Machtbereiches unserer Landesbehörden liegen, so daß dieselben eine schwere Verantwortung auf sich laden würden durch Begünstigung und Empfehlung solcher Unternehmungen.

Es schien uns nicht überflüssig, diesen den bisherigen Beschlüssen der Bundesversammlung in der Auswanderungsfrage zu Grunde liegenden Standpunkt wiederum etwas einläßlicher zu besprechen , da immer von Neuem von den Beförderern der Auswanderung diese als das letzte Rettungsmittel des Vaterlandes, das Loos der Kolonisten, verglichen mit dem Leben des schweizerischen Arbeiters, als ein Eldorado dargestellt und Letzterer aufgefordert wird, seine Heimat und ein menschenwürdiges Dasein in den Urwäldern Nordamerikas oder unter den spanischen und portugiesischen Völkerschaften Mittel- oder Südamerikas zu suchen.

Man würde uns aber mißverstehen, wenn man aus unserer Auseinandersetzung die Folgerung ziehen wollte, es sei der Auswanderung wieder mit Erschwerungen oder gar Verboten entgegenzutreten.

Wir würden eine Erschwerung der Auswanderung ebenso bedauerlich finden, als eine künstliche Förderung derselben. Erstere beschränkt die Verwerthung der Arbeitskraft zu Gunsten des inländischen Arbeitgebers; letztere bevorzugt Denjenigen, welcher außer seinem Heimatlande sein Glück sucht auf Unkosten derjenigen, welche mit dem Vaterlande Freud und Leid tragen; wenn weit getrieben, würde daraus sogar eine Begünstigung der Eheschließung im Auslande. Halten wir uns nur vor Augen, daß auch die Arbeitskraft
eine Waare ist, welche mit Recht sich frei verwerthen will und vergegenwärtigen wir uns, wie die Lehre der Volkswirtschaft einerseits über Ausfuhrverbote (in Friedenszeiten), andererseits über Ausfuhrprämien urtheill, so ist uns auch der einzig gerechte Standpunkt bei Beurtheilung der Auswanderung gegeben: sie soll frei sein; sie hat

235 ebenso gut wie der sonstige Verkehr mit dem Auslande das Recht auf Schutz gegen Gefährde; aber sie hat kein Recht auf Prämirung auf Unkosten der Zurückbleibenden. Der Staat, welcher die Auswanderung prämirt, ist ebenso sehr in Gefahr, die naturgemäße Zirkulation der Arbeitskräfte zu stören, wie derjenige, welcher sie verhindert. Wenn der Arbeitsmarkt bei uns überfüllt ist, so ist, so lange der Zustand anhält, die Auswanderung der natürliche Abfluß dieser überflüssigen Arbeitskräfte; der Staat soll ihn nicht machen, er macht sich von selbst ; er hört aber auch von selbst auf bei der Wiederkehr normaler Verhältnisse, sofern nicht der Staat durch irgend eine Partei sich verleiten läßt, in solche Dinge hineinzukünsteln.

Es bleibt auch nach dem Grundsätze, daß der Staat die Auswanderung gewähren zu lassen und dieselbe gegen Gefährde zu schützen hat, für denselben noch genug zu thun, wenn er sich der zur Auswanderung entschlossenen Leute ebenso annehmen will, wie er sich des Exporthandels annimmt, d. h. wenn er auch in dieser Richtung für die Sicherheit des Verkehrs sorgt.

Während wir gestützt auf diese Ausführungen einerseits die Richtigkeit der den beiden Postulaten zu Grunde liegenden Anschauungen bestreiten und Ihnen deßhalb beantragen müssen, denselben keine Folge zu geben, erklären wir uns andererseits bereit, zum Schutze der Auswanderer alle Vorkehrungen zu treffen, die in unserer Macht liegen und nicht den Charakter einer Ermuthigung zur Auswanderung an sich tragen.

Wir benutzen diesen Anlaß, Sie, Tit., unserer ausgezeichneten Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 6. Juni 1887.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Droz.

»

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

236 (Entwurf)

Bundesgesetz betreffend

den Geschäftsbetrieb von Auswanderungsagenturen*).

Die B u n d e s v e r s a m m l u n g der schweizerischen Eidgenossenschaft, in Vollziehung des Art. 34, Alinea 2, der Bundesverfassung, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrathes vom 6. Juni 1887, beschließt: Art. 1. Die im Artikel 34, Alinea 2, der Bundesverfassung vorgesehene Aufsicht über den Geschäftsbetrieb der Auswanderungsagenturen wird vom Bundesrathe unter Mitwirkung der kantonalen Behörden ausgeübt.

Den letztern liegt i n s b e s o n d e r e ob: a. Die Vorprüfung d a r ü b e r , ob die Requisite, von denen das Gesetz die Ausstellung ei n e s P a t e n t e s o d e r d i e G e n e h m ig u n g der Anstellung von Unteragenten abhängig macht, bei den Agenten oder U n t e r a g e n t e n v o r h a n d e n sind; b. die B e s t r a f u n g s o l c h e r P e r s o n e n , welche, ohne d a z u b e f u g t z u s e i n , Auswanderungsgeschäfte betreiben oder bei solchen b e h ü l f l i c h sind; *) Das Gesperrte ist neu oder abgeändert.

237

e. d i e B e s t r a f u n g u n b e f u g t e r P u b l i k a t i o n e n b e t r e f f e n d die B e f ö r d e r u n g von Auswanderern.

Art. 2. Wer sich mit der geschäftsmäßigen Beförderung von Auswanderern aus der Schweiz o d e r mit dem g e s c h ä f t s m ä ß i g e n Verkauf von Passagebilleten befassen will, bedarf hiefür ein vom Bundesrathe ausgestelltes Patent.

Wird eine Auswanderungsagentur von einer Gesellschaft betrieben, so ist der Gesellsehafts vertrag oder eine beglaubigte Abschrift desselben bei dem Bundesrathe zu hinterlegen, demselben der Name des zur Geschäftsführung Bevollmächtigten anzugeben, sowie jede spätere Aenderung mitzutheilen.

Der Bundesrath gibt hievon den Kantonsregierungen Kenntniß.

Art. 3. Patente dürfen nur aolchen Agenten oder Bevollmächtigten einer Agenturgesellschaft ertheilt werden, welche sich darüber ausweisen, daß sie 1) einen guten Leumund genießen und in bürgerlichen Rechten und Ehren stehen; 2) mit der Geschäftsführung der Auswanderung vertraut und im Stande sind, die sichere Beförderung der Auswanderer zu besorgen; 3) innerhalb der Eidgenossenschaft ein festes Domizil haben.

Für das P a t e n t ist e i n e jährliche Gebühr von Fr. 50 zu e n t r i c h t e n .

Der Bundesrath hat das Recht, das Patent zurückzuziehen, wenn der Inhaber desselben die in diesem Artikel, Ziffer l bis 3, vorgeschriebenen Bedingungen nicht mehr erfüllt, oder wenn er sich einer schweren o d e r ö f t e r n Uebertretung der Vorschriften dieses Gesetzes (Art. 15) schuldig macht, oder wenn er sich bei einem Kolonisationsunternehmen betheiligt, bezüglich dessen der Bundesrath zu einer Warnung sich veranlaßt gesehen hat.

238 Der Agent, der auf sein Patent verzichten will, hat dies dem Bundesrathe zu erklären und demselben das Patent zurückzustellen.

Art. 4. Jede Auswanderungsagentur hat gegen Empfangnahme des Patentes eine Kaution von Fr. 40,000 z u H ä n d e n des B u n d e s zu hinterlegen. Bei der Anstellung je eines Unteragenten haben die A g e n t u r e n e i n e w e i t e r e K a u t i o n v o n F r . 3000 z u leisten.

Die Kaution ist in eidgenössischen oder kantonalen Staatsobligationen oder in andern guten ö f f e n t l i c h e n W e r t h p a p i e r e n zu leisten.

Wenn aus irgend einem Grunde die geleistete- Kaution im Werthe sieh mindert, so hat der Deponent sofort Ersatz zu leisten ; andernfalls ist der Bundesrath berechtigt, der betreffenden Agentur das Patent zu entziehen.

Die K a u t i o n von Fr. 40,000 darf erst nach Ablauf eines Jahres, vom Erlöschen des Patentes an gerechnet, zurückgestellt werden. Sofern dannzumal noch Ansprüche gegen die Auswanderungsagenten vorliegen, so bleibt der erforderliche Betrag der Kaution bis zur gänzlichen Erledigung der Ansprüche stehen. Die R ü c k e r s t a t t u n g der je nach der Zahl der Unteragenten zu l e i s t e n d e n K a u t i o n e r f o l g t a l l e z w e i Jahre.

Die Kaution dient zur Sicherheit für Ansprüche, welche nach Maßgabe dieses Gesetzes von den Behörden oder Auswanderern oder den Rechtsnachfolgern der letztern geltend gemacht werden können.

Art. 5. Den Agenten ist gestattet, sich mit Unteragenten zu versehen.

Diese dür fen w e d e r Bea m te n o c h A n g e s t e l l t e des B u n d e s sein u n d müssen die nämlichen Bedingungen (Art. 3, Ziffer l bis 3) erfüllen, wie die Hauptagenten.

Ihre Anstellung unterliegt der Genehmigung des Bundesrathes und ist der Polizeidirektion des Kantons, in welchem sie ihr Domizil haben, zur Kenntniß zu bringen.

239

Für jede G e n e h m i g u n g oder A e n d e r u n g in dem Bestände der Unteragenten hat die Haupta g e n t u r eine G e b ü h r zu e n t r i c h t e n , de r en Höhe v o m B u n d e s r a t h f e s t g e s e t z t wird.

Wenn ein Unteragent zu begründeten Klagen Anlaß gibt, so kann der Bundesrath die Genehmigung zu seiner ferneren Verwendung zurückziehen, und es ist der Betreffende sofort zu entlassen.

Es ist den Agenten untersagt, für den Verkehr zwischen ihnen und den Auswanderern andere Personen als U n t e r a g e n t e n , welche den Behörden bekannt sind und von ihnen kontrolirt werden, zu v e r w e n d e n . A u c h die Unteragenten dürfen für diesen Verkehr nicht andere Personen verwenden.

Art. 6. Die Agenten sind sowohl gegenüber den Behörden als gegenüber den Auswanderern für ihre eigene Geschäftsführung und die ihrer Unteragenten, sowie für die ihrer Vertreter im Auslande persönlich verantwortlich.

Art. 7. Die Namen der patentirten Agenten, der Bevollmächtigten annerkanter Gesellschaften und ihrer Unteragenten werden sofort nach ihrer Eintragung in die amtliche Kontrole, sowie in jährlichen Zusammenstellungen durch das Bundesblatt veröffentlicht.

Den Personen, welche nicht auf diese Weise öffentlich bekannt gemacht sind, ist in der Schweiz jede auf die Beförderung von Auswanderern sich beziehende Publikation untersagt.

Art. 8. Die Hauptagenten und U n t e r a g e n t e n haben eine eingebundene und paginirte Kontrole über ihre Vertragsabschlüsse und gebundene und paginirte Kopirbücher über ihre Korrespondenzen zu führen. Er s ter e sind verpflichtet, dem Bundesrathe alle von ihm über diese Verträge, sowie ü b e r i h r V e r h ä l t n i ß z u d e n f r e m d e n Schiffsgesellschaften verlangten Mittheilungen zu machen.

240 Ueberdies ist diese Behörde, sowie die kantonale Polizeidirektion, jederzeit zur Einsicht in die Geschäftskontrole und in alle Bücher und Skripturen der Hauptagenten und Unteragenten berechtigt.

Dieselben sind verpflichtet, den Polizeibehörden allen von diesen verlangten Aufschluß behufs Fahndung auf Verbrecher zu ertheilen.

Art. 9. P e r s o n e n , G e s e l l s c h a f t e n öd er A g e n t u r e n , welche in irgend einer Eigenschaft ein Kolonisationsunternehmen vertreten, haben dies dem Bundesrathe anzuzeigen und ihm über das Unternehmen vollständigen Aufschluß zu geben.

Dem B u n d e s r a t h steht in j e d e m e i n z e l n e n Falle die En t s c h e i d u n g d a r ü b e r zu, ob und unter w e l c h e n B e d i n g u n g e n P r i v a te n , G e s e l l s c h a f t e n oder Agenturen gestattet werden k a n n , ein Kolonisationsunternehmen zu vertreten.

Art. 10. Den Agenten ist verboten die Beförderung : 1) von Personen, die wegen vorgerückten Alters, Krankheit oder Gebrechlichkeit arbeitsunfähig sind, sofern nicht eine hinlängliche Versorgung derselben am Bestimmungsorte nachgewiesen ist; 2) von Personen unter 18 Jahren, es sei denn, daß sie von zuverläßigen Personen begleitet werden, oder daß für ihre gehörige Unterkunft am Reiseziel gesorgt ist; vorbehalten ist die s c h r i f t l i e h e Einwilligung seitens der Inhaber der väterlichen oder vormundschaftlichen Gewalt; 3) von Personen, [welche nach Bestreitung der Reisekosten ohne Hülfsmittel am Bestimmungsorte anlangen würden; 4) von Personen, denen die Gesetze des Einwanderungslandes den Eintritt verbieten ; 5) von Personen, welche keine Ausweisschriften über Herkunft und Bürgerrecht besitzen, sowie von militar-

241 dienstpflichtigen Schweizerbürgern, die sich nicht ausgewiesen, daß sie die vom Staate erhaltenen Militäreffekten zurückerstattet haben.

Verträge und Reverse irgend einer Art, welche entgegen diesen gesetzlichen Bestimmungen verabredet werden, sind ungültig und strafbar.

Art. 11. D i e A g e n t e n h a b e n bei Uebernahme von G e l d b e t r ä g e n , deren Gegen w e r t h am vertragsmäßigen Bestimmungsort d e r selben

den

G e g e n vv e r th

am

Bestimmungsort

b a a r, o h n e A b z u g u n d zu e i n e m K u r s in der Schweiz geleisteten E i n z a h l u n g entspricht, wobei in Normalzeiten die jeweiligen "We c h s e l k u r s e der h a u p t s ä c h l i c h s t e n europäischen

B a n k p l ä t z e a u f d i e b e treffe n d e n

Art. 12. Die Verpflichtung der Agenten gegen den .Auswanderer umfaßt in allen Fällen : 1) sichere Beförderung der Personen und ihres Gepäcks um einen bestimmten, im Vertrage festgesetzten, in keinem Falle und in keiner Weise zu erhöhenden Preis bis an den vertragsmäßigen Bestimmungsort, vorbehalten die nach Ziffer 5 und 6 dieses Artikels erwachsenden Zuschläge; Für den Transport vom Schiffe bis zur Landungsstelle dürfen keine besondern Spesen berechnet werden; 2) genügende, gesunde und reinliehe Verpflegung und Beherbergung auf der ganzen Reise, den Fall ausgenommen, daß der Auswanderer sich vorbehält, während der Landreise selbst für Kost und Logis zu sorgen; 3) unentgeltliche ärztliche Behandlung; 4) anständige Bestattung bei Tod auf der Reise; Bundesblatt. 39. Jahrg. Bd. III.

17

242

5) Versicherung des Gepäcks nach einem vom Bundesratk genehmigten und in dem Vertrag enthaltenen Tarif;, 6) Versicherung der Familienhäupter gegen Unfall während der Dauer der Reise bis zur Ankunft am Bestimmungsort für Fr. 500 per Kopf; Die Prämie hiefür ist im Vertrage anzugeben. Der bezügliche Tarif unterliegt der Genehmigung des Bundesrathes ; 7) bei Aufenthalt oder Verzögerung auf der Reise ohnenachweisbare Schuld des Auswanderers vollständige Verpflegung und Beherbergung des Auswanderers und, im Falle die beabsichtigte Beförderungsgelegenheit nicht vorhanden oder nicht ausreichend wäre, prompte anderweitige Beförderung mindestens ebenso guter Art wie die im Vertrag angegebene.

Art. 13. Bei der Beförderung der Auswanderer sind, folgende Vorschriften zu beobachten : 1) Die Beförderung auf Eisenbahnen hat in gut geschlossenen Per son en waggons zu geschehen, worin nur soviele Personen untergebracht werden dürfen, als Sitzplätze vorhanden sind.

2) Die Beförderung zu Wasser darf nur auf Schiffen derjenigen Gesellschaft geschehen, welche im Reisevertrage genannt ist. Diese Schiffe müssen zum Transport von Auswanderern autorisirt, hiefür mit bleibenden Einrichtungen versehen sein, eine Trennung der Geschlechter ermöglichen, einen Arzt mit sich führen und einer polizeilichen Kontrole über ihre Beschaffenheit am Orte der Abfahrt unterliegen.

3) Der Auswanderer hat unter keinen Umständen über die irn Vertrag festgesetzten Leistungen hinaus Nachzahlungen zu machen oder Trinkgelder, Hospitalgelder oder sonstige Gebühren zu entrichten.

4) Es darf der Fahrpreis weder ganz noch theilweise in.

persönlichen Dienstleistungen bestehen.

243

5) Es darf keine Selbstbeköstigung während der Seereise stattfinden, sondern die Speisen müssen dem Auswanderer in g u t e r Q u a l i t ä t und gehörig zubereitet geliefert werden.

6) Alle Transporte von Auswanderern mit überseeischem Reiseziel, welche nicht von einem Agenten oder Unteragenten begleitet sind, hat die Agentur an den Haltstationen und im Einschiffungshafen durch einen Bevollmächtigten in Empfang nehmen zu lassen. Bis zur Abfahrt des Schiffes darf der Begleiter die Auswanderer nicht verlassen.

7) Die Agenten haben Vorsorge zu treffen, daß die Auswanderer bei der Ankunft im Landungshafen von einem Bevollmächtigten der Agentur empfangen werden, es sei denn, daß die Behörden des Landungsplatzes den Auswanderern mit Auskunft und Rath an die Hand gehen.

Wenn von Seite des Agenten den in Ari. 12 und 13 enthaltenen Bestimmungen nicht nachgelebt wird, so ist der Auswanderer berechtigt, von dem Vertrage zurückzutreten und gegen den Agenten auf Schadenersatz zu klagen.

Art. 14. Die Auswanderungsverträge müssen schriftlich in zwei gleichlautenden Exemplaren abgefaßt sein, von denen das eine dem Auswanderer übergeben wird, das andere in den Händen des Agenten verbleibt.

Der Vertrag muß enthalten : 1) die genaue Namensbezeichnung, Geburtsjahr, Heimat und Wohnort des Auswanderers, sowie die Reiseroute und den Bestimmungsort, bis zu welchem der Agent die Beförderung übernommen hat; 2) die genaue Angabe der Abreisezeit, sowie, im Falle des Transportes über Meer, der Sehiffsgelegenheit und des Tages der Abfahrt; 3) die Bestimmung des Raumes auf dem Schiffe, den der Auswanderer für sich, eventuell seine Familie, und sein Gepäck in Anspruch zu nehmen berechtigt ist;

244

4) die genaue Angabe (in Worten und Zahlen) des Transport- und Versicherungspreises für Personen und Gepäck ; der P r e i s des ü b e r s e e i s c h e n I n l a n d fahrbillets ist in dem Vertrage besonders vorzumerken; 5) die Wiedergabe der Art. 12, 13, 18 und 19 dieses Gesetzes ; 6) die Bestimmung, daß, wenn ein Auswanderer wegen nachgewiesener Erkrankung o d e r a n d e r w e i t i g e r u n v e r s c h u l d e t e r V e r h i n d e r u n g d i e Reise nicht an tre ten oder n i c h t fortsetzen k a n n , der Agent verpflichtet ist, die für die Beförderung des Auswanderers und seiner bei ihm bleibenden Angehörigen bezahlten Beträge zurückzuerstatten, unter Abzug jedoch der für Abschluß oder theilweise Ausführung des Vertrages erwachsenen Auslagen.

Der Auswanderungsvertrag darf den Auswanderern nirgends und unter keinem Verwände abverlangt werden.

Der Bundesrath kann für die Abfassung von Auswanderungsverträgen ein verbindliches Formular aufstellen.

Art. 15. Die Agenten werden, wenn sie selbst oder ihre Unteragenten oder Vertreter in oder außerhalb der" Schweiz dem gegenwärtigen Gesetze zuwiderhandeln, vom Bundesrathe mit Fr. 20 bis Fr. 1000 gebüßt, unbeschadet der zu stellenden Entschädigungsklagen. Beim Vorhandensein erschwerender Umstände wird ihnen überdies das Patent entzogen.

Art. 16. Personen, welche in der Schweiz unbefugt A u s w a n d e r u n g s g e s c h ä f t e betreiben oder bei s o l c h e n behülflich sind, o d e r s i c h u n b e f u g t e r W e i s e a n e i n e m Kolonisationsunt e r n e h m en b e t h e i l i g e n , o d e r e n d l i c h s o l c h e , d i e P u b l i k a t i o n e n erlassen, welche vom B u n d e s r a t h untersagt s i n d (Art. 20, Z i f f . 1), werden von Amtes wegen oder auf Klage hin den kantonalen Gerichten überwiesen und mit

245

Fr. 50 bis Fr. 1000, im Wiederholungsfalle mit Gefängniß bis auf sechs Monate bestraft.

Art. 17. Entschädigungsklagen von Auswanderern oder ihren Rechtsnachfolgern sind bei dem zuständigen Gerichte des Kantons anzubringen, in welchem der Vertrag schriftlich abgeschlossen worden ist.

Von den auf G r u n d d e r Art. 16 und 17 des Gesetzes ausgefällten U r t h e i l e n haben die zus t ä n d i g e n K a n t o n s b e h ö r d e n dein B u n d e s r a t h e K e n n t n i ß zu geben.

Art. 18. Die schweizerischen Konsuln in den S e e h ä f e n sind beauftragt, jede Reklamation von schweizerischen Auswanderern wegen Verletzung der ihnen zugesicherten Bedingungen unentgeltlich zu prüfen, insofern die Reklamationen i n n e r h a l b 9 6 S t u n d e n n a c h A n k u n f t d e r R e k l a m a n t e n g e m a c h t werden. Finden sie eine solche Reklamation begründet, so haben sie über den Fall ein Protokoll aufzunehmen und eine Abschrift davon an das vom Bundesrathe beauftragte Departement einzusenden.

Art. 19. Ein Protokoll, welches im Auslande durch einen Schweizerkonsul oder durch einen Auswanderungskommissär oder eine andere, zu einem solchen Akte nach dortigen Gesetzen kompetente Person aufgenommen wird, gilt als Beweis, mit Vorbehalt des Gegenbeweises.

Art. 20. Der Bundesrath wird die zur Vollziehung des gegenwärtigen Gesetzes nöthigen Réglemente erlassen.

Ihm steht die Berechtigung zu, zu verbieten : 1) Annoncen in Öffentlichen Blättern oder andere Publikationen jeder Art, welche geeignet sind, Personen, die auswandern wollen, in frrthum zu führen ; 2) die Benutzung von Transportgelegenheiten, welche den Bestimmungen dieses Gesetzes nicht entsprechen oder zu begründeten Klagen Anlaß geben.

246

Art. 21. Die A u f s i c h t des B u n d e s r a t h es ü b e r d i e Auswanderungsagenten u n d d i e K o n t r o l e ü b e r die D u r c h f ü h r u n g des Gesetzes wird durch das v o m B u n d e s r a t h h i e m i t b e a u f t r a g t e D e partement ausgeübt. Demselben w i r d zu diesem Zwecke ein besonderes Bureau beigegeben, w e l c h e s sich m i t d e n b e t r e f f e n d e n S t e l l e n i n anderen Staaten in Verbindung setzen und auf gestelltes Verlangen Personen, welche auswandern wollen, mit den nöthigen Auskünften, Räthen und E m p f e h l u n g e n v e r s e h e n wird. « Der B u n d e s r a t h kann i n n e r h a l b der Grenzen des Budgets zum Schutze von A u s w a n d e r e r n u n d K o l o n i s t e n a u c h Spezialmissionen anordnen.

Art. 2 2 . D a s ß u n d e s g e s e t z b e t r e f f e n d d e n Geschäftsbetrieb von Aus w ä n d e r u n g s a g e n t u r e n v o m 24. D e z e m b e r 1880, s o w i e alle kantonalen Gesetzesbestimmungen und Verordnungen, welche dem gegenwärtigen Gesetze widersprechen, sind mit dem Inkrafttreten des l e t z t e r n aufgehoben.

Insbesondere darf kein Kanton mehr von einem Auswanderungsagenten, Unteragenten oder Auswanderer eine Kaution oder irgend eine Gebühr, außer den gewöhnlichen mit der Niederlassung verbundenen Steuern und Abgaben, erheben.

Art. 23. Der Bundesrath wird beauftragt, auf Grundlage des Bundesgesetzes vom 17. Brachmonat 1874, betreffend die Volksabstimmung über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse, die Bekanntmachung dieses Gesetzes zu veranstalten und den Beginn der Wirksamkeit desselben festzusetzen.

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Botschaft des Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend die Revision des Bundesgesetzes über den Geschäftsbetrieb von Auswanderungsagenturen vom 24.

Dezember 1880. (Vom 6. Juni 1887.)

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18.06.1887

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