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Kreisschreiben des

Bundesrathes an sämmtliche eidgenössische Stände, über die Durchführung des Bundesgesetzes betreffend Maßnahmen gegen gemeingefährliche Epidemien, vom 2. Juli 1886.

(Vom 4. November 1887.)

Getreue, liebe Eidgenossen!

In Vollziehung des Bundesgesetzes betreffend Maßnahmen gegen gemeingefährliche Epidemien übergeben wir Ihnen unter heutigem Datum das in Art. 8, Alinea l, vorgesehene Reglement, welches die Grundsätze feststellt, nach denen die in Art. 5, 6 und 7, Alinea 3, zugesicherten Vergütungen vom Bunde übernommen und bezahlt werden sollen.

Zugleich aber laden wir Sie ein, uns auch die Vol l z i e h n ugsve r O r d n u n g e n einzureichen, welche nach Art. 10 des Epidemiengesetzes in den Kreis der kantonalen Hechte und Pflichten gehören.

Um die, in obgenanntem Art. 10 vorgesehene Genehmigung zu erleichtern, die schriftlichen Unterhandlungen abzukürzen, und um die, bei der Vielgestaltigkeit und dem intensiven Verkehr unseres Vaterlandes ganz besonders nöthige Uebereinstimmung der kantonalen Maßregeln zu fördern, halten wir uns für verpflichtet, Ihnen die Standpunkte näher zu bezeichnen, von welchen wir Ihre Vorlagen zu beurtheilen gedenken.

B e h ö r d e n . Es ist nothwendig, daß in der Vollziehungsverordnung die Behörden bestimmt bezeichnet werden, welche mit der Ausführung der gesetzliehen Vorschriften und Anordnungen

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im Kanton, sowie in den einzelnen Gemeinden betraut und für dieselbe verantwortlich sind.

A n z e i g e . Die in Art. 3 des Epidemiengesetzes geforderte unverzügliche Anzeige soll bei Cholera wenigstens in den ersten 12 Stunden, hei den übrigen in Art. l genannten Krankheiten wenigstens in den ersten 24 Stunden nach der Wahrnehmung des Krankheitsfalles stattfinden.

S p i t a l b e h a n d l u n g . Art. 4, Alinea 2. Die amtlichen Eingaben, welche im Jahre 1884 gemacht worden sind, zeigen eine sehr große Verschiedenheit der Anschauungen. Während viele Gemeinden ganz zweckmäßige Absonderungslokale bereit hielten oder einzurichten sich anschickten, haben andere Gemeinden Räumlichkeiten und Einrichtungen vorgeschlagen, welchen alle und jede Bedingungen für eine humane Krankenpflege fehlten. Wir sind der Ansicht, daß ein Nothspital wenigstens folgende Eigenschaften besitzen muß: Es soll nicht in Häusermassen, noch auch sehr einsam liegen und gutes Wasser haben ; es soll in seinen Räumlichkeiten, sowie in Menge und Beschaffenheit des Wassers, des Mobiliars und besonders auch der Desinfektionseinrichtungen den gegenwärtigen Anforderungen an ein Krankenasyl entsprechen, auch muß dabei für ärztliche Hülfe und für Wartpersonal genügend gesorgt sein.

I s o l i r u n g. Art. 4 des Epidemiengesetzes. Die Begriffe sind erwiesenermaßen sehr schwankend und die Ungenauigkeit ist gefährlich, beim besteo Willen eine Selbsttäuschung. Unvollständige Isolirung ist ein Widerspruch in sich selber. Nur aus dem Grunde, weil die wirksame Isolirung mancherorts unmöglich ist, sind überhaupt Absonderungslokale und Nothspitäler erforderlich.

Zur ^gehörigen Isolirung" eines Kranken in seiner Wohnung halten wir für unerläßlich : daß er ein Zimmer für sich allein oder nur mit anderen gleichen Kranken gemein habe und darin eingeschlossen sei; daß dieses seine Fenster .in's Freie habe; auch nach seiner ganzen Beschaffenheit und Einrichtung als Krankenzimmer brauchbar sei ; daß die Personen, welche Abwart und Krankenpflege besorgen, mit dem Kranken in seinem Zimmer oder in einem anstoßenden, in gleicher Weise verschlossenen Zimmer verbleiben, nicht mit den

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übrigen Hausbewohnern verkehren und keinen Geschäften nachgehen. Diese letztere Forderung erseheint uns nöthig bei Flecktyphus und Pocken, nicht aber bei Cholera.

Der Austausch von Gefäßen, Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen soll vor der Thüre des Krankenzimmers, ohne unmittelbaren Verkehr der Personen und unter Anwendung passender Desinfektion (Eintauehen der leeren Geschirre in kochendes Wasser) stattfinden.

Die Isolirung muß eingehalten werden, bis der Krankheitsfall ganz abgelaufen und bis die Desinfektion in ihrem ganzen Umfange regelrecht und vollständig ausgeführt worden ist.

Die A u s l o g i r u n g G e s u n d e r , Art. 4, Alinea 2, hat nach dem Maßstabe unserer Beurtheilung stattzufinden : wenn der Kranke nicht gehörig isolirt werden kann, oder auch, bei drohender Gefahr, aus Wohnungen, welche besonders übervölkert und unreinlich gehalten sind, ganz besonders aus Häusern, welche sich als Ansteckungsherde erwiesen haben.

Die U e b e r w a c h u n g , Art. 4, erster Absatz, ist als nothwendige Ergänzung der Isolirung wie der Auslogirung aufzufassen und soll sich erstrecken : auf die Bewohner eines Hauses, in welchem ein Kranker gehörig isolirt ist, und zwar während der ganzen Krankheitsdauer und nachher noch 3 Wochen ; auf die Familie eines Erkrankten ; auf die Auslogirten ; auf Massenquartiere.

Die Ueberwachung kann durch Hausbesuche eines von der Behörde hiezu bestellten Arztes oder, wo es sich um Einzelne handelt, durch deren Vorstellung im Hause dieses Arztes stattfinden.

Diese Auslogirten können ihren Geschäften nachgehen, so lange sie gesund und unverdächtig sind.

Kinder aus Pocken- und aus Flecktyphushäusern müssen von der Schule und Kirche zurückgehalten werden.

Freiwillig Auslogirte, Choleraflüchtlinge etc. sind in gleicher Weise, jedoch auf ihre eigenen Kosten, zu kontroliren.

Als A e r z t e können wir nur solche anerkennen, welche den eidg. Befäliigungsausweis besitzen.

D i e V o r s c h r i f t e n ü b e r D e s i n f e k t i o n , ebenso d i e j e n i g e n ü b e r K r a n k e n - u n d L e i c h e n t r a n s p o r t u n d über

479 die V e r k e h r s a n s t a i t e n hat das Gesetz in Art. 6 und 7 unmittelbar dem Bunde zugewiesen, damit dieser, dem raschen Gange der Wissenschaft und Technik folgend, jeweilen erst beim Auftreten einer Epidemie möglichst zeitgemäß und gleichartig vorgehe.

Wir haben Ihnen deßhalb hierüber keine Vorschläge zu machen und die verschiedenen kantonalen Einrichtungen gegenwärtig nicht zu berühren und vertrauen auf die Wachsamkeit Ihrer Sanitätsbehörden, welche nicht ermangeln werden, veraltete Vorschriften rechtzeitig zu erneuern.

Nachdem wir die, der Meinungsverschiedenheit vorzugsweise unterworfenen Begriffe der Nothspitäler, der Isolirung und der Auslogirung einer nähern Bestimmung unterworfen haben, verweisen wir Sie in allen andern Punkten auf den klaren Wortlaut des Gesetzes selber und laden wir Sie noch ganz besonders ein, allen Maßregeln der öffentlichen Gesundheitspflege, als der einzigen zuverlässigen Prophylaxis gegen Epidemien, Ihre ernste Aufmerksamkeit und Arbeit zuzuwenden.

Im Uebrigen benützen wir den Anlaß, Sie, getreue, liebe Eidgenossen, sammt uns dem Machtschutze Gottes zu empfehlen.

B e r n , den 4. November 1887.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Droz.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

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12.11.1887

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