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Botschaft des

Bundesrathes an die Bundesversammlung betreffend die eidgenössische Gewährleistung der infolge Partialrevision vom 7. April15. Mai 1887 veränderten Art. 64--70 der Verfassung des Kantons Neuenburg.

(Vom 13. Juni 1887.)

Tit.

Der Staatsrath des Kantons Neuenburg hat uns mit Schreiben vom 6. Juni 1887 in authentischer Ausfertigung die vom Großen Rathe dieses Kantons am 7. April beschlossene und vom Volke desselben am 15. Mai 1887 mit 6771 von 11,733 Stimmen angenommene Partialrevision der kantonalen Verfassung vorgelegt und uns ersucht, die nöthigen Schritte zu thun, damit die neuen Verfassungsbestimmungen die ßundesgarantie erhalten. Die Revision beschlägt die Art. 64--70 der Verfassung des Kantons Neuenburg, das heißt den von den Bürgergemeinden und Einwohnergemeinden handelnden Abschnitt; sie führt die E i n h e i t der G e m e i n d e v e r w a l t u n g im Kanton Neuenburg ein.

Um Ihnen die konstutionelle Neugestaltung dieser Verhältnisse zu veranschaulichen, haben wir die beiden Verfassungstexte, den bisherigen und den neuen, hiernach einander gegenübergestellt.

Die Prüfung der Vorlage ergibt, daß die Revision vom 15. Mai 1887 nichts enthält, was der Bundesverfassung zuwider wäre, weßhalb wir Ihnen die Genehmigung und Gewährleistung derselben beantragen.

Empfangen Sie, Tit., auch bei diesem Anlasse die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 13. Juni 1887.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Droz.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Ringier.

331 (Entwurf)

Bundesbeschluß betreffend

die eidgenössische Gewährleistung der Artikel 64--70 der Verfassung des Kantons Neuenburg vom 7. April/15. Mai 1887.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht der Botschaft und des Antrages des Bundesrathes vom 13. Juni 1887 über die vom Großen Rathe des Kantons Neuenburg am 7. April 1887 beschlossene Revision der Art. 64--70 der Staatsverfassung, in B e t r a c h t , daß die Artikel ,64, 65, 66, 67, 68, 69 und 70 der neuenburgischen Verfassung nach dem durch den Revisionsbeschluß vom 7. April 1887 ihnen gegebenen Inhalte mit der Bundesverfassung in keinem Widerspruche stehen, und daß sie in der Volksabstimmung vom 15. Mai 1887 angenommen worden sind, beschließt: 1. Den erwähnten Verfassungsbestimmungen des Kantons Neuenburg wird die Bundesgarantie ertheilt.

2. Der Bundesrath ist mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

332 Anhang.

Verfassung des Kantons Neuenburg18ö®.

1887.

Von den Bürger-Gemeinden und den Einwohner-Gemeinden.

Von den Gemeinden.

Art. 64.

Art. 64.

Die Verfassung kennt, neben oder außer den drei von ihr aufgestellten, keine Gewalten. Sie gilt als gemeinsames Gesetz für alle Bürger und Korporationen des Staates, welchen Namen sie auch tragen.

Alle Vorrechte und alle Freiheiten, alle politischen Rechte, die nicht in gegenwärtiger Verfassung anerkannt werden, sind aufgehoben.

Das Gesetz regelt die Polizeibefugnisse, welche durch die Bürger- und die Einwohnergemeinde ausgeübt werden.

Unter dem Namen ,,Gemeinde* sind die Bürgergemeinde oder eigentliche Gemeinde und die Einwohner-Gemeinde oder Munizipalität zu einheitlicher Verwaltung vereinigt ; die Gemeinde verwaltet die Gesammtheit der öffentlichen Güter und besorgt die öflentliehen Geschäfte der Ortschaft.

Art. 65.

Art. 65.

Alle Korporationen, welche sich ,,Bourgeoisies14 und ,,Communes" nennen, sollen in Zukunft die gemeinsame Benennung ,,Gemeinden14 annahmen und dem gleichen Gesetze unterstellt sein.

Das Gesetz bestimmt den Gebietsumfang der Gemeinden.

Auf Begehren der Betheiligten, oder im Falle des Bedürfnisses kann der Große Rath auf dem Wege der Gesetzgebung mehrere Gemeinden und deren Vermögen verschmelzen oder die Trennung einer Gemeinde in mehrere beschließen.

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Das Vermögen der Bürgergemeinde wird mit deren Armengut unter der Benennung ,,Bürgerfonds u verbunden.

Es dürfen blos die Erträgnisse der Bürgerfonds verausgabt werden, Schenkungen und Vermächtnisse, die dem Bürgerfonds zufallen, werden zum Kapitalstock geschlagen, sofern von den Schenkern nicht anderswie verfügt ist.

Wenn zu Lasten der Bürgergemeinde eine Schuldverbindliehkeit besteht, so wird das Gesetz zu deren Tilgung das Nöthige verfügen.

Die Gemeinden und ihreGüter, insbesondere diejenigen des Bürgerfonds, werden unter staatliche Garantie gestellt.

Die Gemeindegüter, die eine besondere Bestimmung haben, sollen dieser Bestimmung gemäß oder dem Willen der Geber entsprechend verwendet werden.

Die Erträgnisse der Gemeindegüter sind zur Deckung der Ausgaben der Ortschaft und der im allgemeinen Interesse liegenden, von Gesetzes wegen den Gemeinden auffallenden Verwendungen bestimmt.

Das Grundeigentum der Gemeinden kann nur iu Gemäßheit der gesetzlichen Vorschriften veräußert, verändert oder verpfändet werden und die Kapitalien derselben dürfen nur in dieser Weise angelegt werden.

Es ist ein allgemeines Inventar des Gemeindevermögens mit Schätzung aufzunehmen und dabei das Vermögen des Bürgerfonds genau auszuscheiden.

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Art. 66.

Die Verfassung gewährleistet die Gemeinde- und Korporationsgüter und stellt den Gemeinden die Verwaltung derselben anbei m.

Art. 66.

Das Gesetz ordnet das Gemeindeweson auf folgender Grundlage: 1) Das Gemeindebürgerrecht wird aufrecht erhalten; dasselbe wird durch Eintragung in einem Namens Verzeichnisse beurkundet.

2) In jeder Gemeinde bestehen naehgenannte Behörden: Ein Generalrath, der von sämmtlichen Stimmfähigen der Gemeinde zu wählen ist.

Ein Gemeinderath und eine Sehulkommission, welche beide vom Generalrath ernannt werden, und die Spezialkomissionen, deren Wahl das Gesetz vorschreibt oder zuläßt.

In den Gemeinden, deren Bevölkerung nicht eine gewisse, vom Gesetze zu bestimmende Mindestzahl erreicht, bildet die Gesammtheit der Stimmberechtigten den Generalrath. Es können indessen diese Gemeinden mit Zustimmung des Staatsrathes die Aufstellung eines zu wählenden Generalrathes beschließen.

3) Das Gemeindestimmrecht besitzen alle Diejenigen, denen das Gesetz dieses Recht verleiht.

4) Die in der Gemeinde wohnenden , stimmberechtigten Genieindebürger und gegenrechtlich die im Gemeindebezirk wohnhaften Burger anderer Gemeinden haben zu jeder Zeit das Recht, einen Aufsichtsrath zu bestellen, dem die Kon troie der Verwaltung des Bürgerfonds übertragen wird..

In diesem Falle können Ankauf, Verkauf, Umwandlung, Wieder-

335 anlegung beweglicher Güter, gleichwie Veräußerung, Veränderung oder Verpfändung von Liegenschaften nicht stattfinden, wenn sie nicht zuvor der Genehmigung dieses Käthes unterbreitet worden sind.

Im Streitfalle ist der Rekurs an den Staatsrath zuläßig.

Art. 67.

Der Ertrag dieser Güter soll vor Allem zur Deckung der örtlichen und allgemeinen Ausgaben verwendet werden, welche durch das Gesetz den Gemeinden und Korporationen auferlegt sind; diejenigen Gilter indessen, welche einer besondern Bestimmung zu dienen haben, sollen auch fernerhin dem Willen der Geber entsprechend verwendet werden.

Die Einwohnertaxe ist aufgehoben.

Art. 68.

Die Güter der Gemeinden und Korporationen stehen unter der direkten Aufsicht des Staates, welchem ein jährlicher Bericht betreffend deren Verwaltung einzureichen ist. Diese Aufsicht wird im ganzen Kantone gleichmäßig geübt.

Es soll ein Inventar und eine Schätzung der Gemeindegüter aufgenommen werden; die Ausführung ist dem Staatsrathe übertragen.

Art. 67.

Die Gemeinden stehen unter der unmittelbaren Aufsicht des Staatsrathes ; sie haben ihm alljährlich ihren Voranschlag und ihre Rechnung vorzulegen.

Die Gemeindereglemente werden erst nach ihrer Genehmigung durch den Staatsrath vollziehbar.

Art. 68.

Das Gesetz kann den Gemeinden die Unterstützung der dürftigen Bürger des Kantons Neuenburg übertragen und sie auf gewisse Fälle beschränken.

Diese Unterstützung fällt zur Last der Wohnsitzgemeinde, inner den vom Gesetze aufgestellten Schranken.

Sofern außer dem Kanton wohnende dürftige Neuenburger zu unterstützen sind, ist hiezu die Heimatgemeinde verpflichtet.

Die für Armenunterstützung nothwendigen Ausgaben werden aus dem reinen Ertrag des Bürgerfonds bestritten.

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Falls dieser Ertrag nicht hinreicht , wird das Gesetz die Nachhülfe bestimmen.

Art. 69.

Die nähere Organisation der Gemeinde und ihre Befugnisse werden durch das Gesetz bestimmt. Auf dem Wege der Gesetzgebung können, wenn das BedUrfniß vorliegt, Einwohnergemeinden errichtet werden, wobei die den Burgergemeinden hinsichtlich ihrer Güter garantirten Rechte zu wahren sind.

Art. 69.

Jeder volljährige Schweizerbürger, welcher während zehn Jahren im Kanton sieh aufgehalten und seit fünf aufeinanderfolgenden, in dem zehnjährigen Aufenthalt inbegriffenen Jahren in einer Gemeinde gewohnt hat, ist berechtigt, die unentgeltliche Aufnahme in das Bürgerrecht dieser Gemeinde zu verlangen.

Die Aufnahme erstreckt sich auf die Frau und die minderjährigen Kinder des Bewerbers.

Das Aufaahmegesuch muß mit einem vom Gemeinderathe ausgestellten Leumundszeugniß und dem Nachweiß begleitet sein, daß der Bewerber während der zehn vorangegangenen Jahre keinerlei Unterstützung seitens seiner Heimatgemeinde oder seines Heimatkantons erhalten und auch aus dem Armenfonds seines Wohnortes keine solche bezogen und daß er die öffentlichen Verpflichtungen regelmäßig ei-füllt hat.

Die Aufnahme kann verweigert werden, wenn nachgewiesen wird, daß der Gesuchsteller während der betreffenden Zeit durch die Privatwohlthätigkeit unterstützt worden ist.

Die Aufnahme erfolgt durch den Generalrath auf Antrag des Gemeinderathes. Sie unterliegt der Genehmigung desStaatsrathes.

Auf Grund derselben erwirbt der Betreffende das Kantonsbürger-

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recht und wird auf Veranlaßung des Gemeinderathes in den Bürgerrodel der Gemeinde eingetragen.

Die Verweigerung der Aufnahme muß begründet werden; es findet Beschwerde an den Staatsrath statt.

Das Gesetz regelt die in diesem Artikel nicht vorgesehenen Ausnahmefälle.

Art. 70.

Alle Réglemente der Bürgerund Einwohner-Gemeinden unterliegen der Genehmigung des Staatsrathes.

ßundesblatt. 39. Jahrg. Bd. III.

Art. 70.

Wenn nach Inkrafttreten der Artikel 68 und 69 der Verfassung eine Gemeinde jährlich für die Armenunterstützung mehr als die während der zehn vorhergegangenen Jahre durchschnittlieh hiefiir verwendete Summe auszugeben hat, so soll ihr diesfalls in dem vom Gesetze zu bestimmenden Maße und mit Inanspruchnahme der vom Gesetze vorzusehenden Mittel Rechnung getragen werden.

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Botschaft des Bundesrathes an die Bundesversammlung betreffend die eidgenössische Gewährleistung der infolge Partialrevision vom 7. April 15. Mai 1887 veränderten Art.

64--70 der Verfassung des Kantons Neuenburg. (Vom 13. Juni 1887.)

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1887

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18.06.1887

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330-337

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