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Kreisschreiben des

Bundesrathes an sämmtliche eidgenössische Stände, betreffend die Vollziehung des Bundesgesetzes über Haftpflicht vom 26. April 1887.

(Vom 25. Oktober 1887.)

Getreue, liebe Eidgenossen!

Wie Ihnen bekannt, wird gemäß unserm Beschluß vom 20. September abbin das B u n d e s g e s e tz b e t r e f f e n d die Ausdehnung der Haftpflicht und die E r g ä n z u n g des B u n d e s g e s e t z e s v o m 25. J u n i 1881 am 1. November nächsthin vollziehbar werden.

Wir sehen uns veranlaßt, betreffend den Vollzug dieses Gesetzes folgende Punkte Ihrer geneigten Aufmerksamkeit zu empfehlen.

1. Vor Allem wichtig erscheint uns, daß die betheiligten Kreise von den Gesetzen betreffend Haftpflicht genaue Kenntniß erhalten.

Wenn man in Betracht zieht, daß lange Jahre vergingen, bis das Haftpflichtgesetz vom 25. Juni 1881 auch nur einigermaßen Denjenigen , für welche es bestimmt war, bekannt wurde, und sich erinnert, wie unbefriedigend und ungerecht die dadurch verursachten Zustände waren, so drängt sich der Schluß auf, daß in der Verbreitung der Kenntniß des neuen Rechts nicht genug gethan werden könne. Wir möchten Ihnen daher dringend an's Herz legen, für möglichst ausgiebige und wiederholte B e k a n n t m a c h u n g der Gesetze vom 1. Juli 1875, vom 25. Juni 1881 und vom 26. April 1887 sorgen zu wollen, damit Jeder genau wisse, woran er ist.

Zwei Beilagen-

201 2. Nach Art. 11 des letztgenannten Gesetzes sind die Kantonsregierungen beauftragt, für dessen Vollziehung besorgt zu sein.

Indem wir diese Bestimmung speziell hervorheben, möchten wir angelegentlich betonen, daß eine e n e r g i s c h e Durchführung der Vorschriften des Gesetzes gleich, von Anfang an durchaus nothwendig ist. Wir empfehlen Ihnen sehr, den letztern in diesem Sinn Ihre volle Aufmerksamkeit zuwenden und besonders auch die Ihnen untergebenen Organe zu strikter Diensterfüllung anhalten zu wollen.

Wenn wir die Vorschriften des Gesetzes, welche von den Regierungen entweder sofort in Vollzug zu setzen, oder aber sonst besonders im Auge zu behalten sind, resümiren, so treten folgende in den Vordergrund : a. Es ist dafür zu sorgen, daß nach Vorschrift von Art. 5 folgende Bestimmungen des Bundesgesetzes betreffend -die Arbeit in den Fabriken ihre Anwendung finden : (Art. 2, letzter Satz:) ,,Zum Schutze der Gesundheit und zur Sicherheit gegen Verletzungen sollen überhaupt alle erfahrungsgemäß und durch den jeweiligen Stand der Technik, sowie durch die gegebeneu Verhältnisse ermöglichten Schutzmittel angewendet werden."

(Art. 4:) ,,Der Fabrikbesitzer ist verpflichtet, von jeder in seiner Fabrik vorgekommenen erheblichen Körperverletzung oder Tödtung sofort der kompetenten Lokal behörde Anzeige zu machen. -Diese hat über die Ursachen und Folgen des Unfalles eine amtliche Untersuchung einzuleiten und der Kantonsregierung davon Kenntniß zu geben."

Was erstere Vorschrift betrifft, so weisen wir nur daraufhin, daß ein Hauptziel der Haftpflichtgesetzgebung darin besteht, eine Verminderung der Unfälle herbeizuführen, resp. den Betriebsunternehmer zu veranlaßen, durch entsprechende S i c h e r h e i t s v o r r i c h t u n g e n das Seinige hiezu beizutragen und sich gleichzeitig durch diese Abwehr Entschädigung bedingender Unfälle vor finanziellem Sehaden zu bewahren.

In Bezug auf letztere Vorschrift ersuchen wir Sie, speziell darauf dringen zu wollen, daß die U n f a l l a n z e i g e n mit größtmöglicher Regelmäßigkeit und Pünktlichkeit erfolgen; Nachläßigkeit ist unnachsichtlich zu ahnden. Bedauerlicher Weise läßt sogar gegenwärtig noch, nachdem das Bundesgesetz betreffend die Arbeit

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in den Fabriken schon vor zehn Jahren in Kraft getreten ist, die Befolgung jenes Art. 4 zu wünschen übrig.

b. A r t . 6 des Gesetzes lautet: ,,Die Kantone haben auf dem Gesetzgebungs- oder Verordnungswege dafür nu Sorgen, daß 1) den bedürftigen Personen, welche nach Maßgabe des gegenwärtigen Gesetzes odei; derjenigen vorn 1. Juli 1875 und 25. Juni 1881 Klage erheben, auf ihr Verlangen, wenn die Klage nach vorläufiger Prüfung des Falles sich nicht zum Voraus als unbegründet herausstellt, die Wohlthat des unentgeltlichen Reehtsbeistandes gewährt und Kautionen, Expertenkosten, Gerichtsgebühren und Stempeltaxen erlassen werden ; 2) Streitigkeiten dieser Art durch einen möglichst raschen Prozeßweg erledigt werden können. tt Wir ersuchen Sie, für beförderlichste Vollziehung dieses Artikels, soweit es nicht schon geschehen ist, besorgt sein und uns seinerzeit über die getroffenen Maßregeln B e r i c h t erstatten zu wollen.

c. Im Weitern ist vom 1. November an das in Art. 8 vorgesehene V e r z e i e h n i ß der e r h e b l i e h e n U n f ä l l e einzuführen.

Wir erinnern daran, daß unser Kreisschreiben vom 6. Januar 1882 folgende Definition für ,, e r h e b l i c h e " 1 Unfälle aufstellt, welche auch .fernerhin aufrecht erhalten bleibt : ,,Als erhebliche Körperverletzungen gelten solche, welche eine Arbeitsunfähigkeit von mehr als sechs Tagen nach sich ziehen."

Das Gesetz sieht ein vom Bundesrath für jenes Verzeiehniß aufzustellendes einheitliches F o r m u l a r vor. Wir übermitteln Ihnen beiliegend einige Exemplare desselben, wie es von uns in Vollziehung dieser Vorschrift beschlossen wurde. Für Ihren Bedarf wollen Sie selbst besorgt sein. Auf Verlangen wird Ihnen indeß die am Fuß des Formulars bezeichnete Buchdruckerei auf Ihre.

Kosten eine beliebige Anzahl der Formulare liefern.

Wollen Sie nicht übersehen, daß laut dem oben erwähnten Art. 8 des Gesetzes vom 26. April 1887 das Verzeiehniß der erheblichen Unfälle nach aufgestelltem Formular vom 1. November nächsthin an auch von den I n h a b e r n s ä m m t l i c h e r d e r j e n i g e n B e t r i e b e zu führen ist, welche unter dem Gesetze

203 vom 25. Juni 1881, somit auch unter demjenigen betreffend die Arbeit in den F a b r i k e n stehen.

Wir ersuchen Sie, für prompten Vollzug dieser Vorschriften betreffend das Unfallverzeichniß, welche die Ausübung einer Kontrole über die Befolgung der Haftpflicht wesentlich erleichtern und zur Vermehrung dieser Befolgung, bedeutend beitragen werden, Ihr Möglichstes thun zu wollen.

"O" d. Außer der Erstattung der ersten Anzeige (Art. 4 des Bundesgesetzes betreffend die Arbeit in den Fabriken, vergi, oben litt, a) und der Führung des Verzeichnisses der Unfälle (Art. 8, Abs. 1.

des Rundesgesetzes vom 26. April 1887, vergi, oben litt, c.) liegt d e m Betriebsunternehmer, a u c h d e m u n t e r d e m G e s e t z e v o m 25. J u n i 1881 s t e h e n d e n , nach Art. 8, Abs. 2 des Gesetzes vom 26. April 1887 ob, der zuständigen Behörde folgende Angaben zu machen : 1) wann die vorgeschriebene Anzeige bei der zuständigen Behörde gemacht, 2) welche Entschädigungen nach Maßgabe von Art. 6 des Gesetzes vom 25. Juni 1881 ausgerichtet worden, und 3) aus welcher Quelle diese geflossen sind.

Diese Mittheilung soll jeweilen gleichzeitig mit der bereits bestehenden über den A u s g a n g des U n f a l l s erfolgen. Es ist dies einerseits naturgemäß, andererseits wird so die Zahl der abzustattenden Meldungen um eine verringert.

W a s d i e vorgeschriebene M i t t h e i l u n g a n d e n e i d g e n ö s s i s c h e n F a b r i k i n s p e k t o r d e s betreffenden Kreises betrifft, so wird das hiefur in den Kreissehreiben des schweizerischen Eisenbahn- und Handelsdepartements vom 28. November und 17. Dezemberl878 vorgesehene System beibehalten. Das damals eingeführte F o r m u l a r muß jedoch einige durch das Gesetz vom 26. April 1887 bedingte Erweiterungen erfahren. Einige Exemplare desselben in der Form, wie es von nun an verwendet werden soll, liegen bei; bezüglich dessen Beschaffung gilt das Nämliche, was oben betreffend das Formular für das Unfallverzeichniß bemerkt wurde.

Wir verweisen endlich noch auf den l e t z t e n A b s a t z des A r t . 8 und empfehlen dessen strengen Vollzug.

e. Ein Mittel von großer Wirksamkeit, durch welches verhütet werden soll, daß Arbeitoehrner die ihnen aus Haftpflicht zukommenden Entschädigungen nicht erhalten, ist das in Art. 9, Abs. l des Gesetzes vom 26. April 1887 gegebene. Wir können nicht umhin, auch hier wieder hervorzuheben, wie wichtig eine aufmerk-

204 same Vollziehung dieser Vorschrift sein wird; diese darf unbedingt nicht todter Buchstabe bleiben, soll nicht das vom Gesetz aufgestellte Kontrolsystem betreffend die Leistung der Haftpflichtentschädigungen ganz oder theilweise wirkungslos bleiben.

3. Man könnte sich fragen, ob nicht, wie es beim Bundesgesetz betreffend die Arbeit in den Fabriken der Fall war, eine A u f n a h m e s ä m m t l i c h e r B e t r i e b e , welche unier d a s Gesetz vom 26. April 1887 fallen, stattfinden sollte. Bei näherer Untersuchung wird man jedoch sofort über die Unmöglichkeit der Ausführung dieses Planes klar. Das Gesetz umfaßt ja eine Reihe von Betrieben, welche nur ganz vorübergehend sind, bald dahin, bald dorthin dislozirt werden oder gar ambulanter Natur sind ; andererseits werden ihm gewisse ,,Dienstverrichtungen" und ,,Hülfsarbeiten" unterstellt, welche nicht immer als etwas Konkretes existiren, sondern nur m ö g l i c h e r w e i s e eintreten. Bei diesen Verhältnissen ist die Aufnahme eines Verzeichnisses, wie es für das Fabrikgesetz besteht, offenbar nicht möglich; Art. 10 sieht vor, daß der Bundesrath in jedem einzelnen gegebenen Zweifelsfalle zu entscheiden habe.

4. Was die in Art. 11 vorgesehene K o n t r öl e d e s B u n d e sr a t h e s betrifft, so werden wir dieselbe vorläufig in analoger Weise.

wie bisher, durch unsere Organe, namentlich durch die Herren.

Fabrikinspektoren, ausüben lassen. Die Erfahrung wird zeigen, ob es beim Bisherigen sein Bewenden haben könne. Die kleine Zahl und die anderweitige bedeutende Inanspruchnahme der Inspektoren erheischt vorläufig eine um so intensivere Thätigkeit der zuständigem kantonalen Organe.

Wir erwarten zuversichtlich, daß Sie das Ihrige in der Lösung: der neuen Aufgabe beitragen werden, und benutzen diesen Anlaß,, Sie, getreue, liebe Eidgenossen, sammt uns in Gottes Machtschute zu empfehlen.

B e r n , den 25. Oktober 1887.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Droz.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

Zu Seite 204.

Fol \ ff . ,

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der

vorgekommenen erheblichen Unfälle.

beim Geschäftsbetrieb der firma..

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Spezielle Beschäftigung.

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Ausgang

4rt der Verletzung.

derselben.

des Verletzten.

Wann erfolgte die gesetzliche Anzeige?

Ausgerichtete Entschädigungen (Art. 6 des Gesetzes vom 25. Juni 1881).

(Quelle derselben.

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

29.10.1887

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200-204

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