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Bericht der

Minderheit der Kommission des Nationalrathes, betreffend den Rekurs der Regierung des Kantons Luzern in Sachen der Mariahilfkirche.

(Vom 26. April 1887.)

Tit.

Die Minderheit Ihrer Kommission stimmt grundsätzlich dem Beschlüsse des Ständerathes bei; ihre Redaktion unterscheidet sich nur dadurch von demselben, daß sie ausdrücklich sagt, was in demselben nur zwischen den Zeilen gelesen werden muß. Sie glaubt damit spätem, durch die ständeräthliche Fassung nicht ausgeschlossenen Konflikten vorzubeugen und eine Frage definitiv aus Abschied und Traktanden der Bundesversammlung zu entfernen, die längst Jedermann gerne begraben sehen möchte.

Die Minderheit Ihrer Kommission ging von folgenden Erwägungen aus: 1) Der Beschluß der Regierung von Luzern vom 6. Januar 1884, welcher der Stadtgemeinde Luzern die Ueberlassung der Mariahilfkirche an die Christkatholiken für ihren Gottesdienst untersagte, war ein s t a a t s r e c h t l i c h e r Beschl uß, kein r i c h t e r l i c h e s Verbot, sondern eine Verfügung, welche die Regierung kraft ihres Aufsichtsrechtes über die Gemeinden erließ und welche nicht vor dem Richter angefochten werden konnte.

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2} Dieser Beschluß stützte sich nun freilich nicht nur auf eine staatsrechtliche (Art. 50, Absatz 2, der Bundesverfassung), sondern auch auf eine privatrechtliche Erwägung (§ 7, litt, e der Sönderungskonvention vom 4. November 1800); allein für die Rechtsgültigkeit des Beschlusses der Regierung ist nur die erstere maßgebend, weil die letztere, falls sie von ihr zur wirksamen Geltung hätte gebracht werden wollen, nicht in einem staatsrechtlichen, sondern in einem richterlichen Verbot ihren Ausdruck hätte finden müssen.

3) Mit dem Ständerath geht die Minderheit Ihrer Kommissiou darin einig, daß die staatsrechtliche Erwägung aus Art. 50, Absatz 2 der Bundesverfassung nicht zutreffend ist ; sie unterscheidet sich nur dadurch vom Ständerath, daß sie aus diesem Vordersatze auch die einzig logische Konsequenz zieht : die Aufhebung des s t a a t s r e c h t l i c h e n Verbotes der Regierung.

Geschieht dies nicht, so bleibt es ungewiß, ob zufolge des Entscheides der Bundesversammlung der Beschluß noch zu Recht bestehen oder als dahingefallen zu betrachten sein wird.

Hierüber spricht sich der Ständerath nicht aus ; wir glauben aber, es liege im Interesse beider Theile, diese Frage hier definitiv zu entscheiden.

4) Der staatsrechtliche Beschluß der Lu/erner Regierung soll aber nicht aufgehoben werden, ohne derselben ihr Recht zu wahren, der Stadtgemeinde jede stiftungswidrige Benutzung der ihr eigenthümlich zugehöreaden Mariahilfkirche zu untersagen. Dieses Recht leitete aber die Regierung in der Begründung ihres Beschlusses nicht aus dem allgemeinen Aufsichtsrecht des Staates über die Verwaltung der Gemeindegüter (jährliche Rechnungslegung, Genehmigung von Veräußerungen oder Eingriffen in das Hauptgut) ab, sondern aus der ihr in der Sönderungskonvention ertheilten speziellen Befugniß, die Benutzung des Ursulinerinnenfonds inklusive die Mariahilfkirche Seitens der Stadtgemeinde im Sinne ihres Stiftungszweckes zu überwachen und gegen jede stiftungswidrige Benutzung der Kirche Einsprache zu erheben. Unzweifelhaft gibt der Sönderungsvertrag der Regierung als Vertreterin des Staates dieses Recht ; aber hier betreten wir nun das p r i v a t r e c h t l i c h e Gebiet. Entsteht nämlich zwischen der Regierung und der Stadtgemeinde Streit über die Frage> ob diese oder jene Benutzungsart im Einklang oder im
Widerspruch mit dem Stiftungszweck stehe, so kann der Entscheid nicht von der Regierung in der Form einer staatsrechtlichen Verfügung gegeben werden, sondern es steht

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derselbe einzig dem v e r f a s s u n g s m ä ß i g e n R i c h t e r zu, und maßgebend für ihn ist die Zweckbestimmung, wie sie durch Vertrag und bisheriges Herkommen festgestellt worden ist.

Diese Grundsätze hat auch das Bundesgericht in Sachen der Regierung von Luzern gegen die Stadi gemeinde Luzern gerade mit Rücksicht auf den Ursulinerinnenfond durch Urtheil vom 16. Mai 1884 sanktionirt (Amtl. Samml. der bundesgerichtlichen Entscheidungen, Bd. X, S. 295 ff).

In Ziffer 2, wie sie Ihnen von der Minderheit Ihrer Kommission vorgeschlagen wird, sind daher der Regierung alle ihre privatrechtlichen Ansprüche aus der Sönderungskonvention gegenüber der Stadtgemeinde Luzern in vollem Umfang gewahrt, wie dies schon im nationalräthlichen Beschlüsse der Fall war, nur in noch präziserer Weise und im Anschluß an die ständeräthliche Redaktion.

Die Minderheit der Kommission spricht zum Schlüsse dieses kurzen Berichtes die Hoffnung aus, daß es nicht zum Prozesse kommen, sondern daß Staat und Gemeinde sich über die Benutzung der Mariahilfkirche verständigen werden.

B e r n , den 26. April

1887.

Die Minderheit der Kommission: Brunner.

Keller.

Schiimperlin.

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Bericht der Minderheit der Kommission des Nationalrathes, betreffend den Rekurs der Regierung des Kantons Luzern in Sachen der Mariahilfkirche. (Vom 26. April 1887.)

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