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Bundesrathsbeschluß über

den Rekurs von Job. Kaspar Loosli, von Wyßachengraben (Bern), wohnhaft in Bern, gegen ein Urtheil des Bezirksgerichts Zofingen (Aargau), vom 17. November 1886, betreffend Propaganda für den Mormonismus als Vergehen gegen die öffentliche Ordnung und Sittlichkeit, wegen angeblicher Verletzung der Art. 49, 50 und 56 der Bundesverfassung und der Art. 18 und 21 der Verfassung des Kantons Aargau.

(Vom 7. Oktober 1887.)

Der schweizerische Bundesrath hat in Sachen des Rekurses von Johann Kaspar L o o s l i , von Wyßachengraben, Kantons Bern, wohnhaft in Bern, gegen ein Urtheil des Bezirksgerichtes Zofingen, Kantons Aargau, vom 17. November 1886, betreffend Propaganda für den Mormonismus als Vergehen gegen die öffentliche Ordnung und Sittlichkeit, wegen angeblicher Verletzung der Art. 49, 50 und 56 der Bundesverfassung und der Art. 18 und 21 der Verfassung des Kantons Aargau; auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements und nach Feststellung folgender aktenmäßiger SachVerhältnisse: I. Das Bezirksgericht Zofingen hat am 17. November 1886 den Rekurrenten wegen Vergehens gegen die öffentliche Ordnung und Sittlichkeit gemäß § l des aargauischen Zuchtpolizeigesetzes zu der ausgestandenen Haft von 17 Tagen und zu einer Geldbuße von Fr. 300, eventuell im Nichtzahlungsfalle zu einer Gefängnißstrafe von 75 Tagen, endlich zur Bezahlung der Untersuchungs- und Gerichtskosten im Betrage von Fr. 50. 05 verurtheilt.

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Der Rekurrent hielt nämlich Sonntags den 9. Mai 1886 im Hause des Jakob Hofer im Gfill zu Niederwyl, Kantons Aargau, vor einer Anzahl in jenern Orte wohnender Anhänger des Mormonismus einen Vortrag. Er sprach in demselben -- wie er und seine Zuhörer aussagen -- über einige Bibelstellen, ohne die dem Mormonismus eigentümliche Lehre der Vielweiberei zu berühren oder die Anwesenden zur Auswanderung nach Utah, dem Staate der Mormonen in Nordamerika, aufzufordern.

Kurz nach Beendigung seines Vortrages wurde er vom Gemeindeammann zu Niederwyl verhaftet uod dem Bezirksammann bezw.

Bezirksgericht von Zoflngen zur Beurtheilung überwiesen.

In Zofingen blieb der Rekurrent bis zum 26. Mai 1886 in Haft. Am genannten Tage fällte das Geiicht sein Urtheil in dieser Sache, indem es den Beklagten zur Bezahlung einer Geldbuße von Fr. 100 und zur Tragung der Kosten verfällte, sowie für immer aus dem Gebiete des Kantons Aargau verwies.

·Johann Kaspar Loosli ergriff gegen dieses Urtheil den staatsrechtlichen Rekurs an das Bundesgericht. Er verlangte die Aufhebung des Urtheils, hauptsächlich gestützt auf Art. 44, 45 und 60 der Bundesverfassung und Art. 18 der aargauischen Kaatonsverfassung. Das Bundesgericht entsprach unterm 9. Oktober 1886 dem Rekursbegehren insofern, als es die im Urtheile gegen den Rekurrenten ausgesprochene Verbaunungsstraf'e mit Rücksicht auf dessen Schweizerbürgerrecht als verfassungswidrig erklärte und hierauf wegen des innern Zusammenhangs der verschiedenen Dispositive des Unheils dieses selbst seinem ganzen Umfange nach aufhob und die Sache zu erneuter Beurtheilung an das Bezirksgericht von Zofingen zurückwies.

Am 17. November v. J. behandelte das Bezirksgericht die Angelegenheit noch einmal und fällte das Eingangs erwähnte Urtheil.

II. Das hierorts angefochtene Urtheil stützt sich im Wesentlichen auf folgende Erwägungen : Der Rekurrent habe, wie er selbst, anerkenne, durch seine Vorträge Glaubensgenossen für die Lehre der Mormonen zu gewinnen gesucht, also Mitglieder zu einer Sekte geworben, bei welcher die Vielweiberei einen iotegrirenden Bestandtheil der Religion bilde und die daher eine unsittliche Genossenschaft sei. Wenn derselbe die Vielweiberei nicht geradezu predige, so sei dies um so schlimmer, indem er damit den Anhängern der Lehre des Mormonismus die Wahrheit verschweige und dieselben zur Auswanderung in ein Land und zum Beitritt zu einer Gesellschaft verleite, wo sie

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sich' dem Gesetze der Vielweiberei und nach amtlichen Berichten einer elenden Sklaverei fügen müssen.

Es sei der Vortrag des Rekurrenten an sich strafbar, möge derselbe stattfinden, wo er wolle, weil der Rekurrent in seiner Stellung als Apostel eigentliche Predigten halte, um Propaganda für die unsittliche Lehre der Mormonen zu machen; in Privathäusern seien solche Vorträge um so gefährlicher, als sie sich der Kontrole und der Kritik entziehen und in der That auch viele Erfolge aufweisen. Wenn auch die Glaubens- und Gewissensfreiheit und das Hausrecht hochgehalten werden müssen, so könne der Schutz doch nicht so weit gehen, daß in Privaträumen bald da, bald doit, in raffinirt systematischer Weise der Mormonismus gepredigt werde.

III. Mittelst Zuschrift vom 21. Dezember 1886 hat J. K. Loosli gegen das Erkenntniß des Bezirksgerichtes Zofingen vom 17. November vorigen Jahres bei dem Bundesrathe Beschwerde eingelegt. Er verlangt die Aufhebung jenes Urtheils, weil dasselbe den Artikeln 49, 50 und 56 der Bundesverfassung, sowie den Artikeln 18 und 21 der Verfassung des Kantons Aargau vom 17. Juni 1885 zuwiderlaufe; er verlangt ferner eine angemessene Entschädigung für die Untersuchungshaft und die Abfassung der Rekursschrift, deren Bezahlung dem Fiskus des Kantons Aargau auferlegt werden solle.

Zur Begründung seiner Begehren macht der Rekurrent geltend : 1) Das angefochtene Urtheil verletze in mehrfacher Hinsicht die ihm als Schweizerbürger durch die Bundesverfassung und die Verfassung des Kantons Aargau zustehenden Rechte und Befugnisse.

Verletzt sei die in Art. 49 der Bundesverfassung und Art. 21 der aargauischen Kantonsverfassung als unverletzlich gewährleistete Glaubens- und Gewissensfreiheit; verletzt sei das Recht der freien Ausübung gottesdienstlicher Handlungen (Art. 50, Abs. l, der Bundesverfassung und Art. 21 der aargauischen Kantonsverfassung), verletzt sei das Recht, Vereine zu bilden, bezw. an Vereinen und Versammlungen theilzunehmen (Art. 56 der Bundesverfassung und Art. 18 der aargauischen Kantonsverfassung), verletzt sei endlich das Recht der freien Meinungsäußerung in Wort und Schrift (Art. 18 der aargauischen Kantonsverfassung).

Alle diese Rechte und Befugnisse stehen, wie den verschiedenen Religionsgenossenschaften, so auch den Einzelnen, und daher auch ihm, dem Rekurrenten,
zu. Er dürfe deshalb an religiösen Versammlungen und an der Ausübung gottesdienstlicher Handlungen theilnehmen und selbst solche vornehmen, Votrräge halten und predigen innerhalb der Schranken der Sittlichkeit und der öffentlichen Ordnung.

178 2) Das angefochtene Urtheil sei auch materiell unrichtig.

Durch seinen, des Rekurrenten, Vortrag in Niederwyl sei in keiner Weise die öffentliche Ordnung gestört oder öffentliche» Aergerniß erregt worden; in jener Versammlung sei nichts gegen die Sittlichkeit Verstoßendes vorgekommen, von der Polygamie der Mormonen sei gar nicht gesprochen worden. Wenn das Bezirksgericht bemerke, ein Verschweigen dieses Punktes sei noch schlimmer, indem er dadurch die Leute täusche und sie zum Beitritt zu einer Gesellschaft verleite, wo sie sich dem Gesetze der Vielweiberei fügen müssen, so sei diese Behauptung eine irrige; denn heutzutage wisse Jedermann, daß die Vielweiberei bei den Mormonen zwar gestattet, aber nicht obligatorisch und erzwingbar sei; es könne somit Niemand darüber getäuscht werden.

Deshalb erscheine auch die Ansicht des Bezirksgerichtes, daß die Polygamie einen iotegrirenden Bestandteil der mormonischen Religion bilde und die Werbung von Anhängern derselben eine Unsittlichkeit sei, als unrichtig. Er (Rekurrent) könne nicht der Unsittlichkeit beschuldigt werden, wenn er andere Personen über den Glauben der Mormonen belehre. Die amtlichen Berichte, auf welche sich das Bezirksgericht Zofingeu berufe, seien nicht im Stande, diese Darstellung abzuändern, da ihnen nur böswillige und falsche Mittheilungen über die Zustände im Mormonenstaate zu Grunde liegen. Uebrigens habe er in dem mehrerwähnten Vortrage zu Niederwyl die Anwesenden gar nicht zur Auswanderung nach diesem Staate aufgefordert.

Ferner sei nicht richtig, daß die Vorträge über den Mormonismus in Privathäusern eiae besondere Gefährlichkeit in sich schließen, indem dieselben nicht, wie das Bezirksgericht annehme, geheim gehalten werden, sondern Jedermann Zutritt zu denselben habe. Es sei den Mormonen nicht wohl möglieh, an andern Orten sich zu versammeln, als in Privathäusern. Das angefochtene Urtheil des Bezirksgerichts Zofingen sage daher nichts Anderes, als daß der Rekurrent und seine Glaubensgenossen in der Schweiz, ihre gottesdienstlichen Handlungen trotz aller verfassungsmäßigen Gewährleistung nirgends ausüben dürfen.

IT. Vom Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement zur Vernehmlassung eingeladen, Übermächte die Regierung des Kantons Aargau einen Bericht des Bezirksgerichtes von Zofingen, d. d. 12. Januar 1887, worin das
Gericht bemerkt, es halte in allen Theilen an der Motivirung seines Urtheils fest.

Zur Begründung seiner Behauptungen verweist das Gerieht auf einen neuerlich im Berliuer Tageblatte (die betreffenden Nummern

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liegen bei den Akten) publizirten Aufsatz von W. Wyl, betitelt: ,,Das Weib des Daniten. -Eine Geschichte vom großen Salzsee.a Die Regierung des Kantons Aargau, welche im Allgemeinen den gleichen Standpunkt, wie das Bezirksgericht Zofingen, einnimmt, erklärt in ihrer Vernehtnlassung vorn 1. Februar abhio, daß die Lehre der Mormonen nicht nur die guten Sitten verletze, sondern auch mit der Rechtsordnung im Widerspruch stehe, indem sie Handlungen empfehle, welche nach unserer Auffassung mit Kriminalstrafe bedroht seien. Es könne daher auch nicht von einer Verletzung der Verfassungsrechte gesprochen werden, wenn ein Gericht die bezüglichen Strafbeslimmungen auf die Verbreiter dieser Lehre anwende. Sie beantragt aus diesen Gründen Abweisung des Rekurses, mit dem Bemerken, daß die Beschwerde schon aus dem formellen Grunde nicht angenommen werden sollte, weil der Rekurrent nicht den kantonalen Instanzenzug durch Appellation an das aargauische Obergericht erschöpft, sondern sich unmittelbar vom Bezirksgerichte weg an den Bundesrath gewendet habe; in Erwägung: 1) Wenn der Rekurrent unter den verfassungsrechtlichen Bestimmungen, die durch das Strat'urtheil des Bezirksgerichtes Zoftngen vom 17. November 1886 ihm gegenüber verletzt seien, den Art. 56 der Bundesverfassung (Vereinsrecht) und die Art. 18 (Freiheit der Meinungsäußerung, Vereinsreeht, Versammlungs- und Petitionsrecht) und 21 (Bestätigung der in Art. 31, 49, 50, 45 und 58 der Bundesverfassung gewährleisteten Rechte und Freiheiten) der aargauischen Kantonsverfassung erwähnt, so ist dagegen zu bemerken, daß staatsrechtliche Beschwerden, die sich auf Art. 56 der Bundesverfassung beziehen oder Rechte betreffen, die durch die Kantonsverfassung gewährleistet sind, dem Bundesgerichte zur Beurtheilung anheimfallen (Art. 113, Ziff. 3, der Bundesverfassung und Art. 59, litt, a, des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege).

2) Es hat denn auch das Bundesgericht in seinem Urtheil vom 9. Oktober 1886 auf die Beschwerde des Rekurreuten gegen das Straferkenntniß des Bezirksgerichtes Zofingen vom 26. Mai 1886 bereits die Frage erörtert und entschieden, ob die gerichtliche Bestrafung des Rekurrenten wegen seines zu Niederwyl (^Aargau) gehaltenen religiösen (den Mormonismus betreifenden) Vortrags angesichts des Art. 56 der Bundesverfassung und des Art. 18 der aargauischen Kantonsverfassung überhaupt zuläßig sei, und diese Frage im Hinblick auf den vom Bezirksgerichte angenommenen Thatbestand bejaht.

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3) Hinwieder hat der Bundesrath zu prüfen, ob vom Rekurrenten die Art. 49 und 50 der Bundesverfassung gegen das neue bezirksgerichtliche Strafurtheil vom 17. November 1886, das unter Weglassuug der vom Buadesrichte als verfassungswidrig erklärten Verbannungsstrafe an die Stelle desjenigen vom 26. Mai 1886 getreten ist, angerufen werden können.

4) Durch Anrufung dieser Artikel beansprucht der Rekurreut für den von ihm am 9. Mai 1886 im Hause des Jakob Hofer im Gfill zu Niederwyl gehaltenen Vortrag über den Mormonismus den Charakter einer in religiösem Glauben wurzelnden gottesdienstlichen Handlung.

Artikel 49 der Bundesverfassung erklärt die Glaubens- und Gewissensfreiheit für unverletzlich und verbietet, Jemanden wegen Glaubensansiehten mit Strafen irgend welcher Art zu belegen, und Art. 50 gewährleistet die freie Ausübung gottesdienstlicher Handlungen innerhalb der Schranken der Sittlichkeit und der öffentlichen Ordnung.

Die Art. 49 und 50 der Bundesverfassung sind bestimmt, sich gegenseitig zu ergänzen; in ihrem Zusammenhange enthalten sie die volle Garantie der religiösen Freiheit. Die Glaubens- und Gewissensfreiheit kann nicht gedacht werden ohne das Recht des Individuums, äußerlich, durch Worte und Handlungen, seine religiöse Meinung zu offenbaren, und insofern eine Handlung ihren Grund im religiösen Glauben des Individuums hat, kann sie als eine gottesdienstliche gelten.

Darum gilt auch die in Art. 50 der Freiheit gottesdienstlicher Handlungen gesetzte Schranke für jede Aeußerung des religiösen Glaubens : sie darf nicht die Schranken der Sittlichkeit und der öffentlichen Ordnung überschreiten, wenn sie auf den verfassungsmäßigen Schutz des Bundes Anspruch erheben will.

Es fragt sich daher, ob der Rekurrent für seinen Vortrag mit Recht die einer religiösen Aeußerung, einer gottesdienstlichen Handlung gebührende Freiheit verlangt. Kommt ihm dieselbe zu, so ist klar, daß er dafür nicht zur gerichtlichen Verantwortung gezogen und bestraft werden darf.

5) Der Rekurrent ist Schweizerbürger und Bürger des Territoriums Utah in den Vereinigten Staaten von Nord-Amerika. Er gehört der in jenem Territorium angesiedelten Sekte der Mormonen an und ist einer der Sendboten, welche regelmäßig aus Utah in andere Länder ziehen, um für die Lehre des Mormonismus neue Anhänger zu gewinnen und in denselben die Lust zur Auswanderung nach dem nordamerikanischen Kirchenstaate (Utah) zu erwecken.

181 Wenn auch der vom Rekurrenten am 9. Mai 1886 gehaltene Vortrag, wie er und die Zuhörer angeben, bloß auf die Erläuterung von Bibelstellen sich beschränkte, so steht doch außer allem Zweifel, daß der Vortrag ausschließlich im Dienste und zu Guasten des Mormonismus gehalten ward, wie denn auch die Theilnehmer jener Vereinigung in Niederwyl aus ihrer Zugehörigkeit zur mormonischen Kirche und aus ihrer Absicht, nach Utah auszuwandern, kein Hehl machen.

6) Das Bezirksgericht Zofingen hat in den Erwägungen zu seinem Strafurtheil gegen den Rekurrenteu vom 17. November 1886 sich dahin ausgesprochen, daß die Propaganda für den Mormonismus als ein Vergehen gegen die öffentliche Ordnung und Sittlichkeit auf Grund von § l des aargauischen Zuchtpolizeigesetzes zu bestrafen sei, weil die Vielweiberei einen Bestandtheil der Lehre der Mormonen bilde, durch § 76 des aargauischen Strafgesetzes aber die mehrfache Ehe als ein Verbrechen mit Zuchthausstrafe bedroht werde und die Bevölkerung aller christlichen Staaten die Vielweiberei als eine im hohen Grade unsittliche Institution betrachte. Wer dem Mormonismus Anhänger gewinne, werbe somit für eine unsittliche Genossenschaft Mitglieder an.

7} Die Voraussetzung, von welcher das Zoflnger Gericht ausging, daß die Mormonen der Polygamie huldigen, ist thatsächlich richtig.

Mit Rücksicht auf die bei den Mormonen in Utah herrsehende Vielehe hat der Kongreß der Vereinigten Staaten von Nordamerika wiederholt (1882 und 1887) strenge Strafgesetze erlassen, welche den ausgesprochenen Zweck verfolgen, diese Unsitte auszurotten.

Wenn die Apostel der Mormonen in andern Ländern, speziell bei Anwerbung weiblicher Glaubensgenossen, die Vielehe nicht als eine dem Mormonismus eigenthümliche Einrichtung erwähnen und hervorheben, so muß mit dem Zofinger Gerichte ein solches Verhalten als auf Täuschung des Publikums berechnet angesehen werden, indem den Anzuwerbenden die Wahrheit über die gesellschaftlichen Zustände, in die sie eintreten sollen, verschwiegen wird.

8) Im Jahre 1886 hat der Vertreter eines fremden Staates in der Salzseestadt um Territorium Utah) an das schweizerische Konsulat in San Francisco ein Schreiben gerichtet, in welchem folgende Stelle sich auf das Mormonenthum bezieht: ,,Die mormonischen Missionäre bringen alljährlich gegen 100 Personen hieher, die in der
Schweiz ihr ehrenvolles Auskommen hatten, hier aber alle Qualen bitterster Armuth durchzumachen haben, nachdem die Mormonen sie bis auf die Haut geschunden und ihnen nur die Augen zum Weinen übriggelassen haben. Ich habe mich mit mehreren Fällen zu beschäftigen geBundesblatt. 39. Jahrg. Bd. IV.

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182 habt, deren Wiedererzählung das Herz eines Tigers brechen könnte, die aber den Kieselstein, den die Mormonen an Stelle des Herzens tragen, ohne die mindeste mitleidige Regung gelassen haben.u Das Schweizerische Handels- und Landwirthschaftsdepartement, welchem der Konsul von San Francisco die bezügliche Mittheilung zugehen ließ, setzte die Regierungen der Kantone, aus denen sich die meisten Auswanderer nach Utah rekrutiren, von diesem Berichte in Kenntniß. Es haben infolge dessen mehrere kantonale Polizeidirektionen, speziell diejenigen von Bern und Aargau, öffentliche Warnungen betreffend die Auswanderung nach dem Mormonenstaate erlassen. (Vergi. Bundesblatt 1887, I; 495).

In gleichem Sinne lauten wiederholte Berichte seitens der schweizerischen Gesandtschaft in Washington, die in letzter Zeit an die Bundesbehörde gelangt sind.

9) Nach dem unter Ziffer 7 und 8 Gesagten kann die Empfehlung der Lehren des Mormonismus und die Aufmunterung, dieser Sekte beizutreten, nicht als eine religiöse Aeußerung oder gottesdienstliche Handlung angesehen werden, welche den Schutz der Art. 49 und 50 der schweizerischen Bundesverfassung verdient.

Die Lehre der Mormonen steht in eioem wesentlichen Punkte mit dem in unserm Lande herrschenden Begriffe der Sittlichkeit im Widerspruch und widerstreitet der öffentlichen Ordnung unseres Staates.

Die gesellschaftlichen Zustände im Territorium der Mormonen in Nordamerika sind überdem gemäß amtlichen Berichten derart, daß der Bundesrath sich vorbehalten muß, zum Schutze der schweizerischen Bevölkerung vor den propagandistischen Einflüssen der Mormonen allgemeine polizeiliche Maßnahmen zu veranlassen; beschlossen: \. Der Rekurs wird als unbegründet abgewiesen.

2. Dieser Entscheid ist der h. Regierung des Kantons Aargau, für sie und zu Händen des Bezirksgerichtes Zofingen, sowie dem Rekurrenten schriftlieh mitzutheilen.

B e r n , den 7. Oktober 1887.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Droz.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bundesrathsbeschluß

ü beiden Rekurs der Herren Leone de Stoppani, Advokat in Lugano, Rinaldo Simen in Locarno und Ernesto Bruni, Advokat in Bellinzona, gegen das tessinische ,,Gesetz über die Freiheit der katholischen Kirche und die Verwaltung der Kirchengüter" vom 28. Januar / 2 l . März 1886.

(Vom 18. Oktober 1887.)

Der schweizerische Bundesrath hat in Sachen des Rekurses der Herren Leone de Stoppani, Advokat in Lugano, Rinaldo Simen in Locarno und Ernesto Bruni, Advokat in Bellinzona, gegen das tessinische ,,Gesetz über die Freiheit der katholischen Kircheundd die Verwaltung derKirchengüter"1 vom 28. Januar / 21. März 1886 ; auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements und nach Feststellung folgender aktenmäßiger Sachverhältnisse: A. Am 1. September 1884 schloß der Bundesrath, in seinem eigenen Namen und im Namen des Kantons Tessin, mit dem Heiligen Stuhle ein (unterm 24./29. November gleichen Jahres ratifizirtes) Uebereinkommen ab, ,,zur Regelung der Kirchen Verhältnisse der Pfarreien des Kantons Tessin", kraft dessen (Art. 1) ,,genannte Pfarreien kanonisch von den Bisthümern Mailand und Conio losgetrennt und unter die geistliche Administration eines Prälaten, mit dem Titel eines ,,Apostolischen Administrators" des Kantons Tessin,

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29.10.1887

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175-183

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