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Verhandlungen der

ständeräthlichen Kommission über den Schutz des gewerblichen Eigenthums, Sitzung vom 18. bis 20. Oktober 1886 in Lugano.

Die Kommission besteht aus den Herren G a v a r d , als Präsident , B a l l y , B l u m e r , Cornaz, M u h e i m , R i e t e r und Rusch.

Herr Bundesrath Dr o z wohnte den Berathungen bei und entwickelte den Standpunkt des mit der bezüglichen VerfassungsAenderung resp. Ergänzung sieh beschäftigenden Departementes.

Dagegen war Herr R u s c h verhindert, dem Rufe zur Theilnahme an der Sitzung Folge zu leisten.

Aus der Diskussion ergab sich, daß drei Mitglieder, nämlich die Herren Gavard, Bally und Cornaz, für und drei Mitglieder, die Herren Blumer, Muheim und Rieter, gegen Eintreten in die Vorlage stimmen und daß somit eine Mehrheit nicht besteht.

Sollte der Rath "Eintreten" beschließen, so würde sich hernach die Kommission wieder besammeln, um über die Redaktion des einschlagenden Bundesbeschlusses Berathung zu pflegen.

Die Bezeichnung der resp. Berichterstatter wurde selbstverständlich jeder der beiden Gruppen anheimgegeben.

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Bericht der Einen Fraktion (vom 18. April 1887).

Indem der Sprechende, Namens der Fraktion, welche Ihnen ,,Nicht-Eintreten" beantragt, die ihm von seinen verehrtea Kollegen zugewiesene Aufgabe, ihren Standpunkt zu vertreten, zu lösen bestrebt ist, beehrt er sich, dem Ständerathe die Gründe auseinanderzusetzen, welche unsere Gruppe, nach Prüfung der ihr zu Gebote stehenden Akten und nach Anhörung und Würdigung der sorgfältig gepflogenen, alle einschlagenden Momente berührenden Diskussion, veranlaßt, eine ablehnende Haltung gegenüber dem Beschlüsse des Nationalrathes und der Vorlage des Bundesrathes einzunehmen.

Dabei müssen wir betonen, daß, weun wir uns auf das Studium der Akten berufen, darunter nicht bloß der Inhalt des uns zur Verfügung gestellten Dossier verstanden ist, sondern ebenfalls anderweitige sachbezügliche, an Hand der Erfahrung geschaffene Litteratur, da jener Inhalt, gleich demjenigen der Botschaft, einseitig zu Gunsten des Erfindungsschutzes lautet.

Wir lehnen den Schutz auf dem Gebiete der Erfindungen, Muster und Modelle aus den nachfolgenden Gründen ab : 1) weil ein bezügliches Gesetz den Grundsätzen des ,,Freiheit von Handel und Gewerbe im ganzen Umfange der Eidgenossenschaft" garantirenden Art. 31 unserer Verfassung, wie auch den Vorschriften voa Art. 4 derselben widerspricht; 2) weil ein solches Gesetz theils prinzipiell undurchführbar, theils verschiedenen Gewerben nachtheilig ist, und 3) weil nach den Erfahrungen und Beobachtungen in einer sehr langen Reihe von Jahren keines der in anderen Staaten bestehenden Gesetze, weder dem wahren Erfinder, noch dem beschützt sein Sollenden, in Wirklichkeit Schutz bietet.

· Ad 1. Wir stoßen uns vorerst an der nach unserer Auffassung unumstößlichen Thatsache, daß ,,Schutz der Erfindungen, Muster und Modelle" gleichbedeutend ist mit Verletzung des § 3 1 unserer Verfassung.

Benannter Artikel gewährleistet die Freiheit des Handels und der Gewerbe im ganzen Umfange der Eidgenossenschaft, allerdings unter dem Vorbehalte der sub a, b und c aufgezählten Ausnahmen, jedoch immerhin, wie in der Verfassung selbst klar und deutlich ausgesprochen, in der Voraussetzung, daß sub e in Aussicht genommene Verfügungen den Grundsatz der Handelsund Gewerbefreiheit nicht beeinträchtigen.

215 Unter den Freiheiten, welche den Staatsbürgern zugewendet ·werden können, ist die ^Freiheit der Arbeit" die werthvollste.

Deßnahen sollen die Behörden, welchen die Wahrung der Staatsinteressen anvertraut ist, die größte Aufmerksamkeit der Förderung und Erhaltung dieser Errungenschaft widmen.

Im Hinblick auf unsere Eigenschaft als Mitglieder des schweizerischen Ständerathes würden wir, nach unserer individuellen ßeurtheilung, .,,Gutheißung der beantragten Verfassungsänderung" als nicht mit unseren Pflichten übereinstimmend betrachten.

Der Schutz der Erfindungen durch den Staat ist gleichbedeutend mit Brtheilung eines Monopoles zu Gunsten des Einzelnen und folgerichtig zum materiellen Nachtheile des Allgemeinen. Werden auch solche Monopole durch Beschränkung auf eine bestimmte Zeitdauer abgeschwächt, so bleiben solche immerhin ,,Privilegien"' und können mit den Grundsätzen, auf wel chen unsere Verfassung aufgebaut ist, nicht in Einklang gebracht werden.

Manche, welche die Verhältnisse in dieser Weise auffassen, beruhigen sich mit dem bei einem sachbezüglichen Gesetze in Aussicht genommenen Lizenzzwang. Das bedeutet aber keine Beseitigung des Monopoles, sondern bloß die Uehertragung der ausschließlichen Anfertigung eines patentirten Objektes von Einer auf mehrere Personen, wodurch allerdings eine Verallgemeinerung, aber keine Preisherabsetzung des beschützten Gegenstandes erzielt wird.

Der Käufer muß unter allen Umständen dem Tributberechtigten ·die Rechnung nach des Letzteren Willen bezahlen und für Alles, was er braucht, mehr Geld auslegen, als er bei grundsätzlich durchgeführter Freiheit der Arbeit für den gleichen Zweck auszugeben hätte.

Das sind die natürlichen Folgen eines Monopoles, die bei Luxusartikeln nicht besonders in Betracht fallen, bei Gegenständen des unabweislichen Bedarfes dagegen zum materiellen Nachtheile der Konsumenten von Bedeutung sind.

Wenn man die Entwicklungsgeschichte der zur Zeit ,,Erfindungsschutz1'1' benannten Begünstigung Einzelner, die hier nur kurz angedeutet sein soll, verfolgt, so kann man kaum bestreiten, daß diese Institution gleichwertig ist: mit Hemmung der Freiheit der Arbeit und Schaffung von Protektion.

Fast in allen Staaten des europäischen Kontinentes, ja selbst in unserem eigenen Lande, bestunden seiner Zeit die Zünfte und Innungen für einzelne Gewerbe.

Das war die erste Form des Erfindungsschutzes in d e m Sinne, als jedem Handwerker in jeder Stadt das Privilegium ge-

216 wahrt wurde, bestimmte Waaren zu erzeugen, bestimmte Werkzeuge zu gebrauchen und sieh jede Konkurrenz von Außen, sowieeine die Konvenienz der Begünstigten übersteigende Zahl von Innungs- oder Zunftgenossen vom Halse zu schaffen.

Nachdem selbstverständlich eine solche Genossenschaft der anderen nicht in ihren Wirkungskreis eingreifen durfte, mußte strenge Absonderung der zu erzeugenden Gegenstände je einer Innung angeordnet und vollzogen werden. Wurde etwas Neuesgeschati'en, das theilweise in das Gebiet einer Zunt't eingriff, soentstund Kollision, einerseits zwischen dem Erfinder, wenn er, der betreffenden Genossenschaft nicht angehörend, seine Schöpfung doch zur Geltung bringen wollte, und anderseits derjenigen Innung, in welche der betreffende Gegenstand ganz oder theilweise einzureihen war. Wer aber dennoch einen solchen Artikel erzeugte, dem konnten die Werkstätten geschlossen und die Werkzeuge mit Beschlag belegt werden. -- Da Solches geschah und in den regierenden Kreisen erkannt wurde, daß damit zum Nachtheile des Allgemeinen jeder. Fortschritt verunmöglicht wurde, gelangte man zur zweiten Form des Erfindungsschutzes, indem man solchen Erfindern, aber auch Personen, welche Nichts erfunden hatten, unter irgend einem Titel und ohne Zeitbegrenzung, das staatliche Privilegium zur Erzeugung des und des Artikels ertheilte. Damit war die erste Bresche in die Organisation und den Zweck der Zünfte und Innungen geschossen, dabei aber auch die Gelegenheit geschaffen^ Männer und Frauen, verdient oder unverdient, zu begünstigen und denselben die Mittel an die Hand zu geben, sich auf Kosten der Konsumenten zu bereichern.

Dieser doppelten, aber einander gegenseitig bekämpfenden Protektion, entsproßte die dritte Form des Erfindungsschutzes: die Patentertheilung, wie solche zu Anfang des vorigen Jahrhunderts in England, und die Brevets d'Invention, wie dieselben gegen Ende des letzten Jahrhunderts in Frankreich geschaffen wurden.

Der Unterschied zwischen dieser dritten Form gegenüber der zweiten besteht darin, daß, wer immer wollte, und oh er etwas erfunden habe oder nicht, ein solches Privilegium erhalten konnte, aber nur auf eine bestimmte Zeitdauer, so daß also .spezielle Bevorzugung begünstigter Personen und die Unbeschränktheit der Zeitdauer solcher Privilegien dahinfiel.

Aber auch diese dritte
;Form des Eriindungssehutzes war und bleibt Begünstigung des Einzelnen zum Nachtheile des Allgemeinen und eine im Widerspruch mit den Bestimmungen unserer Bundesverfassung stehende Beschränkung der Gewerbefreiheit.

217 Um diesen Widerspruch, wenn auch nicht zu beseitigen, doch etwas zu mildern, werden zu Gunsten des Erfindungsschutzes (bigende Momente in's Treffen geführt: a. die ausnahmsweise Stellung der Schweiz gegenüber den mit Patentgesetzen ausgerüsteten Staaten und die schuldige Rücksichtnahme für dieselben; o. die Pflicht, dem Erfiuder den Lohn seiner geistigen Anstrengungen, Versuche und Kosten gesetzlich zu sichern, und c. das Bestreben, ja die Pflicht, den Menschen zu Erfindungen aufzumuntern und anzuspornen.

Im Hinblick auf die sub a vorgeführten Momente, beehren wir uns, der Ansicht Ausdruck zu geben, daß die Schweiz nach manchen Richtungen Ausnahmestellung gegenüber anderen Staaten einnimmt und daß wir nicht einsehen, daß gerade irn Punkte des Patentwesens diese Sonderstellung einer tadelnden Kritik zu unterziehen sei. Die Kleinheit unsers Landes rechtfertigt vollständig unser bisheriges Verhalten, denn sie verhindert absolut eine für den Erfinder lohnende Verwerthung allfälliger Privilegien und gestaltet dieses Verhältniß in ein gefahrdrohendes, wenn der naturgemäß weit größern Zahl in der Schweiz zu schützender Patente von Ausländern das Ausbeutungsrecht innerhalb unserer Landesgrenzen gesetzlich zugewendet ist. Oder glauben etwa die Patentfreunde des Inlandes, daß die Schweiz die Prépondérant gegenüber allen andern Staaten erzielen und deren Konkurrenz aushalten werde? Sollen wir unsere Ausnahmsstellung aufgeben, um von deu auswärtigen Patentinhabern erst recht in der Freiheit gehemmt und völlig an die Wand gedrückt zu werden ?

Können wir die verdeutete Ausnuhmsstellung, die Holland, das den Erfindungsschutz kannte, aber aus den für unser Land als nachtheilig bezeichneten Gründen wieder beseitigte, nicht als berechtigten Hebel zur Einführung der angestrebten Neuerung anerkennen, so wollen wir nicht unterlassen, beizufügen, daß wir auch das Verlangen auf Rücksichtnahme gegenüber andern Staaten nicht als maßgebend betrachten können, um Verfügungen zu treffen, die, nach unserer Ansicht, der Schweiz nicht dienlich, sondern schädlich sind. Daß die meisten der in Frage kommenden Staaten auf unser Land keine Rücksichten nehmen, sondern ihre eigenen Interessen als Wegleitung verwerthen, illustriren deren Zolltarife in höchst drastischer Weise !

Die sub b dargestellte Pflicht, dem Erfinder den Lohn seiner geistigen Anstrengungen, Versuche und Kosten, wie es in der Botschaft heißt, gesetzlich zu sichern, ist ein Argument, das wir

218 nicht gutheißen können. Wo in aller Welt wird eine solche Pflicht ·anerkannt? Wo wird irgend einem Menschen Garantie geleistet, daß seine physischen oder geistigen Bemühungen von günstigen materiellen Folgen begleitet seien? Wo gewährt man den Männern dei- Wissenschaft, den Künstlern, den Gewerbtreibenden, den Landwirthen, die nicht nur sich selbst, sondern gleichzeitig dem Allgemeinen Dienste zu leisten bestrebt sind, Zusicherung, daß deren Anstrengungen und Bemühungen nicht verloren sein sollen?

Zur Zeit, als die öffentlichen Bildungsaustalten noch in der Kindheit waren und für dieselben staatlich noch wenig materielle Leistungen erfolgten, hätte ein solcher Ausspruch eine theilweise Berechtigung gehabt; allein heute, wo von Bund, Kantonen und Gemeinden jährlich ganz bedeutende Summen zur Bildung der reifern Jugend gespendet werden., können wir nicht fassen, wie ruhig und objektiv denkende Manner das Argument aufstellen können : daß diejenigen, welche aus öffentlichen Mitteln mit Kenntnissen ausgerüstet wurden, zu privilegiren seien -- und zwar wiederum zu Lasten des Allgemeinen -- wenn sie das Gelernte in der Praxis verwerthen! Solchen Grundsätzen können wir nicht beistimmen, sondern stellen umgekehrt unsere Ueberzeugung in den Vordergrund, daß der Einzelne die Pflu-ht habe, die durch Gottes ·und der Menschen Hülfe errungene Leistungsfähigkeit nach bestem Wissen und Gewissen in Ausübung seiner Berufstätigkeit zur Geltung zu bringen.

Wenn schließlich sub e dem Bestreben zur Anspornung für Erfindungen gerufen oder, wie vielseitig ausgesprochen, solches auch in das Gebiet der Pflichten des Staates eingereiht wird, so können wir in dem so gebotenen Sinne, daß dieß durch gesetzlichen Schutz der Leistungen zu erfolgen habe, nicht beipflichten.

Wohl anerkennen wir und haben dieß auch bei den uns dargebotenen Gelegenheiten bekundet, daß Staat und Behörden berufen seien, den Bildungsgrad der Jugend nach Möglichkeit zu heben, damit der auf eigene Füße gestellte Mensch sich seine Existenz schaffen könne. In .diesem Sinne anerkennen wir die Pflicht, zu geistiger Regsamkeit anzuspornen.

Wo nicht durch Erziehung, Bildung und natürliche Anlagen diese geistige Regsamkeit gefördert wird, da hilft stimulirende Medizin nichts. Selbsterhaltungstrieb, Pflichtgefühl und Konkurrenzverhältnisse schaffen die
erforderliche Anregung und ohne diese Eigenschaften wäre die schweizerische Gewerbsthätigkeit schon längst dem Untergange geweiht worden. Wer da glaubt, dieselbe mit den angestrebten künstlichen Mitteln erhalten zu müssen, stellt dem ßildungswesen der Schweiz, dem Arbeitstrieb und der Intelli-

219 genz der schweizerischen Bevölkerung ein entmuthigendes ZeugniL5 aus.

Hüte man sich, durch gesetzgeberische Maßnahmen Erfinder zu schaffen. Wenige sind auserkoren, Großes zu leisten, und die hiezu Berufenen wissen sich zu helfen und bedürfen einer speziellen Unterstützung des Staates nicht.

Es unterliegt keinem Zweifel und ist vielfach durch Thatsachen bewiesen, daß einzelne Erfinder durch Zufall und glückliche Gedanken viel Geld verdienten; aber unbestreitbar hat eine weit größere Zahl von Erfindern bedeutend mehr Geld verloren und mit ihrem Pröbeln sich und Andere finanziell ruinirt.

Die Botschaft betont ganz richtig, daß ohne Widerspruch der Schutz des geistigen Eigenthutns auf dem Gebiete der Kunst und Literatur gesetzlich geregelt wurde. Um uns nicht den Vorwurf der Inkonsequenz zuzuziehen, erachten wir es für angezeigt, bei BehandlungO der in Fraee liegenden Forderung~ zu Gunsten des O geO ö werlilichen Eigenthums, den anscheinenden Widerspruch unserer Anschauungen zu widerlegen.

Nach der uns leitenden Auffassung sind die Werke der Kunst und Literatur vom Tage des Erscheinens an allgemeines Eigenthum in dem Sinne, als Jedermann den inneren Gehalt derselben zu seiner weitern Ausbildung benutzen und verwerthen kann; sie sind somit eine Hebung des Nationalwohlstandes.

Sind es Werke der Kunst, so dienen solche, unmittelbar nachdem sie das Licht der Welt erblickten, zur Förderung des Geschmackes, und Jeder, der dieselben, mit den erforderlichen Kenntnissen ausgerüstet, betrachtet, kann aus den dahei zur Geltung gebrachten Motiven und Gruppirungen für sein eigenes Fortkommen Nutzen ziehen.

Sind es Werke der Literatur, so werden sie, wenn der Inhalt derselben dem Allgemeinen als dienlich vorausgesetzt wird, ungesäumt durch den Druck vervielfältigt und dadurch zum Gemeingut gestempelt.

Erscheinen Reproduktionen von Werken der Kunst, seien dieselben durch Photographie oder wie immer erzeugt, so werden solche sofort Jedermann zugänglich gemacht.

Alle so geschützten Leistungen in Kunst und Literatur weichen in Bezug auf den Geldbedarf zur Erwerbung derselben wesentlich ab von denjenigen auf dem Gebiete der Gewerbe und der Land·wirthschaft.

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Jene, soweit dieselben reproduktionsfàhig sind, werden in der Regel vor ihrem Erscheinen durch das fast allgemein übliche Mittel des Abonnements dem Publikum möglichst billig zur Verfügung gestellt Diese, nämlich die geschützten Gegenstände des gewerblichen Eigenthums, werden dagegen, infolge des denselben zugewendeten Privilegiums, nur zu möglichst hohen Preisen den Konsumenten abgegeben.

Die Werke der Kunst und Literatur k ö n n e n erworben werden von allen Denjenigen, welche die Mittel dazu besitzen; es ist in der Regel, soweit es nicht Bildungszwecke, für welche vorherrschend die Behörden sorgen, betrifft, kein Zwang zu deren Ankauf vorhanden.

Anders verhält es sich mit den neuen Schöpfungen auf dem Gebiete der Gewerbe und auf demjenigen der Landwirthschaft.

Diese sind Bedurfnißartikel und wer auf einem dieser Terrains sich bewegt, m u ß sich Alles das aneignen, was nothwendig istt um konkurrenzfähig zu bleiben, und m u ß sich deßnahen den geforderten Preis gefallen lassen, auch wenn derselbe noch so übermäßig hoch geschraubt wäre.

Man wird nun sagen, solche Brandungen dienen dem Allgemeinen und die betreffenden Erfinder schaffen Fortschritt und heben, den Nationalwohlstand.

Abgesehen von der Thatsache, daß Jeder, der arbeitet, wenn er auch in erster Linie vorherrschend durch den Selbsterhaltungstrieb geleitet ist, durch sein Wirken auch dem Allgemeinen nützt und den nationalen Wohlstand hebt, muß doch mit aller Bestimmtheit angenommen werden, daß der durch den Schutz der Erfindungen dem weitaus größten Theil unserer Bevölkerung auferlegte Tribut an das Ausland abzugeben sei. Wir setzen nämlich voraus, daß Niemand die Ansicht hege, daß in unserem, nicht einmal 3 Millionen Einwohner zählenden Ländchen ebenso viel oder mehr Neues geschaflen werde, als in den Staaten der projektirteo Union zum Schutz des gewerblichen Eigenthums mit mehr als 500 Millionen Einwohnern, wovon ungefähr lla in Bezug auf Bildung und Intelligenz auf der gleichen Stufe mit der Schweiz steht. Folgerichtig wäre die Zahl der zu schützenden und in unserem Lande tributberechtigten Ausländer eine unendlich größere, als die Zahl der beschützten Inländer.

Durch das bereits Gesagte haben wir nachgewiesen, daß der Schutz der gewerblichen Erfindungen den Grundsätzen des Art. 3l unserer Verfassung widerspricht, die durch denselben garantirle Freiheit von Handel und Gewerbe beeinträchtigt und Privilegien

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schafft; damit aber auch gleichzeitig konstatirt, daß durch den beabsichtigten staatlichen Schutz der Erfindungen der Sinn und Geist von Art. 4 der Verfassung, welcher Vorrechte von Personen untersagt, verletzt würde.

Ad 2. Unter dieser Ziffer stellen wir die Behauptung auf, daß ein Gesetz, wie das beabsichtigte, prinzipiell nicht durchführbar und einzelnen Gewerben nachtheilig sei.

Wir haben nicht nöthig, den Beweis für dea ersten Theil dieser Behauptung von uns aus anzutreten ; das Material dazu liefert die Botschaft.

Die Opposition gegen den Erfindungsschutz, die nicht ahnahm, sondern sich vermehrte, mußte, wenn nicht, völlig gebrochen, doch numerisch abgeschwächt werden ; man sah von Seite der Freunde der beabsichtigten Neuerung ein, daß, wenn man berechtigten, auf gewerblichen Faktoren beruhenden Wünschen gewisser wichtiger Industriezweige nicht entspreche, die Feinde stark genug seien, um mit den prinzipiellen Gegnern des Projektes dasselbe zum Fülle zu bringen; man erkannte, daß, wenn man dagegen einen Theil der Opponenten durch Enthebung von der Wohlthat des Scbutzgesetzes in eine neutrale Stellung bringe und dadurch ungefähr Ich mache, der andere Theil alsdnnn zu schwach sei, um mit Erfolg den Kampf mit dem Drachen aufzunehmen.

Der Zürcher Patenlkongreß fand es deßnahen angezeigt, den theoretischen und praktischen Schwierigkeiten, welche in der Anwendung des induslriellen Eigenihums auf die chemischen und pharmazeutischen Industrien liegen, Rechnung zu tragen und beschloß: zu diesem Zwecke die chemischen Produkte und Verfahren, insbesondere auch ihre Anwendung auf die Färberei, die Druckerei, die Appretur und die Bleicherei von Garnen und Geweben auszuschließen.

Wenn je eine Blöße aufgedeckt, wenn je eine Schwäche kundgegeben, wenn je ein Prinzip durchlöchert wurde, so geschah dies durch den bezeichneten Beschluß von Seite, aber auch m Laslen der Freunde des Erfindungsschutzes!

Die Chemie soll der beabsichtigten Wohlthat des Schutzes entledigt werden !

Steht denn dieses wissenschaftliche Gebiet etwa für sich allein da? und ist dasselbe nicht mit einer Menge anderer Zweige der schaffenden und praktischen Thätigkeit eng und untrennbar verbunden? Die Chemie greift nicht nur in die im erwähnten Kon-

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greßbeschlusse angedeuteten Zweige der gewerblichen Thätigkeit ein; deswegen sind mit den Fortsehritten dieser Wissenschaft eine Menge Spezialbezeichnungen zur Geltung gekommen.

Wird nur Weiterausbildung ohne irgend eine Nebenbestimmung angestrebt, so nennt man sie die r e i n e oder t h e o r e t i s c h e Chemie.

Tritt sie als Kunst a u f , indem sie uns Methoden und Handgriffe kennen lernt, vermittelst welcher Verbindungen erzeugt und Zersetzungen veranlaßt werden, so h ei li t sie die p r a k t i s c h e Chemie. Da letztere die Sätze der theoretischen Chemie anwendet, so nennt man sie auch die a n g e w a n d t e Chemie, wenn sie uns die Darstellung der für das Leben wichtigen Gegenstände mittheilt.

Je nachdem die a n g e w a n d te Chemie eine besondere Klasse jener Gegenstände behandelt, erhielt sie verschiedene Benennungen; sie heißt die t e o h n i s c h e Chemie, wenn sie Gewerbe und Künste unterstützt; die p h a r m a z e u t i s c h e Chemie, wenn sie uns über die Bereitung der Arzneimittel Auskunft gibt; die p o l i z e i l i c h e Chemie, wenn sie über die Beschaffenheit der nothwendigsten Lebensbedürfnisse wacht, und Alles zu entfernen strebt, was die Gesundheit der Menschen und Thiere gefährden k a n n ; die g e r i c h t l i c h e Chemie, wenn sie sich mit der Untersuchung von der Gesundheit nachtheiligen und durch absichtliche Verfälschungen oder Vergiftungen entstandenen chemischen Einwirkungen auf Menschen und Thiere beschäftigt.

Die praktische Chemie ist außerdem auch an a l y t i s c h , wenn sie uns zusammengesetzte Körper in ihre Bestandteile trennen lehrt; sie ist s y n t h e t i s c h , wenn sie zusammensetzt und vereinigt, was die Analyse zerlegt.

Aus dieser Darlegung geht klar hervor, daß es unmöglich ist, die Chemie allgemein zu behandeln; man mußte einzelne Zweige herausnehmen, um den Ausschluß der Chemie mundgerecht zu machen und einen Theil der Gegner zu beseitigen; man durfte aber nicht zu weit gehen, d. h. man durfte nicht die Chemie als solche, nicht die Chemie als Wissenschaft ausschließen, um die Schwäche nicht zu sehr bloß zu legen, denn ohne diese Rücksicht hätte man auch eine Menge anderer, als die bezeichneten Industrie zweige, wie z. B. die Fabrikation von Glas, Papier, Thonwaaren, die Galvanoplastik, die metallurgischen Prozesse u. s. w. --, ausschließen
müssen.

Wird die Chemie im Prinzip, und anders wird man der Konsequenz und des Rechtes wegen nicht handeln können, oder werden auch nur einzelne Zweige derselben ausgeschlossen, so taucht in

223 allen Fällen die Frage auf: Wo beginnt die Chemie bei allen in Frage kommenden Industrien und wo hört sie auf?

Es ist ebenso unmöglich, dies zu bestimmen, als solches durchzuführen.

Die wichtigsten Erfindungen sind zu Tage getreten, seitdem die Wissenschaften sich so sehr ausgebildet haben auf den Gebieten der Chemie und der Physik. Dieselben stehen nicht nur gar oft mit einander in Verbindung, sondern deren Anwendungen sind wieder verknüpft mit der Mechanik.

Wie hätte Chemie ohne Physik, wie Physik ohne Chemie, wie beide zusammen ohne Mechanik den derzeitigen Stand der Télégraphie erzielen können? Ohne Vereinigung dieser drei Wissenschaften hätten wir heute, stai t der so sehr vervollkommneten elektromagnetischen, wohl noch die optischen Telegraphen, die sich auf das Jahr 1633 zurückdatiren und erst nach 200 Jahren, infolge Entdeckung des Galvanismus, die ersten Stufen der gegenwärtigen Leistungsfähigkeit ersteigen konnten.

Daß Chemie ausgeschlossen werden will, spricht unverkennbar dafür, daß der Schutz des gewerblichen Eigenthums nicht grundsätzlich durchgeführt werden kann, und deswegen sagen wir: die Botschaft liefere den Beweis der Richtigkeit unserer betreffenden Behauptung.

Wir haben im Fernern auch gesagt, daß der beabsichtigteSchutz einzelnen Gewerben nachtheilig sei, und wollen dies mit wenigen Auseinandersetzungen klar legen.

Ausländische und inländische Besteller verlangen von schweizerischen Fabrikanten den und den Gegenstand, nach der und der O i Zeichnung oder nach der und der Form, weil in gewissen Gegenden bestimmte Genres, Formen oder Systeme bevorzugt sind: die so verlangten Objekte sind vielleicht in irgend einem Lande patemirt; der Besteller kann dies wissen; der Erzeuger braucht es nicht zu wissen, so lange durch ein Gesetz über den Schutz des gewerblichen Eigenthums die uns durch die Verfassung garantirle HandeKsund Gewerbefreiheit nicht angetastet wird. Im Falle die so ausgeführten Bestellungen irgendwo mit Patenten in Konflikt kommen, ist es Sache des Auftraggebers, über solche Schwierigkeiten hinwegzuschreiten. Haben wir aber ein Gesetx, zum Schutze von Erfindungen, Mustern und Modellen, so muß der schweizerische Fabrikant nachsehen, ob das Verlangte nicht in irgend ein inländisches oder ausländisches Patent eingreift, und ist unter Umständen gezwungen, aus
irgend einem Staate der beabsichtigten Union eingehende Aufträge zum Vortheile des Auslandes und zum Nachtheile der schweizerischen Gewerbs- und Erwerbsthätigkeit von der Hand zu weisen.

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Ad 3. Unter dieser Ziffer sagen wir, daß kein bestehendes Gesetz weder dem wahren Erfinder,* noch dem aeschützt sein O Sollenden wirklichen Schutz gewähre.

Zur Begründung dieser Behauptung unterbreiten wir folgende Fragen der Beantwortung: a. Wird bei den Patenterteilungen in der Regel der eigentliche Erfinder mit, dem Schutze bedacht?

b. Wird dem Patentinhaber der Schutz, den man ihm zuzuwenden beabsichtigt, in Wirklichkeit zu Theil?

und indem wir von vornherein diese beiden Fragen für einen sehr großen Theil der einschlagenden Fälle mit ^Nein" beantworten, wollen wir nachstehend, nebst der Beweisleiatung für diesen unseren verneinenden Ausspruch, unter c. konstatiren, daß hiefür, nebst anderen mitwirkenden Faktoren, den mangelhaften Gesetzen in den verschiedenen Staaten wesentlich die Schuld beizumessen ist.

Indem wir die sub a gestellte Frage in's Auge fassen, glauben wir unseren Ausspruch nicht zutreffender begründen und kein besseres Beispiel für die Richtigkeit desselben aufführen zu können, als wenn wir von den vielen Epoche machenden wirklichen Erfindungen , der Entwicklung einer der nützlichsten und in aller Welt verbreiteten, nämlich derjenigen der Dampfmaschine, gedenken.

Als Erfinder der Dampfmaschine gelten Watt
ein Projekt zur Wasserhebung durch Dampf übergab.

Am 25. Juli 1698 erhielt Kapitän Thomas Savery das erste Patent auf Anwendung der Dampfkraft.

225 Papin stellte Anno 1707 eine vollständige Theorie der Dampfmaschine auf und begleitete dieselbe mit Zeichnungen einer Maschine nach eigener Konstruktion. Savery benutzte nicht allein die Expansivkraft des Dampfes, sondern auch den sich durch den Betrieb ergebenden luftleeren Raum zur Kondensation der Wasserdämpfe. Im Jahre 1705 erhielt Savery's Maschine durch Thomas Newcomen, welcher das Papin'sche Prinzip zuerst in praktische Ausführung brachte, eine viel wirksamere und a usgeb rei teiere Anwendung, und auch die Deutschen Weidler, Sturm und Leupold, welch' Letzterer die erste Idee zu einer Hochdruckdampfmaschine zu Tage förderte, machten sich durch bedeutende Verbesserungen um die Dampfmaschinen verdient.

Watt begann seine Studien zur Vervollkommnung der Dampfmaschinen im Jahre 1760; allein da ihm die Mittel zur Verwerlhung seiner Ideen mangelten, verband er sich Anno 1769 mit dem vermögenden, der gleichen Aufgabe sich widmenden Boulton, um eine Konstruktionswerkstätte für Dampfmaschinen 'M errichten. Deren Lieferungen gingen bald nach allen europäischen Staaten und von diesem Zeitpunkte an entwickelte sich die Dampfmaschine mit Riesenschritten ziir heutigen Vollkommenheit.

Wer ist nun der Erfinder der Dampfmaschine?

Offenbar nicht diejenigen, welche als solche bezeichnet werden, Watt und Boulton. Dagegen gehört denselben das unverkennbar hervorragende Verdienst, die Gedanken von Blasco de Garay, von S. de CHUS, von Branca, von dem Marquis of Worcester, von Kapitän Savery, von Weidler, Sturm und Leupold praktisch verwerthet und zur Ausführung gebracht, beziehungsweise ausgebeutet zu haben.

Alle, dem ersten im Jahre 1698 an Kapitän Saverv in England ertheilteu Patente nachfolgenden, höchst zahlreichen Brevetirungen beziehen sich nicht auf den Grundgedanken, ,,Dampf als treibende Kraft zu benutzen", sondern bedeuten blos Verbesserung und Vervollkommnung desselben.

Um noch kurz ein zweites Beispiel anzuführen, wollen wir der Entwicklungsgeschichte der elektromagnetischen Télégraphie gedenken.

In der zweiten Haltte des vorigen Jahrhunderts machte der Physiker Georg Christoph Lichtenberg die ersten bezüglichen Studien, allein bis Alois Galvani die nach dessen Namen mit Galvanismus bezeichnete Elektrizität, auf die er durch einen reinen Zufall geführt wurde, zur Anwendung brachte, erzielte Jener keine praktischen Erfolge. Hierauf folgende Experimente von Sömmering, Bundesblatt.

39. Jahrg. Bd. II.

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226 Ampère, Ritchie, Fechner und Schilling führten noch nicht zum gewünschten Ziele, bereiteten aber die Bahn zu demselben. Den spätem Bemühungen von Gauß und Weber, von Steinheil und Hipp, von Wheatstone, Bain und Morse ist die successive Verbesserung auf den heutigen Grad der Vollkommenheit dei1 elektro-magnetischen Télégraphie zu verdanken. Wer ist der Erfinder?

Einer hat zürn Baustein seines Vorgängers wieder einen weiteren Stein beigefügt; aber die letzteren sind sämmtlich Theile desGanzen, haben keinen Anspruch auf Hervorbringung des Grundgedankens und Keiner derselben darf sich das Verdienst anrechnen^ sei es die Dampfmaschine, sei es die elektro-ma.gnetisc.he Télégraphie erfunden zu haben. Jeder, der ein bezügliches Brevet erhielt, hat das Recht, sich als Verbesserer, insofern nämlich in Wirklichkeit eine Vervollkommnung erzielt wurde, was bei Weitem nicht immer zutrifft, zu qualifiziren, niemals aber sich als Erfinder zu geriren.

Die angeführten Thatsachen, die bei allen bahnbrechenden Erfindungen ebenfalls zutreffen, dürften unsere, betreffend 3 a aufgestellte Behauptung, daß in der Regel nicht der eigentliche Erfinder geschützt wird, voll und ganz bestätigen.

Auf die sub b gestellte Frage übergehend, müssen wir betonen, daß eine sehr große Zahl von Patentinhabern sich beklagt, statt, der erwarteten materiellen Vortheile Enttäuschungen und finanzielle Nachtheile erzielt zu haben, und es läßt sich dies negative Ergebniß durch den successiven Auf- und Ausbau eines neuenGegenstandes begründen.

Zum Beispiel: Hr A. nimmt ein Brevet auf irgend ein Objekt, sagen wir für eine Maschine; Hr. B. , der eine solche Maschine erwirbt und durch den Betrieb derselben zur Anbringung einer Verbesserung gelangt, verlangt auf diese letztere den Schutz seiner Erfindung, erhält denselben , tritt damit dem Herrn A. vor die Sonne und hindert ihn in der Verwerthung seines Grundgedankens.

Nun kommt aber noch ein Hr. C. mit einem weitem Fortschritt, läßt sich ebenfalls dafür brevetiren und hemmt nun wieder seine Vorgänger A . und B. an der Yerwerthung ihrer geschützten Leistungen. So kann es, wie die Geschichte der Entwicklungder Dampfmaschinen und der elektro - magnetischen Télégraphie darlegt, fortgehen und geht auch so fort, so daß immer je blolS der Letzte aus dem Patente Nutzen zieht und der Schöpfer der
Grundidee, der unzweifelhaft die meisten Opfer brachte, sowie die zwischen diesem und jenem liegenden Verbesserer, ihres Studiums, ihrer Zeit und ihrer Auslagen nebst den Patentkoslen verJustig gehen.

227 Solches Vorgehen ist keine unmoralische Handlung, sondern bloß die natürliche Folge des Principes der Zuwendung staatlicher Privilegien an einzelne Landeskinder. Unmoralische, durch mangelhafte und kaum je rationell herzustellende Gesetzgebung unterstützte Handlungen schädigen die Patentinhaber in weit höherem Maße, und indem wir diesen Faktoren unsere Aufmerksamkeit zuzuweisen beabsichtigen, gehen wir auf c über und gedenken dabei vorerst der Gesetze.

Zum Verhingen und Erhalten von Patenten sind nach den bestehenden Gesetzen zwei Systeme in Kraft: das Anmeldungsund das Vorprüfungsverfahren. In den meisten Staaten, welche das Anmeldungsverfahren zur Geltung bringen, wird nicht oder nur oberflächlich untersucht, ob das Objekt, für welches der Schutz verlangt wird, wirklich etwas Neues, eine Erfindung sei und ob das zu ertheilende Patent nicht mit andern, schon bestehenden Brevets d'invention in Kollision gerathe oder gar mit einem solchen identisch sei. Die zuständige Behörde ist nicht viel Anderes als eine Registratur, welche die Eingaben entgegennimmt, die zutreffenden Taxen einzieht, die vorgeschriebenen Buchungen vollzieht, das erbetene Patent oder Brevet d'invention oder Privilegium ausfertigt und dem Petenten zustellt. Deßwegen wird in Frankreich,} um der Behörde auf alle Fälle den Rücken zu decken, verlangt, daß auf den geschützten Gegenständen die Anfangsbuchstaben der Worte ,,sans garantie du gouvernement" erscheinen. Der Patentnehmer muß sich also selbst informiren, ob er das Privilegium eines Andern nicht verletze, und Jeder muß sich wieder vollständig au courant von neu angemeldeten Patenten, wozu die Behörde Gelegenheit bietet, h a l l e n , u m , falls solche sein Eigenthum streifen, die ihm zustehenden Rechte zu wahren. Daraus entwickelt sich eine reichliche Quelle zu Prozessen und lohnende Arbeit für die Patentagenturen.

Wo das Vorprüfungsverfahren in Kraft besteht,, fallen diese Schwierigkeiten, wenn nicht vollständig, doch theilweise dahin.

Dagegen treten wieder andere Hindernisse in den Vordergrund.

Dieselben bestehen einerseits in der Handhabung der Vorprüfung, anderseits in der mangelhaften Definition des Begriffes Erfindung.

Es ist eine anerkannte Thatsache, daß geeignete Personen zur Vorprüfung, d. h. zur Ermittlung, ob das Angemeldete eine Erfindung sei oder nicht,
ob das verlangte Patent nicht mit einem solchen altern Datums zu nahe verwandt oder identisch sei, selbst in dem großen, theoretisch und praktisch so weit vorgeschrittenen DeutschKind schwer 7,11 finden sind. Werden Gelehrte damit beauftragt, so mangeln denselben gar oft die praktischen Erfahrungen; werden

228 praktisch bewanderte Sachverständige mit solchen Untersuchungen betraut, so können Konkurrenzverhältnisse und andere derartig einwirkende Faktoren einem unparteiischen Urtheile in die Quere kommen. Dies und der U msta ad, daß der angemeldete Gegenstand d a s E r z e u g n i s e i n e r ü b e r d a s D u r c h s c h n i t t s maß g e w e r b l i c h e n K ö n n e n s h i n a u s g e h e n d e n g e i s t i g e n A r b e i t d a r s t e l l e n m u ß -- w i e z u r Zeit i n unserm Nachbarstaate Deutschland der Begriff einer Erfindung ausgelegt wird -- schaffen einen Zustand der Rechtsunsicherheit, der vielfach beklagt wird. Keiner,, der sich vielleicht Jahre lang mit o einer Erfindung beschäftigt, seine ganze Zeit und sein materielles Vermögen derselben geopfert hat, kann zum Voraus beurtheilen, ob, wenn das Kind endlich geboren ist, dasselbe auf den Namen "Erfindung" getauft, beziehungsweise patentfähig erklärt werde.

Geschieht dies nicht., so steht der Betreffende auf einem verlornen Posten; seine Bemühungen, seine Zeit und sein Geld sind nutzlos verwendet, und in den meisten Fällen, welche in diese Kategorie einzureihen sind, ist der finanzielle Ruin des vermeintlichen Erfinders die Folge. Deßnahen wird jetzt verlangt, dass durch Aufnahme einer Begriffsbestimmung von "Erfindung" in das Gesetz diese Rechtsunsicherheit beseitigt werde.

Die Unvollkommenheit der Gesetzgebungen schädigt die Erfinder in denjenigen Staaten , welche den Schutz gewähren , auch nach andern Riehtungen.

1) Umgehungen von Patenten, die mit vollem Bewußtsein erfolgen, aber nicht strafbar sind.

Wenn schon seit Aufstellung von Schutzgesetzen, also seit einer unendlich langen Reihe von Jahren, über solche Umgehungen geklagt wurde, so ist es, unter Würdigung der inzwischen eingetretenen enormen Fortschritte in allen Wissenschaften, erklärlich, wenn in den letzten Dezennien, in welchen diese Fortschritte vorherrschend zu Tage traten, derartige Klagen immer mein- auftauchen. Wird bezüglich der Chemie, welche, nach der uns unterbreiteten Vorlage, aus durchaus zutreffenden Motiven, nunmehr vom Schutz der Erfindungen ausgeschlossen werden soll, mit Recht betont, daß man dem fertigen Verfahren, durch welches ein in Präge kommendes Produkt hergestellt wurde, die Erzeugungsweise nicht entnehmen könne, so kann mit eben demselben
Rechte die Behauptung zur Geltung gelangen, daß auf jedem anderen Boden der gewerblichen Thätigkeit mit anderen Formen und abweichenden Hausmitteln der Zweck erreicht wird, für welchen der Patentirte sein Privilegium beansprucht. Das Sprichwort ,,Es führen viele Wege nach Rom" gilt auch im Patentwesen.

229 Was iu dieser Richtung auf chemisch und mechanisch technische Neuerungen oder sogenannte Erfindungen Bezug hat, bezieht sich ebenfalls auf Zeichnungen und Modelle.

Die Motive zu Zeichnungen werden zu einem großen Theile der Natur, der Pflanzen- und der Thiurwelt, also dem Gemeingut, worauf wohl Niemand Anspruch als geistiges Eigenthum erheben wird, entnommen. Es handelt sich um die Komposition, welche den Effekt hervorzubringen hat, und dieser Effekt kann, ohne getreue Kopie der beschützten Zeichnung zu sein, mit wenigen Modifikationen in Zusammenstellung, Formen und Farben erreicht und damit die Originalzeichnung straflos umgangen werden.

Bei den geschützten Modellen trifft das Gleiche zu und bedarf wohl keiner weiteren Erörterung.

Daß Umgehungen bei Erfindungen, Zeichnungen und Modellen straflos zuläliig und durchführbar sind, liegt im Principe des Patentwesens. Es ist in der Regel die Form und niuht das Wesen geschützt. Würde man das Wesen, den Sinn und Geist einer Erfindung schützen, so wäre damit die wirksamste Fortschrittsbremse geschaffen; z. B. Ertheilung des ausschließlichen Rechtes: ,,Dampf als treibende Ki-aft zu verwenden", wäre gleichbedeutend gewesen mit Hemmung jeden Fortschrittes während der Dauer des Pateutes.

Es gibt aber 2) noch eine andere Art von bewußt erfolgten Umgehungen, die nach dem Begriffe von Treu und Glauben strafbar sein sollte, nach dem gemeinen Rechte strafbar ist, aber in der Regel Mangels an Beweisen straflos ausgeht und den Patentinhaber schädigt.

Es erfolgt dies gewöhnlich -- wegen der Schwierigkeit der Kontrole im Auslande -- mit den Lizenzerteilungen in anderen Staaten.

Wir wollen zur Bekräftigung dieser Behauptung, obgleich solche Umgehungen in anderen Ländern ebenfalls vorkommen, mit Frankreich exempliftziren.

Das französische Gesetz gewährt auch dein Ausländer den Schutz des gewerblichen Eigenthums, jedoch unter Festhaltung des Prinzipes, daß der beschützte Gegenstand in Frankreich selbst fabrizirt werde. Das Gesetz untersagt deßnahen die Einfuhr von mehr als Einem Exemplar des in Frage liegenden Objektes und bestimmt, daß innerhalb zwei Jahren, vom Datum des Brevets an gerechnet, der Nachweis geleistet sei, daß der geschützte Artikel in Frankreich gewerbmäßig erzeugt, resp. das Patent ausgebeutet werde. Wird diese Bedingung nicht erfüllt oder mehr als Ein Stück des patentirten Gegenstandes eingeführt, so erlöscht das Brevet.

230 Die Forderung zur Fabrikation in Frankreich bietet für den auswärts wohnenden Patentinhaber fast unübersteigbare Schwierigkeiten und verweist denselben auf folgende zwei Wege.

Entweder muß er sich in Frankreich selbst zur Fabrikation einrichten, oder sich mit einem daselbst wohnenden Fabrikanten dafür verständigen, daß derselbe den patentirten Gegenstand innerhalb der nützlichen Frist^ausbeute.

Das Auswandern mit einem Fabrikationsgesohäfte oder die Errichtung einer Filiale in Frankreich dient in der Regel nicht, und der Ausländer wird also auf den zweiten Weg geleitet.

In vielen Fällen ist eine solche Verständigung nicht zu erreichen, da bei der großen Zahl von Patenten ein namhafter Prozentsatz derselben sieh als nicht lebensfähig erzeigt, was das Vertrauen zu Brevets im Allgemeinen abschwächt und deßnahen absehreokt, Spezialeinrichtuagen zur Fabrikation solcher Gegenstände zu treffen.

Kann dessen ungeachtet ein derartiges Einvernehmen erzielt werden, so ist der auswärtige Patentinhaber unbedingt in der Hand seines Partners. Ist der Letztere ehrlich und findet das betreffende Produkt lohnenden Absatz, so hat der Brevetirte sein Ziel erreicht.

Ist Jener aber nicht loyal, so entgeht der Beschützte drückenden Enttäuschungen nicht.

Diese Enttäuschungen ergeben sich nach zwei Richtungen : entweder umgeht der Partner oder ein Freund desselben das Patent, was nachweisbar praktizirt wird ; oder er läßt unter allerlei zu seiner Entschuldigung vorbringenden Ausreden die vom Datum des Brevets an gegebene Frist von zwei Jahren verstreichen, ohne die Ausbeutung zu vollziehen.

In beiden Fällen ist der Patentinhaber der Geprellte: im ersteren, weil der Umgeher die nöthige Vorsicht anwendet, um einer Klage und einem Strafverfahren aus dem Wege zu gehen ; im letzteren, weil für den Ausländer die Beweise absichtlicher Verschleppung seitens des französischen Partners schwer zur Geltung zu bringen sind. Er zieht es daher in der Regel vor, zum bösen Spiel gute Miene zu machen und zum Verluste des Brevets und seiner bezüglichen Auslagen nicht noch die Kosten eines in seinen Ergebnissen zweifelhaften Prozesses auf seine Schullern zu laden. Daß solche Fälle, und zwar nicht nur vereinzelt, vorkommen, konstatirt die Erfahrung.

3) werden die Patentinhaber durch bewußt vollzogene im moralische Handlungen dritter Personen, genannt Brevet-Schmuggler, die bestraft werden könnten, in der Regel aber nicht eingeklagt

231 ·werden, weil die Klagberechtigten Prozesse und Zeitverluste vermeiden wollen, geschädigt.

Diese Schmuggler bilden, vorherrschend in Frankreich und England, ein wohl organisirtes Gewerbe mit dem Zwecke der Erpressung. Sie stehen gleich dem Jäger auf dem Anstände, und .sobald sie vernehmen, daß irgendwo an etwas Neuem gearbeitet wird, erkundigen sie sich des Nähern darüber und bemühen sich, durch ein so gut als möglich zu erzielendes Brevet die Verwerthung zu gewinnen, ehe der wahre Erfinder sich in den Stand gesetzt hat, dies selbst zu thun. Werden sie aber vom Erfinder überholt und wird diesem das Patent ertheilt, so werfen sie die Flinte doch noch nicht in's Korn; durch Nachträge, welche die Praxis auch dem ungeschicktesten Techniker beigebracht hat, oder durch künstlieh redigirte Modifikationen versetzen sie sich in die Lage, ein Brevet zu erheben und auf diesem Wege Erpressungen zu erzielen.

Industrielle, welche Prozessen möglichst auszuweichen suchen, damit sie die ihnen ohnehin knapp zugemessene Zeit nicht solchen Widerwärtigkeiten opfern müssen, verständigen sich sehr oft des lieben Friedens willen. Der wahre Erfinder, wenn er nicht reich ist und deßnahen keinen Prozeß anstrengen kann, willigt auf Theilung des Erträgnisses ein.

Wird irgendwo eine neue Erfindung vom Erfinder selbst in «einen eigenen Arbeitslokalitäten angewendet, ohne daß er solche schützen läßt, so schafft das Spionirsystem der bezeichneten Schmuggler demselben die Mittel, den betreffenden Gegenstand, falls solcher noch nicht allgemein bekannt ist, brevetiren zu lassen und den wahren Erfinder in dieser oder jener Form zu pressen und zu schädigen.

Die unvollkommene Ausübung der mangelhaften Gesetzgebungen macht es möglich, daß Patente ertheilt werden auf längst bekannte Neuerungen, ja selbst auf Objekte, die einst brevetirt waren, deren Schutzzeit aber längst ausgelaufen ist. Hierin finden die verdeuteten Schmuggler wieder einen Weg zur Betreibung ihres gemeinen und gemeinschädlichen Gewerbes; sie bestreben sich, solche Brevets zu erhalten, und gelingt ihnen dies, so nutzen sie solche zum Nachtheile des Publikums aus, so lange es eben geht.

Wir haben die Schattenseiten der mangelhaften Gesetzgebung zum Nachtheile der Patentinhaber dargelegt und wollen nachstehend hervorheben, daß das Prinzip des Schutzes des gewerblichen Eigenthums im Allgemeinen den Gewerbetreibenden Schaden zufügen und große Gefahren bringen kann und gebracht hat.

232

Wird nämlich die Umgehung eines Patentes v e r m u t h et, so kann -- in Deutschland -- der Inhaber des letzteren Klage erheben und bei dem vermeintliche!) Nachahmer durch die Staatsanwaltschaft Hausdurchsuchung vornehmen und alle vom Kläger als Nachahmung bezeichneten Waaren mit Beschlag belegen. Dem Beklagten steht das Recht zu, den Nachweis zu leisten, daß sein Produkt keine Umgehung des betreffenden Patentes bilde; er muß aber zu diesem Zwecke einen Prozeß anheben und ist während der ganzen, oft Jahre langen Dauer desselben verhindert, sein bestritten es Erzeuguiß zu verkaufen, sowie, wenn er in Deutschand domizilirt ist, sein Gewerbe fortzusetzen.

Wird in Frankreich eine Patentumgehung v e r m u t h e t , soist die Sache noch viel schlimmer, indem daselbst der Inhaber eines Brevets, ohne daß vorher eine Untersuchung stattfände, die Waaren v Hülfsstoffe, Werkzeuge und Utensilien konfisziren und die Atelier* schließen darf. -- Der vermeintliche Nachahmer kann nun allerdings gegen den so verfahrenden Patentinhaber Klage erheben und den Beweis antreten, daß er dessen Rechte nicht verletzt habe; aber inzwischen ist der Geschäftsbetrieb lahm gelegt uad Fabrikant wie Arbeiter des Verdienstes beraubt.

Werden Umgehungen mit Bewußtsein vollzogen und Betrugkonstatirt, so kann man gegeo Bestrafung nur einwenden, daß diese Art des Vorgehens mit den heutigen Anschauungen in grellem Widerspruch stehe.

Haben aber wirkliche Umgehungen aus Mangel an Keuntniß der gültigen Patente, also unbewußt, oder gar nicht stattgefunden und werden bloß v e r m u t h e t , so können jene Gesetzesbestimmungen zu Gunsten der Brevetirten nur ,,barbarisch11 benannt werden.

Schweizer haben nach dieser Richtung in den beiden bezeichneten Staaten praktische Erfahrungen gemacht.

Ein im Bundesrathhause bekannter Streitfall seitens einer deutschen Firma als Klägerin gegen eine schweizerische Firma bestätigt das in Betreff des Vorgehens in Deutschland Gesagte. Die Waaren der let/.teni wurden amtlich mit Beschlag belegt. Nach erfolgter Untersuchung mußte kundgegeben werden, daß das als Nachahmung vermuthete Produkt dieß durchaus nicht sei, und nach mehr als zweijährigem kostspieligem Prozesse für den Beklagten wurde der Kläger abgewiesen.

In Betreff des Vorgehens in Frankreich wollen wir die io jenem Lande vorgekommenen analogen Fälle hier nicht wiedergeben, sondern uur auf eine Erfahrung hinweisen, welche die Schweiz in dem verdeuteten Nachbarreiche gemacht hat. -- In der schwel-

233 zwischen Abtheilung der internationalen Ausstellung von 1867 in Paris befanden sich an verschiedenen vorgezeigten Maschinen einzelne Theile derselben, von denen seitens eines Franzosen behauptet wurde, sie seien in Frankreich brevetirt ; der Beweis dieser Behauptung ist nicht geleistet worden uud mußte gemäß Gesetz nicht geleistet werden. Der Aussteller der beanstandeten Objekte hatte keine Ahnung, daß er eventuell ein Patentrecht verletzt habe. -- Einige Tage nach Eröffnung der Ausstellung und Inbetriebsetzung dei- schweizerischen Maschinenabtheilung erschien ein französischer Konstrukteur bei dem Besorger der bezeichneten Sektion und verlangte kategorisch sofortige Einstellung des Betriebes und Zudecken derjenigen Maschinen, deren Bauart seine Patentrechte verlezte, unter der weitern Eiklärung, daß, wenn seinem Verlangen nicht ungesäumt entsprochen werde, er, unter Inanspruchnahme des ihm durch das französische Gesetz zugewendeten Rechtes, die von ihm beanstandeten Maschinen konfi.sziren werde. -- Der Aussteller, dem diese Drohung galt, gab von derselben dem damaligen schweizerischen Generalkommissär, dem verstorbenen Herrn Nationalrath Feer-Herzog, Kenntnili und dieser, durch das Interesse für unsere Industrie, sowie durch seine Pflichten geleitet, bestrebte sich zuerst, den verdeuteten französischen Maschinenbauer, mit dem er bekannt und befreundet war, von seinem Vorhaben abzubringen ; allein seine bezüglichen Bemühungen blieben erfolglos. Hierauf wendete sich Herr Feer an unseren Gesandten, Herrn Dr. Kern, und dieser betrat dann den diplomatischen Weg, um die Ausführung der geschilderten Drohung zu verhindern. Nach der sachbezüglichen erfolgreichen Besprechung mit dem damaligen Herrn Minister Rouher erlielJ die Regierung ein Dekret, wodurch sie das Ausstellungsgebiet jeden Landes als neutral erklärte. Damit war der Streit erledigt und der Konkurrent mit seinem Verlangen abgewiesen.

Wir haben gesagt, und dürfen dieß fest behaupten, daß der Erzeuger der beanstandeten Maschinen keine Ahnung hatte, daß er mit den ausgestellten Gegenständen in irgend ein Brevet eingreife, und wenn es wirklich geschehen sein sollte, so beging er die Verletzung bewußtlos. Aber damit ist auch nachgewissen, daß es jedem Produzenten schwer hält, zu ermessen, ob er mit seineu Erzeugnissen nicht ein Patent streift
und von dem Privilegirten zur Rechenschaft gezogen wird.

In der Botschaft wird ausdrücklich betont, daß ganz besonders die Handwerker, sowie die kleinen und mittlern Industriellen den Schutz der Erfindungen wünschen. -- Zweifeln wir auch nicht au der Richtigkeit dieses Ausspruches, so müssen wir uns doch erlauben, vorauszusetzen, daß diejenigen, welche solche Wünsche kundgaben,

234 dieß in der Mehrzahl nicht aus eigener Initiative thaten, die Gesetzgebungen der verschiedenen Staaten nicht studirt hatten und -deßnahen deren Konsequenzen nicht beurtheilen konnten.

Wenn Großindustrielle, wie diejenigen, welche in Paris angegriffen wurden -- es betraf dieß nicht nur Schweizer, sondern auch Aussteller anderer Nationen, daher das berührte Dekret allgemein galt -- und die mit vielen, den Schutz des gewerblichen Eigenthutns gewährenden Staaten verkehren, nicht alle in ihr Gebiet einschlagenden Brevets, obgleich sie zu ihrer Sicherheit von den Patentveröffentlichungen Einsieht nehmen müssen, kennen, wie soll von den in engeren Rahmen arbeitenden und die sachbezüglichen Kundgebungen nicht zur Hand habenden Gewerbetreibenden erwartet werden dürfen, daß ihnen bekannt sei, falls wir ein Schutzgesetz hätten, ob und wo sie der Gefahr ausgesetzt wären, in Schwierigkeiten zu gerathen und Prozessen anheimzufallen?

Wie der Großindustrielle, wenn er seine Erzeugnisse in ein mit Patentgesetz ausgerüstetes Land liefert, auf der Hut sein muß, um in demselben mit keinem Brevet in Kollision zu gerathen, so müßte, falls die Schweiz den verlangten Schutz installiren würde, jeder Gewerbtreibende, Groß und Klein, wenn er in Form oder Inhalt etwas Neues schaffen will, vorerst alle Patente, welche Inuud Ausländern ertheilt wurden, durchmustern und berücksichtigen, um sich vor Angriffen sicherzustellen.

Zum Zwecke der Beseitigung des Patentwesens oder wenigstens der Abschwächung der berührten, längst anerkannten Schwierigkeiten und Ungerechtigkeiten, welche dasselbe mit sieh bringt, wurde im vergangenen Dezennium in England eine sachbezügliche Enquête erhoben, zu welcher die hervorragendsten Rechtskundigen, Industriellen, Techniker und Staatsbeamten in der Eigenschaft als Experte berufen waren, um ihre auf Erfahrung gestützten Meinungen kundzugeben.

Wir wollen aus den bezüglichen ^ r erhandlungen nur dasjenige wiedergeben, was auf die eben geschilderte Gefahr, Prozessen und Angriffen ausgesetzt zu werden, direkten Bezug hat und hier auch blos Einer Aussage gedenken, behalten uns aber vor, im Falle die Diskussion dazu Veranlaßung bietet, weitere Momente hervorzuheben.

Unter den verschiedenen Experten befand sich auch Mr. Platt, Chef der berühmten Firma Platt Brothers & Comp. in Oldham, der bezüglich
der Belästigung durch Patentinhaber Folgendes deponirte: ,,Es vergeht selten eine Woche, sicher aber nie ein voller Monat, ohne daß unser Haus in Erfahrung bringt, daß es in Patente,

235 von denen es nie etwas hörte, Eingriffe mache. Solche Personen, in deren Besitz die vespektiven Brevets sich befinden, haben unsere Etablissements einige Zeit, vielleicht Jahre lang ausspioniren lassen, bis sie sich vollständig bewaffnet f ü h l t e n , uns den Prozeß zu machen. Diese Art von Brevets ist in der Regel folgendermaßen abgefaßt, Man bildet eine Vereinigung bekannter, auf diese oder jene Maschine bezüglicher Sachen und hütet sich wohl, das Neue, welches sich in diesem Konglomerat vorfindet und das Patent rechtfertigen soll, hervorzuheben. Die Nehmer solcher Brevets wären übrigens in Verlegenheit, dies zu thun', weil in That und Wahrheit keine solche von ihnen geschaffene Neuerung besteht. Man theilt einem derartigen Apparate einige Hebel oder Schrauben oder Excentriques mehr zu, und diese verquickte Zusammensetzung, die man sehr weitläufig schriftlich beschreibt, nennt mau eine Erfindung.

Wenn man vor den Gerichten steht, oder wenn man, urn Verdruß und Zeitverlust zu sparen, sich mit solchen Patentspekulanten für eine Abfindungssumme verständigt und dieselbe ausbezahlt hat, dann weiß man, daß man das Opfer einer List geworden ist; -- aber der Streich ist geglückt !a Auch in Deutschland ist die Gefahr des Stolperns über Patente erkannt. Bei den sachbezüglichen Verhandlungen im deutschen Reichstage sagte ein hervorragender Abgeordneter, es habe ihm jüngst ein Industrieller geschrieben: ,,man könne bald kaum mehr einen Strich auf dem Zeichnungsbrette thun, ohne befürchten zu müssen, Jemandem in seinem Patentrechte zu nahe zu treten*.

Wir wollen gerne unseren verehrten Herren Kollegen des Ständerathes überlassen, zu entscheiden, ob die vorgeführten Thatsachen keine Hemmung der Freiheit der Arbeit, keine Verletzung der durch unsere Verfassung untersagten Zuwendung von Vorrechten an einzelne Personen, keine Beeinträchtigung der durch dieselbe garantirteli Handels- und Gewerbefreiheit bedeuten!

Die mangelhafte Gesetzgebung auf dem Gebiete des Patentwesens ist, wir dürfen diesen Ausdruck anwenden, ohne auf Widerspruch zu stoßen, allgemein anerkannt. Ueberall ist man bestrebt, dieselbe korrekter zu machen, und gewichtige Stimmen wirken auf gänzliche Beseitigung dieser aus uralter Zeit herstümmenden Begünstigung Einzelner hin.

Man wird nun, entgegnend, dio Frage aufstellen : warum wird
denn diese zugestandene Ungerechtigkeit nicht über Bord geworfen?

und darauf antworten wir: weil eingewurzelte Vorrechte nirgends ohne Staatsumwälzung abgeschafft werden können; selbst die fra n-

236

zösische Revolution von 1798 brachte dies nicht vollständig zu Wege und in unserer heutigen Nachbarrepublik würde ein Antrag auf Abschaffung von Titel und Orden kaum den Sieg davon tngen.

Die Betheiligten mit ihrem Anhang, die Ehrgeizigen und die Hoffenden bilden überall eine Macht, die nicht leicht, zu überwinden ist, und diejenigen, welche von solchen Momenten nicht berührt werden, verhalten sich neutral.

Im Weiteren wird man sagen, daß, wenn auch die Gesetze zur Zeit mangelhaft, seien, dieselben verbessert werden können.

Das ist leichter gesagt nls gethan ; die einschlagenden Erfahrungen im Jahre 1844 in Frankreich und die Folgen der bezeichneten jüngsten Enquête in England, in Betreff der angestrebten Revisionen, bestätigen diesen Ausspruch. Das österreichische und das kaum 8 Jahre alte deutsche Gesetz werden gegenwärtig als der Verbesserung bedürftig erklärt und sollen zur Revision gelangen; was dabei herauskommt, läßt sich noch nicht ersehen, aber vermuthenkann m a n , daß die Freiheit der Arbeit keinen Impuls erhalten werde; die. Schwierigkeit, etwas Gerechtes zu schaffen, dürfte doch durch die Thatsache konstutirt sein, daß in bald 100 Jahren ia Frankreich und seit mehr als 200 Jahren in England das Richtige nicht getroffen wurde. Wo Protektion die Direktive gibt, ist zutreffende Lösung nicht gedenkbar.

Es hat denn auch die benannte königliche Enquêtekominission, in welche die bedeutendsten und einsichtigsten Persönlichkeiten Englands, wie die Lords Derby, Overstone, Cairns, Hatherly u. A.T berufen waren, und nachdem in der Pairskarnmer die Präsidentea der obersten Gerichtshöfe, nebst den Lords Granville und Campbell, die Abschaffung der Patente erfolglos befürworteten, am Schlüsse ihres Berichtes gesagt : ,,Obgleich die in Vorschlag gebrachten Abänderungen der Ge setzgebung über die Erfindungspatente einige Abschwächungen der Nachtheile, welche gegen die Institution der Brevets d'invention allgemein zur Geltung gebracht wurden, bieten dürften, so bleibt es dennoch Ueberzeugung der Kommission, daß es nicht möglich ist, die vorhandenen Uebelstände zu beseitigen. Es sind dies thatsächlich dem Wesen der Patente anhaftende Mängel und Gebrechen, und man muß dieselben als den Kaufpreis betrachten, den das Allgemeine bezahlt, um die Ehre zu haben, ein Erfindungsschutzgesetz zu besitzen."·

237 Wir haben Ihnen kundgegeben, daß wir die verlangte Ergänzung des Art. 64 als Verletzung unserer Verfassung beurtheilen, und betrachteten es nicht nur als unsere Aufgabe, die bezügliche Kundgebung zu motiviren, sondern gleichzeitig --· falls der Ständerath uns in dieser Richtung nicht beistimmen sollte -- auch als unsere Pflicht, auf die Folgen der Gutheißung der angestrebten Verfassungsänderung aufmerksam zu machen und der Suhwierigkeiten zu gedenken, welche der Erstellung eines zweckentsprechenden Gesetzes in der Praxis entgegentreten. Wir vergleichen letzteres mit dem Bau eines Hauses, das wir später bewohnen müssen und df)s unserem Bedürfniß entsprechend eingerichtet werden soll.

Der Verfnssungsrevision geben wir die Bedeutung des Fundamentes dieses Hauses und wollen jenes nicht errichten, bis wir Form und Eintheilung des Oberbaues kennen, damit der Unterbau zweckdienlich oder schließlieh nicht gar unnütz geschaffen werde. Man sollte, glauben wir, wissen, ob ein annehmbares Gesetz konstruirt ist, ehe man die Verfassung ändert, damit kein Fundament besteht, auf welches möglicher Weise kein Haus gestellt wird.

Wir sind weit entfernt, die guten Absichten, welche den, Förderern des Erfindungsschutzes vorschweben, zu verkennen, allein, gestutzt auf unser Prüfen, unser Nachdenken, unsere Beobachtungen und Erfahrungen, müssen wir deren Anschauungen, Grundsätze und Folgerungen als theoretische Ideale bezeichnen, welche sich in der Praxis nicht bewähren; -- und da wir glauben, nachgewiesen zu haben, daß der Schutz der Erfindungen in seinen Wirkungen gleichbedeutend ist mit Privilegien, welche dem Inhalt des Art. 4 unserer Verfassung widersprechen; -- daß derselbe die durch Art. 31 derselben garantirle Handels- und Gewerbefreiheit beeinträchtigt und daß ein solches Gesetz die Freiheit der Arbeit des größten Theiles der Bevölkerung hemmt;

beantragen wir: Nichteintreten auf die Vorlage.

B e r n , den 18. April 1887.

Rieter, Berichterstatter.

Blumen.

IVIuheim.

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Verhandlungen der ständeräthlichen Kommission über den Schutz des gewerblichen Eigenthums.

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20.04.1887

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