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Bericht der

nationalräthlichen Kommission zum Gesetzesentwurfe betreffend Schuldbetreibung und Konkurs.

(Vom 28. März 1887.)

Tit.

Nachdem der Entwurf eines Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs am 23. Februar 1886 vom Bundesrath und am 22. Dezember 1886 vom Ständerath, welchem die Priorität für die Berathung zukam, festgestellt, worden war, gelangte er an den Nationalrath. Die von Ihnen bezeichnete Kommission nahm die ihr zugeschiedene Arbeit unverzüglich an die Hand. Vom 14. bis zum 23. Februar erfolgte die Detailberathung des Entwurfes auf Grund der ständeräthlichen Beschlüsse; das Ergebniss dieser Berathung wurde durch eine aus Herrn Bundesrath Ruchonnet, Herrn Leo Weber und dem unterzeichneten Berichterstatter bestehende Redaktionskommission mit Beiziehung des Aktuars, Herrn Dr. Brüstlein, redaktionell bereinigt, in dieser Form denKommissions-mitgliedern zugesandt und sodann in den Kommissionssitzungen vom 21. und 22. März definitiv festgestellt.

Es kann wohl nicht unsere Aufgabe sein, Ihnen, Tit., eine historische Darstellung der Entstehung des vorliegenden Entwurfes zu geben, der, nachdem er verschiedene Stadien durchlaufen, heute eine festere Gestalt angenommen hat. Diese Geschichte ist Ihnen bekannt. Ebenso wenig halten wir es für angezeigt, Ihnen zu jedem einzelnen Artikel einen besondern Kommentar zu geben, liegen ja doch über die Detailberathung in der ständeräthliehen Kommission das gedruckte Protokoll und der Bericht derselben vor»

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Und noch ein anderer Grund ist es, der uns einer auf alle Einzelheiten der Vorberathung eingehenden Berichterstattung enthebt: das Protokoll der Sitzungen unserer Kommission soll dazu dienen, den Bericht selbst zu ergänzen, wo derselbe diesem oder jenem unserer verehrlichen Kollegen unvollständig erscheinen sollte.

Diese Bemerkungen vorausgeschickt, gedenken wir nun die wichtigeren Fragen, welche in der Kommission zu Erörterungen sachlicher, nicht bloß redaktioneller Natur geführt habet), zu berühren und, soweit unsere Anträge von den ständeräthlichen Beschlüssen abweichen, kurz zu begründen. Wir werden dabei der Reihenfolge des Entwurfes folgen.

I. A e u s s e r e A n o r d n u n g .

In Betreff der ä u ß e r n A n o r d n u n g schlägt Ihnen die Kommission vor, eine Reihe verschiedenartiger Bestimmungen, die im Entwurfe zerstreut sind, bei vielen Artikeln wiederkehren und die Redaktion derselben belasten, am Schlüsse des ersten Buches unter einem neuen Titel (Titel IV, ,,Verschiedene Bestimmungen") zusammenzufassen. Es sind dieß die Vorschriften in den Art. 45 Ins Art. 45 Septies über die Fristen, welche im Entwurfe den zweiten Titel bilden, über die Art und Weise der Mittheilungen und Bekanntmachungen, über die Gleichstellung des Retentionsrechtes mit dem Pfandrechte, wo vom letzteren gesprochen wird, über die Befreiung von der Stempelgebühr u. s. w.

Diese veränderte Anordnung empfiehlt sich durch die bessere Uebersieht und die Ermölichung knapperer und juristisch korrekterer Redaktion derjenigen Bestimmungen des Gesetzes, auf welche sich obige Vorschriften beziehen und woselbst sie dann nicht mehr wiederholt zu werden brauchen.

II. E i n t r e t e n s f r a g e . Die G r u n d l i n i e n des Entwurfes.

Zur Sache selbst übergehend, fand in der Kommission zunächst eine kurze Diskussion über das E i n t r e t e n auf den E n t w u r f statt. Es wurde dasselbe von einem einzigen Mirgliede bestritten, und zwar nur in einer bestimmten Richtung. Dieses Mitglied stellte dem Betreibungssystem des Entwurfes, wonach je nach der persönlichen Qualität des Schuldners entweder auf Pfändung oder auf Konkurs betrieben werden muß, ein in dem Sinne gemischtes System gegenüber, daß gegen alle Schuldner unterschiedslos

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auf Pfändung zu betreiben wäre, jedoch .so, daß gegen jeden Schuldner, dessen Insolvenz nachgewiesen würde, auch die Eröffnung des Konkurses verlangt werden könnte.

Es ist hier der Ori, die Grundlagen des Entwurfes mit einigen Worten zu skizziren. Der Entwurf beruht nämlich auf zwei Hauptgedanken, welche die Grundpfeiler desselben bilden: 1. Erstlich soll die Betreibung den Agenten entzogen und in die Hand eines öffentlichen Beamten gelegt werden -- B e t r e i b u n g s b e a m t e n (Art. 2 des Entwurfes) -- der an einen bestimmten, vom Bundesrath festzustellenden Tarif gebunden ist (Artikel 273), unter einer staatlichen Aufsichtsbehörde steht (Art. 11) und auf dem Gebiete des eigentlichen Betreibungswesens erhebliche Kompetenzen besitzt. Seine Aufgabe ist vorwiegend ad ministraf iver Natur und seine Maßnahmen können daher nicht auf dem ProzeßWege, sondern nur mittelst der Beschwerde an die Aufsichtsbehörde angefochten und eventuell berichtigt werden (Art. 12 und folgende), während bisher in vielen Kantonen Betreibungsmängel entweder durchweg oder doch großentheils im kontradiktorischen Prozeßverfahren angefochten und nur durch den Richter kassirt werden konnten. Der große Vorzug der Einrichtung der Betreibungsbeamten, die übrigens in den Kantonen der Ostschweiz schon seit langer Zeit besteht, liegt vor Allem darin, daß das Gläubiger wie Schuldner belästigende und kostspielige Agententhum auf dem Gebiete des Betreibungsweseos zurückgedrängt wird, da dessen Thätigkeit dann zum größten Theile unnütz ist und dem Schuldner dafür nichts mehr in Rechnung gebracht werden kann ; ferner aber auch darin, daß die Beschwerden mit Vermeidung von Prozessen eine viel raschere und billigere Erledigung finden und so dem Gläubiger und dem Schuldner gleichmäßig gedient wird. Freilich sind für die richtige Führung des Belreibungsamtes und den Schutz des Publikums gegen fehlbare Beamte gewisse Garantien nöthig, die weiter unten zu besprechen sind.

2. Zweitens soll der K o n k u r s s e h r e r h e b l i c h e i n g e s c h r ä n k t werden. Es geschieht dieß in einer doppelten Richtung: a. Die Regel ist Betreibung auf P f ä n d u n g ; denn nur gegen Solche kann auf Konkurs, dann aber nicht auf Pfändung betrieben werden, welche im schweizerischen Handelsregister eingetragen sind (Art. 47 bis 50). Zu diesem Zwecke
werden die Vorschriften über das Handelsregister im schweizerischen Obligationenrecht (Art. 859 bis 864) in dem Sinne zu vervollständigen sein, daß die Eintragung aller Derjenigen, welche zur Eintragung verpflichtet sind, dieselbe jedoch unterlassen, von Amtes wegen erfolgen

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muß. Die Erfahrung hat nämlich gezeigt, daß mit bloßen Bußandrohungen auf diesem Gebiete keine feste Ordnung geschaffen werden kann und daß es daher im Interesse der Rechtssicherheit geboten ist, ein äußerlich erkennbares Merkmal für Diejenigen zu erhalten, welche wegen ihrer Berufsthätigkeit ausnahmsweise nur auf Konkurs zu betreiben sind. Der frühere Widerstand gegen das im Entwurf adoptirte System hatte seinen guten Grund darin, daß bei dem damaligen Mangel eines Handelsregisters der Unterschied zwischen einem Kaufmann, der nur auf Konkurs, und einem Nichtkaufmann, der nur auf Pfändung hätte betrieben werden können, zu vielfachen Prozessen geführt hätte, die jedoch wegfallen, sobald durch das nunmehr eingeführte und noch zu vervollständigende Handelsregister ein sicheres Unterscheidungskriterium gegeben ist.

Da übrigens nach dem Entwurf der Betreibungsbeamte im einzelnen O O Falle zu bestimmen hat, welche der beiden Betreibungsarten nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften anwendbar ist, so wird die Remedur eines allfälligen Irrthums des Betreibungsbeamten nicht auf dem Wege eines Prozesses, sondern mittelst amtlichen Einschreitens der Aufsichtsbehörde erfolgen.

6. Aber auch in einer zweiten Richtung wird die in einzelnen Kantonen geradezu erschreckende Zahl der Konkursiten eine wesentliche Verminderung erfahren. Es ist nämlich im Entwurf der N a c h l a ß v e r t r a g in einer Weise durchgeführt, daß mancher Kaufmann, der nach dem gegenwärtigen Stande der Gesetzgebung unrettbar dem Konkurse verfallen wäre, denselben bei einiger Anstrengung und gutem Willen vermeiden kann (Art. 18 bis 38). Wir legen namentlich auch Gewicht darauf, daß der Schuldner in der Regel durch die Erfüllung des Nachlaßvertrages -- vorbehaltlich der Rechte der auf ihr Privileg nicht verzichtenden Gläubiger und der Pfandgläubiger bis zum Werthbetrag des Pfandes -- von jeder weitern Verpflichtung gegenüber seinen Gläubigern befreit wird (Art. 37), daß also die unmittelbare Wirkung des Nachlaß Vertrages die Verhinderung der Konkurseröffnung ist.

Wir wissen zwar, daß dem System der Einschränkung des Konkurses, wie sie im Entwurfe enthalten ist, Bedenken entgegenstehen, die nicht unterschätzt werden dürfen. Man befürchtet, daß da, wo nur die Pfändung zuläßig ist, leicht eine Hetzjagd auf die besten Pfänder des Schuldners
erfolgen könnte, bei der die entfernteren Gläubiger benachtheiligt würden. Ganz ohne Grund ist dieser Einwand nicht, allein er wird doch wesentlich abgeschwächt : erstlich dadurch, daß mit Ausnahme der im Handelsregister Eingetragenen, also der Kaufleute, die dem Konkurse unterstellt Bundesblatt. 39. Jahrg. Bd. I.

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sind, die Bürger, namentlich Bauern, Handwerker und Arbeiter, in der Regel nicht viele entfernt wohnende Gläubiger haben ; zweitens durch die Möglichkeit des Anschlusses an die Pfändung seitens solcher betreibenden Gläubiger, die sonst noch nicht zur Pfändung gelangt wären (Art. 96bis , und endlich drittens durch das Recht des betriebenen Schuldners, zu jeder Zeit selbst den Konkurs durch die Güterabtretung herbeiführen zu können, um sich der ihm lästig werdenden Hetzjagd auf seine Pfänder zu entziehen oder unbillige Gläubiger milder zu stimmen , zumal dieselben wissen , daß alsdann ihre Pfändungen gänzlich dahinfallen würden (Art. 176, Ziffer 2, und "Art. 206).

Man wendet ferner ein, der Konkurs sei an sieh nichts Entehrendes : wenn Einer nicht alle seine Gläubiger gleichmäßig befriedigen könne, so sei es sogar ehrenhafter, wenn er durch seinen Konkurs dafür sorge, daß nicht die einen vor den andern auf dem Pfändungswege Zahlung erhalten.

Theoretisch ist dieser Satz gewiß richtig, und es wird wohl einmal die Zeit kommen, wo auch in unserer schweizerischen Eidgenossenschaft der Konkurs allein Jemanden nicht im bürgerlichen und sozialen Leben mit einem unauslöschbaren Makel behalten wird. Allein diese Zeit ist noch nicht gekommen. "Wir wissen, welche Mühe und. wir fügen bei, welche vergebliche Mühe es bisher gekostet hat, in vielen Kantonen nur die entehrenden bürgerlichen Folgen eines Konkurses zu beseitigen, von der Mißachtung des Konkursiten, auch des schuldlosen Konkursiten, in der öffentlichen Meinung nicht zu sprechen. Mit diesem realen Faktor muß der Gesetzgeber rechnen, mag er selbst noch so sehr von der Unrichtigkeit der Sache überzeugt sein, und wir glauben sogar, es liege bei der Mehrzahl der Schuldner mehr im Interesse der Gläubiger, das Risiko einer möglichen Benachteiligung beim Pfändungssystem zu übernehmen, als eine meistens ziemlich sicher in Aussicht stehende werthlose Anweisung im Konkurse zu erhalten.

III. Das erste Buch: Allgemeine Bestimmungen.

1. Während der Bundesrath die K o n k u r s - und B e t r e i b u n g s kreise sich decken ließ, überläßt die Kommission in Uebereinstimmung mit dem Ständerath die Regulirung dieser Präge den Kantonen : nicht deßhalb, weil sie nicht von der Wünschbarkeit einer solchen Vereinigung überzeugt ist, sondern weil durch eine solche

789 Bestimmung diejenigen Kantone, in denen die Betreibungskreise auf die Gemeinden beschränkt sind, genöthigt würden, die bei ihnen eingelegte Einrichtung der Gemeindeammänner als Betreibungsbeamte aufzugeben, was einer Opposition gegen das Gesetz gerade in solchen Kreisen rufen würde, die sonst mit den Einrichtungen desselben, speziell mit der Einführung der Betreibungsbeamten, einverstanden sind. Dazu kommt, daß auch über die Wahlart der Betreibungsbeamten sehr verschiedene Ansichten walten. Sollen dieselben, wie es der Bundesrath vorschlug, durch die oberste kantonale Gesetzgebungs-, Verwaltungs- oder Gerichtsbehörde oder, wie es der Grütliverein und andere Eingaben verlangen , durch das Volk, sei es durch die Gemeindeversammlungen oder durch die Bezirksversammlungen, gewählt werden? Die Kommission wollte hieraus keine Streitfrage machen; sie zog es vor, in dieser Richtung den Kantonen die gewünschte Freiheit zu lassen, von der Ansicht ausgehend, daß die Garantie für gute Betreihungsbeamte wesentlich in der Verantwortlichkeit liege, welche die Kantone, denen die Ernennung zukommt, zu übernehmen hupen.

2. Um so mehr Gewicht legte deßhalb die Kommission auf die Beibehaltung der vom Bundesrath vorgeschlagenen s u b s i d i ä r e n H a f t b a r k e i t des K a n t o n s für den Schaden, den die Betreibungsund Konkursbeamten, sowie deren von der öffentlichen Gewalt gewählte Angestellte den Betheiligten zufügen. In diesem Punkte weicht der Antrag der Kommission vom Beschlüsse des Ständerathes ab (Art. 4 ter , erster Absatz). Die Gründe, welche diesen Abänderungsantrag veranlaßten, sind die folgenden : Wenn Jemand genöthigt wird, sieh in einer Rechtssache an einen bestimmten Beamten zu wenden, so darf er auch verlangen, daß die Wahlbehörde einen kundigen und ehrlichen Mann dazu bestelle, und wenn diese Wahl den Kantonen zukommt, so können und sollen sie dieselbe mit solchen Garantien umgeben, daß die Interessenten nicht durch die Unkenntnis oder die Böswilligkeit des Beamten geschädigt werden. Ganz vermeiden lassen sich solche Schädigungen freilich nicht, und deßhalb sind die Kantone berechtigt, von den Beamten und Angestellten, für welche sie verantwortlich sind, Kautionsleistung zu verlangen (Art. 4tOT, zweiter Absatz) und auf dem Wege der Gesetzgebung sich das Recht des Rückgriffs gegen die Bezirke,
Gemeinden oder staatlichen Behörden vorzubehalten, von denen der fehlbare Beamte oder Angestellte ernannt worden ist (Art. 4ter, dritter Absatz). Solche Bestimmungen gelten schon gegenwärtig z. B. im Kanton Thurgau , woselbst im Falle einer Schadensznfügung durch einen vom Kreis erwählten Notar der Ersatz zum Theil vom Kanton, zum Theil vom betreffenden Kreis übernommen

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werden muß. Die Folgen der subsidiären Haftbarkeit des Kaatons, wie sie der Entwurf des Bundesrathes und der Antrag der Kommission vorsieht, sind übrigens, wie die Erfahrung lehrt, für die Kantonsfinauzen von keiner irgendwie erheblichen Gefahr. Im Kanton Bern haftet der Staat nach Art. 17 der Staatsverfassung direkt für allen Schaden, den eine Behörde, ein Beamter oder Angestellter in seinen Amtsverrichtungen widerrechtlicher Weise einem Bürger verursacht hat, und obschon diese Verantwortlichkeit schon seit 1846 besteht, sind bis jetzt dem Staat noch nie erhebliche Verluste daraus entstanden.

3. Der A n s p r u c h auf S c h a d e n s e r s a t z g e g e n die B e t r e i b u n g s - und K o n k u r s b e a m t e n wegen ungesetzlicher Handlungen und Unterlassungen ist nicht bei der Aufsichtsbehörde anzubringen, deren Aufgabe eine blos kontrolirende und disziplinarische ist, sondern sie muß im ordentlichen Prozeßwege vor dem Richter des Wohnsitzes des Beklagten angebracht werden (Art. 4, zweiter Absatz) und verjährt in einem Jahre von dem Tage hinweg, an welchem der Beschädigte Kenntniß von der Schädigung erlangt hat, jedenfalls aber mit dem Ablauf von zehn Jahren von dem Tage der Schädigung an gerechnet. Wird jedoch die Klage aus einer strafbaren Handlung hergeleitet, für welche das Strafrecht eine längere Verjährung vorschreibt, so gilt diese auch für den Civilanspruch.

Es ist diese Bestimmung wörtlich dem schweizerischen Obligationenrecht Art. 69 entnommen und hier deßhalb in extenso angeführt worden, damit auch der Laie, dem die Übrigen Gesetzbücher nicht immer bei der Hand sind, sich schneller orientiren kann (Art. 4, dritter Absatz). Der bundesräthliehe Entwurf hatte in Art. 16 eine andere Verjährungsfrist (6 Monate) vorgeschlagen, die Kommission hielt es aber für richtiger, die Verjährungsfristen für Ansprüche aus Art. 50 OR. im Betreibungs- und Konkursgesetze nicht zu vermehren, sondern bei der Frist des Art. 69 OR. zu verbleiben.

4. Von besonderer Wichtigkeit ist die S t e l l u n g u n d A u f g a b e d e r A u f s i c h t s b e h ö r d e (Art. 11 bis 14bi8). Jeder Kanton ist verpflichtet, eine solche zu bestellen, er kann aber auch für je einen oder mehrere Kreise untere Aufsichtsbehörden aufstellen, gegen deren Entscheidungen an die obere kantonale Aufsichtsbehörde rekurrirt wird. Der
Aufsichtsbehörde steht nur speziell die Ueberwachung des Betreibungs- und Konkursverfahrens zu, und an sie gehen daher alle Beschwerden gegen die Betreibungs- und Konkursämter. Diese Beschwerden können geführt werden gegen zwei juristisch verschiedene Handlungen der genannten Aemter: entweder wegen Verletzung gesetzlicher Vorschriften, sowie wegen Rechtsverweigerung oder Rechtsverzögerung, also gegen

791 gesetzwidrige Akte des Betreibungs- und Konkursamtes, wie z. B. unrichtige Betreibung, Pfändung nicht pfändbarer Sachen oder Verweigerung der Pfändung solcher Gegenstände, die derselben unterliegen (Art. 12, erster Absatz), oder gegen eine Handlung, welche das betreffende Amt zwar innerhalb seiner Kompetenz, also ohne Verletzung einer gesetzlichen Vorschrift, vorgenommen hat, die aber der einen oder andern Partei nach Maßgabe der vorliegenden Umstände als ungerechtfertigt erscheint (Art. 12, zweiter Absatz).

Hierunter fallen die Beschwerden gegen unrichtige, zu hohe oder zu niedrige Schätzungen gepfändeter Gegenstände (Art. 97), gegen unrichtige, zu hohe oder zu niedrige Bestimmung des pfändbaren Betrages am Lohnguthaben, Gehalte u. s. w. (Art. 100), gegen ungerechtfertigten Abschlag oder Gestattung von Stundungen (Art. 89bis und 124M"), gegen unrichtige Beurtheilung der Hinlänglichkeit einer angebotenen Kaution u. dgl. mehr.

Für beide Beschwerdearten gilt, daß, falls die Beschwerde begründet erfunden wird, der gesetzwidrige oder durch die Umstände nicht gerechtfertigte Akt von der Aufsichtsbehörde aufgehoben oder berichtigt wird, daß diese letztere die Amtshandlungen anordnet, welche der Beamte vorzunehmen in pflichtwidriger Weise sich geweigert hat oder deren Vornahme er verzögert, und daß sie endlich gegen die fehlbaren Beamten auch die den Umständen angemessenen Disziplinarstrafen ausspricht (Art. 13).

Das Beschwerderecht gegen die Betreibungs- und Konkursbeamten, wie es die Kommission vorschlägt, geht also weiter, als nach dem bundesräthlichen Entwurfe und dem ständeräthlichen Beschlüsse; es ist nicht beschränkt auf die gesetzwidrigen Handlungen und Unterlassungen der betreffenden Aemter, sondern gilt auch gegen ungerechtfertigte, wenn auch formell nicht anfechtbare Verfügungen. Wir glaubten dies im Interesse des materiellen Rechtes vorschlagen zu sollen, da sich nicht läugnen läßt, daß sowohl das Belreibungs-, als das Konkursamt ausgedehnte Kompetenzen erhalt, deren Ausübung von einer obern Behörde im Interesso des Gläubigers nicht minder als des Schuldners kontrolirt sein sollte.

5. Einverstanden sind wir mit dem Ständerath, daß dem B u n d e s r a t h e die O b e r a u f s i c h t über die Besorgung des Schuldbetreibungs- und Konkurswesens zustehen und daß er in Ausübung dieses
Oberaufsichtsrechtes an die kantonalen Aufsichtsbehörden die zu gleichmäßiger Anwendung des Gesetzes erforderlichen Weisungen erlassen soll, sowie die genannten Behörden zu jährlicher Berichterstattung anhalten kann (Art. 14, die zwei ersten Absätze).

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Nicht einverstanden dagegen sind wir mit dem neuen Art. 17 des Ständerathes, der j e d e W e i t e r z i e h ung g e g e n die E n t s c h e i d e d e r k a n t o n a l e n A u f s i c h t s b e h ö r d e ausschließt.

Die Kommission nimmt an, es sei hier ein Unterschied zu machen : Gegen Entscheidungen der kantonalen Aufsichtsbehörde über solche Beschwerden, welche Verfügungen betreffen, die von der einen oder andern Partei n i c h t wegen Gesetzwidrigkeit, sondern lediglich deßhalb angefochten sind, weil sie nach Maßgabe der v o rl i e g e n d e n U m s t ä n d e als ungerechtfertigt erscheinen, soll ein Weiterzug an die Bundesbehörden nicht zuläßig sein. ZurBeurtheilung solcher vollständig vom Thatbestand abhängiger Fragen ist weder der Bundesrath, noch das Bundesgericht die passende Behörde; es handelt sich dabei auch nicht um die Richtigkeit des Entscheides einer Rechtsfrage, sondern lediglich um die Würdigung des Thatbestandes innerhalb der Schranken des Gesetzes; für die Zulassung eines weitern Rekurses auf diesem Gebiete liegt daher kein Bedürfhiß vor.

Anders dagegen verhält es sich bei gesetzwidrigen Entscheidungen der letztinstanzlichen kantonalen Aufsichtsbehörde. Hier muß dem Bundesrath, wenn sein Oberaufsichtsrecht nicht ein tönendes Erz und eine klingende Schelle sein soll, das letzte Wort zustehen. Was würden seine Weisungen an die kantonalen Aufsichtsbehörden zum Zwecke der gleichmäßigen Anwendung des Gesetzes und die jährliche Berichterstattung dieser Behörden an den Bundesrath nützen, wenn seine Weisungen für sie nicht verbindlich wären oder ihm doch kein Recht zur Remedur der Widerhandlungen gegen dieselben oder gegen das Gesetz zustünde? Viel wahrer wäre es, falls man dem Bundesrath jede Entscheidungskompetenz entziehen will, auch dessen Oberaufsichtsrecht zu streichen, denn es ist uns unverständlich, wie ein solches bei Nichtachtung erlassener Weisungen oder der Vorschriften des Gesetzes ohne direktes Einschreiten geübt werden könnte.

Der Mißbrauch solcher Rekurse kann verhütet werden. Vorab steht es in der Macht des Bundesrathes, einer an ihn gerichteten Beschwerde aufschiebende Wirkung beizulegen oder nicht (Art. 14bis).

Regel ist, daß sie diese Wirkung nicht hat. Sodann ist die Frage, ob eine eigentliche Gesetzwidrigkeit vorliege, in den weitaus meisten Fällen eine völlig
liquide; es liegen die Akten und der Entscheid der Aufsichtsbehörde bei, und die Erledigung wird in der Regel eine sehr rasche sein. Selbstverständlich wird das eidgenössische Justizdepartement, dem die Antragstellung zukommt, eine entsprechende Organisation treffen müssen, damit keine Zögerungen

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erfolgen. Wir glauben aber, es weiden solche Besehwerden, wenn sich das Gesetz einmal in den Kantonen eingelebt haben wird, nur noch sehr selten erfolgen, zumal durch entsprechende Weisungen unrichtige Auffassungen verhütet werden können.

Von dem Bundesgerichte als Oberaufsichtsbehörde über die Betreibungs- und Konkursämter hat die Kommission wie der Bundesrath abstrahirt. Es ist schon oben darauf hingewiesen worden, daß dieser Aufsicht mehr ein administrativer Charakter zukommt, der zu unmittelbarem Einschreiten durch Weisungen und Verfügungen nöthigt, wie sie das Bundesgericht nach seiner ganzen Organisation weniger wirksam durchzuführen im Stande wäre.

Vor das Bundesgericht gehören dagegen die eigentlichen Prozesse , welche infolge des Gesetzes über dessen Anwendung entstehen , allein selbstverständlich nur dann, wenn sie einen Hauptwerth von wenigstens Fr. 3000 haben, also nach Art. 29 des Bundesgesetzes über die Bundesrechtspflege sich zur Weiterziehung eignen.

6. Beim N a c h l a ß v e r t r a g sind die Aenderungen, welche Ihnen die Kommission vorschlägt, meistens nur redaktioneller Natur.

Die wichtigern sachlichen Modifikationen der ständeräthlichen Beschlüsse sind die folgenden : a. Während der Ständerath schon beim Gesuch um Stundungsbewilligung den Schuldner anhält, den Entwurf eines Nachlaßvertrages mit der Zustimmungserklärung einer Mehrheit von zwei Dritttheilen der nicht pf and versicherten und nicht privilegirten Gläubiger , die zusammen zwei Dritttheile des Gesammtbetrages der nicht pfandvei'sicherten und nicht privilegirten Forderungen vertreten, beizulegen, schlägt Ihre Kommission in zweifacher Richtung eine Erleichterung für den Schuldner vor: erstlich verlangt sie von demselben nicht die Beilegung eines Entwurfes, sondern begnügt sich mit seiner Anzeige, daß er einen Nachlaßvertrag beabsichtige, und zweitens verlangt sie für die Zustimmunsserklärun° weder für die Personen, noch für die Beträge der Forderungen eine Zweidrittelmehrheit, sondern bloß die einfache Mehrheit.

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Diese beiden Erleichterungen glaubte die Kommission, in diesem Vorstadium des Verfahrens dem Schuldner gestatten zu »sollen, weil ihm sonst leicht die Wohlthat eines Nachlaßvertrages von vornherein unmöglich gemacht werden könnte. Auf einen Entwurf von vornherein zwei Dritttheile der Interessenten zu vereinigen, wird in den meisten Fällen einem bedrängten Schuldner schwierig

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oder unmöglich sein, und bei jedem Nachlaßvertrag haben wir es eben mit bedrängten Schuldnern zu thun.

Daß bei der Berechnung der Mehrheit die Ehefrau des Schuldners weder für ihre Person, noch für ihre Forderung in Betracht fällt, ist keine Neuerung, sondern nur eine andere und präzisere Redaktion des ständeräthlichen Beschlusses.

b. Nicht ohne Bedeutung ist die Ihnen von der Kommission vorgeschlagene Streichung der Worte ,,und der schnellen Schuldbetreibung auf Konkurs11 im zweiten Absatz des Art. 22 des Ständerathes. Wenn durch die Stundung infolge eines Begehrens um den Nachlaßvertrag die schnelle Schuldbetreibung auf Konkurs nicht suspendirt würde, so wäre der Nachlaßvertrag gerade für Kaufleute, bei denen er am meisten vorkommen wird, illusorisch. Die Schulden der im Handelsregister eingetragenen Kaufleute bestehen wesentlich in Wechseln und in Checks, welche der schnellen Konkursbetreibung unterworfen sind (Art. 167) , so daß der Portgang derselben während der Verhandlungen über den Nachlaßvertrag unbedingt gehindert werden muß. Die Kommission ist in dieser Präge einstimmig.

c. Im nämlichen Art. 22 schlägt Ihnen die Kommission vor, während der bewilligten Stundung nicht den Lauf der materiellen Verjährungsfristen, die durch einfache Ladung zu einem amtlichen Sühneversuch unterbrochen werden können (Art. 154, Ziff. 2 0. R.), zu hemmen, sondern nur den Lauf der im vorliegenden Gesetze aufgestellten Verwirkungsfristen.

d. In Art. 25 geht der Vorsehlag der Kommission dahin, schon mit der ersten Bekanntmachung die Ladung an die Gläubiger zu einer allgemeinen Versammlung zu verbinden, damit sie ihren Bürgen, Mitschuldnern und Rückgriffspflichtigen rechtzeitig Mittheilung machen können (Art. 25, letzter Absatz,). Im Zusammenhang damit steht Art. 28 b l B , welcher dieses Verhältniß ordnet und keiner weitern Bemerkung bedarf.

e. Bei Art. 30 ist zu bemerken : a) Zu Ziffer l wurde, in Uebereinslimmung mit der Eingabe des Grütlivereins, im Schöße der Kommission die einfache Mehiheit für die Bestätigung des Nachlaßvertrages beantragt; dieser Antrag ist jedoch von der Kommission mit Bezug auf die Summen mit großer Mehrheit, in Bezug auf die Köpfe dagegen mit nur einer Stimme Mehrheit abgelehnt worden.

ß~) Die Frage, ob und in welchem Maße bestrittene Ansprüche bei der Berechnung der gesetzlich geforderten Mehrheit miteuzählea

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seien, wird durch die Behörde (Konkursbehörde) entschieden, welche den Nachlaßvertrag zu bestätigen hat; dagegen soll durch dieses Erkenntniß der gerichtlichen Beurtheilung des Rechtsbestandes der betreffenden Forderung nicht vorgegriffen sein (Art. 30, Absatz 2), und es sollen die auf bestrittene Forderungen entfallenden Beträge einstweilen bei der zur Annahme von Depositen ermächtigten kantonalen Anstalt hinterlegt werden (Art. 34bis, erster Absatz). Um jedoch in einem solchen Falle jede Verschleppung zu verhüten, setzt die zuständige Behörde den betreffenden Gläubigern eine pei-emtorische Frist zur Anhebung der Klage, sofern die Sache noch nicht rechtshängig gemacht ist (Art. 34bi8, zweiter Absatz).

Mit obigen Bestimmungen ist zugleich einer Anregung des Herrn Advokat Rambert Rechnung getragen, dahingehend, daß die Behörde auch berechtigt sein soll, bestrittene Forderungen bei Bestätigung oder Nichtbestätigung eines Nachlaßvertrages zu berücksichtigen, wenn sie von solchem Belange sind, daß sie für das Schicksal desselben, falls sie mitgezählt würden, ausschlaggebend wären.

f. Zu Art. 31 beantragt die Kommission, ,,die letztinstanzliche Aufsichtsbehörde"' an die Stelle der Worte ,,die kantonale Oberbehörde"' zu setzen, da es sich bei Genehmigung eines Nachlaßvertrages nicht um den Entscheid eines Prozesses, sondern um die Untersuchung eines Abkommens handelt, das erstinstanzlich von derjenigen Behörde beui'theilt wurde, welche der kantonalen Aufsichtsbehörde unterstellt ist.

g. Zu Art. 36 schlägt die Kommission vor, die Weiteraiehung des Entscheides über den Widerruf eines auf betrügerische Weise zu Stande gekommenen Nachlaßvertrages an die letztinstan/Jiche kantonale Aufsichtsbehörde zuzulassen.

7. Einer einläßlichen Diskussion rief der Titel über die Anf e c h t u n g s k l a g e (actio Pauliana), die nicht bloß für den Fall des Konkurses, sondern auch für denjenigen der Pfändung zur Anwendung gelangt.

Der Ständerath und theilweise auch der ßundesrath (Art. 44) hatten die absolute Ungültigkeit gewisser Rechtshandlungen aufgestellt, sobald sie innerhalb eines gewissen Zeitraumes vor der .Konkurseröffnung oder der unfruchtbaren Pfändung vorgenommen sind. Es war dieß eine Annäherung an das System des französischen Code de commerce, nach welchem durch die Rückdatirung der Eröffnung des
Konkurses auf den Zeitpunkt der Zahlungseinstellung gewisse inzwischen und einige Zeit vor diesem Zeitpunkte abgeschlossene Rechtsgeschäfte ohne Weiteres annullirt sind.

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Die Kommission stellte sieh nicht auf diesen Standpunkt. Sie adoptirte vielmehr prinzipiell den Standpunkt dei- gemeinrechtlichen actio Pauliana, wonach nur dann die Ungültigkeit eines vor Ausstellung des Leeren Pfandscheines oder Eröffnung des Konkurses abgeschlossenen Rechtsgeschäftes auszusprechen ist, wenn dasselbe in fraudem creditorum zu Stande kam (Art. 40). Dagegen unterschied sie zwischen solchen Rechtsgeschäften, die wegen der Zeit ihres Zustandekommens (kurze Zeit vor Ausstellung des Leeren Pfandscheines oder Eröffnung des Konkurses) oder wegen ihrer Natur (unentgeltliche Verfügungen) die Präsumtion einer unerlaubten Bevorzugung oder Zuwendung rechtfertigen (Art. 41 und 42), und solchen Rechtsgeschäften, bei denen dieß nicht der Fall ist und wo somit dem Kläger der volle Beweis der frandlösen Benachtheiligung auffallen soll (Art. 40).

Es scheint uns diese Unterscheidung gerechtfertigt. Ein Schuldner, der kurze Zeit vor seinem Ruin einzelne Gläubiger benachtheiligende und andere bevorzugende Rechtsgeschäfte abschließt, hat die Präsumtion der fraus gegen sich, und ebenso verdient eine unentgeltliche Verfügung des Schuldners, durch welche die Gläubiger geschädigt werden, weniger Schutz, als der belästigende Vertrag, bei welchem unter allen Umständen der gutgläubige Dritte durch die Anfechtungsklage nicht berührt werden darf (Art. 44).

Was die Anordnung anbetrifft, so bezeichnet die Kommission an der Spitze des Titels in einem besondern Artikel erstens den Z w e c k der Anfechtungsklage (Art. 39, erster Absatz), zweitens die zur Anstellung der Klage B e r e c h t i g t e n (Art. 39, Ziffer l und 2) und drittens die V e r j ä h r u n g s f r i s t der Klage (Art. 39, letzter Absatz). Hierauf wird in Art. 40 der allgemeine Grundsatz der Paulianischen Klage, bestehend in der Anfechtbarkeit aller vom Schuldner in fraudem creditorum vorgenommenen Rechtshandlungen, aufgestellt; : n den Art. 41 und 42 werden die besondern Fälle normirt, in welchen die Anfechtbarkeit gewisser Rechtsgeschäfte entweder wegen des Zeitpunktes, in welchem sie abgeschlossen wurden, oder wegen ihrer rechtlichen Natur präsumirt wird ; der Art. 42bis weist das Gericht für alle in Art. 40 bis 42 erwähnten Fälle in Betreff der Würdigung der geführten Beweise an das freie Ermessen in Berücksichtigung der vorliegenden Umstände,
und die Art. 43 und 44 endlich bestimmen die Wirkungen der Anfechtungsklage mit Rüeksicht sowohl auf die Sachen, als auf die Personen.

Zu bemerken ist hiebei bloß, daß der Art. 42 bis seine Entstehung dein Umstände verdankt, daß die formelle Beweistheorie, wie sie noch in einigen Kantonen besteht, zu einer richtigen Würdigung des Beweismaterials bei der Paulianischen Klage nicht

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hinreicht, und daß es deßhalb geboten ist, in Uebereinstimmung mit den Grundsätzen des Obligationenrechtes das freie Ermessen des Richters auch hier eintreten zu lassen. Im Uebrigen verweisen wir in Betreff der Einzelheiten, welche in der Kommissionsberathung besprochen wurden, auf das Protokoll.

IV. Das z w e i t e B u c h : Die S c h u l d b e t r e i b u n g .

1. Wir haben schon oben bemerkt, daß nach dem, dem Gesetze zu Grunde liegenden System der Betreibungsbeamte in jedem einzelnen Falle, wo ihm eine Forderung zur Betreibung übergeben wird, bestimmt, w e l c h e d e r b e i d e n B e t r e i b u n g s a r t e n nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften anwendbar ist, und diesem Gedanken glaubte die Kommission schon im ersten Artikel dieses Buches bestimmt Ausdruck geben zu sollen (Art. 46, Abs. 3).

Die Vorschriften hiefür sind öffentlichen Rechtes, eine lex cogens, die nicht durch Privatkonvention in Spezialfällen verändert werden darf. Es ist also nicht zuläßig, daß ein Gläubiger gegen einen im Handelsregister Eingetragenen, selbst mit dessen Zustimmung, dem Betreibungsbeamten die Weisung ertheilt, die Betreibung auf Pfändung vorzunehmen, und ebenso bestimmt ist es dem Betreibungsbeamten untersagt, einen nicht im Haiidesregister Eingetragenen, auch wenn er seine Einwilligung dazu geben sollte, auf Konkurs zu betreiben.

Leitet ein ßetreibungsbeamter eine unrichtige Betreibung ein, so liegt eine gesetzwidrige Amtshandlung vor, die von der Aufsichtsbehörde '/M berichtigen ist. Der fehlbare Beamte kann überdieß nach Art. 13 von dieser nämlichen Behörde mit einer Ordnungsstrafe belegt werden, und falls einer Partei Schaden daraus erwachsen ist, steht ihr nach Art. 4 und folgenden die Klage auf Ersatz desselben gegen den Beamten, eventuell gegen den Kanton '/M.

2. Es wurde im Schooße der Kommission die Frage aufgeworfen, ob es nicht zweckmäßiger und namentlich für auswärts wohnende Gläubiger im Interesse einer rascheren und einfacheren Abwicklung der Betreibung bequemer wäre, zu gestatten, daß der Gläubiger gleich von vornherein dem Beamten die Weisung ertheilen könnte, die Betreibung durch alle Stadien bis an's Ende durchzuführen, ohne genöthigt zu sein, bei j e d e r n e u e n V o r k e h r ein n e u e s B e g e h r e n zu s t e l l e n . Nach dem Entwurfe des Bundesrathes erläßt nämlich der Beamte, welcher das Betroibungsbegehren erhalten hat, lediglich den Zahlungsbefehl, und es bedarf eines besondern, erst nach Ablauf der Zahlungsfrist anzu-

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bringenden Begehrens des Gläubigers, um ihn zur Vornahme der Pfändung zu berechtigen. Der Ständerath geht noch einen Schritt weiter und verlangt auch zur Vornahme der Versilberung ein besonderes neues Begehren von Seite des Gläubigers (Art. 94 und 124"). Die Kommission, ohne den Werth einer raschen Vollziehung für den Gläubiger zu verkennen, glaubte am Beschlüsse des Ständerathes festhalten zu sollen: einerseits wird nämlich der Gläubiger vom Betreibungsbeamten jeweilen von den verschiedenen Stadien benachrichtigt, so daß es ihm leicht sein wird, die nüthigen Weisungen durch eine briefliche Mittheil u ng "zu ertheilen, und andererseits gibt es doch viele Fälle, wo ein Gläubiger in seinem eigenen Interesse dem Schuldner gerne einige Zeit läßt, um sich nach Mitteln zur Zahlung umzusehen, namentlich dann, wenn die Pfändung schon stattgefunden hat.

'"o 3. Beim Z a h l u n g s b e f e h l (Art. 73) wurde in einem zweiten Absatz zu Ziffer 4 auch die Betreibung auf Sicherheitsleistung erwähnt, und in Ziffer 5 sind die Worte .,,Betreibungsrechtes"1 durch die Worte ^Zahlfàlligkeit der Forderung" ersetzt (siehe auch Art. 75).

Das Letztere mußte geschehen, damit nicht der unrichtige Glaube entstehe, es sei wegen eines Fehlers in der Betreibung ein Rechtsvorschlag anzubringen und infolge dessen ein Prozeß zu führen. Alle derartigen Fehler können nur auf dem Wege der Beschwerdeführung durch die Aufsichtsbehörde berichtigt werden.

Bei diesem Anlaß wurde von einer Seite auch die Wünschbarkeit einer Ausscheidung wesentlicher Betreibungsmängel, welche die Nichtigkeit des Verfahrens zur Folge haben, von unwesentlichen ausgesprochen ; allein es ist dieser Anregung deßhalb keine weitere Folge gegeben worden, weil es schwierig wäre, von vornherein eine solche genaue Ausscheidung vorzunehmen, und die Aufsichtsbehörde diese Frage besser in jedem einzelnen Falle nach billigem Ermessen entscheidet. Uebrigens wird gerade hierüber der Bundesrath kraft seines Oberaufsichtsrechtes im Falle sein, die erforderlichen Weisungen an die kantonnlen Aufsichtsbehörden zu einer möglichst gleichmäßigen Handhabung des Gesetzes zu ertheilen (Formularien).

4. Die n a c h t r ä g l i c h e Z u l a s s u n g des R e c h t s v o r s c h l a g e s (Art. 77) soll nach dem Antrage der Kommission in einem Punkte erleichtert werden. Während
nämlich der Ständerath denselben nur dann zuläßt, wenn dessen Grund erst seither entstanden und u r k u n d l i c h nachgewiesen ist u. s. w., schlägt die Kornmission vor, das Wort ,, urkundlich a in dem Sinne zu streichen, daß für die Zuläßigkeit der Beweismittel das kantonale Prozeßrecht entscheide.

799 Ebenso wurde der Schlußsatz des Art. 77, wonach gegen den Entscheid des Gerichtes über die Zulassung des Rechtsvorschlages keine Weiterziehung stattfinden soll, gestrichen. Auch hierüber macht das kantonale Prozeßgesetz Regel.

5. Im letzten Absatz des Art. 80 des Ständerathes wurden von der Kommission die Worte ,,die im öffentlichen Rechte begründeten Verpflichtungen (Steuern u. s. w.)" als ungenügend und zu vag gestrichen und ersetzt durch einen neuen A b s a z , welcher d e n Kantonen gestattet, E n t s c h e i d e i h r e r V e r w a l t u n g s behörden und V e r p f l i c h t u n g e n aus dem öffentlichen R e c h t , wie Steuern u. s. w., vollstreckbaren gerichtlichen Urtheilen gleichzustellen, Allein beschränkt auf ihr eigenes Gebiet.

In vielen Kantonen besteht nämlich eine ausgebildete, gut funktionirende Verwaltungsjustiz, deren Entscheidungen in Betreff ihrer Vol l streck barkeit die nämliche Wirkung haben, wie die Entscheidungen der Gerichte, und ebenso besteht in manchem Kanton die Vollstreckbarkeit gewisser Verpflichtungen des öffentlichen Rechtes, namentlich der Steuerzahlung, ohne vorgängiges kontradiktorisches Prozeßverfahren. Solche Verhältnisse sollen nach dem Antrage der Kommission den Kantonen gestattet sein, allein die V o l l s t r e c k barkeit darf nicht über die Kantonsgrenze hinausg e h e n . In dieser Richtung verbleibt es hei Art. 61 der Bundesverfassung, wonach nur die rechtskräftigen Civilurtheile, die in einem Kantone gefällt sind, in der ganzen Schweiz vollzogen werden können, nicht aber Urtheile von Verwaltungsbehörden und Verpflichtungen aus dem öffentlichen Recht eines Kantons.

6. Gegen die Betreibung auf Grund e i n e s v o l l s t r e c k b a r e n U r t h e i l s kann der Betriebene sich nicht anders befreien, als durch den sofortigen schriftlichen Nachweis, daß die Schuld seit Erlaß des Urtheils durch Zahlung oder auf andere Weise getilgt worden oder daß sie verjährt ist. Von selbst versteht es sich, daß für die Vollstreckbarkeit eines in einem andern Kanton gefällten Urtheils die Kompetenz des Gerichtes und die regelmäßige Vorladung oder die gesetzliche Vertretung des Schuldners, falls diese Voraussetzungen von demselben bestritten werden, vom Gläubiger zu beweisen sind, und daß für ausländische Urtheile die sachbezüglichen Staatsverträge Regel machen
(Art. 81).

Von Wichtigkeit, weil für manche Kantone neu, ist die Bestimmung, daß auch auf eine anderweitige beweiskräftige Urkunde, z. B. auf einen regelrecht ausgestellten Schuldtitel, gestützt, das Begehren um Rechtsöffnung im beschleunigten Verfahren gestellt werden kann, und daß dann das Gericht in der Regel über den

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Rechtsbestand clev Forderung selbst zu entscheiden hat. Einwendungen müssen dämlich in einem solchen Falle sofort glaubhaft gemacht werden, und nur wenn das Gericht die Berechtigung des klägcrischen Anspruchs für zweifelhaft hält und diese Zweifel im beschleunigten Verfahren nicht heben zu können glaubt, darf es den Kläger auf den Weg des ordentlichen Prozesses verweisen (Art. 82 und 83).

7. Die c o n d i c t i o i n d e b i t i bei Z a h l u n g einer N i c h t s c h u l d infolge eines unterlassenen Rechtsvorschlages soll nach dem Antrag der Kommission nicht blos binnen 6 Monaten, sondern innerhalb eines Jahres nach der Zahlung geltend gemacht werden können, und es soll diese condictio zugelassen sein, gleichviel ob die Betreibung auf einen bloßen Zahlungsbefehl oder auf ein gerichtliches Urtheil gegründet war (Art. 84). Mit Recht wurde in der Kommission bemerkt, daß kein innerer Grund vorliege, eine bezahlte Nichtschuld nicht zurückfordern zu dürfen, wenn sich die ursprüngliche Forderung auf ein Urtheil gegründet habe, dem seither stattgethan worden sei.

8. Die B e t r e i b u n g s f e r i e n sollen nach dem Antrage der Kommission weder auf die schnelle Konkursbetreibung, noch auf das Arrestverfahren Anwendung finden, und nur die eigentlichen Vollziehungsvorkehren, also nicht die Zahlungsbefehle hindern.

Diese Ferien, während deren der gewöhnliche Schuldner vor der Vollziehung geschützt ist, sird je eine Woche vor Ostern, vor Pfingsten, vor dem eidgenössischen Bettag, vor Weihnachten und vor dem Neujahr, sowie der Monat August (Art. 87]. Der letztere wurde namentlich mit Rücksicht auf die landwirtschaftliche Bevölkerung als Ferienzeit erklärt, weil während derselben die landwirthschaftlichen Arbeiten im Gange sind und die Produkte, aus deren Ertrag die Schulden bezahlt werden müssen, erst eingeheimst werden. Es kann diese Vermehrung der Ferien um so leichter angenommen werden, als sie die Kaufleute, die meistens der schnellen Konkursbetreibuug sich bedienen, wenig berührt und dem Gesetze auch in solchen Kreisen besseren Eingang zu verschaffen geeignet ist, welche mit Rücksicht auf die Art ihres Erwerbes einer gewissen Stundung bedürfen.

9. Es führt uns dies auf eine Neuerung, welche die Kommission Ihnen in Art. 89bi8 vorschlägt und die sie dem waadtländischen Rechte entlehnt hat. Im Falle
einer schweren Krankheit des Schuldners kann der Betreibungsbeamte die Vollziehungshandlungen gegen denselben während einer bestimmten Zeit e i n s t e l l e n , und diese Einstellung kann auch erfolgen am Todestage des Schuldners oder

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eines seiner Familienglieder und an den fünf darauf folgenden Tagen.

Dieses Gebot der Humanität kann von keinem Betreibungsbeamten mißbraucht werden, da gegen jede daherige Verfügung den Betheiligten der Rekurs an die Aufsichtsbehörde offen steht, und in der That ist denn auch im Kanton Waadt diese Vorschrift, obschon sie sich auch auf die Krankheit der Familienglieder des Schuldners ausdehnt, niemals beanstandet worden.

10. Es läßt sich nicht bestreiten, daß der A n s c h l u ß i m P f ä n d u n g s v e r f a h r e n , wie derselbe in Art 96bis geordnet ist, zu dieser Art der Betreibung nicht recht paßt und daß namentlich die Intervention der Ehefrau, sowie der Kinder oder Mündel des betriebenen Schuldners für ihre Forderungen aus dem ehelichen oder vormundschaftlichen Verhältnisse ernstliche Schwierigkeiten bietet. Die Kommission glaubt aber, diese Schwierigkeiten seien nicht unüberwindbar, indem die Kantonalgesetzgebung dafür zu sorgen hat, daß mit der Intervention das familienrechtliche Grütersystem aufgelöst wird und die Ehefrau, wie die Kinder, gleich gewöhnlichen Gläubigern auftreten können. Noch besser wäre es, wenn die Kantone dafür besorgt wären, das Frauen-, Kinder- und Mündelgut von Anfang an sicherzustellen, so daß eine Intervention von dieser Seite bei Pfändungen gegen den Schuldner nicht mehr eintreten würde.

11. Die von der P f ä n d u n g b e f r e i t e n G e g e n s t ä n d e beantragt die Kommission in zwei Richtungen zu vermehren.

In Ziffer l von Art. 99 werden auch die religiösen Erbauungsbücher, z. B. die Bibel, das Gebet- und Gesangbuch u. s. w., sowie die Kultusgegenstände von der Pfändung befreit, worunter selbstverständlich nicht werthvolle Schmucksachen verstanden sind, und in Ziffer 4 werden die dem Schuldner und seiner Familie nothwendigen Nahrungs- und Feuerungsmittel auf z w e i Monate ausgedehnt.

Die übrigen von der Kommission vorgeschlagenen Aenderungen betreffen vorwiegend die Redaktion (Art. 99).

12. Wichtig ist dagegen die neue Bestimmung in Art. 100, wonaczh dem Ermessen des Betreibungsbeamten ein großer Spielraum eingeräumt ist. Derselbe kann nämlich -- allerdings unter Vorbehalt des Rekurses an die Aufsichtsbehörde -- von der Pfändung dasjenige von den Lohnguthaben, Gehalten und Diensteinkommen, Nutznießungen, Alimentationsbeträgen, Alterspensionen und Renten von Versicherungs- und Alterskassen ausnehmen, w äs zu m L e b e n s -

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u n t e r h a l t des S c h u l d n e r s und seiner Familie u n u m g ä n g l i c h n o t h w e n d i g ist. Dieser Kommissionalantrag weicht ab sowohl von der bundesräthlichen, als von der ständeräthlichen Fassung, welche beide diese Guthaben nur bis auf einen bestimmten Betrag von der Pfändung ausnehmen wollten, so daß dem Betreibungsbeamten nicht gestattet gewesen wäre, über diesen Betrag hinauszugehen. Die Kommission glaubte jedoch dem Ermessen des Betreibungsbeamten den Vorzug geben zu sollen, weil nicht wohl .zum Voraus bestimmt werden kann, was zum unumgänglich notwendigen Lebensunterhalt eines jeden Schuldners und seiner Familie gehört und ein a l (fälliger Mißbrauch durch die Aufsichtsbehörde leicht beseitigt werden kann.

13. Einer Anregung des Grütlivereins hat die Kommission in Art. 124bi> durch Aufnahme einer Bestimmung Rechnung getragen, die sich im Kanton Neuenburg, namentlich in den industriellen Distrikten daselbst bewährt hat.

Wenn gegen einen Schuldner die Betreibung bereits bis zur Pfändung vorgeschritten ist, so k a n n vom Betreibungsbea r n t e n au ß e r o r d e n t l i c h er w eise die S t e i g e r u n g um höchs t e n s v i e r M o n a t e h i n a u s g e s c h o b e n w e r d e n , wenn sich der Schuldner zu monatlichen Abschlagszahlungen von mindestens einem Viertheil der betriebenen Forderung verpflichtet -- so zwar, daß, falls diese Bedingung nicht pünktlich erfüllt wird, der Aufschub ohne Weiteres dahinfällt. Nach der uns mitgetheilten Statistik stellte sich das Verhältniß so, daß je von 4 Malen, in denen eine solche Stundung ertheilt worden ist, in 3 Malen vollständige Zahlung erfolgte. Endlich ist auch hier zu bemerken, daß gegen eine mißbräuchliche Anwendung dieser Bestimmung durch den Betreibungsbeamten der Rekurs an die Aufsichtsbehörde dem Gläubiger offen steht.

14. Bei Art. 128 sehlägt die Kommission einen Zusatz vor, wonach analog wie bei Liegenschaften auch bei Beweglichkeiten an der zweiten Steigerung der Z u s c h l a g n i c h t u n b e d i n g t zu e r f o l g e n hat, sondern nur wenn das Angebot eine solche Höhe erreicht, daß der betreibende Gläubiger nach Abzug der ihm vorgehenden Pfandansprachen irgend etwas erhält. Sonst fällt die Betreibung, die keinen Zweck mehr hat, einfach dahin.

15. In Betreff der V e r t h eil u ng des S t e i g e r u n
g s e r l ö s e s wurde das bundesräthliche System angenommen, wonach die betreibenden Gläubiger den Rang erhalten, den sie im Konkurse des Schuldners einnehmen würden (Art. 149, Absatz 3), während der Ständerath alle nicht pfandversicherten Gläubiger in den gleichen Rang

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stellen will; im Uebrigen aber soll in der Anordnung des Stoffes dem Ständerath gefolgt werden. Der Grund des Kommissionalantrages hegt im Prinzipe des Anschlußverfahrens, welches jeweilen einen kleinen Konkurs darstellt. Reicht der Erlös der Steigerung trote der Nachpfändung zu gänzlicher Befriedigung der Gläubiger (Pfandgläubiger und betreibende Gläubiger) nicht hin, so entwirft der Betreibungsbeamte den Vertheilungsplan wie im Konkurse und es können dann diejenigen Betheiligten, deren Forderungsrecht oder Rang bestritten wird, beim Gerichte des Liquidationsamtes belangt werden. Hiefür schreibt das Gesetz kurze Fristen und ein be schleunigtes Verfahren vor und trifft Vorsorge, daß nicht wegen Bestreitung einzelner Forderungsbeträge die Ausbezahlung der unbestreitbaren eine Verzögerung erleidet (Art. 150 bis 150 quinquies A 16. Ein Leerer P f a n d s c h e i n liegt vor, sobald der pfädende Gläubiger für den Betrag seiner Forderung nicht vollständig gedeckt ist. Von einer demgemäß verurkundeten Forderung können dem Schuldner keine Z i n s e n , gefordert werden. Haftet aber für die Forderung ein Bürge, so laufen die Zinsen gegenüber demselben fort, allem er darf sie vom Schuldner nicht zurückfordern er ist also in Betreff dieser Zinse gegenüber dem Gläubiger wie ein Selbstschuldner zu betrachten. Eine solche Vorschrift ist nöthig wenn nicht die Zinsbefreiung des Schuldners, falls für ihn eine Bürgschaft besteht, rein illusorisch sein soll (Art. 151).

A u 17. Hervorzuheben ist die Bestimmung, daß für o f f e n t l i e h e A b g a b e n , sowie f ü r a n d e r e i m ö f f e n t l i c h e n R e c h t b e g r ü n d e t e G e l d l e i s t u n g e n des Bundes, eines Kantons, eines kann ("Arteiner i n n i e m a l s ) . A

n

niemals

auf Konkurs

Für solche Beträge die meistens nicht sehr bedeutend sind kann auf dem Wege der Pfändung die Zahlung in der Regel rasche erwirkt werden und nach dem ganzen System des Regel ra Gesetzes soll überhaupt der Konkurs überall da vermieden werden, wo er nicht absolut nothwendig ist. ' A 18. Zwei nicht unwichtige Neuerungen werden zu Ziffer 4 und 5 des Artikels 187, betreffend die Fälle der Arrestl eg g u vorgeschlagen.

Si u lb Bei Ziffer 4 wird nämlich die Arrestnahme gegen einen außer halb der Schweiz wohnhaften Schuldner in der WeiSe eingeschränkt daß sie nur dann zuläßig ist, wenn der Gläubiger sein Recht im Auslande bloß mitausserordentlichen Schwierigkeiten verfolgen konnte, andernfalls, bei normalen Verhältnissen, kann gegen einen Bundesblatt. 39. Jahrg. Bd. I.

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betrie

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Schuldner, welcher seinen Wohnsitz nicht in der Schweiz hat, aus diesem Grunde allein ein Arrest nicht verlangt werden. Es darf also z. B. gegen einen in Frankreich niedergelassenen Schweizer in der Schweiz auf Grund der Ziffer 4 des Artikels 187 kein Arrest gelegt werden, weil der Gläubiger sein Recht gegen ihn, ohne außerordentliche Schwierigkeiten, an seinem Wohnsitze in Frankreich verfolgen kann. Eine solche Bestimmung ist zum Schutze der Schweizer im Auslande deßhalb nöthig, weil die Staatsverträge und speziell der Stuatsvertrag mit Frankreich unsere Angehörigen gegen ungerechtfertigte Arrestnahmen in der Schweiz nicht schützen.

Von großer Tragweite ist der Vorschlag der Kommission zu Ziffer 5. Während nämlich der Ständerath nur demjenigen Gläubiger die Arrestnahme gestattet, welcher gegen seine Schuldner einen Leeren Pfandschein oder eine Verlustbescheinigung erwirkt hat, macht die Kommission den Vorschlag, j e d e m Gläubiger das Recht einzuräumen, auch ohne vorgehende Betreibung gegen seinen Schuldner Arreat auszuwirken, wenn gegen denselben überhaupt ein Leerer Pfandschein oder eine Verlustbescheinigung vorliegt.

Demgemäß kann gegen einen solchen Schuldner jeder Gläubiger eine j e d e Forderung s o f o r t auf dem Wege des Arrestes sichern.

Befreien kann sich der Betreffende von diesem außerordentlichen Verfahren nur dann, wenn er den Leeren Pfandschein oder die Verlustbescheinigung in gesetzlicher Weise aufhebt, d. h. den betreffenden Betrag bezahlt.

V. Das d r i t t e Buch: Der K o n k u r s .

\. In Art. 206 wird der Zeitpunkt, bis zu welchem anhängige Civilprozesse des Gemeinschuldners einzustellen sind, genauer präzisirt und in einem neuen Absatz 4 bestimmt, daß während dieser Zeit die V e r j ä h r u n g s - und V er W i r k u n g s f r i s t e n nicht laufen.

2. Ueber die R a n g o r d n u n g der unversicherten Konkursforderungen, sowie der versicherten Forderungen, soweit sie nicht durch den Pfanderlös gedeckt werden, ist zu bemerken: a. In der ersten Klasse sollen die Forderungen der staatlich anerkannten Aerzte und Apotheker, sowie die Forderungen wegen Pflege und Wartung des Gemeinschuldners und seiner Familienangehörigen während des letzten Halbjahres vor dem Konkursausbruch aufgenommen werden, womit im Wesentlichen auch der tundesräthliche Entwurf übereinstimmt.

805 Die Kommission ging dabei von der Ansicht aus, daß es unbillig wäre, die Aerzte und Apotheker, welche ihre Hülfe dem Aermsten nicht verweigern dürfen, durch die Beseitigung des ihnen in den meisten Kantonen zugestandenen Vorzugsrechtes ihrer Forderungen zu schädigen.

b. Viel zu reden gab im Schöße der Kommission der Rang des Frauengutes in der III. Klasse. Da das eheliche Güterrecht durch die kantonale Gesetzgebung bestimmt wird, so mußte sich die Kommission darauf beschränken, festzustellen, daß der privilegirte Theil der Forderung der Ehefrau die Hälfte des zugebrachten Frauengutes nicht übersteigen dürfe. Es kann dies jedoch nur dasjenige Einbringen der Frau betreffen, welches kraft gesetzlich anerkannten Güterrechts im Bigenthum oder in der Verwaltung des Ehemannes sich befindet. Der kantonalen Gesetzgebung steht es dabei frei, die Forderung der Frau für dieses Vermögen nur zu einem Dritttheil oder zu einem Viertheil zu privilegiren, dagegen darf sie, im Interesse des öffentlichen Kredits, das Vorzugsrecht nicht über die Hälfte der Frauenforderung hinaus ausdehnen.

Wir verkennen durchaus nicht, daß damit ein einheitliches Recht für die Behandlung des Frauengutes im Konkurs nicht geschaffen ist, und es wird voraussichtlich aus der Mitte der Kommission ein weitergehender Antrag gestellt werden. Die Kommission glaubte jedoch, soweit gegangen zu sein, als es ihr die Bundesverfassung gestattet, obschon namentlich der Berichterstatter es bedauert, daß ihr diese Schranken gezogen waren.

Dabei ist die Kommission der einstimmigen Ansicht, daß, falls der Ehemann in einen zweiten Konkurs fallt, nachdem inzwischen die durch den ersten Konkurs erfolgte Gütertrennung wieder aufgehoben worden war, die Ehefrau in jenem zweiten Konkurs nur noch bia auf die Hälfte desjenigen Betrages ihrer Forderung privilegirt werden darf, den sie aus dem ersten Konkurs gerettet hat. Eine besondere Vorschrift hierüber hielt jedoch die Kommission nicht für nöthig.

3. Gerne hätte die Kommission noch weitere P r i v i l e g i e n berücksichtigt, wie sie in verschiedenen Eingaben verlangt worden sind; wenn sie es nicht gethan hat, so geschah dies nicht deßhalb, weil sie die innere Berechtigung vieler derselben verkannt hätte.

Sie mußte sich aber überzeugen, daß einerseits jede Vermehrung der Privilegien den Abschluß des
Nachlaßvertrages erschweren müßte und daß andererseits, wo die Privilegien auf Liegenschaften gerichtet sind, wie z. B. bei Forderungen für die auf Bauten verwendete Arbeit oder für das auf Bauten verwendete Material, die-

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selben notwendigerweise mit dem kantonalen Hypothekarrecht in Konflikt kommen würden. Aus diesen Gründen ist schließlich von einer weitern Vermehrung privilegirter Forderungen im Konkurse abgesehen worden.

4. Beim Konkursverfahren verweisen wir zunächst auf die Ziff. 4 des Art. 229, wonach die mit einem Pfand- oder Retentionsrecht ausgerüsteten Gläubiger binnen der Konkurseingabefrist dem Konkursamte eine bezügliche Anzeige zu machen und ihm die in i h r e m B e s i t z e b e f i n d l i c h e n G e g e n s t ä n d e ohne Nachtheil für ihr Vorzugsrecht zur Verfügung zu stellen haben. Zu diesem Zwecke muß an sie eine sachbezügliche Aufforderung erfolgen; um dieselbe wirksam zu machen, schlägt die Kommission vor, dieser Aufforderung ausdrücklich beizufügen, daß im Unterlassungsfalle das Pfandrecht oder Retentionsrecht, hinreichende Rechtfertigung vorbehalten, hinfällig werde.

Es soll damit das Recht auf Einholung des Pfandes durch das Konkursamt eine wirksame Sanktion erhalten.

Am Schlüsse der schriftlichen Berichterstattung angelangt, glauben wir die wesentlichsten Punkte, über welche die Diskussion walten wird und in denen die Kommission von den ständeräthlichen Beschlüssen abweicht, berührt zu haben. Auf Vollständigkeit macht dieser Bericht keinen Anspruch; dazu war uns die Zeit viel zu knapp bemessen. Immerhin hoffen wir, zur Orientirung bei der bevorstehenden Berathung des Nationalrathes einen bescheidenen Beitrag geleistet zu haben. Wir wünschen, daß dieses Werk vom S c h w e i z e r v o l k e w o h l w o l l e n d a u f g e n o m m e n werdr und e i n e n w e i t e r n soliden S t e i n in dem Bau dee s c h w e i z e r i s c h e n R e c h t s e i n h e i t b i l d e n möge.

B e r n , den 28. März 1887.

Namens der nationalräthlichen Kommission, Der Berichterstatter:

R. Brunner.

M i t g l i e d e r de,,f K o m m i s s i o n : HH. Brunner, Berichterstatter.

Bachmann.

Bezzola.

Brosl.

de Chastonay.

Holdener.

HH. Kurz.

Lachenal.

Paschoud.

Pedrazzlnl.

Scheuchzer.

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Bericht der nationalräthlichen Kommission zum Gesetzesentwurfe betreffend Schuldbetreibung und Konkurs. (Vom 28. März 1887.)

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1887

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09.04.1887

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