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Bundesrats eschluss über

die Beschwerde des A. Jeanloz, Eigentümer der Blauseebesitzung, Gemeinde Kandergrund, Kanton Bern, zurzeit in Bern, gegen das Urteil der Polizeikammer des Appellations- und Kassationshofes des Kantons Bern vom 30. Juli 1902 in Sachen Brügger betreffend Polizeivorschriften über das Kutschergewerbe, sowie über die Ordnung auf dem Bahnhofplatz Frutigen.

(Vom 19. März 1903.)

Der schweizerische B u n d e s rat hat

über die Beschwerde des ' A. J e a n l o z , Eigentümer der Blauseebesitzung, Gemeinde Kandergrund, Kanton Bern, zurzeit in Bern, gegen das Urteil der Polizeikammer des Appellations-und Kassationshofes des Kantons Bern vom 30. Juli 1902, in Sachen Brügger betreffend Polizeivorschriften über das Kutschergewerbe, sowie über die Ordnung auf dem Bahnhofplatz Frutigen, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt:

245 A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Am 30. September 1902 reichte Herr Fürsprech Spreng in Bern namens des- A. Jeanloz, Eigentümer der Blauseebesiteung, Gemeinde Kandergrund, Kanton Bern, zurzeit in Bern, beim Bundesrate eine Beschwerde ein gegen das Urteil der Polizeikammer des Appellations- und Kassationshofes vom 30. Juli 1902 in Sachen Brügger und stellte hierbei das Begehren : Es seien die Urteile des Polizeirichters von Frutigen vom 26. Juni 1902 und der Polizeikammer des Kantons Bern vom 30. Juli 1902 gegen Brügger als verfassungswidrig zu erklären und aufzuheben, unter Kostenfolge.

Zur Begründung dieses Begehrens wurde folgendes angeführt: Durch Urteil des Polizeirichters von Frutigen vom 26. Juni 1902 sei Gottfried Brügger schuldig erklärt der Widerhandlung gegen die Vorschriften betreffend das Kutschergewerbe, und in Anwendung von § 16 der Polizeivorschriften vom 19. Februar /19. Juni 1901, Art. 21 des angeführten Kutscherreglements, Art. 360 der Staatsverfassung verurteilt worden : 1. Polizeilich zu einer Geldbuße von Fr. 4.

2. Zu den Kosten des Staates, bestimmt auf Fr. 7. 90.

Gegen dieses Urteil habe der angeschuldigte Brügger die Appellation erklärt.

Am 30. Juli 1902 habe die Polizeikammer des Kantons Bern als Appellationsinstanz erkannt: G o t t l i e b B r ü g g e r wird schuldig erklärt der W i d e r ri a n d i uri g gegen die P o l i z e i v o r s c h r i f t e n betreffend das K u t s c h e r g e w e r b e sowie die Ordnung auf dem Bahnhofplatz Frutigen vom 19. Februar 1901, und in Anwendung von § 16 der zitierten Polizeivorschriften, Art. 21 des Kutscherreglements vom 29. April 1882, Art 368 und 468 der Staatsverfassung verurteilt: 1. Polizeilich zu einer Geldbuße von Fr. 4.

2. Zu den sämtlichen Kosten des Staates, bestimmt: a. die erstinstanzlichen auf Fr. 7. 90, b. die Rekurskosten auf Fr. 22.80.

Dieses Urteil sei vom Präsidenten öffentlich verkündet worden.

246 Diesen Entscheiden liege folgender Tatbestand zu Grunde : A. Jeanloz, Eigentümer der Blauseebesitzung, betreibe dort ein großes Hotel am Eingang der Besitzung und eine Pension in derselben. Zur Ausbeutung seiner 6 Kilometer von der nächsten Bahnstation entfernten Besitzung müsse A. Jeanloz seinen Gästen genügende Fahrgelegenheit von und nach Frutigen verschaffen.

Die diesen Verkehr vermittelnden beiden Wagen habe nun A.

Jeanloz, da für die Aufstellung der Wagen auf dem Bahnhofplatz Frutigen besondere Polizei Vorschriften bestehen, durch seine beiden Kutscher Brügger und Zürcher bei der Ortspolizeibehörde von Frutigen am 13. Juni 1902 anmelden lassen. Dabei sei den beiden Kutschern von irgend einem Angestellten mitgeteilt worden, daß im Omnibus nur acht und im Break nur zehn erwachsene Personen geführt werden dürften. Die Ortspolizeibehörde von Frutigen habe dann, aber erst am 23. Juni 1902, folgenden Beschluß gefaßt: ,,Diese beiden Fuhrwerke sind in der hierfür bestimmten Kontrolle eingetragen mit folgenden Bedingungen: 1. Daß für den Omnibus per Fahrt nicht mehr als acht erwachsene Personen und 2. auf den Break höchstens zehn Personen geladen werden dürfen."

Diese Verfügung sei weder den beiden Kutschern noch A.

Jeanloz mitgeteilt worden.

A. Jeanloz hat die den Kutschern am 13. Juni gemachte Mitteilung nicht für eine gesetzliche gehalten und daher seinen Kutschern die Weisung erteilt, diese Einschränkungen in der Belastung der Fuhrwerke nicht zu beachten.

Brügger habe infolgedessen am 19. Juni mehr als acht Personen auf den Omnibus geladen und sich später geweigert, die auf dem Adrainistrativweg ihm auferlegte Buße au bezahlen, was zu einer Anzeige an das Regierungsstatthalteramt und zu den erwähnten Urteilen geführt habe.

In diesen Verurteilungen liege nun aber eine Verletzung des Art. 31 der Bundesverfassung dem A. Jeanloz gegenüber. Dieser sei nämlich als Eigentümer der Blauseebesitzung und der zu ihr gehörenden Hotels gemäß Art. 6 dei- bundesrätlichen Verordnung über die Konzessionierang von Unternehmungen für den Trausport von Personen un4 deren Gepäck mit Fuhrwerken vom 26. Mai 1891 berechtigt, zwischen seinen Etablissements und dem nächsten Bahnhof einen konzessionsfreien Omnibusdienst einzurichten.

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Das Urteil der Polizeikammer führe fälschlicherweise aus, jener Art 6 der bundesrätlichen Verordnung könne nicht zur Anwendung kommen, weil A. Jeanloz nur eine Pension aber nicht einen Gasthof botreibe; denn Jeanloz betreibe am Blausee ein großes Gasthaus und die beiden Fuhrwerke dienten den Bedürfnissen seines Etablissements ausschließlieh. Das zeige sich darin, daß die Wagen und die Mützen der Kutscher die Aufschrift ^Blausee" trügen, daß die Fuhrwerke vor dem Gasthaus zur Blauseehöhe hielten und dort die Gäste ablieferten. Daran ändere es nichts, wenn nun die Fremden auch den Blausee, dessen Ausbeutung mit dem Betrieb des Gasthauses im Zusammenhaag stehe, besichtigen. Der Tatbestand in dem von der Polizeikammer zitierten Urteil Flottron vom 24. November 1900 sei geaau der nämliche; hier stehe den Gästen des Hotels die Naturschönheit des Blausees, dort die des Reichenbachfalls zur Verfügung.

Übrigens wäre auch bei bloßem Betrieb einer Pension am Blausee der Art. 6 der bundesrätlichen Verordnung doch anwendbar; denn wenn es sich auch um eine lex specialis handle, so dürfe doch bei deren Interpretation nicht hinter den Willen des Gesetzgebers zurückgegangen werden, welcher offenbar jeden privaten Wirtschaftsbetrieb, der einen regelmäßigen Wagenverkehr verträgt oder erfordert, von Konzessionen habe befreien wollen, gleichviel, ob die kantonalen Wirtschaftsgesetze noch Abstufungen in Gasthöfe, Pensionen, etc. machten oder nicht.

Da also A. Jeanloz; zu dem konzessionsfreien Fuhrwerkverkehr berechtigt sei, so liege ihm gegenüber in der Verurteilung seines Angestellten Brügger eine Verletzung des Grundsatzes der Handelsund Gewerbefreiheit.

Die Vorschriften des Kutscherreglements vom 29. April 1882 beziehungsweise 6. Mai 1885 über die Belastung der Fuhrwerke der gewerbsmäßigen Kutscher könnten auf die Wagen des A.

Jeanloz, die anerkanntermaßen nur dem mehrerwähnten Zweck dienten, keine Anwendung finden ; dieser Ansicht sei offenbar auch die Polizeibehörde von Frutigen gewesen, ansonst sie ja nicht hätte gestatten können, daß Brügger in seinem Zweispännerfuhrwerk mehr als sechs Personen führe.

' A. Jeanloz sei an diese Vorschriften nicht gebunden und könne auf seinen beiden Wagen demgemäß so viel Person führen, als er wolle, sofern er sich nicht der Tierquälerei schuldig mache.

Die Ortspolizeibehörde
von Frutigen sei nicht kompetent, a.uf Grund von § 2 der Polizeivorschriften betreffend das Kutschergewerbe, sowie die Ordnung auf dem Bahnhofplatz Frutigen vom 19. Februar 1901 für die Belastung der am 13. Juni 1902 an-

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gemeldeten Wagen Maximalgrenzen aufzustellen. Diese Vorschriften gälten allgemein und für jedermann nur, soweit sie dem Wagenverkehr auf dem Bahnhofplatz Frutigen regelten. Im übrigen hätten sie Geltung nur für die dem oben angeführten Kutscherreglement unterstellten Kutscher, also für die, welche ihren Beruf als alleiniges Gewerbe ausübten. Die allgemein gültigen Vorschriften stellten nur eine bindende Ordnung für die Aufstellung der Fuhrwerke auf dem Bahnhofplatz fest, verweisen die Omnibusse auf die westliche Seite etc. Damit aber dann, wenn diese auf den Normalverkehr anzuwendende Ordnung nicht mehr zweckdienlich sein sollte, eine Änderung nicht auf gesetzlichem Wege erfolgen müsse, sondern sofort in richtiger Weise eingeschritten werden könne, sei der Ortspolizeibehörde in § 2 das Recht eingeräumt, ^spezielle Vorschriften" zu treffen. Derartige spezielle Vorschriften könnten nun aber ebeo nur die Aufstellung der Fuhrwerke beim Bahnhofplatz regeln, mit der Belastungsfrage hätten sie absolut nichts zu tun. Denn da das gleiche Fuhrwerk offenbar den gleichen Platz einnehme, ob nun 6, 8 oder 12 Personen darauf säßen, so hänge doch die Belastung mit der Ordnung des Fuhrwerkverkehrs auf dem Bahnhofplatz offenbar nicht zusammen. Die Verfügung der Ortspolizeibehörde von Frutigen vom 23. Juni 1902 hänge also in der Luft, sei ungesetzlich und könne, da sie jeder Strafdrohung entbehre, von den Gerichten einer Verurteilung nicht als Gesetz zu Grunde gelegt werden, wie dies in Verletzung des Art. 31 der Bundesverfassung gegenüber A. Jeauloz geschehen ist.

Brügger sei Angestellter des A. Jeanloz uud infolge der gerichtlichen Anerkennung der Verfügung, wie übrigens jeder Angeslellte A. Jeauloz' und dieser selbst, gezwungen, sich un sie zu halten. Deshalb sei A. Jeanloz infolge der Verurteilung Biüggers verhindert, seinen Fuhnverkverkehr mit Frutigen in der ihm von Rechts wegen zustehenden Weise auszuführen, und damit in seiner Handels- und Gewerbefreiheit verletzt.

Würde man aber auch annehmen, A. Jeanloz stehe wegen Nichtanwendbarkeit des Art. 6 der bundesrätlichen Verordnung vom 26. Mai 1891 auf seinen Betrieb unter dem Kutseherreglement vom 29. April 1882, resp. 6. Mai 1885, so bleibe doch bestehen, daß die Polizeibehörde von Frutigen zum Erlaß der Verfügung vorn 23. Juni auf Grund des § 2 der
Polizeivorschriften vom 19. Februar 1901 nicht kompetent gewesen sei, und ebenso die Verletzung des Art. 31 der Bundesverfassung zum Nachteil des A. Jeanloz durch die Verurteilung Brüggers.

Aber selbst wenn die Verfügung vom 23. Juui 1902 auf § 2 der Polizeivorschriften fußen könnte und würde, so wäre sie

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doch ungesetzlich und ungültig, könnte also eioe Verurteilung nicht begründen. Denn die Polizei Vorschriften von Frutigen hätten zur Grundlage das Kutscherreglement von 1882 beziehungsweise 1885, welches Reglement vom Regierungsrat des Kantons Bern erlassen wurde, ,,in Betracht, daß das Kutscherwesen im Kanton Bern gesetzlich unter Aufsicht des Staates steht'1. Allein es bestehe kein Gesetz und kein Dekret, das den ßegierungsrat mit dem Erlaß eines solchen Reglements beauftrage. Das Gewerbegesetz vom 7. November 1849 könne nicht in Betracht fallen, da § 13 desselben den kompetenten Behörden nur das Recht gebe, Vorschriften über die Erteilung von Berufs- und Gewerbepatenteu zu erlassen,, über welche Befugnis das Kut.scherreglement und die Polizeivorschriften von Frutigen weit hinausgingen. Die Bestimmungen des Kutscherreglements seien somit ungesetzlich und damit natürlich auch die Polizeivorschriften von Frutigen und die auf beiden beruhende Verfügung vom 23. Juni 1902. Diese letztere habe als s e l b s t ä n d i g e Vorschrift aus f o r m e l l e n Gründen keine Verbindlichkeif, da sie nicht publiziert, nicht aufgelegt und nicht von der Gemeindeversammlung: erlassen sei (§ 9 der Verordnung vom 15. Juni 1869).

Außerdem sei die Verfügung- auch ungesetzlich, weil sie nicht als allgemeinverbindliche auch für andere Hotelomnibusse, sondern nur gegen A. Jeanlo« erlassen sei. Andere Fuhrwerke und Hotelomnibusse führten denn auch nach Belieben mehr als die dem A. Jeanloz erlaubte Anzahl von Gästen, ohne daran verhindert zu werden. (Vide Verzeichnis des Landjägers Bühlmaun vom 9. September 1902.)

Brügger sei verurteilt worden, weil er am 19. Juni 1902 zehn Personen geführt habe, während die Verfügung, durch welche dies verboten wurde, erst am 23. Juni beschlossen worden sei.

Da nun A. Jeanloz bis zu diesem Tage durch keine Bestimmung über die Belastung seiner Fuhrwerke gebunden gewesen sei, so liege ihm gegenüber in der Verurteilung Brüggers gleichwohl eine Beschränkung der Handels- und Gewerbefreiheit.

Brügger habe nun allerdings im Auftrage des A. Jeanloz auch nach dem 23. Juni 1902 mehrmals der angefochtenen Ver· fügung zuwidergehandelt, und neue Anzeigen seien eingereicht worden. Die Frage, ob A. Jeauloz an irgend welche Vorschriften bezüglich der Belastung seiner Fuhrwerke gebunden sei, erheische
daher eine prinzipielle Lösung.

Endlich werde noch darauf aufmerksam gemacht, daß der Generalstaatsanwalt selbst bei der Polizeikammer Freisprechung Brüggers beantragt habe, da es an einer auf gesetzliche Weise zu stände gekommenen Vorschrift fehle.

250 II.

Als Beschwerdebeantwortung sandte die Regierung des Kantons Bern unterm 23. Oktober 1902 die Gegenbemerkungen ein, zu welchen sich die Polizeikammer des Appellations- und Kassationshofs des Kantons Bern auf die Beschwerde des A. Jeanloz hin veranlaßt sah. Die Regierung schloß sieh denselben au, indem sie bloß darauf hinwies, daß sich in dem Urteil der Polizeikammer insofern ein Irrtum vorfinde, als A. Jeauloz nicht allein eine Pension führe, sondern sich im Besitz eines Gasthofpatentes befinde, auszuüben im Klösteli auf der Blauseehöhe mit Pensionsgebäude am Blausee selbst als Dépendance.

Es werden folgende Anträge gestellt: 1. Es sei auf die Beschwerde wegen mangelnder Aktivlegitimation des Beschwerdeführers nicht einzutreten.

2. Eventuell : Die Beschwerde sei als unbegründet abzuweisen.

Zur Begründung wurde folgendes geltend gemacht: Antrag l rechtfertige sieh deshalb, weil A. Jeanloz durch das angefochtene Urteil der Polizeikammer vom 30. Juli 1902 gar nicht berührt und somit auch io seinem verfassungsmäßigen Rechleu gar nicht verletzt werde. Das ganze Strafverfahren habe sich gegen Gottfried Brügger. Kutscher in Frutigen, gerichtet, welcher unter- und obergerichtlich wegen Widerhandlungen gegen die Vorschriften des Kutscherreglements zu Fr. 4 Buße verurteilt worden sei. Das angefochtene Urteil sei kein allgemein verbindlicher Erlaß und ebensowenig betreffe dasselbe den heuligen Beschwerdeführer persönlich, da es einzig gegen den im Urteil genannten Angeschuldigten Brügger vollzogen werden könne. A.

Jeanloz sei daher gemäß Art. 178, Ziffer 2", und Art. 190 des Organisationsgesetzes in cas zur Beschwerdeführung in keiner Weise aktiv legitimiert. Dies auch dann nicht, wenn er sich allenfalls dem Brügger gegenüber, der einerseits selbständiger Kutscher und Inhaber eines Einspännerfuhrwerkes, andererseits Angestellter seines Schwagers Zürcher sei, welch letzterer die Fuhrhalterei zum Blausee übernommen habe, verpflichtet haben sollte, die aus der Nichtbeachtung der Vorschriften entstehenden Folgen zu tragen, wofür jeder Beweis fehle. Denn eine solche privatrechtliche Abmachung könne nicht äffentlieh rechtliehe Befugnisse, wie z. B. diejenige zur Erhebung einer staatsrechtlichen Beschwerde, verleihen.

Bezüglich des Antrages 2 werde zunächst auf die Motive zum angefochtenen Entscheid verwiesen.

Sodann sei zu sagen, daß die Behauptung, es handle sich bei den von Brügger vorgenommenen Fahrten um regelmäßige, perio-

251 dische Fahrten, ausgeführt mit alleiniger Rücksicht auf den Gasthofbetrieb, durch die Akten nicht gestüUt werde. Vielmehr müsse nach dem in der Anzeige enthaltenen und vom Angeschuldigten als richtig zugegebenen Tatbestand angenommen werden, es handle sieh um Beförderung von Personen von Frutigen nach Blausee, oboe Rücksicht darauf, ob dieselben im Gasthof absteigen, den See besuchen oder von da ohne Aufenthalt weiterziehen. Da nun auch Personen mit der letztern Absicht befördert würden, so diene der Wagen verkehr offenbar nicht ausschließlich dem Gasthofbetrieb. Auch die Aufschrift ,,Blausee" auf den Fuhrwerken und Kutschermützen beweise nichts, denn ,,Blausee" sei nicht die Bezeichnung für ein Hotel, sondern für eine Naturschönheit, eine Örtlichkeit im weitern Sinn. Deshalb müsse die Anwendbarkeit des Art. 8 der bundesrätlichen Verordnung vom 26. Mai 1891 auf diesen Wagenverkehr verneint werden.

Ob in den auf dem ,,Verzeichnis" des Landjägers Bühlmann vorgemerkten Fällen Anzeigen erstattet worden seien, sei der Polizeikammer nicht bekannt; ihr hätte aber jedenfalls der Vorwurf reehtsungleicher Behandlung des Rekurrenten nur dann gemacht werden können, wenn sie selbst gleiche Fälle in willkürlicher Weise verschieden beurteilen würde.

Bezüglich der Verfassungsmäßigkeit der im Urteil vom 30. Juli 1902 angewandten Vorschrilten werde auf die Motive zum Uiieil verwiesen.

III.

Zur Ergänzung der Akten richtete das Justiz- und Polizeidepartemeot unterm 13. Februar 1903 an die Regierung des Kantons Bern die Anfrage, auf wessen Namen die beiden Fuhrwerke, welche den Verkehr z,um Blausee vermittelten, am 13. Juni 1902 bei der Ortspolizeibehörde von Frutigen angemeldet worden seien.

Am 24. Februar 1903 antwortete die Direktion des Innern des Kantons Bern hierauf, daß laut Bericht des Gemeinderats von Frutigen die Fuhrwerke durch den Kutscher Samuel Zürcher von Faulensee angemeldet und auf seinen Namen eingetragen worden seien.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht:

I.

Zur Entscheidung über die auf eine behauptete Verletzung der Handels- und Gewei'befreiheit sich stützende, rechtzeitig eingereichte Beschwerde ist der Bundesrat gemäß Art. 189, Ziffer 3, des Oi'ganisationsgesetzes kompetent.

252 IL Bevor auf die materielle Seite der Beschwerde eingetreten werden kann, muß die Frage geprüft werden, ob der Rekurrent zur Beschwerdeführung legitimiert sei. Dazu ist gemäß Art. 178 in Verbindung mit Art. 190 des Organisationsgesetzes erforderlich, daß ein verfassungsmäßig garantiertes Recht in der Person des Beschwerdeführers durch einen kantonalen allgemein verbindlichen oder ihn speziell betreffenden Erlaß verletzt sei.

Nun wird durch die Beschwerde ein Urteil der Polizeikammer des Appellations- und Kassationshofs des Kantons Bern angefochten, welches erlassen wurde auf Grund der Polizeivorschriften betreffend das Kutschergewerbe sowie die Ordnung auf dem Bahnhofplatz Frutigen. Es ist ohne weiteres klar, daß durch solche Vorschriften und natürlich auch durch einen auf ihnen fußenden Richterspruch der Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit verletzt werden kann. Zunächst aber wird im vorliegenden Fall zu untersuchen sein, ob der angefochtene Richterspruch wirklich einen Eingriff in die Rechtssphäre des Beschwerdeführers enthalte und diesen damit zum Rekurs berechtige.

Das Urteil richtet sich in seinem Dispositiv nicht gegen den Beschwerdeführer, sondern gegen G. Brügger, und könnte auch einzig gegen den letztern vollstreckt werden. Deshalb ist auch nur Brügger selbst, und sonst niemand, zur Beschwerdeführung gegen das Urteil befugt.

Darauf, in welchem Rechtsverhältnisse Brügger zu Jeanloz stehe, kommt es gar nicht an.

Demgemäß wird erkannt: Auf die Beschwerde wird wegen mangelnder Legitimation des Beschwerdeführers nicht eingetreten.

nge Bern, den 19. März

1903.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, D e r Bundespräsident:

Deucher.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bundesratsbeschluss über die Beschwerde des A. Jeanloz, Eigentümer der Blauseebesitzung, Gemeinde Kandergrund, Kanton Bern, zurzeit in Bern, gegen das Urteil der Polizeikammer des Appellations- und Kassationshofes des Kantons Bern vom 30. Juli 1902 i...

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25.03.1903

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