#ST#

Schweizerisches Bundesblatt.

55. Jahrgang. IV.

# S T #

Nr. 38.

23. September 1903.

Bundesratsbeschluß über

die Beschwerde des Auguste Caspari, Apothekers in Vevey, gegen den Regierungsrat des Kantons Zürich wegen Verbots der Ankündigung und des Verkaufs medizinischer Spezialitäten (Baume Chiron und Lactogénine).

(Vom 17. September 1903.) .

Der schweizerische Bundesrat hat über die Beschwerde des A u g u s t e C a s p a r i , Apothekers in Vevey, gegen den Regierungsrat des Kantons Zürich wegen Verbots der Ankündigung und des Verkaufs medizinischer Spezialitäten (Baume Chiron und Lactogénine), auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt: A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt: I.

Am 21. Dezember 1901 hat Auguste Caspari, Apotheker in Vevey, bei der Direktion des Gesundheitswesens des Kantons Zürich das Gesuch gestellt, es möge ihm neben andern auch die Ankündigung und der Verkauf der Spezialitäten ,,Lactogénine" Bundesblatt.

55. Jahrg. Bd. IV.

6

58 und ,,Baume Chirona im Kanton Zürich gestattet werden. Nach Einholung eines Gutachtens über die beiden Spezialitäten bei der Interkantonalen Kontrollstelle für Untersuchung und Begutachtung von Geheimmitteln, medizinischen Spezialitäten etc. verfügte die Direktion am 6. März 1902 die Abweisung des Gesuches. Hinsichtlich des ,,Baume Chirona hatte die Interkantonale Kontrollstelle die Abweisung des Gesuches befürwortet, weil das Präparat in marktschreierischer Weise gegen Krankheiten (Wunden, Verbrennungen, Kinderdiarrhöe etc.) empfohlen werde, wo es nutzlos sei oder geradezu schädlich wirke; hinsichtlich des zweiten, des ,,Lactogenine", sagt die Kontrollstelle, es sei ein sogenanntes Viehmastpulver, wie es in ähnlicher Zusammensetzung in jeder Landapotheke hergestellt und verkauft werde; das Casparische Präparat zeichne sich vor allem aus durch seinen pompösen Namen, den schwülstigen Prospekt und den stark übersetzten Preis.

Auf Einreichung eines Rekurses hin bestätigte die Regierung des Kantons Zürich die Verfügungen ihrer Gesundheitsdirektion mit Schreiben vom 14. April 1902, in welchem sie den Rekurrenten auf die Entscheidung des Bundesrates in Sachen Auguste Caspari vom 4. Februar 1890 verwies und schrieb : ,,Die der bundesrätlichen Entscheidung im Rekursfalle Haller & Gubler zu Grunde liegende Auffassung geht dahin, daß aus öffentlichen Interessen zum Schütze des Publikums vor Gesundheitsschädigung oder finanzieller Ausbeutung durch unwahre, haltlose und daher betrügliche Anpreisungen und Ankündigungen von Arzneimitteln eine staatliche Kontrolle der Zeitungsannoncen und eventuell ein behördliches Verbot von solchen gerechtfertigt erscheine.

,,Die Verfügungen unserer Direktion des Gesundheitswesens erscheinen richtig, weil die den Präparaten beigelegten Prospekte haltlose, unwahre Angaben enthalten, die Anwendung des Baume Chiron bei Wunden und Kolik der Kinder zudem eine Gesundheitsschädigung bedeutet.a II.

Am 8. Juni 1902 hat Aug. Caspari mit einer vom 24. Mai 1902 datierten Eingabe gegen den Beschluß der zürcherischen Regierung den staatsrechtlichen Rekurs an den Bundesrat erklärt und das Rechtsbegehren gestellt, es solle dieser Beschluß als in Widerspruch mit Art. 31 der Bundesverfassung stehend aufgehoben werden.

59

Caspari führt zur Begründung seines Rechtsbegehrens aus: Der Rekurrent bestreitet den Kantonen, wie die zürcherische Regierung anzunehmen scheint, das Recht nicht, Maßregeln zum Schütze des Publikums vor Gesundheitsschädigung oder finanzieller Ausbeutung zu treffen. Was aber der Rekurrent verlangt, ist dies, daß diese Maßregeln nicht in bloße Schikane oder ein unbegründetes Verbot des Gewerbebetriebes ausarten.

Hinsichtlich der Beanstandung der Reklame für den Baume Chiron ist zu sagen : » Die Regierung hat den Abweisungsgründen ihres Departementes des Gesundheitswesens nichts Neues beigefügt. Wenn nun die Direktion des Gesundheitswesens sagt, der Baume Chiron werde auf marktschreierische Weise angekündigt, so ist einfach auf die Prospekte zu verweisen, welche dem Rekurse an den Bundesrat beigelegt sind ; es ist unmöglich, in diesen Reklamen, und zwar ebensowenig in den modernen wie in den frühern vom Jahre 1855, etwas Marktschreierisches zu entdecken.

Der Baume Chiron ist keine Neuheit ; er ist der bernischen Pharmakopöe als Bals, vulnerarium Chironensis vel Locatelli bekannt, wird in einigen Gegenden Deutschlands, Österreichs und Spaniens vom Volke benützt und hat an der schweizerischen Landesausstellung in Genf eine Bronzemedaille erhalten. Die Zusammensetzung des Balsams ermöglicht die Erzielung der Heilungen, für die er angepriesen wird. Rekurrent scheut sich nicht, seine Präparation einer ernsthaften Expertise durch kompetente und unparteiische Männer zu unterwerfen ; es ist sicher, daß eine solche Expertise die in 150 Jahren mit dem Heilmittel gemachten Erfahrungen bestätigen wird. Den Preis des Baume Chiron hat die Regierung nicht beanstandet ; derselbe ist auch in Anbetracht aller Umstände nicht übersetzt.

Hinsichtlich der Beanstandung der Reklame des Lactogénine hat die Regierung überhaupt keine Gründe angegeben, aus denen sich ein Verbot der Ankündigung dieses Produktes rechtfertigen ließe. Sie wiederholt sogar nicht einmal die Abweisungsgründe ihrer Direktion des Gesundheitswesens.

Es ist hier vorerst festzustellen, daß das Lactogénine zwei wichtige Substanzen enthält, welchen die Sanitätsdirektion nicht Rechnung getragen hat, nämlich die Folia jaborandi und die Folia galegse. Auch ist hervorzuheben, daß die Gesundheitsdirektion nicht bestritten hat, daß das Lactogénine wirksam ist.

60

Wenn das Lactogénine angefochten wird wegen seines pompösen Namens, seines schwülstigen Prospektes und seines übersetzten Preises, so ist zu bemerken, daß der Name aus der lateinischen Sprache herübergenommen ist und so viel als ,,Milch erzeugend"1 bedeutet. Wenn der Name Lactogénine ein Phantasiename ist, so kann man daraus dem Rekurrenten keinen Vorwurf machen, da derselbe auf Grund der Bestimmungen des Bundesgesetzes betreffend den Schutz der Fabrik- und Handelsmarken etc.

vom 26. September 1890 gezwungen ist, eine Phantasiebezeichnung als Handelsmarke zu wählen. Was sodann den Prospekt betrifft, so ist derselbe keineswegs gefährlich, und der Preis des Lactogénine ist keineswegs übersetzt. Wenn man bedenkt, daß das Medikament die Folia galegae und jaborandi enthält, die.

beide sehr teuer und auch nicht überall erhältlich sind, wenn man die Kosten der Fabrikation, der Pulvérisation, des Mischens der verschiedenen Pulver, der Verpackung, der Reklame, der behördlichen Bewilligungen (für den Kanton Zürich allein Fr. 15 plus · Kosten der Analyse) in Berücksichtigung zieht, und wenn man beachtet, daß auch der Fabrikant einen Nutzen haben muß, so ist der Preis von Fr. 2. 50 für die Blechbüchse (die übrigens mit 15 Cts. wieder zurückgekauft wird) nicht ein ungerechtfertigter.

III.

Die Regierung des Kantons Zürich hat sich auf die Beschwerde folgendermaßen vernehmen lassen: Die durch Übereinkommen von 7 Kantonen im Jahre 1900 geschaffene Interkantonale Kontrollstelle zur Untersuchung von Geheimmitteln auf deren Zusammensetzung, Gesundheitsschädlichkeit und Schwindelhaftigkeit hat den Prospekt zu dem Viehpulver Lactogénine als einen schwindelhaften bezeichnet; auch hat sich Dr. Zschokke, Professor an der Tierarzneischule Zürich, dahin ausgesprochen, daß alle sogenannten ,,milchtreibenden Mittel" wertlos sind. Die Behauptung Casparis, der als die vorzüglichste Eigenschaft des Lactogénine angibt, daß es die Produktion der Milch bei Tieren fördere, ist also unwahr. Ebenso unwahr ist die Behauptung, daß es Geschmacksperversionen bei Tieren heile \ als Mittel zur Förderung des Wachstums und des Wohlbefindens der Tiere und als Arzneimittel gegen Husten und Katarrh der Tiere ist es wirkungslos. Der Verkaufspreis des Mittels ist übersetzt, da er Fr. 2. 50 beträgt, während der Wert der Ware auf 60 bis 70 Cts. zu schätzen ist.

61 Das Baume Chiron ist ein Arzneimittel, das gegen Krankheiten empfohlen wird, wo es nutzlos und in vielen Fällen schädlich sein muß. Die moderne Wundlehre muß die im Prospekt angegebene Behandlung der Wunden mit dem Baume Chiron als durchaus irrationell und in vielen Fällen als direkt schädlich an Hand der Erfahrungen der modernen Chirurgie bekämpfen. Dies ist auch der Fall bei der Behandlung von Verbrennungen, von Kolik und von Verhärtungen der weiblichen Brustdrüse und den ähnlichen Fällen der Anwendung des Baume Chiron.

Wer insbesondere weiß, daß der Laie geneigt ist, jede mit Bauchschmerzen verbundene Erkrankung als Kolik zu bezeichnen, dem wird einleuchten, daß die .angepriesene kritiklose Behandlung aller derartigen Krankheiten mit Baume Chiron in nicht wenigen Fällen schädlich sein muß.

l Die erlassenen Verbote involvieren somit keine Verletzung ö des Art. 31 oder 25 der Bundesverfassung; sie sind eine Maßregel zum Schütze des öffentlichen Wohles und liegen als solche in der Kompetenz der Kantone (Art. 32bis der Bundesverfassung).

IV.

Caspari repliziert hierauf: A. Der Regierungsrat des Kantons Zürich hat in seiner Verfügung vom 14. April 1902 die Wirksamkeit des Lactogénine nicht angefochten. Was er in der Beschwerdevernehmlassung gegen dasselbe vorbringt, ist die persönliche Ansicht des Herrn Zschokke, der Professor und Beamter des Kantons Zürich ist, und der seine Ansicht über milchtreibende Mittel im allgemeinen abgegeben hat, nicht aber über das Lactogénine, dessen Bestandteile die Folioe jaborandi und galegse sind.

Übrigens wäre es dem Rekurrenten leicht, dieser theoretischen Ansicht über milchtreibende Mittel die Ansicht von anerkannten medizinischen Autoritäten, wie Baudelocque, Becquerel, Burdach, Routh, Trousseau und anderen, entgegenzustellen ; · insbesondere kann auf die Arbeit von Mme. Griniewitch hingewiesen werden, die ihrer Verfasserin den Doktortitel eingetragen hat. Aber die Autorität entscheidet heute nicht mehr; die wahre Wissenschaft gründet sich auf die Erfahrung, wie sie sich ergibt aus den Untersuchungen der obengenannten Griniewitch, eines Prof.

Gaucheron, eines Dr. Carron. Auch hat sich eine Autorität unseres Landes, der Major der Sanität Volet, in einem Brief vom 1. August 1902 über die bei der Anwendung auf die Drüsen eintretende

62

treibende Wirkung der Folia jaborandi und der Folia galegse ausgesprochen.

Was die Anpreisung des Lactogénine als Mittel zur Beförderung des Wachstums und des Wohlbefindens der Tiere betrifft, so ist darauf zu verweisen, daß das Lactogénine (20 g.)

Eisen und (30 g.) Cale, phosphor. enthält, deren belebende Wirkung bekannt ist.

Hinsichtlich der Geschmacksverirrungen bei Tieren weiß jeder Bauer, daß sie von allgemeiner Schwäche der Verdauungsorgane · herkommen ; um sie zu heilen, genügt also die Wiederherstellung der Kräfte. Die beiden obengenannten Substanzen, sowie Süßholz, Fenchel und Leinsamen, die im Lactogénine enthalten sind, werden also gute Dienste leisten.

Was endlich den Preis des Lactogénine betrifft, so hat sich der Rekurrent in verschiedenen Kantonen, Konkordatskantonen wie ändern, das Arzneimittel herstellen lassen ; die Preise hierfür bewegen sich: ohne Galega von Fr. 3. 87 bis Fr. 5. 52, mit Galega von Fr. 4. 15 bis Fr. 6. 10. Wenn man nun nur das Mittel dieser Preise nimmt und hinzufügt, daß der Fabrikant die Verpackung zu besorgen, die Reklame, das Porto und Urheberrechte zu zahlen hat, so kann man hiervon einen Schluß auf die Begriindetheit der Behauptung der zürcherischen Regierung ziehen.

Die Reklame des Rekurrenten enthält somit nichts Marktschreierisches; sie hebt unter einer populären Form die Vorteile hervor, welche dem Lactogénine zukommen. Auch darf sich der Rekurrent auf die bedingungslose Bewilligung berufen, welche ihm von der Regierung des Kantons Waadt erteilt worden ist.

B. Die zürcherische Regierung hat sich damit begnügt, den Baume Chiron deshalb zu verurteilen, weil dessen Anwendung der heutigen Wundtheorie zuwider sei. Deshalb ist aber sein Prospekt nicht marktschreierisch. Die Reklame des Dr. Chiron vom Jahre 1855 ist nur zur geschichtlichen Erläuterung den Prospekten beigegeben worden, wie übrigens ausdrücklich gesagt ist, daß dieser Prospekt zum letztenmal im Jahre 1855 gedruckt worden sei. Der Hauptzweck des angefochtenen Prospektes ist überhaupt, Nachahmungen zu bekämpfen und das Publikum darüber zu belehren, daß Caspari Eigentümer der von Dr. Chiron erfundenen Formel ist; dieser Teil des Prospektes ist auch allein in großen roten Lettern gedruckt.

Auch ist es falsch, daß der Baume Chiron unwirksam sei ; denn er enthält Substanzen, die tagtäglich von den Ärzten ver-

63

schrieben werden, und das Volk ist nicht mehr so unerfahren in der Medizin, daß es nicht zwischen einer Kolik und einer Blinddarmentzündung zu unterscheiden wüßte. Im ersten Falle hat die Anwendung des Baume Chiron keine andere Wirkung als die Auflegung warmer Tücher, deren heilbringende Wirkung von alters her bekannt ist. Die zürcherische Regierung vergißt, daß der Mißbrauch der besten Sachen schädlich. ist. Während man aber alle Tage von Unfällen hören kann, die daher rühren, daß man an sich gute Mittel unrichtig anwendete, kann die Regierung von Zürich keinen einzigen Fall angeben, in welchem die Anwendung des Baume Chiron sich als schädlich erwiesen hat.

Die Regierung verbietet den Verkauf des Baume Chiron, während sie den Detail- und Engrosverkauf des Odols, des Odontoline, des Roborine, des Alcool de menthe, des Ale. de Ricqlès etc.

nicht verbietet. Man könnte sich daher fragen, ob im Verbot des Baume Chiron nicht auch eine Verletzung von Art. 4 der Bundesverfassung vorliege ; die Prüfung einer solchen Beschwerde fiele aber in die Kompetenz des Bundesgerichtes,,, an das zu rekurrieren sich Caspari vorbehält.

Dazu kommt noch, daß die Regierung die Wirksamkeit des Baume Chiron bei Verbrennungen und Hautrissen etc. gar nicht bestreitet; wenn sie aber das Publikum gegen eine übertriebene und marktschreierische Reklame schützen will, so braucht sie nur diese Reklame zu verbieten, nicht aber das Verbot des Baume Chiron. Daß dem Baume Chiron eine gute Wirkung zukommt, dafür kann sich der Rekurrent auf sieben, dem Rekurse beigelegte Zeugnisse von Ärzten berufen. Was auch immer die zürcherische Regierung vorgebracht hat, ihr Verbot bedeutet eine bloße Chikane und eine ungerechtfertigte Einschränkung des Gewerbebetriebes.

V.

Die Regierung dupliziert: A. L a c t o g é n i n e . Caspari sucht vorerst das Gutachten des Prof. Zschokke zu entkräften, indem er die Behauptung zu beweisen versucht, daß es wirkliche Arzneistoffe gebe, die als sogenannte Galactagoga gelten, und daß die in seinem Präparate enthaltenen Drogen Jaborandi und Galega zu diesen gehören.

Nun ist es aber auch zürcherischen Fachmännern bekannt, daß es Arzneistoffe gibt, , die einen Reiz auf das gesamte Drüsensystem des Tieres ausüben, und daß hierzu speziell Jaborandi gehört. Dagegen wird es jeder Fachmann als widersinnig erklären,

64

daß dem gesunden Tiere dergleichen gefährliche Reizmittel beigebracht werden; deren unkontrollierter und fortdauernder Verkauf muß also Gesundheitsstörungen zur Folge haben. · Caspari hat mit allen seinen Zitaten den Beweis nicht erbracht, daß seinem Lactogénine die angepriesenen Eigenschaften wirklich zukommen ; und wenn er sich zur Rechtfertigung des Preises desselben auf die Preisstellung in den Apotheken beruft, so hat er Preise aufgestellt, die unter Berechnung der A r z n e i t a x e gefordert werden, während es sich bei seinem Lactogénine um einen sogenannten Handverkaufsartikel der Apotheker handelt, für den man in ändern Apotheken Fr. l bis Fr. 1. 20 verlangt.

B. B a u m e C h i r o n . Die von einigen Ärzten ausgestellten Zeugnisse bestätigen nur, daß Baume Chiron bei leichten Quetschungen von Nutzen sein kann; es wird sich auch niemala ein Arzt finden, der bestätigt, daß Baume Chiron bei Kolik der Neugeborenen die angepriesene Wirkung habe. Wenn die Regierung den Verkauf des Baume Chiron verbietet, nicht aber denjenigen von Odol, Odontoline und anderen Fabrikaten, so geschieht dies, weil das eine ein Arzneimittel ist, die ändern aber kosmetische Präparate sind, und der Verkauf dieser selbstverständlich, jedermann frei Steht.

0

VI.

Mit Schreiben vom 10. Oktober 1902 ersuchte das eidgenössische Justizdepartement die Herren Professoren Heffter und Heß in Bern und Herrn Dr. Th. Lotz in Basel um Begutachtung der Frage, ob das Verbot des Verkaufs der beiden Präparate Baume Chiron und Lactogénine vom medizinischen oder arzneimitteltechnischen Standpunkte aus gerechtfertigt erscheine oder nicht.

Der Bericht der genannten Experten vom 4. Juli 1903 ist dem Departemente am 6. Juli 1903 zugekommen. Es ist aus.

diesem Berichte folgendes hervorzuheben": A. B e t r e f f e n d den Baume Chiron.

· Es sind nicht die im Baume Chiron enthaltenen, vom Fabrikanten angegebenen Bestandteile, sondern die Quantität dieser Bestandteile, auf deren Kenntnis die ,,Originalvorschrift, des echten Baume Chirona beruht ; auf den leichten Variationen in der Zusammensetzung beruhen denn auch die vom Rekurrenten beklagten Nachahmungen. Leichte Abweichungen sind aber für

65 das Wesentliche seiner Wirkung nicht von Belang, womit immerhin der suggestive Wert des ,,echten"1 Baume Chiron nicht bestritten werden soll.

Fragt man nach den Wirkungen, die eine Salbe von der Zusammensetzung des Baume Chiron haben kann, so kommt man zum Resultat, daß ihre Wirkung bei Quetschungen, von den spezifischen Bestandteilen abgesehen, auf der mit der Einreibung verbundenen Massage beruht, und daß sie bei schlaffen Geschwüren oder bei spontanem Aufspringen der Haut als reizendes Deckmittel geeignet ist, die Heilung 'anzuregen und zu fördern.

Bei der Prüfung 'der Versprechungen, welche der Fabrikant an die Anwendung des Baume Chiron knüpft, muß auch der 1895 wieder abgedruckte Prospekt von 1855 herbeigezogen werden; denn wenn man von einem Arzneimittel auf der ersten Seite des Prospektes rühmt, daß sein Jahrhunderte alter Ruhm trotz der neuen Entdeckungen der Wissenschaft immer noch bestehe, und dann ,,als geschichtliche Erläuterunga die ganze alte Anpreisung mit detaillierter Gebrauchsanweisung mitteilt, so ist das natürlich geeignet und auch darauf berechnet, den Leser das für bare, auch heute noch geltende Münze nehmen zu lassen.

1. Gegenüber der Anpreisung der Salbe für ,,frische Wunden" muß gesagt werden, daß eben hier ,,die neuen Entdeckungen der Wissenschaft"1 gänzlichen Wandel geschaffen haben, und daß das Auflegen einer reizenden Salbe als ein die rasche Heilung verzögerndes Verfahren zu bezeichnen ist.

2. Ebenso unpassend ist die Empfehlung gegen Brandwunden.

3. Bei Entzündungen und Abszessen in der Brust stillender Frauen sind Einreibungen mit einer reizenden Salbe nicht nur nutzlos, sondern schädlich. Auch sind es ganz haltlose Vorspiegelungen, wenn -die Einreibung der Brüste vor dem Wochenbett der Frauen empfohlen wird.

4. Von irgend einer spezifischen Wirkung bei der Einreibung in Fällen von Kolik kann keine Rede sein. Es handelt sich nur um die Wirkung, die jede leichte Reibung des Unterleibes und ein ,,dann" aufgelegtes ,,erwärmtes Weißzeug11 (wie der Prospekt sich ausdrückt) haben kann ; denn bei der · bekannten krarnpfstillenden Wirkung der Wärme ist es durchaus empfehlenswert, wenn man bei ,,Koliken"1 als erste Hülfe warme Umschläge in irgend einer Form, trocken oder feucht, anwendet. Daß es

66 aber gelegentlich verhängnisvoll werden kann, wenn man bei ernstern Ursachen einer ^Kolik"1 die Zeit mit dem angepriesenen Baume Chiron verliert, ist klar, weil eben trotz der gegenteiligen Behauptung des Rekurrenten das Volk nicht im stände ist, zwischen Blinddarmentzündung und Kolik zu unterscheiden.

Prüft man nun noch die Fälle, bei welchen in den n e u e n Anpreisungen neben den vorher genannten Fällen die Anwendung des Baume Chiron empfohlen wird, so ergibt sich, 5. daß, bei Befolgung der Gebrauchsvorschrift, der Baume Chiron nicht nur bei entzündlichen Verhärtungen stillender Frauen unzweckmäßig ist, sondern daß er überhaupt bei allen Gesehwülsten und Verhärtungen der weiblichen Brustdrüse, vor allem also bei Krebs, nicht nur die Sache verschlimmert, sondern auch den Zeitpunkt für erfolgreiche Hülfe versäumen machen kann.

Es werden somit dem Baume Chiron in den v e r s c h i e d e n e n Prospekten heilsame Wirkungen zugeschrieben bei Verletzungen und Erkrankungen, wo er entweder keine heilsame Wirkung ausübt oder direkt schädlich wirkt. Die Zürcher Behörden sind also durchaus berechtigt, die Anpreisungen des Baume Chiron als marktschreierisch und schwindelhaft zu bezeichnen.

B. B e t r e f f e n d das L a c t o g é n i n e .

Über die Arzneimittel, die einen Einfluß auf die Quantität und die Qualität der Milch ausüben, ist sehr wenig Sicheres bekannt. In dem Rufe, milch vermehrend zu wirken, stehen beim Volke seit alters her einige Drogen, die Aromatica und Amara, welche die hauptsächlichsten Bestandteile des sogenannten ,,Milchtrankes" bilden, der zum Zweck der Ausscheidung vermeintlicher schädlicher Stoffe aus dem während längerer Zeit trocken gestandenen Euter und behufs angeblicher Vermehrung der Milchquantität den Kühen verabreicht wird. Gleiches und noch mehreres soll das vom Apotheker Caspari hergestellte Lactogénine bewirken.

Von den in dem Lactogénine enthaltenen Substanzen ist das Calciumphosphat als ein sogenannter ,,Knochenbildner"' bekannt, und wird deshalb ganz allgemein an trächtige Tiere und Säuglinge verabreicht und als wichtiger Zusatz zu kalkarmem Futter benützt. Die tägliche Dosis des während längerer Zeit zu verabreichenden Präparates beträgt für Pferde und Rinder 15--30 g.; durchschnittlich werden von den Landwirten 30 g.

67

verabreicht. Die Annahme, daß die in einer Büchse Lactogénine enthaltene Gesamtmenge von 30 g. Calciumphosphat, die sich nach der Gebrauchsanweisung auf ungefähr 7 Tage verteilt, einen nennenswerten Einfluß auf den Organismus des Rindes ausüben könne, ist bestimmt zu verneinen.

In zweiter Linie soll nach dem Prospekt dem Lactogénine offenbar wegen des darin enthaltenen Eisenpräparates Ferrum carbonicum saccaratum eine blutbildende Wirkung zukommen.

Wenn nun aber auch neuerdings festgestellt worden ist, daß solche Eisenmittel wirklich resorbiert werden, so ist damit doch durchaus noch nicht der Beweis geliefert, daß im gesunden Organismus durch sie eine vermehrte Blutbildung eingeleitet wird.

Da die tägliche Nahrung viel mehr Eisen enthält, als der menschliche oder tierische Organismus zur Blutbildung bedarf, so ist die Zuführung eines Eisenpräparates mindestens überflüssig und sicherlich nicht als blutbildend zu bezeichnen.

Zwei weitere Bestandteile, Fructus anisi und fceniculi, stehen im Rufe, schleimlösend und milchtreibend zu sein. Dagegen haben die Untersuchungen bei Ziegen und Kühen von Dr. Schaffer, Dr. Bondzynski und Prof. Heß ergeben, daß die genannten Drogen weder auf die Quantität noch auf die Qualität der Milch einen nennenswerten Einfluß haben ; für den Fructus anisi kommt noch hinzu, daß er leicht einen Magenkatarrh mit darauffolgender Verminderung und Verschlechterung der Milch nach sich zieht.

Hier ist auch die Anpreisung des Lactogénine als Heilmittel gegen Husten und Katarrh der Luftwege zu erwähnen. Wenn vielleicht auch zugegeben werden kann, daß von den Bestandteilen die Anis- und Fenchelfrüchte und möglicherweise die Süßholzwurzel als leicht expektorierende Mittel wirken können, so sind doch die im Lactogénine verabreichten Mengen dieser Drogen viel zu klein, als daß von ihnen eine heilende Wirkung erwartet werden könnte.

Ebenso nutzlos ist das Lactogénine gegen krankhafte Gelüste (Geschmacksverirrungen) und Lecksucht der Tiere.

Mehr Gewicht legt der Rekurrent auf die im Lactogénine enthaltene Herba galegoe und Folia jaborandi. Zum Beweis der von ihm behaupteten Wirkung der Herba galegse hat sich Rekurrent auf die Untersuchungen der Mme. Griniewitch berufen, welche dieselbe an Frauen und Kühen vorgenommen hat. Hinsichtlich der erstem Versuche ist festzustellen, daß nach Abzug derjenigen, wo zugleich noch andere Mittel angewendet wurden, O

68

oder wo der Versuch nur wenige Tage dauerte, nur 4 Versuche in Betracht fallen. Aber auch in diesen läßt sich die von der Verfasserin behauptete milchtreibende Wirkung sehr schwer beurteilen, da aus den Versuchsprotokollen nicht zu ersehen ist, ob die Ernährung- und namentlich die Flüssigkeitsaufnahme an den Versuchstagen eine gleichmäßige war, die Nahrung bekanntlich bei der Milchbildung eine wesentliche Rolle spielt und die Milchabsonderung bei der stillenden Frau norrnalerweise bis zum 5. oder 6. Monat nach der Entbindung zunimmt. Von den von Mme. Griniewitch bei Kühen angestellten Versuchen kann ein einziger Versuch (Nr. 14) in Betracht fallen; die bei der Anwendung der Galega sich ergebende Differenz von 3/ie Liter Milch ist aber so gering, daß sie innerhalb der Fehlergrenze liegt, und daher, besonders, da es sich auch um einen einzigen Versuch handelt, nichts beweisen kann.

Die Folia jaborandi enthält als pharrnakologisch wichtigsten Bestandteil 0,i--l % Pilokarpin, dessen wesentliche "Wirkung auf den Organismus in einer Steigerung der Speichel- und Schweißsekretion besteht. Hinsichtlich der Wirkung des Pilokarpin auf die Milchdrüse haben die Untersuchungen von Hammerbacher, Stumpf und Marmé ergeben, daß Pilokarpin in Mengen, die eine starke Speichel- und Schweißsekretion erzeugen, ohne jeden Einfluß auf die Milchdrüsen waren. Aber selbst zugegeben, daß den Substanzen eine Wirkung auf die Milchdrüse zukäme, so würde eine solche Wirkung erst von solchen Gaben zu erwarten sein, die erfahrungsgemäß beim Rind auch die Tätigkeit anderer Drüsen zu steigern vermögen ; dies ist der Fall bei Dosen von 25--40 g. Jaborandiblättern mindestens dreimal täglich verabreicht, oder 0,2--0,4 Pilokarpin täglich. In einer Büchse Lactogénine sind aber überhaupt nur 60 g. Folia jaborandi enthalten ; nach der Gebrauchsanweisung beträgt die Dosis Lactogénine für große Haustiere (Pferde und Rinder) je 3 große Eßlöffel voll oder durchschnittlich 50 g. pro Tag. Somit reicht eine Büchse, deren Inhalt laut Analyse auf 380 g. festgestellt wurde, zur Verfütterung während !1/2 Tagen, und die auf ein großes Haustier fallende Dosis Jaborandiblätter beträgt pro Tag 8 g. Von solch minimalen Dosen ist absolut keine Wirkung, weder eine nützliche noch eine schädliche, zu erwarten.

Obwohl nach den vorstehenden Überlegungen von
vornherein die dem Lactogénine vom Fabrikanten zugeschriebene Wirkung auf die Milchproduktion stark bezweifelt werden mußte, haben die Experten doch angesichts der Wichtigkeit gerade

69 dieser Frage es für unerläßlich gehalten, sie an der Hand des Versuchs zu prüfen. Dieser Versuch wurde auf der landwirtschaftlichen Schule Rutti bei Bern angestellt und konnte, weil bei seiner einwandfreien Durchführung mehrere Bedingungen zu erfüllen =waren, erst im Februar dieses Jahres begonnen werden.

Der Versuch wurde mit zwei Abteilungen von je 5 vollkommen normalen, gut genährten und sehr wertvollen Simmentaler Kühen (5 Versuchskühen und 5 Kontrollkühen) durchgeführt, wobei die Futterration für jede Abteilung in jeder Beziehung die gleiche war.

Der Versuch begann am 11. Februar 1903 und bestand aus folgenden Abschnitten: I. V o r - o d e r B e o b a c h t u n g s p e r i o d e vom 11. bis und mit 16. Februar ohne Darreichung von Lactogénine.

II. E i g e n t l i c h e V e r s u c h s p e r i o d e .

Sie zerfiel in 2 Abschnitte : a. Vom 17. Februar bis und mit dem 10. März, also 22 Tage, erhielten die Versuchskühe täglich 3 große Eßlöffel voll Lactogénine pro Stück, wie es die Gebrauchsanweisung vorschreibt.

b. Vom 11. bis und mit dem 24. März, also 14 Tage lang, erhielten die Versuchskühe die doppelte Dosis Lactogénine, also 6 große Eßlöffel pro Tag und Stück.

III. N a c h p e r i o d e vom 25. bis und mit dem 28. März ohne Darreichung von Lactogénine zur Beobachtung etwaiger Nachwirkungen des Mittels. Während dieser Versuchsperiode mußte mit der Runkelrübenfütterung abgebrochen werden.

Ergebnisse des Versuches.

1. Sämtliche Tiere waren während der ganzen Versuchsdauer gesund und zeigten keinerlei Störungen.

2. Das Lebendgewicht sämtlicher Tiere zeigte unter Berücksichtigung der Laktationsperiode und der eigentlichen Milchproduktion die üblichen .Schwankungen.

3. Eine nennenswerte Zu- oder Abnahme des Lebendgewichtes hat weder bei den Versuchskühen noch bei den Kontrollkühen stattgefunden.

70

4. In bezug auf die Milchproduktion · ist hauptsächlich zu bemerken : I. Während der B e o b a c h t u n g s p e r i o d e betrug das mittlere Milch'quantum per Tag: bei den Versuchskühen 71,ss kg.

bei den Kontrollkühen 71,7i kg.

Somit Differenz zu gunsten der Versuchskühe 0,i7 kg.

II. L a c t o g é n i n e p e r i o d e : a. Die Versuchskühe erhalten täglich je 3 Eßlöffel voll.

Das mittlere Milchquantum betrug pro Tag: bei den Versuchskühen 70,76 kg.

bei den Kontrollkühen 70,26 kg. .

Somit Differenz zu gunsten der Versuchskühe 0,49 kg.

b. Die Versuchskühe erhalten täglich je 6 Eßlöffel voll.

Das mittlere Milchquantum betrug pro Tag: bei den Versuchskühen 68,n kg.

bei den Kontrollkühen 68,07 kg.

Somit Differenz zu gunsten der Versuchskühe 0,io kg.

III. N a c h p e r i o d e ohne Lactogénine. Das mittlere Milchquantum betrug pro Tag: bei den Versuchskühen 64,62 kg.

bei den Kontrollkühen 65,i7 kg.

Somit Differenz zu gunsten der Kontrollkühe 0,ss kg.

Dieser Versuch zeigt, daß der Rückgang der Milchproduktion sowohl bei den Versuchs- wie bei. den Kontrollkühen ein ganz allmählicher, gleichmäßiger und der Laktationsperiode entsprechender war. Irgend eine wahrnehmbare Wirkung des Lactogénine als Milch produzierendes Mittel konnte absolut nicht konstatiert werden. Bezüglich des Fettgehaltes respektive Fettertrages der Milch der Versuchskühe läßt sich eher ein ungünstiger Einfluß wahrnehmen.

Aus den theoretischen Erörterungen wie aus den Versuchsergebnissen geht also hervor, daß das Lactogénine keine der ihm vom Fabrikanten zugeschriebenen Wirkungen, insbesondere nicht die durch den Namen ^Lactogénine^ hervorgehobene milchtreibende Wirkung, besitzt. Die Angaben des Prospektes und der Etikette sind somit unwahr und auf Täuschung des Publikums berechnet.

71 Alles zusammengefaßt muß die Behauptung des Prospektes : ,,La Lactogénine est la combinaison scientifico-pharmaceutique la plus rationnelle et la plus pratique que puisse être imaginée"1, aïs durchaus schwindelhaft bezeichnet werden.

Hinsichtlich der Beanstandung des Preises des Lactogénine und seiner Vergleichung mit ändern Viehpulvern durch die Regierung des Kantons Zürich ist zu bemerken, daß die Viehpulver der Apotheken häufig aus den Abfällen von billigen Drogen bereitet werden, wobei auf eine bestimmte quantitative Zusammensetzung der Mischung nicht geachtet wird, so daß der billige Preis auf diese Weise erklärt ist. Das Lactogénine enthält mehrere, verhältnismäßig teure Bestandteile, vor allem die Folia jaborandi, und ist eine nach bestimmten quantitativen Verhältnissen hergestellte Mischung. Im Großdrogenhandel würde das Gemisch vom Inhalt einer Büchse sich auf 0,se Fr. stellen. Es ist aber hiebei zu beachten, daß hier die Drogen in unzerkleinertem Zustande berechnet sind, während das Lactogénine ein feines Pulver darstellt. Es kommen zum angegebenen Preise also noch die Kosten des Zerkleinerns und Siebens, des Abwägens und Mischens, der Verpackung der Etiketten und Gebrauchsanweisung etc., so daß der bei einem Verkaufspreis von Fr. 2. 50 genommene Nutzen als übertrieben hoher nicht bezeichnet werden kann.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht:

I.

Auguste Caspari, Apotheker in Vevey, behauptet eine Verletzung von Art. 31 der Bundesverfassung, weil die Regierung des Kantons Zürich, in Bestätigung einer Verfügung ihrer Direktion des Gesundheitswesens, sein Gesuch um öffentliche Ankündigung und Verkauf zweier von ihm fabrizierten Spezialitäten, namens ,,Baume Chirona und ,,Lactogeninea, abschlägig beschieden hat.

Er behauptet außerdem eine Verletzung von Art. 4 der Bundesverfassung, weil die Regierung ändern Präparaten, wie Odol, Odontolin, Alcool de menthe und de Ricqlès, dieses Verbot nicht auferlegt habe.

II.

Die Entscheidung des zürcherischen Regierungsrates datiert vom 14. April 1902; die staatsrechtliche Beschwerde ist am

72

8. Juni des gleichen Jahres eingereicht worden; die Rekursfrist ist daher eingehalten (Art. 178, Ziffer 3, in Verbindung mit Art. 190 des Organisationsgesetzes).

III.

Zur Kompetenz des Bundesrates für die Beurteilung der vorgebrachten Beschwerdepunkte ist zu bemerken, daß sich dieselbe ebensowohl auf die behauptete Verletzung von Art. 31 als von Art. 4 der Bundesverfassung erstreckt (Art. 189, Ziffer 3, leg. cit.)! Daß die Rekursinstanz auch über den letztern Punkt zu entscheiden hat, ergibt sich daraus, daß die hier behauptete Verletzung der Rechtsgleichheit, weil bei der Anwendung des Art. 31 der Bundesverfassung begangen, materiell wieder auf die Frage der richtigen Anwendung von Art. 31 der Bundesverfassung hinausläuft (vergleiche Entscheid des Bundesrates in Sachen Gebrüder Wyrsch & Cie. in Buochs vom 26. Juli l902 ; Bundesbl. 1902, IV, 77 ff.).

IV.

Rekurrent bestreitet den Kantonen das Recht nicht, Maßregeln zum Schütze des Publikums vor Gesundheitsschädigung oder finanzieller Ausbeutung zu treffen. Daß diese Rechte den Kantonen durch Art. 31 der Bundesverfassung vorbehalten sind, hat der Bundesrat in der Entscheidung über eine frühere Beschwerde des heutigen Rekurrenten vom 4. Februar 1890 ausgesprochen (Bundesbl. 1890, I, 335 ff.). Vergleiche auch Beschluß des Bundesrates in Sachen Fr. Golliez vom 11. August 1903 (Bundesbl. 1903, III, 893 ff.).

Der Rekurrent behauptet nun aber, die Verfügung der zürcherischen Regierung vom 14. April 1902 gehe über diese verfassungsmäßig zulässige Schranke der Handelsfreiheit hinaus.

Diese Behauptung ist somit auf ihre Richtigkeit zu untersuchen.

1. Das Verbot des sogenannten Baume Chiron ist seitens der Regierung erfolgt, weil die den beiden Präparaten beigelegten Prospekte haltlose, unwahre Angaben enthalten, und die Anwendung des Baume Chiron bei Wunden und Kolik der Kinder zudem eine Gesundheitsschädigung bedeute; die Regierung hat auch auf die .Abweisungsgründe ihrer Direktion des Gesundheitswesens hingewiesen, in welchen gesagt ist, daß das Baume Chiron in marktschreierischer Weise gegen Krankheiten (Wunden, Verbrennungen, Kinderdiarrhöe etc.) empfohlen werde, wo es nutzlos sei oder geradezu schädlich wirke, und daß sich

73

das Lactogénine vor allem durch seinen pompösen Namen, schwülstigen Prospekt und den stark übersetzten Preis auszeichne.

Diese Aussetzungen werden, mit Ausnahme dessen, daß der Preis des Lactogénine in Anbetracht der dazu verwandten Materialien und Mühe nicht als übersetzt bezeichnet werden kann, durch das Gutachten der Experten Professoren Heffter und Heß in Bern und Dr. Lotz in Basel bestätigt.

a. Das Baume Chiron wird empfohlen -- und es muß, wie die Experten richtig ausführen, hier auch der Prospekt von Î855 beigezogen werden, da derselbe, entgegen der rekurrentischen Behauptung, wieder neugedruckt worden ist und dem Präparate stets beigelegt wird -- zur Heilung von Quetschungen und schlaffen Geschwüren, von offenen Wunden, von Brandwunden, von Kolik, von Entzündungen und Abszessen der weiblichen Brust und entzündlichen Verhärtungen derselben während des Stillens.

In allen diesen Fällen aber, erklären die Experten, wird die Anwendung des Baume 'Chiron entweder keine heilsame oder eine schädliche Wirkung zur Folge haben. Daß der Baume Chiron keine heilende Wirkung hat, gilt insbesondere für seinen Gebrauch bei Quetschungen, schlaffen Geschwüren und den Fällen wirklicher Kolik, da es überall hier das vom Rekurrenten angegebene V e r f a h r e n ist, das heilend wirkt, während die gleichzeitige Anwendung von Baume Chiron ohne Einfluß ist. Die Behauptung des Rekurrenten, daß er für die schädliche Wirkung des M i ß b r a u c h s seines Präparates verantwortlich gemacht werde, ist nicht richtig, vielmehr wird die von der Regierung signalisierte und vom Gutachten der drei Experten bestätigte Gefahr beim Gebrauch des Baume Chiron in Fällen von Blinddarmentzündungen und Krebs gerade durch die Befolgung der dem Präparate beigegebenen ^Gebrauchsanweisung"1 direkt herbeigeführt, weil eben dem Laien die Diagnose der Krankheit in den beiden Fällen nicht möglich ist.

b. Das Lactogénine wird zur Erhöhung der Quantität und der Qualität der Milcherzeugung, der Blutbildung, wie überhaupt des Wohlbefindens von Kühen, sowie zur Heilung von Katarrh angepriesen. Dem entgegen hat aber das Gutachten in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise nachgewiesen, daß, sowohl nach rein theoretischen Überlegungen wie auf Grund praktischer Versuche, vorab die in erste Linie gestellte Wirkung des Lactogénine auf die
Milcherzeugung der Kühe, ebenso wie die Wirkung auf die Blutbildung und auf die Konstitution (Knochenbildung) der Tiere gleich null ist, und daß ebensowenig ein Erfolg (wegen Bundesblatt. 55. Jahrg. Bd. IV.

7

74

der zu geringen Quantität der nötigen Medizin) bei Katarrh der Tiere eintreten kann.

Die Prüfung auf Grund des Gutachtens ergibt somit, daß die Ankündigung und der Verkauf des Baume Chiron und des Lactogénine auf Grund von Angaben verlangt wird, die geeignet sind, das Publikum über die Wirkung dieser Heilmittel zu täuschen und gesundheitsschädigende Folgen herbeizuführen. Es kann daher in dem gegen die beiden Präparate erlassenen Verbote weder Willkür noch eine Verletzung von Art. 31 der Bundesverfassung erblickt werden.

2. Es fragt sich nun noch, ob das Verbot auch vom Standpunkt der Rechtsgleichheit der Bürger aus bestehen kann. Die Rekursschrift hat hier zwar einige Beispiele, die Erteilung der behördlichen Bewilligung zum Verkauf von Odol, Odontolin, von Alcool de menthe und de Ricqlès angeführt, und behauptet, wenn deren Verkauf und Ankündigung gestattet sei, so müsse das gleiche für seine Präparate gelten. Dem ist aber entgegenzuhalten, daß erstens die genannten Präparate, wie die Regierung des Kantons Zürich ausführt, zum Teil bloße Kosmetika sind, zweitens aber, daß weder behauptet noch bewiesen ist, daß die Ankündigung und der Verkauf derselben in schwindelhafter Weise betrieben wird. Wenn also dort kein Verbot erlassen worden ist, so ist die Rechtslage eine durchaus verschiedene und die verschiedene Behandlung der beiden Kategorien von Spezialitäten nicht willkürlich.

Demnach wird erkannt: Die Beschwerde wird abgewiesen.

B e r n , den 17. September 1903.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Deucher.

Der I. Vizekanzler :

Schatzmann.

~5s-O^-

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesratsbeschluß über die Beschwerde des Auguste Caspari, Apothekers in Vevey, gegen den Regierungsrat des Kantons Zürich wegen Verbots der Ankündigung und des Verkaufs medizinischer Spezialitäten (Baume Chiron und Lactogénine). (Vom 17.

September ...

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1903

Année Anno Band

4

Volume Volume Heft

38

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

23.09.1903

Date Data Seite

57-74

Page Pagina Ref. No

10 020 692

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.