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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung in Sachen des von J. Köpfli und Genossen in Goldau erhobenen Rekurses betreffend Militärpflichtersatz.

(Vom 19. März 1903.)

Tit.

Köpfli, Joseph, Kondukteur der S. B. B., hatte in eigenem, sowie im Namen vom 13 andern, ebenfalls in Goldau wohnenden Bahnangestellten in Sachen des Militärpflichtersatzes beim Regierungsrate des Kantons Schwyz rekurriert ; diese Kollektivbeschwerde war jedoch von der genannten kantonalen Instanz mit Entscheidungen vom 16./19. Juli und 8. August 1902 abgewiesen worden.

Gegen diese Entscheide des Regierungsrates von Schwyz wandte sich nun Herr Fürsprecher Albisser in Luzern, namens des Köpfli und Genossen, mit Eingabe vom 15. September, an den Bundesrat; seine Beschwerde wurde jedoch, weil erst nach Verfluß der für Militärsteuerbeschwerden vorgeschriebenen zehntägigen Frist eingereicht, am 17. September und 3. November nacheinander vom schweizerischen Militärdepartement und vom Bundesrate als verspätet abgewiesen. In einer Eingabe vom 2. Januar 1903 stellen die Rekurrenten bei der Bundesversammlung das Rechtsbegehren, es seien die angefochtenen Entscheide des Regierungsrates des Kantons Schwyz, weil das Bundesgesetz betreffend den Militärpflichtersatz, vom 28. Juni 1878, verletzend, aufzuheben, und daher in Abänderung derselben; sowie des Entscheides des Bundesrates seine Klienten pro 1902 niedriger zu taxieren.

234 Der von den Rekurrenten in formeller Beziehung eingenommene Standpunkt läßt sich kurz dahin zusammenfassen: Für die nach Bundesrecht ergehenden Entscheidungen kantonaler Behörden besteht das Rechtsmittel des staatsrechtlichen Rekurses. Soweit sich derselbe an den Bundesrat richtet, ist erstens die Spezialausscheiduug zwischen Bundesrat und Bundesgericht in Art. 189 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege, vom 22. März 1893, Ziffer 1 bis 6 maßgebend. Kann hieraus auf die Kompetenz der einen oder der andern dieser Behörden nicht geschlossen werden, so findet die allgemeine Zuständigkeitsbestimmung des Art. 189 Anwendung, wonach vom Bundesrat und der Bundesversammlung au erledigen sind : ,,Beschwerden betreffend die Anwendung der auf Grund der Bundesverfassung erlassenen Bundesgesetze, soweit nicht diese Gesetze selbst, oder gegenwärtiges Organisationsgesetz (Art. 182), abweichende Bestimmungen enthalten. a Die Spezialausscheidung trifft nun hier nicht zu; damit fällt also ein Mililärsteuerrekurs unter die allgemeine Bestimmung. Die Ausnahmen des Art. 182 des Organisationsgesetzes liegen hier nicht vor, da es sich weder um eine privat- noch um eine strafrechtliche Norm handelt; ebensowenig enthält das Bundesgesetz über den Militärpflichtersatz eine Norm, welche die abschließende Kompetenz des Bundesrates ergibt. Diese Norm ist nur in einer Vollziehungsverordnung gegeben, welche übrigens durch das später erlassene Organisationsgesete beseitigt ist. Kommt aber die allgemeine Bestimmung in Art. 189 des Organisationsgesetzes zur Anwendung, so gilt nicht die zehntägige Rekursfrist der Verordnung, sondern die s e c h z i g tägige des Organisationsgesetzes, und der Rekurs ist dann rechtzeitig beim Bundesrat eingereicht worden.

Gegenüber diesen Ausführungen der Beschwerdeführer ist in Erwägung zu ziehen: 1. Das Bundcsgesolz vom 28. Juni 1878 betreffend den Militärpflichtersatz ist erlassen in Anwendung von Art. 18, Absatz 4, und Art. 42, lit. e, der Bundesverfassung. In Art. 15 dos Gesetzes ist das Entscheidungsrecht des Bundes über alle den Militärpflichtersatz betreffenden Verhältnisse vorgesehen. In Ausführung dieser gesetzlichen Vorschrift stellte die Vollziehungsverordnung vom 1. Juli 1879 für die Einreichung von Beschwerden an den Bundesrat eine Frist von 10 Tagen auf. Das
Kreisschreiben des Bundesrates vom 4. Januar 1895 (Bundesbl. 1895, I, 39) ordnete das Beschwerderecht des näheren dahin, daß unter Beibehaltung der lOtägigen Frist als erste eidgenössische Rekurs-

235 instanz das Militärdepartement zu gelten hat, dessen Entscheid binnen 10 Tagen an den Bundesrat weitergezogen werden kann.

2. Art. 189 des Organisationsgesetzes betreffend die Bundesrechtspflege ist unter zwei Voraussetzungen nicht anwendbar: a. wenn das Organisationsgesetz selbst eine Ausnahme aufstellt ; b. wenn die auf Grund der Bundesverfassung erlassenen Gesetze abweichende Bestimmungen enthalten.

Die zweite Voraussetzung trifft zu.

Wollte man zwar nur den Wortlaut des Art. 189 zu Rate ziehen, so könnte man zu einem andern Resultate gelangen ; denn dort heißt es: ,,soweit nicht diese Gesetze selbst" -- damit sind die auf Grund der Bundesverfassung erlassenen Bundesgesetze gemeint -- ^abweichende Bestimmungen enthalten.11 Das Militärpflichtersatzgesetz enthält aber keine abweichende Bestimmung, indem es nur dem ,,Bunde" die Oberaufsicht und Entscheidung in allen den Militärpflichtersatz berührenden Verhältnissen zuweist; d. h. es wird kein für die Entscheidungen von Militärsteuerrekursen abweichendes Verfahren normiert.

Die Norm, welche das Verfahren betreffend die Militärpflichtersatzsteuerrekurse ordnet, findet sich in der Vollziehungsverordnung des Bundesrates und in dem Kreisschreiben von 1895 und weicht freilich von den Bestimmungen des Organisationsgesetzes wesentlich ab, indem sie zwei eidgenössische Instanzen schafft, das Militärdeparternent und den Bundesrat; ferner werden durch die Verordnung die zehntägigen Fristen für Einreichung des Rekurses bestimmt. Hier ist nun aber zunächst darauf zu verweisen, daß dus Gesetz selbst ohne die Verordnung nicht auf Vollständigkeit Anspruch machen kann, sondern daß es geradezu einer Ausführungsverordnung bedarf, indem an verschiedenen Stellen desselben (vgl. z. B. Art. 12 und 13) ergänzende Bestimmungen zur Ausführung des Gesetzes vorausgesetzt werden.

Der Bundesrat hat nun auf Grund seiner allgemeinen Verordnungsgewalt das Rekurs ver fahren in der Vollziehungsverordnung näher geregelt, Fristen aufgestellt und den Instanzenzug geordnet. Dieses Vorgehen des Bundesrates enthält nichts Außergewöhnliches. Er hat z. B. in Verordnung II vom 24. Dezember 1892 zum Bundesgesetz üher Schuldbetreibung und Konkurs ein Reglement über den von den kantonalen Aufsichtsbehörden zu führenden Titel und über die Einreichung der Beschwerden erlassen. In dieser Verordnung werden wesentliche Teile des dem Betreibungs- und Konkursrecht eigentümlichen Beschwerdeverfahrens geordnet.

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Im übrigen ist der Erlaß der Vollziehungsverordnung zum Militärpflichtersatzgesetz im Geschäftsberichte des Bundesrates der Bundesversammlung mitgeteilt (vgl. Bundesbl. 1881, II, 490), und der Geschäftsbericht ist von derselben genehmigt worden.

3. Ist der Satz des Art. 189 des Organisationsgesetzes, daß Beschwerden betreffend Anwendung von Bundesgesetzen nicht nach den allgemeinen Bestimmungen zu erledigen sind, sondern nach abweichenden Bestimmungen, sofern solche in den betreffenden Bundesgesetzen enthalten sind, richtig, so fragt es sich, ob die abweichenden Bestimmungen ausschließlich im Gesetz enthalten sein müssen, oder ob es genügt, wenn sie in Verordnungen aufgenommen sind. Wir halten dafür, daß das letztere der Fall ist, sofern die Verordnung nicht im Widerspruch mit dem Gesetz, dessen Ausführung sie ist, steht. Denn wenn auch eine Verordnung nicht das Gesetz selbst darstellt, so liegt der Unterschied der beiden Rechtsquellen nicht sowohl in der Natur ihrer Allgemeinverbindlichkeit, als vielmehr nur in der Art ihres Zustandekommens. Eine Verordnung ist niimlich genau so allgemein verbindlich wie ein Gesetz, und es bedarf zur Aufhebung einer solchen ebensogut eines besonderen Aufhebungsaktes wie bei einem Gesetz. Die allgemeine derogatorische Klausel des Organisationsgesetzes in dessen Art. 227 erwähnt deshalb auch ausdrücklich, daß nicht nur Gesetze, sondern auch Verordnungen, welche dem neuen Gesetze widersprechen, aufgehoben sind.

Aus vorstehenden Ausführungen geht nun hervor, daß das in Militärsteuersachen gegebene Rechtsmittel die in der Vollziehungsverordnung zum Bundesgesetz über den Militärpflichtei-sat-/, geregelte besondere Beschwerde ist, für deren Geltendmachung eben die zehntägige Frist aufgestellt wurde. Diese hatten die Beschwerdeführer versäumt und mußten infolgedessen vom Bundesrate aus formellen Gründen abgewiesen werden.

In Umfassung des Angebrachten beehren wir uns, Ihnen zu beantragen, Sie wollen beschließen: ,,Der vorliegende Rekurs wird wegen Versäumnis der für die Besohwerdeführung beim Bundesrate gesetzten Frist abgewiesen.ct Sollten Sie die Ansicht der Rekurrenten teilen, daß dieselben an die in der Vollziehungsverordnung zürn Bundesgesetz betreffend Militärpflichtersatz aufgestellte Frist nicht gebunden waren, so stellen wir im Hinblick darauf, daß eine materielle Prüfung des Rekurses nicht staltgefunden hat, den Antrag:

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"Es sei der Rekurs zu materieller Behandlung an den Bundesrat zurückzuweisen."

.Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 19. März 1903.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Deucher.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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