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Bundesratsbeschluß über

die Beschwerde der Kirchenvorstände der römisch-katholischen Pfarrei St. Peter und Paul und der Liehfrauenpfarrei in Zürich betreffend die Versendung von ,,Aufklärungszirkularen" der katholischen Kirchenpflege.

(Vom 21. Juli 1903.)

Der schweizerische Bundesrat

hat über die Beschwerde der Kirchenvorstände der römischkatholischen Pfarrei St. Peter und Paul und der Liebfrauenpfarrei in Zürich betreffend die Versendung von ,,Aufklärungszirkularen" der katholischen Kirchenpflege Zürich, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt: A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Mit Eingaben vom Mai 1901 und Oktober 1902 hat eine Anzahl römisch-katholischer Vereinigungen in der Stadt Zürich an die Regierung des Kantons Zürich das Gesuch gestellt, es möchte der ,,alt-katholischen" Kirchenpflege Zürich eine Warnung

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dahin erteilt werden, daß sie in Zukunft nicht mehr Angehörige der römisch-katholischen Konfession mit verletzenden, den religiösen Frieden störenden Zirkularen belästige. Als solches Zirkular wurde ein vom katholischen Pfarramt und von der katholischen Kirchenpflege Zürich unterzeichnetes, gedrucktes Aktenstück mit dem Titel: ,,Zur Aufklärung über das Zugehörigkeitsverhältnis der katholischen Kirchenpflege Zürich zur christkatholischen Kirche der Schweiz, und über das Wesen und die Einrichtungen der letztern" ins Recht gelegt.

Das Zirkular lautet in den Abschnitten, deren Ausdrücke namentlich beanstandet worden sind, folgendermaßen: ,,Den Gottesdienst feiern wir nicht mehr in der den Gemeindegliedern unverständlichen lateinischen, sondern in der deutschen Sprache; niemand ist gezwungen, sich durch die Ohrenbeichte auf den Empfang der Kommunion vorzubereiten, sondern zu dieser Vorbereitung ist ihm Gelegenheit gegeben durch die Teilnahme an einer allgemeinen Bußandacht; wir verlangen von unserem Geistlicheu nicht, daß er sich beuge unter das römische Joch der erzwungenen Ehelosigkeit, sondern freuen uns, wenn er auch als Familienvater der Gemeinde zum Vorbild gereicht.

Selbstverständlich weiß man bei uns auch nichts von dem Unfug, der in der römischen Kirche mehr und mehr mit den religiösen Gefühlen getrieben wird, nämlich den zahllosen sogenannten vollkommenen und unvollkommenen Ablässen, den Mißbräuchen der Heiligenverehrung, dem Glauben an Muttergotteserscheinungen und an wundertätige Madonnenbilder, dem mit Reliquien, Skapulieren u. s. w. verbundenen Aberglauben. Ebenso haben wir, um dem unwürdigen Handel mit geistlichen Dingen ein Ende zu machen, die sogenannten Stolgebühren, Sportein und Meßstipendien abgeschafft. Dagegen machen ,-syir es uns zur Pflicht, den katholischen Gottesdienst in seiner einfachen Schönheit zu bewahren und ihn für die Gläubigen immer erbauender zu gestalten.

,,Wir haben an der katholischen Lehre nichts geändert.

Gerade deswegen verwerfen wir die Unfehlbarkeit des Papstes und andere päpstliche Dogmen als der Offenbarung, der Überlieferung und dem gesunden Menschenverstände widersprechende und in ihren Folgen für Gesellschaft und Staat unheilvolle Neuerungen. Die Kirche der ersten Jahrhunderte christlicher Zeitrechnung wußte von einem Papsttum im heutigen Sinne
nichts. Dasselbe hat sich erst im Laufe der Zeit und zwar nicht selten mit recht unheiligen Mitteln (Erfindungen und Fälschungen) zu^dem entwickelt, was als eine von Gott geordnete Einrichtung

Bi?

ausgegeben wird. Nach der klaren Lehre der hl. Schrift gibt es nur e i n Haupt der Kirche und nur e i n e n Mittler zwischen Gott und den Menschen, Jesum Christum, den Erlöser. Das katholische Bekenntnis ist keineswegs an das Papsttum gebunden ; es wurzelt allein in der heiligen Schrift und in der Tradition."

Endlich heißt es in einem weitern Abschnitt über die Gnadenmittel der katholischen Kirche : ,,Einen Beichtzwang haben wir so wenig, als die apostolische uud allgemeine Kirche ihn kannte. Das Abendmahl oder das Sakrament des Altars ist auch uns ein geheiligtes Opfermahl, in welchem die den Leib und das Blut des Herrn empfangenden Gläubigen mit Christus in die innigste Gemeinschaft treten und der Brlösungsgnade teilhaftig werden. Die letzte Zehrung und sakramentale Stärkung wird auch bei uns gespendet 5 allerdings nur auf Wünsch des Kranken und ohne daß jemals eine für Kranke oft peinliche Nötigung stattfindet.a Gegen den Schluß zu wird gesagt: ,,Mit aller Entschiedenheit bekämpfen wir den in der römischen Kirche herrschend gewordenen Ultramontanismus, deidie Religion zu politischen Machtbestrebungen mißbraucht. Durch die Annahme der Unfehlbarkeit des Papstes ist jeder römische Katholik dem Papste in allen Dingen, auch in gesellschaftlichen und staatlichen, zum unbedingten Gehorsam verpflichtet, sobald es dem Papste beliebt, diese Dinge als Angelegenheiten des Glaubens und der Sitte zu erklären. Tatsächlich wird ja auch, überall in römischen Kreisen daran gearbeitet, Politik und Religion so zu vermengen, daß jede politische Frage schließlich allein vom kirchlichen Standpunkt aiis entschieden werden soll."1

II.

Der Regierungsrat des Kantons Zürich hat die beiden Eingaben der stadtzürcherischen römisch-katholischen Vereinigungen mit Schreiben vom 26. Februar 1903 beantwortet, in welchem er im wesentlichen sagt: ,,Wenn die Erledigung der Beschwerden sich etwas hinausgezogen hat, so geschah dies nicht ohne Absicht der Behörde : Die Direktion des Innern wollte der katholischen Kirchenpflege, welcher die erste Beschwerdeschrift vom Mai 1901 unverzüglich zugestellt worden war, Gelegenheit geben, allfällig von sich aus den Wünschen der Beschwerdesteller Rechnung zu tragen, ohne daß obrigkeitliche Maßnahmen nötig würden.

Bundesblatt. 55. Jahrg. Bd. III.

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818 ,,Der Regierungsrat erachtet die Versendung des Aufklärungsschreibens der katholischen Kirchgemeinde Zürich unter den obwaltenden Verhältnissen weder für unzulässig noch für überflüssig, solange es inhaltlich nicht mit Recht beanstandet werden kann. Ohne seinerseits auf den Inhalt dieses Schreibens einzutreten, kann nun aber der Regierungsrat den Beschwerdeführern mitteilen, daß sich die katholische Kirchenpflege von sich aus zur Vermeidung von Mißhelligkeiten bereit erklärt hat, dieses Schreiben dahin zu modifizieren, daß inskünftig die Stellen, die sich speziell auf die Unterschiede zwischen der christ-katholischen und der römisch-katholischen Konfession beziehen, möglichst gemildert werden.

,,Was die Zustellung des Aufklärungsschreibens an Römischkatholische anbelangt, so hat die katholische Kirchenpflege mitgeteilt, dieselbe sei teils aus Unkenntnis des Expedienten erfolgt, teils weil der Kirchenpflege selber die Zugehörigkeit der Betreffenden zur römisch-katholischen Konfession nicht bekannt war.

,,Der Regierungsrat betrachtet damit diese Angelegenheit als erledigt, und spricht die Erwartung aus, daß auch von Seiten der Römischkatholischen in diesen konfessionellen Fragen den Christkatbolischen gegenüber das zur Erhaltung des konfessionellen Friedens erforderliche Maß von Zurückhaltung stets beobachtet werde."

m.

Das dem Regierungsrat von der katholischen Kirchenpflege zur Einsicht vorgelegte zweite Aufklärungszirkular hat folgenden Wortlaut : Zur Aufklärung über das Zugehörigkeitsverhältnis der katholischen Kirchgemein de Zürich zur c h r i s t k a t h o l i s c h e n K i r c h e der Schweiz und ü b e r das Wesen und die Einrichtungen der letztern.

,,Im Jahre 1870 erklärte Papst Pius IX. unter Zustimmung des vatikanischen Konzils die Lehrmeinung von der Unfehlbarkeit des Papstes als eine zur Seligkeit notwendige Glaubenswahrheit.

Eine Reihe der angesehensten Bischöfe hatten vergeblich dagegen protestiert, sich aber schließlich dem päpstlichen Machtspruche unterworfen. Tausende und abertausende von Katholiken jedoch (darunter die bedeutendsten katholischen Theologen) vermochten es mit ihrem Gewissen nicht zu vereinbaren, eine neue Lehre als Glaubenssatz anzunehmen, die, wie die Theologen unwiderleglich dargetan haben, mit der hl. Schrift und der Überlieferung der Kirche in offenem Widerspruche stand.

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,,Wie in Deutschland, so bildeten sich darum auch in unserm Vaterlande infolge des Widerstandes gegen diese Lehre von der Unfehlbarkeit und Allgewalt des Papstes romfreie Gemeinden, welche sich im Jahre 1874 durch eine ,,Verfassung der christkatholischen Kirche der Schweiz"' eine eigene Organisation gaben und mit Genehmigung des h. Bundesrates das schweizerische Nationalbistum bilden.

,,Dem christkatholischen Nationalbistum schloß sich auch die katholische Kirchgemeinde Zürich an, nachdem sie am 8. Juni 1873 gegen den Lehrsatz von der Unfehlbarkeit des Papstes Widerspruch erhoben und sodann am 2. November desselben Jahres einen Geistlichen zum Pfarrer gewählt hatte, welcher, auf dem Boden des alten katholischen Glaubens stehend, sich geweigert hatte, die neue päpstliche Lehre zu verkünden.

,,Diese Beschlüsse wurden mit großem Mehr gefaßt, so daß die heutige Gemeinde sich als die rechtmäßige Nachfolgerin der alten katholischen Gemeinde betrachten kann und von den staatlichen Oberbehörden als solche bezeichnet und anerkannt ist. Sie darf das aber auch deswegen, weil sie die alten Überlieferungen jener Gemeinde, nämlich die Pflege des religiösen Lebens in Verbindung mit der Pflege eines weitherzigen, duldsamen Geistes fortzusetzen und zu entwickeln bemüht ist.

,,Eine Reihe von Reformen, die wir als zeitgemäß erkannt und die mit den Traditionen der alten katholischen Kirche im Einklang stehen, sind in unserm kirchlichen Gemeindeleben zur Durchführung gebracht worden. So wurde in erster Linie die alte katholische Verfassung wieder hergestellt und damit dem Bischöfe, aber auch den Laien die Stellung wieder zurückgegeben, die sie von Anfang an in der Kirche eingenommen hatten, aus der sie aber im Laufe der Zeit verdrängt worden waren.

Darum wurde das altehrwürdige Institut der Synode wieder zu Ehren gezogen, in der die Geistlichen und die Laien, diese als Abgeordnete der Gemeinden, das Wohl der Kirche gemeinsam beraten.

,,Den Gottesdienst feiern wir nicht mehr in der den Gemeindegliedern unverständlichen lateinischen, sondern in der deutschen Sprache. Niemand ist gezwungen, sich durch die Ohrenbeichte auf den Empfang der Kommunion vorzubereiten, sondern zu dieser Vorbereitung ist ihm Gelegenheit geboten durch die Teilnahme an einer allgemeinen Bußandacht. Für unsere Geistlichen ist das Verbot der Ehe aufgehoben, sie sollen auch als Familien-

820 väter der Gemeinde ein Vorbild sein können. Die christkatholische Kirche verwirft das Ablaßwesen, eine übertriebene Heiligenverehrung, den Glauben an Muttergotteserscheinungen und wundertätige Madonnenbilder u. s. w. Sie hat die sogenannten Stolgebühren, Sportein und Meßgelder abgeschafft, macht sich dagegen zur Pflicht, den katholischen Gottesdienst in seiner einfachen Schönheit zu bewahren und ihn für die Gläubigen immer erbauender zu gestalten.

,,Die Verwerfung und Bekämpfung derartiger Dinge und die Durchführung der oben erwähnten Reformen ermöglichen uns erst recht, um so treuer an der alten katholischen Überlieferung festzuhalten.

,,Wir haben an der katholischen Lehre nichts geändert.

Unsere Geistlichen unterrichten, lehren utfd predigen auf dem Grunde desselben apostolischen Glaubensbekenntnisses, auf welches von jeher durch die Taufe die Aufnahme in die christliche Kirche vollzogen worden ist.

,,Gerade deswegen verwerfen wir die Unfehlbarkeit des Papstes und andere päpstliche Dogmen, weil sie nicht in der hl. Schrift und in der Überlieferung wurzeln. Die Kirche der ersten Jahrhunderte wußte von einem Papsttume im heutigen Sinne nichts. Dasselbe hat sieh erst im Laufe der Zeit zu dem entwickelt, was als eine von Gott geordnete Einrichtung ausgegeben wird. Nach der klaren Lehre der hl. Schrift gibt es nur e i n Haupt der Kirche und nur e i n e n Mittler zwischen Gott und den Menschen: Jesum Christum, den Erlöser. Das katholische Bekenntnis ist keineswegs an das Papsttum gebunden ; es hat seinen Grund allein in der hl. Schrift und in der Tradition.

,,Unser Gottesdienst ist katholisch, denn auch in der deutschen Sprache feiern wir nichts anderes, als ^as die katholische Kirche immer als sonntägliche Abendmahlsfeier gehalten hat. Wir haben die Gnadenmittel der alten katholischen Kirche : Das Gebet und die Sakramente. Das Gebet als Erhebung des Gemütes zu Gott, die Taufe als geistige Wiedergeburt des Menschen und als Aufnahme in die christliche Gemeinschaft, die Firmung als eine Stärkung der heranwachsenden Kinder im Glauben durch die Kraft des hl. Geistes, welcher unter Gebet und Handauflegung des Bischofs für die Firmlinge erfleht wird. Die Buße ist uns ein Akt der Versöhnung mit Gott. Da jeder Gläubige mit seinem eigenen Gewissen vor Gott verantwortlieh ist, hat er selber darüber zu entscheiden, ob er diese Versöhnung vor versam-

821 melter Gemeinde oder unter Wegleitung des Seelsorgers von Gott erbitten will. Einen Beicht/wang haben wir so wenig, als die apostolische und allgemeine Kirche ihn kannte. Das Abendmahl oder das Sakrament des Altars ist auch uns ein geheiligtes Opfermahl, in welchem. die den Leib und das Blut des Herrn empfangenden Gläubigen mit Christus in die innigste Gemeinschaft treten und der Erlösungsgnade teilhaftig werden. Die letzte Zehrung und sakramentale Stärkung wird auch bei uns gespendet. Die Priesterweihe ist das Sakrament, durch welches der Bischof die Kandidaten des Priesterstandes feierlich zur Verwaltung des priesterlichen Amtes weiht. Die Ehe endlich ist uns das Sakrament, welches die Brautleute durch ihre Erklärung, als Ehegatten einander anzugehören, sich selber spenden. Wenn wir darum auch die bürgerliche Eheschließung als gültig anerkennen, legt doch unsere Kirche es den Brautleuten als hl. Pflicht auf, in der kirchlichen Trauung auf ihren fürs ganze Leben entscheidenden Schritt den Segen Gottes zu erflehen. Wir bestreiten aber die Gültigkeit einer Ehe nicht, wenn sie von dem Geistlichen einer andern Kirche eingesegnet worden ist, oder wenn ein Teil einer andern Konfession angehört. Bö halten wir den katholischen Charakter der Ehe als Sakrament fest, ohne dabei engherzig zu sein.

,,Mit aller Entschiedenheit bekämpfen wir den in der römischen Kirche herrschend gewordenen Ultramontanismus, der in religiösem Gewände die politischen Machtbestrebungen des Papsttums zu fördern sucht, und betonen die ausschließlich religiöse Aufgabe, welche die katholische Kirche zu lösen hat.

,,Wenn also unsere Kirche manches, das zu verkehrten religiösen Anschauungen Anlaß geben kann, beseitigt hat, so ist doch in ihr alles enthalten, was zur Betätigung und Kräftigung eines wahrhaft katholischen Gemeindelebens dienen kann. Getragen vom Geiste Christi, hat sie kein anderes-Ziel, als das Reich Gottes zu bauen und ihre Glieder immer mehr zu vollgültigen Bürgern dieses Reiches zu machen. Sie strebt nicht nach irdischer Macht und Größe, sie mischt sich nicht in die irdischen Streitigkeiten der Welt, sie hält vielmehr die Ihrigen an, Gott zu geben, was Gottes und dem Staate, was des Staates ist. Soviel an ihr liegt, sucht sie Frieden zu halten mit jedermann. Darum verdammt sie die Andersgläubigen nicht, sondern sucht, ohne der Wahrheit etwas zu vergeben, in Liebe die Kluft zu überbrücken, welche die verschiedenen Konfessionen trennt.

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,,Wer dieser Kirche angehört, muß nichts entbehren, was wahrhaft christlich und katholisch ist, wohl aber gewinnt er die Möglichkeit, im Sinne des Evangeliums ,,das Reich Gottes zu suchen und seine Gerechtigkeit14 und dem eigenen Lande und Volke unverkiimmerte Treue zu halten.a IV.

Gegen den Regierungsentscheid, welcher den Beteiligten am 8. März 1903 eröffnet worden ist, hat das Advokaturbureau Dr. C. Melliger in Zürich, ,,namens der Kirchen vorstände der beiden römisch-katholischen Genossenschaften der Stadt Zürich10 am 27. März 1903 eine Eingabe an den Bundesrat gerichtet, in welcher der Antrag gestellt wurde, der Bundesrat möge die zur Aufrechterhaltung des Friedens zwischen der altkatholischen Kirchgemeinde und den römisch-katholischen Genossenschaften erforderlichen Maßnahmen treffen, speziell den Organen der altkatholischen Kirchgemeinde die Versendung des beanstandeten ,,Aufklärungszirkulars" verbieten.

Die Beschwerde ist folgendermaßen begründet: Die Antwort der zürcherischen Regierung vom 26. Februar 1903 auf die beiden Schreiben der beschwerdeführenden römischkatholischen Genossenschaften vom Mai 1901 und Oktober 1902 qualifiziert sich als eine Abweisung der eingereichten Beschwerden, wenn nicht gar im Schlußsatz als Rüge der Beschwerdeführer, daß sie den konfessionellen Frieden stören; die Beschwerden sind keineswegs als gegenstandslos abgeschrieben worden. Deshalb sehen die fiekurrenten sich genötigt, an den Bundesrat zu gelangen.

Die Kompetenz des Bundesrates ist im vorliegenden Falle zweifellos gegeben, da es sich hier um die Wahrung des öffentlichen Friedens unter den Angehörigen verschiedener Religionsgenossenschaften handelt (Art. 50, Absatz 2, Bundesverfassung).

Materiell ist gegenüber der Regierung des Kantons Zürich zu betonen, daß das Aufklärungszirkular ebenso unzulässig wie überflüssig ist. Jeder Katholik, ob alt-katholisch oder römischkatholisch, kennt die Unterschiede zwischen den beiden Religionsgenossenschaften; die Lehre -der römisch-katholischen Kirche hat einen so bestimmt ausgeprägten Charakter, die äußern Einrichtungen ihrer Kirche haben ein so spezifisches Gepräge, daß kein einziger im Zweifel sein kann ; denn das Zirkular wendet sich nicht an Kinder, die erst im Religionsunterricht erzogen werden müssen.

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Die Behauptung der zürcherischen Regierung, daß die Versendung des beanstandeten Zirkulars zum Teil auf Unkenntnis des Expedienten beruhe, ist ebenfalls haltlos, da dieser Expedient doch jedenfalls von der Aufstellung ausging, welche die kathd?

lische Kirchenpflege selbst gemacht hatte, und diese in jedem Falle für solche Fehler verantwortlich wäre. Will man mit Rücksicht auf Steuerpflicht und Stimmrecht Klarheit haben, wer Altkatholik ist und wer nicht, so genügt dafür eine einfache Anfrage, gegen welche nichts einzuwenden wäre.

Das Aufklärungszirkular ist in der Form, wie es bis jetzt versendet wurde, unzulässig und vom Staate zu beanstanden, wenn anders der Schutz des konfessionellen Friedens Gegenstand der staatlichen Fürsorge sein soll. Auch durch das Vorbringen der Wahrheit kann man den Frieden stören, ebenso, wie eine Ehrverletzung beim Vorliegen einer wahren Tatsache nicht ausgeschlossen ist, wenn die F o r m die ehrverletzende Absicht verrät. Wenn das Zirkular bloß von einer Veräußerlichung der Kirche, von der Willkür der Päpste, von den politischen Machtbestrebungen der römischen Kirche, von unbegründeten Tatsachen sprechen würde, so könnte man im Zweifel sein, ob dies eine bloße Kritik bedeutet, wenn sie auch falsch wäre. Aber wenn man mit dem ,,groben Unfug der römischen Kirche"1, mit dem ,,unwürdigen Handel mit geistlichen Dingen", mit ^Gesellschaft und Staat unheilvollen Neuerungen'1, mit ,,Erfindung und Fälschung"1 und ,,peinlicher Nötigung für Kranke" um sich wirft, indem man sich direkt an die Anhänger der beschimpften Kirche wendet, so heißt dies zweifellos die Grenzen der Kritik überschreiten und den konfessionellen Frieden stören. Würde der alt-katholische Pfarrer lediglich in seiner Kirche in dieser Sprache reden, so könnte man dies verzeihen; aber die Handlung gewinnt denn doch einen ganz andern Charakter, wenn diese Sprache in jenen amtlichen Erlassen geführt wird, die mit absoluter Gewißheit auch an Römischkatholische gelangen.

IV.

Der Bundesrat hat die Regierung des Kantons Zürich von der eingelangten Beschwerde unter Übermittlung sämtlicher Akten in Kenntnis gesetzt und zur Berichterstattung eingeladen.

Der Bericht des Regierungsrates lautet im wesentlichen folgendermaßen : Wir bemerken vorerst, daß die in Zürich bestehenden römisch-katholischen Vereine und Genossenschaften lediglich

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privatrechtlichen, nicht öffentlich-rechtlichen Charakter haben, und machen beiläufig auch darauf aufmerksam, daß Rechtsanwalt Dr. Melliger weder Rekursvollmacht seiner Auftraggeber produfiert, noch auch nur die Namen der römisch-katholischen Genossenschaften genannt hat, für welche er den Rekurs an den Bundesrat erhebt.

In materieller Hinsicht ist folgendes zu bemerken : 1. Vor allem bestreiten wir, daß durch die Versendung des beanstandeten Zirkulars der öffentliche konfessionelle Friede in Zürich gestört worden sei. Wenn dies der Fall gewesen wäre, so hätte dies ganz zweifellos in der Presse seinen Ausdruck gefunden; die Rekurrenten sind aber schwerlich in der Lage, eine öffentliche Zeitung aus den Jahren 1901, 1902 und 1903 zu produzieren, in welcher über Störung des konfessionellen Friedens durch jenes Zirkular geklagt worden wäre ; sie haben überhaupt keinen Beweis für ihre Behauptung beigebracht. Daher glaubte der Regierungsrat der ersten Beschwerde vom 24. Mai 1901, nachdem er sie der katholischen Kirchenpflege Zürich zur Vernehmlassung zugestellt hatte, keine Folge geben zu sollen.

Nach Eingang der zweiten Beschwerde vom 29. Oktober 1902 hat unsere Direktion des Innern mit einer Vertretung der katholischen Kirchenpflege über die Angelegenheit konferiert (am 24. Februar 1903) und es hat sich die Kirchenpflege bereit erklärt, aus Rücksicht auf die Beschwerdeführer einige Ausdrücke in dem Zirkular für die Zukunft zu mildern.

Hiervon wurde den Beschwerdeführern durch den nunmehr angefochtenen Beschluß vom 26. Februar 1903 Kenntnis gegeben.

Noch gleichen Tags reichte die katholische Kirchenpflege unserer Direktion des Innern den Entwurf für das abgeänderte Zirkular mit dem Antrage auf Genehmigung ein. Die Direktion des Innern stellte der Kirchenpflege den Entwurf zurück, mit der Mitteilung, daß sie sich zu keinen Bemerkungen veranlaßt sehe, indem sie von der zutreffenden Ansicht ausging, dieses Zirkular bedürfe keiner oberbehördliehen Genehmigung.

2. Eine Vergleichung des Entwurfes mit dem gedruckten Zirkulare ergibt nun, daß in demselben gerade diejenigen Stellen und Ausdrücke, welche von dem Rekurrenten in dem bei den Akten liegenden gedruckten Zirkulare als zu beanstandende ausgezeichnet sind, entweder ganz weggelassen oder derart gemildert sind, daß sie bei objektiver Betrachtung nach keiner Seite hin mehr Anstoß erregen können. Es hätte sich also ein Einschreiten

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weder im Hinblick auf die Bestimmungen der Bundes- noch der Kantonsverfassung gerechtfertigt.

3. Durch die erwähnten Abänderungen an dem von den Rekurrenten beanstandeten Zirkular dürfte eigentlich der dem h. Bundesrate eingereichte Rekurs gegenstandlos geworden sein; denn die Rekurrenten verlangen in ihrem Rekursantrage nicht, daß der katholischen Kirchenpflege überhaupt die Versendung eines Zirkulare verboten werde, sondern lediglich die Versendung des von ihnen beanstandeten ,,Aufklärungszirkulars1*.

In der Rekursbegründung scheinen sich die Rekurrenten allerdings auf den Standpunkt stellen zu wollen, ein derartiges Schreiben sei überhaupt unzulässig und überflüssig. Wir halten demgegenüber an unserem Standpunkte fest, daß ein derartiges Aufklärungsschreiben zulässig war, solange es sich, wie dies tatsächlich geschehen ist, maßvoller Abfassung befliß. Wir verweisen in letzterer Hinsicht auf die Venehmlassungen der katholischen Kirchenpflege.

Die Befürchtung der Rekurrenten, die katholische Kirchenpflege könnte gelegentlich wieder den früheren Weg beschreiten, halten wir angesichts der mündlichen und schriftlichen Erklärungen der Behörde, welcher ehrenwerte Männer, ' zum Teil in amtlicher Stellung, angehören, für grundlos; eventuell könnte dann immer noch eingeschritten werden.

Aus den vorstehenden Ausführungen (Ziffern 2 und 3) geht hervor, daß wir die Beschwerden der Rekurrenten nicht einfach abgewiesen haben. Es wurde vielmehr derjenige Weg eingeschlagen, den wir im Interesse der Aufrechterhaltung des konfessionellen Friedens als den richtigen ansehen.

V.

Infolge des Umstandes, daß die zürcherische Regierung die Rekursvollmacht des Advokaten Dr. C. Melliger bestritt, ersuchte das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement den letztern, die Bescheinigung seiner Vollmacht zur Beschwerdeerhebung beizubringen.

Dr. Meiliger antwortete, er habe in seiner Eingabe au den zürcherischen Rcgierungsrat eine Vollmacht der beiden Kirchenvorstände der Liebfrauenkirche und der Kirche von St. Peter und Paul bezw. der betreffenden römisch-katholischen Genossenschaften beigelegt, welche von beiden Präsidenten und Aktuaren unter-

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Der Regierungsrat des Kantons Zürich bestätigt mit Schreiben vom 6. Juni 1903 die Angaben des Dr. Heiliger und übermittelte die von diesem bei ihm seinerzeit eingelegte Prozeßvollmacht d. d. 11. Oktober 1902. In dieser Vollmacht erklären Vizepräsident und Aktuar des Kirchenvorstandes der Pfarrei St. Peter und Paul namens des Vorstandes, sowie Präsident und Aktuar des Kirchenvorstandes der Liebfrauenpfarrei für den Vorstand, den Dr. C. Melliger unter anderm zu bevollmächtigen, ,,Rechtsmittel zu ergreifen,a und ,,überhaupt" mit der Befugnis eines Generalbevollmächtigten mit Substitutionsrecht zu handeln. u

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht:

I.

Die Bevollmächtigung des Dr. C. Meiliger in Zürich, namens der ,,Kirchenvorstände der beiden römisch-katholischen Genossenschaften der Stadt Zürich", nämlich des Kirchenvorstandes der römisch-katholischen Pfarrei von St. Peter und Paul und desjenigen der Liebfrauenkirche in Zürich, beim Bundesrat gegen den Beschluß des ziircherischen Regierungsrates vom 26. Februar 1903 Beschwerde zu führen, ergibt sich aus der Vollmacht, welche dem genannten Rechtsanwalt unterm 11. Oktober 1902 seitens der beiden Genossenschaften zur Erhebung der Beschwerde beim Regierungsrat des Kantons Zürich und ,,zur Ergreifung von Rechtsmitteln" ausgestellt worden ist. Denn es ist nicht bestritten und unbestreitbar, daß die vorliegende Beschwerde das in dieser Vollmacht vorgesehene, formrichtige Rechtsmittel zur Weiterziehung des Entscheides vom 26. Februar 1903 ist. Auch ein Zweifel über die beschwerdeführenden Personen ist ausgeschlossen, da nirgends auch nur behauptet wird, daß in Zürich noch andere römisch-katholische Genossenschaften neben den beiden obgenannten bestehen.

II.

Die Beschwerdeführer behaupten, der öffentliche Friede zwischen den Angehörigen der christ-katholischen und römischkatholischen Eeligionsgenossenschaften sei durch die Versendung des sogenannten ,,Aufklärungszirkularsa der katholischen Kirchen-

827 pflege Zürich gestört worden. Es sei daher, nachdem die Regierung des Kantons Zürich ihre Intervention abgelehnt habe, Sache des Bundesrates, kraft der ihm in Art. 50, Absatz 2, der Bundesverfassung überbundenen Pflicht, ,,zur Handhabung der Ordnung und des öffentlichen Friedens unter den Angehörigen der verschiedenen Religionsgenossenschaften die geeigneten Maßnahmen zu treffen", die Unterdrückung des Aufklärungszirkulars zu veranlassen.

In Interpretation des Art. 50, Absatz 2, der Bundesverfassung hat der Bundesrat in einer Entscheidung.vom 19. Juni 1900 in Sachen der Beschwerde des Staatsrates des Kantons Waadt betreffend das Fastenmandat des Herrn Abbet, Hülfsbischofs von Sitten, festgestellt, es müsse, damit sich der Bundesrat zur Wahrung des öffentlichen Friedens zu irgend welchen Maßnahmen veranlaßt sehen könnte, nachgewiesen sein, daß eine Störung oder Gefährdung des öffentlichen Friedens unter den Angehörigen der verschiedenen Religionsgenossenschaften tatsächlich bewirkt worden sei (Bundesbl. 1900, III, S. 457 ff., insbesondere Seite 462 ff. und Bundesbl. 1901, II, S. 46). Diese Voraussetzung des Einschreitens ist im vorliegenden Falle nicht vorhanden. .

Die Behauptung der Beschwerdeführer, daß die Versendung des Aufklärungszirkulars überflüssig sei, ist irrelevant ; ihre weitere Behauptung aber, daß durch die ,,ehrverletzende Forma in der Abfassung des Aufklärungszirkulars der konfessionelle Friede zwischen den Angehörigen der christ- und römisch-katholischen Religionsgenossenschaft gestört worden sei, hat sie mit keiner Tatsache belegt, und die Richtigkeit derselben wird von der zürcherischen Regierung bestritten. Gegenüber der vorgebrachten Behauptung der Beschwerdeführer verweist die Regierung mit Recht darauf, daß, wenn Unfrieden zwischen den beiden Konfessionen ausgebrochen wäre, dies ganz zweifellos in der Presse seinen Ausdruck gefunden hätte ; tatsächlich aber haben die Rekurrenten sich weder auf eine Zeitungsäußerung aus den Jahren 1901, 1902 oder 1903, noch auf eine sonstige tatsächlich erfolgte Störung oder Gefährdung des öffentlichen Friedens berufen können.

Es muß auch im vorliegenden Falle darauf hingewiesen werden, daß die durch die Bundesverfassung gewährleistete Glaubens- und Gewissensfreiheit nicht bloß darin besteht, ,,die eigene Meinung in religiösen Dingen nach freier Überzeugung sich zu bilden, sondern wesentlich auch in dem Rechte, fremde

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Glaubensansichten, die man nicht teilt, der Kritik zu unterwerfen"1 (Salis II, Nr. 726, 8. 435). Es mag nun dahingestellt bleiben, inwieweit sich die Angehörigen der römisch-katholischen Kirche durch das erste sogenannte Aufklärungszirkulai1 in ihren konfessionellen Anschauungen gekränkt fühlen konnten. Soweit hier eine Überschreitung der durch die Glaubensfreiheit gewährten Berechtigung zur Kritik vorliegen würde, was der Bundesrat in keiner Weise zu beurteilen hat, ist dem Verletzten in den Grenzen des kantonalen Strafrechtes die Möglichkeit gegeben, den Schutz des Strafrichters anzurufen. Der Bundesrat sieht sich aber um so weniger zu einer weiteren Maßnahme veranlaßt, als auf die Vermittlung der Regierung des Kantons Zürich eine Fassung des sogenannten Aufklärungszirkulars bewirkt worden ist, welche im wesentlichen nichts anderes als eine Darlegung der Unterschiede zwischen den christ-katholischen und den römisch-katholischen Auffassungen enthält.

Demnach hat der Bundesrat beschlossen : Der Beschwerde wird keine weitere Folge gegeben.

B e r n , den 21. Juli 1903.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Deueher.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft:.

Bingier.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesratsbeschluß über die Beschwerde der Kirchenvorstände der römisch-katholischen Pfarrei St. Peter und Paul und der Liebfrauenpfarrei in Zürich betreffend die Versendung von ,,Aufklärungszirkularen" der katholischen Kirchenpflege. (Vom 21. Juli 19...

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22.07.1903

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