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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung zum Begnadigungsgesuch des wegen Zollübertretung bestraften Ernst Richard, Hotelier in Lucelle, Bezirk Pruntrut, Kanton Bern.

(Vom 23. Oktober 1903.)

Tit.

Der Petent ist Eigentümer des auf schweizerischem Territorium unmittelbar an der Grenze von Elsaß-Lothringen gelegenen Hotel ,,Lützelhof" in Lucelle, dessen Ausgelände zum Teil auf deutschem Gebiete liegt. Er kaufte von einem im elsässischen Teil von Lucelle wohnhaften Nachbarn Boegle für seine Landwirtschaft einen Wagen und benutzte denselben seit Oktober 1902 auf seinem schweizerischen und deutschen Besitztum. Hierfür wurde er mit einer Buße im vierfachen Betrage des umgangenen Zolles bestraft, und da er sich der Verfügung nicht freiwillig unterzog, den Gerichten des Kantons Bern zur Beurteilung überwiesen. Der Polizeirichter von Pruntrut hob die Buße als unbegründet auf; der bernische Appellations- und Kassationshof aber bestätigte dieselbe, nachdem die Staatsbehörde Berufung eingelegt hatte, indem er gleichzeitig dem Verurteilten die erst- und zweitinstanzlichen Kosten auferlegte.

Nunmehr gelangt Richard an die Bundesversammlung mit dem Gesuche um gnadenweisen Erlaß von Buße und Kosten. Er

417 behauptet, die Strafe sei nicht gerechtfertigt, weil der fragliche Wagen schon als Eigentum des Ausländers, von welchem er ihn gekauft, auf Schweizergebiet plaziert gewesen und darum von ihm gar nicht eingeführt worden sei. Das Hin- und Herfahren mit dem Wagen über die Grenze stelle sich dar als landwirtschaftlicher Grenzverkehr, der nach Gesetz und Verordnung zollfrei betrieben werden dürfe.

Die Oberzolldirektion macht gegenüber dem Begnadigungsgesuche geltend : Richard habe aus dem Umstand, daß sein jenseits der Grenze wohnhafter Rechtsvorfahr den Wagen zollfrei nach der Schweiz habe verbringen dürfen, um seine Geschäfte innerhalb der Freizone zu betreiben, keine Rechte für sich herleiten dürfen, sondern sei pflichtig gewesen, vor dem eigenen Gebrauch das Kaufobjekt zu verzollen. Er habe auch aus einem früheren ganz gleichartigen Vorgang genau gewußt, wie er sich zu verhalten habe und verdiene weder ganze noch teilweise Entlastung von der in ihrer Höhe ohnehin gering bemessenen Buße.

Es kann vor allem dem Gesuch um Erlaß der Kosten in diesem Verfahren keine B'olge gegeben werden, da nach Art. 174 des Bundesgesetzes über die Bundesstrafrechtspflege die Begnadigung nur die Aufhebung oder Reduktion der Strafe zu bewirken im stände ist, dagegen keinen Einfluß auf die zivilrechtlichen Folgen des Urteils mit Inbegriff der Kosten auszuüben vermag. Was aber die Frage anbetrifft, ob Richard mit Recht wegen Zollumgehung bestraft worden sei, 'so muß den Administrativbehörden darin beigestimmt werden, daß es sich nicht um denjenigen landwirtschaftlichen Verkehr handle, welcher von Art. 3 m des Zollgesetzes begünstigt wird. Da der Wagen vom Rechtsvorfahr des Petenten nur Kraft des in Art. 10 des schweizerischdeutschen Niederlassungsvertrages für den Grenzverkehr statuierten Privilegiums ohne Zoll in die Schweiz eingeführt worden war und dies dem schweizerischen Käufer wohl bekannt war, so mußte dieser, wenn er den Wagen im Inland oder im Grenzverkehr für sich verwenden wollte, denselben selbst verzollen. Jede andere Behandlung solcher, ausnahmsweise Privilegien genießende Objekte bei Wechsel des Eigentümers würde zu Folgen führen, die nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Da die Zollverwaltung auch nachgewiesen hat, daß Richard nicht etwa bloß in fahrlässiger Weise mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sei,
sondern die Verpflichtung zur Erlegung des Zolles unter derartigen Verhältnissen gekannt hat, so liegt vollends keine Veranlassung vor, das Straferkenntnis durch Begnadigung zu mildern.

418 Wir stellen daher bei Ihrer hohen Versammlung den Antrag: .

Es sei das Begnadigungsgesuch des Ernst Richard abzuweisen.

B e r n , den 23. Oktober

1903.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Deucher.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung zum Begnadigungsgesuch des wegen Zollübertretung bestraften Ernst Richard, Hotelier in Lucelle, Bezirk Pruntrut, Kanton Bern. (Vom 23. Oktober 1903.)

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28.10.1903

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416-418

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