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Bundesratsbeschluss über

die Beschwerde des Leopold Thorner, betreffend die Verweigerung eines Hausierpatentes für den Kanton Bern.

(Vom 27. Januar 1903.)

Der schweizerische Bundesrat hat über die Beschwerde des L e o p o l d T h o r n e r , betreffend die Verweigerung eines Hausierpatentes für den Kanton Bern; auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt: A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Mit Eingabe vom 17. August 1902 stellte Leopold Thorner aus Höri, Kanton Zürich, beim Regierungsrat des Kantons Bern das Gesuch, es möchte ihm für das kommende Vierteljahr ein neues Hausierpatent für Unterkleider und halbwollene Resten gegen Bezahlung der bisherigen Vierteljahrstaxe von Fr. 45. 50 erteilt werden. Durch die Direktion des Innern des Kantons Bern Bei

237 ihm für dieses Patent eine Taxe von Fr. 600 per Vierteljahr abverlangt worden; eine solche Erhöhung der Taxe vermöge er aber nicht zu ertragen.

Auf eine Überweisung des Regierungsrates hin antwortete die bernische Polizeidirektion unterm 19. August 1902 dem Petenten, sie habe beschlossen, für die Art von Waren ((Stoffen), mit denen der Gesuchsteller hausiere, das Maximum der Patenttaxe zu verlangen und zwar von allen Hausierern.

II.

Gegen die Verfügung vom 19. August 1902 ergriff Thorner die staatsrechtliche Beschwerde au den Bundesrat, mit dem Rechtsbegehren, es sei der Regiemngsrat des Kantons Bern zu verhalten, dem Rekurrenten auch fernerhin gegen eine mäßige Taxe sein Patent zu erneuern.

Rekurrent macht geltend, er betreibe seit vielen Jahren seinen Beruf als Hausierer mit Unterkleidern und halbwollenen Stoffen, er sei gut beleumdet und nie bestraft worden. Vom 5. Mai bis 6. August 1902 habe ihm die Polizeidirektion des Kautons Bern sein Hausierpatent gegen eine Taxe von Fr. 45. 50 erneuert; als er aber am 6. August um eine weitere Erneuerung nachgesucht habe, sei ihm mitgeteilt worden, diesem Gesuche könne nur gegen Entrichtung einer vierteljährlichen Taxe von Fr. 600 entsprochen werden. Der Regierungsrat habe ihm dies auf die Erhebung eines Rekurses hin durch die Polizeidirektion bestätigen lassen. Es sei nun aber einleuchtend, daß so hohe Taxen den Hausierhandel ganz unmöglich machen, und mit der buodesrechtlich gewährleisteten Handels- und Gewerbefreiheit in schreiendem Widerspruch stehen. Auch sei fraglich, ob die kantonalen Behörden von einem Tage auf den andern 30 einschneidende Maßregeln treffen könnten.

III.

Zur Vernehmlassung auf die Beschwerde eingeladen, stellte der Regierungsrat des Kantons Bern mit Zuschrift vom 8./12. November 1902 den Antrag auf Abweisung des Rekurses ; er stützte sich hierbei auf folgende Ausführungen : Leopold Thorner ficht durch seinen Rekurs keine Verfügung des Regierungsrates, sondern eine solche der .Polizeidirektion des Kantons Bern an. Er hat zwar gegen letztere bereits arn 17. August 1902 an den Regierungsrat des Kantons Bern rekurriert; derselbe mußte aber die Erledigung der Sache seiner Polizeidirektion überlassen, da nach Art. 20 der Vollziehungsverordnung

238 zum Hausiergesetz vom 13. November 1896 nur gegen eine Entscheidung der Polizeidirektion an den Regierungsrat rekurriert werden kann, wodurch ein Patent verweigert oder entzogen wird, nicht aber gegen eine Entscheidung derselben, wodurch die Höhe der zu bezahlenden Patenttaxe festgesetzt wird. Wir nehmen aber keinen Anstand, von uns aus auf den Rekurs des Thorner zu antworten, da Sie dem Regierungsrat des Kantons Bern denselben zur Beantwortung zugewiesen haben. Wir bestreiten auch die Kompetenz des schweizerischen Bundesrates nicht, über diesen Rekurs zu entscheiden, da er darüber zu wachen hat, daß der durch die Bundesverfassung gewährleistete Grundsatz der Handelsund Gewerbefreiheit nicht verletzt werde.

Wir halten aber dafür, dieser Grundsatz sei durch die Verfügung unserer Polizeidirektion gegenüber Leopold Thorner nicht verletzt worden. Art. 31, litera e, der Bundesverfassung behält den Kautonen vor : ,,Verfügungen über Ausübung von Handel und Gewerben".

Die Bundesbehörden haben in konstanter Praxis auf Grund dieser Bestimmung kantonale gesetzliche oder administrative Verfügungen über die Ausübung des Hausierhandels dem Grundsatze nach stets gutgeheissen (vgl. Salis, Bundesrecht Band II, Nr. 610 ff.).

Der Bundesrat hat insbesondere sich dahin ausgesprochen, daß er grundsätzlich die Ansetzung der Höhe der Hausierpatenttaxen der Kantone keiner Kritik unterziehe, sobald diese Ansetzung der kantonalen Behörde die Freiheit lasse, innerhalb bestimmter Maximalund Minimalgrenzen die Patenttaxe für die einzelnen Warengattungen in Würdigung der Umstände festzusetzen (Salis, Bundesfecht Band II, Nr. 615). Auf diesem Boden stehen nun auch das bernische Hausiergesetz vom 27. November 1877 (Art. 5) und die Vollziehungsverordnung dazu vom 13. November 1896 (Artikel 16), welche als Minimum der monatlichen Patentgebühr Fr. l, als Maximum Fr. 200 ansetzen. Das Maximum der Taxe -- monatlich Fr. 200, vierteljährlich Fr. 600 -- ist nun gegenüber Thorner zur Anwendung gebracht worden. Diese Ansätze beziehen sich somit nicht auf Thorner allein, sondern auf den Hausierhandel mit einer bestimmt umgrenzten Kategorie von Waren. Gemäß seiner Praxis (siehe oben) wird der Bundesrat diese Verfügung der Polizeidirektion nur dann einer Kritik unterziehen können, wenn die Polizeidirektion dabei die Würdigung der
vorliegenden Umstände außer acht gelassen hat. Das ist nun nicht der Fall.

In letzter Zeit haben sich die Hausierpatentbegehren, insbesondere von seilen außerkantonaler Hausierer, für Tuchstoffe auffallend gehäuft. Der Kanton Bern sollte letzthin mit solchen Hausier waren einer zürcherischen Firma überschwemmt werden, worüber zahl-

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reiche Klagen bei UQS einliefen. Offenbar gehören diese Waren nicht zu denjenigen, deren Vertrieb auf dem Hausierwege einem wirklichen Bedürfnis entgegenkommt. Der Tucbhandlungen gibt es im Kanton Bern, auch in abgelegeneren Gegenden genug, um den Wünschen des Publikums gerecht zu werden. Andererseits zeigt gerade die starke Vermehrung der Hausierpatentbegehren für derartige offenbar minderwertige Waren, daß der Hausierhandel mit denselben sehr lukrativ ist. Alles das sind Gründe genug, um die Verfügung unserer Polizeidirektiou zu rechtfertigen, welche dieselbe innerhalb der den kantonalen Behörden überhaupt und ihr insbesondere gestellten Schranken getroffen hat, -- und um dieselbe als den Grundsätzen der Bundesverfassung nicht widersprechend erscheinen zu lassen.

IV.

Auf die Mitteilung der Beschwerdebeantwortung hin replizierte Rekurrent noch in folgendem : Der Wert der von ihm geführten Waren beziffere sich auf zirka Fr. 350 per Monat, vierteljährlich auf Fr. 1400; hiervon habe er monatlich etwa für Fr. 280 bis Fr. 300 abgesetzt. Die Höhe des durchschnittlichen Gewinnes könne bei größter Sparsamkeit und Tätigkeit per Monat auf ungefähr Fr. 70 bis Fr. 75 beziffert werden; es gebe aber Tage, an welchen er gar keinen Absatz finde. Die von den Gemeinden den Hausierern abverlangten Taxen seien ungleich ; an den einen Orten verlange man nichts, an andern Orten 10 Cts. bis 50 Cts. per Tag. Rekurrent führe keine Schundwaren; er setze seine Ware selten in Städten ab, meistens in Dörfern und Flecken; sein Handel könne daher nur minimale Taxen ertragen. Die Hausierer, die eine vierteljährliche Taxe von Fr. 600 bezahlen könnten, mußten ihre Kunden beschwindeln.

Bei ihm komme noch speziell in Betracht, daß er nur während 4J/2 Tagen in der Woche arbeiten dürfe, da ihm der Samstag kraft seiner religiösen Überzeugung heilig sei. Mit seinem Verdienste als Hausierer müsse er eine Frau und drei Kinder ernähren, was er bisher auf redliche Weise getan habe.

V.

Der Regierungsrat des Kantons Bern dupliziert mit Schreiben vom 24./29. Dezember 1902.

Er bestreite die Richtigkeit der rein tatsächlichen Angaben der Replik bezüglich des Wertes und des Absatzes der Waren des Rekurrenten nicht, ebenso wenig, daß derselbe nur 5 Tage io der

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Woche arbeiten könne. Die Polizeidirektion sei bereit, Thorner ein Hausierpatent für das Hausieren mit Unterkleidern wie bisher gegen eine mäßige Patenttaxe zu gestatten, nicht aber das Hausieren mit Stoffresten. Bezüglich des Hausierhandels mit solchen halte der Regierungsrat seine Ausführungen in der Beschwerdebeantwortung aufrecht 5 die Angaben Thorners seien hierfür unerheblich.

VI.

Das Eidgenössische Justizdepartement teilte Thorner das Anerbieten des Regierungsrates mit der Anfrage mit, ob er sich mit einem beschränkten Patent begnügen wolle. Thorner antwortete am 2. Januar 1903, er könne dies nicht, da der Absatz von Unterkleidern im Frühjahr und Sommer zu gering sei; er halte daher an seinem Rechtsbegehren fest.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht:

Auf die Frage, ob der Beschwerdeführer den im Verwaltungsrecht des Kantons vorgeschriebenen Instanzenzug eingehalten und erschöpft habe, ist nicht einzutreten, nachdem die Kantonsregierung auf jede aus dieser Tatsache hergeleitete Einrede verzichtet, und erklärt hat, an der materiellen Entscheidung ihrer Polizeidirektion, wenigstens in bezug auf das Hausierpateot für Stoffresten festzuhalten.

Die Forderung einer Taxe für die Ausstellung eines kantonalen Hausierpatents steht unter dem Schütze des Vorbehaltes in lit. 2 von Art. 31 der Bundesverfassung, wonach die Kantone das Recht haben, Verfügungen über die Besteuerung des Gewerbebetriebes zu treffen mit der Einschränkung, daß die Verfügungen der Kantone den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit selbst nicht beeinträchtigen dürfen. Bezüglich der durch diese Schranke dem Besteuerungsrecht der Kantone gezogenen Grenzen hat der Bundesrat in einer frühern Rekursentscheidung ausgeführt, daß, wenn eine nur mäßige Patenttaxe, die den Gewerbebetrieb in keiner Weise verunmögliche, in Frage liege, von einem Widerspruch mit der Verfassung nicht die Rede sei, daß dagegen ein Besteuerungssystem, welches übermäßige Taxen enthalte, im Effekt einem Verbote gleich käme und zu beanstanden sei. Unter diesem Gesichtspunkt hat der Bundesrat bereits damals gegenüber dem bernischen Hausiergesetz, welches ,,durch seine Taxbestimmungen

241 bis auf Fr. 200 im Monat in der Tat zu einer faktischen Verunmöglichung des Hausiergewerbes führen könne", den ausdrücklichen Vorbehalt gemacht, gegebenenfalls, wenn die Anwendung des Gesetzes die richtigen Schranken nicht einhalten sollte, daherige Beschwerden zu prüfen und nach Ermessen zu entscheiden (Salis, Bundesrecht II, Nr. 618, S. 230; Bericht des Bundesrates über seine Geschäftsführung im Jahre 1878, Bundesblatt 1879, II, 449 ff.).

Eine solche Beschwerde liegt heute vor. Rekurrent behauptet, die von ihm für ein Patent auf Unterkleider und Stoffresten durch den Kanton Bern verlangte Hausiertaxe im Betrage von Fr. 600 per Vierteljahr verunmögliche ihm die Ausübung des Hausiergewerbes im Kanton Bern.

Die gegen diese Behauptung vorgebrachten materiellen Einwendungen der bernischen Regierung entkräften dieselbe nicht.

Der Regierungsrat beruft sich in erster Linie darauf, die Taxe von Fr. 600 im Vierteljahr werde allen Hausierern gegenüber erhoben. Es ist aber nicht ersichtlich, inwiefern dieser Umstand die Verfassungsmäßigkeit der Taxe im vorliegenden Fall zu begründen vermöchte; denn Rekurrent hat nicht eine Verletzung des Art. 4 der Bundesverfassung behauptet, sondern erblickt eine Verletzung des Art. 31 der Bundesverfassung darin, daß bei der Festsetzung der Höhe der Taxe dem Umfang seines Handels in keiner Weise Rechnung getragen worden sei.

Die Regierung erklärt sodann, die Waren des Rekurrenten gehören nicht zu denjenigen, deren Vertrieb auf dem Hausierwege einem wirklichen Bedürfnis entgegenkomme. Auch dies ist unerheblich, da die Bedürfnisfrage gegenüber Gesuchen um Erteilung von Gewerbebewilligungen, mit Ausnahme der in der Bundesverfassung ausdrucklich vorbehaltenen Wirtschaftsbewilligungen, nicht mehr gestellt werden darf (vgl. Salis, II, Nr. 589, S. 199, Bundesbl. 1881, III, 671).

Endlich behauptet die Regierung, ,,die starke Vermehrung der Hausierpatente für derartige offenbar minderwertige Waren1* zeige, daß der Hausierhandel mit denselben sehr lukrativ sei.

Diese Behauptung wird, soweit sie im vorliegenden Rekurs in Betracht kommt, durch die Angaben des Rekurrenten über die Höhe seines monatlichen und vierteljährlichen Reingewinnes und das Verhältnis desselben zu den von ihm geführten Waren widerlegt, und die Regierung hat diese Angaben als richtig anerkannt. Der Wert
der vom Rekurrenten geführten Waren beträgt im Vierteljahr Fr. 1400, sein Reingewinn in der gleichen Zeit Fr. 225; es ist klar, daß unter solchen Umständen die Forderung einer Taxe

242 von Fr. 600- im Vierteljahr für ein Hausierpatent die Lösung eines solchen und damit die Ausübung des Hausierberufes dem Rekurrenten schlechtweg verunmöglicht.

Demnach wird erkannt: Die Beschwerde ist begründet.

Der Regierungsrat der Kantons Bern wird eingeladen, dem Beschwerdeführer das von ihm verlangte Hausierpatent für Unterkleider und Stoffresten gegen eine den Verhältnissen entsprechende mäßige Patenttaxe zu erteilen.

B e r n , den 27. Januar 1903.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Deucher.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bundesratsbeschluss über die Beschwerde des Leopold Thorner, betreffend die Verweigerung eines Hausierpatentes für den Kanton Bern. (Vom 27. Januar 1903.)

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