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Bundesratsbeschluß über

die Beschwerde des Comité du Cercle de la Combe Monterban gegen eine Entscheidung des Staatsrates von Neuenburg vom 2. Mai 1902.

( Vom 6. Januar 1903.)

Der schweizerische Bundes rat hat

über die Beschwerde des Comité du C e r c l e l a Combeombe M o n t e r b a n gegen eine Entscheidung des Staatsrates von Neuenburg vom 2. Mai 1902; auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, ·

folgenden Beschluß gefaßt:

A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Unterm 3./4. Juni 1902 hat G. Renaud, Fürsprech, in Le Locle, beim Bundesrat namens des Comité du Cercle de la Combe Monterban eine Beschwerde eingelegt, welche sich gegen die durch Eutscheid des Staatsrates von Neuenburg vom 2. Mai 1902 erfolgte Verweigerung eines Patentes für den Kleinverkauf von Spirituosen richtet, und mit dem Begehren schließt:

71 Der Bundesrat möge den Beschwerdeführer gegen eine offenbare Ungerechtigkeit schützen und den Staatsrat von Neuenburg anweisen, das gemäß Art. 2 und 6 des Gesetzes vom 2. April 1890 verengte Patent auszustellen.

Zur Begründung der Beschwerde wird folgendes ausgeführt: Am 14. Februar 1902 setzte die Präfektur von Locle den Georges Maire-Robert, welcher den Wirtschaftsbetrieb des Cercle de la Combe Monterban inné hat, davon in Kenntnis, daß die Verweigerung des Patentes für den Verkauf von Spirituosen für das Jahr 1902 vom Staatsrat bestätigt worden sei, daß hingegen der Cercle bis auf weiteres in seinen Lokalitäten ßier und Wein verkaufen könne.

Dieser Entscheid rührte vom kantonalen Polizeidepartement und nicht vom Staatsrat her, weshalb die Gesellschaft an den Staatsrat rekurrierte, mit folgender Begründung: Seit der Gründung des Cercle de la Combe de Monterban sei diesem das anbegehrte Patent, wie übrigens allen Cercles, verliehen worden.

Der einen löblichen Zweck verfolgende Cercle von 200 Mitgliedern halte die Verweigerung für unzeitgemäß und ungerecht.

DIT Gesellschaft könne nichts den Gesetzen oder der öffentlichen Ordnung Zuwiderlaufendes zur Last gelegt werden.

Der Wirt. Maire sei ein ehrbarer, zum Betrieb einer Cerclewirtschtift in jeder Hinsicht geeigneter Mann.

Die Gesellschaft glaube, daß das in La Combe Monterban begangene Verbrechen in dieser Angelegenheit einen gewissen Einfluß ausgeübt habe. Der Cercle stehe, wie auch die Verband Jungen dargetan hätten, dieser Sache völlig fern, und es wäre ungerecht, ihm irgendwelche Verantwortlichkeit aufzubürden.

Die Entscheidung des Departements werde wohl eher auf dem ablehnenden Bericht des Gemeinderates von Locle beruhen als auf seiner eigenen Überzeugung, daß ein Patent nicht zu gewahren sei. Dieser Gemeinden^ gebe aber, ohne zu unterscheiden, seit einer gewissen Zeit immer ablehnenden Bericht bei Bewerbungen um Spirituosenpatente, was zweifellos willkürlieh sei. Es sei Zeit, «iali die Oberbehörde dieser falschen Situation ein Ziel setze.

Am 9. Mai 1902 wurde dem Vizepräsidenten des Cercle folgender Entscheid des Staatsrates zugestellt: '

Der Staatsrat,

nach Einsichtnahme des Rekurses des Cercle de la Combe de Monterban und des ablehnenden Berichts des Gemeinderates von Locle;

72 nach Anhörung des Polizeidirektors; in Erwägung, daß der Staatsrat durch Entscheid vom 18. Dezember 1896 auf ein Gesuch um die Erlaubnis zur Eröffnung eines Cercle in La Combe de Monterban nicht eingetreten ist, dieser Cercle aber dennoch gegründet wurde; in Erwägung, daß, wenn auch die Exekutive beim Mangel gesetzlicher Bestimmungen in dieser Materie nicht in der Lage ist, die Eröffnung eines Cercle, der nicht den Charakter einer heimlichen Wirtschaft hat, zu verbieten, sie doch ein Patent für dea Verkauf von Spirituosen verweigern kann; daß es nicht angezeigt erscheint, einem Cercle, dessen Nützlichkeit nicht erwiesen ist, ein solches Patent zu erteilen, erkennt: Der Rekurs des Cercle de la Combe Mouterban wird abgewiesen.

Gegen diese Entscheidung richtet der Cercle, der sich in seinem Recht verletzt glaubt' und den Entscheid für willkürlich und die Rechtsgleichheit verletzend hält, seine Beschwerde.

Seit der Gründung des Cercle und regelmäßig jedes Jahr bis 1901 habe der Staatsrat dem Cercle das Patent zum Detailverkauf von Spirituosen erteilt nach Maßgabe des Gesetzes vom 2. April 1890.

Heute verlange der Cercle nichts anderes als die Erneuerung dieses Patentes für das Jahr 1902.

Der Cercle habe Statuten, an welche die Mitglieder gebunden seien ; der Zweck der Gesellschaft sei in denselben dahin angegeben, ein Versammlungslokal für die Mitglieder und ihre Familien zu haben. In Organisation und Verwaltung gleiche er allen andern Cercles; sein jetziger Wirt sei ein vollkommener Ehrenmann und dem Cercle könne nichts Gesetz- oder Ordnungswidriges zur Last gelegt werden. Seine Lokalitäten entsprachen allen Anforderungen und gestatteten leicht eioe polizeiliche Überwachung.

Art. l des Gesetzes über die Patente zum Detailverknuf von Spirituosen und die Verkaufsstellen vom 2. April 1b90 bestimme: ,,Der Verkauf von nichtdenaturierten Spirituosen jeder Art von mehr als 15 Grad in Quantitäten von weniger als 40 Litern ist einem jährlichen vom Staatsrat ausgestellten Patent unterworfen. "· ,,Jedermann, der ein solches Patent erhalten will, muß sein Gesuch bei der Präfektur seines Bezirkes einreichen.11

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Art. 6 des genannten Gesetzes : ,,Die Cercles werden den übrigen Verkaufsstellen gleichgestellt und in eine der obgenannten Klassen eingeordnet."1 Nun weise der Cercle nach, daß er der Wohltat dieser Gesetzesbestimmungen bis und mit 1901. teilhaftig sei, weshalb er doch zweifellos sich wohlerworbener Rechte erfreue, deren er durch die kantonale Regierung nicht ohne Überschreitung der Grenzen ihrer Machtbefugnis, nicht ohne Willkür und rechtsungleiche Behandlung beraubt werden könne.

So komme es denn, daß das Patent an 6 Cercles in Locle und an 10 in Chaux-de-Fonds verliehen worden sei, während es ohne plausible Gründe dem Rekurrenten verweigert werde, dessen Sitz sich am hübschesten und besuchtesten Ort in der Umgegend von Locle und von öffentlichen Ausschankstellen mehrere Kilometer entfernt befinde.

Die Anwendung des Gesetzes sei nicht fakultativ, sie solle jedem Bürger und jeder Gesellschaft gegenüber ohne Rückhalt geschehen. Angesichts der Lage der Dinge könne die Regierung das verlangte Patent nicht deshalb verweigern, weil nach ihrem Dafürhalten die Nützlichkeit des Cercle nicht erwiesen ist. Die gleiche Nützlichkeitsfrage könne auch den andern Cercles gegenüber gestellt werden, da sie unter ganz gleichen Bedingungen existierten und nicht mehr Recht hätten als der Cercle de la Combe de Monterban. Das Gesetz spreche sich weder über die Nützlichkeit der Cercles aus, noch beschränke es die Zahl derselben, und da der Staatsrat anerkenne, daß er die Eröffnung eines Cercle nicht untersagen könne, so stehe es ihm wohl auch nicht zu, über die Nützlichkeit derselben zu diskutieren. Es sei zum mindesten eigentümlich, daß die Patentverweigerung in erster Linie auf ein solches Motiv gestützt werde.

Allein die in der Entscheidung angegebenen unstichhaltigen Grunde seien ja auch nicht die wahren Gründe. Diese müsse man anderswo suchen.

Am 2. Dezember 1901 sei nicht weit entfernt von dem Gebäude, in welchem sich die Lokale des Cercle befinden, ein schauderhaftes Verbrechen begangen worden. Unglücklicherweise habe einer der Urheber desselben früher den Betrieb der Cerclewirtschaft, inné gehabt. Sobald aber die Mitglieder bemerkt hätten, daß der Betreffende nicht mehr die zur ordentlichen Wirtschaftsführung geeignete Persönlichkeit sei, hätten sie ihn entlassen. Es werde hinsichtlich dieser Sache auf den bezüglichen Passus in der Beschwerde an den Staatsrat verwiesen. Der Cercle dürfe in keiner Weise für das Verbrechen verantwortlich gemacht werden.

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Allerdings habe der Staatsrat hieraus in seiner Entscheidung kein Argument gegen den Cercle gemacht, aber wenn es auch in Worten nicht ausgesprochen sei, so habe im Grunde doch einzig dieses Motiv den Staatsrat geleilet, und der Cercle sei der Ansicht, daß, wenn das Verbrechen nicht begangen worden, er ohne weiteres in den Besitz des Patentes gesetzt worden wäre.

II.

Der Staatsrat führte in seiner Antwort folgendes aus: Es müsse zusiegeben werden, daß die Frage des Detailverkaufes geistiger Getränke durch die Cercles vom Polizeidepartement nicht immer in der gleichen Weise behandelt worden sei Dies sei leicht begreiflich, denn leider komme es immer häufiger vor, daß eine Person, welcher die Eröffnung eines öffentliehen Etablissementes verweigert worden sei, sich an einige Freunde wende, die nun einen Cercle gründen, um ihr über die Folgen einer Patentverweigerung hinwegzuhelfen, Anderee Personen vereinigen sich zur Bildung eines Cercle, der sich beinahe in nichts von einem öffentlichen Etablissement unterscheide, ohne nur eine Ermächtigung zu verlangen, wenn sie eine Abweisung befürchten.

Nun stehe hier das Vereinsrecht und damit das Recht, einen Cercle zu gründen, nicht in Frage; aber der Staatsrat glaube, das Recht zu haben, einem Cercle das Paient zürn Kleinverkauf von Spirituosen zu verweigern oder zu entziehen.

Ein Dekret des Großen Rats vom 7. Mai 1894 ermächtige den Staatsrat, die Eröffnung neuer öffentlicher Schankstellen zu verweigern. Der Slaatsrat könne seine Zustimmung dazu, daß diese Gesetzesbestimmung mittelst der Gründung von Cercles urngangen werde, nicht geben, und er habe die Pflicht, das erwähnte Dekret durchzuführen, indem er solchen Cercles, für die ein Bedürfnis nicht bestehe, das Patent für den Kleinverkauf von Spirituosen verweigere.

Der Entscheid des Staatsrates sei mithin ein gesetzlicher, wie er auch dem Bericht des Gemeinderates von Locle entspreche.

Der Umstand daß dem Cercle de la Combe Monterban einige Zeit lang das Patent erteilt wurde, könne nicht die Wirkung hüben, daß der Rekurrent nun ein wohlerworbenes Recht auf das Patent besitze. Der Staatsrat habe mit der Verweigerung des Patentes bis zu dem Augenblick gewartet, wo er die Überzeugung hatte, dass es augezeigt sei, diese Maßregel zu ergreifen.

Auch sei ein Unterschied zu machen zwischen der Ermächtigung

75 zur Eröffnung eines öffentlichen Etablissementes, deren Dauer nicht beschränkt ist, und der Ermächtigung zum Kleinverkauf von Spirituosen, die nur für ein Jahr erteilt wird. (Art. l des Gesetzes.)

Schon bevor das Verbrechen in La Combe de Monterban begangen wurde, sei der Staatsrat der Ansicht gewesen, daß an jenem Ort ein Bedürfnis für einen Spirituosenausschank nicht bestehe.

Aber es sei wahr, daß das in jenem kleinen einsamen Tal begangene Verbrechen den Staatsrat in seiner Meinung bestärkt und gezeigt habe, daß die polizeiliche Überwachung dort nicht leicht, und somit ein Schnapsausschauk nicht am Platze sei. Der Staatsrat habe das Recht, das verlangte Patent da zu verweigern, wo die Ermächtigung zum Verkauf von Spirituosen nicht einem örtlichen Bedürfnis entspreche.

III.

Über die Kompetenzfrage hat ein Meinungsaustrtusoh zwischen dem Bundesgericht und dem Bundesrat stattgefunden. Der Bundesrat erließ am 18. September folgende Zuschrift an das Bundesgericht : Zur Begründung seiner Beschwerde beruft sich der Rekurrent nirgends auf eine Verletzung dea Art. 31, wohl aber auf eine Verletzung des Art. 4 der Bundesverfassung. Allein da sieh die Beschwerde auf den ersten Blick als Wirtschaftsrekurs darstellte, so haben wir 8ie dennoch einer vorläufigen Prüfung unterzogen.

Bei dieser Prüfung sind uns nun, besonders angesichts der Eigenthümlichkeiten der neuenburgischen Wirtschaftsgesetzgebung und der Natur der Cercleswirtschaften, Bedenken über unsere Zuständigkeit aufgestiegen, die Ihneu mitzuteilen wir uns hiermit unter Beigabe des Aktenmaterials beehren.

Das neuenburgische Reglement über die Herbergs- und Wirtschaftspoli/ei vom 25. Februar Ib87 kennt kein eigentliches.

Wirtschaftspatent, für welches jährlich eine bestimmte Taxe zu bezahlen wäre. Wer eine Wirtschaft betreiben will und die in der genannten Verordnung bezüglich der Person des Wirtes und der zum, Wirtschaftsbetrieb bestimmten Lokalitäten gestellten Bedingungen erfüllt, erhält vom Staatsrat eine Errnächtiguns:, für welche eine einmalige Gebühr zu bezah'en ist. Diese Ermächtigung ist eine persönliche, unübertragbare (Art. 7 a. a. ().)· In der Verordnung ist keine Bestimmung enthalten, welche dem Staatsrat bei Verleihung der Ermächtigung erlaubte, die Bedürfnisfrage zu stellen. Diese hat in die neuenburgische Gesetzgebung erst durch das Dekret betreffend die Verminderung der Zahl der Wirtschaften vom 7. Mai 1894

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Eingang gefunden. Dagegen wurde schon am 2. April 1890 im Kanton Neuenburg ein Gesetz über die Patente für den Kleinverkauf und die Ausschankslellen von Spirituosen erlassen.

Nach diesem Gesetz muß derjenige, welcher nichtdenaturierte Spirituosen irgendwelcher Art von mehr als 15 Grad Alkoholgehalt in Quantitäten von weniger als 40 Litern verkaufen will, ein bloß für ein Jahr gültiges Patent lösen. Dieses Patent wird in Art. 2 leg. cit. als nichtpersönliches, mit der Fabrik, dem Magazin oder dem Schanklokal verbundenes bezeichnet. In Art. 6 ieg. cit. werden die Cercles in Hiosicht arif djeses Patent den öffentlichen Schankstellen gleichgestellt. Dieses Patent wurde dem Beschwerdeführer verweigert, ihm aber gleichzeitig erlaubt, in seinen Lokalitäten bis auf weiteres Bier und Wein zu verkaufen (cf. Seite l der Beschwerde).

Dies der Stand der neuenburgischen Wirtschaftsgesetzgebung, soweit sie uns für den vorliegenden Rekurs in Betracht zu kommen scheint.

Was nun hierseits vor allem Zweifel an der Zuständigkeit des Bundesrats zur Entscheidung über · die Beschwerde hervorgerufen hat, ist die Tatsache, daß in den ins Recht gelegten Statuten des Rekurreaten nirgends als Zweck der Vereinigung der Wirtschaftsbetrieb geaannt wird. Nach diesen Statuten besteht der Zweck des Cercle einzig darin, ein Versammlungslokal für seiae Mitglieder und deren Familien zu haben. Auch aus dem vorgelegten Kassabuch und den Souchenheften des Rekurreoten läßt sich ein Anhaltspunkt dafür, daß er die Wirtschaft selbst betreibe und daher die Eßwaren und Getränke auf seinen Namen und seine Rechnung beziehe, nicht gewinnen. Hiernach ist also nicht abzusehen, wie diesem Cercle gegenüber, da er gar kein Gewerbe betreibt, die Handels- und Gewerbefreiheit verletzt werden sollte, wenn ihm das nachgesuchte Patent verweigert wird. Vielmehr hat man es anscheinend, wenn überhaupt in der Maßregel des Staatsrats eine Verfassungswidrigkeit liegt, mit einer Verletzung des Art. 4 der Bundesverfassung zu tun, und die Entscheidung über die Beschwerde fiele somit in die Kompetenz des Bundesgerichts.

Für die gegenteilige Ansicht scheinen uns in erster Linie in die Wagschale zu fallen die Tatsache, daß einmal das Gesetz vom 2. April 1890 in Art. 6 die Cercles den öffentlichen Schankstellen ausdrucklich gleichstellt, und sodann, daß seit 1896
bis und mit 1901 das Patent demgemäß immer auf den Namen des Corulo, nicht auf den Namen des den Cercle bedienenden Wirtes ausgestellt wurde ; auch könnte man sich darauf berufen, daß bei

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allen Verletzungen des Art. 4 B. V. welche mit dem Wirtschaftswesen im Zusammenhange stunden, die Kompetenz des Bundesrates ·anerkannt wurde, wobei man allerdings immer davon ausging, daß zugleich eine Verletzung des Art. 31 B. V. gegeben sei.

Eines geht aus den letzten beiden Tatsachen zweifellos hervor, nämlich, daß durch die unbegründete Verweigerung des Patents auf Seiten des Cercle ein rechtliches Interesse verletzt wird und daß der Rekurrent und nicht etwa der Cerclewirt zur Beschwerdeführung legitimiert ist.

Das Bundesgericht antwortete hierauf mit Zuschrift vom 6. November folgenden Inhaltes : Nachdem die zweite Allteilung des Bundesgerichtes in einer Sitzung vom vergangenen 8. Oktober über die ihm vom Bundesrate unterbreitete Frage beraten hat, zögerte sie nicht, die Kompetenz des Bundesrates für gegeben zu erachten, und zwar aus folgenden Gründen : Der Staatsrat hat dem Rekurrenten das verlangte Patent kraft Art. l des Dekrets betreffend die Zahl der Wirtschaften verweigert; diese Behörde war der Ansicht, daß dieses Patent einem Cercle nicht erteilt werden könne, der durch Art. 6 des Gesetzes vom 2. April 1890 den öffentlichen Schankslellen gleichgestellt wird und dessen Nützlichkeit ihr nicht genügend nachgewiesen schien. Nun bezieht sich der Rekurs unbestreitbar auf eine Verweigerung, welche in erster Linie die in Art. 31 der Bundesverfassung ausgesprochene Garantie der Handels- und Gewerbefreiheit, angeht. Der Umstand, daß der Beschwerdeführer diese Bestimmung nicht ausdrücklich angerufen hat, ist von dem Augenblick an bedeutungslos, wo die dem beschwerdeführenden Cercle wiederfahrene Verweigerung hinsichtlich der Materie, auf die sie sich bezieht, als die obengenannte Verfassungsgarantie betreffend angesehen werden muß. Der Bundesrat hat sich schon mehrfach für kompetent erklärt, seiner Prüfung die Frage zu unterwerfen ob ein Patent im Hinblick auf die Bedürfnisse einer Örtlichkeit oder auf das öffentliche Interesse erteilt werden solle oder nicht, und gerade die negative Lösung, welche dieser Frage durch den angefochtenen Entscheid gegeben wird, ist es, die in erster Linie den vorwürfigen Rekurs motiviert ; die Verletzung des Art. 4 der Bundesverfassung wird nur in dem Sinne vom Rekurrenten angeführt, als er eine rechtsungleiche Behandlung darin erblickt, daß die Gewährleistung
des oben genannten Art. 31 hinsichtlich mehrerer Cercles der gleichen Örtlichkeit wohl beachtet wurde, während sie zu seinem Schaden mißkannt wurde. Nun hat der Bundesrat in einem analogen Fall sein Rächt, zu prüfen, Bundesblatt. 55. Jahrg. Bd. I.

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ob zur Verweigerung eines solchen Patentes genügende Gründe vorhanden seien, bejaht (vgl. Entscheid des Bundesrates vor» 17. November 1891 im Rekurs des Cercle agricole d'Onnens, Kt,, Freiburg) ; er hat auch in seiner Botschaft vom 5. April 1892 zum Gesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege anerkannt, daß die Frage, welche Einschränkungen das öffentliche Interessenamentlich hinsichtlich des Wirtegewerbes verlange, nicht in die Kompetenzsphäre einer gerichtlichen Behörde verwiesen werden, dürfe, wohl aber in diejenige der Verwaltungsbehörden, des Gesetzgebers (vgl. Bundesbl. 1892, Bd. II, pag. 195 und 196). Außerdem hat das Bundesgericht selbst sich oft dahin ausgesprochen, daß, wenn ein gegen einen kantonalen Entscheid gerichteter Rekurs in einer gleichzeitig eine angebliche Verletzung des Art. 31 der Bundesverfassung umfassenden Frage des Art. 4 ibidem gedenkt,, dann die dem Bundesrat und der Bundesversammlung durch Art. 189, Ziff. 3, des Org.-Ges. bezüglich des Art, 31 der Bundesverfassung zugeschriebene Kompetenz sich auch auf die Beurteilung des Beschwerdepunktes aus Art. 4, d. h. einer rechtsungleiehen Behandlung, erstrecken müsse (vgl. u. a. Entscheid desBundesgerichtes vom'l. Mai 1902 in Sachen Ulrich Christen gegea Bern).

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht:

I.

In seiner rechtzeitig eingelegten Rekursschrift, beschwert sich der Rekurrent über die Verweigerung eines Patents zum Kleinverkauf geistiger Getränke von mehr als 15 Grad Alkoholgehalt (cf. Art. l des neuenburgischen Gesetzes über die Patente für den Kleinverkauf und die Ausschankstellen von Alkohol vom 2. April 1890). Durch Art. 6 des genannten Gesetzes werden die Cercles den physischen Personen, die ein Patent verlangen, gleichgestellt. In der Beschwerdebegründung beruft sich nun der Rekurrent nicht darauf, daß in der Patentverweigerung eine Verletzung des Art. 31 der Bundesverfassung liege ; ' er behauptet vielmehr nur, es sei ihm eine willkürliche, rechtsungleiche Behandlung zu (eil geworden. In feststehender Praxis hat aber der Bundesrat in Übereinstimmung mit dem Bundesgericht daran festgehalten, daß Beschwerden wegen Patentverweigerungen im Wirtschaftsbetrieb, in welchen nach der Auffassung des Beschwerdeführers eine Verletzung des Art. 4 der Bundesverfassung liegt, vom

79 Bundesrat behandelt werden. Denn man sagte sich, daß in der Regel Verletzungen des Art. 31 der Bundesverfassung nur eine Unterart der Verletzungen des Art. 4 der Bundesverfassung bilden und deshalb eine scharfe Trennung der Kompetenzen der beiden Behörden nicht möglich sei ; bei welcher Sachlage es zweckmäßig erscheine, die Grenzfälle derjenigen Behörde zuzuweisen, welche in der Regel zur Behandlung von Wirtschaftsrekursen zuständig sei, d. h. dem Bundesrat.

Nun liegt allerdings hier der Fall insofern etwas eigentümlich, als Zweifel darüber entstehen können, ob die subjektiven Verhältnisse derart seien, daß der Bundesrat auf die Beschwerde eintreten kann. In seinen Statuten gibt der Beschwerdeführer als Zweck des Cercle an, ,,ein Vereinigungslokal für seine Mitglieder und deren Familien zu haben". Es ist sodann von einem ^tenancier desservant le cercle'1, von einem Cerclewirt, die Rede, aber der Betrieb einer Wirtschaft wird nicht als Zweck des Cercle genannt.

Daraus könnte man schließen, daß der Cercle, da er gar nicht den Zweck hat, das Wirtschaftsgewerbe zu betreiben, zur Beschwerdeführung überhaupt nicht legitimiert sei, weil an der Gesellschaft als solcher eine Verletzung des Grundsatzes der Handels- und Gewerbefreiheit nicht möglich sèi. Dies um so mehr, als kaum einzusehen ist, inwiefern durch die Verweigerung des verlangten Patentes für den Kleinverkauf von Spirituosen der Cercle an der Erfüllung seines in den Statuten genannten Zweckes gehindert werden sollte. Allein der Bundesrat ist der Ansicht, daß diese Argumentation der eigentümlichen Institution der Cercles gegenüber nicht zutreffend wäre. Denn erstens wird in Art. 6 des neuenburgischen Gesetzes vom 2, April 1890 bestimmt, die Cercles seien den öffentlichen Schankstellen gleichzustellen, und zweitens wurde in den Jahren 1896 bis und mit 1901 das verlangte und erteilte Patent stets auf den Namen des Kekurrenten ausgestellt.

Der Bundesrat hat auch schon in seinem Entscheid vom 17. November 1891 betreffend den Cercle agricole von Onnens (Kt.

Freiburg) seine Kompetenz zur Prüfung der Verweigerung eines Wirtschaftspatentgesuches eines Cercle bejaht und damit auch die Legitimation des Cercle zur Beschwerdeführung anerkannt. Diese Gründe veranlassen den Bundesrat, die Aktivlegitimation des Beschwerdeführers als vorhanden anzunehmen und auf seine Beschwerde einzutreten.

H.

Nach dem mehrfach zitierten neuenburgischen Gesetz muß derjenige, der Spirituosen im Detail verkaufen will, ein Patent

80 lösen, welches für ein Jahr gültig ist. Von 1896 bis und mit 1901 wurde dem Beschwerdeführer das Patent immer erteilt. Als er sich für das Jahr 1902 um das Patent bewarb, wurde es ihm verweigert, aber hinzugefügt, daß er bis auf weiteres in seinen Lokalitäten Wein und Bier verkaufen könne.

Die Konsequenz, die der Beschwerdeführer aus der wiederholten Patenterteilung an ihn zieht, nämlich, er habe dadurch gewissermaßen ein wohlerworbenes Recht auf das Patent erlangt, muß als eine rechtsirrtümliche bezeichnet werden. Dies geht aus der Tatsache hervor, daß das Patent jedes Jahr neu gelöst werden muß ; denn damit behält sich die Regierung eben vor, jedes Jahr aufs neue zu prüfen, ob es angezeigt sei, dem betreffenden Bewerber das Patent zu erteilen oder nicht.

In seinem Entscheid vom 2. Mai 1902 auf den Rekurs des Beschwerdeführers hat der Staatsrat die Patentverweigerung durch das Polizeidepartement mit der Begründung aufrecht erhalten, daß es nicht angezeigt sei, einem Cercle, dessen Nützlichkeit nicht erwiesen sei, das Spirituoaenpatent zu erteilen. Dabei gibt der Staatsrat zu, daß er die Bildung von Cercles nicht hindern kann, und bestreitet die vom Beschwerdeführer aufgestellte Behauptung nicht, daß der Cercle de la Combe de Monterban sich in nichts von vielen andern Cercles unterscheide, denen das Patent stets bewilligt werde. Diese Entscheidung des Staatsrats, soweit sie, wie eben angegeben, begründet wird, ist von einer gewissen Willkürliehkeit nicht freizusprechen, und man wird sich ihr gegenüber billig fragen, warum der Staatsrat, der während sechs Jahren dem rekurrierenden Cercle das Patent bewilligt hat, ohne die Frage nach der Nützlichkeit des Cercle zu stellen, nun im siebenten Jahr plötzlich diese Nützlichkeitsfrage als ausschlaggebend betrachtet. Es findet sich auch in den neuenburgischen Wirtschafts·gesetzen kein Anhaltspunkt dafür, daß der Staatsrat berechtigt wäre, diese Frage bei Verleihung des Patents aufzuwerfen. Es geht nicht an, die Verleihung eines Spirituosenpatents davon abhängig zu machen, ob der Cercle, der im übrigen den öffentlichen Verkaufsstellen gleichgesetzt ist, nützlich sei oder nicht.

In der Antwort auf die Beschwerde stellt sich allerdings der Staatsrat auf einen wesentlich andern Standpunkt. Er beruft sich auf das Dekret des großen Rats vom 7. Mai 1894,
welches den Staatsrat ermächtigt, die Eröffnung neuer öffentlicher Wirtschaften oder die Weiterführung von schon existierenden durch andere Personen zu verweigern, und behauptet, der Staatsrat könne nicht dulden, daß die Bestimmungen dieses Dekrets durch Gründung von Cercles umgangen würden. Allein im vorwürfigen Fall han-

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delt es sich weder um die Eröffnung eines neuen öffentlichen Etablissements, noch um die Fortführung eines solchen durch neue Personen, und da in dem besagten Dekret die Cercles den Wirtschaften eben nicht gleichgestellt sind, wie in dem Gesetz vom 2. April 1890, so kann dasselbe auch keine Anwendung auf den Beschwerdeführer finden.

Des fernem verneint der Staatsrat in Übereinstimmung mit dem Bericht des Gemeinderats von Locle in seiner Antwort die Bedürfnisfrage bezüglich eines Spirituosenausschanks in la Combe Monterban und behauptet, die Polizeiaufsicht sei dort schwer durchführbar. An dieser Argumentation fällt auf, daß sie erst nach sechsjährigem Bestand des Cercle vorgebracht wird, während sie doch offenbar, zum mindesten was die polizeiliche Überwachung anbelangt, schon vor Jahren ebenso angebracht gewesen wäre, wie jetzt. Diese polizeiliche Überwachung muß doch auch ausgeübt werden, wenn bloß Bier und Wein ausgeschenkt werden, und es ist nicht einzusehen, inwiefern der Ausschank von schärfern Getränken sie erschweren soll.

Die Eigentümlichkeit der neuenburgischen Gesetzgebung bringt es nun allerdings mit sich, daß die Bedürfnisfrage bei Wirtschaften überhaupt nur bei der Eröffnung einer neuen Wirtschaft oder der Übernahme einer schon bestehenden durch eine andere Person aufgeworfen werden kann, während sie für den an ein Jahrespatent geknüpften Ausschank von Spirituosen bei jeder Patenterneuerung geprüft werden kann (décret du 7 mai 1894 concernant la réduction du nombre des auberges et loi du 2 avril 1890 sur les patentes pour la vente en détail et les débits de l'alcool). Um die Eröffnung einer neuen Wirtschaft oder die Übernahme einer bereits bestehenden durch neue Personen handelt es sich im gegenwärtigen Falle nicht. Sieht man nun auch ganz davon ab, daß es in praxi gewiß seine großen Schwierigkeiten haben wird, das Bedürfnis nach einem Schnapsausschank zu verneinen, wo doch der Ausschank von Bier und Wein gestattet wird, müßten doch für die Verweigerung des Spirituosenpatents, soll nicht eine rechtsungleiche Behandlung und damit eine Verletzung des Art. 4 der Bundesverfassung eintreten, Gründe angeführt werden, welche in der Verschiedenheit der Verhältnisse beim einen Patentbewerber gegenüber denjenigen beim andern beruhten und aus dieser Verschiedenheit der Verhältnisse heraus die
Verweigerung des Patents im einen Fall gerechtfertigt erscheinen ließen. Dies ist iin vorliegenden Fall nicht geschehen ; denn, außer mit dem, wie oben gezeigt, unhaltbaren Hinweis auf die Schwierigkeit der polizeilichen Überwachung, ist der Staatsrat des Kantons Neuen-

82 bürg der Behauptung in der Beschwerdeschrift, der Cercle de la Combe Monterban unterscheide sich in nichts von den übrigen in Locle bestehenden, mit dem Spirituosenpatent ausgestatteten Cercles, in keiner Weise entgegengetreten. Daraus aber ergibt sich, daß die vom Rekurrenten behauptete rechtsungleiche Behandlung wirklich als gegeben zu erachten ist, da sonst gana unerfindlich wäre, wie der Staatsrat gerade nur beim beschwerdeführenden Cercle die Bedürfnisfrage hätte verneinen können.

Da weder gegen den Cercle noch gegen die Person seines Wirtes Tatsachen vorgebracht werden, aus denen hervorginge, daß sie sich in irgend einer Weise gegen die bestehenden Gesetze oder polizeilichen Vorschriften vergangen oder eine strengere Überwachung nötig gemacht hätten, so erscheint der Entscheid des Staatsrats in der Tat als ein unbegründeter.

Demnach wird

erkannt:

Die Beschwerde des Cercle de la Combe de Monterban wird für begründet erklärt und der Entscheid des Staatsrats des Kantons Neuenburg vom 2. Mai 1902 aufgehoben.

Bern, den G.Januar 1903.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Deucher.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bundesratsbeschluß über die Beschwerde des Comité du Cercle de la Combe Monterban gegen eine Entscheidung des Staatsrates von Neuenburg vom 2. Mai 1902. (Vom 6. Januar 1903.)

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