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Bundesrathsbeschluss über

die Beschwerde des Apothekers Friedrich Golliez in Murten gegen den Entscheid des Regierungsrates des Kantons Bern wegen Rückzugs der Bewilligung zur Publikation des ,,Eisencognac Golliez".

(Vom 11. August 1903.)

Der schweizerische Bundesrat hat über die Beschwerde des Apothekers F r i e d r i c h G o l l i e z in Murten gegen den Entscheid des Regierungsrates des Kantons Bern wegen Rückzugs der Bewilligung zur Publikation des ,,Eisencognac Golliez", auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt: A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt: L

Am 22. Juni 1887 hat die Sanitätsdirektion des Kantons Bern, gestützt auf § 8 des bernischen Gesetzes über die Ausübung der medizinischen Berufsarten vom 14. März 1865, und nach Einholung eines Gutachtens des bernischen Sanitätskollegiums dem Apotheker Friedrich Golliez in Murten die Bewilli-

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gung erteilt, nebst andern Präparaten auch den ,,Eisencognac (iolliez" in bernischen Zeitungen und Kalendern als Arzneimittel zu publizieren unter der Bedingung, daß die Publikationen keine schwindelhaften Anpreisungen enthalten sollen.

§ 8 des bernischen Medizinalgesetzes bestimmt: ,,Ankündigungen von angeblichen Arzneimitteln, zum Gebrauche ohne ,,spezielle Verordnung sind ohne Bewilligung der Direktion des ,,Innern jedermann, auch den Medizinalpersonen, verboten.1* Am 24. September 1901 hat das bernische Sanitätskollegium, bei Anlaß der Begutachtung eines Gesuches der Firma Lüdi & Cie.

in Burgdorf um Bewilligung zur Publikation eines Chinaeisencognacs der Sanitätsdirektion den Wunsch ausgesprochen, es möchte dem Apotheker Golliez in Murten die seinerzeit erteilte Bewilligung zur Publikation des Eisencognacs wieder entzogen werden. Auf diesen Antrag 'hin erließ die Sanitätsdirektion am 5. Oktober 1901 folgende Verfügung an Golliez: ,,Seit der Ihnen im Jahre 1887 von unserer Direktion erteilten Bewilligung zur Publikation Ihres Eisencognac in Blättern und Kalendern unseres Kantons haben unsere Ärzte vielfach die Erfahrung gemacht, daß dieses Präparat von den Leuten nicht sowohl als Stärkungsmittel, sondern vielmehr als Schnaps gebraucht wird, und daß sie sich auf diese Weise zum Alkoholmißbrauch verleiten lassen. Wir teilen Ihnen aus diesem Grunde mit,'daß wir, auf den Antrag unseres Sanitätskollegiums, die* Ihnen im Jahre 1887 erteilte Bewilligung zur Publikation Ihres Präparates zurückziehen, und wir ersuchen Sie, die Ankündigung desselben von nun an weder in bernischen Blättern noch in bernischen Kalendern mehr erscheinen zu lassen.u Daraufhin richtete Golliez zwei Eingaben an die bernische Sanitätsdirektion, vom 20. November und 12.° Dezember 1901, in welchen er das Gesuch stellte, die Direktion möchte vom Sanitätskollegium nähere Auskunft über die Gründe einholen, welche dasselbe veranlaßt hätten, den Beschluß" und Antrag vom 24. September 1901 gegen Golliez zu fassen; es sei ferner das Ergebnis des einzuholenden Berichtes Golliez in geeigneter Weise zur Kenntnis zu bringen, und es sei endlich Golliez zu gestatten, sich an Hand der von der Direktion des Gesundheitswesens des Kantons Bern erteilten Bewilligungen zur Ankündigung von Arzneimitteln darüber zu erkundigen, ob der Rückzug der erteilten Bewilligung nur gegen ihn speziell getroffen worden sei, oder ob alle dem Eisencogoac ähnlichen Präparate ebenfalls nicht mehr angekündigt werden dürfen.

895 Golliez begründete dies Gesuch damit, daß seit der ihm erteilten Bewilligung vom Jahre 1887 keine Änderungen in bezug auf seinen Eisencognac weder in der Qualität noch in einer andern Richtung eingetreten seien, welche die Verfügung vom 5. Oktober 1901 begreiflich erscheinen ließen; daß, wie er auf der Sanitätsdirektion erfahren habe, derselben weder aus ärztlichen Kreisen noch von anderer Seite irgend welche Mitteilungen über Mißbrauch mit dem Eisencognac Golliez zugekommen seien 5 daß ihm der Präsident des Sanitätskollegiums auf seinen Wunsch um Auskunftserteilung erwidert habe, das Kollegium sei zu solcher Auskunft nach seinem Reglement weder verpflichtet noch befugt, und daß ihm endlich vor dem Erlaß der Verfügung vom 5. Oktober 1901 nicht einmal Gelegenheit gegeben worden sei, sich über die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen auszusprechen.

In der zweiten Eingabe an die Sanitätsdirektion fügt er noch bei, daß, wenn das Verbot gegen ihn aufrecht erhalten bliebe, dann auch alle ähnlichen Präparate, deren Zusammensetzung eine gleichartige sei wie diejenige seines Eisencognacs, ebenfalls nicht angekündigt werden dürften; bis jetzt sei aber in dieser Richtung nichts geschehen. Als ,,andere Präparate"1, die gleich zu behandeln wären, bezeichne er den Eisenbitter Dennler, der nach einer Analyse des Kantonschemikers des Kantons Waadt 29,7* °/o, und den Eisenbitter Mosimann, der laut der Analyse des gleichen Experten 28,92 °/o Alkohol besitze, während der Eisencognac Golliez nur 24,i °/o Alkohol enthält.

Die Direktion des Gesundheitswesens beantwortete diese beiden Eingaben mit Schreiben vom 30. Dezember 1901, in welchem sie sagt : ,,Nach nochmaliger Prüfung der Angelegenheit und nach einer an das Sauitätskollegium gerichteten Anfrage, ob nicht auch die für die verschiedenen Eisenbitter erteilten Bewilligungen zur Publikation zurückgezogen werden sollten, teilen wir Ihnen mit, daß das Sanitätskollegium diese Frage verneinend beantwortet hat.

Die Gründe zum Rückzug der (Golliez) erteilten Bewilligung sind in der Verfügung vom 5. Oktober 1901 angegeben, so daß vorläufig eine neue Darlegung derselben nicht geboten erscheint.

Hingegen steht es Herrn Golliez frei, gegen unsere Verfügung den Rekurs an den Regierungsrat zu erklären, worauf dann das Sanitätskollegium zu nochmaliger Begründung seines
Antrages veranlaßt werden wird.

.,,Dem Gesuche (um Einsicht der von der Direktion des Gesundheitswesens anderweitig erteilten Bewilligungen zur Ankündigung von Arzneimitteln) kann aus .Gründen der Konsequenz nicht

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entsprochen werden, da die diesbezüglichen Akten der Direktion der Sanität nicht für Drittpersonen bestimmt sind. Übrigens ist der Ansdruck ,,,,ähnliche Präparate*" auch zu unbestimmt, und au weit gefaßt, da jedes von der Direktion behandelte Präparat für sich allein nach seinen besondern Eigenschaften im Zusammenhange mit der ihm angepriesenen angeblichen Wirkung beurteilt werden muß."

II.

Gegen die beiden Verfügungen der bernischen Sanitätsdirektion vom 5. Oktober und 30. Dezember 1901 richtete Golliez am 28. Januar 1902 einen Rekurs an den Regierungsrat des Kantons Bern, und verlangte in einem Hauptbegehren die Aufhebung des Verbotes zur Publikation seines Eisencognacs; eventuell, es seien ihm die Tatsachen, die zum Verbote geführt haben, zur Kenntnis zu bringen, und ihm Gelegenheit zu Vernehmlassung zu geben; wenn dann der Nachweis nicht erbracht werden könne, daß die Gefahr der angeblich mißbräuchlichen Verwendung eine spezifische Nebeneigenschaft nur des Bisencognac Golliez sei, dessenungeachtet aber das Verbot nicht aufgehoben werden sollte, so sei die Ankündigung aller ähnlichen Präparate ebenfalls zu verbieten.

Der Rekurrent berief sich zur Begründung dieser Eingabe auf drei Gesichtspunkte: daß eine Rechtsverletzung gegen ihn begangen worden sei, indem ihm nicht gesagt worden, was er verfehlt habe, und indem man ihm keine Gelegenheit gegeben, sieh zu verteidigen ; daß der Grundsatz der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetze verletzt worden sei, indem zahlreiche ähnliehe Präparate im Kanton Bern nicht behelligt werden, sonderò ungehindert zur Publikation gelangen (China-Eisencognac von Lüdy & Cie.

in Burgdorf, Dennler Bisenbitter, Bitter Dennler, vin de Vial, Seewers Chinawein und Eisenbitter Mosimann); daß die Handels- und Gewerbefreiheit verletzt werde, da durch einen Entscheid des Bundesrates vom 4. Februar 1890 in Sachen Caspari (Bundesbl. 1890, I, 335, und 1891, II, 596) festgestellt worden sei, daß die Bestimmung in § 8 des bernischen Medizinalgesetzes die Freiheit von Handel und Gewerbe nicht beeinträchtigen dürfe.

Mit Beschluß vom 8. April 1902 hat der bernische Regierungsrat diesen Rekurs, nachdem er festgestellt hatte, daß sich

897 Golliez schon wiederholt schwindelbafter Anpreisung seines Eisencognacs schuldig gemacht, 'und daß die heroische Sanitätsdirektion ihm bereits am 25. Februar 1895 mit dem Entzug der Bewilligung gedroht habe, falls er den marktschreierischen Text seiner Inserate nicht abändere, als unbegründet abgewiesen unter folgenden Erwägungen: 1. Der § 8 des Gesetzes vom 14. März 1865 über die Ausübung der medizinischen Berufsarten untersagt die Publikation angeblicher Arzneimittel ohne spezielle Bewilligung der kantonalen Sanitätsbehörde. Zweck dieser Bestimmung ist, die Anpreisung solcher Präparate, deren Genuß ohne ärztliche Verordnung einen die Gesundheit schädigenden Einfluß haben kann, zu verhindern, sowie zugleich das Publikum vor Ausbeutung durch wertlose angebliche Heilmittel zu schützen und die Publikation auf solche zu beschränken, von deren Genuß ein Schaden an der Gesundheit oder eine Täuschung der Käufer nicht zu erwarten steht.

Indem Golliez im Jahre 1887 für seinen Bisencognac die Bewilligung zur Publikation nachsuchte, hat er die Berechtigung dieser Gesetzesbestimmung selbst anerkannt. Es ist aber einleuchtend, daß eine derartige Bewilligung nicht unabänderlich auf alle Zeiten erteilt wird, sondern je nach den mit dem betreffenden Präparate gemachten Erfahrungen von der kantonalen Sanitätsbehörde wieder zurückgezogen werden kann. Dieses ist durch Verfügung der Sanitätsdirektion vom 5. Oktober 1901 hinsichtlich des Eisencognac Golliez geschehen, und die Verfügung wurde in dem an Golliez gerichteten Schreiben mit der durch die bernischen Ärzte vielfach gemachten Erfahrung motiviert, daß infolge der öfl'entlichen Anpreisung die Leute das in Frage stehende Präparat nicht sowohl als Stärkungsmittel, sondern vielmehr als Schnaps gebrauchen und auf diese Weise sich zum Alkoholgenuß verleiten lassen. Die Behauptung des Rekurrenten, es sei die angefochtene Verfügung nicht motiviert worden, ist demnach unrichtig. Aber auch in dem Umstände, daß Golliez nicht Gelegenheit zur Verantwortung gegeben worden sei, liegt keine Rechtsverletzung; denn es handelte sich weder um persönliche Eigenschaften oder Handlungen des Golliez, noch um die Zusammensetzung und Beschaffenheit seines Eisencognacs an und für sieh und um eine daherige Verschiedenheit der Ansichten des Sanitätskollegiums und des Rekurrenten,
in welchem Falle eine Verantwortung seitens des letztern Sinn gehabt hätte, sondern lediglich um erfahrungsmäßige Folgen der schwunghaft betriebenen öffentlichen Anpreisung und des hierdurch veranlaßten häufigen Genusses des Eisencognacs ohne ärztliche Verordnung durch Personen, denen derselbe geradezu zum Schaden gereichte. Was bei dieser Sach-

898 läge es für einen Sinn gehabt hätte, Golliez Gelegenheit zur Verantwortung zu geben, ist nicht einzusehen, da letzterer ja die Käufer seines Präparats zu kennen und die Folgen eines mißbräuchlichen Genusses zu beobachten gai- nicht im stände ist.

Wohl aber war die Sanitätsbehörde berechtigt und selbst verpflichtet, die seinerzeit auf unrichtiger Voraussetzung beruhende Bewilligung wieder zurückzuziehen, nachdem sie sich von den schädlichen Folgen desselben überzeugt hatte.

2. Ebensowenig liegt im Rückzuge der Bewilligung zur , öffentlichen Anpreisung des Eisencognacs als Heilmittel eine Verletzung des Grundsatzes der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz.

Eine solche will Rekurrent damit beweisen, daß er behauptet, "es würden andere ähnliche, ja gefährlichere Getränke in bernischen Zeitungen und andern bernischen Preßpublikationen empfohlen, gegen welche weder Sanitätskollegium noch Sanitätsdirektion einschreiten". Hieraus wird sogar der Vorwurf abgeleitet, es werde der freiburgische Fabrikant anders behandelt als seine bernischen Kollegen. Wir weisen zunächst diese Verdächtigung des entschiedensten zurück, und es wäre uns leicht, nachzuweisen, daß unsere Sanitätsbehörde stets ohne Ansehen der Person und des Kantons gegen unbefugte Publikation von Heilmitteln eingeschritten ist, wenn solche bei ihr zur Anzeige gelangte. Sodann stellen wir fest, daß das vom Rekurrenten aufgestellte Verzeichnis von angeblich bewilligten oder geduldeten Publikationen ähnlicher Präparate ungenau ist. So ist z. B. für den erstzitierten Chinaeisen cognac von Lüdy & Cie. in Burgdorf die nachgesuchte Bewilligung am gleichen Tage verweigert worden, an welchem Golliez die Bewilligung wieder entzogen wurde. Diese beiden Präparate stehen eben hinsichtlich ihrer Beschaffenheit und ihrer Gefährlichkeit auf gleicher Linie. Andere hingegen können dein Golliez'schen Präparat mehr oder weniger ,,ähnlich" sein, ohne daß sie erfahrungsgemäß die gleiche Gefahr der Verleitung zum Alkoholgenuß darböten. Das gilt speziell von dem Eisenbitter Mosimann, den Chininpräparaten und andern ,,Bittern", welche gerade um ihres bittern Geschmackes willen, nicht wie der Eisencognac Golliez, an junge Mädchen und Kinder verabreicht zu werden pflegen.

Überhaupt liegt auf der Hand, daß jedes Präparat für sieh allein zu beurteilen ist und durch
den Hinweis auf ,,ähnliche" Präparate.

-- ein offenbar sehr dehnbarer Begriff -- für eine angeblich ungleiche Behandlung der Bürger nichts beweisen wird. Sollte übrigens unsere Sanitätsbehörde sich davon überzeugen, daß die Publikation irgend eines der von ihr bewilligten andern Präparate

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die gleichen, die, Volksgesundheit schädigenden Folgen habe, so würde sie nicht anstehen, gegen dieselbe in gleicher Weise vorzugehen, wie gegen die Publikation des Eisencognac Golliez.

3. Hinsichtlich der augeblichen Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit beruft sich Rekurrent mit Unrecht auf den Entscheid des Bundesrates in Sachen des Rekurses Caspari vom 4. Februar 1890 (Bundesbl. 1890, I, 335 ff.). Er behauptet, der Bundesrat habe in jenem Entscheid festgestellt, daß die Bestimmuug in § 8 des bernischen Medizinalgesetzes die Freiheit von Handel und Gewerbe nicht beeioträchtigen dürfe. Aber das gerade Gegenteil ist wahr; in Ziffer l und 4 der Erwägungen zum zitierten Entscheide wird die Berechtigung des angefochtenen § 8 des Medizinalgesetzes ausdrücklich anerkannt und insbesondere die bundesrätliche Anschauung dokumentiert, daß aus öffentlichen Interessen, zum Schutze des Publikums vor Gesundheitsschädigung oder finanzieller Ausbeutung durch Anpreisungen und Ankündigungen von Arzneimitteln eine staatliche Kontrolle der Zeitungsannoncen und eventuell ein behördliches Verbot der Veröffentlichung von solchen gerechtfertigt erscheine. Der § 8 des Medizinalgesetzes gehört demnach zu den in Art. 31, lit. e, der Bundesverfassung vorbehalteuen, die Handels- und Gewerbefreiheit beschränkenden Verfügungen über die Ausübung von Handel und Gewerbe. Der Rekurs Caspari ist seinerzeit vom Bundesrate lediglich deshalb begründet erklärt worden, weil nach seiner Ansicht in jenem Falle die Voraussetzungen zur angefochtenen Verfügung der bernischen Regierung nicht zutrafen, resp. die behauptete Ausbeutung und Übervorteilung des Publikums nicht vorhanden gewesen sei.

Anders verhält es sieh mit dem Eisencognae Golliez. Dieses Präparat ist zwar an und für sich nicht unbedingt gesundheitsschädlich, so wenig wie manche andere pharmazeutische Präparate, die gleichwohl nicht zu beliebigem Gebrauch durch jedermann ohne ärztliche Verordnung öffentlich angepriesen werden dürfen. Wohl aber hat sieh das Sanitätskollegium durch langjährige Erfahrung von Ärzten davon überzeugt, daß, wie schon eingangs bemerkt, die schwunghaft und mitunter marktschreierisch betriebene öffentliche Anpreisung jenes Präparates häufig eine gesundheitsschädliche Verwendung desselben bei jungen Mädchen und Kindern zur Folge hat. Der Rückzug
der Bewilligung geschah demnach ,,au8 öffentlichem Interesse zum Schutze des Publikums vor Gesundheitsschädigung a (vgl. Ziffer 4 der Erwägungen im Entscheid betreffend Caspari) und ist als vvohlberechtigte Einschränkung; der Handels- und Gewerbefreiheit zu betrachten.

900 Aus den angeführten Gründen ist der Regierungsrat weder im Falle, die Verfügung der Direktion des Gesundheitswesens vom 5. Oktober 1901 aufzuheben, noch auch das vom Rekurrenten eventuell verlangte Beweisverfahren in dieser Sache einzuleiten.

Dieser Beschluß ist Golliez am 17. April 1902 zugestellt worden.

III.

Mit Eingabe vom 13./14. Juni 1902 rekurriert Friedrieh Golliez gegen den Regierungsratsbeschluß vom 8. April 1902 an den Bundesrat und stellt das Rechtsbegebren, es sei sein Rekurs gegen die Zurücknahme der ihm erteilten Bewilligung zur Publikation seines Eisencognacs als begründet zu erklären.

Zur Begründung dieses Rechtsbegehrens bringt er folgendes vor: 1. Betreffend die angeblich schwindelhaften Anpreisungen des Eisencognac Golliez in bernischen Zeitungen und Flugblättern ist zu bemerken : a. Die I n s e r a t e in den Z e i t u n g e n : Bis zum Jahre 1895 hatte Golliez gar keine Differenzen mit den bernischen Behörden wegen seiner Zeitungsinserate. Es ist zwar mehr als komisch, wenn ein vor mehr als 6 Jahren zum Ausdruck gelangter Meinungsunterschied jetzt als Vorwand des Bewiliigungsentzuges verwendet werden soll; da der Regierungsrat aber den Vorwand benutzt hat, so muß immerhin auf jene Ereignisse eingetreten werden.

Der Rekurrent besitzt den im Entscheide vom 8. April 1902 erwähnten Brief der Direktion des Innern vom 25. Februar 1901 nicht. Dagegen stellt er fest, daß er sich von Anfang an einer Annonce bedient hat, die abgesehen von der mit der Vermehrung der Auszeichnungen und dem Alter des Präparates zusammenhängenden Änderungen sieh stets gleich geblieben ist. Nachdem ihm im Jahre 1887 die Publikationserlaubnis für seinen Eisencognac erteilt worden war, hat die heroische Direktion des Innern mit Brief vom 25. März 1895 den T e x t der folgenden Annonce genehmigt : ,,10 E h r e n d i p l o m e und 22 M e d a i l l e n erhielt in 25 Jahren der allein echte Eisencognac Golliez.

25jähriger Erfolg und zahlreiche Zeugnisse erlauben, denselben mit vollem Vertrauen speziell delikaten und schwächlichen Personen, Rekonvalescenten, sowie allen an Bleichsucht, ßlutarmut, Appetitmangel, allgemeiner Schwäche und Mattigkeit Leidenden

901 zu empfehlen. Ausgezeichnetes Stärkungsmittel von Weltruf."

Wenn also dieses Inserat schwindelhaft ist, so muß die bernische Direktion des Gesundheitswesens dafür verantwortlich gemacht werden ; die Annonce lag ihr vor der Veröffentlichung in deutscher und französischer Sprache vor.

&. Die F l u g b l ä t t e r .

Dem Anzeiger für die Stadt Bern vom 4. Februar 1901 hatte der Rekurrent eine Empfehlung seiner Spezialitäten und auch des Eisencognacs beigelegt. Sofort wurde ihm von der Direktion des Gesundheitswesens geschrieben, es könne ihm nicht gestattet werden, seinen Eisencognac fernerhin im Kanton Bern ,,in so bombastischen Ausdrücken anzukündigen,* wie dies in der genannten Beilage der Fall sei. Rekurrent hat daraufhin den Zeitungen umgehend Weisung erteilt, die Empfehlung nicht weiter beizulegen. Die Korrespondenz mit der Gesundheitsdirektion schloß vorläufig mit einem ganz sachlich gehaltenen Schreiben der letztern (vom 20. Februar 1901), in welcher sie dem Rekurrenten am Schlüsse den Rat erteilt, den Rest seiner Flugblätter, die er im Kanton Bern nicht verwenden könne, in andern deutschen Kantonen zum Vertriebe zu bringen.

Soweit sich das Flugblatt mit dem Eiseneognac G-olliez beschäftigt, lautet es in seiner Gebrauchsanweisung folgendermaßen : ,,Allzu jungen Kindern sollte man den Eisencognae nicht geben, Kinder vom 5. Lebensjahre an können beim Mittag- und Abendessen einen Kaffeelöffel voll nehmen, vom 12. Jahre an nimmt man bei jeder Mahlzeit einen Teelöffel voll, also des Tages über drei Teelöffel, und zwar am besten ganz rein, oder auch verdünnt mit einem Eßlöffel voll Wasser, nur immer bei Beginn des Essens.

,,Erwachsene Personen sollten davon einen Eßlöffel voll dreimal täglich bei jeder Mahlzeit nehmen. Eine richtige Diät, bestehend in kalten Waschungen des Oberkörpers, regelmäßigen Spaziergängen und pünktlichen Mahlzeiten, wird natürlich dazu beitragen, die wohltuenden Wirkungen der kräftigenden Kur bedeutend zu erhöhen."

Als ,,Fälle, bei welchen sich der echte Eisencognac Golliez als sehr wirksam gezeigt hat", werden namhaft gemacht: Blutartnut und Bleichsucht, Appetitlosigkeit, schwere Verdauung, beständiger Frost an Händen und Füßen, unregelmäßige Menstruation, sowie Haarausfall; in den einzelnen Fällen wird die Ursache des Übels und die Wirkung des Eisencognac Golliez näher beschrieben.

Dapn, fährt die Flugschrift fort, könne der Eisencognac mit Erfolg auch angewendet werden bei Migräne, Magenkrämpfen,

902 Herzklopfen und Melancholie; jungen Mädchen gebe er eine lebhafte Gesichtsfarbe, kräftige ihre Konstitution und schütze sie vor verschiedenen Unpäßlichkeiten, denen sie besonders in diesem Alter unterworfen seien, auch sei er jungen Leuten, die im Wachstum begriffen seien, anzuraten, sowie solchen, die übermäßig geistig angestrengt bleiben müssen, und dabei blaß, schwach und kränklich seien; im Mannesalter aber solle jedermann, der seine Kräfte der täglichen Arbeit oder den Vergnügen widme, die das Leben bietet, dieses Kraftmittel zur vollständigen Wiederherstellung einer geschwächten Gesundheit anwenden.

Dieses Flugblatt enthält also nichts anderes als eine nähere Ausführung der in den Annoncen genannten Anwendungsfälle des Bisencognacs ; neu ist nur seine Empfohlung gegen Haarausfall.

Allein da darf denn doch betont werden, daß jeder Haarkünstler seine diversen Schminken, Salben und Tinkturen empfehlen kann.

Was diesen gestattet ist, sollte auf dem nämlichen Gebiete einer patentierten Medizinalperson nicht verboten sein. Übrigens hat sich Rekurrent ja gefügt; er hat die Beilagen nicht weiter verbreitet, und es geht nicht an, aus diesem Verhalten einen Grund zum Entzug der Bewilligung abzuleiten.

Auch die Konkurrenten des Beschwerdeführers legen ab und zu ihre Binwicklungsreklamen den Zeitungen bei. In solchen Fällen pflegt aber die Gesundheitsdirektion nicht einzuschreiten.

Als Beispiele seien hier angeführt : a. Die Reklame für den Chinaeisencognac Lüdy & Cie. in Burgdorf, dem zwar die Reklame verboten worden ist, der aber trotzdem vor den Augen der Behörde und der hiervon unterrichteten Polizei nach Herzenslust inseriert. In seinem Flugblatt empfiehlt er sein Medikament bei Blutarmut, Bleichsucht, unreiner Blutbildung und allen Folgen dieser Krankheiten, wie Appetitlosigkeit, Verdauuugsbeschwerden, Ermüdung, allgemeiner Schwäche, Nervenabspannung etc. etc.

6. die Reklame für den Bisenbitter Dennlèr in Interlaken : Dieser Eisenbitter wird angepriesen gegen Bleichsucht und Blutarmut mit ihren Folgezuständen; zürn Zwecke der allgemeinen Kräftigung und Verbesserung der Blutbildung bei schwächlichen Kindern und ältlichen Personen (also doch bei Kindern !) ; als magenstärkendes, sowie als nervenstärkendes Mittel. Als Gebrauchsregel wird folgende Dosis vorgeschrieben : Kaffeelöffel- bis
fußgläschenweise, je nach dem verschiedenen Alter und der Konstitution der betreffenden Person, pur oder mit Wasser, Milch, Rotwein oder Siphon, 2 -- 3 Mal des Tages, vor oder nach den Mahlzeiten je nach Besserbefinden oder ärztlichem Rat. Es wird

903 dann noch auf ein Empfehlungsschreiben des- Dr. A. Körber hingewiesen, in welchem dieser Avzt erklärt, er habe in seiner F r a u e n - und K i n d e r p r a x i s gefunden, duß der Eisenbitter als angenehmer Liqueur viel lieber eingenommen werde als andere Formen von .Eisenmitteln, die schon als ,,Medikament" verabscheut werden. -- Und trotz dieser Empfehlung behauptet der Regierungsat des Kantons Bern, dieser Bitter werde nicht an Kinder verabreicht !

c. Die Publikation für den Eisenbitter Mosimann in Langnau: Dieser Eisenbitter wird als von schweizerischen Ärzten und Autoritäten der medizinischen Wissenschaft empfohlen und außerordeütlich heilkräftig erklärt, speziell für Blutarme, Bleichsüchtige, Magen- und überhaupt Verdauungsschwache, Nervenschwache und Rekonvaleszenten, sowie als ausgezeichnetes Diäteticum für Gesunde zu Vorbeugung von Krankheiten. Als Gebrauchsanweisungwird empfohlen : dreimal täglich einen Kaffeelöffel bis Eßlöffel voll, pur oder mit Wasser vermischt. Für Erwachsene sind im Jahr zweimal 2--3 Flaschen, für Kinder l--2 Flaschen zu verwenden (also auch hier sind wieder Kinder genannt).

Aus den angeführten Tatsachen geht also hervor, daß der erste Vorwurf des bernischen Regierungsrates in allen Teilen unbegründet ist. Der Rekurrent hat sein Heilmittel für ,,Delikate und schwächliehe Personen, Rekonvaleszenten, ferner gegen Bleichsucht, Blutartnut und Appetitmangel, allgemeine Schwäche und Mattigkeit" empfohlen, wie ihm dies von der Sanitätsdirektion gestattet worden war, und er ist zudem ia seinen Empfehlungen nicht weiter gegangen als die Firmen Lüdy & Cie., Dennler in Interlaken und Mosimann in Langnau.

2. Betreffend die angeblich schädlichen Wirkungen des Eisencognac Golliez, seinen Mißbrauch als Alkoholicurn, die suggestive Wirkung der Inserate, und die Behauptung, nur dieses Präparat, nicht aber die Eisenbitter Mosimann & Dennler, werden bei Kindern und jungen Mädchen verwendet.

Es ist festzustellen, daß bei der Direktion des Gesundheitswesens keine Beschuldigung wegen mißbräuchlicher Verwendung des Eisencognacs eingelangt ist; alle Beschuldigungen in dieser Beziehung beruhen einzig auf internen Erörterungen im Schöße des bernischen Sanilätskollegiums. Sie sind aber völlig unkontrollierbar; das Sanitätskollegium hüllt sich in das Amtsgeheimnis, seine Mitglieder in
das Berufsgeheimnis, und dem Rekurrenten wird ganz einfach zugemutet, als absolute Wahrheit zu schlucken,, was im Protokoll dieser unfaßbaren Behörde behauptet wird.

Haben die Ärzte, welche angeblich die schädliche Wirkung des.

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Eiseneognacs konstatiert haben, sich davon überzeugt, daß die beschädigten Personen wirklich dieses Präparat und kein anderes genossen haben? Es ist nicht zu viel verlangt, wenn Rekurrent in dieser Beziehung nähere Auskunft wünscht.

Der Rekurrent gibt seinem Präparat eine Gebrauchsanweisung bei, an welche man sich halten soll. Geschieht das, so ist jeder Mißbrauch und jede schädigende Wirkung ausgeschlossen. Kommt aber den Inseraten des Rekurrenten eine suggestive Wirkung zu, so gilt dies offenbar auch für die ,,Bitter"-Inserate, und da mögen die ,,feinen und heilkräftigen Alpenkräuter tt , von denen dieselben immer reden, eine große Rolle spielen. Auch dieser Vorwurf des Regierungsrates ist daher unbegründet.

3. Betreffend die Behauptung der Regierung, eine Bevorzugung anderer Präparate finde nicht statt, und die bernischen Behörden schreiten ohne Ansehen der Person ein.

Der Regierungsrat des Kantons Bern weist liier darauf hin, daß der Firma Lüdy & Cie. in Burgdorf die nachgesuchte Bewilligung zur Ankündigung des Chinaeisencognacs verweigert worden sei. Dies wird anerkannt. Aber ebenso wahr ist, daß die Firma sich an die Verweigerung nicht hält, daß sie beispielsweise alle Samstage in der Bei'ner Volkszeitung ein Inserat hat, in welchem der verbotene Eisencognae als vorzügliches Präparat gegen Blutermut etc. angepriesen wird. Die Direktion des Gesundheitswesens, ja der Regierungsrat des Kantons Bern haben hiervon Kenntnis, denn die Rekurseingabe vom 28. Januar 1902 hat darauf hingewiesen. Auch daran hält der Rekurrent fest, daß, wenn ihm seine Reklame als schwindelhaft vorgeworfen wird, während die Mosimann und Dennler ein solcher Vorwurf nicht trifft, dies eine ungleiche Behandlung der Bürger bedeutet, die um so schlimmer ist, als die Eisenbitter Denuler und Mosimann viel gefährlicher sind als der Eisencognae Golliex. Denn Professor Bourget in Lausanne hat als Bestandteile der letztgenannten drei Präparate gefunden, daß der A l k o h o l g e h a l t des Eisencognae Golliez 24,i %, des Eisenbitters Mosimann 28,oa °/o, des Eisenbitters Dennler 29,76 °/o, beträgt. Auch erklärt der Gelehrte, ,,er habe üwar den Eisencognae Golliez nicht erprobt und nie verschrieben, sei aber überzeugt, daß seine Elemente alle Qualitäten besitzen, welche die Pharmacopoea helvetica empfehle"1.

4. Betreffend den
angeblichen Schutz des Publikums vor Gesundheitsschädigung.

Der Behauptung des Regierungsrates, daß die öffentlichen Interessen, nämlich der Schutz des Publikums vor Gesundheits-

905 Schädigung, das Verbot rechtfertigen, stehen die Tatsachen · entgegen, daß in den Fachausstellungen die Wirkung des Eisencognac Golliez so häufig anerkannt worden ist, daß es bernische und andere Ärzte gibt, welche den Eiseacognac bestellen; daß neben den oben angeführten Fachleuten selbst der bernische Regierungsrat den Eisencognac als Heilmittel anerkannt, und nur in dessen Mißbrauch eine Gefahr erblickt; daß endlich jedes Heilmittel, wenn im Übermaß genossen, schädlich wirken kann. Was der Regierungsrat unter dem Schutz des Publikums vor Gesundheitsschädigung versteht, ist nicht die Schädlichkeit des Heilmittels, sondern die Möglichkeit einer mißbräuchlichen Verwendung des Heilmittels. Da ist aber ein Verbot nicht am Platze.

5. Betreffend die Verletzung des Grundsatzes der Handelsund Gewerbefreiheit.

Der Rekurs gründet sich auf die Behauptung einer solchen Verletzung. Rekurrent stellt fest, daß sein Eisencognac nicht wirkungslos und auch nicht gesundheitsschädlich ist, und daß, wer denselben vorschriftsmäßig gebraucht, sich nicht schädigt. Hierin liegt der springende Punkt. Die Eigenschaften, welche der Rekurrent seinem Präparat in den Annoncen beilegt, besitzt dasselbe wirklich; der Rekurrent hat sich keiner unwahren, haltlosen, und daher betrügerischen Anpreisung schuldig gemacht. Ein Produkt, dessen Erstellung, Vertrieb und Bekanntmachung sich stets gleich geblieben ist, darf nicht untersagt werden, weil möglicherweise mit ihm Mißbrauch getrieben werden kann.

IV.

Da der Rekurrent in seiner Eingabe an den Bundesrat erklärt hatte, daß die Tatsachen, auf welche er seine Beschwerde gründe, ihn auch zu einer Beschwerde au das schweizerische Bundesgericht veranlaßt hätten, so übermittelte der Bundesrat in Gemäßheit von Art. 194 des Organisationsgesetzes dem Bundesgericht ein Doppel der Beschwerde zur Einsichtnahme mit dem Ersuchen, es möchte sich das Bundesgericht hinsichtlich der Kompetenz und Priorität für die Entscheidung der drei vom Rekurrenten aufgeworfenen Beschwerdepunkte aussprechen.

Mit Zuschrift vom 3. Juli 1902 teilte das Bundesgericht dem Bundesrat mit, daß der Rekurs Golliez in tatsächlicher Beziehung gleich begründet sei wie der beim Bundesrat eingereichte; dagegen sei die rechtliche Begründung nicht die nämliche. In der Beschwerde an das Bundesgericht behaupte der Rekurrent erstens, der Beschluß des bernischen Regierungsrates vom 8. April 1902 sei in verfassungsBundesblatt. 55. Jahrg. Bd. III.

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906 widriger Weise zu stände gekommen, weil dem Rekurrenten nicht Gelegenheit geboten worden sei, sich über die vom bernischen Sanitätskollegium gegen ihn, resp. gegen seinen Eisencognac, erhobenen Beschuldigungen zu rechtfertigen ; es sei ihm somit das rechtliche Gehör verweigert worden. Zweitens sei der Grundsatz der Rechtsgleichheit verletzt worden, da die bernischen Behörden einzig gegen den Rekurrenten vorgegangen seien.

Nun stelle sich der Anspruch auf rechtliches Gehör nach der bundesgerichtlichen Praxis als selbständiges Individualrecht öffentlich-rechtlichen Charakters dar, das nach der Regel des Art. 175, Ziffer 3, des Organisationsgesetzes unter dem Schutz des Bundesgerichts steht, derart, daß letzteres über Beschwerden wegen Verletzung dieses Rechtes ohne Rücksicht auf die Materie zu entscheiden hat, welche der angefochtene kantonale Erlaß beschlägt.

Was dagegen die Beschwerde wegen Verletzung der Rechtsgleichheit betreffe, so sei hierüber der Buudesrat kompetent. Mit diesem Beschwerdepunkt werde geltend gemacht, daß Rekurrent in der Anwendung der Regeln über die Ausübung von Handel und Gewerben durch den bernischen Regierungsrat eine ausnahmsweise Behandlung erfahren habe. Da nun die Normen des kantonalen Rechtes hierüber und ihre Anwendung materiell der Kontrolle der politischen Bundesbehörden insofern unterstehen, als diese über Beschwerden darüber zu entscheiden haben, daß dadurch der Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit verletzt sei, so erscheine es zweckmäßig und iu der Natur der Sache begründet, daß Beschwerden über ungleiche Behandlung auf diesem Gebiete durch die nämlichen Behörden entschieden werden. Denn regelmäßig werde eine ungleiche Behandlung auch eine Verletzung des Grundsatzes der Handels- und Gewerbefreiheit in sich schließen, und auch da, wo dies nicht der Fall ist, seien dia Behörden, die hierüber zu befinden haben, am besten in der Lage, darüber zu entscheiden, ob das kantonale Handels- und Gewerberecht nicht gleichmäßig angewendet worden sei. Bundesrat und Bundesgericht haben sich denn auch schon mehrfach dahin ausgesprochen, daß das kantonale Handels- und Gewerberecht und seine Anwendung nicht nur hinsichtlich der Übereinstimmung mit dem bundesverfassungsmäßigen Satz der Freiheit des Handels und des Gewerbes, sondern auch hinsichtlich des Anspruchs auf
gleiche Behandlung der Bürger dem Schutze der politischen Behörden unterstehen.

(Vergi, z. B. A. S. Bd. XXV, 1. Teil, S. 451.)

Was die Frage der Reihenfolge der Behandlung der beiden Rekurse betreffe, so erscheine es richtig, daß das Gericht zuerst über die Beschwerde wegen Verweigerung des rechtlichen Gehörs

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entscheide, da sich dieselbe auf das Verfahren beziehe, und da, sofern dieselbe begründet erfunden werden sollte, eine Prüfung der materiellen Beschwerdepunkte nicht notwendig wäre.

Der Bundesrat erklärte sich mit Zuschrift vom 15. Juli 1902 mit der Auffassung des Bundesgerichtes über die Kompetenzverteilung und die Priorität des Gerichtes einverstanden.

Dementsprechend stellte er vorläufig die Instruktion des Rekurses ein.

Am 6. November 1902 übermittelte das Bundesgericht dem Bundesrat sein Urteil in Sachen des Rekurses Golliez vom ' 26. September 1902. Das Urteil erkennt, daß der Rekurs wegen Verweigerung des rechtliehen Gehörs abgewiesen sei, und daß auf den Rekurs wegen Verletzung der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz nicht eingetreten werden könne.

Daraufhin lud der Bundesrat den Regierungsrat des Kantons Bern zur Vernehmlassung auf die Beschwerde Golliez ein.

V.

In einer Vernehmlassung vom 11./15. Dezember 1902 beantragt der Regierungsrat des Kantons Bern, die Beschwerde des Fr. Golliez als unbegründet abzuweisen.

Der Regierungsrat beruft sich vorerst auf die Augführungen in seinem Entscheid vom 8. April 1902, insbesondere Ziffern 2 und 3, sowie auf sein Schreiben an das schweizerische Bundesgericht vom 19. Juli 1903, und erklärt die beiden Aktenstücke als integrierende Bestandteile seiner Antwort.

A. Der Entscheid vom 8. April 1902 ist oben wiedergegeben (Ziffer II).

In seinem Schreiben an das Bundesgericht vom 19. Juli 1902 führt der bernische Regierungsrat gegenüber dem Vorwurfe der Verweigerung rechtlichen Gehörs und der Verletzung der Rechtsgleichheit folgendes aus: 1. Die Beratungen des Sanitätskollegiums über die Zulässigkeit der öffentlichen Anpreisung eines angeblichen Heilmittels zum Gebrauch ohne ärztliche Verordnung sind keine richterliche Verhandlung; sie befassen sich lediglich mit der Beschaffenheit und Gesundheitgefährlichkeit des betreffenden Präparates. Der Fabrikant pflegt daher niemals in anderer Weise gehört zu werden, als daß er die Zusammensetzung seines Präparates und die Form seiner Publikation anzugeben hat. So ist es auch gegenüber dem Rekurrenten

908

im Jahre 1887 bei der Erteilung der Publikationsbewilligung gehalten worden und im Jahre 1901 beim Entzug dieser Bewilligung.

Aus den Verhandlungen des Sauitätskollegiums nun ist hinsichtlich der Tatsachen, auf welche dasselbe seinen Antrag auf Entzug der genannten Bewilligung gründete, folgendes mitzuteilen: a. Herr Dr. Dick beobachtete eine Patientin, welche infolge von Blutarmut, die im Anschlüsse an Gebärmutterblutungen aufgetreten war, Golliezschen Eisencognac auf die Empfehlungen in den Zeitungen hin getrunken hatte. Nachdem dann auf operativem Wege die Quelle der Blutungen und damit auch der Blutarmut beseitigt war, hörte die Patientin mit dem Genüsse des Eisencognacs nicht auf, sondern sie fügte zu demselben noch den Gebrauch anderer Alkoholica, und zwar in dem Maße, daß sie infolge Alkoholcirrhose der Leber zu gründe ging.

b. Herr Dr. Ost untersuchte im Gern ein delazarette Bern einen 35 Jahre alten Mann, welcher angab, in frühern Jahren wegen Blutarmut monatelang Eisencognac Golliez zu sich genommen zu haben. Im Anschlüsse an diesen langen Gebrauch von Golliezschem Eisencognac wurde vom Patienten auch anderer Cognac regelmäßig und in steigender Menge getrunken, so daß mit der Zeit eine alkoholische Form von Geistesstörung auftrat.

C. Herr Professor Girard bekam ebenfalls einen Fall zur Kenntnis, bei dem chronischer Alkoholmißbrauch eingeleitet worden ist durch den Genuß von Eisencognac Golliez.

Diese Beispiele, die sich leicht vermehren ließen, sollen genügen, um zu beweisen, daß die schwunghafte Reklame für den Eisencognac Golliez zum Gebrauch ohne ärztliche Verordnung eine Schädigung der Volksgesundheit bedeutet, welcher mögliehst entgegenzuwirken die kantonalen Behörden die Pflicht haben.

2. Den Vorwurf einer Verletzung der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz betreffend ist neben den Ausführungen im Rekursentscheid vom 8. April 1902 nur noch festzustellen, daß der Sanitätsdirektion unbekannt war, dalS der abgewiesene Lüdy seinen China-Bisencognac in der Berner Volkszeitung gleichwohl anpreise; die Behörde wird aber nicht ermangeln, wenn es sich wirklich so verhält, gegen die Fehlbaren einzuschreiten. Die bisherige Straflösigkeit der letztern kann aber Herrn Golliez nicht als Rechtfertigung dienen.

B. Zur ,,Ergänzung und genauem Erläuterung" fügt der Regierungsrat in seiner Vernehmlassung noch folgendes bei: Ì. Der Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit des Art. 31 der Bundesverfassung ist von der Regierung dem Rekurrenten

909 gegenüber nicht verletzt worden, denn Rekurrent wird nicht gehindert, seinen Eisencognac in den Apotheken zum Verkauf zu bringen. Zur öffentlichen Anpreisung des angeblichen Heilmittels hingegen bedarf er einer speziellen Bewilligung der kantonalen Sanitätsbehörde; die Bewilligung wird aber nur für solche Arzneimittel erteilt, die einerseits die behaupteten heilsamen Eigenschaften wirklich besitzen und anderseits dem Publikum ohne Gefahr für seine Gesundheit zu beliebigem Gebrauch ohne ärztliche Weisung empfohlen werden können. Wiederholt, schon im Jahre 1895 und neuerdings im Februar 1901, hat die Sanitätsdirektion bei Apotheker Golliez wegen schwindelhafter Anpreisung seines Präparates vorstellig werden müssen, und durch mehrfache ärztliche Erfahrungen hat sie die Überzeugung gewonnen, daß die suggestive Wirkung der massenhaften und pompösen Reklame namentlich Personen des weiblichen Geschlechtes zu einem durchaus schädlichen Gebrauch des Eisencognacs verleitete. Hätte Golliez sich einer angemessenen Reklame beflissen, so wäre ihm die Bewilligung kaum entzogen worden. Die vom Rekurrenten zu seinen Gunsten beigebrachten Gutachten von Chemikern beweisen gar nichts, denn einzig ärztliche Fachmänner vermögen über die physiologischen Wirkungen eines Präparates zu urteilen. Selbst der vom Rekurrenten angerufene Professor Bonrget aber bekennt, daß er den Eisencognac selbst nicht erprobt und niemals verschrieben habe.

2. Bezüglich der Behauptung der Verletzung der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz ist nur noch hinzuzufügen, daß dem Sanitätskollegium bis jetzt keine nachteiligen Folgen bekannt geworden sind, welche vom Gebrauch der ,,Bitter" von Mosimann und Dennler herrührten.

VI.

Der Rekurrent hat auf die Vernehmlassung des Regierungsrates des Kantons Bern am 21. Januar 1903 repliziert und noch folgendes angeführt : 1. Der Regierungsrat behauptet, es habe die Ärztewelt oft konstatiert, daß das Publikum verleitet worden sei, den alkoholischen Eisencognac Golliez jungen Mädchen und Kindern bei allen möglichen Schwächezuständen zu verabreichen. Und nun können drei Mitglieder des bernischen Sanitätskollegiums, die alle seit mehr als 25 Jahren als Ärzte in der Stadt Bern praktizieren und zu den gesuchtesten Ärzten gehören, jeder einen einzigen Fall nennen !

Das ist schon an und für sich ein so hoch erfreuliches statistisches Ergebnis, daß getrost gesagt werden darf, der bernische Regierungrat habe Behauptungen gebracht, die er selbst am besten widerlegt.

910

Und nun die einzelnen Fälle: a. Die Patientin des Dr. Dick, die an Alkofaolcirrhose der Leber zu gründe gegangen ist. Kann Dr. Dick beweisen, daß seine Patientin wirklich Bisencognac Golliez getrunken und daß dieser den Tod der Patientin herbeigeführt hat? War die Patientin ein Mädchen, ein Kind oder eine erwachsene Person, die sich sowieso Alkohol zu verschaffen gewußt hätte? Dr. Dick sagt selbst, daß die Patientin noch andern Cognac getrunken hat und daß dann die Krankheit sich gebildet habe. Aller Wahrscheinlichkeit nach war diese Patientin eine Person, die eben gerne Alkohol trank. Möglich ist es, daß sie dem Herrn Doktor, der als Feind des Alkohols bekannt ist, erklärt hat, ihre Neigung sei den Annoncen des Eisencognac Golliez zuzuschreiben; aber damit ist keineswegs bewiesen, daß dem so sei; an Entschuldigungsgründen und Ausflüchten mangelt es bekanntlich solchen Personen nie.

Das Beispiel macht ganz den Eindruck, als handle es sich um eine gewohnheitsmäßige Trinkerin, welcher der Eisencognac Golliez nicht stark genug war.

b. Der Fall des Dr. Ost: Das gleiche Bild. Ob der Patient wirklich durch den Eisencognac Golliez verleitet worden ist, ist keineswegs dargetan ; das aber erklärt der Arzt, sein P.atient habe andern Cognac regelmäßig und in steigendem Maße getrunken.

c. Der Fall des Professor Girard: Es kann Professor Girard seine Behauptungen nicht einmal auf direkte Angaben des Patienten stutzen.

2. Maßgebend für die Frage, ob eine direkte schädigende Wirkung des Eisencognac Golliez angenommen werden könne, und ob er sich dadurch von den Eisenbittern Mosiroann und Dennler nachteilig unterscheide, ist wohl in erster Linie die Feststellung, welches Quantum Alkohol die Personen zu sich nehmen, die sich an die Gebrauchsanweisung halten. Die genauen Berechnungen ergeben, daß Golliez als tägliche Maximaldosis die Hälfte des Quantums vorschreibt, welches Dennler und Mosimann anraten, und daß Golliez noch die Weisung erteilt, für Kinder unter 5 Jahren den Eisencognac auszuschließen.

Dazu kommt noch, daß das Präparat Golliez an Alkohol erheblich ärmer ist als die genannten Bitter. Die Berechnungen auf Grund des schweizerischen Medizinalkalenders ergeben hier, daß, wer Dennlers Eisenbitter trinkt, 2,e mal, und wer Eisenbitter Mosimann trinkt, 2,5 mal mehr Alkohol zu sich nimmt, als wer Eisencognac
Golliez trinkt. Weitere Vergleiche ergeben, daß in bezug auf das Tagesmaximum von 3 Eßlöffeln voll Eisencognac Golliez an Alkohol gleichwertig sind : l Deziliter und ein schwacher

911

Eßlöffel Waadtländer W e i n oder 2,4 Deziliter Bier. Man kann also sagen, daß der Durchschnittsbürger, ob Mann oder Frau, durchschnittlich in Wein oder Bier täglich weit mehr Alkohol trinkt als derjenige, der nach der Gebrauchsanweisung Golliez eine vorübergehende Kur mit Eisencognac Golliez macht.

Der Regierungsrn t sagt, Professor Bourget in Lausanne hjabe die Wirkung des Eisencognac Golliez nicht feststellen können, weil er das Präparat nie angewendet habe. Haben aber die bernischen Sanitätsräte, die dem Rekurrenten gegenüber zu Gerichte sitzen wollen, den Eisencognac Golliez, den Eisenbitter Dennler, den Eisenbitter Mosimanu verordnet und anwenden lassen? Die drei Sanitätsräte sind in casu einfach darauf angewiesen gewesen, auf Treu und Glauben das als wahr anzunehmen, was sie vom Hörensagen wissen.

Endlich ist festzustellen, daß Golliez in seinem Eisencognac die siebenfache Eisenmenge bietet wie Dennler und die nahezu sechsfache wie Mosimann, denn der Eisengehalt beträgt: 0,42 °/o im Eisencognac Golliez, 0,059 °/o im Eisenbitter Dennler, 0,o7i % im Eisenbitter Mosimann.

Diesen Tatsachen gegenüber aber behauptet die bernische Regierung, Eisenbitter Dennler und Mosimann werden nicht wie Eisencognac Golliez an junge Mädchen und Kinder verabreicht, und nur der Eisencognac Golliez verleite zum Alkoholismus, Eisenbitter Dennler und Mosimann dagegen nicht.

3. DBS Verhältnis des Alkohols zu den Medizinern.

Noch heute sind die Meinungen der Ärzte über die Wirkung des Alkohols geteilt; einige sind für absolute Abstinenz, andere für Maßhalten. Wenn aber die medizinischen Autoritäten ihre Meinungen ändern, so darf man dem Publikum -auch nicht zumuten, blindlings alles zu glauben, was die Medizin aufbringt.

Es mag nun zwar die Obrigkeit ihre Fürsorge walten lassen; für den Mißbrauch seines Präparates kann der Rekurrent so wenig verantwortlich gemacht werden als jeder andere Verkäufer alkoholhaltiger Flüssigkeiten.

4. Der Vorwurf der marktschreierischen Reklame: Es sind zwei Arten von Ankündigungen zu unterscheiden : a. die eigentliche Annonce; es ist das die von der bernisehen Gesundheitsdirektion ausdrücklich genehmigte Annonce (siehe Beschwerdeschrift) ; b. die Empfehlung auf der Einwicklung : Diese Einwicklungen werden ab und zu als Beilagen zu den Tagesblättern verwendet, '

912 und zwar sowohl von Dennlev wie von Mosimann. Gegen diese Art der Reklame schritt im Februar 1901 die Sanitätsdirektion gegenüber dem Rekurrenten ein. Daß Rekurrent aber im Februar 1901 das in der Beilage reproduzierte und bereits in der Beschwerdeschrift erwähnte Blatt dem bernischen Stadtanzeiger beilegen ließ, und diesen Vertrieb auf erste Aufforderung hin sofort einstellte, ist ein Umstand, der nicht zur Rechtfertigung einer im O k t o b e r 1901 vom Zaune gerissenen Maßnahme verwendet werden sollte; Auch hat der Regierungsrat ausdrücklich erklärt, nur die R e k l a m e , nicht das Flugblatt, habe Anlaß zum Entzug der Bewilligung gegeben, ,,sonst wäre dieser Schritt nicht erfolgt"'. Aber Dennler und Mosimann haben in der Reklame mindestens ebensoviel geleistet als Rekurrent; dies gilt auch für die übrigen Fabrikanten pharmazeutischer Erzeugnisse. Der Regierungsrat hat aber nicht bestritten, daß Golliez sich stets nur derjenigen Zeitungsreklame bedient hat, die ihm von der Sanitätsdirektion gestattet worden war.

VU.

In der Duplik vom 17. Februar 1903 hält der Regierungsrat des Kantons Bern an seinem Abweisungsbegehren fest. Seineu Ausführungen ist noch zu entnehmen: Die Replik hat die vom Sanitätskollegium beispielsweise angeführten Fälle nur bekrittelt, nicht aber widerlegt. Wenn es auch Personen geben mag, die mit dem Bisencognac Golliez keinen Mißbrauch treiben, so wird damit die Berechtigung des Verbots nicht umgestoßen.

Die Replik umgeht überhaupt die Streitfrage; diese dreht sich nicht um die Zusammensetzung und die medizinische Verwendbarkeit des Eisencognac Golliez als solchen, sondern um die Publikation zu schrankenlosem, freien Verkauf ohne ärztlichen Rat,und Anpreisung desselben für beliebige Übel; denn diesen Zweck und keinen andern hat die Reklame. Es steht nun aber der kantonalen Sanitätsdirektion erstens das Recht zu, die Publikation eines Heilmittels zu gestatten oder zu untersagen, und es steht ihr zweitens das Recht zu, die einmal unter gewissen Bedingungen erteilte Bewilligung später wieder zurückzuziehen, wenn die mittlerweile gemachten Erfahrungen beweisen, daß die Publikation einen schädigenden Einfluß auf die Volksgesundheit ausübt und zu erheblichen Mißbräuchen geführt hat. Dies letztere trifft nun beim Eisencognac Golliez zu. Es widerspricht nämlich der Wahrheit, wenn Rekurrent behauptet, er habe sich als eigentlicher Zeitungsankündiguog stets nur derjenigen bedient, welche ihm gestattet worden sei. Es ist bereits im Regierungsratsentscheid vom 8. April

913 1902 ausgeführt, daß Rekurrent sich seh winde! hafter Reklame schuldig gemacht hat. So erschien im ,,Berner Landboten tt vom 22. Dezember 1894 und in andern bernischen Blättern ein Inserat, das unter anderm behauptete, der Eisencognac Golliez werde ärztlich gegen Migräne, Schlaflosigkeit, sowie allen durch Ausschweifung Leidenden empfohlen. Diese Inserate veranlaßten das bereits im Regierungsratsbeschluß vom 8. April 1902 erwähnte Schreiben der Sanitätsdirektion vom 25. Februar 1895 an Golliez, in welchem die Anpreisung des Eisencognae Gollie/, gegen Migräne, Schlaflosigkeit, Folgen von Ausschweifungen, als unwahr bezeichnet und hinzugefügt wurde, durch solche Anpreisung von alkoholhaltigen Präparaten werde das Publikum nur zu oft zum Genuß von alkoholhaltigen Getränken überhaupt verleitet. Das Schreiben schloß mit der Warnung, daß, wenn die betreffenden Inserate nicht sofort eingestellt würden, dann die Erlaubnis zur Publikation des Eisencognae Golliez überhaupt zurückgezogen werden müsse.

Rekurrent sistierte hierauf die angefochtene Publikation und legte der Sanitätsdirektion ein einfacher gehaltenes Inserat vor, das von ihr am 25. März 1895 genehmigt wurde und eine Zeit lang ausschließlich zur Verwendung kam. Als er aber mit der Zeit wieder zu schwindelhafter Reklame griff und hierfür die Form der Flugblätter und Einwicklungspapiere wählte, kam er wieder mit der Sanitätsdirektion in Konflikt und wurde von derselben mit Schreiben vom 5. Februar 1901 aufgefordert, seine neuen Praktiken zu unterlassen. Wenn nun zwischen eigentlicher. Annonce und der Empfehlung auf der Einwicklung ein Unterschied gemacht werden soll, so ist dies reine Rabulisterei. Angesichts der aufgeführten Tatsachen wäre die Sanitätsdirektion schon längst berechtigt gewesen, die seinerzeit an Golliez erteilte Bewilligung zur Publikation seines Eisencognacs zurückzuziehen; den letzten Anstoß zu dieser Maßnahme aber gab das Befinden des Sanitätskollegiums vom 24. September 1901. In der hierauf erfolgten Verfügung der Sanitätsdirektion sind die Firmen Lüdy & Cie. einerseits und Golliez anderseits durchaus in gleicher Weise behandelt worden.

Wenn dann trotz des Verbots Lüdy & Cie. dennoch publizierten, so kann dieses den untern Polizeiorganen, nicht aber der Sanitätsdirektion zur Last fallen, welcher nicht zuzumuten ist, daß
sie allwöchentlich den Inseratenteil aller im Kanton erscheinenden Zeitungen studiere. Hinsichtlich der angeblich ungleichen Behandlung der ,,Bitter" Dennler und Mosimann ist zu bemerken, daß der Regierungsrat nicht Anstand nehmen wird, auch die Publikation dieser Fabrikate zu untersagen, sobald die gleichen Übeln Erfahrungen mit denselben konstatiert werden wie mit der Reklame für den Eisencognae Golliez. Zurzeit ist dies dem Regierungsrat hinsichtlich dieser ,,Bitter10 nicht zur Kenntnis gekommen.

914 Der Rückzug der Bewilligung der öffentlichen Ankündigung des Eisencognac Golliez verhindert in keiner Weise den Gebrauch dieses Präparates als Medikament auf ärztlichen Rat; er wird damit nur in gleiche Linie gestellt mit zahlreichen andern pharmazeutischen Präparaten, die in Apotheken gehalten werden, aber nicht zu beliebigem Gebrauch ohne ärztlichen Rat öffentlich angekündigt werden dürfen.

VIII.

Am 6. März 1903 ersuchte das eidgenössische Justizdepartement das eidgenössische Gesundheitsamt um ein Gutachten über die beiden Fragen: 1. War die Reklame des Rekurrenten, deren Publikation in der Verfügung der Sanitätsdirektion des Kantons Bern vom 5. Oktober 1901 verboten wurde, eine unwahre, schwindelhafte?

2. Läßt sich ein völliges Verbot der Reklame des Eisencognac des Rekurrenten aus sanitätspolizeilichen Gründen rechtfertigen? Oder rechtfertigt sich nur der Befehl der Unterlassung bestimmter Reklamearten oder der Ausmerzung bestimmter Teile der bisherigen Reklameanzeigen ?

Das' eidgenössische Gesundheitsamt beantwortete die Anfrage folgendermaßen : Ad Frage i. ,,Als Reklame, deren Publikation durch die Verfügung der bernischen Sanitätsdirektion vom 5. Oktober 1901 verboten wurde, fallt in erster Linie in Betracht die am 25. März 1895 von der bernischen Direktion des Innern genehmigte Annonce, welche lautet: ,,10 Ehrendiplome und 22 Medaillen erhielt in 27 Jahren der allein echte Eisencognac Golliez. 27jähriger Erfolg und zahlreiche Zeugnisse erlauben, denselben mit vollem Vertrauen speziell delikaten und schwächlichen Personen, Rekonvaleszenten, sowie a l l e n an Bleichsucht, Blutarmut, Appetitmangel, allgemeiner Schwäche und Mattigkeit Leidenden zu empfehlen. Ausgezeichnetes Stärkungsmittel von Weltruf." Diese von 1895 bis 1901 mit behördlicher Erlaubnis -in zahlreichen Zeitungen und auch in Kalendern des Kantons Bern erschienene Annonce hat das mit den meisten Reklamen dieser Art gemeinsame, daß sie zu sehr generalisiert. Der Eisencognac Golliez ist zweifellos ein Präparat, das bei Bleichsucht und Blutarmut gute Wirkungen haben kann. Dagegen ist es unrichtig, daß dieses Heilmittel allen an Bleichsucht, Blutarmut, Appetitmangel, allgemeiner Schwäche und Mattigkeit Leidenden zuträglich ist und empfohlen werden kann. Erstlich gibt es Fälle von Bleichsucht und Blutarmut, bei

915 denen Eisen überhaupt oder aber das eine oder das andere der zahlreichen Eisenpräparate, auch das im Eisencognac befindliche Ferrum oxydatum dialysatum liquidimi, nicht vertragen wird. Aber auch bei denjenigen Bleichsuchtigen und Blutarmen, welche das Eisen vertragen, hat dasselbe durchaus nicht immer eine heilende Wirkung. Im fernem kann von einer günstigen Wirkung des Eisencognacs und anderer Eisenpräparate bei Appetitmangel, allgemeiner Schwäche und Mattigkeit nur die Rede sein, wenn diese Zustände eine Folge der Bleichsucht sind, nicht aber in den zahlreichen andern Krankheitsfällen, wo dies nicht zutrifft.

Über den Wert des Alkohols bei der Behandlung der Bleichsucht und Blutarmut gehen die Meinungen auseinander. Nach Strümpell (Lehrbuch der speziellen Pathologie und Therapie, 13. Aufl., Bd. II, Seite 551) können alkoholische Getränke in mäßiger Menge gestattet werden, namentlich wenn die Patienten selbst danach Verlangen haben und der Appetit dadurch angeregt wird. Am zweckmäßigsten seien in solchen Fällen kleine Mengen eines guten, extraktreichen Bieres, während Wein von bleichsüchtigen Mädchen meist schlecht vertragen werde und Herzklopfen und dergleichen verursache.

Was die Empfehlung des Eisencognacs für delikate und schwächliche Personen und Rekonvaleszenten anbetrifft, so gilt das in bezug auf die Anwendbarkeit und Wirkung des Präparates oben Gesagte in erhöhtem Maße auch hier; eine gute Wirkung wird namentlich bei solchen rekonvaleszenten und schwächlichen Personen zu erwarten sein, die an Blutarmut leiden. Dagegen gibt es sicherlich viele delikate und schwächliche Personen und Rekonvaleszenten, für welche der Gebrauch des Bisencognacs nicht angezeigt ist.

Trotz dieser Kritik möchten wir die Annonce nicht als schwindelhaft, sondern bloß als t e i l w e i s e u n r i c h t i g .und zu w e i t g e h e n d bezeichnen.

Etwas anderes ist es mit dem ara 22. Dezember 1894 im ,,Berner Landboten* und andern bernischen Blättern erschienenen Inserat (siehe Duplik der bernischen Regierung vom 17. Februar 1903) und dem Flugblatt, welches am 4. Februar 1901 dem ,,Anzeiger für die Stadt Bern" beigelegt war. Beide enhalten u n w a h r e und s c h w i n d e l h a f t e A n g a b e n . Im erstem wird der Eisen· cognac als ,,anerkannt bestes Eisenpräparat1' unter anderò gegen Magenkrämpfe, Migräne,
Nervenschwäche, Schlaflosigkeit, übermäßiges Schwitzen, Folgen von Ausschweifungen etc. empfohlen, in letzterem außerdem noch gegen leichtere Herzübel, Herzklopfen, Haarausfall, bei stark seh witzenden oder geistig viel beschäftigten Per-

916 sonen, unregelmäßiger Menstruation etc. Das ist Schwindel. Es hat denu auch Herr Golliez in beiden Fällen der ersten Aufforderung seitens der bernischen Sanitätsdirektion (vom 25. Februar 1895 und vom 5. Februar 1901), welche diese Anpreisungen als schwindelhafte, beziehungsweise bombastische, bezeichnete und verbot, sofort Folge geleistet, d. h. er hat das Inserat nicht mehr erscheinen lassen und die Beilage des Flugblattes zum ,,Anzeiger der Stadt Berntc eingestellt. Dagegen wird der Inhalt des Flugblattes nach wie vor auf den Umhüllungspapieren des Eisencognacs abgedruckt und gelangt auf diese Weise zur Kenntnis eines Teiles des Publikums.

Daß dies auch eine Reklame ist, und zwar nach dem oben Gesagten eine wenigstens zum Teil u n w a h r e und s c h w i n d e l h a f t e , scheint uns unzweifelhaft, dagegen halten wir dafür, dieselbe falle nicht unter das von der Sanitätsdirektion am 5. Oktober 1901 erlassene Verbot, welches nur von Ankündigungen in bernischen Blättern und Kalendern spricht.

. Ad Frage 2. Als Grund des Rückzugs der erteilten Bewilligung zur Publikation des Eisencognacs wird angeführt, die Arzte hätten vielfach die Erfahrung gemacht, daß dieses Präparat von vielen Leuten nicht sowohl als Stärkungsmittel, sondern vielmehr als Schnaps gebraucht werde, und daß sie dadurch zum Alkoholmißbrauch verleitet werden. Durch die häufigen, zum Teil schwindelhaften Ankündigungen werde das Publikum verleitet, den Eisencognac bei allen möglichen Leiden als ,,bewährtes Heilmittel" zu gebrauchen und ihn namentlich auch jungen Mädchen und Kindern bei allen möglichen Schwächezuständen und Verdauungsstörungen zu verabreichen, was schließlich den Erfolg habe, daß viele das Präparat nicht mehr wegen seines Eisengehalts, sondern wegen seines Alkoholgehalts einnehmen und dadurch allmählich zu Alkoholikern werden. Als Beweis hierfür werden drei im bernischen Sanitätskollegium namhaft gemachte Fälle angeführt und hinzugefügt, diese Beispiele ließen sich leicht vermehren.

Wir sind nun nicht in der Lage zu entscheiden, erstlich ob die erwähnten drei Fälle von Alkoholismus wirklich als eine Folge des Gebrauchs von Eisencognac aufzufassen sind, zweitens ob tatsächlich von den Ärzten, wie behauptet wird, zahlreiche Fälle beobachtet worden sind, in denen der Gebrauch des Präparats zum Alkoholmißbrauch
geführt hat. Daß dies möglich sei, wollen wir nicht bestreiten, aber bewiesen ist es nicht. Wäre der Beweis erbracht, daß der Genuß des Eisencognacs h ä u f i g die Veranlassung zum Alkoholmißbrauch abgibt, so würde dies unseres Erachtens das Verbot der Reklame rechtfertigen ; bei dem gegen-

917 wärtigen Stand der Dinge aber scheint uns ein völliges Verbot nicht hinreichend gerechtfertigt zu sein.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht.

Die Sanitätsdirektion des Kantons Bern (auch Direktion des Gesundheitswesens genannt) hat am 22, Juni 1887 auf Grund des bernischen Medizinalgesetzes dem Rekurrenten Friedrich Golliez die Erlaubnis erteilt, in bernischen Blättern und Kalendern seinen Eisencogoac als Arzneimittel zu publizieren, unter der Bedingung, daß die Publikation keine schwindelhafte Anpreisungen enthalte.

Gestützt auf diese Erlaubnis hat Rekurrent im Jahre 1895 der bernisehen Sanitätsdirektion. den Text einer Annonce vorgelegt, die er in deutschen und französischen Blättern des Kantons zu publizieren vorhatte; die Behörde hat dieser Annonce am 25. März 1895 ihre Genehmigung erteilt.

Am 5. Oktober 1901 verfügte die Sanitätsdirektion den Rückzug der erteilten Publikationsbewilligung und verbot dem Rekurrenten, fernerhin seine Ankündigung in bernischen Blättern und Kalendern erscheinen zu lassen 5 die Behörde berief sich für ihr Vorgehen darauf, die ,,Ärzte hätten vielfach die Erfahrung gemacht, daß dieses Präparat von den Leuten nicht sowohl als Stärkungemittel, sondern als Schnaps gebraucht wird, und daß sie sich auf diese Weise zum Alkoholmißbrauch verleiten lassend Die Reierung des Kantons Bern hat die Verfügung mit Beschluß vom . April 1902 bestätigt, und darauf hingewiesen, daß die angegebene Begründung das. Verbot aus ,,öffentlichen Interessen", ,,zum Schutze des Publikums vor Gesundheitsscliädigung a rechtfertige.

Dieses Verbot hat Rekurrent durch seine staatsrechtliche Beschwerde vom 13./14. Juni 1902 beim Bundesrate angefochten mit der Behauptung, es liege in demselben eine Verletzung der in Art. 31 der Bundesverfassung gewährleisteten Handels- und Crewerbefreiheit und eine Verletzung der in Art. 4 der Bundesverfassung gewährleisteten Rechtsgleichheit der Bürger vor dem Gesetz.

f

I. Es ist zuerst Vorschriften für die zu prüfen.

Die Beschwerde auf die Post gegeben

von Amtes wegen die Erfüllung der formellen Einreichung eines staatsrechtlichen Rekurses au den Bundesrat ist erst am 14. Juni 1902 worden ; da der Regierungsratsbeschluß vom

9J8

8. April 1902 dem Rekurrenten erst am 17. April zugestellt worden ist, so ist die GOtägige R e k u r s f r ist eingehalten.

Die Frage der K o m p e t e n z des Bundesrates für die Beurteilung der Beschwerde, soweit sie sich auf Art. 31 der Bundesverfassung stützt, steht nach Art. 189 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 22. März 1893 außer Zweifel. Aus der gleichen Bestimmung ergibt sich auch die Kompetenz der politischen Behörde für die Entscheidung der Beschwerde, soweit sie sich formell wegen angeblicher Verletzung der Rechtsgleichheit auf Art. 4 der Bundesverfassung beruft.

Denn es wird materiell doch wieder eine Verletzung der Handelsund Gewerbefreiheit behauptet, wenn behauptet wird, die Rechtsungleichheit bestehe darin, daß der eine Bürger vor dem andern in der Ausübung seines Handels hintangesetzt werde. Der Bundesrat aber wie die Bundesversammlung haben in ihren Beschlüssen und das Bundesgericht hat in seinen Urteilen stets daran festgehalten, daß bei einer solchen formellen Verkettung der Rechtsverletzungen für die Kompetenzzuscheidung derjenige Rechtsgrundsatz ausschlaggebend sein solle, dessen materielle Verletzung behauptet wird (vgl. zuletzt Entscheid des Bundesrates in Sachen Gebrüder Wyrsch & Cie. in Buochs vom 26. Juli 1902, Bundesbl.

1902, IV, 77 ff.).

II. Bei der Untersuchung der materiellen Begründelheit der Beschwerde ist zunächst festzustellen, daß als im Streite liegend einzig die Frage anzusehen ist, ob die von der bernischen Sanitätsdirektion im Jahre 1895 für das Annoncieren des Eisenkognaks Golliez erteilte Bewilligung am 5. Oktober 1901 mit Recht zurückgezogen wurde oder nicht. Es ist diese Feststellung deshalb von Bedeutung, weil in den Rechtsschriften beider Parteien vielfach die Rede ist von den ,,Einwicklungspapieren", welche Golliez den Zeitungen, in denen seine Annonce erschien, einmal im Jahre beizulegen, pflegte. Er wurde im Jahre 1901 von der Sanitätsdirektion des Kantons Bern auf das Unzulässige dieses Verfahrens aufmerksam gemacht und Golliez hat sofort die nötigen Weisungen erteilt, daß eine solche Zeitungsbeilage im Kanton Bern nicht mehr erscheine.

Dieser Vorgang kann deshalb nach Verfluß von sechs Jahren ebensowenig zur Begründung eines allgemeinen Reklamevevbotes angeführt werden als die Verwarnung, die Golliez im Jahre
1895 wegen einer Publikation im Landboten erhielt, da von Seite der bernischen Regierung nicht behauptet wird, daß Golliez dieser Verwarnung nicht Folge geleistet habe.

919 III. Der Bundesrat hat. in dem Entscheid Caspari (Bundesbl.

1890,1, 335) den schon im Entscheide Haller & Gabler (Bundesbl.

1888, IV, 712) ausgesprochenen Grundsatz bestätigt, daß die Vorschrift des Art. 8 des bernischen Medizinalgesetzes über die öffentlichen Ankündigungen von Arzneimitteln zu denjenigen Verfügungen über Ausübung von Handel und Gewerben gehört, welche Art. 31 der Bundesverfassung den Kantonen vorbehält.

Im Entscheid Haller-Gubler wird gesagt: ,,Derartige Vorschriften erscheinen als Verfügungen über Ausübung von Handel und Gewerben, wie sie Art. 31 der Bundesverfassung ausdrücklich den -- eidgenössischen oder kantonalen -- Behörden vorbehält, und es wird durch dieselben so lange der Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit nicht beeinträchtigt, als nicht die Kontrolle in bloße Plackerei oder in ein ungerechtfertigtes Verbot des Gewerbebetriebes ausartet.* Im Entscheide Caspari wurde die Stellungnahme des Bundesrates näher dahin präzisiert, daß ein Verbot des Annoncierens ^aus öffentlichen Interessen zum Schutze des Publikums vor Gesundheitsschädigung oder finanzieller Ausbeutung durch unwahre, haltlose und daher betrügliche Anpreisungen und Ankündigungen von Arzneimitteln gerechtfertigt erscheine1*.

Dies gilt natürlich von der Bewilligung des Annoncierens genau so, wie von einem nach erteilter Bewilligung erfolgenden Rückzug. Auch eine Zurückziehung der Bewilligung steht unter den gleichen Voraussetzungen wie der Abschlag einer Publikationsbewilligung überhaupt.

IV. Untersucht man, ob mittelst der in Frage stehenden Ankündigung eine Ausbeutung des Publikums durch unwahre, haltlose und daher betrugliche Anpreisungen versucht wird, so ist dies zu verneinen. Die Ankündigung ist der bernischen Sanitätsdirektion vorgelegen, von dieser geprüft und gebilligt worden.

Auch aus den Ausführungen des eidgenössischen Gesundheitsamtes geht nur hervor, daß diese Annoce mit den Reklamen dieser Art das Gemeinsame hat, daß sie zu sehr generalisiert und deshalb teilweise unrichtig und zu weitgehend ist.

Es kann auch zu der Beurteilung dieser bestimmten, von der bernischen Behörde ursprünglich gebilligten Annonce nicht der Umstand herangezogen werden, daß der Rekurrent sich in a n d e r n Annoncen schwindelhafter Anpreisungen schuldig gemacht haben mag.

Der Verbotsgrund schwindelhafter Anpreisung trifft also für die angefochtene Annonce nicht zu.

920 V. In ihrem Beschlüsse vom 8. April 1902 begründet die bernische Regierung in fast wörtlicher Wiedergabe der Verfügung ihrer Sanitätsdirektion das Verbot damit, es sei durch bernisclie Ärzte vielfach die Erfahrung gemacht worden, daß ,,infolge der öffentlichen Anpreisung die Leute das in Frage stehende Präparat nicht sowohl als Stärkungsmittel, sondern als Schnaps gebrauchen, und auf diese Weise sich zum Alkoholgenuß verleiten lassen".

Es wird damit behauptet, daß der Schutz des Publikums vor Gesundheitsschädigungen den Grund des Verbotes bilde.

Es ist zu prüfen, ob hierfür ein Beweis erbracht worden ist.

Die bernische Regierung beruft sich auf die Angaben dreier Ärzte, welche die Beobachtung gemacht haben wollen, daß ihre Patienten durch den Genuß von Eisenkognak Golliez zum Alkoholmißbrauch verleitet worden sind.

VI. Schon der Rekurrent hat mit Recht darauf aufmerksam gemacht, daß aus den Angaben dieser Ärzte ein Kausalzusammenhang zwischen der Annonce und dem Mißbrauch des Eisenkognaks zum Schnapsgenuß schwerlich hergeleitet werden könne. Auch das Gutachten des eidgenössischen Gesundheitsamtes führt aus, daß auf Grund der von der bernischen Regierung gemachten Angaben nicht entschieden werden kann, erstlich ob die erwähnten Fälle von Alkoholismus wirklich als eine Folge des Gebrauchs von Eisenkognak aufzufassen sind, zweitens ob tatsächlich, wie behauptet, zahlreiche Fälle beobachtet worden sind, in denen der Gebrauch des Präparates zum Alkoholismus geführt hat.

Daraus ergibt sich, daß der Vorwurf der Gesundheitsschädigung aktenmäßig nicht nachgewiesen ist und daß deshalb, da auch dieser zweite Verbotsgrund hinfällig ist, und weitere Gründe von der bernischen Regierung nicht geltend gemacht worden sind, der Rückzug der Bewilligung als eine unzulässige Beeinträchtigung der Handels- und Gewerbefreiheit des Rekurrenten erscheint.

VII. Es braucht somit nicht weiter untersucht zu werden, ob der Rekurrent, wie er behauptet, auch in seinem Ansprüche auf verfassungsmäßige Rechtsgleichheit verletzt ist, weil das Inserieren für Präparate, bei denen die Gefahr der Gesundheitsschädigung wie bei dem von Golliez angefertigten Eisenkognak vorausgesetzt werden müßte, gestattet werde.

921

Demnach wird erkannt: Die Beschwerde wird begründet erklärt und der Beschluß der bernischen Regierung vom &. April 1902 betreffend das Publikationsverbot der im Jahre 1895 von der bernischen Sanitätsdirektion bewilligten Annonce des Eisenkognaks Golliez ist aufgehoben.

B e r n , den 11. August 1903.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Vizepräsident:

Comtesse.

Der I. -Vizekanzler : Schatz mann.

Bundesblatt. 55. Jahrg. Bd. III.

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Bundesrathsbeschluss über die Beschwerde des Apothekers Friedrich Golliez in Murten gegen den Entscheid des Regierungsrates des Kantons Bern wegen Rückzugs der Bewilligung zur Publikation des ,,Eisencognac Golliez". (Vom 11. August 1903.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1903

Année Anno Band

3

Volume Volume Heft

32

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

12.08.1903

Date Data Seite

893-921

Page Pagina Ref. No

10 020 659

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