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Bundesratsbeschluß über

die Beschwerde des Karl Müller, von Wernberg, Österreich, zur Zeit in Zürich, gegen den Entscheid des Regierungsrats des Kantons Zürich vom 26. März 1903 betreffend Verweigerung der Aufenthaltsbewilligung.

(Vom 21. Juli 1903.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s rat hat über die Beschwerde des Karl Müller, von Wernberg, Österreich, zur Zeit in Zürich, gegen den Entscheid des Regierungsrats des Kantons Zürich vom 26. März 1903 betreffend Verweigerung der Aufenthaltsbewilligung, auf den Antrag des Justiz- und Polizeidepartements, f o l g e n d e n B e s c h l u ßg e f a ß t : A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt: I.

Am 24./2S. April 1903 hat Karl Müller, von Wernberg, Kärnthen, Österreich, zur Zeit in Zürich, beim Bundesrat gegen den ihm die Ausstellung einer Aufenthaltsbewilligung verweigernden Entscheid der Regierung des Kantons Zürich vom 26. März 1903 eine Beschwerde eingereicht mit dem

809 Hauptbegehren : Der Bundesrat wolle die abweisenden Entscheide der Zürcher Behörden gegen den Rekurrenten aufheben und erkennen, daß derselbe zur Beibringung eines Passes nicht verpflichtet sei.

Hieran schloß sich ein Begehren um vorsorgliche Verfügung in dem Sinne, daß der Bundesrat die Behörden des Kantons Zürich anweisen möge, bis zur Erledigung der Beschwerde weitere Maßregeln gegen den Rekurrenten zu sistieren. Mit diesem Begehren hat sich die Regierung des Kantons Zürich stillschweigend einverstanden erklärt.

Zur Begründung seines Hauptbegehrens führte der Beschwerdeführer folgendes aus: Die Zürcher Behörden hätten ihm gegenüber die Abgabe eines Passes zur Bedingung der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gemacht, trotzdem er einen Heimatschein deponiert habe. Nun habe aber der Bundesrat, wie sich aus Salis, Bundesrecht, II, Nr. 491 ergebe, festgestellt, daß gemäß Art. l des schweizerisch-österreichischen Niederlassungsvertrages vom 7. Dezember 1875 die österreichischen Staatsangehörigen einen Anspruch darauf hätten, bezüglich Aufenthalt und Niederlassung in der Schweiz den Inländern gleichgestellt zu werden. Zur Erlangung der Aufenthaltsbewilligung müsse daher die Vorlage eines Heimatscheines genügen.

Die Regierung des Kantons Zürich stütze sich zur Begründung ihres Standpunktes auf die bei Saus a. a. 0. sich findende Ausführung des Bundesrats, wonach bei der Gestattung des Aufenthalts oder der Niederlassung an österreichische Staatsangehörige die kantonale Polizeibehörde zunächst ihr eigenes Interesse zu berücksichtigen hätte. Das Herausreißen einer solchen Ausführung aus dem Zusammenhang, wie es hier geschehe, sei unzulässig. Die Auslegung jener bundesrätlichen Begründung als Ganzes könne, namentlich unter Heranziehung von Salis a. a. 0.

Nr. 470, Ziffer 2, nur die sein, daß die Kantone berechtigt seien, von den österreichisch-ungarischen Staatsangehörigen weniger, nicht aber mehr als einen Heimatschein zu verlangen. Das an ihn gestellte Ansinnen der zürcherischen Polizeibehörden, neben seinem Heimatschein auch noch einen Paß vorzulegen, sei daher unzulässig.

II.

In ihrer Vernehmlassung vom 14./16. Mai 1903 beantragte die Regierung des Kantons Zürich Abweisung des Rekurses und

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verwies zur Begründung auf die Ausführungen ihres Entscheides und die beigegebene Vernehmlassung des Polizeivorstandes der Stadt Zürich, welchen folgendes zu entnehmen ist: Das österreichisch-ungarische Konsulat in Zürich habe im Jahr 1887 mitgeteilt, daß Heimatscheine österreichischer Staatsangehöriger nur die Bestimmung hätten, das Heimatsrecht der betreffenden Personen in der Gemeinde zur Zeit der Ausstellung zu bestätigen und daß diese Heimatscheine von den Vertretungen Österreich-Ungarns im Ausland nicht mit ihrem Visum versehen würden, weil sie nicht als Reiseurkunden verwendet werden dürften. In den angerufenen Entscheiden habe es der Bundesrat nur abgelehnt, den Kantonen vorzuschreiben, von den Österreichern neben den Heimatscheinen noch Pässe zu verlangen ; dagegen habe er es den Kantonen überlassen, in erster Linie darüber zu entscheiden, welche Ausweispapiere zur Geltendmachung der Rechte aus dem schweizerisch-österreichischen Niederlassungsvertrag nötig seien. Da nun der österreichische Heimatschein keineswegs die Bewilligung zum Aufenthalt des Inhabers im Ausland enthalte, so sei der Beschwerdeführer nach den Gesetzen seines eigenen Landes zum Aufenthalt in Zürich nicht legitimiert, weshalb für den Kanton auch keine Verpflichtung zur Anwendung des Niederlassungsvertrags auf ihn bestehe.

Nach § 24 des Gesetzes über die Auswanderung und die unbefugte Abwesenheit österreichischer Untertanen vom 24. März 1832 verlören österreichische' Untertanen ihre Staatsangehörigkeit, wenn sie sich ohne mit einem nach den polizeilichen Verfügungen eingerichteten, ordentlichen Paß oder einer Bewilligung versehen zu sein, oder wenn sie sich über die in ihrem Paß festgesetzte Zeit hinaus im Auslande aufhalten. Ein Österreicher gehe also nur dann seines Heimatreehts im Auslande nicht verlustig, wenn er einen gültigen Paß oder ein Arbeitsbuch habe, und der Heimatschein des Rekurrenten bewahre ihn vor dem Verlust der Staatszugehörigkeit nicht.

Trotzdem der schweizerisch-österreichische Niederlassungsvertrag über die Art der Legitimationspapiere keine Vorschriften enthalte, so stehe dem Aufnahmestaat doch zweifellos das Recht zu, sich zu vergewissern, ob der Aufnahmesuchende die von ihm in Anspruch genommene Staatszugehörigkeit auch wirklich besitze. Den Nachweis hierfür könne ein Österreicher aber nur
mittelst eines Passes oder eines Arbeitsbuches erbringen.

Der Heimatschein könne als gültige Ausweisschrift nur dann anerkannt werden, wenn die Vertretungen Österreichs im Aus-

811 land sich dazu verstehen würden, ihn unter Beifügung der Gültigkeitsdauer zu legalisieren. Da dies nicht der Fall sei, so müsse man eben von den Österreichern auch für das Ausland gültige Heimatpapiere verlangen. Der angerufene Bundesratsbeschluß habe diesem Umstand keine Rechnung getragen ; er stamme aber aus dem Jahr 1886 und es sei wohl möglich, daß damals die Heimatscheine der Österreicher von den Vertretern Österreichs im Auslande noch legalisiert worden seien.

Schließlich sei noch zu bemerken, daß der Rekurrent sich am 22. September 1902 in die zürcherischen Einwohnerlisten als Student habe eintragen lassen, aber bis zur Stunde noch nirgends immatrikuliert sei.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht:

I.

Der schweizerisch-österreichische Niederlassungsvertrag vom 7. Dezember 1875 enthält keine Bestimmungen über die Art der Legitimationspapiere, auf Grund welcher die Angehörigen des einen Vertragsstaates im Gebiet des anderen die Rechte aus Art. l des Vertrags in Anspruch nehmen können. In Art. l wird nur festgesetzt, daß die Angehörigen eines jeden der vertragschließenden Teile in bezug auf sämtliche den Aufenthalt und die Niederlassung betreffenden Bedingungen im Gebiet des anderen Vertragsstaates den Inländern gleichgehalten werden sollen. Aus der ,Natur des Staatsvertrags ergibt sich, daß nur derjenige sich auf diese Gleichstellung berufen kann, dessen Staatszugehörigkeit zweifellos festgestellt ist. Der Österreicher in der Schweiz wird dies also nur dann tun können, wenn er eine Ausweisschrift beizubringen vermag, durch welche seine Eigenschaft als österreichischer Staatsbürger ebenso unanfechtbar dargetan wird, wie die Eigenschaft desjenigen als Schweizerbilrger, welcher auf Grrund eines Heimatscheins oder einer gleichbedeutenden, d. h. die Zugehörigkeit zu einer schweizerischen Gemeinde und einem Kanton der schweizerischen Eidgenossenschaft belegenden, Ausweisschrift sich um Niederlassung oder Aufenthalt in Österreich oder in der Schweiz bewirbt. Die kantonale Behörde, bei welcher ein Fremder mit der Angabe, er sei Österreicher, um die Aufenthaltsbewilligung nachsucht, ist also berechtigt, von ihm, wie von .einem Schweizer, den vollgültigen

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Nachweis für seine Staatszugehörigkeit zu verlangen. Ist er zur Erbringung dieses Nachweises nicht im stände, so kann ihm die Aufenthaltsbewilligung verweigert werden, ohne daß dadurch die Bestimmungen des Niederlassungsvertrags verletzt würden. Mehr als diesen Nachweis darf die kantonale Behörde nicht verlangen ; anderseits aber wird die Aufenthaltsbewilligung selbst bei Vorlage eines österreichischen Heimatscheins dann verweigert werden können, wenn der Heimatschein nicht als völlig einwandfreier Nachweis für die Staatszugehörigkeit des Aufenthaltsbewerbers gelten kann.

II.

Die Entscheidung im vorliegenden Fall hängt also ab von der Beantwortung der Frage, ob der österreichische Heimatschein die Staatszugehörigkeit des Rekurrenten in genügender Weise dartue oder nicht.

Hierbei ist natürlich von wesentlicher Bedeutung die Auffassung, welche die österreichischen Behörden auf Grund des österreichischen Rechts von der Bedeutung des Heimatscheins einer österreichischen Gemeinde haben. Das schweizerische Recht kann darüber ja keinerlei Aufschluß geben und wenn in Art. 45 der Bundesverfassung exemplativ der Heimatschein genannt ist, so genügt doch die bloße Übereinstimmung in der Bezeichnung der Urkunde nicht, um den österreichischen Heimatschein ohne weiteres dem schweizerischen Heimatschein gleichzustellen, soweit es sich um den Nachweis der Staatszugehörigkeit handelt. Den von den zuständigen Behörden Österreich-Ungarns abgegebenen Erklärungen ist vielmehr zu entnehmen, daß dem österreichischen Heimatschein auch nach Ansicht der österreichischen Behörden nicht dieselbe Bedeutung beizumessen is°t, wie dem schweizerischen Heimatschein. Nach jenen Äußerungen, wie übrigens auch nach dem Wortlaut der vom Rekurrenten vorgelegten Heimaturkunde, beschränkt sich die Tragweite derselben auf den Beweis der Tatsache, daß zur Zeit ihrer Ausstellung die in ihr genannte Person in der ausfertigenden österreichischen Gemeinde das Gemeindebürgerrecht besessen hat. Zum Nachweis der Staatszugehörigkeit im Ausland diene dem Österreicher ein Paß oder ein Arbeitsbuch. Die Behörden des Staates, in welchem ein Österreicher um die Aufenthaltsbewilligung sich bewerbe, seien daher jederzeit und namentlich in zweifelhaften Fällen berechtigt, den österreichischen Heimatschein als zur Legitimation nicht genügend

813 » zu erklären und die Beibringung ordentlicher, die Staatszugehörigkeit bescheinigender Ausvveisschriften, d. h. eines Passes oder Arbeitsbuches zu verlangen. Wenn auch aus der Eigenschaft eines Aufenthaltsbewerbers als Deserteur nicht einfach geschlossen werden dürfe, daß er des österreichischen Staatsbürgerrechts verlustig gegangen sei, so sei doch die Möglichkeit, daß er sein Staatsbürgerrecht verloren habe trotz des Heimatscheins nicht ausgeschlossen ; und selbst wenn dieser Verlust im Augenblick der Bewerbung um die Aufenthaltsbewilligung noch nicht eingetreten sei, so könne doch dieser Verlust eintreten, und zwar ohne daß die Behörden des Aufnahmestaates hiervon Kenntnis erhielten.

m.

Aus alledem geht hervor, daß die österreichischen Behörden aus dem schweizerisch-österreichischen Niederlassungs v ertrag keine weitergehende Verpflichtung der Schweiz ableiten, als die zur Aufnahme solcher österreichischer Untertanen, welche mit einem ihre Staatszugehörigkeit unzweifelhaft feststellenden Legitimationspapier, Paß oder Arbeitsbuch, versehen sind. Es besteht vom Standpunkt des Bundesrechts aus kein Grund dafür, sich dieser Auffassung von der Vertragsverpflichtung des Bundes nicht anzuschließen ; denn es liegt im Interesse der Schweiz, daß nur solche Ausländer sich auf die Rechte aus dem Niederlassungsvertrag berufen, welche hierzu als Untertanen des anderen Vertragsstaates berechtigt und legitimiert sind. Immerhin ist die Übereinstimmung mit der Auffassung der österreichischen Behörden nur so zu verstehen, daß die kantonalen Behörden einerseits berechtigt sind, von den um Aufnahme nachsuchenden Fremden angeblich österreichischer Staatszugehörigkeit die Vorlage eines Passes oder Arbeitsbuches zu verlangen, während es ihnen andererseits unbenommen bleibt, den Aufenthalt auch auf Grund eines bloßen Heimatscheines zu gewähren. Es entspricht dies dem im Jahr 1886 vom Bundesrat aufgestellten Satz, daß die kantonalen Polizeibehörden bei Gestattung des Aufenthalts österreichischer Staatsangehöriger im Kantonsgebiet zunächst ihr eigenes Interesse zu berücksichtigen haben (Salis, Bundesrecht, 2. Auflage, Bd. H, Nr. 700). Sowenig wie damals kann der Bundesrat heute den Kantonen zumuten, sie sollen neben dem Heimatschein noch einen Paß verlangen ; allein ebensowenig darf hieraus gefolgert werden, der Bundesrat spreche den Kantonen das Recht ab, ein derartiges Verlangen zu stellen. Daß dies nicht

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der Fall ist, geht deutlich hervor aus einem Beschluß des Bundesrats aus dem Jahr 1892 (Salis, a. a. 0., Nr. 700 a), wodurch eine Kantonsregierung zwar eingeladen wurde, Österreichern gegenüber von dem Verlangen der Vorlage eines Leumundszeugnisses abzustehen, während keine Einwendung dagegen erhoben wurde, daß die betreffende Kantonsregierung die Vorlage eines Heimatscheines oder Passes verlangte.

Demnach wird erkannt: Die Beschwerde ist als unbegründet abgewiesen.

B e r n , den 21. Juli 1903.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Deucher.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bundesratsbeschluß über die Beschwerde des Karl Müller, von Wernberg, Österreich, zur Zeit in Zürich, gegen den Entscheid des Regierungsrats des Kantons Zürich vom 26. März 1903 betreffend Verweigerung der Aufenthaltsbewilligung. (Vom 21. Juli 1903.)

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22.07.1903

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808-814

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