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Bundesratsbeschluß über

die in den Kanton Freiburg eingewanderten französischen Orden.

(Vom 2. Juni 1903.)

Der schweizerische Bundesrat, hat

in der Angelegenheit der in den Kanton Freiburg eingewanderten französischen Orden folgenden Beschluß gefaßt: I.

In der Kongregationenangelegenheit ist der Kanton Freiburg der einzige, dessen Regierung das vom Bundesrate genehmigte Fragenschema vom 28. November 1901 nicht beantwortet hat.

Darüber ist folgende Korrespondenz geführt worden.

Am 8. April 1902 antwortete die Regierung des Kantons Freiburg auf die Zustellung des Fragenschemas zunächst mit einer Darstellung der Verhältnisse der Karthause Valsainte, aus welcher sich ergeben sollte, daß auf diesen Orden Art. 52 der Bundesverfassung nicht Anwendung zu finden habe.

Zudem teilte die Regierung mit, daß sich Karmeliterinnen im Distrikt Greyerz niedergelassen hätten. Der Pachtvertrag sei aber nur auf ein Jahr abgeschlossen worden und dieselben würden nach Frankreich zurückkehren oder sonst die Schweiz wieder verlassen.

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Unter diesen Umständen hätte die Regierung es für unnütz erachtet, diesen Karmeliterinnen das Fragenschema zu unterbreiten, ^das übrigens Details enthalte, welche für die Auslegung des Textes der Bundesverfassung nicht erforderlich seien.cMit Zuschrift vom 10. April 1902 ersuchte das schweizerische Justiz- und Polizeidepartement den Staatsrat des Kantons Freiburg, dafür besorgt sein zu wollen, daß das Fragenschema seine Beantwortung finde. Die genaue Beantwortung der gestellten Fragen sei für den Bundesrat erforderlich, um die einschlägigen verfassungsrechtlichen Fragen entscheiden zu können, sie liege übrigens auch im Interesse der eingewanderten Orden und Kongregationen selbst.

Als keine Antwort erfolgte, wurde am 22. Mai 1902 eine weitere Mahnung erlassen.

Am 28. Juni 1902 erließ der Bundesrat ein Schreiben an die freiburgische Regierung, in welchem er dieselbe aufforderte, für die Beantwortung des Fragenschemas sorgen zu wollen. Der Bundesrat bemerkte darin, daß er an der Verpflichtung der Kantonsregierungen festhalte, ihm diejenige Auskunft zu verschaffen, deren er nach seinem eigenen Ermessen zur Aufrechterhaltung der Verfassung bedürfe.

Am 5. September 1902 langte ein Telegramm der Staatskanzlei Freiburg an das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement ein : ,,Recevrez très prochainement réponse pour congrégations.u Am 5. Januar 1903 teilte das schweizerische Justiz- und Polizeidepartement der Regierung des Kantons Freiburg mit, daß, wenn bis zum 20. Januar eine Beantwortung in der Kongregationenangelegenheit nicht eintreffe, dies als eine Verweigerung der Antwort ausgelegt werden müsse und das Departement sich veranlaßt sehen würde, darauf hin seine Anträge an den Bundesrat zu stellen.

Am 21. Januar langte die Antwort des Staatsrates des Kantons Freiburg ein.

Die Antwort wiederholt zunächst die Angaben des ersten Berichtes vom 8. April 1902 und fährt sodann fort: ,,Die Angaben, welche wir gemacht haben, schienen Ihnen ungenügend zu sein. Sie haben darauf bestanden, ergänzende Mitteilungen zu erhalten, indem Sie auf das uns zugesendete Fragenschema verwiesen.

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Infolge Ihres Ersuchens haben wir erneute Schritte bei den Karthäusern in Valsainte und bei den Schwestern in Riaz getan.

Die Karthäuser in Valsainte haben geantwortet, daß sie nicht unter das Fragenschema fielen. Sie fragten sich, wieso sie davon betroffen sein könnten. Ihre Genossen, welche das französische Territorium verlassen hätten, hätten im Kanton Wallis einen Zufluchtsort gesucht und nicht in Valsainte, wo man berechtigt gewesen wäre, sie aufzunehmen.

Was die Schwestern in Ria/ betrifft, so haben sie uns geantwortet, daß der Pachtvertrag nur auf ein Jahr abgeschlossen sei und daß ihr Aufenthalt in Riaz ein durchaus vorübergehender sei (tout-à-fait momentané). Sie hätten niemals die Absicht kundgegeben, sich dauernd in der Schweiz niederzulassen. Also könne das Fragenschema, welches nur für diejenigen Kongregationen bestimmt war, welche wirklich ihr Domizil in die Schweiz verlegen wollten, sie gar nicht betreffen. Sie fügten bei, daß sie Unterhandlungen eingeleitet hätten, um sich auf dem Gebiete der Missionen ein Tätigkeitsfeld zu schaffen. Sie hofften zu einem Abschluß zu gelangen und die gemieteten Lokalitäten vor Auslauf ihres Vertrages verlassen zu können.

Wir haben unsere Antwort verschoben, indem wir die definitive Abreise der Genossenschaft erwarteten. 'Das war das beste Mittel, um jede weitere Diskussion abzuschneiden.

Einzelne der Nonnen sind auch wirklich abgereist. Aber der Vertrag hat um ein Jahr erneuert werden müssen für diejenigen, welche dageblieben sind und den Abschluß der in ihrem Interesse eingeleiteten Verhandlungen erwarten. Diese haben uns die Versicherung gegeben, daß sie vor dem Monat Oktober nicht mehr in Riaz sein werden.

Wir haben Sie in Kenntnis von den Vorgängen, die sich ereignet haben, gesetzt und bitten Sie zu glauben, daß wir weder beabsichtigten, uns der uns obliegenden Pflicht zu entziehen noch Ihrem Departement in Ausübung seiner Amtstätigkeit Schwierigkeiten zu bereiten. Wir waren vielmehr geleitet von der Absicht, die Sache zu erleichtern und haben deshalb vielleicht zu lange mit der Antwort gezögert.

Wir haben die Ehre, Sie zu ersuchen, unsere Erklärungen betreffend das Kloster Valsainte entgegenzunehmen, ebenso diejenigen betreffend die Schwestern in Riaz unter besonderer Berücksichtigung des Versprechens derselben, daß sie ihre Situation vor dem Monat' Oktober in Ordnung bringen wollen."·

273 IL Aus der .Korrespondenz ergibt sich, daß die freiburgische Regierung auch heute noch den Weisungen des Bundesrates bezüglich des .Fragenschemas vom 28. November 1901 nicht nachgekommen ist. Man könnte sich zunächst fragen, ob, hierauf gestützt, weitere Maßnahmen zu treffen sind. Es kann jedoch hiervon abgesehen werden, da aus dem Berichte der freiburgischen Regierung genügend tatsächliches Material entnommen werden kann, um eine Entscheidung zu treffen.

1. Dem Bundesrat war aus Mitteilungen der Zollverwaltungbekannt, daß Umzugsgut der französischen Karthäuser teilweise nach Valsainte dirigiert worden war. Er mußte sich deshalb darüber informieren, ob hier nur eine Zuwanderung in ein bestehendes Kloster oder eine Neuansiedlung, wie im Kanton Wallis, beabsichtigt wurde. Das war der Grund, warum eine Beantwortung des Fragenschemas gewünscht wurde. Der Bundesrat ist auch gegenüber der Einwanderung in andere bestehende Klöster in ganz gleicher Weise verfahren (vgl. Beschluß des Bundesrates vom 19. August 1902 sub II unter Luzern, Zug und St. Gallen, Bundesbl. 1902, IV, p. 239 ff.). Der Bundesrat hat schon im angeführten Beschlüsse (sub VI, B. 2) entschieden, daß die Zuwanderung in bestehende Klöster von solchen Orden, welche vor 1874 geduldet waren, nicht verfassungswidrig ist.

In Valsainte hat nach dem Berichte der freiburgischen Regierung nicht einmal eine solche Zuwanderung stattgefunden, sondern es sind nur Mobiliargegenstände eingeführt worden.

Dem Bundesrate fehlt also hier jeder Grund zum Einschreiten.

2. Nach den Berichten der freiburgischen Regierung haben sich auf Schloß Riaz im Bezirk Greyerz Karmeliterinnen niedergelassen. Sie haben erst einen Pachtvertrag auf ein Jahr abgeschlossen, welcher auf ein weiteres Jahr verlängert worden ist.

Die Karmeliterinnen sind nicht als Einzelpersonen gekommen, sondern aus den Berichten der freiburgischen Regierung ergibt es sich, daß es sich um die Niederlassung der religiösen Korporation (communauté) handelt.

Die Karmeliterinnen erklären zwar, daß ihr Aufenthalt nur ein provisorischer sei und ersuchen um eine Duldung bis zum Oktober dieses Jahres.

Es steht fest, daß die Karmeliterinnen zu den vor der Bundesverfassung von 1874 in der Schweiz nicht niedergelassenen

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Orden gehören. Es ist dieser geistlichen Genossenschaft also nicht nur die Klostergründung, sondern überhaupt jede Niederlassung in der Schweiz gemäß Art. 52 der Bundesverfassung untersagt.

Es macht keinen Unterschied, ob diese Niederlassung dauernden Charakter hat oder ob ihr von dem Orden nur ein provisorischer Charakter beigelegt wird.

. Es liegt auch kein Grund vor, diese Ordensniederlassung anders zu behandeln, als die übrigen in der Schweiz versuchten Ni ederlassungen.

Demgemäß hat der Bundesrat in Anwendung des Art. 52 der Bundesververfassung beschlossen: 1. Dem Orden der Karmeliterinnen ist die Niederlassung auf Schloß Riaz (Bezirk Greyerz) im Kanton Freiburg untersagt.

2. Es ist dem genannten Orden eine Frist von drei Monaten von der Eröffnung dieses Beschlusses gesetzt, um seine Verhältnisse zu ordnen.

Die Regierung des Kantons Frei bürg ist mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

B e r n , den 2. Juni 1903.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Deucher.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bundesratsbeschluß über die in den Kanton Freiburg eingewanderten französischen Orden. (Vom 2. Juni 1903.)

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