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Übertrag
VI. Rekurse, verschiedene VII. Beschwerden gerichtlicher Natur I X . Steuerwesen . . . .
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I. Handels- und Gewerbefreiheit.
1. Wirtschaftsesen.
Von den im Berichtsjahr eingereichten Wirtschaftsbeschwerden betreffen die meisten die Beurteilung der Bedürfnisfrage durch die Kantonsregierungen. Bei der Behandlung dieser Beschwerden haben die in den letztjährigen Geschäftsberichten dargelegten Grundsätze Anwendung gefunden. Wir haben von unsern Entscheiden denjenigen in Sachen B. Benz von Einsiedeln gegen Schwyz vom 29. April (Bundesbl. 1902, II, 1001) und denjenigen in Sachen Elise Häusel mann in Borgen vom 18. Februar (Bundesbl. 1902, III, 809) veröffentlicht; der letztere Beschluß ist von der Rekurrentin an die Bundesversammlung weiter gezogen, von dieser aber am 7. Oktober 1902 bestätigt worden.
Wegen ihrer prinzipiellen Bedeutung heben wir die folgenden Fälle hervor.
a. In der Entscheidung in Sachen A. Brandii in Pratteln gegen Baselland vom 22. März haben wir den Satz vertreten, daß die Bedürfnisfrage für Wirtschaften verschieden geregelt werden köane. In dem Rekurse war die allerdings gegen den Wortlaut des basellandschaftlichen Wirtschaftsgesetzes vom Regierungsrat eingeschlagene Praxis angefochten worden, nach welcher die Bed ü r f n i s f r a g e von der Behörde nur dann gestellt wird, wenn das Patentgesuch für eine Wirtschaft verlangt wird, die abgelegen, d. h. von Ortschaften entfernt liegt (vgl. auch die oben zitierte Entscheidung in Sachen Benz).
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Im Beschluß in Sachen Buhler in Zürich vom 11. März haben wir es als nicht verfassungswidrig bezeichnet, wenn die Verhältniszahl von 200 Einwohnern auf eine Wirtschaft als Minimalgrenze für die Erteilung neuer Wirtschaftsbewilligungen angenommen wird.
Endlich hatten wir wiederholt zu erklären, daß der Kantonsregierung die e i g e n e Würdigung der Bedürfnisfrage stets vorbehalten bleibt und daß sie dabei in ihren Entschließungen durch das der Errichtung einer neuen Wirtschaft günstige Gutachten der lokalen Behörde vom Standpunkte des Art. 31, lit. c, aus nicht gebunden ist. Beschluß in Sachen Ch.-A. Gauthey in Peseux gegen Neuenburg vom 14. März.
b. Beschluß vom 12. November in Sachen J. Hügin in Zürich: Die Erteilung eines Wirtschaftspatentes darf nicht, auch nicht zur Kontrolle des Vorhandenseins der von einem Wirte verlangten persönlichen Qualifikation, von der Bewilligung einer e i n j ä h r i g e n N i e d e r l a s s u n g im Kanton abhängig gemacht werden, denn die Schwierigkeit der polizeilichen Kontrollierung darf nicht dazu führen, einen Bürger vom Mitbewerbe am Wirtschaftsgewerbe auszuschließen. Wir hatten ferner festzustellen, daß die Aufstellung der Bedingung einjährigen Wohnsitzes nicht unter den Vorbehalt in lit. c des Art. 31, sondern unter denjenigen in lit. e fällt und daher der Beschränkung unterliegt, daß die Verfügungen der Kantone den Grundsatz der Handels- und Gewerbet'reiheit selbst nicht beinträchtigen dürfen.
c. In f o r m e l l e r H i n s i c h t ist zu bemerken: Ebenso wie der Pächter einer Wirtschaft, auf dessen Namen ·das Patent lautet, ist der Eigentümer des betreffenden Hauses zur Beschwerdef'ührung wegen Verweigerung oder Rückzuges des Patentes l e g i t i m i e r t . Beschluß vom 27. April in Sachen J. Droux in La Joux gegen Freiburg (Bundesbl. 1902, III, 826).
Die Rekurslegitimation fällt dagegen dahin, wenn der Eigentümer, der für sich selbst ein Wirtschaftspatent verlangt hatte, im Laufe des Rekursverfahrens die Liegenschaft verkauft. Daran ändert der Umsiand nichts, daß sich der Eigentümer eine höhere Leistung seitens des Käufers für den Fall des Zuspruches des Rekurses zugesichert hat. Beschluß vom 30. Juli in Sachen U.
Christen in Burgdorf gegen Bern (Bundesbl. 1902, IV, 169j.
Auf einen Wirtschaftsrekurs sind wir nicht eingetreten, weil demselben k e
i n e B e g r ü n d u n g beigegeben war, die Rekursschrift daher den in Art. 178, Ziffer 3, des Organisationsgesetzes vorgeschriebenen Bedingungen nicht entsprach. Beschluß vom Iß. Juni in Sachen Riolo in Borgen gegen Zürich (Bundesbl. 1902, III, 839).
565 2. Besteuerung des Gewerbebetriebes.
a. In erster Linie sind hier zu nennen unsere Entscheidungen betreffend die Auferlegung kantonaler H a u s i e r patentt axe n.
"Wir haben alle Entscheidungen im Bundesblatt in extenso zum Abdruck gebracht. Es sind: der Beschluß in Sachen J.Muller zum Zobel in Schaffhausen gegen den Regierungsrat des Kantons Schaffhausen vom 30. Juli betreffend Unterstellung eines Ausverkaufs regelmäßiger Geschäftsabgänge unter die Bestimmungen des schaffhausischen Hausiergesetzes über den Ausverkauf (Bundesbl. 1902, IV, 157); der Beschluß in Sachen der Schweizerischen Automatengesellschaft in Bern gegen Aargau vom 5. August wegen Unterstellung der Bahnhofautomaten unter das kantonale Hausiergesetz und zu hoher Taxierung der Automaten (Bundesbl. 1902, IV, 220); der Beschluß vom 29. November in Sachen der gleichen Rekurrentin gegen Freiburg (Bundesbl. 1902, IV, 553); der Beschluß vom 11. Juli in Sachen F. Glarner in Glarus gegen Uri wegen Auferlegung der Hausierpatenttaxe für die Aufnahme von Bestellungen auf photographische Arbeiten (Bundesbl. 1902, IV, 16).
Aus den beiden Entscheidungen in Sachen der Schweizerischen Automatengesellschaft ist der Grundsatz hervorzuheben, daß das Besteuerungsrecht der Kantone auch angesichts eines unabträglichen Gewerbebetriebes nicht dahinfällt.
Der Entscheidung in Sachen Glarner haben wir materiell nichts beizufügen. Das der Entscheidung zu Grunde liegende Material ist aber von besonderer, über die Rekursentscheidung hinausgehender Bedeutung, weil wir seiner Zeit in Übereinstimmung mit dem Bundesgericht das Aufsuchen von Arbeitsaufträgen, als nicht unter das Bundesgesetz betreffend die Patenttaxen der Handelsreisenden fallend daher als nicht taxpflichtig erklärt haben.
Im vorliegenden Falle aber bewarb sich der Rekurrent gerade um Ausstellung einer eidgenössischen Taxkarte um sich der Ansprüche der Kantone erwehren zu können, welche das Aufsuchen von Bestellungen auf photographische Arbeiten unter die kantonalen Hausiergesetze stellen.
b. Gabriel Montet, Bankier in Vevey, hat sich bei uns über eine ihm von der Gemeinde Châtelard auferlegte G e w e r b e s t e u e r besehwert. Die Steuer war dem Rekurrenten, der seine ordentlichen Steuern in Vevey, seinem Wohnorte, entrichtet, für seine gewerbliche Tätigkeit als Verwaltungsrat der
Elektrizitätsgesellschaft Vevey-Montreux auferlegt worden. Er erblickte in derselben eine Verletzung des Art. 31 der Bundesverfassung, denn dieser Artikel gebe ihm das Recht, seinen Beruf frei in der ganzen Schweiz zu betreiben und schließe aus, daß jemand veranlaßt werden könne, Bundesblatt. 55. Jahrg
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566 an verschiedenen Orten gleichzeitig Steuern zu bezahlen. Wir haben die Beschwerde mit Beschluß vom 8. Juli als unbegründet erklärt, weil der angerufene Verfassungsartikel die Zulässigkeit von Gewerbesteuern ausdrücklich anerkennt und bezüglich der Höhe und art und Weise nur den Vorbehalt macht, daß dieSteuern den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit selbst nicht beeinträchtigen dürfen; dafür, daß das letztere der Fall sei, lag im Rekurse kein Anhaltspunkt vor.
c. Auf eine uns durch das Schweizerische Konsulat in Mannheim zugestellte Einfrage der Mannheimer Lagerhausgesellschaft betreffend die derselben für die Eintragung einer Filiale ins Handelsregister von Chiasso durch tessinische Behörden verlangte S t e m p e l g e b ü h r im Betrage von Fr. 2520 teilten wir der Petentin am 30.
August mit, daß die Frage über die richtige Anwendung kantonaler Stempelgesetze nicht in unsere Kompetenz falle; Petentin könne eine Entscheidung durch die Bundesbehörden nur herbeiführen, wenn sie gegenüber einem die verlangte Stempelgebühr bestätigenden Entscheid des tessinischen Staatsrates nachzuweisen, vermöge, daß ihr Geschäftsbetrieb in Chiasso durch die Höhe der Stempelgebühr verunmöglicht oder wesentlich beeinträchtigt werde.
Eine Verfügung des Staatsrats des Kantons Tessin, welche derselbe auf Grund des gleichen tessinischen Stempelgesetzes gegen die Internationale Transportgesellschaft Gebrüder Gondrand in.
Brig fällte, indem er für die Eintragung der Filiale dieser Gesellschaft in Chiasso eine Stempelgebühr von Fr. 11,000 verlangte,, haben wir mit Beschluß vom 20. Dezember aufgehoben (Bundesbl.
1902, V, 918).
3. Verfügungen über die Benutzung der Straßen.
Unser Beschluß über die Beschwerde der B. Inderbitzin und Konsorten, Kutscher in Brunnen, gegen den Regierungsrat desKantons Schwyz, vom 14. November, wegen Verweisung der Kutscher auf einen für die Aufstellung aller Wagen ungenügenden öffentlichen Platz in Brunnen, ist im Bundesblatt 1902, V, 403> in extenso veröffentlicht.
4. Gesundheitspolizei.
Die beiden Entscheide, die wir auf Beschwerden in diesem Gebiete gefällt haben, sind im Bundesblatt zum Abdruck gebracht..
Es sind : der Entscheid in Sachen Chr. Gerber in Trubschachen gegen Bern, vom 17. Januar, wegen Einführung des Schlachthauszwanges in Langnau (Bundesbl. 1902, I, 273), und der Beschluß.
567 in Sachen R. Troillet, Drogist in Bagnes, gegen Wallis, vom 7. April, betreffend das Verbot des freien Verkaufs einiger Drogen (Bundesbl. 1902, III, 387).
Die Bundesversammlung hat unsern Beschluß am 9. Dezember 1902 bestätigt; immerhin wurde der Staatsrat des Kantons Wallis darauf aufmerksam gemacht, er möchte die Waren, die einem Drogisten zu vertreiben verboten, resp. nur den Apothekern zu halten gestattet sei, genau spezifizieren und das Verzeichnis zur öffentlichen Kenntnis bringen.
o. LebensmittelpoUzei.
Das Gesetz des Kantons Graubünden betreffend die staatliche Kontvolle von Lebens- und Genußmitteln und dessen Vollziehungsverordnung schreiben vor, daß für die Bezeichnung von Produkten, die aus Mischungen von Kuhbutter und andern tierischen und pflanzlichen Fetten für Genußzwecke hergestellt sind, die Verwendung von Namen, in denen das Wort Butter vorkommt, verboten ist und daß diese Produkte nur als Kochfett bezeichnet werden dürfen. Auf Gruad dieser Verordnung ist die Aktiengesellschaft S. Börlin & Cie., Margarinefabrik in Binningen, wegen Bezeichnung ihrer Waren auf Fakturen für Geschäfte in Graubünden mit Margarine, vom Kleinen Rat des Kantons Graubünden mit Buße belegt worden. Gegen diese Strafe .ergriff die genannte Firma den staatsrechtlichen Rekurs. Wir haben denselben aber mit Beschluß vom 8. November als unbegründet erklärt, da wir die bildnerischen Vorschriften als mit der Handels- und Gewerbefreiheit nicht in Widerspruch stehend betrachten.
Die Rekurrentin hat unsern Entscheid weiter gezogen; die Beschwerde ist zurzeit noch bei der Bundesversammlung pendent.
6. Feuerpolizei und Verfügungen der Kantone in bezug auf 'kantonale Brandversiclierimgsanstalten.
a. Wir haben die Beschwerde des W. Glitsch, Ingenieurs in Genf, gegen den Regierungsrat des Kantons Zürich, wegen Verbots des Gebrauchs von Benzinkochapparaten, mit Beschluß vom 30. Dezember abgewiesen, da die angefochtene Verfügung aus Gründen der Feuerpolizei begründet erschien (Bundesbl. 1903, I, 1).
b. In der Entscheidung in Sachen Gebrüder Wyrsch & Cie.
in Buochs gegen den Regierungsrat des Kantons Nidwaiden, wegen Einbeziehung der Fabrikgebäulichkeiten der Rekurrenten unter die kantonale Gebäudeversicherung, haben wir den Versicherungszwang, den das nidwaldisehe Gesetz zu gunsten der kantonalen Brandver-
568 Sicherungsanstalt ausspricht, als nicht verfassungswidrig erklärt (Bundesbl. 1902, IV, 77).
7. Scinda des Publikums vor Ausbeutung und Prellerei.
a. In der Beschwerde Kväuchi & Wenger, Geflügelhändler in Bäriswil und Steffisburg, vom 14. Januar, haben wir die von uns in einem Entscheide vom 1. Juli 1890 abgeänderte Praxis in der Behandlung der Vorkaufsverbote im Sinne der Aufrechterhaltung des Verbotes bestätigt (Bundesbl. 1902, I, 217). Wir haben in der Zulassung des Verbotes den Schutz des Publikums vor wucherlicher Ausbeutung unter den Vorbehalt des Art. 31 der Bundesverfassung gestellt.
Der gegen unsere Entscheidung ergriffene Rekurs ist von der Bundesversammlung am 4. Oktober 1902 als unbegründet abgewiesen worden.
Auf eine zweite, von J. Wenger und seiner Ehefrau Anna erhobene Beschwerde haben wir das Verbot des Vorkaufs mit Beschluß vom 17. Oktober' auch insofern als zulässig erklärt, als es solche Personen trifft, welche die auf dem Markte aufgekauften Waren an a n d e r n Orten wieder verkaufen (Bundesbl.
1902, IV, 813).
. Die Rekurrenten haben diese Entscheidung an die Bundesversammlung weiter gezogen; die Beschwerde ist zurzeit pendent.
b. Den Beschluß vom 31. Oktober in Sachen der Schweizerischen Rabattmarkengesellscbaft, A.-G. in Zürich, gegen Bern, wegen Verbot des Absatzes von Rabattmarken haben wir im Bundesblatt 1902, IV, 860, veröffentlicht. Wir haben die Beschwerde gutgeheißen und das Verbot aufgehoben, weil der gegen den Geschäftsbetrieb der Rekurrentin erhobene Vorwurf, daß durch denselben das Publikum getäuscht und beschwindelt werde, sich als unbegründet erwies.
8. Tragweite dei' Handels- und Gewerbefreilieit.
In vier Entscheidungen hatten wir uns über den Umfang und die Tragweite des Grundsatzes der Handels- und Gewerbefreiheit auszusprechen. Zwei dieser Entscheidungen betreffen ihre Abgrenzung gegenüber dem Privatrecht: der Beschluß vom 5. Juni in Sachen Altdorfer & Lehmann in Zofingen gegen Aargau, in welchem wir die auf einem privatrechtlichen Vertrag beruhende ausschließliche Befugnis der Stadtgemeinde Zofingen auf Zuleitung and Anschluß der Wasserversorgung an die Wasserabonnenten
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in Privathäusern schützten (Bundesbl. 1902, III, 623), und der Beschluß vom 26. Juli in Sachen Schweizerische Metallwerke Selve in Thun gegen ein Urteil des bernischen Appellations- und Kassationshofes. Das angefochtene Urteil hatte auf Grund des Nachbarrechtes das Verbot der Nachtarbeit in den Walzwerken der Rekurrentin ausgesprochen; wir haben die Beschwerde abgewiesen, da wir auch hier zu betonen hatten, daß die Handelsund Gewerbefreiheit keinen absoluten Charakter hat, sondern sowohl den aus öffentlichen wie den aus Privatrecht entstehenden Beschränkungen unterliegt (Bundesbl. 1902, IV, 121).
Im dritten Fall, der Beschwerde der Association des médecins du canton de Genève in Genf, die gegen den Staatsrat des Kantons Genf erhoben wurde, weil derselbe einem Holländer, trotzdem derselbe kein eidgenössisches Diplom besaß, die Bewilligung zur Ausübung des ärztlichen Berufes erteilt hatte, haben wir einen materiellen Entscheid aus formellen Gründen nicht fällen können.
Die Beschwerde ist aber insofern von Bedeutung, als hier die Intervention der Bundesbehörde gegen eine die Handels- und Gewerbefreiheit ausdehnende Verfügung der kantonalen Regierung begehrt wurde.
Im vierten Falle endlich, dem Beschluß in Sachen Schweizerische Automatengesellschaft gegen Zug, betreffend Ausfällung einer Buße wegen Nichterfüllung polizeilicher Kontrollvorschriften, vom 20. Dezember (Bundesbl. 1902, V, 904), haben wir statuiert, daß die angefochtene Buße vom Standpunkt der Handels- und Gewerbefreiheit aus nicht beanstandet werden könne. Über die Berechtigung der Kontrollvorschriften selbst hatten wir uns im Rekursfalle nicht auszusprechen.
9. Prosessuales.
Es sind hier folgende Fälle hervorzuheben : a. Über die Legitimation zur Beschwerdeführung wegen Verweigerung einer Wirtschaftsbewilligung siehe1 die unter Ziffer l, lit. c, angeführten Beschlüsse.
b. Den Satz, daß die an die inkompetente Behörde erklärte Weiterziehung einer Sache den bundesrechtlichen Fristenlauf für die Erhebung einer staatsrechtlichen Beschwerde nicht hemme, hatten wir in zwei Fällen zur Anwendung zu bringen : in der bereits a. a. 0. zitierten Sache Kräuchi & Wenger und in Sachen der Dampfschiff- und Eisenbahngesellschaft für den Luganersee (Beschluß vom 31. Januar).
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c. Im Beschlüsse in Sachen J. Geißmann und Konsorten, Viehhändler in Freiburg, vom 29. April (Bundesbl. 1902, II, 1013), gegen das freiburgische Gesetz betreffend den Viehhaodel, sind wir auf die Beschwerde aus dem Grunde nicht eingetreten, weil die 60tägige Rekursftist gegen die Auferlegung einer angeblich verfassungswidrigen Patenttaxe nicht erst vom Tage der zur Eintreibung der Gebühr angehobenen Zwangsvollstreckung zu laufen beginnt, sondern in dem Zeitpunkt, in welchem der mit der Taxe Belegte von seiner Taxierung durch die Behörde Kenntnis erhielt.
d. Auf Grund der Bestimmung in Art. 178, Ziffer 3, des Organisationsgesetzes in Verbindung mit Art. 190, welcher bestimmt, daß die staatsrechtlichen Beschwerden die Anträge des Beschwerdeführers, sowie deren Begründung enthalten müssen, sind wir auf einen Rekurs des N. Grosch und C. A. J. Greiff in Neuenburg wegen Auferlegung einer Spezialgeschäftssteuer mit Beschluß vom 21. Januar nicht eingetreten. Ein gegen unsern Beschluß eingereichtes Wiedererwägungsgesuch haben wir am 21. April als unbegründet abgewiesen.
e. Wir haben unsern Beschluß io der Beschwerdesache A.
Bernhard in Zürich gegen ein Bußurteil der Appellationskammer des zürcherischen Obergerichtes im Bundesblatt 1902, III, 355, vollständig zum Abdruck gebracht. Hier wie in der Entscheidung Moser-Wüest in Luzern gegen Baselstadt, wegen Vorkaufsverbots auf dem baselstädtischen Markt, haben wir, in Anlehnung an ein bundesgerichtliches Urteil vom 14. Oktober 1901 in Sachen Motor gegen Schreiber, den Prozeßgrundsatz aufgestellt, daß wir auf eine Beschwerde nicht eintreten, welcher die zum Verständnis der Rekursschrift notwendige angefochtene kantonale Verfügung nicht beiliegt. f. In verschiedenen Fällen hatten wir wieder, wie in vorhergehenden Jahren, auf Anfragen von Privatpersonen an uns oder das Justizdepartement zu erklären, daß wir nur nach Anhebung einer staatsrechtlichen Beschwerde und auf Grund eines bestimmten Tatbestandes unsere Entscheidung abgeben können, u. Niederlassungsrecht.
Von den im Geschäftsjahr an den Bundesrat ergriffenen Niederlassungsrekursen von Ausländern haben wir keinen gutgeheißen. -- Die kantonalen Ausweisungsverfügungen stütaten sich auf die Tatsache schlechten Verhaltens der Ausländer und die Bestimmung der Niederlassungsverträge, wonach den beidseitigen Staatsangehörigen im Vertragsstaat der Aufenthalt nur unter der
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Bedingung gewährleistet ist, daß die Betreffenden den Gesetzen und Polizei Verordnungen des Aufenthaltsstaates nachleben.
Unsere Entscheidung vom 21. Januar i. S. Max Ruff-Ehrat wegen Entzugs der Aufenthaltsbewilligung und Ausweisung aus dem Kanton Genf ist an die Bundesversammlung weiter gezogen und als unbegründet abgewiesen worden. Unser Beschluß und Bericht ist im Bundesblatt 1902, III, 380, veröffentlicht.
Hinsichtlich der f o r m e l l e n Abwandluug der erhobenen Beschwerden haben wir an den in den Geschäftsberichten für die Jahre 1900 und 1901 dargelegten Grundsätzen festgehalten (Bundesbl. 1901, II, 41, und 1901, I, 821).
HE. Konfessionelles.
1. Im Falle mehrerer Anfragen betreffend angebliche Verletzung der Glaubens- und Gewissensfreiheit haben wir die Pelenten an das Bundösgericht verwiesen.
2. Ein Offizier der Fortverwaltung in Airolo wandte sich im Januar 1902 mit dem Ersuchen an uns, wir möchten die BsstimmuBgen des tessinischen Gesetzes aufheben, nach welchem die Verfügung über die Kirchenglocken in die Hände der Kirchenbehörden gelegt ist. Veranlassung zu diesem Gesuch war der Umstand, daß auf Grund dieses Gesetzes die kirchlichen Behörden von Airolo das Glockengeläute bei protestantischen Beerdigungen verweigerten ; schon jetzt sei bei den Todesfällen, die in jüngster Zeit in Familien der Fortmannsehaft eingetreten, das Glockengeläute nur mit Mühe uad dadurch erhältlich gewesen, daß der Gemeinderat den Glockenturm mit Gewalt habe aufbrechen lassen; die durch diese Vorkommnisse bei der katholischen Bevölkerung erzeugte Aufregung sei eine derartige, daß zu befürchten stehe, bei weiter vorkommenden Fällen werde der Gemeinderat nicht mehr den Mut haben, das Glockengeläute zu erzwingen.
Wir konnten in Anbetracht unserer Inkompetenz, uns in die kantonale Gesetzgebung einzumischen, dem Gesuch keine Folge geben. Angesichts der bisher gegenüber dem Kirchgemeinderat und der Geistlichkeit von Airolo eingenommenen korrekten Haltung des Gemeinderates von Airolo und des tessinischen Staatsrates war aber überhaupt eine Intervention des Bundesrates ausgeschlossen.
Die dem Konflikt zu gründe liegende Rechtsfrage ist im unten angeführten Beschlüsse in Sachen L. M. Brasey entschieden worden.
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3. Wir haben Ihnen im Geschäftsbericht für das Jahr 190ft> unsern Beschluß vom 6. April 1900 in Sachen der Beschwerde der Lea M. Brasey in Rueyres-les-Prés gegen Freiburg wegcit Verweigerung der schicklichen Beerdigung einer Familienangehörigen zur Kenntnis gebracht (Bundesbl. 1900, II, 483, und 1901,, II, 44). · Wir hatten uns im Berichtsjahr neuerdings mit der Angelegenheit zu befassen, da die genannte Kirchgemeinde vor deinBezirksgericht der Broye, weil die Beklagte jene Beschwerde beim Bundesrat eingereicht hatte, eine Klage gegen L. M. Brasey anhob wegen Störung des Besitzes an den der Kirchgemeinde ausschließlich zu Eigentum gehörigen Kirchenglocken. L. M. Brasey hatte vorerst, gegen diese Klage die Inkompetenzeinrede erhoben, wurde aber mit derselben, zuletzt vom freiburgischen Appellationshof, abgewiesen ; gegen das abweisende Urteil rief sie unsern Entscheid; an. Mit Beschluß vom 30. Juni haben wir die Beschwerde gutgeheißen und das Urteil des Appellationsgerichtes aufgehoben, da die Klage der Kirchgemeinde ihrem Wesen nach nicht eine zivilrechtliche Negatorienklage war, sondern auf Aufhebung einer öffentlichrechtlichen Servitut, resp. einer allgemeinen Verpflichtung, öffentlichrechtlicher Natur aus Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung ging. Wir haben den Beschluß im Bundesblatt 1902,, III, 929, veröffentlicht.
4. Unser abweisender Beschluß in Sachen Karl Schär gegen Solothurn, vom 31. Oktober, wegen angeblich unschicklicher Beerdigung, ist in extenso im Bundesblatt 1902, IV, 853, abgedruckt..
5. Im Jahre 1901 ist bei Anlaß einer Entscheidung über dasGesuch um Gestattung zollfreier Einfuhr angeblichen Umzugsgutes die Frage entstanden, ob die die Zollbefreiung beanspruchenden, französischen Kongregationen, welche infolge der Durchführung, des französischen Vereinsgesetzes vom 1. Juli 1901 Frankreich verlassen hatten, in der Schweiz zur Niederlassung zugelassen werden könnten. Wir haben die Frage in unserm Beschlussevom 19. August in dem Sinne gelöst, daß wir auf Grund desArt. 52 der Bundesverfassung den 12 in der Schweiz, nämlich inden Kantonen St. Gallen, Waadt und Wallis, sich aufhaltenden, Orden und Kongregationen die Niederlassung untersagt und ihnen eine Frist von 90 Tagen zur Ordnung ihrer Verhältnisse angesetzt haben (Bundesbl. 1902, IV, 239).
Am 9. September 1902 teilte uns
die Regierung des Kantons St. Gallen mit, daß die seinerzeit in den Kanton gezogenen Klosterfrauen sich schon vor unserer Beschlußfassung Anfang August 1902, nach Bayern verzogen hätten. Die Karmeliterinnen in Bex sindL
573 nach einem Berichte des Justiz- und Polizeidepartements des Kantons Waadt, vom 21. Oktober 1902, mit Bestimmungsort Namur abgereist. Die weitere Vollziehung unseres Beschlusses in den Kantonen Waadt und Wallis haben wir auf das Vorbringen neuer rechtlicher Momente und die Einreichung von Sistierungsgesuchea durch die Kongregationisten und die betreffenden Kantonsregierungen hin bis zu einer erneuten Beschlußfassung eingestellt.
IV. Politische Stimmberechtigung, Wahlen und Abstimmungen.
Von den im Berichtsjahr entschiedenen Beschwerden über die politische Stimmberechtigung, Wahlen und Abstimmungen haben wir diejenige in Sachen A. Rossi und Konsorten iu Lugano gegen Tessin betreffend das Stimmrecht der Rekurrenten in eidgenössischen Angelegenheiten als begründet erklärt. Der Entscheid findet sich im Bundesbl. 1902, V, 461.
Betreifend die zur Anwendung gekommenen materiellen Rechtsgrundsätze in der Materie können wir auf die frühern Geschäftsberichte verweisen.
In f o r m e l l e r Hinsicht ist folgendes hervorzuheben : 1. In Ausführung des Grundsatzes, daß durch die an die inkompetente Behörde erhobene Beschwerde die Frist für die Einreichuug eines staatsrechtlichen Rekurses nicht gewahrt wird, wiesen wir auch den Standpunkt zurück, daß durch die rechtzeitige Beschwerdeeinreichung beim Bundesgericht der Fristenlauf für die Angehung des Bundesrates gehemmt werde. Beschluß in Sachen Julius Zurfluh und Konsorten in Altdorf gegen Uri vom 21. Juni betreffend ein Initiativbegehren der Rekurrenten (Bundesbl. 1902, III, 905).
Wir haben es daher auch abgelehnt, in der Übermittlung einer Wahlbeschwerde durch das Bundesgericht an uns die Erfüllung der formalen Voraussetzungen anzuerkennen, welche das Organisationsgesetz bei der Erhebung von staatsrechtlichen Beschwerden vorschreibt. (Schreiben des Bundesrates an das Bundesgericht vom 27. September in Sachen A. Clerc und Konsorten.)
2. Auf das in einer Beschwerde Savi und Konsorten gestellte Verlangen, direkt in ein Wahlgeschäft einzugreifen, sind wir nicht eingetreten, weil ein Entscheid der kantonalen Rekursbehörde nicht vorlag.
3. Auf zwei Stimmrechts- und Wahlbeschwerden traten wir nicht ein, weil die Behauptung der Verletzung kantonalen Verfassungsrechtes oder Bundesrechtes nicht erhoben wurde, und füi Fragen der richtigen Interpretation kantonaler Gesetze die kan-
574 tonalen Behörden allein zuständig sind. Beschluß vom 25. August in Sachen J. Meyer und J. Crelier in Bure gegen Bern, und Beschluß in Sachen P. F. Ganna in Prugiasco gegen Tessin vom 25. Oktober.
4. In unserm Beschluß in Sachen Julius und Johann Zurfluh in Altdorf gegen Uri vom 11. Februar betreffend die vom Landrat des Kantons Uri vorgenommenen Ergänzungswahlen in die Kantonsspitalverwaltung haben wir den Grundsatz aufgestellt, daß unsere Kompetenz zur Beurteilung von Wahlbeschwevden sich auf Volkswahlen beschränkt, nicht aber auf die nur uneigentlich so genannten Wahlen durch Behörden, die richtiger als Ernennungen bezeichnet würden. Wir sind daher auf die genannte Beschwerde nicht eingetreten. (Bundesbl. 1902,' I, 460.)
Den gleichen Grundsatz haben wir auch im Beschluß vom 4. Dezember in der Beschwerdesache J. Albrecht und Konsorten, Mitglieder der sozialdemokratischen Partei in Bern, betreffend die Ernennung des Großrats Rufener in die Justizkommission des ·Großen Rates zur Anwendung gebracht.
5. Unser Beschluß v. 26. Juli in Sachen G. Senften in der Lenk, Kanton Bern, betreffend dessen Wahl zum Gerichtspräsidenten des Amtsbezirkes Obersirnmental findet sich im Bundesbl.
1902 IV, 93 abgedruckt.
Wir haben uns in diesem Beschlüsse zur Beurteilung von Beschwerden betreffend die passive Wahlfähigkeit kompetent erklärt.
V. Verfügungen und Entscheidungen in Anwendung von Bundesgesetzen.
1. Bundesgesetz über polizeiliche Maßregeln gegen Viehseuchen vom 8. Hornung 1872. Wir verweisen auf unsern Beschluß in Sachen J. Jauchs Söhne in Altdorf gegen Zürich vom 17. März wegen Verweigerung einer Entschädigung für viehseuchenpolizeiliche Tötung von Pferden. Wir haben in der Entscheidung, die im Bundesblatt 1902, II, 448 veröffentlicht ist, zunächst die im Streite liegende Kompetenzfrage einer Prüfung unterzogen. Materiell haben wir festgestellt, daß der Kanton Zürich in der Anwendung der Vollziehungsbestimmungen des genannten Bundesgesetzes über die Entschädigungspflicht keinen Unterschied zwischen den eigenen und fremden, nicht im Kanton wohnenden Kantonsangehörigen machen dürfe und daß der Kanton im Sinne'des genannten Bundesgesetzes entschädigungspflichtig sei, weil er die polizeiliche Maßnahme der Tötung der Pferde der Rekurrenten angeordnet hatte.
575 Da die angefochtene Verfügung diesen Grundsätzen widersprach, so haben wir sie aufgehoben und den Kanton zur Leistung einer Entschädigung verhalten.
2. Bundesgesetz vom 26. April 1887 betreffend die Ausdehnung der Haftpflicht und die Ausdehnung des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1881. Bundesratsbeschluß in Sachen G. Mantovanni von Calestano in Luzern gegen Nidwalden vom 17. Januar betreffend die Verweigerung des Armenrechtes in einer Haftpflichtsache (Bundesbl 1902, I, 291). Der Ausdruck des Bundesgesetzes vom 26. April 1887, wonach unentgeltlicher Rechtsbeistand in Haftpflichtprozessen nicht erteilt zu werden braucht, wenn die Klage nach vorläufiger Prüfung des Falles sich zum voraus als unbegründet herausstellt, ist nicht dahin auszulegen, daß die tatsächliche Begründetheit der Klage bei Erteilung des Armenrechtes zu prüfen ist, sondern daß nur .zu untersuchen ist, ob der erhobene Anspruch aus den behaupteten Tatsachen r e c h t l i c h begründet werden kann.
3. Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs vom I I . April 1889 und Bundesgesetz betreffend Übertragung der Oberaufsicht über das Schuldbetreibungs- und Konkurswesen an das Bundesgericht vom 28. Juni 1895. Gegenüber den sich nicht vermindernden vielen Anfragen an uns und das Eidgenössische Justizdepartement hatten wir zu wiederholen, daß wir Rechtsauskunft über die Anwendung des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs nicht erteilen können und daß wir keine Kompetenzen mehr zur Beaufsichtigung der Betreibungs- und Konkursämter, respektive deren Aufsichtsbehörden, besitzen. Wir haben uns in der Folge veranlaßt gesehen, in wiederholten Publikationen des Bundesblattes die Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 28. Juni 1895 dem Publikum in Erinnerung zurufen. (Bundesbl.
1903, I, 315 u. a.)
B. Polizeiwesen.
L Verträge und Konventionen.
1. Die mit B r a s i l i e n angeknüpften Unterhandlungen zum Abschlüsse eines A u s l i e f e r u n g s v e r t r a g e s (siehe letztjährigen Geschäftsbericht, Seite 27) haben im Berichtsjahre keinen Fortgang genommen. Es steht noch immer eine Rückäußerung der brasilianischen Regierung auf die hierseitigen letzten Anträge aus.
576 2. Im Jahre 1900 hat die D e u t s c h e R e i c h s r e g i e r u n g : die Geneigtheit ausgesprochen, mit der Schweiz eine Verständigung über die g e g e n s e i t i g e A u s l i e f e r u n g w e g e n v e r schiedener Verbrechen und Vergehen wider die S i t t l i c h k e i t , die in dem Auslieferungsvertrage von 1874 nicht enthalten sind, auf dem Wege des Austausches von G e gen r e c h t s e r k l ä r u n g e n zu erzielen. Wir erklärten uns bereit, auf diesen Vorschlag einzutreten. Seither fanden Unterhandlungen zur Feststellung des Wortlautes der betreffenden Erklärung statt.
Dieselben führten indessen zu keinem Resultat, indem keine einheitlichen Bezeichnungen der in Frage kommenden Delikte gefunden werden konnten, soweit nicht bereits diesfalls Gegenrechtaerklärungen zwischen der Schweiz und Deutschland bestehen, wie hinsichtlich der Verbrechen der Blutschande und der unzüchtigen Handlungen mit Kindern. Wir erachteten es schließlich für untunlich, die Unterhandlungen weiter fortzusetzen, und gaben der Deutschen Regierung davon Kenntnis, mit dem Bemerken, von dem Austausch einer allgemeinen Gegenrechtserklärung in dem deutscherseits proponierten Umfange absehen zu wollen und es vorzuziehen, wenn bis auf weiteres jeder neu eintretende Fall für sich behandelt werde.
3. Hingegen .wurde mit D e u t s c h l a n d im laufenden Jahredurch Gegenrechtserklärung die Auslieferung wegen ,,Vornahme unzüchtiger Handlungen mit Kindern unter 14 Jahren"1 vereinbart und mit I t a l i e n kam man auf demselben Wege überein, daß in Zukunft die Auslieferung zwischen der Schweiz und Italien auch wegen B e t r u g e s u n t e r Fr. 1000 stattfinden soll, sofern es sieh nicht bloß um ein ganz geringes Vergehen dieser Art handle.
Vom Austausch dieser beiden Gegenrechtserklärungen haben wir Sie gemäß Art. l, Absatz 5, des Auslieferungsgesetzes von 1892 mit Schreiben vom 2l. Januar beziehungsweise 23. Mai 1902 in Kenntnis gesetzt.
4. Wie durch das ö s t e r r e i c h i s c h e Justizministerium bereits im Jahre 1900 (siehe Geschäftsbericht pro 1900, Seite 19, Ziffer 3) eine Verordnung mit bezug auf die Führung von Strafregistern und die Mitteilung der durch die österreichischen Gerichte erfolgten Verurteilungen von Ausländern an deren heimatliche Behörden erlassen wurde, ist man nun auch in U n g a r n an
die einheitliehe Regelung solcher M i t t e i l u n g e n der g e g e n fremde Staatsangehörige gefällten strafgerichtl i c h e n E r k e n n t n i s s e herangetreten und es wurde von dem ungarischen Justizministerium für dieselben ein Strafblatt aufge-
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stellt, das auch im Verkehr mit der Schweiz zur Anwendung kommen soll. Für Kroatien-Slavonien ist ein gleiches Formular in Aussicht genommen.
Wir haben mittelst Kreisschreiben vom 14. August 1902 die Kantonsregierungen hiervon in Kenntnis gesetzt.
Infolge eines bezüglichen Ansuchens der österreichisch-ungarischen Gesandtschaft in Bern, haben wir ein neues V e r z e i c h n i s der B e h ö r d e n , welche in den einzelnen Kantonen die Strafregister führen und an' welche sich die k. k. Gerichte unmittelbar wenden können, um Strafregisterauszüge zu erlangen, angefertigt und ihr zugestellt.
Die gegenseitige Mitteilung von A u s z ü g e n von S t r a f u r t e i l e n , die gegen Angehörige eines andern Landes ergangen sind, hat die Schweiz bis jetzt mit folgenden Staaten vereinbart: a. durch spezielle Übereinkommen mit Belgien 1879, mit Frankreich 1880 und mit Luxemburg 1884; b. bei Abschluß der Auslieferungsverträge mit Italien, Portugal, Rußland, Deutschland, Serbien, Österreich-Ungarn und den Niederlanden.
u. Auslieferungen und Strafverfolgungen.
5. Die Gesamtzahl der A u s l i e f e r u n g s f ä l l e , die unser Justiz- und Polizeidepartement im Berichtsjahre beschäftigt hat, beträgt 607 gegen 588 im Vorjahre und 574 im Jahre 1900.
Es wurden 144 Begehren von der Schweiz im Auslande ^1901 : 147) und 463 von auswärtigen Staaten bei der Schweiz (1901: 441) anhängig gemacht. Außerdem gingen 15 Gesuche um D u r c h t r a n s p o r t e von Delinquenten durch die Schweiz von ·auswärtigen Staaten ein.
Sodann hatte sich das Departement noch mit 41 Auslieferungsangelegenheiten aus früheren Jahren zu befassen.
Die Auslieferungsbegehren des Auslandes bei der Schweiz verteilen sich folgendermaßen auf die einzelnen Staaten : Deutschland (die drei süddeutschen Staaten 195) 285 Frankreich 46 Italien 97 J Österreich-Ungarn ,, .
35 o" Von diesen Begehren sind 380 (6 durch das Bundesgericht) bewilligt worden; in 48 Fällen blieben die Nachforschungen nach den Verfolgten resultatlos, in 27 wurde das Begehren zurückge-
L
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zogen und in 3 (davon l durch das Bundesgericht) dasselbe verweigert. Fünf Fälle waren am Ende des Jahres noch nicht erledigt.
Von den Auslieferungsbegehren, welche die Schweiz bei auswärtigen Staaten gestellt hat, gingen an: Belgien 6 Deutschland (die drei süddeutschen Staaten 23) 49 Frankreich 65 Großbritannien . . . . f 6 Italien. . .
3 Luxemburg l Niederlande l Österreich-Ungarn 12 Rußland l Von diesen Gesuchen der Schweiz wurde 93 entsprochen, während 7 verweigert worden sind. In 23 Fällen blieben die Verfolgten unentdeckt, und in 13 wurde das Begehren zurückgezogen. Acht Fälle waren am Schlüsse des Jahres noch pendent.
Das im vorigen Jahre bei A u s t r a l i e n (Viktoria) gestellte Auslieferungsbegehren hatte schließlich Dank der vielfachen Bemühungen des schweizerischen Konsulates in Melbourne den gewünschten Erfolg. Die durch diese Auslieferung entstandenen Kosten beliefen sich auf Fr. 7845.
Die Kosten, welche nach Maßgabe von Art. 31 des Auslieferungsgesetzes von 1892 vom Bund an die K a n t o n e zu vergüten sind, betrugen im Jahre 1902 Fr. 8686. (1901 : Fr. 893T 20 Cts.)
6. Von dem Gesichtspunkt geleitet, daß das B u n d e s g e r i c h t , wenn es in den Fall kommt, infolge des Einsprucheseines vom Ausland verfolgten Individuums im Sinne von Art. 23 des Auslieferungsgesetzes von 1892 über dessen A u s l i e f e r u n g zu e r k e n n e n , nicht zur Entscheidung über das von Staat zu Staat gestellte Auslieferungsbegehren berufen ist, sondern lediglich darüber, ob die schweizerischen Behörden, an die der Antrag der auswärtigen Regierung gerichtet ist, demselben stattzugeben haben oder nicht, wurde in Abänderung der bisherigen Fassung der betreffenden Urteile des Bundesgerichtes mit diesem vereinbart, daß in Zukunft die Anführung der ersuchenden Regierung beziehungsweise deren Gesandtschaft im Urteilskopfe wie auch im Dispositiv weggelassen werden. Es soll das Dispositiv des Urteils einfach dahin lauten, es sei die Einsprache des Requirierten gegen seine Auslieferung abgewiesen resp. gutgeheissen, und es habe daher die Auslieferung stattzufinden beziehungsweise nicht zu erfolgen..
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579 7. Gemäß dem Réglemente über die Polizeitransporte auf den schweizerischen Eisenbahnen vom 9. Juli 1881 halten wir darauf, daß die a u s z u l i e f e r n d e n P e r s o n e n als Arrestanten in den Z e l l e n der G e p ä c k w a g e n an die Grenze, wo sie übergeben werden sollen, geschafft werden. Eine kantonale Behörde machte darauf aufmerksam, daß diese Transportart bei der Kälte schlechterdings nicht möglich sei, da die Zellen vielfach nicht geheizt seien. Hierdurch wurden wir veranlaßt, uns an das schweizerische Eisenbahadepartement zu wenden, um Auskunft über die Heizbarkeit jener Zellen im Winter zu erlangen, und eventuell die Prüfung der Frage anzuregen, ob nicht auf den schweizerischen Eisenbahnen die heizbaren Zellen vermehrt werden können. Das Eisenbahndepartement unterbreitete die Angelegenheit der Präsidialverwaltung des schweizerischen Eisenbahnverbandes zur Prüfung und Äußerung. In seiner Vernehmlassung erklärte dieser nun im wesentlichen folgendes: 1. Die für Arrestantentransporte in Frage kommenden Gepäckwagen sind mit je einer Zelle von 2--4 Personen versehen.
Der größte Teil dieser Zellen ist jetzt schon heizbar und der Eisenbahnverband will dafür Sorge tragen, daß alle Zellen mit Dampfheizuog eingerichtet werden.
2. Eine Vermehrung der Zellen in den Gepäckwagen könnte nur auf Kosten des Laderaumes geschehen, was angesichts der Bedürfnisse des Betriebsdienstes nicht angängig ist. Für neu zu erstellende Gepäckwagen sollen Zellen mit Platz für 4 Arrestanten in Aussicht genommen werden.
3. Sofern die kantonalen Polizeibehörden über eine einheitliche Organisation des Arrestantentransportes auf bestimmten Linien und an einzelnen Wochentagen sich verständigen würden, wären die Bahn Verwaltungen auch bereit, die Frage des Baues und der Inbetriebsetzung spezieller Gefangenentr.'insportwagen ins Auge zu fassen. .
Von diesen Ausführungen wurden die kantonalen Polizeibehörden in Kenntnis gesetzt mit dem Bemerken, daß in Anbetracht derselben für die Zukunft keine Bedenken mehr bestehen, die Arrestanten auch zur Winterszeit in den Zellen der Gepäckwagen zu transportieren. Gleichzeitig wurden jene Behörden um ihre Meinung über eine etwaige Einführung von speziellen Gefangenentransportwagen befragt. Die Antworten hierauf stehen am Ende des Jahres noch von verschiedenen Kantonen aus, so daß die weitere Behandlung der Angelegenheit ins nächste Jahr fallen wird.
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8. Wie die Verschiedenheit der kantonalen Strafgesetze bald aur Verweigerung einer vom Auslande nachgesuchten Auslieferung, bald zu deren Bewilligung führen kann, zeigte folgender Fall.
Im vorigen Jahr wurde von Deutschland die Auslieferung eines M. P. J., der sich nach B a s e l geflüchtet hatte und dort verhaftet worden war, wegen Vornahme unsittlicher Handlungen mit Kindern verlangt. Damals mußte auf die Einsprache des Verfolgten hin die Auslieferung verweigert werden, da nach dem Strafgesetz des Kantons Baselstadt (§ 94 Schlußsatz) die Verfolgung wegen der dem Requirierten zur Last gelegten Handlungen nur auf Antrag stattfindet, ein solcher aber von den Berechtigten nicht gestellt werden wollte (vgl. bundesger. Entscheid vom 2.
Oktober 1901).
Im Laufe dieses Jahres wurde J., der sich seither nach Z ü r i c h begeben hatte, auf Veranlassung der verfolgenden deutschen Amtsstelle daselbst festgenommen und die Deutsche Gesandtschaft erneuerte das frühere Auslieferungsbegehren.
Nun war diesem zu entsprechen, indem die in Frage kommenden Vergehen nach dem am Zufluchtsorte Zürich geltenden Strafrecht ebensowenig Antragsdelikte sind, wie nach dem deutschen Strafgesetzbuche, vielmehr von Amts wegen verfolgt werden (bundesger. Entscheid vom 10.
.Mai 1902}.
9. Unter Berufung auf Art. II, Ziffer 8, des Auslieferungsvertrages zwischen der Schweiz und Österreich-Ungarn vom 10.
März 1896 suchten wir bei Ö s t e r r e i c h um die Auslieferung des württembergischen Staatangehörigen H. J. K. nach, der von der Staatsanwaltschaft St. Gallen wegen grober u n z ü c h t i g e r H a n d l u n g e n vor K i n d e r n verfolgt wurde. Das k. k. Oberlandesgericht Wien entschied indessen in Übereinstimmung mit dem k. k. Justizministerium, es sei dem gestellten Begehren keine Folge zu geben, da das österreichische Strafgesetz (§ 516) die dem K.
zur Last gelegte strafbare Handlung nicht mit einer einjährigen oder schwereren Freiheitsstrafe bedrohe, wie dies nach Art. I, Abs. 2, des Auslieferungsvertrages verlangt wird.
10. Zwei Italiener hatten die mittelst Einbruchs in ein Bijouteriegeschäft in Evian (Hoch-Savoyen) entwendeten Gegenstände zum Teil nach Genf gebracht und dem daselbst wohnenden italienischen Staatsangehörigen P. B. übergeben. Die f r a n z ö sische Botschaft suchte nun um die Auslieferung dieses
B. wegen T e i l n a h m e a n d e m f r a g l i c h e n D i e b s t a h l du roh H e h l e rei nach. Wir mußten das gestellte Begehren ablehnen, weil das dem B. zur Last gelegte Delikt in Genf begangen worden ist und es daher den dortigen Behörden zukommt, die Verfolgung
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derselben vorzunehmen. Wir konnten uns auf einen ähnlichen Fall aus dem Jahre 1896 berufen, welcher vom Bundesgericht in entsprechendem Sinne entschieden worden ist (vgl. bundesger. Entscheid., Bd. XXII, S. 399 f.).
11. Die bernischen Behörden hatten den Antrag gestellt, es möchte bei der f r a n z ö s i s c h e n R e g i e r u ng die R ü c k l i e f e r u n g e i n e s M i n d e r j ä h r i g e n , der aus der Zwangserziehungsanstalt zu Trachselwald entwichen war und sich nach Frankreich gefluchtet hatte, erwirkt werden. Wir konnten diesem Ansuchen nicht Folge geben, da die französische Regierung die im Jahre 1880 zwischen der Schweiz uad Frankreich auf dem Korrespondenzwege zu stande gekommene Vereinbarung betreffend die Rückleitung der aus einer Besserungsanstalt des einen Landes in das andere entwichenen Minderjährigen, veranlaßt durch einen Entscheid im Abgeordnetenhause, im vorigen Jahr gekündet hat.
Es ist hiervon den Kantonen durch Kreisschreiben vom 11. Mai 1901 Mitteilung gemacht worden (Bundesbl. 1901, III, 375). Infolgedessen kann die Zuführung junger Leute, welche sich aus schweizerischen Besserungsanstalten nach Frankreich geflüchtet haben, nur durch Einleitung eines Verfahrens bei dem zuständigen französischen Zivilgerichte, oder eventuell im Auslieferungsverfahren, wenn sie sich eines Auslieferungsdeliktes schuldig gemacht haben, erwirkt werden.
12. In einem Falle, in welchem wir bei der i t a l i e n i s c h e n Regierung vorstellig wurden, daß ein von uns requiriertes Individuum s e i t v i e l e n Wo eh en in I t a l i e n in H a f t z u r ü c k b e h a l t e n werde, obwohl dasselbe schon längst in seine Auslieferung an die Schweiz eingewilligt habe, erwiderte das k. Justizministerium, daß, wenn auch der Verfolgte in seine Auslieferung einwillige, das gestellte Begehren ausschließlich als eine öffentliche Angelegenheit augesehen und dementsprechend nach den bezüglichen gesetzlichen Vorschriften behandelt werden müsse. Danach sei jedes Begehren der zuständigen italienischen Anklagekammer zur Entscheidung und dem Staatrate zur Begutachtung zu unterbreiten.
13. Die Deutsche Gesandtschaft hatte um die Auslieferung des in Berlin wegen Betruges verfolgten deutschen Reichsangehörigen H. R. P. nachgesucht. Dieser befand sich zu Zürich in Haft, wohin er wegen eines ihm dort zur Last
gelegten Verbrechens von P o r t u g a l a u s g e l i e f e r t w o r d e n war. R. protestierte gegen seine Auslieferung an die d e u t s c h e n B e h ö r d e n und berief sieh auf Art. 5 des schweizerisch-portugiesischen Auslieferungsvertrages vom 30. Oktober 1873, in welchem bestimmt ist, daß das ausgelieferte Individuum in keinem Fall wegen irgend Bundesblatt. 55. Jahrg. Bd. I.
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582 eines anderen vorangegangenen Verbrechens oder Vergehens, das nicht identisch ist mit demjenigen, welches die Auslieferung begründet hat, beurteilt oder bestraft werden darf. Infolgedessen veranlaßten wir in Berücksichtigung eines Entscheides des schweizerischen Bundesgerichtes vom Jahre 1877 betreffend einen ähnlichen Fall (s, bundesger. Entscheid., Ili, 108 ff.) unser Generalkonsulat in Lissabon, bei der portugiesischen Regierung anzufragen, ob sie ihre Zustimmung zur Auslieferung des R. an Deutschland wegen der in Frage kommenden Betrugshandlung gebe. Die Antwort war eine bejahende. Es erklärte die portugiesische Regierung, im vorliegenden Falle nicht zu verlangen, daß von seiten der Schweiz die Vorschrift von Art. 5 des schweizerisch-portugiesischen Auslieferungsvertrages innegehalten werde, und zwar, weil die Zulieferung an einen dritten Staat mit dem Sinne von Art. 8 und 19 des Vertrages im Einklang stehe, R, ein Angehöriger des requirierenden Staates sei und die Straftat, wegen deren seine Auslieferung verlangt werde, geringer sei als die, welche seiner Auslieferung von Portugal an die Schweiz zu Grunde gelegen habe.
R. wurde daraufhin der verfolgenden deutsehen Behörde zugeführt.
Das gegen ihn in Zürich eingeleitete Strafverfahren wurde aufgehoben, da die Untersuchung ergeben, daß er sich des ihm dort zur Last gelegten Verbrechens nicht schuldig gemacht hat.
lé. Gesuche um s t r a f r e c h t l i c h e Verfolgung von S c h w e i z e r n , die im Ausland delinquiert und sich in die Schweiz geflüchtet haben, sind uns im Berichtsjahre 38 (1901: 34) zugegangen, nämlich 30 von Deutschland, 5 von Frankreich, 2 von Liechtenstein und l von Österreich-Ungarn. Nach Prüfung der erhaltenenen Untersuchungsakten und Feststellung des Kantons, dem nach Maßgabe von Art. 2, Absatz 3, des Bundesgesetzes über die Auslieferung vom 22. Januar 1892 die Strafverfolgung zukommt, ließen wir der betreffenden Kantonsregierung die Akten zugehen, damit sie die Verfolgung des Beschuldigten veranlasse.
Außerdem hatten wir uns mit 10 solchen Angelegenheiten aus früheren Jahren zu beschäftigen.
Von jenen Strafverfolgungsfälleo hatten 10 am Ende des Jahres noch nicht die gerichtliche Erledigung gefunden.
Bei a u s w ä r t i g e n Staaten haben wir im Berichtsjahre 98 Begehren (1901: 83) um strafrechtliche Verfolgung
von Angehörigen derselben, die nach Begehung strafbarer Handlungen in der Schweiz in ihre Heimat geflohen waren, gestellt, nämlich bei Bulgarien l, bei Deutschland 75, bei Frankreich 7, bei Großbritannien l, bei Italien 10, bei Österreich - Ungarn 2 und bei Bußland 2. Vom Vorjahre pendent gebliebene Fälle dieser Art waren 21, mit denen wir uns zu befassen hatten.
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Am Schlüsse des Jahres waren bezüglich 34 hierseitiger Begehren die Berichte der auswärtigen Staaten über die Erledigung, die dieselben gefunden haben, noch nicht eingegangen.
15. Von der l i e c h t e n s t e i n i s c h e n Regierung wurde anläßlich der Stellung eines Antrages um strafrechtliche Verfolgung eines schweizerischen Angehörigen, der sich auf liechtensteinischem Gebiete eines Diebstahls schuldig gemacht hatte, die B e o b a c h t u n g des G e g e n r e c h t s gegenüber der Schweiz für einen ähnlichen Fall mit der Erklärung zugesichert, daß nach den dort gültenden Vorschriften liechtensteinische Untertanen, welche im Auslande eine strafbare Handlung hegangea haben, bei ihrer Betretung im Inlande nie an das Ausland ausgeliefert, dagegen in Liechtenstein von selbst strafrechtlich verfolgt werden, ohne daß es erst eines Antrages des fremden Staates, in welchem das Delikt begangen wurde, bedarf. Dabei wird nur der Unterschied gemacht, daß die Verfolgung wegen eines Verbrechens- unbedingt eintritt und nur die allfällig im Ausland erlittene Strafe in dio nach dem liechtensteinischen Strafgesetze zu verhängende eingerechnet wird, während Vergehen und Übertretungen, welche Liechtensteiner im Auslande verübt haben, nur insoweit verfolgt werden, als dieselben in dem betreffenden fremden Staate noch nicht bestraft worden sind.
16. Der schweizerische Angehörige H. B., gewesener praktischer Arzt in Laufenburg (Aargau), wurde von der großherzoglich badischen Staatsanwaltschaft in Waldshut wegen f a h r l ä s s i g e r K ö r p e r I e t z u n g verfolgt, deren er sich dadurch schuldig gemacht hat, daß er unterlassen hatte, den einer Frau S. in Oberhof (Baden) wegen eines Unterschenkelbruches am 19. Oktober 1900 angelegten Gipsverband in den folgenden Tagen zu untersuchen und infolge dieser Pflichtvernachlässigung das betreffende Bein derart in brandige Zersetzung geriet, daß es am 8. November gleichen Jahres oberhalb des Kniees amputiert werden mußte. B. stullfe sich nicht bei der in der Sache auf den 14.
Mai 1901 anberaumten Hauptverhandlung vor der Strafkammer des Landgerichtes Waldshut und ließ erklären, daß er auch zu einer späteren Verhandlung nicht erscheinen werde. Infolgedessen beantragte die badische Regierung mit Note vom 17. Juli 1901 beim Bundesrat, es möchte bewirkt werden, daß durch
die schweizerischen Behörden die strafrechtliche Verfolgung des B. übernommen werde.
Wir gaben hiervon zunächst der aargauischen Regierung Kenntnis, damit sie die Gerichtsbehörden ihres Kantons zur ErÖffnung (Uw Strafverfahrens gegen B. veranlasse. Sie erwiderte jedoch,
584 daß die Strafbehörden des Kantons Aargau zur Übernahme dei- Strafverfolgung im vorliegenden Falle weder berechtigt noch verpflichtet seien, indem B. unterm 21. Juni 1901 seine Heimatschriften in Laufenburg zurückgezogen habe und seit dem 24. gleichen Monats eine Niederlassungsbewilligung im Kanton Baselstadt besitze. Mit Rücksicht hierauf machten wir die Angelegenheit bei den Behörden zu Basel anhängig. Die dortigen Gerichte erklärten sich aber in erster und zweiter Instanz zur Beurteilung des Falles als inkompetent, da B.
zur Zeit der Begehung der Tat nicht im Kanton Baselstadt, sondern im Kantou Aargau gewohnt habe. Wir gelangten deshalb neuerdings an die aargauische Regierung, damit sie der Angelegenheit die von der badischen Regierung beantragte Folge geben lasse.
Sie überwies nun die badischen Strafakten an die kantonalen Gerichtsbehörden und es erfolgte unterm 1. Mai 1902 eine Verurteilung des B. durch das Bezirksgericht Laufenburg, wobei ihm als Strafe eine Geldbuße von 1000 Fr. auferlegt wurde. Die Frage der Entschädigung der Frau S. war vorher gütlich zwischen den Parteien erledigt worden. Das Bezirksgericht Laufenburg hat in seinem Entscheide angenommen, daß der Gerichtsstand (forum domicilii) daselbst begründet sei, indem es sich ergeben habe, daß B. sowohl zur Zeit der Tat als auch zur Zeit der Anhebung der Klage durch die Geschädigten zu Waldshut, somit im Beginn der Untersuchung, und endlich auch im Zeitpunkte noch, als das großherzoglich badische Ministerium den Bundesvat um Übernahme der Strafverfolgung ersuchte, in Laufenburg gewohnt habe; er habe diesen Wohnort mit seiner Familie erst am 26. Juli 1901 verlassen. Die Veränderung des Wohnsitzes durch B. könne den einmal festgesetzten Gerichtsstand nicht beeinflussen; es sei von ihm offenbar beabsichtigt gewesen, dnrch sukzessive Veränderung des Aufenthaltsortes sich der Strafverfolgung zu entziehen.
III. Rogatorien.
17. Unser Justiz- und Polizeidepartement hatte sich während des Berichtsjahres mit der Übermittlung von 344 g e r i c h t l i c h e n R e q u i s i t o r i e n zum Zwecke der Erwirkung ihrer Vollziehung zu befassen. 227 derselben bezogen sich auf Zivilangelegenheiten und 117 auf Strafsachen. Außerdem hatte es in 490 Fällen bei der Notifikation von G e r i c h t s a k t en mitzuwirken (1901 betrug die Gesamtzahl
der Requisitorien und Zustellungen 383, 1900: 380).
Vom Auslande sind hiervon 117 Requisitorien und 410 Gerichtsakte zur Vollziehung beziehungsweise Zustellung eingelangt;
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von der Schweiz gingen 227 Requisitorien und 80 Gerichtsakte ans Ausland.
18. Ein Ansuchen der kais. Deutschen Regierung, die A m t s s t e l l e n der s c h w e i z e r i s c h e n K a n t o n e mitteilen zu wollen, an welche sich die deutschen Gerichtsbehörden wegen R e c h t shülfe in S t r a f s a c h e n unmittelbar wenden können, veranlaßte uns, darüber Erhebungen iu den Kantonen zu machen. Auf Grund der erhaltenen Angaben waren wir im stände, ein bezügliches Verzeichnis festzustellen und der deutschen Regierung zu übermachen.
19. Verschiedene Vorgänge veranlaßten uns, die kantonalen Behörden darauf aufmerksam zu machen, daß es die konstitutionelle Organisation der Schweiz nicht gestatte, f r e m d e n S t a a t e n z u r E r r e i c h u n g m i l i t ä r i s c h e r Z w e c k e b e h ü l f l i c h z u sein, und daß daher bezügliche Gesuche um Einvernahme von Personen oder um Zustellung von Militärakten und dergleichen abzulehnen seien (s. Kreisschreiben an die Kantonsregierungen, im Bundesbl. 1901, II, 904).
20. Das französische Ministerium der Justiz hat sieh veranlaßt gesehen, durch Zirkular vom 10. April 1902 den Generalprokuratoren in den an die Schweiz angrenzenden Departementen den modus vivendi in Erinnerung zu bringen, welcher im Jahre 1885 mit Bezug auf den V e r k e h r z w i s c h e n den f r a n z ö sischen und schweizerischen Behörden in S t r a f s a c h e n vereinbart worden ist und wonach im Einklang mit Art. 12 des Auslieferungsvertrages zwischen der Schweiz und Frankreich vom 9. Juli 1869 eine gegenseitige direkte Korrespondenz nur für die Beschaffung von Auszügen aus den Slrafregistern und Strafurteilen eintreten kann, während im übrigen der Verkehr in der Regel (dringliche Fälle ausgeschlossen) auf dem diplomatischen Weg stattfinden soll.
Den Kantonen ist seinerzeit jener modus vivendi durch Kreisschreiben vom 20. Januar 1885 (Bundesbl. 1885, I, 189) zur Kenntnis gebracht worden. Wir teilten ihnen nun auch das fragliche neue Zirkular des französischen Justizministeriums mit, damit die in Betracht kommenden kantonalen Behörden auf dasselbe aufmerksam gemacht werden können.
21. In Anbetracht der italienischen Gesetzgebung hat es die i t a l i e n i s c h e R e g i e r u n g für geboten erachtet, für die Erwirkung der Zustellung von g e r i c h t l i c h e n ö d e r a u ß e r g e r i c h t l i c h e n A k t e n i n d e r Schweiz anstatt d e m
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d i p l o m a t i s c h e n Weg einzuschlagen. Hierdurch wird indessen für das Verfahren der schweizeriscHen Behörden nichts geändert.
Es findet die Übermittlung der fraglichen Aktenstücke seitens der Schweiz an Italien auf dem in Art. III des Protokolls zu den schweizerisch-italienischen Verträgen von 1808 vorgesehenen Weg statt, indem das Bundesgericht und die kantonalen Obergerichte sie jeweilen dem Prokurator des zuständigen italienischen Appellhofes zugehen lassen, der für die Zustellung der Aktenstücke an den Adressaten gegen Erhebung einer Empfangsbescheinigung besorgt ist. Wir haben den Kantonsregierungen mit Kreisschreiben vom 29. Dezember 1902 hiervon Mitteilung gemacht.
IY. Heimschaffungen.
22. Die Zahl der Fälle von Heimschaffungen v e r l a s s e n e r Kinder, Geisteskranker und der öffentlichen Wohlt ä t i g k e i t an h e i m g e f a l l en er P e r s o n e n belief sich im Berichtsjahre auf 155 (1901: 166, 1900: 162) und betraf 210 Personen.
Die S c h w e i z wurde seitens des A u s l a n d e s um die Heimschaffung von 68 Personen (54 Gesuche umfassend) angegangen, nämlich von 18 verlassenen Kindern, 30 Geisteskranken und 20 Hülfsbedürftigen. Aus Frankreich liefen 37 Gesuche ein, ans Deutschland 9, aus Österreich-Ungarn 4, und aus Rußland, Norwegen, Luxemburg und China je 1. Von den 68 Personen wurden 47 als schweizerische Angehörige ermittelt und übernommen, 10 dagegen wurden nicht anerkannt, während die Begehren in 6 Fällen zurückgezogen und in 5 Fällen durch Genesung oder Todesfall gegenstandlos geworden sind.
Die S c h w e i z stellte an das A u s l a n d auf diplomatischem Wege 101 Heimschaffungsbegehren betreffend 142 Personen. Davon entfielen auf Frankreich 42 Begehren, auf Italien 41, auf Österreich-Ungarn 7, auf Deutschland 5, auf Nordamerika und Rußland je 2 und auf Dänemark und Belgien je 1. Von den 142 Personen wurden 95 vom Auslande als Angehörige anerkannt und heimgeschafft, die Übernahme von l Person wurde abgelehnt, bei 26 Personen wurden die Begehren zurückgezogen und bei 20 derselben sind die hierauf bezüglichen Ansuchen gegenstandslos geworden.
Außerdem sind von Deutschland 38 Gesuche um Bewilligung des Durchtransporte von 40 Hilfsbedürftigen oder geisteskranken Italienern über schweizerisches Gebiet auf Kosten des requirierenden Staates, sowie ein ähnliches Begehren vom Groß-
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Herzogtum Luxemburg, eingegangen.
entsprochen worden.
Sämtlichen Gesuchen ist
23. Nach der Erklärung zwischen der Schweiz und Italien, betreffend den Polizeidienst in den Gotthardbahnstationen zu Chiasso und Luino vom 11. November 1884/12. Januar 1885 dürfen keine Individuen heimlich in das Gebiet des andern Staates übergesetzt werden. Sie müssen stets von der Polizei des einen Staates an die Polizei des andern Staates übergeben und mit einem Transportbefehl begleitet werden.
Während in früheren Jahren die Durchführung dieser Bestimmungen seitens des Königreichs Italien der Schweiz zu keinen Bemerkungen Anlaß gegeben hat, sahen sich im Laufe des Berichtsjahres einige Kantone, insbesondere der Kanton Tessin, veranlaßt, bei den Bundesbehörden darüber Besehwerde zu führen, daß italienischePolizeibehörden einen großen Teil der wegen Mittellosigkeit in Italien zur Last fallenden deutschen Staatsangehörigen nicht mehr unserer Grenzpolizei zum Durchtransporte durch die Schweiz auf Kosten von Italien übergaben, sondern den Auszuweisenden Eisenbahubiliets zur Reise über die Schweizergrenze verschafften und es sodann den tessinischen Behörden und denjenigen der andern Kantone überließen, auf ihre Kosten den Durchtransport durch die Schweiz nach Deutschland zu besorgen.
Der Bundesrat sah sich deshalb veranlaßt, die königlich italienische Regierung zu ersuchen, den ehevorigen Zustand wieder herzustellen, d. h. die italienischen Polizeibehörden anzuweisen, die Bestimmungen des Abkommens vom Jahre 1884 genau zu beachten, wie dies in früheren Jahren auch der Fall gewesen ist.
2e. Vom 10. Mai bis 26. Oktober 1901 wurden aus Deutschland, gewöhnlich in zahlreicheren Gruppen, an unsere Nordgrenze geführt zum Durchtransport durch die Schweiz nach Italien : Aus dem Großherzogtum Luxemburg Über Basel 200, aus verschiedenen Staaten des Deutschen Reiches : über Basel 556, über Sehafthausen 30 und über Rorschach l, zusammen 787, wegen Mittellosigkeit ausgewiesene italienische Staatsangehörige.
Die Transportkosten bis au die italienische Grenze in Chiasso wurden der Schweiz sowohl vom Großherzogtum Luxemburg, als auch von den verschiedenen deutschen Staaten für alle diese heimgeschafften Personen bezahlt. Die hierauf bezüglichen Verhandlungen haben aber erst im Berichtsjahre ihre Erledigung gefunden.
25. Auch in diesem Jahre haben sich für die Schweiz Unannehmlichkeiten ergeben in Fällen, in welchen sie auf diplomatischem Wege die Einwilligung der französischen Regierung zur Heim-
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Schaffung von in der Schweiz der öffentlichen Wohltätigkeit zur Last fallenden mittellosen kranken, oder unheilbaren, aber immerhin transportfähigen französischen Staatsangehörigen verlangt hat.
Eine solche Einwilligung vermag die französische Regierung häufig nicht zu erteilen, da die französische Gesetzgebung für keine Behörden Frankreichs irgend eine obligatorische Pflicht zur Unterstützung von Kranken, Unheilbaren oder Greisen enthält, so daß man weder einer französischen Gemeinde noch dem französischen Staate eine durch gesetzliche Vorschriften begründete Verpflichtung zur Unterstützung solcher Personen zumuten darf.
Nach Art. 5 des Niederlassungsvertrages mit Frankreich vom 23. Februar 1882 sollen zwar die Angehörigen des einen der beiden Staaten, welche im andern wohnhaft sind und in die Lage kommen sollten, durch gesetzliche Verfügung u. s. w. weggewiesen zu werden, zu jeder Zeit samt Familie in ihrer ursprünglichen Heimat wieder aufgenommen werden. Frankreich hat sich denn auch nie geweigert, seine Angehörigen wieder anzunehmen. Aber wenn bei einer auf diplomatischem Wege begehrten Heimschaffung der ersuchte Staat die Bewilligung erteilt zur Heimschaffung, so übernimmt dieser Staat nach heutiger Anschauung damit zugleich die moralische Verpflichtung, sich nun auch um die weitere Versorgung des Heimzuschaffenden zu bekümmern, was eben die französische Regierung infolge des oben hervorgehobenen Mangels am Vorhandensein einer gesetzlichen Verpflichtung zur Armenunterstiltzung nicht kann. Es bliebe somit einer schweizerischen Gemeinde nichts anderes übrig, als einen ihr wegen Mittellosigkeit zur Last fallenden kranken, unheilbaren, oder greisen französischen Staatsangehörigen polizeilich an die französische Grenze zu stellen, wo ihm beim Vorhandensein der erforderlichen Ausweisschriften den Eintritt in sein Heimatland niemand verwehren, aber auch keine Behörde für ihn sorgen würde. Daß unsere oft stark bebelasteten Gemeinden in solchen Fällen aus Humanitätsgründea von dem ihnen vertraglich zustehenden Rechte der polizeilichen Heimschaffung solcher kranker Ausländer unter den vorliegenden Verhältnissen keinen Gebrauch machen, gereicht ihnen nur zur Ehre.
Y. Verschiedenes.
26. Eine Anregung Frankreichs bezüglich des Abschlusses eines Vertrages zwischen der Schweiz und Frankreich betreffend gegenseitige Übernahme von Zigeunerbanden gab dem Justiz- und Polizeidepartement Anlaß, für die Übernahme solcher Banden das
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Vorhandensein folgender Voraussetzung als notwendig zu bezeichnen : 1. Den Nachweis, daß der Transit durch die Schweiz notwendig ist, damit die betreffenden Banden auf kürzestem Wege ihr Heimatland erreichen können, und daß der Heimatstaat sich bereit erklärt hat, sie zu übernehmen, eventuell, daß auch zwischenliegende Länder den Transit ihrerseits übernehmen.
2. Daß die Durchtransportkosten von demjenigen Staat getragen werden, der den Durchtransport wünscht.
Bei Behandlung dieser Frage wurde zugleich daran erinnert» daß nicht nur Frankreich und die Schweiz, sondern noch alle möglichen übrigen Länder von solchen Nomadenbanden mehr oder weniger belästigt werden. Es ergebe sich daraus die Notwendigkeit, daß eine Vereinbarung anf der oben angedeuteten Basis nicht nur Frankreich und die Schweiz, sondern eine größere Zahl von Staaten umfassen sollte.
C. Bundesanwaltschaft.
I. Bundesslrafrecht.
"1. Die im letzten Jahre unerledigt gebliebenen Fälle von E i s e n b a h n g e f ä h r d u n g haben im Berichtsjahre ihre Erledigung gefunden, und zwar endigte von den 8 Fällen, in denen böswillige Absicht vorgelegen hatte, nur einer mit Verurteilung des Urhebers, in den andern 7 mußte das Strafverfahren eingestellt werden, weil die Täterschaft nicht hatte ermittelt werden können; bei den 16 Fällen, welchen Fahrlässigkeit zu Grunde gelegen halte, erfolgte in 10 derselben Verurteilung und in 4 Freisprechung des oder der Angeschuldigten, in 2 Fällen mußte die angehobene Untersuchung mangels genügenden Schuldbeweises sistiert werden.
In dem noch aus dem Jahr 1900 hängig gewesenen Fall von fahrlässiger Eisenbahngefährdung erfolgte im Berichtsjahr endgültige Freisprechung des Angeschuldigten.
2. Im J a h r 1902 wurden behandelt: 108 Gefährdungen des E i s e n b a h n b e t r i e b e s , 40 Gefährdungen des T r a m w a y b e t r i e b e s, 3 Gefährdungen des P o s t b e t r i e b e s , i Gefährdung des D a m p f s c h i f f b e t r i e b e s .
590 3. A b s i c h t l i c h e G e f ä h r d u n g e n waren herbeigeführt worden durch : a. Legen von Gegenständen auf das Geleise in . 10 Fällen 6. Steinwürfe gegen Eisenbahnzüge in . . . .
22 ,, c. Schießen gegen Eisenbahnzüge oder Postwagen in 4 ,, d. Bahnbechädigung in 3 ,, e. Verkeilen einer Weiche in l Fall f. Tätlichen Angriff gegen einen auf der Fahrt befindlichen Postwagen in l n 41 Fälle.
K e i n e F o l g e w u r d e g e g e b e n : einem Fall, weil keine erhebliche Gefahr vorhanden war und fünf andern Fällen, weil den jugendlichen Angeschuldigten gegenüber ^eine strafrechtliche Zurechnung nicht stattfinden konnte.
Von den 35 zur Beurteilung an die kantonalen Gerichte gewiesenen Fällen fanden nur 4 ihre Erledigung durch Verurteilung der Angeklagten; in 25 derselben mußte die Untersuchung sistiert werden, weil die Täterschaft nicht ermittelt werden konnte, und 6 Fälle sind noch unerledigt.
e. Bei den f a h r l ä s s i g e n G e f ä h r d u n g e n handelte es sich um : a. Erfolgten oder drohenden Zusammenstoß von Zügen oder Zugsteilen 41 Fälle b. Entgleisungen 22 ,, c. Kollision mit Fuhrwerken 33 ,, d. auf dem Bahnkörper liegende Gegenstände . .
2 Fälle e. Entlaufen von Wagen 3 ,, f. Verunglückung von Passagieren oder Bahnpersonal 6 ,, g. auf dem Bahnkörper befindliches Vieh . . .
l Fall h. zu sehnelies Fahren mit einem Tram wagen. .
l ,, i. unbefugtes Öffnen von Barrieren l fl Je. Sturz eines Postwagens über die Straßenböschung l ,, 111 Fälle.
Hiervon gab m a n k e i n e F o l g e : 22 Fällen, weil eine erhebliche Gefährdung nicht konstatiert worden war, 25 mangels eines strafbaren subjektiven Verschuldens, und einem Falle wegen jugendlichen Alters des Beklagten.
Von den 63 zur Beurteilung an die kantonalen Gerichte überwiesenen Fällen endigten 10 mit Freisprechung, 22 mit Verurtei-
591 lung des oder der Angeschuldigten ; die eingeleitete Untersuchung wurde sistiert in 9 Fällen mangels genügenden Schuldbeweises, und in 2 Fällen, weil die Täterschaft nicht ermittelt werden konnte.
20 Fälle sind noch unerledigt.
5. In einem der letztes Jahr unerledigt gebliebenen Fälle von S t ö r u n g des T e l e p h o n - und T e l e g r a p h e n b e t r i e b e s d u r c h Z e r s c h l a g e n v o n I s o l a t o r e n erfolgte Verurteilung der Angeschuldigten, in den zwei andern Fällen mußte die Untersuchung eingestellt werden wegen jugendlichen Alters der Beklagten, beziehungsweise weil die Täterschaft nicht ermittelt werden konnte.
Im Berichtsjahre kamen 10 solcher Fälle zur Behandlung; 7 davon wurde keine strafrechtliche Folge gegeben, und zwar 5 derselben wegen jugendlichen Alters der Angeschuldigten und 2 weil keine strafbare Absicht vorlag. Die 3 zur Beurteilung an die Gerichte gewiesenen Fälle endigten mit Verurteilung der Angeklagten.
6. Zwei aus dem Vorjahre noch ausstehende Urteile betreffend F ä l s c h u n g e n i m Mi l i t a r d i o n s t büchl e i n sind seither eingelangt; im Berichtsjahre wurden 8 solcher Fälle zur Beurteilung an die Gerichte gewiesen, bei 3 derselben mußte das Verfahren eingestellt werden wegen Verjährung des Vergehens beziehungsweise weil der Aufenthalt des Taters nicht ermittelt werden konnte. Einem Falle wurde in bundesstrafrechtlich Beziehung keine weitere Folge gegeben, weil nach Maßgabe der im Berichtsjahre erschienenen bundesrätlichen Verordnung über das militärische Kontrollesen, datiert 15. August 1902, Art. 51 ff., eine im Militärdienstbüchlein vorgenommene Fälschung nur dann zum Gegenstand eines strafgerichtlichen Verfahrens zu machen ist, wenn derselben gewinnsüchtige Absicht zu Grunde gelegen hat.
(Vgl. A. S. n. F. XIX, 138.)
7. Sechs aus dem Vorjahr noch ausstehend gewesene Urteile betreffend A m t s d e l i k t e b e g a n g e n d u r c h P o s t a n g e s t e l l t e sind seither eingelangt. Im Berichtsjahre wurden 9 derartige Fälle an die kantonalen Gerichte gewiesen, hiervon endigten 5 mit Verurteilung der Angeschuldigten, in einem derselben wurde die Untersuchung mangels genügenden Schuldbeweises aufgehoben, und 3 Fälle sind zurzeit noch unerledigt.
8. Im Berichtsjahre sind zwei durch Bundesratsbeschluss aus dem Gebiete der Eidgenossenschaft ausgewiesene Anarchisten wegen Ü b e r t r e t u n g de r L a n d e s v e r w e i s u n g den Gerichten über-
592
·wiesen worden; der eine wurde bereits zu einer entsprechenden Strafe verurteilt, das andere Urteil steht noch aus.
9. Ein Provisionsreisender in Zürich, der sich des Vergehens der W e r b u n g f ü r fr e m d e n K r i e g s d i e n s t schuldig gemacht hatte, wurde den zürcherischen Gerichten überwiesen und von denselben zu zwei Monaten Gefängnis und Fr. 50 Geldbuße verurteilt.
10. Zu Händen des Bundesgerichtes hat die Bundesanwaltschaft im Berichtsjahre 9 A u s l i e f e r u n g s f ä l l e begutachtet.
11. An B e g n a d i g u n g s g e s u c h e n lagen 30 vor, dieselben bezogen sich auf Bestrafungen, welche ausgesprochen worden wegen : a. Eisenbahngefährdung 12 b. Übertretung des Bundesgesetzes über Fabrikation und Vertrieb von Zündhölzchen 8 c. Übertretung des Bundesgesetzes betreffend die Patenttaxen 5 d. Übertretung des Fischereigesetzes 3 e. Übertretung des Zoll- und des Alkoholgesetzes. . . . 3 f. Widerhandlung gegen die Viehseuchenpolizei . . . .
l Von diesen Gesuchen wurden dem Bundesrate zu Handea der Bundesversammlung 19 in empfehlendem, 11 in abweisendem Sinne begutachtet.
Bezüglich der weiteren Behandlung dieser Begnadigungsgesuche durch Bundesrat und Bundesversammlung verweisen wir auf die im Bundesblatt enthaltenen betreffenden Berichte und Verzeichnisse der VerhandlungsgegenstäDde der Bundesversammlung Vgl. Bundesbl. 1902,1, 936, 938, 940,1059, 1061 ; II, 321, 822, 896; III, 385, 610, 615, 619, 621, 885; IV, 205, 207, 209, 211, 213, 215, 413, 415, 417; V, 446, 448, 450, 453. 456, 609, 771.
II. Widerhand hingen gegen eidgenössische Fiskalgesetze.
12. Die im Jahre 1901 noch ausständig gewesenen Urteilssprüche in 2 Fällen von W i d e r h a n d l u n g g e g e n das Z o l l g e s e t z sind seither eingetroffen und lauteten auf Verurteilung der Beklagten.
Im Berichtsjahre wurden an die Gerichte gewiesen: l Fall von Widerhfindlung gegen das Postregal, l Fall von Widerhandlung gegen das Zoll- und das Alkoholgesetz und 5 Fälle von Widerhandlung gegen das Zollgesetz.
593 la 2 dieser Fälle wurde die Strafklage zurückgezogen, weil sich die Angeschuldigten nachträglich unterzogen und die administrativ ausgesprochenen Bußen bezahlten, in den übrigen 5 Fällen erfolgte Verurteilung der Beklagten zu entsprechenden Strafen.
III. Heimatloseirvveseii.
Die alten Fälle von Einbürgerung Heimatloser, von deren Überweisung an die Bundesanwaltschaft im letzten Jahresbericht die Rede war, sind sämtlich bis Ende 1902 durch Bundesratsbeschluß gemäß Anträgen des Generalanwaltes zur Erledigung gelangt. In einem derselben hat eine Gemeinde des Kantons Graubünden die Durchführung des Rechtsstreites gegen Tessin als bloße interkantonale Bürgerrechtsstreitigkeit übernommen, ein anderer wird infolge Einsprache gegen den Entscheid des Bundesrates noch vor das Bundesgericht gelangen.
IV. Gutachten.
1. Über die Strafbarkeit eines Mannes, der auf einen bemannten freischwebenden Militärballon scharfe Schüsse abgefeuert, sprach sich der Generalanwalt dahin aus : Rechtlich liegt unzweifelhaft eine rechtswidrige und vorsätzliche Handlung vor, die, wenn dem Schützen nachgewiesen werden könnte, daß er die Anwesenheit von Menschen im Korbe des Baiions beobachtet und seine Schüsse auf diese gerichtet hätte, sich als Versuch von Tötung oder von Körperverletzung qualifizieren würde. Für den Fall aber, als der Schütze glaubhaft machen kann, daß er nur gegen eine körperliche Sache geschossen, stellt sich seine Handlung dar als Versuch der Beschädigung einer Sache in dem dem Ballon und seinem Inhalt an Instrumenten gleich kommenden Werte.
2. Strafrechtliche Verantwortlichkeit der in Art. 48 des Bundesgesetzes über Ausgabe und Einlösung von Banknoten genannten Leiter und Geschäftsführer von Emissionsbanken ist nur dann und soweit vorhanden, als sie in ihren an den Bundesrat abzugebenden Bilanzen u. s. w. die Geschäfts Verhältnisse der Bank in w i s s e n t l i c h u n w a h r e r Weise falsch darstellen oder verdecken. Der französische Text des Gesetzes : ,,s'ils donnant un exposé faux ou inexact"1 ist diesfalls an Hand des deutschen zu interpretieren, ebenso der italienische.
594 3. Die Vorschrift des Art. 9, letzter Satz, des Postregalgesetzes, wonach die Postverwaltung auf Begehren einer kompetenten Gerichts- oder Polizeibehörde Auskunfterteilung über den Verkehr zwischen bestimmten Personen verfügen kann, soll denjenigen, welche mit Benutzung der Postanstalt in idealen oder in materiellen Rechten geschädigt worden sind, die Möglichkeit gewähren, mit Hülfe der Organe der Postverwaltung sich Genugtuung zu verschaffen. Das Interesse des rechtsuchenden Bürgers wird in dieser Ausnahmebestimmung mit Recht höher gewertet als dasjenige seines Widerpartes, der ihn in seinen Rechten gekränkt hat.
4. Bei Begnadigungsgesuchen von Personen, welche wegen Zuwiderhandlung gegen Bundesstrafgesetze bestraft wurden, hat die Bundesversammlung nach Art. 174 der Bundesstrafrechtspflege nur über die ganze oder teilweise Aufhebung der eigentlichen Strafe, sei es Freiheitsentziehung, sei es Geldbuße, zu entscheiden. Für Gesuche um Rehabilitation (Wiedereinsetzung in die bürgerlichen Rechte) gelten die besondern Bestimmungen des Art. 175 des erwähnten Gesetzes. Die Kosten des Prozesses aber haben, wie aus Art, 125 p und 126 b daselbst mit aller Deutlichkeit hervorgeht, im Bundesstrafprozesse nicht den Charakter der Strafe, sondern denjenigen einer besonderen pekuniären Nebenfolge des Urteilsspruches.
V. Politische Polizei.
Abgesehen von der Ausweisung eines fremden Anarchisten (vgl. Bundesbl. 1902. II, 953) sind im Berichtsjahre keine besondern Maßuahmen notwendig geworden.
D. Versicherungsamt.
Der 15. Spezialbericht des eidgenössischen Versicherungsamtes über das Geschäftsjahr 1900 wurde veröffentlicht auf Beschluß des Bundesrates vom' 27. März 1902.
Im Laufe des Berichtsjahres gelangten an das Versicherungsamt 6 Konzessionsgesuche. Zwei der Gesuchsteller haben ihr Gesuch wieder zurückgezogen, der eine, weil er sich nicht dazu verstehen konnte, die vom Aufsichtsamt geforderten eingehenden Mitteilungen über die Grundlagen der Gesellschaft zu machen, der andere, weil ihm bedeutet wurde, daß das Versicherungsamt sein Gesuch beim Bundesrat zur Zeit nicht unterstützen könne.
595
Erfolgreich war das Gesuch einer waadtländischen PferdeVersicherungsanstalt, deren Geschäftsbetrieb bisher auf den Kanton Waadt beschränkt war, nämlich der A s s u r a n c e Mut u e l l e C h e v a l i n e Suisse. Diese Gesellschaft erhielt die Konzession durch Bundesratsbeschluß vom 8. Dezember 1902.
3 Konzessionsgesuche waren am Schluß des Berichtsjahres noch pendent.
Die 5 im Bericht des Vorjahres als noch schwebend bezeichneten Konzessionsgesuche wurden von den betreffenden Gesellschaften nicht mehr aufrecht erhalten.
2 Konzessionen haben eine Erweiterung erfahren : Die Unfallversicherungsgesellschaft A s s u r a n c e M u t u e l l e V a u d o i s e c o n t r e les A c c i d e n t s , die bisher nur solche Arbeitgeber, die bei der Gesellschaft gegen die Folgen der Haftpflicht versichert waren, auch für ihre Person gegen Einzel Unfall versicherte, hat die Einzelunfallversicherung allgemein eingeführt.
Die S c h l e s i s c h e F e u e r - V e r s i c h e r u n g s - G e s e l l s c h a f t hat ihren Geschäftsbetrieb auf die Versicherung gegen Einbruchdiebstahl ausgedehnt.
Eine Konzessionserneuerung musste im Berichtsjahre nicht erteilt werden. Auch ein Konzessionsverzicht fand nicht statt.
Die Gesamtzahl der Korrespondenzen im Jahre 1902 beträgt 3269, nämlich 1721 eingehende und 1548 ausgehende. Weitaus die Mehrzahl dieser Korrespondenzen bezieht sich auf die eigentliche Aufsicht, sie haben namentlich zum Gegenstand die Vorlage und Behandlung von Versicherungsmaterial, wie Versicherungsbedingungen, Tarife, Policenformulare, Prospekte u. s. w., ferner die Besprechung neuer Statuten und der Geschäftsberichte der Gesellschaften oder die Behandlung anderer versicherungstechnischer, finanzieller oder rechtlicher Fragen. Vorträge an den Bundesrat wurden 158 erstattet.
Wie immer, beschränkte sich die Tätigkeit des Versicherungsamtes nicht auf die ihm durch das Gesetz zugewiesene Aufgabe der Beaufsichtigung der konzessionierten Versicherungsgesellschaften, es wurde vorn schweizerischen Publikum und selbst von Ausländern in zahlreichem Fällen als Auskunftsstelle für die mannigfaltigsten, das Versicherungswesen betreffenden Fragen benutzt.
Die Auskunftserteilung fand teils schriftlich, teils durch persönliche Beratung sfatt, wie denn überhaupt die mündliche Behandlung der Geschäfte von Wichtigkeit
ist. In vielen Fällen ist diese Form der Behandlung unerläßlich.
Ein Bild der Tätigkeit des Versicherungsamtes als Auskunftsstelle gibt folgende Zusammenstellung. Schriftliche Anfragen dieses
596 Inhalts gelangten an das Amt: Über Solidität, Leistungsfähigkeit, Geschäftsbetrieb, Versicherungsbedingungen von Lebensversicherungsgesellschaften 146, von Feuer- und Unfallversicherungsgesellschaften 58, von andern Gesellschaften 3 ; bezüglich Rückkauf, Reduktion oder Umwandlung von bestehenden Versicherungsverträgen 23; Anfragen privatreehtlicher Natur 31. Nicht weniger zahlreich sind die in Audienz gegebenen Auskünfte. Außerdem wurden ein größeres Rechtsgutachten und 4 umfangreichere Gutachten versieherungstechnischer Natur an Amtsstellen und private Hülfsgesellschaften erstattet.
Die Eigenschaft als Aufsichtsbehörde auferlegt dem Versicherungsamt die Pflicht, bei allen Anfragen den Standpunkt strenger Neutralität zu wahren. Daher mußte es z. B. bei der häufig vorkommenden Erkundigung, welche von mehreren Gesellschaften die vertrauenswürdigste sei, sich darauf beschränken, auf die Tatsache 4er Konzessionierung und auf den Spezialbericht des Versicherungsamtes hinzuweisen. Anfragen privatrechtlicher Natur wurden beantwortet, soweit dies geschehen konnte ohne Verletzung des in Art. 13 des Aufsichtsgesetzes aufgestellten Grundsatzes, nämlich daß alle Streitigkeiten privatrechtlicher Natur zwischen Unternehmungen unter sich oder zwischen diesen und den Versicherten, beziehungsweise Versicherungsnehmern der Richter zu entscheiden habe.
Infolge der Beschwerden mehrerer Feuerversicherungsgesellschaften veranstaltete das Versicherungsamt im Berichtsjahre eine Enquête über die sogenannte Chômageversicherung, Versicherung gegen Betriebseinstellung. Die Folge war der Beschluß des Bundesrates vom 9. Mai, der die bisher von einigen Gesellschaften in Anwendung gebrachte Form der Versicherung, wonach für Chômage-Schaden ohne weitere Prüfung ein zum voraus bestimmter Prozentsatz der Entschädigung für direkten Schaden hi'nzubezahlt wurde, untersagte und die Chômage-Versicherung nur noch unter gewissen einschränkenden Bedingungen und Kautelen gestattete. Der Bundesratsbeschluß wurde im Bundesblatt publiziert (Bundesbl.
1902, III, 359) und die gedruckten Motive wurden den Feuerversicherungsgesellschaften mitgeteilt und an sonstige Interessenten abgegeben.
Ein Ereignis, das auch die Tätigkeit des Versicherungsamtes in Anspruch nahm, war der Zusammenbruch der französischen Lebensversicherungsgesellschaft ,,
Caisse Générale des Familles"'.
Die Angelegenheit berührte zwar insofern das Versicherungsamt nicht direkt, als die in Konkurs geratene Gesellschaft die eidgenössische Konzession nicht erhalten und auch seit dem Bestehen der Aufsichtsbehörde in der Schweiz keine Versicherungsverträge mehr
597 abgeschlossen hatte. Die Gesellschaft unterstand somit bis zur Abwicklung ihrer schweizerischen Verpflichtungen nicht der Aufsicht des Bundes, sondern der Kantone (Art. 14, AI. 3, des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1885). Das eidgenössische Versicherungsamt hat es gleichwohl als seine Pflicht betrachtet, zur Wahrung der Interessen der schweizerischen Versicherten im Konkurs der Caisse Générale des Familles nach Kräften beizusteuern.
Ein Beamter des japanischen Versicherungsamtes, von seiner Regierung beauftragt, die Staatsaufsicht über die Versicherungsunternehmungen in andern Ländern zu studieren, hielt sich zu diesem Zwecke einige Tage beim eidgenössischen Versicherungsamt auf.
Einer Gesellschaft wurde wegen mehrfacher Verletzung der Vorlagepflicht (Art. 2 und 4 des Aufsichlsgesetzes) auf Antrag des Versicherungsamtes vom Bundesrat eine Buße von Fr. 200 auferlegt.
Dreimal sah sich das Versicherungsamt veranlaßt, gestützt auf Art. 11, Ziffer l, des Aufsichtsgesetzes bei den kantonalen Behörden Strafanzeige zu machen. In einem Falle handelte es sich um eine Zeitung, die, ohne von einer konzessionierten verantwortlichen Gesellschaft ermächtigt zu sein, ihre Abonnenten gegen Unfall versicherte. Der Verleger der Zeitung wurde zu einer Buße vou Fr. 100 verurteilt. In 2 Fällen erfolgte der Strafantrag gegen die Vertreter ausländischer Gesellschaften, die unbefugter Weise im Gebiete der Schweiz Versicherungsgeschäfte betrieben. Das Appellationsgericht des Kantons Baselstadt verurteilte die schuldigen Vertreter einer deutschen Gesellschaft zu Bußen von Fr. 300, 200 und 80. Das Urteil des Genfer Gerichts bezüglich einer franzosischen Gesellschaft steht noch aus.
In dem im Geschäftsbericht des Vorjahres erwähnten Strafprozess gegen P. Barrai, Vorsteher der apostolischen Schule in Immensee, hat das Gericht des Kantons Schwyz noch keinen Entscheid gefällt. Die Angelegenheit ist somit noch unerledigt.
In Ausführung des Bundesbeschlusses vom 20. Dezember 1888 sind dem Versicherungsamt 30 Urteile mitgeteilt worden, in denen eine konzessionierte Gesellschaft Partei ist. Diese Urteile lassen sich gruppieren wie folgt: 1. Nach den Versicherungsbranchen: Lebensversicherung 4, Unfall- und Haftpflichtversicherung 22, Feuerversicherung 2, Viehversicherung 3.
2. Nach den Instanzen, von denen sie gefällt wurden : Erste Instanz 15, zweite Instanz (kantonale) 13, Bundesgericht 2.
Bundesblatt. 55. Jahrg. Bd. I.
41
598 3. Nach der Nationalität der Gesellschaften: Schweiz 17, Frankreich 11, Deutschland 2.
4. Nach den Kantonen der urteilenden Gerichte: Bern 6, Zürich 6, Waadt 4, Baselstadt 3, St. Gallen 2, Genf 2, Aargau 2, Solothurn l, Baselland l, Neuenburg l, Wallis l, Bundesgericht als einzige Instanz 1.
IQ 11 Fällen trat die Gesellschaft als Klägerin auf, in 9 Fällen hat sie den Prozeß gewonnen, in l Fall verloren und in l Fall wurde ein gerichtlicher Vergleich geschlossen.
In 19 Fällen war die Gesellschaft Beklagte, wobei in 7 Fällen der Prozeli zu ihren Gunsten, in 12 Fällen zu Gunsten der Kläger entschieden wurde.
Gesetzesentwurf über den Versicherungsvert r a g . Es gelangten 2 Abänderungsvorschläge an das Departement, die vom Versicherungsamt und vom Gesetzesredaktor unter Beiziehung von Mathematikern behandelt wurden. Eine Vorlage des Departements an den Bundesrat ist in Vorbereitung.
Das Personal des Versicherungsamtes hat im Berichtsjahre keine Änderung erfahren.
Die von den Gesellschaften zu leistende Staatsgebühr (Art. 12, AI. l, des Aufsk-htsgesetzes) ergab im Jahre 1902 Fr. 54,711.85 (gegen Fr. 53,636. 70 im Vorjahre). Außerdem wurde eiae Buße von Fr. 200 entrichtet.
Der Verkauf dea Berichtes brachte im Subskriptionsweg Fr.
2562. 10, im Kommissionsverlag Fr. 408. 30 (gegen Fr. 2416 und Fr. 211. 50 im Vorjntire) ein.
E. Amt für geistiges Eigentum.
Allgemeines.
Die beiden am 14. Dezember 1900 in Brüssel getroffenen Vereinbarungen zwischen don Staaten der internationalen Union zum Schutz des gewerblichen Eigentums sind am 14. September in Kraft getreten ; dem Zusatzabkommen betreffend Änderung der Konvention vom 20. März 1883 und des zugehörigen SchluLîprotokolls sind bis zu jenem Datum die Schweiz, Belgien, Dänemark, die Vereinigten Staaten von Amerika, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Norwegen, die Niederlande, Portugal, Schweden und Tunis beigetreten und dem Zusatzabkommen zur
599 Übereinkunft vom 14. April 1891, betreffend die internationale Eintragung der Fabrik- oder Handelsmarken, die Schweiz, Belgien, Frankreich, Italien, die Niederlande, Portugal und Tunis.
Für die Anmeldung von Marken schweizerischen Ursprungs zur internationalen Eintragung hat der Bundesrat am 28. Oktober ein neues Regulativ aufgestellt.
Am 26. Mai wurde zwischen der Schweiz und dem Deutschen Reich ein Abkommen zur Abänderung des Übereinkommens vom 13. April 1892, betreffend den gegenseitigen Patent-, Musterund Markenschutz, vereinbart. Dasselbe wurde am 29. September vom Nationalrat und am 2. Oktober vom Ständerat genehmigt.
Es ist noch nicht in Kraft getreten.
Durch das am 1. April in Kraft erwachsene Bundesgesetz betreffend die Organisation des schweizerischen Justiz- und Polizeidepartemcnts haben die mit der materiellen Prüfung der Patentgesuche betrauten Beamten die Benennung ,,technische Experten0' erhalten, und es sind die technischen Experten I. Klasse in die zweite, diejenigen II. Klasse in die dritte und diejenigen III. Klasse in die vierte Besoldungsklasse eingereiht worden.
Personal.
Am 20. April ist Herr Emil Toucher von Frauenfeld, technischer Experte III. Klasse, ausgetreten und am 15. Dezember der administrative Adjunkt, Herr Paul Hafner von Zürich.
Eingetreten sind folgende Beamte: Am 1. März Herr Hans Schwammberger von Burgdorf als Kanzlist II. Klasse, am 23. Juni Herr Albert Einstein von Zürich als technischer Experte III. Klasse und am 1. Juli, ebenfalls als solcher, Herr J. Heinrich Schenk von Röthenbach.
Folgende bisherige Beamte sind am 23. Mai befördert worden : Herr H. Oberlin von Solothurn zum technischen Experten I. Klasse, Herr E. Jezler von Schaffhausen zum technischen Experten II. Klasse, sowie die Herren J. Michel von Brienz und P. Signorini von Caslano zu Kanzlisten I. Klasse.
1. Erfindungsschutz.
Beim Departement wurde nur ein Rekurs gegen Verfügungen des Amtes eingereicht; dieser und die zwei im Vorjahr unerledigt gebliebenen Rekurse (s. Geschäftsbericht für 1901) wurden abgewiesen.
600
Statistik.
A. Allgemeine Informationen.
1902
Hinterlegte Gesuche für ,, ,, ,,
wovon : provisorische Patente definitive Patente Zusatzpatente Ausstellungsschutz
Zurückgezogene Gesuche Zurückgewiesene Gesuche Rekurse gegen Gesuchszurückweisung u. s. w.
Beanstandungen betreffend pendente Gesuche .
wovon : I. Beanstandungen H.
,,
1901
2749
2781
2060 626 61 2
2084 636 59 2
302 180 l 3922
267 163 9 3514
2695 931
2199 973
III.
,,
264
weitere
,,
32
35
119 31 2291 36 2 819 1505
115 59 1968 34 2 872 1506
Fristverlängerungen Konfidentielle Anzeigen Hauptpatente, eingetragene Zusatzpatente, eingetragene Ausstellungsschutz, eingetragener Umwandlungsmahnungen Modellausweise dem Amte zugestellt wovon :
.
.
.
Zur Vergleichung auf dem Amte Zur Vergleichung außerhalb des Amtes . . .
Bleibend hinterlegte Modelle . . . . . .
Bleibend hinterlegte Photographien . . . .
307
1052 96 111 246
1072 117 89 228
Modellausweise vom Amte verneint . . . .
145 Modellausweise dem Departement zugestellt .
22 Jahresgebühren-Mahnungen 3426 Stundungen für die 3 ersten JahresgelSühren .
20 Bezahlte Jahresgebühren 7888
124 26 3108 10 7710
wovon :
1. Jahresgebühren 2.
,, 3.
,, 4.
,, 5.
,, 6.
., 7.
,, 8.
,,
2210 1671 1190 764 529 405 271 196
2298 1555 1296 689 488 346 245 199
601 9. Jahresgebühren 10.
,, 11.
,, 12.
,, 13.
14.
15.
,, ,, ,,
1902
1901
160 134 142 77
165 159 99 77
60 63 16
Abtretungen, eingetragene Lizenzen, eingetragene Verpfandungen, eingetragene Nachträgliche Eintragungen Löschungen wovon : Hauptpatente Zusatzpatente Nichtigkeitserklärungen Vertreter-Änderungen
77 17 -
238 31 5 5 2132
217 70 l 6 1965
2105 27 2 244
1944 21 2 292
B. Verteilung, der in den Jahren 1901 unä 1902 erteilten Hauptpatente nach Ländern.
Schweiz Ausland
1902
1901
759 = 33% 1532 = 67 %
643 = 33% 1325 = 67 %
2291
1968
Verteilung für das Ausland.
Europa.
Belgien Dänemark und Kolonien Deutschland Frankreich und Kolonien Großbritannien und Kolonien Italien Luxemburg Monaco Niederlande und Kolonien Österreich Ungarn Rumänien Übertrag
1902 15 8 686 281 119 36 l l 8 81 23 -- 1259
1901 33 13 614 218 97 36 -- -- 6 79 18 3 1117
602
Übertrag Rußland Schweden und Norwegen Spanien Türkei Andere Erdteile.
Afrika Amerika (Süd) Asien Australien Kanada Mexiko Neu-Seeland Vereinigte Staaten von Nordamerika.
1902
1901
1259 18 19 4 l
1117
4 5 2 12 4 -- -- 204 1532
2 2 -- 2 3 1 1 160 1325
18 16 3
2. Muster und Modelle.
Die Eigentümer von 186 Hinterlegungen wurden vom Ablaufe der Schutzfrist benachrichtigt.
Fünf Hinterlegungsgesuche mit 43 Gegenständen wurden abgewiesen und sieben Gesuche mit 20 Gegenständen zurückgezogen.
Statistik.
A. Tabelle für die drei Schutzperioden.
Hinterlegungen
Gegenstände
Perioden 1902
I. Periode (wovon versiegelt) II. Periode . . .
ÜI. Periode
.
.
.
Abtretungen Löschungen (ganzer Depotinhalt) .
Löschungen (teilweiser Depotinhalt) 1 2
1901
1902
1901
848 ! 672 2 149,861 107,279 93,844 334 382 129,753 85 292 264 84 24 96 19 207
44 144 19
101 98 5
Wovon 296 mit*144,633 Stickereimustern.
,, 254 ,, 104,524
9,240 878 86
7,901 711 60
603
B. Verteilung nach Ländern für die 1. Periode.
Hinterlegungen
Gegenstände
Länder
1902 Schweiz
813
35
Ausland Total Verteilung für das Ausland.
Ägypten . . . . . .
Deutschland Frankreich Griechenland .
. .
Großbritannien . . . .
Österreich Ver. Staaten v. N. -Amerika Total
848
1901
1901
642 149,335 107,041 30
526
238
672 149,861 107,279
1 \
1 16 6 1 1 5 --
35
30
15 18
1902
1 1
1 186 10 1 1 39 --
526
238
161 363
3. Fabrik- .und Handelsmarken.
Dem Departements wurde l Rekurs eingereicht: derselbe wurde abgewiesen.
Statistik.
A. Allgemeine Informationen.
1902
1801
Marken, welche zur Eintragung angemeldet wurden 1195 Marken mit unregelmäßigen oder unvollständigen Gesuchen 307 Eingetragene Marken (auf dem eidgenössischen Amte) 1198 Eingetragene Marken (auf dem internationalen Bureau) 435 Internationale Marken, denen der Schulz verweigert wurde l
1375 387 1341 369 2
604 Zurückgezogene Marken Zurückgewiesene Marken Rekurse Marken, welche zu einer vertraulichen Mitteilung Anlaß gegeben haben Firmen- oder Domiziländerungen etc Übertragene Marken Gelöschte Marken (auf Ansuchen der Hinterleger) Gelöschte Marken (infolge Urteils) Gelöschte Marken (wegen Nichterneuerung) Marken, deren Hinterlegung erneuert wurde .
wovon : Wegen Ablaufs der Schutzfrist Aus andern Gründen Erneuerungsmahnungen (Art. 8 des Gesetzes) . .
1902 11 12 1
1901
27 65 104 30 1 145 50
46 5211 25 2 298 108
14 36
82 2S
169
261
1915 2
B. Verteilung der auf dem eidgenössischen Amte und auf dem internationalen Bureau eingetragenen Marken nach WarenMassen.
Nationale Warenklassen 1902
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
13.
Nahrungsmittel etc. .
Getränke etc. .
Tabak etc.
. . .
Heilmittel etc.
Farben, Seifen etc. .
Textüprodukte etc. .
Papierwaren etc. .
Heizung, Beleuchtung etc Baumaterialien etc. .
Möbel etc Metalle, Maschinen etc.
Uhren etc Diverses . . . .
Internationale
Eintragung
202 43 70 118 129 72 35
1901 1865/02 184 2050
1902
45 985 99 1260 128 1539 153 1538 112 1624 30 341
54
26 36 11 7 17 36 84 129 382 373 9 9 1198 1341
Eintragung 1901 1893/02
13 91 61 52 12
92 34 10 70 49 39 8
620 439 139 614 499 321 57
35
16 10 15 14 18 10
16 8 10 13 15 5
141 53 44 117 130 21
15366
435
337 162 166 937 4392
69
369 3195
605 C. Verteilung
der auf dem eidgenössischen Amte und auf dem internationalen Bureau eingetragenen Marken nach Ländern.
Läuder
Nationale Eintragung
Internationale Eintragung
1902 1901 1865/02
1902 1901 1893/02
Schweiz
922 1046 10985
76 102
734
Ägypten Belgien Dänemark . . . .
Deutschland . . . .
Frankreich . . . .
Großbritannien . . .
Italien Kuba Niederlande . . . .
Österreich . . . .
Ungarn Portugal Queensland . . . .
Rumänien . . . .
Rußland Schweden . . . .
Spanien Tunis Vereinigte Staaten von Brasilien . . . .
Vereinigte Staaten von Nordamerika . . .
-- 4 7 8 3 84 l -- 2 128 155 1570 24 17 1396 45 52 831 -- 22 -- 2 2 -- -- 19 23 1.8 219 l l 3 -- -- -- l -- l -- -- l 3 -- 4 4 2 44 -- 9 -- -- --
-- -- 33 18 -- -- -- -- 252 176 -- -- 5 10 -- -- 59 60 -- -- -- -- 3 l -- -- -- -- -- -- -- -- 2 2 5 --
-185 -- -- 1626 -- 59 -- 535 -- -- 6 -- -- -- -- 44 fi
--
--
l
--
--
38
41
166
--
--
1198 1341 15366
--
435 369 3195
4. Schutz des literarischen und künstlerischen Eigentums.
Es wurden 252 obligatorische und 82 fakultative Eintragungen vorgenommen.
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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über seine Geschäftsführung im Jahre 1902.
In
Bundesblatt
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Feuille fédérale
In
Foglio federale
Jahr
1903
Année Anno Band
1
Volume Volume Heft
09
Cahier Numero Geschäftsnummer
---
Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum
04.03.1903
Date Data Seite
549-605
Page Pagina Ref. No
10 020 459
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