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Schweizerisches Bundesblatt.

55. Jahrgang. III.

Nr. 29.

22. Juli

1903.

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Bundesratsbeschluß über

die Beschwerde des Henri Mann und Konsorten in Vevey (Kanton Waadt) wegen Verweigerung der Bewilligung zur Aufstellung elektrischer Holzbearbeitungsmaschinen.

(Vom 21. Juli 1903.)

Der schweizerische Bundesrat hat über die Beschwerde des Henri M a n n und Konsorten in Vevey (Kanton Waadt) wegen Verweigerung der Bewilligung zur Aufstellung elektrischer Holzbearbeitungsmaschinen ; auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt: A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Der Rechtsvorgäager des Henri Mann und Konsorten, namens Christian Mann, Eigentümer eines in Territet neben dem Hotel Bristol gelegenen Zimmerplatzes, stellte im Laufe des Monats März 1901 bei der Munizipalität von Planches-Montreux das Gesuch um Bundesblatt. 55. Jahrg. Bd. III.

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Erteilung der Bewilligung, die Bretterhütten auf seinem Zimmerplatze durch Backsteinbauten zu ersetzen und einen elektrischen Motoren zur Bearbeitung des Holzes aufzustellen.

Gegen dieses Gesuch wurden zwei Einsprachen eingelegt, eine solche der Hoteliers Ametter und Konsorten und eine solche des Hoteliers Jeannot, die sich beide darauf beriefen, daß es sich bei ihrer Einsprache um die Wahrung der Schönheit der Gegend und der Ruhe für die Fremden ebensowohl wie für die städtische Bevölkerung handle.

Am 14. März 1902 schrieb der Präfekt von Vevey im Namen des waadtländischen Landwirtschafts- und Handelsdepartementes an Mann, das ,,Departement bewillige unter Vorbehalt der Rechte Dritter das Gesuch, da es nach Prüfung der Akten der Ansicht sei, daß kein Gesetzesartikel einen Einspruch gegen die projektierte Vergrößerung und Installierung von Holzbearbeitungsmaschinen erlaube ; was den elektrischen Motoren betreffe, so müsse Mann gemäß dem Beschluß vom 19. Januar 1897 sich an das waadtländische Militärdepartement wenden, in dessen Kompetenz dies falle.» Am 11. November 1902 wurde Mann benachrichtigt, daß der Staatsrat des Kantons Waadt einen Augenschein in Sachen des Gesuches Mann vornehmen wolle ; der Augenschein fand am 25. November 1902 statt.

Am 18. März 1903 endlich erhielt Mann durch den Präfekten von Vevey die Mitteilung, der Staatsrat habe am 16. März 1903 über die Einsprachen Jeannot und Konsorten gegen das Projekt Mann betreffend Vergrößerung seines Zimmerplatzes und Installation einer elektrischen Holzbearbeitungsmaschine in dem Sinne entschieden, daß die Einsprachen gutzuheißen seien und die von Mann nachgesuchte Bewilligung zu verweigern sei, da die Zimmer- und Schreinerwerkstätten zu den im Staatsratsbeschluß vom 16. März 1903 aufgezählten unbequemen Werkstätten (établissements incommodes) gehören und da die von Mann geplante Installation den benachbarten Grundeigentümern schade.

n.

Gegen den Beschluß des Staatsrates haben Henri Mann und Konsorten, als Rechtsnachfolger des verstorbenen Christian Mann, den staatsrechtlichen Rekurs an den Bundesrat ergriffen und in einer Eingabe vom 11./l 4. Mai 1903 das Rechtsbegehren gestellt,.

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es sei der Beschluß aufzuheben und die Verfügung des waadtländischen Landwirtschafts- und Handelsdepartementes zu bestätigen. Die Rekurrenten bringen folgendes vor: Für die Kompetenz des Bundesrates sind maßgebend Art. 31 der Bundesverfassung; Art. 189, Ziffer 3, des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege; Art. 3, Absatz 4, des Fabrikgeset/es vom 23. März 1877, und Art. l des Bundesratsbeschlusses vom 3. Juni 1891.

Es ist festzustellen, daß, wie das waadtländische Landwirtschafts- und Handelsdepartement erklärt hat, damals, als das Gesuch um Erweiterung des Zimmerplatzes und Aufstellung eines elektrischen Motors gestellt wurde, kein einziger Gesetzesartikel eine Einsprache gegen das Gesuch gestattete. Allerdings hat der Staatsrat des Kantons Waadt am 10., 16. oder 19. März 1903 einen Beschluß erlassen, ^fixant la nomenclature des établissements incommodes, insalubres ou dangereux", und es soll nicht gesagt werden, daß dieser Beschluß eine Gelegenheitsverfügung sei. Aber es muß betont werden, daß, wenn man diesen Beschluß auf jias vorliegende Gesuch des H. Mann und Konsorten anwenden wollte, man dann dem Beschluß rückwirkende Kraft gäbe. Das Datum des Beschlusses ist deswegen ungewiß, weil auf der Titelseite der gedruckten Beschlußausfertigung als Datum der 10. März, auf der zweiten Seite der 19. März, in der Mitteilung des Staatsrates aber, daß das Gesuch Mann und Konsorten abgelehnt sei, der 16. März als Datum angegeben wird.

Im vorliegenden Falle sind es einzig die Art. 37, 42 und insbesondere Art. 43 des waadtländischen Gesetzes über die Bauund Wohnpolizei, welche die Handels- und Gewerbefreiheit einschränken können. Nach dem Wortlaut dieser Vorschriften können Fabriken, Werkstätten und Werkplätze nicht ohne Bewilligung des Staatsrates erstellt oder verändert werden, und der Staatsrat kann bei der Erteilung der Bewilligung ,,den Eigentümern die zur Wahrung der öffentlichen Wohlfahrt und Gesundheit, sowie zur Vermeidung der Schädigung der Nachbarn erforderlichen Maßnahmen auferlegen" (imposer aux propriétaires les mesures convenables pour assurer la salubrité et pour éviter tout préjudice au voisinage). Wenn also der Staatsrat im Interesse der öffentlichen Gesundheit und des Schutzes der Interessen der Nachbarn Maßregeln treffen kann, so hat er damit keineswegs das Recht, einem Grundeigentümer einfach die Verwendung seiner industriellen Anlage zu verbieten, unter dem Vorwand, daß die

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Anlage die Nachbarn schädige. Mit einem Wort, die Gesetzesbestimmung ermächtigt den Staatsrat, die Ausübung bestimmter Gewerbe an Bedingungen zu knüpfen, aber sie ermächtigt ihn nicht, ein Gewerbe zu verbieten. Wenn das Gesetz in so elastischer Weise ausgelegt würde, so könnte hiergegen Art. 31 der Bundesverfassung angerufen werden, um den Bürger gegen eine solche Verletzung der Gewerbefreiheit zu schützen.

m.

Zur Vernehmlassung auf die Beschwerde eingeladen, beantragt der Staatsrat des Kantons Waadt mit Zuschriften vom 22. Mai und 8./10. Juni 1903 die Abweisung und führt aus: Das Datum des Beschlusses des Staatsrates über die Nomenklatur der unbequemen Gewerbearten ist dasjenige des 16. März, wie es in der Mitteilung des Staatsrates an die Rekurrenten vom 16./18. März 1903 über die Abweisung ihres Gesuches angegeben wird. Das Datum des 10. und 19. März sind Druckfehler, die bei der Ausfertigung des Beschlusses mitunterlaufen sind.

Es ist richtig, daß das Landwirtschafts- und Handelsdepartement am 14. März 1902 die von Mann nachgesuchte Bewilligung erteilt hat; die Frage der Bewilligung ist aber damals nur vom Gesichtspunkt der Gefahr und Beeinträchtigung der öffentlichen Gesundheit geprüft worden, während die zahlreichen Einsprachen die Aufmerksamkeit des Staatsrates in erhöhtem Maße auf die Unbequemlichkeit der Anlage lenkten, welche der Nachbarschaft durch die neue Anlage erwachsen mußte. Diese Unbequemlichkeit, die vom Lärm der auf dem Werkplatze sich im Gange befindenden Maschinen herrührt, wäre ganz sicher sehr bemerkbar und würde dem Betrieb und dem Werte der auf den Nachbargrundstücken sich befindenden Hotels und andern Gebäuden schweren Schaden zufügen. Auf Grund eines Augenscheines hat sich der Staatsrat überzeugen können, daß diese Unbequemlichkeit derart ist, daß sie die Verweigerung der Bewilligung rechtfertigt, da das Recht und die Interessen der Einsprecher am ruhigen Besitz nicht dem Vorteil eines Einzigen geopfert werden können.

Die Verweigerung der Bewilligung stützt sich auf Art. 42, Absatz 2, des waadtländischen Gesetzes über die Bau- und Wohnpolizei vom 12. Mai 1898.

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B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht:

· I.

Der Staatsrat des Kantons Waadt hat das Gesuch der Rekurrenten um Erteilung einer Bewilligung für die Aufstellung eines Holzbearbeitungsmotors mit Beschluß vom 16. März 1903 abgewiesen, weil durch den projektierten Maschinenbetrieb die gewerbliche Ausnützung der benachbarten Grundstücke, unter welchen sich auch mehrere Hotels befinden, geschmälert werde.

Der Staatsrat beruft sich zur Rechtfertigung seines Beschlusses auf Art. 42, Absatz 2, des waadtländischen Gesetzes über die Bau- und Wohnpolizei vom 12. Mai 1898, welcher ihm die Befugnis beilegt, ,0die Bedingungen der Anlage, der Bauart und Installation und des Unterhaltes gewerblicher Anlagen festzusetzen. "· Diesen Beschluß haben die Rekurrenten angefochten, weil er im Widerspruch mit Art. 37, 42 und 43 des Gesetzes vom 12. Mai 1898 und Art. 31 der Bundesverfassung stehe, indem der Staatsrat weder nach dem genannten kantonalen Gesetz noch nach der Bundesverfassung die Befugnis habe, eine gewerbliche Anlage zu verbieten.

II.

Zur Begründung der Kompetenz des Bundesrates haben die Rekurrenten sieh auf Bestimmungen der Bundesverfassung, des Organisationsgesetzes und des eidgenössischen Fabrikgesetzes, sowie auf einen Ausführungsbeschluß des Bundesrates zu diesem letztern Gesetz berufen.

1. Was vorerst die Berufung auf Art. l des Bundesratsbeschlusses vom 3. Juni 1893 betrifft, so unterstellt dieser Artikel die Betriebe mit mechanischen Motoren dem "Fabrikgesetz;. Nach dem von den Rekurrenten zitierten Art. 3, Absatz 4, des Fabrikgesetzes soll der Bundesrat die Anstände zwischen den Kantonsregierungen und Fabrikinhabern entscheiden, welche hinsichtlich der obrigkeitlichen Anordnungen zum Schutze ,,der Gesundheit und des Lebens der Arbeiter und der umgebenden Bevölkerung1' entstehen. Ein solcher Anstand liegt aber vorliegenden Falles nicht vor ; der angefochtene Beschluß beruft sich keineswegs auf die staatliche Fürsorge für Gesundheit und Leben, sondern aus-

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schließlich auf den Schutz der benachbarten Grundbesitzer vor der ,,Unbequemlichkeit11 der geplanten Maschinenanlage.

2. Die Berufung der Rekurrenten auf Art. 189, Ziffer 3, des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 22. März 1893 (und Art. 31 der Bundesverfassung) begründet die Kompetenz des Bundesrates insofern, als die vorliegende Beschwerde sich auf Art. 31 der Bundesverfassung bezieht. Insofern sich die Rekurrenten über die Schlußnahme der waadtländisehen Regierung vom 16. März 1903 wegen Verletzung des waadtländisohen Gesetzes über die Bau- und Wohnpolizei beschweren, ist der Bundesrat unzuständig ; die Interpretation und Anwendung kantonaler Gesetze liegt vielmehr konstanter Praxis des Bundesrates gemäß in den Händen der Kantonsbehörde.

Bundesratsbeschluß in Sachen Glarner-Fiegcr vom 11. Juli 1902 und dortige Verweisungen (Bundcsbl. 1902, IV, 16 ff., und 1903, I, 565).

III.

Ist im Sinne obiger Ausführungen die Auslegung des waadtländisehen Gesetzes vom 12. Mai 1898, wonach der Staatsrat zum Verbote bestimmter gewerblicher Anlagen befugt ist, für den Bundesrat maßgebend, so ist die einzige zur materiellen Erledigung durch den Bundesrat übrig bleibende Frage die, ob das tatsächliche Verbot des Staatsrates zur Installation des elektrischen Holzbearbeitungsmotors auf dem Werkplatz der Rekurrenten in Territet nach Art. 31 der Bundesverfassung aufrecht erhalten werden kann.

1. Es ist durch den Bundesrat in wiederholten Rekursentscheiden festgestellt worden, daß eine Gesetzesbestimmung, wonach die Behörden die Verlegung von lärmenden Werkstätten in abgelegene Quartiere anordnen können, zu den den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit nicht widerstreitenden ,,Verfügungen über Ausübung von Handel und Gewerben"1 gehören, die laut Art. 31, lit. e, der Bundesverfassung den Kantonen vorbehalten sind. Beschluß des Bundesrates in Sachen Anton Brugger in Freiburg betreffend Verbot der Wiedereröffnung einer Schmiede vom 4. Juli 1893 und dortige Verweisungen (Bundesbl. 1893, III, 723 ff., insbesondere 738; Salis, Bundesrecht, II. Auflage, Nr. 779, S. 576 f.).

2. Eine solche Verfügung bedeutet auch die Bestimmung des Art. 42 des Gesetzes über die Bau- und Wohnpolizei und das

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Verbot der waadtländischen Regierung vom 16. März 1903. Daß die Aufstellung eines Holzbearbeitungsmotors auf ihrem Zimmerplatz in Territet den Betrieb der benachbarten Hotels und die Benützung der dort liegenden Villen schädige, haben die Rekurrenten nicht bestritten. Wenn sie aber gegen die Verfügung vorbringen, daß durch dieselbe ihr Gewerbebetrieb untersagt werde, so ist dies nicht richtig, denn erstens werden sie in der bisherigen Benützungsweise ihres Werkplatzes nicht beschränkt und zweitens steht ihnen frei, ihren Motor in einem Quartier aufzustellen, wo er der Nachbarschaft nicht solche unverhältnismäßige "Nachteile beibringt, wie auf dem jetzigen Zimmerplatz mitten zwischen den schon von früher Zeit her bestehenden und vor der Einrichtung des Zimmerplatzes gebauten Hotels.

Demnach wird erkannt: Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen abgewiesen.

B e r n , den 21. Juli 1903.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Deucher.

Der. Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

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Bundesratsbeschluß über die Beschwerde des Henri Mann und Konsorten in Vevey (Kanton Waadt) wegen Verweigerung der Bewilligung zur Aufstellung elektrischer Holzbearbeitungsmaschinen. (Vom 21. Juli 1903.)

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