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Bundesratsbeschluss über

Beschwerden gegen das Kreisschreiben des Volkswirtschaftsdepartementes vom 17. November 1915 betreffend die Vollziehung des Art. 19 der Instruktion für die Fleischschauer (Kaumuskelschnitt).

(Vom 28. November 1916.)

Der schweizerische B u n d e s r a t hat gestutzt auf den nachfolgenden Bericht seines Volkswirtschaftsdepartements : In Vollziehung des Lebensmittelgesetzes erliess der Bundesrat am 29. Januar 1909 die dazugehörigen Verordnungen. Damit waren für die Ausübung der Fleischbeschau allgemein gültige Bestimmungen aufgestellt. Die Durchführung der Vorschriften ist in erster Linie Sache der Kantone; der Bundesrat überwacht die Vollziehung und erlässt die erforderlichen Massnahmen.

Heute musa leider festgestellt werden, dass die Verordnungen über die Fleischbeschau in unserem Lande sehr verschieden gehandhabt werden. Grosse Unterschiede bestehen vor allem in der Ausführung auf dem Lande und in der Stadt; aber auch in grossund kleinstädtischen Verhältnissen ist sie eine durchaus ungleiche.

An diesen Zuständen wird sich voraussichtlich in der nächsten Zukunft nicht viel ändern lassen. Dagegen sollte erreichbar sein, dass wenigstens in den grössern Schlachthöfen die Fle schbeschau nach einheitlichen Grundsätzen durchgeführt wird. Gegenwärtigerachten einzelne Schlachthofdirektoren die zu Recht bestehenden Bestimmungen als ungenügend und gehen daher in ihren Verfugungen über dieselben hinaus; andere begnügen sich mit einer sehr weitherzigen Auslegung derselben.

Es kann deshalb nicht befremden, dass die Metzgerschaft, welche bei uns einheitlich organisiert ist, die Ungleichheiten in der Ausübung der Fleischbeschau als etwas Ungehöriges empfindet.

339' So sind die Metzgermeister von Basel und Bern unzufrieden, weii sie andern Bestimmungen unterworfen sind als z. B. ihre Berufsgenossen in der Ost- und Westschweiz. Umgekehrt gibt es auch Fälle, in welchen sich die letztern gegenüber den Erstgenannten als benachteiligt betrachten. In der ,,Schweizerischen Metzgerzeitung1' bildeten diese Verhältnisse schon mehrmals Gegenstand längerer Erörterungen. Am 19. Juli 1915 gab uns die Verbandsleitung schweizerischer Metzgermeister Kenntnis von folgendem, von der Generalversammlung des Verbandes vom 18. Juni gleichen Jahres in Luzeru einstimmig gefassten Beschluss : ,,Die Generalversammlung missbilligt die heule immer noch ,,existierende ungleichmässige und teilweise viel zu rigorose ,,Fleischschau. Der Vorstand ist beauftragt, in einer Eingabe ,,an den h. Bundesrat, diesen auf die unhaltbaren Zustände ,,aufmerksam zu machen. Darin ist hervorzuheben, dass die ,,übermässige Strenge zu gegenwärtiger Zeit besonders schlecht ,,angebracht sei, weil der ohnehin Mangel leidende Fleischmarkt ,,für die Konsumenten dadurch noch verkleinert und verteuert ,,werde; der Metzger aber erleide durch die vielenorts an Schifane grenzende Ausübung der Fleischschau direkte Vermögens,,einbussen."

In der Begründung der Resolution wird insbesondere hervorgehoben, dass das Anschneiden und Zerschneiden von einzelnen inneren Organen und von Muskelpartieen (speziell Kaumuskeln) in zunehmendem Masse praktiziert werde, um auf diesem Wege etwaige eingekapselte Krankheitserreger zu finden. Ein solches Vorgehen schädige die Metzger unnötigerweise. Die Metzgerschaft könne sich nicht damit befreunden, dass die städtischen Schlacht: häuser zu Zwecken der wissenschaftlichen Forschung benützt werden. Eine Gesetzes- und Verordnungsrevision wird nicht gewünscht, sondern lediglich, dass die Aufsichtsorgane unserer Schlachthäuser aufgefordert werden, Zeit- und Marktverhältnissen Rechnung zu tragen und die Fleischschau toleranter, dem Sinn und Geist der einschlägigen Bestimmungen entsprechend, auszuführen und wissenschaftliche Forschungen weniger auf Rechnung der Metzger, als der dazu berufenen Universitäts-institutionen vorzunehmen. Zum Schlüsse wird noch darauf aufmerksam gemacht, dass die Metzgerschaft von Basel und Bern besonders heftig leide.

An zweiter Stelle werden Zürich und Genf genannt.
Dieser Eingabe konnte angesichts der geschilderten Zustände eine gewisse Berechtigung nicht abgesprochen werden.

Am 27. Juli 1915 teilten wir dem Verband schweizerischer Metzgermeister mit, dass wir seinem Gesuche, die Fleischschau in Rücksicht auf die gegenwärtige Lage weniger streng zu band-

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haben, nicht entsprechen können, weil die Verschiedenheit der Verhältnisse in den einzelnen Landesteilen dem Erlass besonderer, allgemein gültiger Verfügungen hindernd im Wege stehe. Dagegen erklärten wir uns bereit, über die ungleiche Handhabung der Fleischbeschau in den einzelnen Schlachthöfen Erhebungen zu machen und dann, gestutzt darauf, eine Konferenz der sämtlichen mitinteressierten Kreise, also auch der Metzgerschaft, einzuberufen.

Da das in Basel und Bern in allen Fällen praktizierte Anschneiden der äussern und innern Kaumuskeln beim Grossvieh bei der Metzgersehaft dieser Städte besondere Missstimmung hervorrief, befassten wir uns zuerst mit dieser Frage. Es war uns bekannt, dass sich die Fleischschau von Basel und Bern in ihrem Vorgehen auf einen frühern Entscheid des Gesundheitsamtes stutzte.

Wir Hessen uns daher von letzterem die einschlägigen Akten zustellen. Daraus ist ersichtlich, dass der Fleischschauer, Herr Dr.

Buri in Bern, wegen fortgesetzter Proteste der Metzgerschaft, am 14. April 1911 durch Vermittlung seiner vorgesetzten Behörde .an das schweizerische Gesundheitsamt folgende Frage stellte: ,,Ist man nicht berechtigt, die Kaumuskeln anzuschneiden, ,,bevor man durch Auffindung von Finnen an andern Stellen ,,den Verdacht geschöpft hat, es könnten nun auch in den Kau.,,muskeln solche sitzen, oder soll man diesen Verdacht von ,,vornherein bei jedem Stück Rindvieh hegen, wie in Deutsch,,land, und also auch bei jedem die Finnenschnitte an den Kau,,muskeln ausführen ?"

Das Gesundheitsamt kommt in seiner Antwort vom 22. Mai 3911 zum Schlüsse: ,,Wir legen somit Art. 19 der Instruktion für die Fleisch,,schauer dabin aus, dass das Anschneiden der äussern und ,,innern Kaumuskeln den Fleischschauern nicht nur nicht ver,,wehrt werden soll, sondern dass dieses Anschneiden zur Er,,mittlung der Finnen vielmehr bei jedem Stück Rindvieh durch,,aus angezeigt oder mindestens zulässig ist.11 Der Entscheid des Gesundheitsamtes wurde nicht öffentlich 'bekanntgegeben; man begnügte sich damit, ihn dem Fragesteller zu übermitteln.

Unser Veterinäramt ist mit den Schlachthofdirektionen von Genf, Lausanne, Bern, Zürich, St. Gallen, Luzern und Lugano, sowie mit den Kantonstierärzten von Genf, Waadt, Bern, Zürich, St. Gallen und Tessin in Verbindung getreten und hat mit ihnen ·die Zweckmässigkeit des regelmässigen Anschneidens der Kaumuskeln bei Grossvieh besprochen. Es fragte ferner Herrn Professor

34t IZschokke, Vorsteher des Veterinär-anatomischen und veterinärbakteriologischen Institutes in Zürich, um seine Meinung in dieser Frage. Sämtliche Herren fanden das Vorgehen der Fleischschauer ·von Bern und Basel als zuweitgehend. Auf keinen Fall dürfe von vornherein jedes Tier als Verdachtsfall im Sinne des Artikels 19 ·der Instruktion für die Fleischschauer betrachtet werden.

Gestützt hierauf wurde das Kreisschreiben vom 17. November 1915 verfasst und im Entwurf allen soeben genannten Herren zugestellt. Der Erlass erfolgte, nachdem sämtliche Befragten sich mit dem Inhalt, d. h. mit der Auffassung einverstanden erklärt hatten, dass das Zerschneiden der Kaumuskeln bei Rindern nur dann zulässig sein soll, wenn die vorgängige allgemeine Untersuchung eines Tieres und namentlich dessen Herz^ oder Zwerchfellmuskulatur bestimmte Anhaltspunkte auf Finnenverdacht ergeben hat.

II.

Das Kreisschreiben fand bei den verschiedenen Interessentenkreisen ungleiche Aufnahme.

Am 1. Dezember 1915 erschien in der Beilage zu Nr. 609 'der ^Basier Nachrichten* (von Herrn Dr. Scholer, Schlachthof>tierarzt in Basel) eine längere Abhandlung, in welcher er unsere Verfügung als einen Rückschritt der Wissenschaft und für die 'Gesundheit der Menschheit höchst bedenklich bezeichnet. Neben ^persönlichen Ausfällen gegenüber unserem Departement, versuchte der Verfasser darzulegen, dass durch das Kreissehreiben die Bandwurm-Statistik ungünstig beeinflusst werde und Massnahmen, die ·von gewissenhaften Fleiachschaueru seit Jahren erkämpft und durchgeführt worden seien, einfach ausgeschaltet würden. In seinen Aussetzungen bezieht er sich auf den genannten Entscheid des Gesundheitsamtes.

Am 3. Dezember 1915 veröffentlichte in Nr. 48 die ,,Schweize·rische Metzgerzeitunga einen Artikel, betitelt : ,,Vorläufige Regelung -der Fleischschaua. In diesem wird uasere Verfügung in allen Teilen beifällig aufgenommen und die Hoffnung ausgesprochen, sie möge den ersten Schritt zu der Totalrevision der Gesetzesvorschriften über die Fleischschau bilden.

In den Schlachthöfen von Bern und Basel machte sich sogleich eine starke Opposition geltend. An letzterem Orte wurde unsere Verfügung auf Weisung des kantonalen Sanitätsdepartementes einfach ausser acht gelassen. In Bern kam es nicht so weit. Der .Sehlachthofdirektor, welcher in der Angelegenheit unsere Ansicht Bundesblatt. 68. Jahrg. Bd. IV.

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teilt, sorgte dafür, dass dem Kreisschreiben nachgelebt wurdeDer Fleischschauer, Herr Dr. Buri, suchte nun Hülfe in der Öffentlichkeit, sowie in den stadtbernischen Ärztekreisen. In zahlreichen Vorträgen, unter anderem auch in der Aula der Universität, übte?

er in einseitiger Weise Kritik am Vorgehen unseres Departementes. Gestützt auf einen Vortrag in einer Sitzung im medizinischpharmazeutischen Bezirksverein, stellte der Vorstand dieser Gesellschaft am 31. März dieses Jahres an unser Departement das Gesuch: es sei ,,1. Artikel 54, Abs. 8, des Bundesratsbeschlusses vom 17. No,,vember 1914 betreffend die Zuständigkeit der Departe,,mente etc. grundsätzlich dabin auszulegen, dass das Vete,,rinäramt in wichtigen Fragen der Fleischschau auch ärzt,,liche Fachmänner, bzw. das Gesundheitsamt zu beraten: ,,habe; ,,2. die am 17. November 1915 verfügte und als vorläufig be,,zeichnete Auslegung von Artikel 19 der Instruktion für ,,die Fleischschauer in Wiedererwägung zu ziehen und die ,,frühere, vom Gesundheitsamt am 22. Mai 1911 bestätigte ,,Auslegung des Artikels wiederherzustellen."

Am 15. April dieses Jahres sodann ersuchte der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt in einem eingehend begründeten Schreiben den Bundesrat um Aufhebung oder Abänderung des.

von unserem Departement am 17. November 1915 erlassenen Kreisschreibens. Zugleich teilte die baslerische Regierung mit, sie habe den Regierungen der Kantone Zürich, Schaffhausen, St. Gallen, Luzern, Bern, Waadt und Genf eine Abschrift der Eingabe übermittelt und sie eingeladen, gutfmdendenfalls auch ihrerseits beim.

Bundesrat vorstellig zu werden. Die zum Teil erst auf unsere Veranlassung erfolgten Rückäusserungen liegen dem Gegenwärtigen bei.

in.

Artikel 19 der Instruktion für die Fleischschauer, vom.

29. Januar 1909, lautet: ,,Bei R i n d e r n sind ausserdem die Zunge, das Herz, die ,,äussern und innern Kaumuskeln (letztere in Verdachtsfällen ,,unter Anlegung ergiebiger, parallel mit dem Unterkiefer ver,,laufender Schnitte), sowie die bei der Schlachtung zutage ,,tretenden Fleischteile auf Finnen zu untersuchen. Besteht ,,der Verdacht, dass Leberegel vorhanden sind, so ist an der ,,Leber je ein Schnitt quer durch die Hauptgallengänge an,,zulegen.tt

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Unser Kreisschreiben, sowie die Eingabe der Basler Regierung und des medizinischen Bezirksvereins Bern belassen sich nur mit dem Vorgehen bei dem Aufsuchen von Finnen. Wir beschränken uns somit ebenfalls darauf, nur diese Seite der Frage zu behandeln.

Dabei erachten wir es als angezeigt, unseren Ausführungen einige allgemeine Angaben über die Finnenerkrankung vorauszuschicken.

Die Finnen sind tierische Parasiten, welche durch Fleischgenuss auf den Menschen übertragbar sind und die Ursache der ßandwurmkrankheit bilden. In Betracht fallen hauptsächlich drei Arten von Finnen. Die Rinderfinne (Cysticercus inermis), welche sich zum unbewaffneten Bandwurm (taenia saginata) entwickelt; die Schweinefinne (Cysticercus cellulosae), aus der der Einsiedlerbandwurm (taenia solium) entsteht, und die Fischfinne (Finne des Bothriocephalus latus), die zum breiten Bandwurm (Bothriocephalus latus) wird.

Die Finnen kommen in allen Körperregionen vor, zumeist jedoch in der Muskulatur der Zunge, des Halses, des Zwerchfelles, des Herzens, der Schultern und der Keulen. Die Zahl der vorhandenen Finnen kann ganz enorm sein, so wurden z. B. bis 133 Finnen in 17 Gramm Fleisch gefunden, was der Zahl von 4000 in einem Pfund Fleisch entsprechen würde. Gegen Hitze, Kälte und Salzen besitzen diese Parasiten eine geringe Widerstandsfähigkeit; sie werden bei 45 ° Celsius abgetötet, in Kochsalzlösung ebenfalls nach 24 Stunden, und sie gehen auch in Fleisch zugrunde, welches während 3 Wochen in einem Kuhlraum bei einer Temperatur von -}-l--3° Celsius aufbewahrt wird. Temperaturen von --6° Celsius töten die Finnen schon nach 4 Tagen ab.

Nach medizinischem Urteil ist die Bandwurmkrankheit des Menschen im allgemeinen nicht als lebensgefährlich zu betrachten.

Dagegen muss bei der sogenannten Abtreibungskur höchst vorsichtig vorgegangen werden. Die hierzu notwendigen Mittel greifen die Gesundheit des Menschen ziemlich heftig an, und es haben sich hie und da nachteilige Folgen eingestellt.

Die Fleischschau hat sich von jeher zur Aufgabe gemacht, die Finnen im Fleische geschlachteter Tiere aufzusuchen und dasselbe durch entsprechende Behandlung für den Genuss unschädlich zu machen. Dabei hatte man es vor allem auf die genaue Untersuchung der vorhin erwähnten Lieblingssitze abgesehen.

In neuerer Zeit werden nun die Kaumuskeln (innere
und äussere) als Hauptansammlungsstelle der Finnen bezeichnet. Ganz besonders wird dies von Professor Ostertag, Direktor der Veterinärabteilung des Kaiserlichen Gesundheitsamtes in Berlin, hervorgehoben.

Er legt seinen Veröffentlichungen das Ergebnis von Untersuchungen zugrunde, welche in den Jahren 1889--90 in dem städtischen

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Schlachthof in Berlin ausgeführt wurden. Danach wurden die Finnen in den Kaumuskeln 360 mal, im Herzen 41 mal gefunden. Artikel 24 der Ausführungsbestimmuagen zum deutschen Fleischbeschaugesetz betreffend Schlachtungen im Inlande vorn 3. Juni 1900 schreibt daher das Anschneiden der äussern und innera Kaumuskeln bei Rindern in allen Fällen vor.

Die Veröffentlichungen Ostertags. sowie die Bestimmungen im deutschen Fleischbeschaugesetz gaben bei uns Anlass zu der gegenwärtigen Fassung des Artikels 19 der Instruktion für die Fleischschauer vom 29. Januar 1909. Diese geht jedoch nicht so weit, wie die deutsche Ausführungsbestimmung; sie schreibt das Anschneiden der Kaumuskeln nur in Verdachtsfällen vor. Diese Vorschrift führte dazu, dass die Fachmänner dem Aufsuchen von Finnen vermehrte Aufmerksamkeit schenkten. In den Schlachthöfen von Bern und Basel wurden die Kaumuskeln bei der Fleischbeschau regel mässig angeschnitten. Die Fleischschauer dieser Anstalten betrachten demnach ein jedes Stück Grossvieh als finnenverdächtig.

Sie stützen sich dabei auf die obenerwähnte Mitteilung des Gesundheitsamtes.

In erster Linie ist daher zu prüfen, welche grundsätzliche Bedeutung den im Artikel 19 in Klammer angeführten Worten ,,in Verdachtsfällen" beizumessen ist. Hier sind nur zwei Auslegungen möglich. Entweder muss von vornherein ein jedes Schlachttier als Verdachtsfall betrachtet werden, dann wären auch die äussern und innern Kaumuskeln regelmässig anzuschneiden, oder der Verdacht ist erst dann gegeben, wenn die Untersuchung des Herzens, des Zwerchfells und der Zunge auf das Vorhandensein von Finnen schliessen lässt.

Die Meinung der Fleischschauer von Bern und Basel, das Gesundheitsamt habe seinerzeit in ersterem Sinne verfügt, ist nicht zutreffend, denn diese Behörde sagt nicht, das Anschneiden sei Vorschrift, sondern nur, es solle den Fleischschauern nicht verwehrt werden und sei zur Ermittlung der Finnen bei jedem StUck Rindvieh durchaus angezeigt oder mindestens zulässig. Es liegt also auch im Entscheid des Gesundheitsamtes keine bindende Verpflichtung für die Fleischschauer. In seiner augenscheinlichen Dehnbarkeit Uberlässt er es denselben, nach Belieben und persönlicher Auffassung vorzugehen. Es ergibt sich hieraus auch die weitere Tatsache, dass das Gesundheitsamt seinem Entscheid keine bindende
Wirkung verleihen wollte, sonst hätte es denselben nicht nur dem Fragesteller zur Kenntnis gebracht, sondern zum Ausgangspunkt allgemein gültiger Vorschriften für die schweizerische Fleischschau gemacht. Die Gründe, weshalb dies nicht geschehen ist, liegen klar zutage. Offenbar war man sich schon

345 damals bewusst, dass bei der erst in Entwicklung befindlichen allgemeinen Fleischschau in unserem Lande eine derartige einschneidende Massregel unmöglich einheitlich durchgeführt werden konnte. Sodann musste man sich Bedenken darüber machen, dass auf Kosten rein wissenschaftlicher Forschung berechtigte Interessen der Tierbesitzer unnötigerweise verletzt worden wären.

Dass der damalige Chef des Gesundheitsamtes in seiner Eigenschaft als hochstehender Mediziner geneigt war, der Hygiene weitgehende Konzessionen zu machen, ist erklärlich; ebenso sehr auch, dass es ihm schwer fiel, dieselben der praktischen Erfahrung unterzuordnen.

Dieses Dilemma besteht für den Wissenschafter auch noch heute. Der Idealzustand würde gewiss darin bestehen, dass man alle Lebewesen, die der menschlichen Gesundheit nachteilig sein können, unschädlich zu machen sucht. Im gegebenen Fall wäre dies jedoch gleichbedeutend mit der vollständigen Verstümmelung des tierischen Körpers, die folgerichtig dann dessen Verwertbarkeit für den menschliehen Genuss ausschliessen würde. Welche wirtschaftlichen Folgen ein solches Vorgehen zeitigen musste, bedarf keiner näheren Ausführungen.

So kann man auch über die Zweckmässigkeit des regelmässigen Kaumuskelschnittes in guten Treuen geteilter Meinung sein. Immer jedoch stehen der theoretischen Auffassung praktische Erwägungen gegenüber, die sich in den nachfolgenden Gutachten so ziemlich einheitlich wiederspiegeln.

IV.

Bis heute haben alle angefragten Kantonsbehörden zu der Frage Stellung genommen. Schaffhausen einzig pflichtet der Ansicht Basels vorbehaltlos bei.

Z ü r i c h schreibt unter anderem : ,,Kollisionen zwischen der theoretischen und praktischen Fleischbeschau sind unumgänglich, schon darum, weil eine genaue Prüfung aller Körperteile, wie sie die Fleischbeschau verlangen muss, praktisch unmöglich wird.

Man kann doch vernünftigerweise nicht überall Einschnitte führen, um z. B. allgemeine Invasionen oder Infektionen aufzufinden. Denn dadurch würden ja nicht nur die Organe entwertet, sondern namentlich auch unnötig infiziert und rascher der Fäulnis überliefert.

Dieser Standpunkt ist auch einzunehmen gegenüber der Ein» gäbe der Basler Regierung. Ohne Not sollen die Kaumuskeln nicht angeschnitten werden. Und tatsächlich besteht eine Notwendigkeit hierfür nicht, um die Rinderfinne zu entdecken.

Dass der Cysticercus inermis die Kaumuskel, namentlich die innern, bevorzugt, ist auch den Professoren der Tierarzneischule

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Zürich genügsam und schon 1880 bekannt gewesen. So wurden denn auch die Studierenden je und je darauf aufmerksam gemacht, dass alle diese Lieblingssitze : Herz, Kaumuskel, Zunge und Zwerchfell, sorgfältig abzusuchen seien bei Vornahme der Fleischbeschau.

Dass dem nachgelebt wurde und gute Resultate zeitigte, ergibt sich aus der Arbeit von Prof. Guillebeau (Schweiz. Archiv für Tierheilkunde 1890, Seite 174), in welcher das häufige Auffinden dieser Finnen im Kanton Zürich bereits in einer Zeitperiode konstatiert wird, in welcher solche Funde sonst geradezu Seltenheit waren.

Auch seither hat das genaue Absuchen dieser Blasenwürmer an ihren Lieblingsorten auch ohne Einschneiten der Kaumuskeln zu Ergebnissen geführt, wie sie kaum besser erwartet werden können bei Anwendung der vorgeschlagenen Methoden.

Es wäre nämlich psychologisch durchaus verständlich, dass, wenn der Muskelschnitt obligatorisch würde, man dann allzusehr hierauf abstellen und die andern Örtlichkeiten ignorieren würde.

Und nun hat sich aber nicht nur ergeben, dass ab und zu Finnen ausschliesslich nur in den Kaumuskeln zu finden sind, sondern noch viel häufiger das Gegenteil, dass sie wohl anderwärts, aber nicht in den Kaumuskeln vorkommen. Wir sind der Überzeugung, dass es sozusagen immer möglich ist, bei genauer Inspektion der genannten Lieblingssitze, namentlich Herz, Zunge und innere Kaumuskel, auch ohne Kaumuskelschnitt die Finnen nachzuweisen.

Sollte diese Einschnittsmethode obligatorisch werden, so müsste sie mit gleichem Recht auch für die Zunge und selbstverständlich auch bei Kälbern, wo diese Finnen nicht nur am häufigsten, sondern auch lebensfähig vorkommen, angewendet werden, und wohin würde dies alles führen.

Dass man in Zürich im Aufdecken von Cysticercus inermis beim Rind darum nicht zu schlechteren Resultaten kommt als in Basel, geht aus nachstehender Statistik hervor (s. Seite 347).

Aus dieser Aufstellung geht hervor, dass, ohschou in Basel mehr Grossviehschlachtungen stattfinden, die Finnenfunde im Schlachthof Zürich viel häufiger sind, trotzdem, wie schon erwähnt, im Schlachthof Zürich die Kaumuskeln nur in Verdachtsfallen angeschnitten werden. Der Schlachthof B a s e l verzeichnet in den Jahren 1912--1914 O.a--0.4i °/oo mit Cysticercus inermis behaftete Schlachttiere. Im Schlachthof Z ü r i c h dagegen wurde
die Rinderfinne im gleichen Zeitabschnitt bei l.ss--2.ss °/oo der Schlachttiere gefunden. , Gestützt auf diese Erwägungen halten wir dafür, dass die vom schweizerischen Volkswirtschaftsdepartement gegebene Inter-

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Es fand sich cyst. inermis bei > f>

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II II II Scli lachthof Basel Für die Jahre 1910 und 1911 fehlen die Angahen.

1912 -- 11 -- 11 15,799 0,7 20,062 8 1913 1 10 3 -- 14 4 18 18,275 0,77 25,833 0,16 1914 1 10 4 -- 15 4 19 16,637 0,9 32,295 0,12 Es fehlen die Angaben für 1915.

3

7 3

10 6 4 7

1910 10 1 1911 11 2 1912 8 1 1913 9 1914 6 2 1915 1

Schla.eht.hof Zürich : ' 1 4 22 45 67 11,838 1,86 23,450 1,92

35,861

0,3

44,109

0,«

48,932

0,39

35,288

1,9

8 24 36 60 11.181

2,15

20,280

1,'

31,461

1,9,

1 20 51 71 10,918

1,33

19,691

2,50

30,609

2,32

-- 15 29 44 11,150

1,S5

20,543

1,41

31,693

1,38

14 26 26 52 11,835

2,i

20,847

1,25

32,682

1,6

0,OD

19,508

2,1

31,742

1,54

8 41 49 12,234

pretation des Artikels 19 der Instruktion des Bundesrates für die Fleischschauer vom 29. Januar 1909 den Anforderungen, die an eine wissenschaftliche Pleischschau gestellt werden müssen, vollauf genügt, und können wir darin keine Gefährdung der Volksgesundheit erblicken."

Die von der zürcherischen Behörde beigezogene Expertenkommission bestand aus den Herren Professor Dr. E. Zschokke, Schlachthausverwalter 0. Pfister und Dr. Baer, Chef des kantonalen Veterinäramtes, alle in Zürich.

B e r n hat auf das Schreiben von Basel nicht geantwortet, weil seine Anschauung in dieser Frage völlig mit der Interpretation, welche unser Kreisschreiben enthält, übereinstimmt.

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Lu z er n teilt mit, dass bei der bezüglichen Beratung ans Plenum des Sanitätsrates geltend gemacht wurde, dass die Durchführung der Fleischschau auf Grundlage der bestehenden gesetzlichen Vorschriften speziell in ländlichen Bezirken noch grosseHindernisse zu überwinden habe, und dass es vorläufig trotz redlichem Bemühen der Behörden nicht einmal gelungen sei, ihregleichmässige Durchführung innerhalb ein und desselben KantonSy geschweige denn von Kanton zu Kanton, zu erzielen. Die gleichmässige Durchführung der Fleischschau, die auch die Metzgerschaft in zahlreichen an die Behörden gerichteten Eingaben fordert, muss angestrebt werden, und zwar auf einer ,,mittleren Linie", auf der auch die ländlichen Bezirke zu folgen vermögen. Für diese ,,mittlere Linie" gehen die bestehenden Vorschriften und Instruktionen schon mehr als weit genug. Eine Verschärfung derselben auf dem Wege der Interpretation durch Spezia l Verfügung ist unseres Erachtens unzulässig, weil uns dieselbe von dem vorgesteckten Ziel nur weiter entfernt und die bestehenden Ungleichheiten hinsichtlich der Praxis der Fleischschau vergrössert.

Über die Anregung der Regierung des Kantons Basel-Stadt, dieKaumuskelschnitte betreffend, haben wir bei den ärztlichen Mitgliedern des Sanitätsrates Umfrage gehalten nach der Häufigkeit des Vorkommens des Taenia saginata im herwärtigen Gebiet. Es wurde übereinstimmend erklärt, dass sie recht selten sei.

Wir sind also auch aus diesem Grunde zu unserm ablehnenden Gutachten gekommen. Der bessere Schutz gegen Taenia saginata als einzelne Kaumuskelschnitte, die doch nicht unter allen Umständen den Cysticercus freizulegen und sichtbar zu machen vermögen, ist das Kochen des Fleisches. Dieses immer wieder zu.

empfehlen und der Unsitte des Genusses rohen Fleisches entgegenzuarbeiten, ist eine dankbare Aufgabe der Ärzte und Tierärzteauch insofern, als sie manche rigorose und schädigende Massnahmo · der Fleischschau ü bei flüssig macht.

S e h a ff h a u s e n möchte noch weiter gehen als Basel und: neben dem Kaumuskelschnitt wo immer möglich auch suchen, die Herkunft der Finnen aufzudecken. In der Tat sei es den Fleischschauern auch schon gelungen, ,,in zahlreichen Fällen die in Frage kommenden menschlichen Bandwurmträger zu eruieren und dieselben zu einer energischen Abtreibungskur zu veranlassen. Dieses
Verfahren hat bereits einen merkbaren Erfolg gezeitigt, indem die Finnenfunde bei aus der Umgegend stammenden Schlachtrindem und -kälbern in den letzten Jahren entschieden seltener geworden, sind, .ohne dass die Untersuchungsmethode geändert worden wäre."

Man denke sich eine solche Auffassung auf unser ganzes Land übertragen.

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St. G a l l e n äussert sich wie folgt: ^Was vorerst die rein formelle Seite der vorwürfigen Frage anbelangt, so halten wir dafür, dass aus der Fassung und dem Wortlaut des fraglichen Artikels 19 eine andere Interpretation,, als die im Kreisschreiben des schweizerischen Volkswirtschaftsdepartementes vom 17. November 1915 gegebene, nicht abgeleitet werden kann.

Die' Behandlung der Frage hinsichtlich ihrer materiellen Bedeutung veranlasst uns zu folgenden Ausführungen: Wenn der Bandwurm, der sich aus den durch den Genuss; von infiziertem Fleisch in den menschlichen Darm gelangenden Finnen entwickelt, bei seinem Wirt erhebliche gesundheitliche-* Störungen verursacht, so muss es Aufgabe der Fleischschau sein, durch zweckmässiges Vorgehen beim Untersuch der geschlachteten Rinder auf das Vorhandensein von Finnen die dem Konsumenten-, drohende Gefahr zu beseitigen. Nun dürfte es aber eine in der Praxis durchführbare Untersuchungsmethode, der mit absoluter.

Sicherheit kein Fall von Finnigkeit entgeht, nicht geben; denoabsolut frei von Finnen könnte unseres Brachtens ein Tier nur nach negativem Befund bei ergiebigstem Anschneiden der verschiedensten Muskeln .und Muskelgruppen erklärt werden. Wohl kann man bezüglich des Sitzes der Finnen von Prädilektionsstellen sprechen ; anderseits steht aber fest, dass die Finnen in sämtlichen.

Muskeln des Körpers und in allen Organen vorkommen können.

Die Beobachtung ist nicht so sehr selten, dass trotz nur vereinr zeiter Funde in den sogenannten Lieblingssitzen (Herz, Bauchmuskulatur, Kaumuskelschnittfläche) andere Muskeln starke Invasionen aufweisen können. Wir schliessen aus dieser Erscheinung, dass einmal auch in einem Falle, wo der Kaumuskelschnitt keine Finnen zutage förderte, das betreffende Rind gleichwohl mit.

solchen behaftet sein kann."1 W a a d t bemerkt folgendes : ,,La question soulevée dans votre mémoire est intéressante,, mais elle ne pourrait, à notre avis, être tranchée que par unerévision du texte de l'article 19 de l'instruction pour les inspecteurs, des viandes.

D'autres articles de cette instruction mériteraient également d'être révisés, mais le moment actuel ne paraît pas propice pour une révision de ce genre. C'est, du moins, l'opinion de nos déléguésà une conférence d'experts, convoquée le 16 décembre 1915 par l'Office vétérinaire, où cette manière de voir a prévalu.

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D'autre part, les inspecteurs des viandes du Canton de Vaud ·qui ont suivi les cours d'instruction ont assisté à des démonstrations pratiques de l'incision des masséters et doivent savoir l'exécuter.

Il résulte aussi d'une enquête à laquelle nous nous sommes livrés que les bouchers vaudois n'ont jamais protesté coatre l'application de cette mesure, qui est régulièrement pratiquée dans nos grands abattoirs, tout au moins pour les masséters internes.

Pour ces différents motifs, nous ne pouvons pas appuyer votre demande auprès de l'autorité fédérale.a In der Antwort von G e n f wird angeführt: ,,La coupe des masséters ne se présente pas du tout comme une nécessité et voici pourquoi : L'examen attentif des organes et de la viande d'une bête de boucherie permet amplement de découvrir les cysticerques sans avoir préalablement recours à la visite des masséters.

Dans le cas où l'on n'aurait pas trouvé de cysticerques dans la bête et qu'il y en aurait tout de même dans les masséters sans même que ceux-ci fussent visités, le danger d'infection serait exclu, les masséters ne se mangeant jamais crus ou comme viande saignante.

A la cuisson les cysticerques sont détruites.

Si les cysticerques ne se trouvent que dans les masséters, le reste de la bête est tout de même propre à la consommation."

Der Vollständigkeit halber fügen wir diesen Urteilen kantonaler Instanzen dasjenige einer tierärztlichen Expertenkommission bei, ·die sich am 15. Dezember 1915 in Bern mit verschiedenen Fragen, ·der Fleischbeschau befasste.

Die Kommission bestund aus den Herren : Kantonstierarzt Dr. Baer in Zürich, Kantonstierarzt Bobbia in Bellinzona, Schlachthofdirektor Borgeaud in Lausn nne, Kantonstierarzt Duchosal in Genf, Kantonstierarzt Eichenberger in Bern, Nationalrat Eigenmann in Müllheim (Thurgau), Kantonstierarzt Gallandat in Lausanne, Kantonstierarzt Höchner in St. Gallen, Nationalrat Dr. Knüsel in Luzern, Schlachthofverwalter Pfister in Zürich, Kantonstierarzt Rosselet in Le Locle, Kantonstierarzt Schenker in Aarau, Schlachthofverwalter Schneider in Bere, Professor Dr. Zschokke in Zürich.

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Da kurz vorher die Veröffentlichung in den ,,Basler Nachïichtena, welche unser Kreisschreiben kritisierte, erfolgt war, wurde die Kommission ersucht, sich zu diesem ebenfalls zu äussern. Sie ·erklärte sich mit der im Kreisschreiben niedergelegten Auffassung ' e i n s t i m m i g einverstanden.

V.

Bedeutende Forscher auf dem Gebiete der Parasitenkunde vertreten die Ansicht, dass bei älteren Tieren die Finnen in der weitaus grössten Mehrzahl nur noch in verkalktem, d. h. abgestorbenem Zustande vorkommen, während lebende Individuen zur Seltenheit gehören. Nach ihnen kommen die letzteren hauptsächlich bei jugendlichen Tieren, hier also bei den Kälbern, vor. Diese Auffassung wird durch das Ergebnis der Untersuchungen Ostertags nicht widerlegt. Die eingangserwähnten zahlreichen Befunde finniger Rinder im Schlachthofe in Berlin beziehen sich auf die Finnigkeit im allgemeinen. Es wird kein Unterschied gemacht zwischen abgestorbenen und lebenden Finnen. Wohl aber bemerkt Ostertag, merkwürdig sei die Tatsache, dass mehr männliche als weibliche Rinder finnig befunden werden. Dieses eigenartige Verhältnis erklärt er sich dadurch, dass die meisten männlichen Tiere im jugendlichen Alter geschlachtet werden, in dem die Aufnahme der Band·wurmbrut vorzugsweise erfolgt, und anderseits dadurch, dass die «inmal eingewanderten Rinderfinnen sich s p ä t e r v o l l s t ä n d i g z u r ü c k b i l d e n k ö n n e n . Eine weitere Bestätigung dieser Annahme bildet die im ,,Schweizer Archiv für Tierheilkunde" von Fleischschauer Dr. Buri im Heft Nr. 10 des Jahrgangs 1915 veröffentlichte Arbeit: ,,Erfahrungen im Schlachthof Bern mit der Untersuchung auf Rinderfinnen." Nach dieser wurden in Bern im Jahre 1914 von 5429 Stück geschlachtetem Grossvieh nur 7 mit lebenden Finnen behaftet befunden.

Da lebende Finnen am häufigsten bei Kälbern vorkommen, so müssten die Kaumuskelschnitte in erster Linie bei diesen Tieren ausgeführt werden. Es ist auffallend, dass die Fleischschauer von Bern und Basel dies nicht tun und auch in der Eingabe der Basler Regierung nicht verlangt wird, dass es inskünftig vorgeschrieben werden soll. Die Erklärung hierzu ist leicht zu geben. Im Metzgereigewerbe ist der ,,Kalbskopf ein Luxusartikel, der in gekochtem Zustande und nur ganz oder in Hälften zum Verkauf gelangt. Die Metzgerschaft würde daher
dem Zerschneiden dieses Körperteiles durch die Fleischschauer energischen Widerstand leisten.

Wie leicht theoretische Erörterungen durch die praktischen Verhältnisse zunichte gemacht werden, zeigen die Zustände in der Berner Fleischschau. Bern besitzt anerkanntermassen den grössten Fleischmarkt unseres Landes. Den Landmetzgern ist ge-

352 stattet, das Fleisch in Vierteln zerlegt, ohne Beigabe der Köpfe,, ·auf den Markt zu bringen. Eine Untersuchung der Kaumuskeln: ist somit beim Marktfleisch ausgeschlossen. Im weitern darf nach dem städtischen Schlachthofe in Bern Wurstfleisch in Vierteln, ebenfalls ohne Beigabe des Kopfes, eingeführt werden. Dieses Fleisch wird im Schlachthofe untersucht, und auch hier fällt die Untersuchung der Kaumuskeln weg. An ein und demselben Ort werden, also zwei verschiedene Methoden ausgeführt.

Wie bereits erwähnt, stammen die Veröffentlichungen Ostertags aus den Jahren 1889/1890. Seit diesem Zeitpunkt ist dasOstertagsche Lehrbuch für Fleischbeschau in sieben Auflagen (l 892, 1894, 1899, 1902, 1904, 1910, 1913) erschienen. Auffallend ist dabei, dass trotz den vielen Textergänzungen in keiner Neuauflage1 die Finnenstatistik weitergeführt wird. Diese Tatsache lässt zummindesten die Vermutung zu, man habe selbst in Deutschland den Eindruck, der Finnenerkrankung sei seinerzeit zuviel Bedeutung beigemessen worden.

Unbestritten ist, dass der Mensch sich am meisten durch die Fischfinne und nicht durch die Rinderfinne infiziert. Die Arbeiten von Zschokke, Zäslin und Odier haben ergeben, dass in der Schweiz, hauptsächlich in den Gegenden der grösseren Seen, 10 bis 20 °/0' der Bevölkerung mit dem Bandwurm der Fischfinne behaftet waren.

Demgegenüber steht fest, dass der Bandwurm der Rinderfinne beim Menschen nicht häufig vorkommt. Die luzernischen Ärzt& haben dies in der Antwort des Kantons Luzern neuerdings bestätigt.

Stark zurückgegangen ist an vielen Orten die Schweinefinne.

Sie gehört auch bei uns zurzeit zu den seltenen Befunden. Dieser Zustand kann jedoch wieder ändern ; so zeigten z. B. die in diesem Jahre durch das Schlachtviehimportbureau aus Spanien eingeführten.

Schweine zum Teil eine sehr heftige Finnenerkrankung.

Soll also dem gewiss berechtigten Wunsche der Basler Regierung, des medizinischen Bezirksvereins der Stadt Bern, sowie einiger Fleischschauer, die Bandwurmkrankheit des Menschen durch eine strenge Fleischbeschau mit Erfolg zu bekämpfen, nachgelebt werden, so muss vor allem danach getrachtet werden, die häufigste Finne, die Fischfinne, unschädlich zu machen. Dies ist jedoch nur möglich durch eine eingehende Untersuchung sämtlicher in den Konsum gelangender Fische, und zwar müssen dabei
die Tiere in so zahlreiche Stücke zerlegt werden, dass sie sich für die meisten gebräuchlichen Zubereitungsarten nicht mehr eignen würden. Es gibt also hier auch inskünftig kein besseres Mittel, als die Konsumenten immer wieder auf die Gefahr des Genusses ungenügend gekochter oder gebackener Fische aufmerksam zu machen.

353 Vergegenwärtigt man sich, dass die Rinderfinne ein Lebewesen ist, welches sich in sämtlichen Körpermuskeln entwickeln kann, so "wird ohne weiteres klar, dass auch das Anschneiden der sogenannten Lieblingssitze, wie Herz, Zwerchfellmuskulatur, Zunge und Kaumuskeln, keine Gewähr bietet für die absolute Unschädlichkeit des Fleisches. Es sind genügend Fälle bekannt, wo die Untersuchung ·eines Tieres vollständige Finnenfreiheit des Fleisches ergibt und ·dann der Metzger beim weiteren Zerlegen des Körpers, z. B. Lösen der Gliedmassen, in irgend einer Muskelpartie auf ganze Herde von Finnen stösst. Benachrichtigt er hiervon die Fleischschau, so kann meistens auch durch das Anschneiden sämtlicher vier Kaumuskeln kein einziger Parasit zutage gefördert werden. Auf jeden Fall haften dem Vorgehen der Berner und Basler Fleischbeschau .·grosse Mängel an. Solange nur je ein äusserer und innerer Kaumuskel augeschnitten wird und die Untersuchung sich nicht auch auf die Zunge und sämtliches Jungvieh bezieht, ist die Untersuchung ·eine unvollkommene.

Der Behauptung der" Basler Fleischbeschau, Erfahrungen über den Kaumuskelschnitt hätten nur die Fleischschauer von Basel und Bern, müssen wir insofern entgegentreten, als versuchsweise während awei Jahren diese Untersuchung auch an der Grenze durchgeführt wurde. Bei der Einfuhr von 16,501,194kg Fleisch im Jahre 1911 und 18,171,477 kg im Jahre 1912 hatte man gewiss Gelegenheit, ·sich ein Urteil über die Zweckmässigkeit der Untersuchungsmethode au bilden. In dieser Zeitperiode waren die Finnenfunde derart selten, dass wir das regelmässige Anschneiden der Kaumuskeln ·als nicht nötig erachteten und die Massnahme als eine nutzlose Schädigung der Metzgerschaft wieder aufgehoben haben.

Die Eingabe der Basler Regierung vertritt die Ansicht, die Befolgung unseres Kreisschreibens mache die Entdeckung der Rinderfinne geradezu unmöglich und vergrössere die Gefahr der Übertragung des Rindfleischbandwurmes auf den Menschen. Dieser Auffassung steht das Gutachten des Kantons Zürich entschieden entgegen. Aus der zugehörigen statistischen Tabelle ergibt sich, dass in Basel mit dem Anschneiden der Kaumuskeln im Jahre 1912 O,3 °/oo, im Jahre 1913 0,4i °/oo, im Jahre 1914 0,89 °/oo des geschlachteten Grossviehs mit Finnen behaftet befunden wurden.

In der gleichen Zeitperiode sind im
Schlachthof Zürich durch die gewöhnlichen Untersuchungsmethoden im Jahre 1912 2,32 °/oo, im Jahre 1913 l,ss °/oo und im Jahre 1914 1,6 °/oo festgestellt worden.

Diese Angaben widerlegen die Befürchtung der Basler Regierung in allen Teilen,

354 VI.

Sowohl alle diese amtlichen und fachmännischen Gutachten mit ihrer zum Teil auseinandergehenden wissenschaftlichen Auffassung, als auch die anhand von Beispielen aus der Praxis nachgewiesenen Erfahrungen lassen keinen Zweifel darüber aufkommen, dass mit dem Kaumuskelschnitt, wie er bis anhin in Bern und Basel ausgeführt worden ist, der angestrebte hygienische Zweck nur in höchst ungenügendem Mass erreicht werden kann. Nur dann könnte man dem Ziel etwas näher kommen, wenn für das ganze Land in einheitlicher Weise eine gleichmässige genaue Untersuchung vorgeschrieben würde, die zudem nicht willkürlich auf vereinzelte Kaumuskeln des Grossviehs beschränkt, sondern auf alles Gross- und Kleinvieh und auf sämtliche äusseren und inneren Kaumuskeln, sowie wenigstens auch noch auf die Zunge ausgedehnt werden müsste. Soll der von der medizinischen Wissenschaft insAuge gefasste Zweck überhaupt einigermassen einwandfrei erfüllt werden, so muss sich die genaue fachmännische Untersuchung sogarauf alle zum Konsum bestimmten Fische und auf Wild erstrecken.

Es bedarf wohl keiner näheren Auseinandersetzung, welcher Umwälzung das ganze Gebiet der Fleischschau unterworfen werden müsste, wenn man derart weitgehenden Anforderungen entsprechen wollte. Nicht nur setzen sie ein aussehliesslich wissenschaftlich geschultes Personal und damit die Ausschaltung der Laienfleischschauer und überall besondere Einrichtungen voraus, sondern auch einen unbegrenzten Überfluss an animalischen Nahrungsmitteln, der gestatten würde, bei uns Werte zu vernichten, die man in anderen Ländern sorgfältig zu erhalten bestrebt ist. Dieser blosse Hinweis auf die Tragweite der gestellten Forderungen enthebt uns der Aufgabe, die volkswirtschaftlichen Folgen zu bemessen und zu erörtern, mit welchen Gefühlen die erforderlichen einschneidenden Vollziehungsmassnahmen seitens unserer Bevölkerung entgegengenommen würden.

Aus solchen Erwägungen heraus hat offenbar der eingangserwähnte Artikel 19 in der Verordnung vom 29. Januar 1909 Aufnahme gefunden. Er lässt keine andere Deutung zu, als dass Kaumuskeln nur -bei bereits vorhandenem Finnenverdacht angeschnitten werden dürfen. Auf dieser Vorschrift beruht das angefochtene Kreisschreiben vom 17. November 1915. Alle gegen dasselbe erhobenen Einwände können uns auch heute nach wiederholter gründlicher
Prüfung der Frage in ihrem ganzen Zusammenhang nicht dazu bestimmen, von unserer damals kundgegebenen.

Anschauung abzugehen. Die durch Gesetz und Verordnung vorgeschriebene Fleischschau soll im ganzen Land mit aller Streng» und nach einheitlichen Grundsätzen durchgeführt werden; gleich-

355 zeitig aber soll sie ohne Beeinträchtigung der gesundheitspolizeilichen Anforderungen den berechtigten Interessen der beteiligten Kreise nach Möglichkeit Rechnung tragen, und namentlich darf sie nicht nur ihrer selbst willen und auf Kosten dieser Kreise zur rein wissenschaftlichen Forschung ausarten.

An diesem Standpunkt müssen wir festhalten. Gerade in der gegenwärtigen Zeitperiode ist übrigens um so weniger Veranlassung vorhanden, von ihm abzugehen, als überall und in allen Zweigen der Volksernährung sich die Notwendigkeit dringend geltend macht, Alles und Jedes zu Nutzen zu ziehen, was ohne.Schädigung der menschlichen Gesundheit einigermassen preiswürdige Verwendung finden kann. Dieser Auffassung haben wir früher bereits mehrmals und im besonderen auch der Regierung des Kantons BaselStadt gegenüber Ausdruck verliehen. Nicht, dass damit einer lockeren Handhabung der bestehenden Vorschriften gerufen oder eine solche unterstützt werden soll, sondern lediglich im Sinn einer Beseitigung der etwa vorhandenen, zwecklosen und deshalb unnötigen Härten und Ungleichheiten.

Wie sehr diese Ansicht selbst von berufener medizinischer Seite geteilt wird, ergiebt sich aus einer kürzlich in der Schweiz.

Rundschau für Medizin erschienenen Abhandlung von Prof. Dr.

Galli-Valerio in Lausanne, betitelt ,,La guerre actuelle et la dissémination des maladies parasitaires de l'homme et des animaux".

Dieser hervorragende Gelehrte empfiehlt dort unter Hinweis auf die steigenden Fleischpreise, daas sogar das Fleisch infizierter Tiere in vermehrtem Mass zum menschlichen Genuss herangezogen werden sollte, wo durch die Anwendung der verschiedenen Sterilisationsverfahren die Bevölkerung vor Infektion geschützt werden könne. Er wendet sich im besonderen und mit Nachdruck gegen die vor dem Krieg manchenorts übertriebene Vernichtung von Fleisch tuberkulöser Tiere und geht damit in seinen Forderungenweit über unsere Bestrebungen hinaus, ohne dabei gesundheitsschädliche Folgen abzuleiten.

VII.

Es erübrigt, uns noch die Behandlung des weiteren Gesuchsdes medizinisch-pharmazeutischen Bezirksvereins von Bern dahingehend, es sei das Veterinäramt zu verhalten, in wichtigen Frage» der Fleischschaü auch ärztliche Fachmänner, beziehungsweise das Gesundheitsamt zu beraten ; hier können wir uns kurz fassen.

Die Fleischschau gehört zum Wirkungskreis der tierärztlichen Wissenschaft. Wenn dieselbe zur Zeit des Erlasses des Lebensmittelgesetzes dem Gesundheitsamt unterstellt war, so ist dieslediglich dem Umstand zuzuschreiben, dass eine schweizerische

356

Zentralstelle für das Veterinärwesen noch nicht bestand. ID richtiger Würdigung der Verhältnisse hat denn auch schon damals die Direktion des Gesundheitsamtes für die Vorarbeiten zur Vollziehung des Gesetzes, soweit es sich um die Fleischschau handelte, auf das Urteil tierärztlicher Fachmänner abgestellt. Auch später,hin, während der ganzen Dauer der Vollziehungsperiode, liess sich das ·Gesundheitsamt in Sachen der Fleischschau stets von tierärztlicher Seite beraten, und schliesslich hat man sich dort allen Ernstes mit dem Gedanken getragen, die Oberaufsicht über dieses Gebiet überhaupt einem Tierarzt zu übertragen. Durch die Schaffung ·eines schweizerischen Veterinäramtes hat diese Frage ihre natürliche Lösung gefunden. Der Bundesratsbeschluss vom 17. November 1914 betreffend die Zuständigkeit der Departemente und der ·ihnen unterstellten Amtsstellen zur selbständigen Erledigung von «Geschäften weist in den Artikeln 52 und 54 den beiden Abteilungen ihre Kompetenzen zu, und Sache der an ihrer Spitze stehenden Fachmänner muss es sein, zu entscheiden, ob und in welchen Fragen Vertreter anderer wissenschaftlicher Richtungen beratend beigezogen werden sollen oder nicht. Dadurch, dass Gesundheitsarnt und Veterinäramt dem nämlichen Departemente unterstehen, ist alle wünschenswerte Gewähr vorhanden zu allfällig notwendiger gegenseitiger Verständigung und Mitarbeit. Es bedarf somit auch keines besonderen Entscheides über die grundsätzliche Auslegung des Artikels 54, Ziffer 8, des angerufenen Bundesratsbeschlusses, ebensowenig als dies bezüglich des ähnlichen Artikels 52, Ziffer 5, notwendig erscheint, der das Gesundheitsamt unverbindlich zur Konsultation von Fachmännern in wichtigen sanitarischen Fragen ermächtigt.

beschlossen: Den Gesuchen des Regierungsrates von Basel-Stadt und des medizinisch-pharmazeutischen Bezirksvereins von Bern ist keine ·Folge zu geben.

B e r n , den 28. November 1916.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Decoppet.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schatzmann.

-~38>-«

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesratsbeschluss über Beschwerden gegen das Kreisschreiben des Volkswirtschaftsdepartementes vom 17. November 1915 betreffend die Vollziehung des Art. 19 der Instruktion für die Fleischschauer (Kaumuskelschnitt). (Vom 28. November 1916.)

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Bundesblatt

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1916

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4

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49

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06.12.1916

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