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Minderheit der Kommission des Ständeraths betreffend die

Lehrthätigkeit der Lehrschwestern im bernischen Jura.

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(Vom 22. Juli 1868.)

Tit..

Raehdem in vorliegender Frage seiner Zeit der schweizerische Bundesrath gesprochen und i.n den letzten Tagen dex schweizerische Ra.tionairath mit 88 gegen 19 Stimmen zu Ungunsten dex Herren Rekursxenten entschieden, ist für den Berichterstatter der Minorität nur eine trübe Aussicht vorhanden, mit deren Schlussnahme mit Erfolg durchsdringen.

Herr Präsident, meine Herren l die Minorität ist heute keineswegs im Falle, einigen Ordensschwestern gegenüber, wenn sie auch auf die. .

Anklagebank sollten versetzt werden, als Verteidiger zur Seite zu stehen.

haben ja dieselben schon s. Z. in dem Grossen Rathe von Bern in der.

dahin bezüglichen Diskussion und in den letzten Tagen im schweizerischen Rationalrathe ihre Ver.theidiger gesunden.

Es ist abex das Volk, repräsentirt mit nahezu 10,000 Unterschrift ten, das den Antrag der Minorität diktirt, das Volk mit seinem guten

Rechte, dem es nicht. gleichgültig sein kann, dureh wen die jugendliche.

Ausbildung besorgt werde; das Volk endlich, das in dex gegenwärtigen Zeit so sehr nach Erweiterung seiner. Rechte drängt.

Herr Präsident, meine Herren l es liegt nun in der Ausgabe der Minorität, dieses. Angeführte gute Recht nachzuweisen. Die Frage, die uns. zu beantworten obliegt, i.st. eine Frage des konstitutionellen Rechtes und dex religiösen Toleranz. Nach beiden Richtungen verdient sie unsere ernsteste Erwägung.

236 Das Dekret, welches der beruhe Grosse Rath unter'm 5. März abhin über den Ausschluss der Ordenspersonen von der Bewerbung um Brimarschulen an den ofseutlichen Schulen im katholischen Jura erlassen hat, wird von den Herren Rekurreuten angesochten als eine Verle^uug : 1^ der Vereiuigungs-Akte des bernischen Jura mit dem Kanton Bern, datirt vom 14. Rovember 1815, und 2) des Art. 82 der bernischen Kantonsverfassung.

Dnreh diese Vereinigungs-Akte vom Jahr 1815 wurde dem katholischeu Landestheile die Erhaltung der Anstalten für den religioseu Unterrieht der Bfarrgemeindeschuleu und Kollegien Bruntrut und Delsberg, ihr F o r t b e s t a u d , ihr U n t e r h a l t und ihre Verwaltung, wie bisher, garautirt.

Run sagt man allerdings, im Angenblicke oder zur Zeit der Bereinigung e^iftirten die beiden religiösen Korporationen, um die es sieh heute handelt, im katholischen Jura nicht. Allein es ist unbestritten, dass die Ursuliueriuuen schon anno 1622 daselbst bestanden hatten , dass sie nur v o r ü b e r g e h e n d ausgelost waren und dass die hohe Regiernug von Bern schon 4 Jahre nach der Vereinigung, anno 1819, und mit der ausdrücklichen Berusung auf die Vereinignugs-Akte sie wieder hergestellt hat. dass somit die Regierung auerkaunte, dass die VereinigungsAkte ihr die Bflicht auferlegte . eine religiose Korporation herzustellen, deren ^Bestand durch die Jahrhunderte lange Dauer und die bloss vorübergehende Auflosuug zum Recht geworden ist.

Herr Präsident. meine Herren^ mau mag über die Worte streiten, aber der Siun und Geist der Vereinigungs-Urkunde ist unzweifelhaft der, dass vom katholischen^ Volke im Jura die Jnstitute der katholischen Kirche in dem vollen , seinen Bedürfnissen entsprechenden Umfange gesichert werden wollte.

Ueberhaupt mag über diese Verträge ^die Ansicht walten, dass sie durch die Ereignisse der Reuzeit viel von ihrer Bedeutung verloren haben . Eines bleibt immer nnzweifelhast, dass der Vereinigungsoertrag, wodurch Bern au das Bisthum Basel sich anschloss, eiu^Wort in sich schliesst, welches der Staat Bern seinen neuen Angehörigen gegeben hat^ dass er das Land nur unter den Bedingungen erhielt, welche der Vertrag

enthält. ^ Ein kleinliches Markten ül..er den Umsang der Zugeständnisse,

welche durch den Vereinigungs^Vertrag dem Jura gemacht worden stnd, fanden bis in die Reuzeit die Staatsbehorden von Bern unter der Würde ihres Landes.

Herr Präsident, meine Herren l Unzweifelhafter, als der Wortlaut

der Vereinigungs-Urkuude, spricht der Art. 82 der bernischen Staatsversassung vom Jahr 1846 zu Gunsten der Betenten. Er lautet. ,,Keine dem Kanton fremde religiose Korporation oder Orden und keine mit

237 denselben verbundene Gesellschaft .kann .sich auf dem Staatsgebiete niederlassen, und kein einer solchen Korporation, Orden oder Gesellschaft angehörendes Jndividunm darf im Staatsgebiete Unterricht ertheilen, als

mit Bewilligung des Grossen Rathes.^

Herr Präsident, meine Herren l Stellen wir nun diesen ^ 82 dem fraglichen Dekrete gegenüber, so ist damit dem Grossen Rathe von Bern jegliche Kompetenz abgeschnitten, Personen, welche einem religiösen Orden angehören, als Lehrer oder Lehrerinnen zu patentiren oder anzustellen.

,, Wohl macht ^ 8l über die freigestellte Befugniss, zu lehren, einen Vorbehalt gese^licher Bestimmungen. Allein mache man Geseze, die der Versassung nicht widersprechen, welche den Behörden die Kompetenz nicht entziehen, Bewilligung für den Schulunterricht auszustellen ^oder nicht.

Run beschlägt aber der Axt. 82 der Versassung auch nach seinem Wortlaute keine religiöse Korporation , welche zur Zeit ihrer Annahme im Kanton Bern noch fremd war.

Die Ursulinerinnen sowohl als die barmherzigen Schwestern waren.

^u dieser Zeit bereits da niedergelassen ; es handelte sieh nicht erst um ihre Niederlassung. Rach unserm Dafürhalten also konnten selbst die barmherzigen Schwestern nicht als ein sremder Orden betrachtet werden, aus den der Art. 82 seine Anwendung fände.

Will man jedoch weiter gehen, einen Unterschied machen, und die barmherzigen ^ehwestern, weil sie in Besancon ein Muttexhaus haben und von demselben abhängig sind, als einen fremden Orden betrachten, fo kann diese .Qualifikation doch jedenfalls die Ursulinerinnen nicht beschlagen, welche unbestritten als eine einheimische Korporation anerkannt werden müssen , die also gar nicht unter den Art. 82 fällt. ^

Richtsdestoweniger schneidet das in Frage liegende Dekret selbst den Ursulineriunen die Mitbewerbung für die öffentlichen Vrimarschulen

ab. Der Art. 81 garantirtele Freiheit des Unterrichts, der Art. 71

der. gleichen Verfassung statuirt die Rechtsgleichheit aller Bürger vor dem Geseze. Wie verträgt sich^s also mit bemeldten Artikeln, eine ganze Klasse von Bersonen ^von erwähntem Erwexbungsrechte auszusehliessen .^l Herr Präsident, meine Herren l Von diesem Gesichtspunkte aus ist nach unserm Dafürhalten die Kompetenz des Bundes unzweifelhaft.

Allerdings ist der Bnnd nicht berechtigt, über die innere Gesetzgebung der Kantone über das Schulwesen ^. einzugreifen, ich selbst würde mich dagegen verwahren ; aber wenn ein Kanton durch einzelne Bestimmungen solcher Dekrete einen Artikel seiner eigenen Verfassung, oder einen Grunds^ des eidgenössischen Rechts verlebt, so darf der Bund unzweifelhaft die Aufhebung solcher Bestimmungen fordern und hat es auch jeweilen gethan.

2^ . He.^. Bradent, meine Herren l Es ist ^be... diese porliegende Fraa^ uieht bloss eln^ Fra^e konstitutionellen. Rechtes, sondern auch der rel.^ ^se.n Tole.......^

Zirka 10,000 Bürger des katholischen Landestheiles verlangen pon ihren protestantischen Miteidgenossen, dass man ihnen diese Lehrsehwestern lasse, dass man einen Zustand fortbestehen lass^, welcher seit langen .Jahren dem. Volk^ lieb, sast unentbehrlich geworden. Abgewiesen vom Grossen Rathe, wenden sie steh an die eidgenössischen Behorden, welche nicht nur die strikte Einhaltung versassungsmässige^ Garantien, sondern auch d.e Währung konfessionellen Friedens zu überwachen haben. Und auch ...u.s dem let^te.rn Gestchtspun..te ergibt sich für uns ein Grund z..m E.n.s.eh...eit...n .im Sinne der Betenten.

.Hat m...n sieh ^ur Zeit k.^m^eteut und im J.^teresse des konfessioue.l.len Friedens veranlasst gesunden, die kantonalen Geseze, weleh... di^ gemischten Ehen verboten, als unvereinbar mit Art. 44 der Bundes^erfassuna^ z..t erklären, so ist heute offenbar weit mehr Grund vorhanden, im gleichen Jnteresse gegen das vorliegende Dekret des Grossen Rathes von Bern vorzugehen, das einen ganzen katholischen Landestheil aus^ Tiefste verlebt.

Die Minderheit der .kommission b e a n t r a g t daher s o w o h l aus G r ü n d e n d e r konstitutionellen Rechte, a l s d e r r e l i g i o s e n T o l e r a n z , d e n p o r l i e g e n d e n R e k u r s im Sinn.e der B e t e n t e n al.^ b e g r ü n d e t und das D e k r e t vom Grossen Rath von Bern vom 5. März abhin ^.ls mit der . ^ a n t o u s v e r s a s s u n g ^oon Bern u n v e r e i n b a r z u e r k l ä r e n .

B e r n . den 22. Juli 1.^.

Ramens der Minderheit, Der Berichterstatter:

^. ^er, Ständerath.

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Bericht der Minderheit der Kommission des Ständeraths betreffend die Lehrthätigkeit der Lehrschwestern im bernischen Jura. (Vom 22. Juli 1868.)

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