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Botschaft des

Bundesrathes an die h. Bundesversammlung, betreffend den Vertrag zwischen der Schweiz und Oesterreich über die Regulirung der Grenze bei Finstermünz.

(Vom 20. Juli 1868.)

Tit. l Zwischen der Schweiz und Oesterreich besteht seit mehr als drei .Jahrhunderten ein Grenzstreit bei Fiustermünz , welcher in vielen BeZiehungen das gleichartige Gegenstük zum Dappenthalstreite bildet.

Das bestrittene Territorium ist ziemlieh gross, zirka 8 Stunden im Umsauge. Dagegen ist es wenig bewohnt ; es befinden sich nur drei Hose (Rovella-, Fans- und Schergenhos) aus demselben; alles andere

sind Wälder, Alpen und Weiden, welche sich übrigens (mit .Ausnahme

des Schergen- oder Schalkelhoses) im unbestrittenen Vrivatbesiz der bündnerisehen Gemeinde Sehleins befinden.

Die beiderseitigen Ansprüche lassen stch in wenig Die Schweiz nimmt auch unterhalb Martinsbruk in Anspruch bis zum Einsluss des Sehergenbachs in reich aber machte ans das nämliche Gebiet von unten

Worten bezeichnen.

das linke Jnnufer den Jnn. Oesterauswärts Hohheits-

ansprüehe, ansänglieh bis gegen Martinsbruk hinanf, später wenigstens

bis zur Ausmüuduug des sog. Mühlaner- oder Mondinerthales nach dem Jnn.

24 Die Streitigkeiten über die Hoheitsrechte auf diesen Gebietstheilen lassen sich bis 1520 --30 aktenmassig zurukversolgen. Es ergibt sich aus dem Art. 20 des Glurnserpertrages vom 17. Dezember 1533, dass es damals t.^rolischerseits anstössig besunden wurde, dass die Engadiner sich unterstanden , aus der linken Jnnseite von Martin.^bruek abwärts einen Weg zu machen, durch welchen der Zoll in Finftermün^ abgefahren wurde. Der Streit kam tro^ vieler Vermittlungsversuche in

den Jahren 1621, 1654, 1663, 1714, 1767 zu keinem Austrage,

verschlimmerte sich im Gegentheil desshalb, weil in Folge ^der Festung-.

aulage bei Finstermünz die Behauptung des jene Festungswerke schüfenden linken Jnnnfers der österreichischen Regierung mehr als je geboten.

schien. Auch eine im Jahr 185..) .angeordnete Grenzkonferenz , bei welcher die Schweiz durch die Herren Ständerath G a n z o u i und Kanzler Schi e ss repräsentirt w a r , blieb erfolglos. Der Bericht der genanuten..

eidgenössischen Kommissäre enthält eine Uebersicht und Kritik der Titel,

auf welche stch die streitenden Parteien stüzen. Der Kürze halber begnügen wir uns, auf dieses interessante Aktenstük zu verweisen, da es.

dem Bundesrathe nicht nöthig scheint , den Rechtsstreit , welcher jezt.

durch einen Vergleich. beendigt ist , in seinen Einzelheiten weiter zu.

verfolgen. Die eidgenössischen Kommissäre resümirten die damaligen Verhandlungen durch einen Verg^leiehsvorschlag, welcher im Wesentlichen dahin ging, es solle der Schweiz das von ihr in Anspruch genommen^ Territorium bis zum Schergenbach überlassen werden , wogegen diese aus die Hoheit über den in österreichischem Besize befindlichen Schergenhos verziehte.

Dieser Vorschlag wurde damals von der österreichischen Regierung^ verworfen ; ex bildete aber pon dieser Zeit an die Grundlage aller weiteren Verhandlungen. Der Bundesrath unterließ nicht, sortu..ährend auf eine Erledigung dieses Anstandes zu dringen ; allein seinen Bemühungen wurden von Seite der österreichischen Militärbehörden ein.

hartnäkiger Widerstand entgegen gesezt.

Erst in den legten Jahren trat von österreichischer Seite eine veränderte Stimmung zu Tage ; die militärischen Bedenken traten etwas in den Hintergrund, und es machte sich in den ^.leitenden Behörden das anerkennenswerthe Bestreben geltend,.

den Forderungen der Schweiz gerecht zu werden.

Die Verhandlungen hatten sich indess in den lezten Jahren mehr auf einen andern, mit der Gebietsfrage in Beziehung stehenden Gegenstand gewendet, dessen wir kurz Erwähnung thun müssen. Zwischen dem Engadin und dem österreichischen Jnn- und Etschthal besteht bekenntlich zur Zeit keine Strassenverbinduug, welche a^us den Ramen einer solchen Anspruch hätte. Zwar ex,istirt zwischen Martinsbruk und Rauders.

ein Karrweg, aus welchem die schweizerische Bostverwaltung sogar .einen Kurs unterhält. Allein da dieser Weg stellenweise über 30 ^ Steigung

25 hat und fast gar nicht unterhalten wird, so versteht es sich wohl von selbst, das.. im Ernste . von einer bestehenden Strassenverbindung nicht gesprochen werden kann. So sehr dieser Zustand der Dinge im Kontraste war mit der prachtvollen Strassenanlage, welche ans der osterreichischen Seite über Finstermünz das Jnn- und Etschthal verbindet, so wurde doch der Uebelstand weniger empfunden, so lang... im Engadin selbst noch keine Strassen bestanden und dasselbe ein abgeschiedenes Hochthal war. Allein das hat sich im lezten Jahrzehnd sehr geändert.

Jezt durchzieht nicht nur eine schöne Strasse das ganze Engadin von Malora bis Martinsbruk, sondern es führen von Rord und Süd eine Reihe neuer Kunstftrassen -- ausser Jnlier und Maioja der Albu.a, Flüela, Vernina und bald auch der ^..senberg --^ in dieses Thal hinein, welches durch seine Heilquellen in St. Moriz und Tarasp ^.gleich zum Zielpunkte massenhafter Kuranten und durch seine landschaftlichen Schönheiten einer noch grössern Masse von Touristen geworden ist. Dass der Rauderser Karrweg jezt als Verbindungsglied der schonen österreichischen und schweizerischen ^trassenneze unerträglich und. fast zu einer Satire geworden ist, wird bei so bewandten Umständen Riemanden^ wundern, und der Bundesrath gab sich desshalb seit Jahren hauptsächlich Mühe, um eine Vereinbarung über einen rationellen Strassenanschlnss bei Finstermünz zu erwirken.

Doch wurde schweizerischerseits die Frage. immer getrennt von dem Grenzstreite behandelt, und es kam wirklich eine Art von UebereinkI.nft zu Stande, indem die österreichische Regierung sich bereit erklärte, auf^ dem rechten Jnnuser die Strasse bis zur Einmündung bei der ^estnng Finstermünz za erbauen. Troz vielsacher Reklamationen schritt sie aber nie zur Ausführung dieses Blanes , indem sie

dessen ausserordentliche Kostspieligkeit ( eir.^a 300,000 Gulden öster.

Währung) vorsehüzte..

Jm Laufe der diessälligen Unterhandlungen schlug nun die österxeichisehe Regierung aus einmal vor, in Abänderung des bisherigen Ver- .

handlungsmodus , .die Strassen- und die Grenzsrage sammethast zu behandeln. Dem Bundesrathe konnte dieser Vorschlag nicht kouvenireu .

dagegen erklärte er sich bereit, die Fragen gleichzeitig und mit einiger Rüksicht aus einander, wenn auch sormell getrennt zu besprechen. Rach^ dem dieses Versahren beliebt worden , so kam die Verhandlung nun in rascheren Fluss.

Durch Rote vom 30. April 1868 gab der Reichskanzler Freiherr v o n ^ e u st unserm Geschässträger am kaiserlichen Hofe , Herrn von T s c h u d i , von der Vereitwilligkeit der kaiserlichen Regierung .^enntniss , den Grenzanstand im Wege eines Vergleichs zu erledigen.

Als Grundlagen dieses Vergleichs wurden folgende .funkte bezeichnet : Es würde die Abtretung des streitigen Gebietes an die Schweiz, .mit Ausnahme des von ihr ohnehin nieht beanspruchten Sehalkelhoses

^ und der pon diesem zur Brüke von Altsinstermünz führenden Strafenstreke nebst dieser Brüke und dem Thurme. keinem .Anstande mehr unterliegen, unter der Bedingung, dass die Schwe^ aus dem überiassenen Ge-.

biete und insbesondere aus dem Rovellaberge keine Befestigungen erbaue.

Aus den als neutrales ...gebiet zu erklärenden ..Kreuzwegen vom Schalke^

hos zur Altsinstermün^brüke und vom Schalkelhof nach Spiss hätten sich die beiden Regierungen die vollständige , durch keinerlei Zolle, Abgaben

oder Belästigung gehemmte Verkehrssreiheit gegenseitig zu garantiren.

Die Ausführung der projektirten Strasse aus dem rechten Jnnuser von Martiusbruk zur Basssperre Rauders (Hochfinstermünz) müsste von der kaiserlichen Regierung wegen den sich derselben entgegenstellenden Schwierigkeiten abgelehnt werden. Hinwieder würde ste neue Anträge der Schweiz über die so wünsehenswerthe Strassenverbindung ^wischen dem Unterengadin und T.^rol mit aller Willfährigkeit in Erwägung ziehen.

Wir theilten diese .Vorschläge der Regierung von Graubünden mit der Einladung ^ur Bernehmlassung darüber mit, woraufhin dieselbe erklärte, dass sie hinsichtlich der vorgeschlagenen Greuzreguiirung mit Allem, was die Buudesbehorde ^ur Wahrung ihrer früher dargelegten Rechte thun werde , vollständig einverstauden sei. Bezüglich des Strassenansehlusses bemerkte sie, dass nachdem ihr Kauton der übernommenen Ver^.

pslichtnng gemäss die Unterengadiner ^trasse bis Martinsbr.uk geführt habe und oste..rei..hischerseits die Erstellung der Verbindung m.t der ien..

seitigen Boststrasse wiederholt zugesichert worden sei , Graubüuden zum Behufe dieses Anschlusses ^u irgend erhebliehen Opfern sieh unter keinen Umständeu würde herbeilassen kennen, znmal seine Kräfte noch ans eine Reihe von Jahren für die Vollendung des Strassenne^es und die allmähli^e Kostentilguu^ bedeutend angespannt werden müssen.

Was die Gren^srage au und für sich ^betrifft , so entsprachen obige Anträge im Wesentlichen dem von den schweizerischen Abgeordneten bei ..der l85.) stattgehabten Konferenz gemachten Vorsehlag. Ein^g die Bedingung, dass die Schweiz sich verpflichten solle, au^ dem ihr zufallenden Gebiete keine Festungswerke zu errichten , war neu. Der Bundesrath hä.te es zwar lieber gesehen, wenn die osterreichisehe Regierung aus diese Bedingung verzichtet hätte. nicht weil er daran daehte, dort ^estungs^ weri.e^u erriehteu, souderu weil solche voll^rrechtliehe .^eroituteu immer-

^ hin das volle Versügungsrecht beeinträchtigen. Das diessällige Verlangen des Buudesrathes saud indess keiuen.^nklang, und er glaubte als^ dann das Verkommuiss au diesem Buukte um so weuiger scheitern lassen zu sollen, als die Billigkeit der osterreichischeu ^orderuug ua^.h den besondern Verhältnissen der .^ertlichkeit nieht in Abrede gestellt werden konnte. Der Bnndesrath konnte ^udem nicht übersehen , dass es sich hier um bestril.tenes gebiet handelt. Wenn nun der eine .^heil ans das Ganze des Streitobjektes verzichte, dabei aber znr ^icheruug der

27 eigenen Jnteressen einen derartigen Vorbehalt macht, so kann darin nicht wohl etwas Anstössiges gefunden werden. dergleichen Vorbehalte sind ohnehin bei solchen Ausgleichungen ziemlich üblich . und es musste die Schweiz auch bei Regulirung des Dappenthalstxeites eine gleiche Ver^flichtung auf das ihr überlassene Territorium übernehmen.

Jn Würdigung des von der österreichischen Regierung durch ihren Vorschlag bethätigten Entgegenkommens ermächtigten wir demnach den schweizerischen Geschäftsträger unterm 1. Juni, aus Grundlage der in der Rote des H.^n. v. Benst angesüßten Bestimmungen unter Ratist. kationsvorbehalt einen Vertrag über die Regulirung der Grenze bei Finstermüuz abznsehliessen.

Jn Bezug auf den Strassenanschlnss liess der österreichische Antrag der Vermuthung Raum , dass es der kaiserlichen Regierung erwünscht wäre , wenn nun die Verbindung aus dem linken llfer gesucht würde.

Jn baulicher Beziehung ist, wenn man von den Schwierigkeiten des sehr lawiueuzügigen Terrains absieht, die Festhaltung der Thallinie allerdings rationeller, und was die Verkehrsinteresseu anbelangt, so wird einerfeits die Verbindung mit dem Junthale eine bequemere uud kürzere, an-

dererseits die Verbindung mit dem Etschthale, mit Rüksicht aus welche der

Anschluss bisher bei Hochfinstermünz oder Rauders erstellt werden sollte, binnen wenigen Jahren durch die Erstellung der Ofenstrasse ebenfalls eine viel kürzere. Es ist zur Zeit jedoch noch nichts am ^rte und auch nicht moglieh, aus diesen Vunkt und die finanzielle Seite der Frage des R...hern einzutreten. Wir beschränken uus auf die Bemerkung, dass die Regierung von Graubünden ersneht worden ist , einen Voranschlag der Kosten, welche eine ^trasse von Martinsbruk auf dem linken Jnnuser bis zur Grenze bei ...lltfinstermimz verursachen würde , erheben zu lassen und zur weitern Vrüfnng an her. mitzuteilen.

Auf obigen Grundlagen kam der Vertrag nun wirklich zum Abschluss. Ueber die Einzelnheiten verweisen wir aus den Vertrag selbst, welcher als selbstverständlich keiner weitern Erläuterung bedars.

Wir machen nur aufmerksam, dass derselbe insbesondere auch noch sür die Jnteressen des schweizerischen Thales .... a.nnaun vortheilhaft ist , da er den Verkehr Desselben mit den übrigen Theilen der Schweiz erleichtert und sür die Ankunft selbst die Anlage einer ^trasse aus schweizerischem Gebiete uach diesem Thale er^uöglieht. Durch den gegenwärtigen Vertrag wird im Uebrigen die ebeu bezeichnete ^trassenfrage uur in so weit berührt , als österreichischerseits die Geneigtheit ausgesprochen wird , zu einem solchen Strassenanschl^sse Hand zu bieten, an welcher um so weuiger gezweifelt werden darf, als die Juteressen der anliegenden österreichischen Gebietstheile diesen Ansehluss ebenfalls dringend erheischen. Wir werden übrigens nicht ermangeln ,^ diesen Gegenstand sofort in weitere Behandlung zu ziehen und wir hoffen, der h. Buudes-

28 versammln^ schon in nächster Zeit bezügliche weitere Vorlagen machen ^u konnen.

Es gereicht dem Bundesrathe zum beso...dern Vergnügen, schliesslich noch beifügen zu können, dass der schweizerische interimistische Geschäftsträger, Hr. v. Tschudi, auch bei Erledigung dieser Angelegenheit eben so ....

viel Eiser als Umsicht an den Tag gelegt und. dass er bei der osterreichischen Regierung ein sehr erfreuliches Entgegenkommen gesunden hat,

ohne welches die gütliche Erledigung eines über 300 Jahre aiten Streites

undenkbar gewesen wäre.

Wir dürsen uns der zuversichtlichen Hoffnung

hingeben, dass das streitige Gebiet, welches bisher die beiden Staaten ^ feindlich trennte , in Bälde sieh zu einem die beiderseitigen Jnteressen gleichmäßig befriedigenden und ^die streitenden Staaten selbst freundsehastlich anuähernden Verbindungsglied gestalten werde.

Jndem wir Jhnen die Genehmigung dieses Vertrages durch Annahme des nachsolgendeu Beschlussentwurfes empsehleu , geben wir uns gleichzeitig die Ehre, Sie, Tit., unserer vollkommensten Hochachtung zu ^versichern.

Bern, den 20. Juli 1868.

Jm Ramen .des schweizerischen Bundesrathes, Der Bundespräsident:

^. .^. Dnbs.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: ^ .

.

l n e s .

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.

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Beschln^entwnrs betreffend

den Vertrag Aschen der S.^we^ und ^...sterr^ch über Regul.rrun.^ der ^reu^e bei ^...nste.^un.^.

Die B u n d e s v e r s a m m l u n g der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht monat 1868,

einer Botschaft des Bundesrathes vom 20. Heu-

beschließt.

1. Dem ^wischen der Schweiz und Oesterreich am 14. Heumonat 1 868 in Wien abgeschlossenen Vertrag über die Regulirnng der .Landesganzen bei Finstermünz wird die vorgehaltene Genehmigung ertheilt.

2. Der Bundesrath ist mit der Vollziehung des gegenwärtigen Beschlusses beauftragt.

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Botschaft des Bundesrathes an die h. Bundesversammlung, betreffend den Vertrag zwischen der Schweiz und Oesterreich über die Regulirung der Grenze bei Finstermünz.

(Vom 20. Juli 1868.)

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01.08.1868

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