#ST#

Schweizerisches Bundesblatt.

XX. Jahrgang. III.

Nr. 46.

#ST#

17. Oktober 1868.

Aufruf des

Bundesrathes an das Schweizervolk und an die Schweizer im Auslande.

G e t r e u e , liebe Eidgenossen!

Jn den Jubel über ein wunderbar gesegnetes und reiches Jahr haben die Tage seit dem 27. v. Mts. plozlich einen tiefen Misston gebracht.

Unerhorte Ueberschwemmungeu haben einzelne Gegenden unsers Vaterlandes schwer heimgesucht und die friedlichen Bewohner desselben in tiefe Trauer versezt. Die Unglükskunde von diesen Ereignisseu hat sich mit Blizessehnelle überall hin bis zur lezten hütte ver-

breitet , doch sind wir gegenwärtig leider noch nicht im Falle, die Ein-.

Feinheiten der Verheerungen näher darzustellen und die Grosse des Schadens auch uur annähernd zu berechnen. Unbesangeue und zuverlässige Zeugen entwerfen uns aber von dem, was sie geschaut, von den Verwüstuugeu, dereu Schauplaz die Kautone St. Gallen, Graubündeu, Tessiu , Wallis und Uri waren , ein Schrekeusbild , das uns zu dem bekenntniss nothigt, dass wir vor einen. Laudesunglük stehen, ^ie es in Dieser Grosse , in dieser S.hwere seit Jahrzehuden uud theilweise seit Jahrhunderten die Schweiz nicht mehr getroffen hat. Ganze .Ortschaften stel.e.. oerodet, und uoch lauge werden die verscheuchten Einwohner nicht mehr an deu heimischen Herd zurükkehreu dürsen. ändere Ortschasten sind fast ganz verschüttet , und nur Ruinen bezeichnen jezt die ehemaligen Wohnstätteu harmloser und arbeitsamer Meuscheu. fruchtbare und .blühende Gelände sind verschüttet u..d verschlammt, und es werden Jahre

Bundesblatt. Jahrg. XX. Bd. III.

41

520 darüber hingehen, bis dieselben als der Kultur zurükgegeben betrachtet werden konnen. Andere ehemals üppige Gefilde sind dem Elemente geradezu zum Opfer geworden , und wir dürfen uns der Ueberzeugung nicht verschliefen , dass die erlittenen Verluste in. die Millionen gehen werden. Endlicher noch als dies ist aber der Umstand, dass e.uch eine Reihe von Menschen, wahrscheinlich 60 an der Zahl, bestimmt waren, nicht nur Hab und Gut , sondern auch das .Leben in diesen Unglükstagen einzubüssen.

Jn solcher Trübsal , in solchem nie gesehenen Jammer steht die Hoffnung, steht die Zuversicht der Heimgesuchten, nächst Gott, aus der alt bewährten Liebe und ewigen Treue der Eidgenossen ; ihr banger und besorgter Blik richtet sich aus ^das Vaterland.

Und Jhr. getreue, liebe Eidgenossen , werdet, das wissen wir, diese Hoffnung zur Wahrheit machen; Jhr werdet jene Zuverficht erfüllen.

Eingedenk Eueres bedeutungsvollen Ramens und hinschauend auf das Vorbild Euerer Väter , werdet Jhr mit vereinten Krästen streben , die vorhandene Roth zu lindern , das Elend zu heben , die Thränen zu troknen . - und die armen Waisen der in den Flnthen Verschwundenen und der unter den Steinlawinen begrabenen , sie sollen es erfahren , dass die Eidgenossenschaft ihnen Vater und Mutter ersezen will.

Der alt schweizerische Wahlspruch : ..Einer für Alle und Alle sur Einen^ erfüllt uns nieht bloss dann mit Begeisterung, wenn der äussere Feind an die Bforten unseres Hochlandes poeht . er ist vielmehr auch dann unser Leitstern , wenn im Jnnern das Unglük an die Thüre klopft, wenn es gilt, die Bruderhand einzelnen .Landestheilen zu reichen, die mit den gewaltigen Elementen einen uuverhältnissmässigen Kamps zu bestehen ausersehen sind und die in diesem Kampfe unterliegen. Roch nie hat der Eidgenosse dem Eidgenossen diese Bruderhand verweigert; und so wird denn auch Jeder unter uns gerne bereit sein, je nach seinen Verhältnissen die reiche Gabe oder das bescheidene Seherflein auf den Altar des Vaterlandes hinzulegen, und Keiner wird dem Rettnngswerke sich entziehen.

Jn allen Kantonen werden Hilssvereine sich bilden, wo solche noeh nieht bestehen, so dass Jeder in seiner nächsten Rähe Gelegenheit findet,

die Liebesgabe darzubringen.

Aueh an Euch , Jhr Eidgenossen in der Ferne , richtet sich unsere Stimme ^ an Euch , die Jhr , weun auch in alle Theile der Welt zerstreut, doch niemals die geliebte und Euch mit .Liebe umfangende Heimat zu vergessen im Stande seid. Jl.^ habt , obwohl von uus getrennt, das Reeht Ench vorbehalten , an den Gesehiken Eueres Vaterlandes redlich Theil ^u nehmen. Zu allen Zeiten und unter allen Umständen .habt Jhr Euch das Reeht gewahrt , sei es zur Hebung unserer Freude,

^

521

sei es zur Milderung unseres Missgesehikes , dem Zuge Euerer Herzen freien Lauf zu lassen. Und daher. dürfen wir mit dem Vertrauen der ..^ewissheit zu Euch hoffen, da... auch diesmal unser Hilferuf bei Allen, deinen ausgenommen , ein freudiges und entsprechendes Echo finden werde.

Jst auch gross die Roth , so ist doch grossex noch die Bruderliebe l Und im Hinblike auf das, was die Eidgenossen in trüben Tagen noch je und je geleistet haben und heute wieder ^zu leisten. willens sind, darf unser Auge getrost sich heben und dürfen wir einer fchönern Zukunft entgegensehen.

Darum seien auch diese Tage der Vrüsung uns gesegnet, da wir mit ..Lottes Hilfe sie ehrenvoll bestehen werden. ^ gesegnet seien uns diese Tage, in denen wir als Kinder einer Mutter, als Glieder der gleichen Familie vor die Welt treten und Zeugnis.. ablegen wollen, dass wir, wie in der Freude und im Glüke, so auch in der Widerwart und in der Roth e i n Herz und e i n e

Seele find.

B e r n , den 14. Weinmonat 1868.

Jm Ramen des schweif. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä sid ent:

^ ^. Dnbs.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: ^ie^.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Aufruf des Bundesrathes an das Schweizervolk und an die Schweizer im Auslande.

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1868

Année Anno Band

3

Volume Volume Heft

46

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

17.10.1868

Date Data Seite

519-521

Page Pagina Ref. No

10 005 935

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.