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Botschaft des

Bundesrathes an die h. Bundesversammlung, betreffend die abwanderte Verfassung des Kantons Solothurn.

(Vom 1. Juli 1868.)

Tit. .

Der Kantonsrath des Standes .Solothurn hat unterm 24. Rovember 1867 einige Abänderungen der dortigen Staatsversassung vom 1. Juni 1856 beschlossen, die vom Volke in seiner Abstimmung vom

29. Dezember gleichen Jahres mit 5975 gegen 4538 Stimmen , also mit einem Mehr von 1437 Stimmen angenommen worden sind.

Mit Zuschrift vom 8. Januar abhin hat der Regierungsrath des .Kantons Solothurn uns diese .Abänderungen zur Kenntniss gebracht und dabei den Wunsch ausgesprochen , wir mochten dieselben der hohen Bundesversammlung bei deren nächstem Zusammentritt zur Genehmigung vorlegen.

Jn Pachtung des Art. 90, Ziff. 3, und des Art. 74, Ziff. 7 der Bundesverfassung legen wir Jhnen diese Abänderungen vor und begleiten dieselben übungsgemäss mit einem kurzen Bericht und unsern Anträgen.

Rur die §§ 18 und 24 geben uns zu Aussezungen Anlasse die übrigen Abänderungen bieten nicht Stoff zu Bemerkungen und konnen unbeanstandet genehmigt werden.

40 Anbelangend den Baragraph 18 ist Folgendes zu bemerken: Der unverändert beibehaltene vorausgehende ^ 17 sagt : ,.Jeder Stimmberechtigte ist gehalten, an Volksabstimmungen und ,,Wahlen in eidgenossischen und Kantonsangelegenheiten Theil zu ^nehmen .^ .

Jm darauffolgenden ^ l8 ist das lezte Lemma: .^Wer nicht ,,Bürger oder Niedergelassener der Wohngemeinde ist, hat sieh über einen ,,Ansenthalt von vier Wochen in derselben auszuweisen,^ dahin umgeändert worden , dass ein Aufenthalt von sechs Monaten vor dem Abstimmungstage verlaugt wird.

Was

nun die eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen anbe-

trifft, so sind bezüglich der Stimmfähigkeit die Artikel 42 und 63 der Bundesverfassung massgebend. Der erstere bestimmt, dass jeder Kantonsbürger auch Schwei^rbürger sei, und der lettere, ^ dass jeder Schweizer stimmberechtigt ist, der das zwanzigste Altersjahr zurükgelegt hat und im Uebrigen nach der Gesezgebnug des Kantons, in welchem er seinen Wohnsiz hat. nicht vom Aktivbürgerrecht ausgeschlossen ist. Es kommen dann noch in Betracht die Vorschriften des Gesezes , betreffend die Wahl der Mitglieder des Nationalrathes :

,,Art. 4. Die Wähler üben ihr Stimmrecht jeweilen da aus, wo sie wohnen.

,,Als ihr Wohnsiz gilt der ^rt, an dem sie ihren ordentlichen A..fenthalt habeu.^ Die gleichen Grundsäze kommen auch bei den eidgenössischen Abstimmungen in Anwendung.

Aus dem Gesagten folgt, da^ die Kantonsbehorden bei eidgeuösfischen Wahlen und Abstimmungen an die Ausübung des schweizerischen Stimmrechtes keine weitern erschwerenden Bedingungen knüpfen können; einzig ist ihnen gestattet , Solche davon fern zu halten , die nach der Kantonsges.^gebung vom Aktivbürgerreeht ausgesehlosseu sind.

Der umgeänderte ^ 18 geht aber viel weiter, er bestimmt, dass wex nicht Bürger oder Niedergelassener der Wohngemeinde ist, sich vor dem Abstimmungstage über einen Aufeuthalt von sechs Monaten in derselben auszuweisen habe. Wenn also z. B. ein Sehweizerbürger aus einem andern Kanton an einem eidgenossisehen Wahl- oder Abstimmungstage schon seit süns Monaden, mit gehörigen Ausweisschristen persehen, iu einer solothurnisehen Gemeinde als Ausenthalter Wohnsiz hat, so würde er nach Vorsehrist der zitirten Bestimmung an der Gemeindeversammlnng nicht ^.gelassen. Dies ist aber offenbar nicht zulässig. Ein solothurniseher Ausenthalter kann sich gegen eine solche .Beschränkung allfällig dadurch helfen , dass er bei dem Eintritt eidge-

41 nossischer Wahlen oder Abstimmungen in seine Heimatgemeinde geht, wo man ihn, mit Rüksicht auf die Verfassungsbestimmung, wahrscheinlieh sein Stimmrecht ausüben lassen würde. Ein Schweizer ans einem andern, namentlich ans einem sern gelegenen Kantone, würde aber faktisch von einer Stimmabgabe ausgeschlossen.

Man kann einwenden, schon die Versassung^ von 1856 habe einen solchen Termin für die Aufenthalter ^verlangt, der damals unbeanstandet genehmigt worden sei ; wenn aber im Brinzip die Zulassung eines solchen Termins erlaubt sei, so könne die grossere oder geringere Dauer desselben zu keiner begründeten Anssezung Anlass geben. Aus eine solche Einwendung müssten wir Folgendes antworten :

Das Wahl- und Abstimmungsrecht der Aufenthalter ift bei eidgenossischen Wahlen und Abstimmungen nicht an irgend welchen längern oder kürzern Aufeuthalt geknüpst. Der Niedergelassene erhält es mit dem Tage der Niederlassung. Wenn dagegen bei Glossen Aufenthaltern den Kantonen gestaltet sein muss , zu konftatiren , dass der Betreffende sieh über einen wirklichen und ernstgemeinten längern Aufenthalt ausweisen müsse, um das System von ambulanten Wählern auszuschliessen, so muss hierin doch eine gewisse Grenze gezogen werden , sonst können durch lange Termine die Kantone das schweizerische Wahl- und Stimmrecht einer großen Anzahl von Aufenthaltern geradezu illusorisch machen.

Die ambulanten Wähler werden überhaupt in eidgenössischen Augelegenheiten nicht so leicht vorkommen.

Wenn die Bnndesversassnng sur die Ausübung des schweizerischen ^timmrechts der Ausenthalter gar keinen Termin kennt, so ko.nnen die eidgenössischen Behörden nicht zugeben, dass die Kautone längere Zeitfristen in ihre Verfassungen aufnehmen , als zum fernhalten von allfälligen Missbräuchen nothig ist. Die alte Verfassung von Solothurn hatte vier Wochen angesät, was vollkommen genügt, während sechs Monate für einen, der vielleicht schon in den ersten Tagen seiner An.Wesenheit sich über seine Absichten genügend ausgewiesen hat, zn lange

ist. Wird dieser neue Termin nicht genehmigt, so bleibt die alte gnt

^geheissene Bestimmung in Kraft, wogegen wir nichts einwenden wollen, obwohl eigentlich in den eidgenössischen Vorschriften gar kein Termin vorgeschrieben ist, und der Ausweis über wirkliehen ordentlichen Wohn-

siz zu jeder Zeit genügen sollte. . Für die Richtigkeit unserer prinzi-

piellen Anschauungen können wir uns ansser den zitirten gesezlichen Bestimmungen auf frühere Verhandlungen bei Anlass von Verfassnngsgenehmigungeu bernsen.

Wir erachten daher, die Abänderung des lezten ^emma von ^ t 8 solle nicht genehmigt werden.

42 Was dann den ^ 24 betrifft, so ist Folgendes zu bemerken : Dieser Artikel handelt von der Stimmberechtigung bei den Wahlen in den Grossen Rath. Während die Verfassung von 1856 in UeberEinstimmung mit dem Art. 42 der Bundesverfassung nebst den im Danton wohnenden Kantonsbürgern nur die niedergelassenen ausserkantonalen Sehweizerbürger zu den Wahlverhandlungen zuliess , dehnt die abgeänderte Verfassung die Stimmberechtigt^ auch auf alle im Kanton wohnenden Schweizerbürger aus , d. h. aueh auf die blossen

Aufenthalter. Gegen diese liberale Ausdehnung lässt sieh nichts ein-

wenden ; dieselbe ist vielmehr als ein Fortschritt im eidgenössischen Leben zu begrüssen.

Aus den ersten Blik scheinen aber die naehsolgenden Bedingungen .

über Ausübung des Stimmrechtes sieh gegen die Gleichheit zu verstossen.

Es wird nämlich verfügt : .,Wer nicht Bürger oder Niedergelassener der Wohngemeinde ist, hat sich vor dem Abstimmungstage über einen Aufenthalt von sechs Monaten in derselben auszuweisen, von der Einlegung der Ausschriften über seine Stimmberechtigung an gerechnet.

Der Ausweis, welchen Kantonsbürger über ihren Ausenthalt zu leisten haben, beschränkt sich auf vier Wochen, inzwischen behält er die Stimmberechtigung in seiner frühern Wohngemeinde.^ Hierüber ist Folgendes zu bemerken : Raeh Art. 42 der Bundespersassung sind die Kantone für kantonale Wahlen nur perpflichtet , die im Kanton gesezlich niedergelassenen Schwei^erbürger zum Stimmrecht zuzulassen, nicht aber die blossen Aufenthalter, ja sie können selbst sur die Niedergelassenen ^eine Dauer, die sich aber nicht über zwei Jahre ausdehnen darf, feststen, nach deren Ablaus die .^.timmbereehtigung erst eintritt.

Wenn nun Solothurn den Niedergelassenen sofort mit der Erwerbung der Niederlassung die ^timmberechtigung sür kantonale Wahlen einräumt und den Ansenthaltern dieses Recht, welches es ihnen gar nicht geben müsste, ebensalls einräumt, so darf es ganz gut die Forderung daran knüpsen, dass ein solcher vor dem Abstimmungstage sechs ^ Monate in der Wohngemeinde sich aufgehalten haben müsse. Wer in einer Sache gar kein Recht beanspruchen dars, kann sich nicht beklagen, wenn^ ihm dieses Recht doch eingeräumt wird , er aber gewisse Vorbedingungen ersüllen muss^die derjenige (der Kantonsbürger), dem dieses Recht eo ipso zusteht, nicht in gleichem Masse zu ersüllen verpflichtet ist. Gestüt aus diese Erörterungen erachten wir, es lasse sich aus dem bundesrechtlichen Standpunkte gegen diese Bestimmung keine Einwendung machen.

43 Wir schlagen Jhnen daher den nachstehenden Beschluß vor, und erneuern Jhnen, .Tit., die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.

B e r n , den 1. Juli 1868.

Jm ....amen des schweiz. Bundesrathes, Der B u . n d e s p r ä s i d e n t :

Dr. J. Dnbs.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Schiess.

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Bundesbeschluß betreffend

die Gewährleistung einiger Abänderungen der Staatsverfassung des Kantons Solothurn, vom 24. November 1867.

der

Die Bundesversammlung s c h w e i z e r i s c h e n E i d g e n o s s e n s eh a f t ,

nach Einsicht des Beschlusses des Kantonsrathes von Solothurn,

betreffend die Abänderung der §§ 8, 9, l1, 12, 16, 18, 23, 24, 25, 27, 28, 30, 36, 48 und 4..) der dortigen Kantonsversassung, vom 1. Jnni 1856, in Erwägung : dass die Abänderung des § 18, leztes Lemma, den Vorschristen der Bundesversassung, so weit dadurch eidgenössische Wahlen und Abstimmungen betroffen werden, widerspricht , dass die übrigen Abänderungen in ihrem Jnhalte mit der Verfassung und den Gesezen des Bundes nicht im Widerspreche stehen ,

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Botschaft des Bundesrathes an die h. Bundesversammlung, betreffend die abgeänderte Verfassung des Kantons Solothurn. (Vom 1. Juli 1868.)

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