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87.073

Botschaft über die Gewährleistung der geänderten Verfassungen der Kantone Nidwaiden, Glarus, Schaffhausen, Graubünden, Genf und Jura vom 30. November 1987

Sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen den Entwurf zu einem Bundesbeschluss über die Gewährleistung der geänderten Verfassungen der Kantone Nidwaiden, Glarus, Schaffhausen, Graubünden, Genf und Jura mit dem Antrag auf Zustimmung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

30. November 1987

1987-989

10 Bundesblatt. 140.Jahrgang. Bd.I

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Aubert Der Bundeskanzler: Buser

249

Übersicht Nach Artikel 6 Absatz l der Bundesverfassung sind die Kantone verpflichtet, für ihre Verfassung die Gewährleistung des Bundes einzuholen. Nach Absatz 2 des gleichen Artikels gewährleistet der Bund kantonale Verfassungen, wenn sie weder die Bundesverfassung noch dßs übrige Bundesrecht verletzten, die Ausübung der politischen Rechte in republikanischen Formen sichern, vom Volk angenommen worden sind und revidiert werden können, sofern die absolute Mehrheit der Bürger es verlangt. Erfüllt eine kantonale Verfassung diese Voraussetzungen, so muss sie gewährleistet werden; erfüllt eine kantonale Verfassungsnorm eine dieser Voraussetzungen nicht, so darf sie nicht gewährleistet werden.

Die vorliegenden Verfassungsänderungen haben zum Gegenstand: - im Kanton Nidwaiden: die Mitsprache des Volkes bei kantonalen Stellungnahmen zur Errichtung von Kernanlagen sowie die Änderung der Finanzkompetenzen des Landrates und des Regierungsrates; - im Kanton Glarus: die Notrechtskompetenzen der Behörden sowie Bestimmungen über den Beginn der Amtsdauer und Unvereinbarkeiten für das Verwaltungsgericht; - im Kanton Schaffhausen: die Revision der Gerichtsverfassung im Bereiche des Strafrechts; - im Kanton Graubünden: die Neuregelung der Zuständigkeit in der Sozialhilfe sowie den Umweltschutz und die kantonale Energiepolitik; - im Kanton Genf: die Festlegung einer kantonalen Energiepolitik einschliesslich einer Verpflichtung der kantonalen Behörden, bestimmte Bewilligungspflichten einzuführen und sich in allfälligen Stellungnahmen zuhanden der Bundesbehörden gegen die Errichtung von Kernanlagen auf dem Gebiete des Kantons oder in seiner Nachbarschaft zu wenden; - im Kanton Jura: die Unvereinbarkeit eines Mandats in den eidgenössischen Räten mit der Mitgliedschaft in der Kantonsregierung.

Alle Änderungen entsprechen dem Artikel 6 Absatz 2 der Bundesverfassung; sie sind deshalb zu gewährleisten, wobei für Artikel 160 C Absatz 5 der Verfassung des Kantons Genf ein Vorbehalt betreffend Artikel 24quiaqi"es der Bundesverfassung und die darauf abgestützte Bundesgesetzgebung im Bereiche der Kernenergie anzubringen ist.

250

Botschaft 1

Die einzelnen Revisionen

II

Verfassung des Kantons Nidwaiden

In der Landsgemeinde vm 26. April 1987 haben die Stimmbürger des Kantons Nidwaiden der Änderung von Artikel 52 Absatz 3 Ziffer 2, 53 Absatz l Ziffer 2, 61 Ziffer 6, 65 Absatz 2 Ziffern 4 und 9 der Kantonsverfassung sowie der Einfügung von Artikel 52 Absatz 3 Ziffer 5 in die Kantonsverfassung zugestimmt. Mit Schreiben vom 14. Mai 1987 ersucht der Landschreiber um die eidgenössische Gewährleistung.

III

Kantonale Stellungnahmen zu Atomanlagen

Der bisherige und der neue Text lauten: Bisheriger Text Art. 65 Abs. 2 Ziff. 4 2 Er ist namentlich befugt und beauftragt : 4. Vernehmlassungen zu erstatten, zu denen der Bund den Kanton auffordert;

Neuer Text Art. 52 Abs. 3 Ziff. 5 3 In die Zuständigkeit der Landsgemeinde fallen weiter: 5. die Verabschiedung von Stellungnahmen des Regierungsrates zuhanden des Bundes, soweit sie sich auf Atomanlagen4 insbesondere Lagerstätten für radioaktive Abfälle, und sie vorbereitende Handlungen auf dem Gebiete des Kantons Nidwaiden beziehen.

Art. 65 Abs. 2 Ziff. 4 2 Er ist namentlich befugt und beauftragt: 4. unter Vorbehalt von Artikel 52 Absatz 2 Ziffer 5 Vernehmlassungen zu erstatten, zu denen der Bund den Kanton auffordert; ;

Mit der neuen Bestimmung wird über die kantonalen Stellungnahmen zu Kernanlagen nicht mehr der Regierungsrat, sondern die Landsgemeinde beschliessen; dem gleichen Verfahren werden auch kantonale Stellungnahmen zu entsprechenden Vorbereitungshandlungen unterstellt.

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Finanzkompetenzen des Landrates und des Regierungsrates

Der bisherige und der neue Text lauten: Bisheriger Text Art. 52 Abs. 3 Ziff. 2 3 In die Zuständigkeit der Landsgemeinde fallen weiter: 2. unter Vorbehalt von Artikel 61 Ziffer 6 die Beschlüsse über einmalige Ausgaben, die 100 000 Franken, und über jährlich wiederkehrende Ausgaben, die 20 000 Franken übersteigen; Art. 53 Abs. l Ziff. 2 1 Der Landsgemeinde sind zu unterbreiten, wenn es binnen zwei Monaten seit der Veröffentlichung des Erlasses oder Beschlusses von einem Zwanzigstel der Aktivbürger schriftlich verlangt wird: 2. die Beschlüsse des Landrates, die frei bestimmbare einmalige Ausgaben von mehr als 50 000 Franken oder jährlich wiederkehrende Ausgaben von mehr als 10 000 Franken zur Folge haben; Art. 61 Ziff. 6 In die Zuständigkeit des Landrates fallen weiter: 6. die Beschlussfassung über alle Ausgaben, die durch das Bundesrecht dem Kanton verbindlich vorgeschrieben sind, über alle Ausgaben, für die dem Landrat durch das Gesetz Vollmacht erteilt ist, sowie über alle frei bestimmbaren einmaligen Ausgaben bis 100 000 Franken und jährlich wiederkehrenden Ausgaben bis 20 000 Franken; Art. 65 Abs. 2 Ziff. 9 2 Er ist namentlich befugt und beauftragt : 9. unter Vorbehalt weitergehender, ihm durch die Gesetzgebung oder durch Beschluss des Landrates übertragener Vollmachten frei bestimmbare einmalige Ausgaben bis 20 000 Franken und jährlich wiederkehrende Ausgaben bis 4000 Franken zu beschliessen.

Neuer Text Art. 52 Abs. 3 Ziff. 2 3 In die Zuständigkeit der Landsgemeinde fallen weiter: 2. unter Vorbehalt von Art. 61 Ziffer 6 die Beschlüsse über einmalige Ausgaben, die 250 000 Franken, und über jährlich wiederkehrende Ausgaben, die 50 000 Franken übersteigen; Art. 53 Abs. l Ziff. 2 1 Der Landsgemeinde sind zu unterbreiten, wenn es binnen zwei Monaten seit der Veröffentlichung des Erlasses oder Beschlusses von einem Zwanzigstel der Aktivbürger schriftlich verlangt wird:

252

2. die Beschlüsse des Landrates, die frei bestimmbare einmalige Ausgaben von mehr als 125 000 Franken oder jährlich wiederkehrende Ausgaben von mehr als 25 000 Franken zur Folge haben; Art. 61 Ziff. 6 In die Zuständigkeit des Landrates fallen weiter:

,

6. die Beschlussfassung über alle Ausgaben, die durch das Bundesrecht dem Kanton verbindlich vorgeschrieben sind, über alle Ausgaben, für die dem Landrat durch das Gesetz Vollmacht erteilt ist, sowie über alle frei bestimmbaren einmaligen Ausgaben bis 250 000 Franken und jährlich wiederkehrenden Ausgaben bis 50 000 Franken; Art. 65 Abs. 2 Ziff. 9 2 Er ist namentlich befugt und beauftragt: 9. unter Vorbehalt weitergehender ihm durch die Gesetzgebung oder durch Beschluss des Landrates übertragenen Vollmachten frei bestimmbare einmalige Ausgaben bis 50 000 Franken und jährlich wiederkehrende Ausgaben bis 10 000 Franken zu beschliessen;

Mit der neuen Regelung werden die Finanzkompetenzen des Landrates und des Regierungsrates an die Teuerung angepasst. Entsprechend werden die Limiten für das obligatorische Finanzreferendum auf 250 000 Franken für einmalige Ausgaben und auf 50 000 Franken für wiederkehrende Ausgaben, für das fakultative Finanzreferendum auf 125 000 Franken für einmalige Ausgaben und auf 25 000 Franken für wiederkehrende Ausgaben festgesetzt.

113

Bundesrechtmässigkeit

Die Änderung, mit der die Stellungnahme des Kantons zuhanden des Bundes bei der Errichtung von Kernanlagen von der Landsgemeinde beschlossen werden muss, lehnt sich an das Beispiel anderer Kantone an (Zürich, Bern, Glarus, Schaffhausen, Neuenburg und Waadt), die alle von der'Bundesversammlung gewährleistet worden sind. Eine ähnliche Regelung hat Genf mit Artikel 160 C Absatz 5 letzter Satz der Kantonsverfassung eingeführt (Ziff. 143 dieser Botschaft). Die kantonalen Stellungnahmen, die der Bund gestützt auf die Kernenergiegesetzgebung einholt, haben sich zur Frage der Erfüllung oder Nichterfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung von Bewilligungen zu äussern, die auf diese Gesetzgebung abgestützt werden. Das Gesetz schreibt dem Kanton nicht vor, wie er seine Meinung bilden soll; es steht dem Kanton frei, auch das Volk zur Meinungsäusserung zuzulassen (vgl. auch BGE 104 la 343 ff., nicht veröffentlichte Erwägung 5). Die neue Bestimmung verletzt demzufolge weder die Bundesverfassung noch sonstiges Bundesrecht und ist zu gewährleisten. Vollständig im Bereiche der kantonalen Organisationskompetenz liegt die Anpassung der Finanzkompetenzen des Landrates und des Regierungsrates; auch diese Änderung ist zu gewährleisten.

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12

Verfassung des Kantons Glarus

In der Landsgemeinde vom 3. Mai 1987 haben die Stimmbürger des Kantons Glarus der Änderung von Artikel 21bis und 25 der Kantonsverfassung sowie der Einfügung von Artikel 29 Absatz 2 in die Kantonsverfassung zugestimmt. Mit Schreiben vom 10. August 1987 ersucht der Regierungsrat um die eidgenössische Gewährleistung.

121

Notrechtskompetenzen der Behörden

Der bisherige und der neue Text lauten: Bisheriger Text Art. 21bis Auf dem Wege der Gesetzgebung können zum Schutze der Bevölkerung für den Fall von Katastrophen und kriegerischen Ereignissen dem Landrat und dem Regierungsrat für beschränkte Zeit Befugnisse eingeräumt werden, welche von den Zuständigkeitsvorschriften der Verfassung abweichen.

Neuer Text Art. 21a

' Zum Schutz der Bevölkerung bei Versorgungsstörungen oder schweren Mangellagen, denen die Wirtschaft nicht selber begegnen kann, bei Katastrophen oder kriegerischen Ereignissen können dem Landrat und dem Regierungsrat durch Gesetz für beschränkte Zeit Befugnisse eingeräumt werden, die von den Zuständigkeitsvorschriften dieser Verfassung abweichen.

2 Sobald es die Umstände zulassen, erstattet der Regierungsrat dem Landrat und dieser der Landsgemeinde Bericht über die getroffenen Massnahmen.

Mit der Änderung werden die Notrechtsbestimmungen der Verfassung von Katastrophen und kriegerischen Ereignissen auch auf Versorgungsstörungen und schwere Mangellagen ausgedehnt. Die Änderung bildet die Grundlage für eine entsprechende Ergänzung des kantonalen Gesetzes über vorsorgliche Massnahmen für den Fall von Katastrophen und kriegerischen Ereignissen, die anlässlich der gleichen Landsgemeinde in besonderer Abstimmung beschlossen wurde.

122

Beginn der Amtsdauer

Der bisherige und der neue Text lauten: Bisheriger Text Art. 25 Für die Behörden und Beamten des Kantons und der Gemeinden besteht eine Amtsdauer von vier Jahren, nach deren Ablauf indessen die Wiederwahl freisteht. Vorbehal-

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ten bleiben die anderslautenden Bestimmungen betreffend den Landammann, den Landesstatthalter, den Präsidenten und den Vizepräsidenten des Landrates (Art. 49 und 39).

Neuer Text Art. 25 1 Die Amtsdauer für die Behördemitglieder. Beamten, Angestellten und Lehrer des Kantons und der Gemeinden beträgt vier Jahre. Sie nimmt ihren Anfang jeweils am 1. Juli, mit folgenden Ausnahmen: Für den Landrat beginnt die Amtsdauer mit der konstituierenden Sitzung, für den Landammann, den Landesstatthalter, die Mitglieder des Regierungsrates, die Ständeräte und die Richter an der Landsgemeinde, für die Lehrer mit dem neuen Schuljahr.

2 Nach Ablauf der Amtsdauer ist die Wiederwahl zulässig. Vorbehalten bleiben die Vorschriften für den Landammann, den Landesstatthalter sowie den Präsidenten und den Vizepräsidenten des Landrates.

Mit der Änderung sollen die bisher bestehenden Unklarheiten über den tatsächlichen Amtsantritt neu gewählter Behörden und Beamten beseitigt werden, indem ein einheitliches Datum für den Beginn der Amtsdauer festgelegt wird.

Beibehalten wird die bisherige Sonderregelung für Behördemitglieder, die an der Landsgemeinde vereidigt werden.

123

Unvereinbarkeitsbestimmung für das Verwaltungsgericht

Der neue Text lautet: Neuer Text Art. 29 Abs. 2 2 Der Präsident und die Richter des Verwaltungsgerichtes können nicht Mitglieder des Landrates oder einer Gemeindebehörde sein, noch dürfen sie der kantonalen Verwaltung angehören.

Mit der Änderung wird der Artikel über die Einführung eines kantonalen Verwaltungsgerichtes durch Unvereinbarkeitsbestimmungen ergänzt. Diese Ergänzung ist notwendig geworden, weil das Amt des Verwaltungsgerichtspräsidenten nun als Vollamt ausgestaltet wurde.

124

Bundesrechtmässigkeit

Die Änderung der Notrechtsbestimmung ermöglicht eine Anpassung des kantonalen Rechts an die Erfordernisse des Bundesgesetzes vom 2. Oktober 1982 über die wirtschaftliche Landesversorgung (SR 531) und liegt im Rahmen entsprechender Bestimmungen anderer Kantonsverfassungen (vgl. etwa Art. 39 Abs. 2 KV Bern; Art. 75 Ziff. 3 KV Obwalden; Art. 64 Ziff. 2 KV Nidwaiden; §74 Abs. 3 KV Basel-Landschaft; Art. 66 Ziff. 15 KV Schaffhausen; Art. 53 Abs. l und 2 KV Appenzell A. Rh.; § 91 Abs. 4 KV Aargau; § 39 Abs. l Ziff. 9 KV Thurgau; Art. 91 KV Jura). Ebenso liegen die Bestimmungen über die Amtsdauer und die Unvereinbarkeiten für das Verwaltungsgericht,im Bereiche der kantonalen Organisationskompetenz. Da die Änderungen weder die Bun255

desverfassung noch sonstiges Bundesrecht verletzen, ist ihnen die eidgenössische Gewährleistung zu erteilen.

13

Verfassung des Kantons Schaffhausen

In der Volksabstimmung vom 21. Juni 1987 haben die Stimmbürger des Kantons Schaffhausen der Änderung der Artikel 74 Absatz 2, 78 Absatz 3 und 79 Absatz l Buchstabe c sowie der Aufhebung von Artikel 74 Absatz l Buchstabe b und 79 Absatz 3 der Kantonsverfassung mit 26 982 Ja gegen 17 295 Nein zugestimmt. Mit Schreiben vom 22. Juni 1987 ersucht der Regierungsrat um die eidgenössische Gewährleistung.

, · ·

131

Gerichtsverfassung

Der bisherige und der neue Text lauten: Bisheriger Text Art. 74 Abs. l Est. b 1 Der Bezirksrichter beurteilt endgültig:

b. die gerichtlicher Beurteilung unterliegenden Polizeistraffälle; Art. 74 Abs. 2 Est. d 2 Er beurteilt erstinstanzlich:

d..die Ehrverletzungsfälle, unter Vorbehalt von Artikel 79 Schlussabsatz.

Art. 78 Abs. 3 .

' 3 In Zivilprozessen sitzen drei Richter. In Strafprozessen von besonderer Tragweite sitzen fünf, in den übrigen Strafprozessen drei Richter.

Art. 79 Abs. l Est. e 1 Dem Kantonsgericht werden zur erstinstanzlichen Beurteilung folgende Fälle zugewiesen:

c. die Straf fälle nicht polizeilicher Natur; Art. 79 Abs. 3 , · .

3 Leichtere Straffälle können durch Strafbefehl erledigt werden. Zuständig zum Erlass des Strafbefehls ist der Verhörrichter. Das Nähere wird durch das.Gesetz geregelt.

Neuer Text Art. 74 Abs. l Bst. b 1 Der Bezirksrichter beurteilt endgültig:

b. Aufgehoben

256

Art. 74 Abs. 2 Est. d und e 2 Er beurteilt erstinstanzlich: d. die Ehrverletzungsfälle unter Vorbehalt von Artikel 79 Absatz l Est. d sowie, andere auf Privatstrafklage hin zu verfolgende Antragsdelikte; e. die Übertretungsstraffälle.

Art. 78 Abs. 3 In Zivilprozessen sitzen drei Richter. In Strafprozessen von besonderer Tragweite sitzen fünf, in den übrigen Strafprozessen drei Richter. Leichtere Fälle können durch Gesetz einem Einzelrichter zur Beurteilung überwiesen werden. · !

; Art. 79 Abs. l Bst. c 1 Das Kantonsgericht beurteilt erstinstanzlich: ' ' 3

c. die auf öffentliche Anklage hin verfolgten Verbrechen und Vergehen;

Art. 79 Abs. 3 Aufgehoben

Mit der Revision wird die Verfassungsgrundlage für eine grundlegende Revision des kantonalen Strafprozessrechtes geschaffen, welche insbesondere die Erweiterung der richterlichen Kompetenzen im Bereich der Ermittlung (durch Einführung eines Untersuchungsrichteramtes), die Entlastung der Staatsanwaltschaft und der Gesamtgerichte (durch Erweiterung der Kompetenzen der Einzelrichter) sowie den Ausbau der Beschuldigtenrechte zum Ziele hat. Die entsprechende Strafprozessordnung wurde anlässlich der gleichen Abstimmung in einer gesonderten Vorlage angenommen.

132

Bundesrechtmässigkeit

Nach Artikel 64 bis Absatz 2 der Bundesverfassung ist die Organisation der Gerichte und das gerichtliche Verfahren im Bereich des Strafrechts Sache der Kantone. Bundesrecht ist durch solche Vorschriften insofern betroffen, als sie die Durchsetzung des materiellen Bundesstrafrechtes nicht hindern dürfen; im übrigen fallen sie in den Bereich der kantonalen Organisationskompetenz. Da im vorliegenden Fall die neuen Verfassungsbestimmungen weder der Bundesverfassung noch sonstigem Bundesrecht widersprechen, ist ihnen die eidgenössische Gewährleistung zu erteilen.

'

14

Verfassung des Kantons Graubünden

In der Volksabstimmung vom 7. Dezember 1986 haben die Stimmbürger des Kantons Graubünden der Änderung von Artikel 28 Absatz l und 40 Absatz 3 der Kantonsverfassung sowie der Aufhebung von Artikel 43 der Kantonsverfassung mit 19 523 Ja gegen 8592 Nein zugestimmt. Mit Schreiben vom 18. Februar 1987 ersucht das Justiz-, Polizei- und Sanitätsdepartement um die eidgenössische Gewährleistung. Im weiteren haben die Stimmbürger des Kantons Grau257

bünden in der Volksabstimmung vom 14. Juni 1987 den neuen Artikeln 41bis und 42 Absatz 3 der Kantonsverfassung mit 13 503 Ja gegen 3413 Nein zugestimmt. Mit Schreiben vom 24. Juni 1987 ersucht die Standeskanzlei um die eidgenössische Gewährleistung.

141

Zuständigkeit in der öffentlichen Sozialhilfe

Der bisherige und der neue Text lauten: Bisheriger Text Art. 28 Abs. l 1 Der Regierung liegt ob : Die Leitung und Beaufsichtigung aller staatlichen Einrichtungen und aller Fächer der Landesverwaltung, insbesondere des Finanz- und Bankwesens, des Strassen- und Bau-, Erziehungs-, Sanitäts-, Polizei-, Forst-, Militär- und Armenwesens.

Art. 40 Abs. 3 3 Sie hat die Verpflichtung, für gute Verwaltung ihrer Gemeindeangelegenheiten, namentlich auch ihres Schulwesens und ihres Armenwesens, soweit letzteres nicht Sache der bürgerlichen Korporation ist, zu sorgen und stellt hierfür die erforderlichen Behörden und Beamten auf.

Art. 43 Der Staat führt die Oberaufsicht über alle Zweige der öffentlichen Verwaltung, insbesondere über das Armenwesen und das Sanitätswesen usw.

Neuer Text Art. 28 Abs. l 1 Der Regierung obliegt: Die Leitung und Beaufsichtigung aller staatlichen Einrichtungen und aller Fächer der Landesverwaltung, insbesondere des Finanz- und Bankwesens, des Strassen- und Bau-, Erziehungs-, Sanitäts-, Polizei-, Forst- und Militärwesens sowie der Sozialhilfe.

Art. 40 Abs. 3 Sie hat die Verpflichtung, für gute Verwaltung ihrer Gemeindeangelegenheiten, namentlich auch für das Schulwesen und die Sozialhilfe zu sorgen, soweit diese nicht Sache der Bürgergemeinde und des Kantons ist. Sie stellt hierfür die erforderlichen Behörden und Beamten auf.

3

Art. 43 Aufgehoben

Mit der neuen Regelung soll die innerkantonale Zuständigkeit im Bereich der Sozialhilfe in dem Sinne geändert werden, dass neben der bisherigen ausschliesslichen Zuständigkeit der Gemeinden auch gewisse Aufsichtskompetenzen des Kantons in der Verfassung verankert werden. Mit der Änderung wird die Grundlage für ein neues kantonales Sozialhilfegesetz geschaffen, das anläss258

lieh der gleichen Volksabstimmung im Rahmen einer besonderen Vorlage angenommen wurde.

142

Schutz der Umwelt und Energiepolitik

Der neue Text lautet: Neuer Text Schutz der Umwelt Art. 41bis Kanton und Gemeinden sorgen für einen ausreichenden Schutz des Menschen und seiner natürlichen Umwelt gegen schädliche oder lästige Einwirkungen.

Art. 42 Abs. 3 3 Kanton und Gemeinden fördern: a. 'eine umweltgerechte, rationelle, ausreichende und wirtschaftliche Energieversorgung sowie b. eine sparsame und umweltschonende Energieverwendung.

Mit den neuen Bestimmungen soll einerseits eine klare Verfassungsgrundlage für die kantonalen Umweltschutzmassnahmen geschaffen werden und andererseits die Basis für eine kantonale Energiepolitik geschaffen werden. Ein entsprechendes Energiegesetz wurde anlässlich der gleichen Abstimmung in separater Vorlage angenommen.

143

Bundesrechtmässigkeit

Das Fürsorgewesen ist nach der geltenden verfassungsmässigen Kompetenzverteilung im wesentlichen Sache der Kantone. Entsprechend liegt die vorliegende Änderung der Kantonsverfassung vollständig im Bereiche der kantonalen Organisationskompetenz. Die neue Umweltschutzbestimmung stützt sich im wesentlichen auf den Wortlaut von Artikel 24sePties der Bundesverfassung, doch handelt es sich, der bundesrechtlichen Kompetenzverteilung in diesem Bereich entsprechend, primär um einen Vollzugsauftrag an kantonale und kommunale Behörden und damit um eine kantonale Organisationsvorschrift, die das Bundesrecht ergänzt. Der neue Energieartikel schafft an sich keine neuen Kompetenzen, sondern legt die materielle Ausrichtung der kantonalen Energiepolitik fest: diese hat sich in Zukunft vor allem an den Zielen des Energiesparens und des Umweltschutzes zu orientieren. In diesem Sinne ist auch die bundesrechtlich geforderte Einheit der Materie für die Abstimmungsvorlage gegeben, da im Hinblick auf den Zweck der Bestimmungen ein Zusammenhang besteht, der ihre Behandlung im Rahmen der gleichen Abstimmung als sachlich gerechtfertigt erscheinen lässt. Dies entspricht auch den vom Bundesgericht in dieser Frage aufgestellten Grundsätzen (BGE 99 la 646 und dortige Verweisungen). Es ist im übrigen daraufhinzuweisen, dass die Bundeskompetenzen im Bereiche des Umweltschutzes konkurrierend sind und die kantonalen Kompetenzen erst 259

verringert werden, sobald Bundesrecht im entsprechenden Bereich in Kraft tritt.

Innerhalb dieser bundesrechtlichen Schranken bestehen die kantonalen Kompetenzen weiter.

Da sämtliche Änderungen weder die Bundesverfassung noch sonstiges Bundesrecht verletzen, ist ihnen die eidgenössische Gewährleistung zu erteilen.

15

Verfassung des Kantons Genf

In der Volksabstimmung vom 7. Dezember 1986 haben die Stimmbürger des Kantons Genf der Aufnahme von Artikel 160 C in die Kantonsverfassung mit 37 371 Ja gegen 25 106 Nein zugestimmt. Mit Schreiben vom 28. Januar 1987 ersucht der Staatsrat um die eidgenössische Gewährleistung.

151

Energiepolitik

Der neue Text lautet: Neuer Text Titel X D (neu) Energie Grundsätze

260

Art. 160 C ' Die kantonale Politik im Bereiche der Versorgung, Umwandlung, Verteilung und Verwendung von Energie gründet sich im Rahmen des Bundesrechts auf das Energiesparen, die vorrangige Entwicklung erneuerbarer Energiequellen und die Schonung der Umwelt.

2 Diese Politik wird von den kantonalen und kommunalen Behörden, der Verwaltung und den öffentlichen Anstalten im Rahmen ihrer Zuständigkeiten verwirklicht.

3 Energie ist insbesondere' zu sparen : a. im Immobiliensektor: 1. durch den Erlass spezifischer Normen über den Energieverbrauch, wie zum Beispiel den Energieverbrauch pro geheizten m3 und pro Jahr, 2. durch Vorschriften und Förderungsmassnahmen, die einen tiefen spezifischen Verbrauch gewährleisten, 3. durch Vorschriften und Förderungsmassnahmen, ' welche die Wärmedämmung und die Wirkungsgradverbesserung von Anlagen für Heizung, Warmwasseraufbereitung und Lüftung in allen Gebäuden sowie die Wärmerückgewinnung begünstigen, 4. durch eine adäquate Kostenverteilung beim Wärmeverbrauch, insbesondere durch individuelle Heizkostenabrechnung in allen Gebäuden und durch individuelle Heiz- und Warmwasserkostenabrechnung in neuen oder einer grösseren Renovation unterzogenen Gebäuden, 5. durch Einführung eines Ausnahmebewilligungsverfahrens oder eines Verbots für Klimaanlagen, 6. durch Vorschriften über die rationelle Verwendung von Primärenergie, insbesondere durch die Einführung eines Ausnah-

mebewilligungsverfahrens oder eines Verbots für elektrische Widerstandsheizungen, , 7. durch die Förderung von Forschung und Versuchen im Bereiche des Energiesparens in Gebäuden; b. im Tränsportsektor durch Begünstigung der Fortbewegung mit öffentlichen Verkehrsmitteln, mit dem Fahrrad oder zu FUSS, insbesondere auf dem Gebiet der Investitionen und der Einrichtungen; c. im industriellen Sektor: 1. durch die Zusammenarbeit zwischen Behörden, öffentlichen Diensten und Industrie im Hinblick auf eine optimale Nutzung der Primärenergie, insbesondere durch die Einrichtung von Anlagen zur Wärme-Kraft-Koppelung und zur Wärmerückgewinnung, 2. durch die Rückgewinnung und Wiederverwertung von Materialien und Abfällen, wenn daraus eine angemessene Energieeinsparung erfolgt, 3. durch Förderungsmassnahmen zugunsten einer Verbesserung der Dauerhaftigkeit der produzierten Gegenstände; d. im Sektor der Energieversorgung und -Umwandlung: 1. durch die Verpflichtung, den in Werken der Sektoren Landwirtschaft, Immobilien und Industrie produzierten Strom zu angemessenen Bedingungen zurückzukaufen, - 2. durch das Verbot degressiver Tarife, die nicht durch, die Grundsätze der kantonalen Energiepolitik gerechtfertigt werden, sowie durch eine Tarifgestaltung, die diesen Grundsätzen entspricht.

4 Erneuerbare Energiequellen sind insbesondere zu entwickeln: a. durch die Förderung von Einrichtungen, die solche Energiequellen nutzen, sowie durch Massnahmen im Bauwesen und der Raumplanung, die den gegenwärtigen oder zukünftigen Gebrauch solcher Energiequellen erlauben, b. durch die Förderung der Nutzung von Umgebungswärme, insbesondere durch den optimalen Einbezug von Umgebungswärmequellen des Sees, der Wasserläufe, des Grundwassers und der Reflektionswärme in die Energieversorgung.

c. durch die Berücksichtigung erneuerbarer. Energiequellen bei .der Fernheizung, insbesondere im Hinblick auf Temperatur und Dimensionierung des Netzes, d. durch die Förderung von Forschung und Versuchen im Bereiche der erneuerbaren Energiequellen.

5 Die kantonalen Behörden wenden sich mit allen ihnen zur Verfügung stehenden rechtlichen und politischen Mitteln gegen die Errichtung von Kernkraftwerken, von Lagerstätten für Abfälle von hoher und mittlerer Radioaktivität sowie gegen Wiederaufbereitungsanlagen auf dem Gebiet des Kantons und in seiner
Nachbarschaft. Für Einrichtungen, die diesen Standortbedingungen nicht entsprechen, wird die Stellungnahme des Kantons durch den Grossen Rat in Form eines Gesetzes verabschiedet.

6 .Die Investitionen der Körperschaften des öffentlichen Rechts richten sich nach den Zielen dieses Artikels. Die Anstalten des öffentlichen Rechts sind in der Ausübung gesellschaftlicher Rechte an die Ziele dieses Artikels gebunden.

7 Das Gesetz regelt alles, was den Vollzug dieses Artikels anbelangt.

Mit der neuen Bestimmung verpflichtet der Kanton Genf seine Behörden zu verschiedenen energiepolitischen Grundsätzen, zur Einführung verschiedener

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neuer Bewilligungspflichten sowie zur Opposition gegen die Erstellung von Kernanlagen auf dem Gebiete des Kantons oder in seiner Nachbarschaft.

Die Änderung ist das Resultat einer angenommenen Volksinitiative. Der ursprüngliche Initiativtext umfasste auch eine Änderung von Artikel 160 Absatz l Buchstabe a der Kantonsverfassung, doch hiess das Bundesgericht in seinem Entscheid vom 18. Dezember 1984 in Sachen Hentsch, de Claparède und Mitbeteiligte gegen den Grossen Rat des Kantons Genf zwei staatsrechtliche Beschwerden gut, welche eine Verletzung des Grundsatzes der Einheit der Materie rügten. Auf eine weitere staatsrechtliche Beschwerde, welche eine Verletzung der bundesrechtlich garantierten Handels- und Gewerbefreiheit rügte, trat das Bundesgericht in seinem Entscheid vom 18. Dezember 1984 in Sachen Chambre de Commerce et d'Industrie de Genève gegen den Grossen Rat des Kantons Genf nicht ein, da der Entscheid, die Initiative zur Abstimmung zu bringen, keinen anfechtbaren Entscheid nach Artikel 84 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege darstellte und die Legitimation zur Stimmrechtsbeschwerde nach Artikel 85 dieses Gesetzes in diesem Falle nicht gegeben war.

In der Folge hat der Grosse Rat den Initiativtext aufgeteilt, die Änderung von Artikel 160 Absatz l Buchstabe a für rechtswidrig erklärt und den vorgeschlagenen neuen Artikel 160 C mit einem Gegenvorschlag der Volksabstimmung unterbreitet.

152

Eingaben von Privaten

Mit Schreiben vom 25. März 1987 wandte sich die Chambre de Commerce et d'Industrie de Genève, mit Schreiben vom 10. April 1987 die Association genevoise des entreprises de chauffage et de ventilation und die Association des installateurs électriciens du canton de Genève zuhanden des Bundesrates und der Bundesversammlung an das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement. Gestützt auf ein Rechtsgutachten von Professor Charles-André Junod vom 16. März 1987 machen sie geltend, dass insbesondere Absatz 3 Buchstabe a Ziffer 5, Absatz 3 Buchstabe a Ziffer 6 und Absatz 3 Buchstabe d Ziffer 2 der neuen Bestimmung bundesrechtswidrig seien. Mit Schreiben vom 3. Juli 1987 an das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement hat sich der Verband Schweizerischer Elektro-Installationsfirmen diesen Folgerungen angeschlossen und stellt analoge Anträge. Mit Schreiben vom 16. Juli 1987 an das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement beantragt zudem der Fachverband Elektroapparate für Haushalt und Gewerbe Schweiz die Verweigerung der Gewährleistung für Artikel 160 C Absatz 3 Buchstabe a Ziffer 6 der Kantonsverfassung.

Er stützt sich dabei auf ein beigelegtes Rechtsgutachten von Dr. Rudolf Meroni.

Das Gewährleistungsverfahren stützt sich direkt auf Artikel 6 und die Artikel 85 Ziffer 7 und 102 Ziffern 3 und 4 der Bundesverfassung sowie auf den Beschluss der Schweizerischen Bundesversammlung, die Garantierung der Kantonsverfassungen betreffend, vom 16. August 1851 (SR 131.1). Besondere Vorschriften über die Stellung Dritter im Gewährleistungsverfahren bestehen nicht; insbesondere ist kein entsprechendes Einsprache- oder Rechtsmittelverfahren vorge262

sehen. Kann aber eine Eingabe formell nicht als eines der von der Rechtsordnung eingeführten qualifizierten Rechtsmittel eingestuft werden, wird sie nach herrschender Lehre und Praxis als Petition entgegengenommen (Franz-Xaver Muheim, Das Petitionsrecht ist gewährleistet, Diss. Bern 1977, S. 106 ff.; Jürgen Raissig, Das Petitionsrecht in der Schweiz - Relikt oder Chance?, Diss. Bern 1977, S. 53 ; VPB 45.61 ; 43.77; 40.1 und 48; Peter Saladin, Das Verwaltungsverfahrensrecht des Bundes, Basel 1979, S. 218/19; Felix Hunziker, Die Anzeige an die Aufsichtsbehörde, Diss. Zürich 1978, S. 119). Die Praxis der eidgenössischen Räte geht seit langem dahin, eingereichte Petitionen grundsätzlich in materieller Hinsicht zu prüfen und zu beantworten ( Walter Buser, Betrachtungen zum schweizerischen Petitionsrecht, Festschrift Bundesrat H. P. Tschudi, Bern 1973, S. 46). Von dieser Praxis abzuweichen, besteht im vorliegenden Fall kein Grund. Für eine materielle Prüfung spricht im übrigen, dass es das Bundesgericht in langjähriger Praxis abgelehnt hat, kantonale Verfassungsbestimmungen auf ihre Bundesrechtmässigkeit zu überprüfen (BGE 104 I a 219; 89 I 392 und dortige Zitate; eine gewisse Differenzierung dieser Praxis zeichnet sich allerdings in BGE 1111 a 239 ab); im Entscheid 89 I 392 hat es die Beschwerdeführer darauf hingewiesen, dass es ihnen freistehe, sich mit ihren Bedenken an die Bundesversammlung zu wenden. Auch die Lehre schliesst dieses Vorgehen nicht aus (Antoine Favre, Droit constitutionnel suisse, Fribourg 1966, S. 120), das in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg verschiedentlich gewählt wurde, wobei in zwei Fällen den Begehren der Petenten Folge gegeben wurde (BB1 1875 IV 1195 und 1876 I 849, betreffend Art. 32 der Verfassung des Kantons Tessin; BB1 1884 II 228 und 1885 II 666, betreffend § 2 Übergangsbestimmungen der Verfassung des Kantons Schwyz). Die Voraussetzungen, um im Rahmen des Gewährleistungsverfahrens auf die vier Eingaben einzutreten, sind daher gegeben. Da alle Petenten die Bundesrechtmässigkeit einzelner Teile der neuen Verfassungsbestimmung in Frage stellen, werden ihre Argumente im Rahmen der von Amtes wegen vorzunehmenden Prüfung der Bundesrechtmässigkeit behandelt (Ziff. 153 hienach).

153

Bundesrechtmässigkeit

153.1 Aus Artikel 3 der Bundesverfassung wird abgeleitet, dass den Kantonen die Rechtsetzungskompetenz in allen Gebieten zukommt, in denen nicht die Bundesverfassung selbst eine ausdrückliche Bundeskompetenz festlegt. Im weiteren kann nach herrschender Lehre und Praxis ein Kanton selbst in Gebieten legiferieren, in denen der Bund seine verfassungsmässige Kompetenz (noch) nicht ausgenützt hat und nicht durch sogenanntes «qualifiziertes Schweigen» eine Gesetzgebungskompetenz der Kantone ausgeschlossen hat. Im Bereiche der Energie kennt die Bundesverfassung vier Bestimmungen mit Gesetzgebungskompetenzen für den Bund: Artikel 24bis (Wassernutzung), Artikel 249ualer (Fortleitung und Abgabe elektrischer Energie), Artikel 24iuin
(Raumplanung), 24 (Wasserbau- und Forstpolizei), 24sexies (Natur- und Heimatschutz), 24sePties (Umweltschutz), 27sexies (Forschungsförderung), 1 31 < » uin< J uies (Konjunkturpolitik), 37bis (Strassenverkehr) und andere. Für eine koordinierte Energiepolitik bzw. eine generelle Energiespargesetzgebung reichen aber die heutigen Verfassungskompetenzen des Bundes nicht aus (vgl. Botschaft über Grundfragen der Energiepolitik, BB1 1981 II 331, 332 und 352, 353 sowie Botschaft über die Volksinitiative: «für eine sichere, sparsame und umweltgerechte Energieversorgung», BB1 1983'U 1433). Wohl besteht von Seiten des Bundesrates die Absicht, die Kompetenzen des Bundes im Energiewirtschaftsbereich durch einen entsprechenden Verfassungsartikel zu ergänzen. Vorderhand haben aber die Kantone in diesem Bereich einen recht erheblichen Gesetzgebungsspielraum (BB1 1983 II 1430), der auch im energiepolitischen Programm des Bundesrates (Absichtserklärung des Bundesrates vom 15. Mai 1985 über die energiepolitische Zusammenarbeit von Bund und Kantonen) in Rechnung gestellt wurde, indem die Kantone zur Entwicklung einer Energiesparpolitik in ihrem Bereich und zum Erlass entsprechender Vorschriften aufgerufen: werden.

153.2 Absatz l und 2 der fraglichen Bestimmung sind im wesentlichen programmatischer Natur und entsprechen materiell den Bestrebungen des Bundes. Allfällig vorgehendes Bundesrecht wird in Absatz l ausdrücklich vorbehalten, während Absatz 2 einen entsprechenden Vorbehalt für den Kompetenzrahmen der zuständigen kantonalen und kommunalen Behörden macht. Die Bundesrechtmässigkeit dieser Bestimmungen steht ausser Frage und wird .denn auch von keiner Seite bestritten'.

In materieller Hinsicht ist darauf hinzuweisen, dass der Bundesrat gestützt auf die Arbeiten der Eidgenössischen Kommission für die Gesamtenergiekonzeption seit längerer Zeit dargelegt hat, dass eines der Ziele seiner Energiepolitik eine rationelle und umweltschonende Energieverwendung ist (BB1 1981 II 316 ff. und 351 ff.). Da nicht unbeschränkt viel Strom produziert oder eingeführt werden kann, sind auch bei diesem Energieträger Sparanstrengungen nötig. Andernfalls würde beispielsweise die aus Umweltschutzgründen angestrebte teilweise Substitution von Öl mit Elektrizität mangels verfügbarer elektrischer Energie von vorneherein in Frage gestellt. Insofern entspricht auch das Ziel der sparsamen Verwendung elektrischer Energie einem klaren öffentlichen Interesse (vgl. auch Bericht der Eidgenössischen Energiekommission über Massnahmen für eine rationelle Energieverwendung, Bern 1985).

153.3 Absatz 3 enthält eine Reihe von Aufträgen für den Erlass von Vorschriften und die Durchführung von Massnahmen mit dem Ziel des Energiesparens in den Bereichen Immobilien, Verkehr, Industrie sowie Energieversorgung, und -Umwandlung. Materiell entsprechen auch diese Bestimmungen den Zielen des energiepolitischen Programms ; dass sie sich im Bereiche der kantonalen Recht264

Setzungskompetenzen bewegen, ist nicht bestritten. Im übrigen stehen auch die Bestimmungen von Absatz 3 unter dem Generalvorbehalt der Absätze l und 2, welche das Bundesrecht und die jeweilige Zuständigkeit der Behörden vorbehalten. In bezug auf die Kompetenzfragen ist daher die Bundesrechtmässigkeit zu bejahen. Nun machen aber die Chambre de Commerce et d'Industrie de Genève und der Verband Schweizerischer Elektro-Installationsfirmen ausdrücklich sowie die Association genevoise des entreprises de chauffage et de ventilation und die Association des installateurs électriciens du canton de Genève sinngemäss geltend, dass Buchstabe a Ziffern 5 und 6 sowie Buchstabe d Ziffer 2 von Absatz 3 bundesrechtswidrig seien, da sie mit der durch die Bundesverfassung garantierten Handels- und Gewerbefreiheit (Art. 31 der BV) nicht zu vereinbaren seien. Die vier Vereinigungen berufen sich auf ein Gutachten von Professor Charles-Andre Junod vom 16. März 1987. Der Fachverband Elektroapparate für Haushalt und Gewerbe Schweiz bestreitet lediglich die Bundesrechtmässigkeit von Absatz 3 Buchstabe a Ziffer 6 ; er beruft sich auf ein Gutachten von Dr. Rudolf Meroni.

153.4 Professor Junod beruft sich in seiner Kritik an den Bestimmungen von Absatz 3 Buchstabe a Ziffern 5 und 6 (Bestimmungen über die elektrische Widerstandsheizung und die Klimaanlagen) vor allem auf das Urteil des Bundesgerichts vom 23. Oktober 1981 i. S. Anex und Mitbeteiligte gegen den Grossen Rat des Kantons Waadt (publiziert in RDAF 39/1983, 179 ff., und ZB1 84/1983, 495 ff.).

Er macht geltend, das Bundesgericht habe eine «fast gleichlautende» Bestimmung eines kantonalen Gesetzes als bundesrechtswidrig erklärt, da sie der Handels- und Gewerbefreiheit widerspreche. Da sich aber das Bundesgericht zu Unrecht und im Gegensatz zur überwiegenden Lehrmeinung weigere, kantonale Verfassungsbestimmungen im Anwendungsfall auf ihre Bundesrechtmässigkeit zu überprüfen, sei es im Interesse der Einheit der Rechtsordnung notwendig, dass die Bundesversammlung bei der Überprüfung des Verfassungsrechtes die Rechtsprechung des Bundesgerichtes respektiere. Andernfalls hänge die Bundesrechtskonformität von materiell gleichlautenden Bestimmungen einzig vom Zufall ab, ob sie in der Form des Gesetzes oder einer Verfassungsbestimmung verabschiedet würden. Ebenfalls der Handels- und Gewerbefr'eiheit widerspricht nach Ansicht des Gutachters Absatz 3 Buchstabe d Ziffer 2 (Verbot degressiver Energietarife), da hier die freie Preisbildung insbesondere gegenüber dem Grossverbraucher verhindert werde. Eine solche Einschränkung treffe den Kerngehalt der Handels- und Gewerbefreiheit und könne weder als polizeiliche noch als sozialpolitische Regelung im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zur Handels- und Gewerbefreiheit gewertet werden.

Dr. Meroni sieht durch Absatz 3 Buchstabe a Ziffer 6 die Rechtsgleichheit (Art. 4 BV) und die Handels- und Gewerbefreiheit (Art. 31 BV) verletzt. Er bejaht zwar die grundsätzliche Kompetenz des Kantons zur Legiferierung im Bereiche der Energiepolitik, macht aber, ebenfalls gestützt auf die bundesgerichtliche Praxis zu kantonalrechtlichen Einschränkungen der Handels- und Gewerbefreiheit, geltend, dass energiepolitische Motive für eine solche Einschränkung 265

kein hinreichendes Interesse darstellten. Sogar wenn man sich zu einer Anerkennung energiepolitischer Motive als Einschränkungsgrund bekenne, müsse aber im vorliegenden Fall eine Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit angenommen werden, da das von der Kantonsverfassung angestrebte Verbot der elektrischen Widerstandsheizung gar keinen Spareffekt nach sich ziehe, sondern nur eine (energiepolitisch kontraproduktive) Unilagerung des Energieverbrauchs auf fossile Energieträger bewirke. Insofern fehle ein öffentliches Interesse für die Einschränkung. Mit der Umlagerung werde aber zugleich das Gebot der Wettbewerbsneutralität einschränkender Massnahmen verletzt; Da die Vorschrift überdies seines Erachtens nicht geeignet sei, den verfolgten Zweck (die Einsparung von Energie) zu erreichen, dafür auch nicht erforderlich sei und (insbesondere bei den vorhandenen Strombeschaffungsmöglichkeiten) als unverhältnismässig gewertet werden müsse, verstosse sie gemessen an den bundesgerichtlichen Kriterien gegen das aus dem Rechtsgleichheitsgebot von Artikel 4 der Bundesverfassung abgeleitete Willkürverbot.

153.5 Für die Prüfung der Bundesrechtmässigkeit einer kantonalen Verfassungsbestimmung gehen Bundesrat und Bundesversammlung vom Wortlaut! der beschlossenen Norm aus. Der langjährigen und bewährten Praxis entsprechend wird eine kantonale Verfassungsbestimmung als bundesrechtskonform gewährleistet, wenn ihr Wortlaut eine bundesrechtskonforme Auslegung zulässt. Nach der Praxis des Bundesrates gilt für die Gewährleistung der folgende Massstab: So lässt es sich rechtfertigen, alle jene jurassischen Verfassungsbestimmungen zu gewährleisten, für die - nötigenfalls nach anerkannten Auslegungsregeln - wenigstens ein praktischer Anwendungsfall denkbar ist, der Bundesrecht nicht verletzt. Die Gewährleistung wäre nur zu verweigern, wenn sich eine kantonale Verfassungsnorm jeder bundesrechtskonformen Auslegung entzöge. Soweit das kantonale Recht im übrigen Antworten wiederholt, die das Bundesrecht bereits abschliessend erteilt hat - das trifft für manche Grundrechte und staatsrechtlichen Grundsätze zu -, kommt ihm keine selbständige Bedeutung zu. Wo es jedoch eine Frage anders als das Bundesrecht beantwortet, insbesondere gebietet, was das Bundesrecht verbietet, oder verbietet, was das Bundesrecht gebietet, ist es bundesrechtswidrig und kann nicht gewährleistet werden.

(Botschaft über die Gewährleistung der KV Jura, BB1 7977 II 264, 273). Die Räte haben in ihrer Praxis die Auffassung des Bundesrates übernommen. Eingehende Diskussionen über die Gewährleistungspraxis verursachte ferner Paragraph 115 der Kantonsverfassung von Basel-Landschaft (BB1 198511 11,62, 1986 II 681 ; Amtl. Bull. S 79*5 506 ff., N 1986 213 ff., S 257 ff. und N 730 ff.; vgl.

dazu auch Art. 2 bis Kantonsverfassung Graubünden, BB1 1949 l 585 und 1949 II 588; Art. 84 Abs. 3 Kantonsverfassung Waadt, BB1 1957 I 808, 1958 I 667 und Amtl. Bull. S 1957 238 sowie N 43; Art. 27bis Kantonsverfassung Waadt, BB1 1975 II 1673 und 1976 III 652; § 24bis Kantonsverfassung Thurgau, BB1 1974 l 1269 und 1974 II 169; § 24ter Kantonsverfassung Thurgau, EE\ 1984 II 411 und 1984 III 1487; Art. 178 A Kantonsverfassung Genf, BB1 1976 III 1036 und 1547). Die bisher geübte Praxis wurde schliesslich bestätigt und in bezug 266

auf den ausdrücklichen Vorbehalt des Bundesrechts ergänzt (vgl. Ziff. 153.9).

Danach verbietet es der Grundsatz der (gegenseitigen) Bundestreue, einem Kanton ohne eindeutige Hinweise zum voraus durch eine entsprechende Auslegung ein geplantes bundesrechtswidriges Verhalten zu unterschieben.

153.6 Alle drei beanstandeten Bestimmungen stehen unter den generellen Vorbehalten von Absatz l und 2, welche die gesamte nachfolgend skizzierte Energiepolitik im Rahmen des Bundesrechts und im Rahmen der Zuständigkeit der jeweiligen Behörden verwirklichen wollen. Absatz 3 Buchstabe a Ziffern, 5 und 6 beauftragen nun den kantonalen Gesetzgeber mit der Einführung eines Ausnahmebewilligungsverfahrens oder eines Verbots für Klimaanlagen und elektrische Widerstandsheizungen, Absatz 3 Buchstabe d Ziffer 2 beauftragt ihn, degressive Energietarife zu verbieten, die nicht durch die Grundsätze der kantonalen Energiepolitik gerechtfertigt werden. Die Kantonsverfassung spricht also keine absoluten Verbote aus, sondern überlässt es dem Gesetzgeber, im Rahmen des Bundesrechts und im Rahmen seiner Kompetenzen das Bewilligungsverfahren und allfällige Verbote zu regeln und über die Zulässigkeit degressiver Tarife zu befinden. Es stellt sich nun die Frage, ob die bundesrechtliche Handels- und Gewerbefreiheit von solchen Vorschriften überhaupt tangiert wird. Im Fall der Einschränkungen für den Einbau von Klimaanlagen und elektrischen Widerstandsheizungen werden tatsächlich die Hersteller und Lieferanten solcher Anlagen in ihrer Handels- und Gewerbefreiheit bis zu einem gewissen Grade betroffen. Für den Fall der Tarifvorschrift ist die Frage im vorliegenden Fall zu verneinen: Nach Artikel 158 der Kantonsverfassung wird der Kanton Genf durch die sogenannten Services industriels de Genève mit Wasser, Gas, Elektrizität und thermischer Energie versorgt. Nach der Verfassung handelt es sich um eine Anstalt des öffentlichen Rechts, die unter der direkten Aufsicht des Regierungsrates steht. Es liegt auf der Hand, dass sich die Tarifvorschrift von Absatz 3 Buchstabe d Ziffer 2 auf die Tarifpolitik dieser Anstalt bezieht, die insbesondere in bezug auf die Versorgung mit leitungsgebundener Energie praktisch eine Monopolstellung einnehmen dürfte. Die Kantone sind nach ständiger Praxis befugt, solche Monopole des öffentlichen Wohls zu begründen. So wie sie öffentliche Anstalten begründen können, können sie auch die Tarifpolitik dieser Anstalt festlegen. Eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann sich aber in einem solchen Fall nicht auf die Handels- und Gewerbefreiheit berufen. Die Handelsund Gewerbefreiheit der Stromabnehmer und
deren Gerätelieferanten verletzt die geforderte Tarifpolitik nicht, da sie in bezug auf den Stromverkauf keine Ungleichbehandlung der Gewerbetreibenden vorsieht und keine direkten wettbewerbspolitischen Ziele verfolgt.

153.7 Zur Frage, ob energiepolitisch motivierte Einschränkungen der Handels- und Gewerbefreiheit durch die Kantone überhaupt zulässig seien, ist folgendes fest267

zuhalten: In seinem Entscheid vom 23. Oktober 1981 stützte sich das Bundesgericht auf seine Praxis, wonach lediglich polizeiliche oder sozialpolitisch, nicht aber wirtschaftspölitisch begründete Einschränkungen der Handels- und Gewerbefreiheit zulässig sind. Da es die angefochtene Gesetzesbestimmung des Kantons Waadt, wonach für die Einrichtung vollelektrischer Heizungen in Gebäuden deren Notwendigkeit nachgewiesen werden musste, als kantonale wirtschaftspolitische Massnahme bewertete und ihr das öffentliche Interesse als sozialpolitische Massnahme absprach, erklärte es sie als verfassungswidrig. In anderen Entscheiden wurde allerdings diese Praxis offener gehandhabt : So wurde etwa die sozialpolitisch begründete Einschränkung der Handels- und Gewerbefreiheit nur als Beispiel genannt (BGE 99 la 370), es werden auch raumplanerische Einschränkungen anerkannt (BGE 99 la 621, 102 là "l 16) und in einem neueren Entscheid (BGE 109 la 193, insbesondere 200) hat das Gericht die Frage offen gelassen, ob das Energiesparen ein öffentliches Interesse zu begründen vermöge. Insbesondere der Entscheid vom 23. Oktober 1981 und die zugrunde liegende Praxis stiessen in der Lehre auf Kritik (François Brutsch/Luzius Mader, Les économies d'énergie, ZB1 1984 S. 49 ; Etienne Poltier, Energie, Transports, Logements, Lausanne 1983 S. 54; Paul Richli, Handels- und Gewerbefreiheit contra Energiepolitik?, ZB1 1985, S. l ff.; Alfred Kok, Die staatsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahre 1981, ZBJV 1983'S. 539; vgl.

auch Marie-José Chevalley, Problèmes constitutionnels des mesures d'économie d'énergie, in Problèmes juridiques de l'énergie, Editions Universitaires, Fribourg 1982, S. 346 ff.). Es steht nun allerdings dem Bundesrat und der Bundesversammlung schon aus Gründen der Gewaltenteilung nicht zu, sich über die Richtigkeit der bundesgerichtlichen Praxis bzw. über deren Kritik durch die Wissenschaft zu äüssern. Andererseits fällt die Gewährleistung der Kantonsverfässungen in die alleinige Kompetenz der Bundesversammlung. Sie : verfolgt dabei ihre Praxis und ist an Entscheide des Bundesgerichtes über ähnliche Rechtsfragen nicht gebunden, ebensowenig der Bundesrat in seiner Beurteilung und Antragstellung. Zwar werden der Bundesrat und die Bundesversammlung auch im Gewährleistungsverfahren nicht ohne Not von der
bundesgerichtlichen Praxis zu analogen Fragen abweichen, doch ist eine divergierende Beurteilung durchaus möglich. Es ist dabei zu berücksichtigen, dass die Prüfung durch die Bundesversammlung infolge der meist offeneren Formulierung kantonaler Verfassungsbestimmungen zurückhaltender sein muss, als die Überprüfung einer kantonalen Gesetzesbestimmung durch das Bundesgericht: Während die Verfassungsbestimmung häufig (so auch im vorliegenden Fall) noch der Konkretisierung durch ein Gesetz bedarf, überprüft das Bundesgericht den wesentlich konkreteren Gesetzestext oder seine direkte Anwendung und kann sich auf die tatsächlichen Rechtsfolgen abstützen. Die Überprüfung .des Gesetzes und seiner Rechtsfolgen durch das Bundesgericht ist (nach seiner bisherigen Praxis) nur dort ausgeschlossen, wo der Verfassungstext dem Gesetzgeber keinen Regelungsspielraum mehr belassi.

Unbestritten ist, dass Vorschriften von Bund und Kantonen mit dem Ziel der Beschränkung der Handels- und Gewerbefreiheit jedenfalls zulässig sind, wenn sie sich auf eine ausdrückliche Grundlage in der Bundesverfassung abstützen.

Da die Handels- und Gewerbefreiheit selbst durch die Bundesverfassung ge268

schützt wird, ist es folgerichtig, dass Vorschriften, die als primäres Ziel die Einschränkung dieser Freiheit haben, einer gleichrangigen Grundlage bedürfen. In Bereichen, in denen die primäre Zielsetzung der Vorschrift in anderer Richtung geht (zum Beispiel Schutz der Umwelt, Raumplanung, Natur- 'und Heimatschutz) kann zwar wohl eine faktische Einschränkung der Handels- und Gewerbefreiheit die Folge sein, doch wird dies als zulässig betrachtet, solange sich die Vorschrift im Zielbereich ihrer Verfassungsgrundlage bewegt. Es ist nun darauf hinzuweisen, dass gerade in den Bereichen Raumplanung und Natur- und Heimatschutz die für den Grundeigentümer direkt wirksame Rechtsetzung schon durch die Bundesverfassung praktisch vollständig an die Kantone delegiert wird, (vgl. Art. 22^uater und Art. 24sexies BV). Die entsprechende Gesetzgebung der Kantone wurde trotz unbestreitbarer Einschränkungen der Handels- und Gewerbefreiheit vom Bundesgericht als verfassungskonform bezeichnet. Es erscheint nur konsequent, für Materien, die aufgrund von Artikel 3 der Bundesverfassung vollständig in die Rechtsetzungskompetenz der Kantone fallen, auch eine kantonale Verfassungsgrundlage als Basis für faktische Einschränkungen der Handels- und Gewerbefreiheit anzuerkennen, wenn sie nicht vorweg .wirtschaftspolitische Ziele verfolgt,(vgl. Richli, a. a. O., S. 7 ff. ; Yvo Hangartner, Zur Konzeption der Handels- und Gewerbefreiheit, in Festschrift für Leo Schürmann, Fribourg 1987, S. 129). Diese Auslegung verträgt sich in jeder Beziehung mit Wortlaut und Sinn der entsprechenden Bestimmungen der Bundesverfassung.

Die in den Petitionen vertretene Auffassung, dass die von .der Verfassung vorgesehene Einschränkung für die Einrichtung von elektrischen Widerstandsheizungen (durch .Bewilligungspflicht oder allfälliges Verbot) für Stromsparzwecke gar nicht geeignet sei und sich somit als eine für die Luftreinhaltung kontraproduktive Förderungsmassnahme zugunsten des Verbrauchs fossiler Energieträger erweise, trifft nicht zu. Aus den Bestimmungen von Absatz 4 des neuen Verfassungsartikels geht, hervor, dass vor allem eine Förderung der Wärmepumpentechnik angestrebt wird, mit der sehr wohl eine Stromeinsparung ohne gleichzeitige Steigerung des Verbrauchs von Brennstoffen erreicht werden kann. Damit kann die neue Bestimmung auch nicht
einfach als unverhältnismässig und als Verletzung der Wettbewerbsneutralität betrachtet werden; die Beurteilung dieser Frage wird im wesentlichen von der Ausgestaltung, der entsprechenden Gesetzgebung abhängen. Es ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass bereits verschiedene Kantone (vgl. insbesondere Bern, Glarus, Freiburg, Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Tessin, Waadt, Wallis, Neuenburg) in ihrer Gesetzgebung einen Bedarfsnachweis für Klimaanlagen fordern (was einer Ausnahmebewiliigung gleichkommt), ohne dass bis anhin die Verfassüngsmässigkeit dieser Bestimmungen angefochten worden wäre. Wir kommen daher zum Schluss, dass auch die Bestimmungen von Artikel 160 C Absatz 3 Buchstabe a Ziffern 5 und 6 einer bundesrechtskonformen Auslegung zugänglich und daher zu gewährleisten sind. Den erwähnten Petitionen ist entsprechend keine Folge zu geben.

269

153.8 Absatz 4 der neuen Bestimmung (Förderung erneuerbarer Energiequellen) liegt im Rahmen der kantonalen Kompetenzen und kommt entsprchenden Bestrebungen des Bundes entgegen.

153.9 Absatz 5 verpflichtet die Behörden des Kantons Genf, sich mit den ihnen «zur Verfügung stehenden rechtlichen und politischen Mitteln» gegen die Errichtung von Kernanlagen auf dem Gebiete des Kantons und in seiner Nachbarschaft zu wenden. Inhaltlich entspricht die Bestimmung dem Paragraphen 115 der Kantonsverfassung von Basel-Landschaft. Dieser ist von den eidgenössischen Räten unter Vorbehalt von Artikel 24quinquie? der Bundesverfassung und der darauf beruhenden Bundesgesetzgebung nach eingehender Diskussion gewährleistet worden (BB1 1986 II 681 ; Amtl. Bull. S 1985 506 ff., N 1986 213 ff., S 257 ff. und N 730 ff.), und zwar in Kenntnis eines Bundesgerichtsurteils (BGE 777 la 303), das in einer vergleichbaren Sache zu einem andern Schluss kam (vgl. dazu auch Andreas Auer, Kompetenzverteilung auf dem Gebiete der Atomenergie, in «Recht» 1987, S. 19 ff.).

Wie der Bundesrat bereits in seiner Botschaft zur Gewährleistung der Verfassung des Kantons Basel-Landschaft (BB1 1985 II 1162) ausgeführt hat, verpflichtet eine solche Bestimmung die kantonalen Behörden zu einer bestimmten Haltung im Rahmen der Mitwirkungsrechte, die das Bundesrecht den Kantonen bei der Errichtung von Kernanlagen einräumt (Art. 7 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 22. Dezember 1959 über die friedliche Verwendung der Atomenergie und den Strahlenschutz, SR 732.0; Art. 5 Abs. 5 und Art. 7 Abs. 2, 4 und 6 des Bundesbeschlusses vom 6. Oktober Ì978 zum Atomgesetz; SR 732.01); dass auch im vorliegenden Fall nur rechtmässige Mittel angesprochen sind, wird durch Absatz l der Bestimmung, welche das kantonale Handeln generell in den Rahmen des Bundesrechts stellt, sowie durch Absatz 2, der auf die Zuständigkeitslimiten hinweist, bestätigt. Eine generelle Oppositionspflicht der kantonalen Behörden erlaubt zwar kaum noch die sachgerechte Beurteilung eines konkreten Projektes, was den Stellenwert einer kantonalen Stellungnahme reduziert. Dies ist aber keine Frage der Rechtmässigkeit mehr. Absatz 5 ist daher ebenfalls als bundesrechtmässig zu bewerten.

Es stellt,sich die Frage, ob der Bundesbeschluss entsprechend dem Vorgehen bei Paragraph 115 der Verfassung des Kantons Basel-Landschaft ebenfalls mit einem Vorbehalt zu versehen sei. An sich macht Absatz l diesen Vorbehalt selbst, doch kann es der Klarheit dienen, wenn die tangierte Bestimmung
der Bundesverfassung im Gewährleistungsbeschluss ausdrücklich vorbehalten wird.

Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn aufgrund der besonderen Umstände die Abgrenzung der Kompetenzen des Bundes von denen des Kantons schwierig ist und es auch bei gutem Willen der kantonalen Behörden nicht auszuschliessen ist, dass die Anwendung der neuen Bestimmung mit den Kompetenzen des Bundes (oder anderer Kantone) in Konflikt gerät. Der Vorbehalt hat 270

dann zur Folge, dass das Bundesgericht bei der Überprüfung der Anwendung auch im Rahmen seiner bisherigen Praxis soweit nicht an den Gewährleistungsentscheid der Bundesversammlung gebunden ist, als sich die angefochtene Anwendung im Bereiche des Vorbehalts bewegt. Absatz 5 ist daher unter Vorbehalt von Artikel 24iuiniuies der Bundesverfassung und der darauf beruhenden Gesetzgebung zu gewährleisten.

153.10 Die Absätze 6 und 7 der neuen Bestimmung liegen vollständig im Bereiche der kantonalen Organisationskompetenz.

153.11 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der neue Artikel 160 C der Kantonsverfassung weder der Bundesverfassung noch sonstigem Bundesrecht widerspricht und daher zu gewährleisten ist.

16

Verfassung des Kantons Jura

In der Volksabstimmung vom 5. April 1987 haben die Stimmbürger des Kantons Jura der Änderung von Artikel 62 Absatz 4 ihrer Kantonsverfassung sowie der Aufhebung von Artikel 62 Absatz 5 der Kantonsverfassung mit 11 507 Ja gegen 6364 Nein zugestimmt. Mit Schreiben vom 25. August 1987 ersucht die Kantonsregierung um die eidgenössische Gewährleistung.

161

Unvereinbarkeitsbestimmungen

Der bisherige und der neue Text lauten: Bisheriger Text Art. 62 Abs. 4 4 Das Mandat eines eidgenössischen Parlamentariers ist mit folgenden Ämtern unvereinbar: Abgeordneter im Kantonsparlament, vollamtlicher Richter und Staatsanwalt.

Art. 62 Abs. 5 5 Nur zwei Mitglieder der Regierung dürfen Mitglied der Bundesversammlung sein.

Neuer Text Art. 62 Abs. 4 Das Mandat eines eidgenössischen Parlamentariers ist mit folgenden Ämtern unvereinbar: Abgeordneter im Kantonsparlament, vollamtlicher Richter, Staatsanwalt und Mitglied der Regierung.

4

271

Art. 62 Abs. 5 Aufgehoben

· .

Die beschlossenen Änderungen gehen auf eine Volksinitiative zurück und haben zur .Folge, dass die Unvereinbarkeit zwischen der Mitgliedschaft in den eidgenössischen Räten und der Mitgliedschaft in der Kantonsregierung auf sämtliche Mitglieder der kantonalen Exekutive ausgedehnt wird. Bisher war die Mitgliedschaft in den eidgenössischen Räten zwei Regierungsmitgliedern gestattet.

Neben dem Kanton Jura haben bis jetzt drei Kantone auf Verfassungsebene vollständige Unvereinbarkeit zwischen der Mitgliedschaft in den eidgenössischen Räten und der Kantonsregierung festgelegt: Es handelt .sich um die Kantone Schaffhausen, Graubünden und Tessin. Weitere sechzehn Kantone kennen Beschränkungen für das Doppelmandat.

162

Bundesrechtmässigkeit

Im Rahmen ihrer Organisationskompetenz können die Kantone auch Unvereinbarkeitsbestimmungen für die Mitglieder ihrer Regierung erlassen. Zwar müssen die Kantone nach Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe b der Bundesverfassung «die Ausübung der politischen Rechte nach republikanischen (repräsentativen oder demokratischen) Formen sichern», und zu diesen politischen Rechten gehört auch das passive Wahlrecht für die eidgenössischen Räte. Die Unvereinbarkeit zwischen der Mitgliedschaft in den eidgenössischen Räten und der Mitgliedschaft in der Kantonsregierung verletzt aber das passive Wahlrecht auf eidgenössischer Ebene nicht, da es einem Regierungsmitglied jederzeit möglich ist, eine Wahl in die eidgenössischen Räte unter Verzicht auf die Mitgliedschaft in der Kantonsregierung anzunehmen. Die .Änderung verletzt daher weder die Bundesverfassung noch sonstiges Bundesrecht und ist zu gewährleisten.

2

Verfassungsmässigkeit

Die Bundesversammlung ist nach den Artikeln 6 und 85 Ziffer 7 der Bundesverfassung zuständig, die Kantonsverfassungen zu gewährleisten.

2344

272

Bundesbeschluss Entwurf über die Gewährleistung geänderter Kantonsverfassungen

vom

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf Artikel 6 der Bundesverfassung.

nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 30. November 19871', beschliesst:

Art. l Gewährleistet werden: 1. Nidwaiden die in der Landsgemeinde vom 26. April 1987 angenommenen Artikel 52 Absatz 3 Ziffern 2 und 5, 53 Absatz l Ziffer 2, 61 Ziffer 6 sowie 65 Absatz 2 Ziffern 4 und 9 der Kantonsverfassung; 2. Glarus die in der Landgemeinde vom 3. Mai 1987 angenommenen Artikel 21 a, 25 und 29 Absatz 2 der Kantonsverfassung; 3. Schaffhausen die in der Volksabstimmung vom 21. Juni 1987 angenommenen Artikel 74 Absatz 2, 78 Absatz 3 und 79 Absatz l Buchstabe c sowie die Aufhebung der Artikel 74 Absatz l Buchstabe b und 79 Absatz 3 der Kantonsverfassung ; 4. Graubünden die in der Volksabstimmung vom 7. Dezember 1986 angenommenen Artikel 28 Absatz l und 40 Absatz 3, die Aufhebung von Artikel 43 der Kantonsverfassung sowie die in der Volksabstimmung vom 14. Juni 1987 angenommenen Artikel 41bis und 42 Absatz 3 der Kantonsverfassung; 5. Genf der in der Volksabstimmung vom 7. Dezember 1986 angenommene Artikel 160 C Absätze 1-4 sowie 6 und 7; Absatz 5 wird gewährleistet unter dem Vorbehalt von Artikel 24i uint i uies der Bundesverfassung und der darauf abgestützten Bundesgesetzgebung; ') BEI 1988 I 249

273

Gewährleistung geänderter Kantonsverfassungen

6. Jura der in der Volksabstimmung vom 5. April 1987 angenommene Artikel 62 Absatz 4 sowie die Aufhebung von Artikel 62 Absatz 5 der Kantonsverfassung.

Art. 2 Dieser Beschluss ist nicht allgemeinverbindlich; er untersteht nicht dem Referendum.

2344

274

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft über die Gewährleistung der geänderten Verfassungen der Kantone Nidwalden, Glarus, Schaffhausen, Graubünden, Genf und Jura vom 30. November 1987

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1988

Année Anno Band

1

Volume Volume Heft

05

Cahier Numero Geschäftsnummer

87.073

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

09.02.1988

Date Data Seite

249-274

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