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88.065

Botschaft zu einem Bundesbeschluss über eine Vereinbarung betreffend Nichtrealisierung des Kernkraftwerks Kaiseraugst vom 9. November 1988

Sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen den Entwurf zu einem Bundesbeschluss über eine Vereinbarung betreffend Nichtrealisierung des Kernkraftwerks Kaiseraugst mit dem Antrag auf Zustimmung.

Gleichzeitig beantragen wir Ihnen, folgende parlamentarischen Vorstösse abzuschreiben: 1988 P 88.334 Kernkraftwerk Kaiseraugst. Nichtrealisierung (N 28. 9. 88, Stucky); Punkte l (Nichtrealisierungsvereinbarung) und 2 (Entschädigung) 1988 P 88.374 KKW Kaiseraugst. Verzicht (N 28. 9. 88, Grüne Fraktion) 1988 P 88.340 Kernkraftwerk Kaiseraugst. Nichtrealisierung (S 6. 10. 88, Schönenberger); Punkte l (Nichtrealisierungsvereinbarung) und 2 (Entschädigung).

Wir versichern Sie, sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

9. November 1988

8-694

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Stich Der Bundeskanzler: Buser

54 Bundesblau. HO.Jahrgang. Bd.III

1253

Übersicht Der Bundesrat hat am 7. November 1988 mit der Kernkraftwerk Kaiseraugst AG eine Vereinbarung unterzeichnet, wonach diese die Arbeiten am Projekt für ein Kernkraftwerk in Kaiseraugst einstellt und der Bund ihr einen pauschalen Beitrag von 350 Millionen Franken an diejenigen Aufwendungen und Verpflichtungen ausrichtet, die von ihr in guten Treuen gemacht und eingegangen wurden, um die erforderlichen Bewilligungen zu erhalten und das Projekt Kaiseraugst zu realisieren.

Die Bezahlung eines Entschädigungsbeitrages des Bundes an die Kernkraftwerk Kaiseraugst AG bedarf einer gesetzlichen Grundlage. Eine solche fehlt im geltenden Recht. Der Bundesrat schlägt der Bundesversammlung daher vor, ihn mit einem allgemeinverbindlichen Bundesbeschluss zu ermächtigen, die vorliegende Vereinbarung abzuschliessen und der Kernkraftwerk Kaiseraugst AG eine angemessene Entschädigung auszurichten. Die unterzeichnete Vereinbarung setzt die Entschädigung auf höchstens 350 Millionen Franken fest, welcher Beirag mit dem Voranschlag 1989 als Zahlungskredit bewilligt werden soll.

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Botschaft I

Allgemeiner Teil

II

Ausgangslage

III

Stand des Bewilligungsverfahrens

Im Januar 1974 wurde die Aktiengesellschaft Kernkraftwerk Kaiseraugst AG (im folgenden Kaiseraugst AG genannt) gegründet. Gemäss Geschäftsbericht 1987 sind folgende Aktionäre an der Gesellschaft beteiligt: Prozent

Aare-Tessin AG für Elektrizität,. Ölten Aargauisches Elektrizitätswerk, Aarau Badenwerk AG. Karlsruhe Bernische Kraftwerke AG Beteiligungsgesellschaft, Bern Centralschweizerische Kraftwerke, Luzern Elektrizitäts-Gesellschaft Laufenburg AG, Laufenburg Elektrowatt AG, Zürich Motor-Columbus AG, Baden Nordostschweizerische Kraftwerke AG, Baden Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk AG, Essen SA l'Energie de l'Ouest-Suisse, Lausanne

:: ;....

15,50 5,00 7,50 6,25 6,25 7,75 6,25 7,75 19,00 7,50 11,25

Der statutarische Zweck der Kaiseraugst AG ist der Bau und Betrieb eines Kernkraftwerks in Kaiseraugst (Kanton Aargau).

Ein Gesuch um Bewilligung des Standortes Kaiseraugst für den Bau eines Atomkraftwerks hatte die Firma Motor-Columbus AG im Oktober 1966 eingereicht. Das Eidgenössische Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement hatte diesem Gesuch am : 15. Dezember 1969 für ein Werk mit einer; Leistung von 600 MWe und einer Durchlaufkühlung entsprochen. Am 28. August 1972 hatte das Departement festgestellt, dass die Standortbewilligung auch für ein Werk mit einer auf 850 MWe erhöhten Leistung mit Kühlturmbetrieb an einem um 600 m verschobenen Standort gelte.

Nach ihrer Gründung verfolgte die Kaiseraugst AG das Projekt weiter und erlangte am 28. Oktober 1981 vom Bundesrat die Rahmenbewilligung für ein Kernkraftwerk in Kaiseraugst mit einer Leistung von 900 bis 1000 MWe. Mit Bundesbeschluss vom 20. März 1985 (BB1 1985 l 873) genehmigte das Parlament die bundesrätliche Bewilligung.

Bereits bevor die Rahmenbewilligung erteilt wurde, hatten die Bundesbehörden der Kaiseraugst AG im Hinblick auf eine Standardisierung der Anlagen in der Schweiz nahegelegt, einen andern Anlagetyp zu realisieren. Dies veranlasste den Verwaltungsrat der Kaiseraugst AG am 8. Januar 1986 zu bëschliessen, für die schlüsselfertige Lieferung des nuklearen und thermischen Teils eine neue Ausschreibung durchzuführen. Die entsprechenden Projektofferten liegen seither vor.

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Nachdem 1985 das grundsätzliche Einverständnis der Bundesrepublik Deutschland erlangt worden war, erlaubte der Bundesrat im November 1987 der Kaiseraugst AG, für das Baubewilligungsgesuch ein Projekt mit Durchlaufkühlung einzureichen.

Im April 1986 ereignete sich die Katastrophe von Tschernobyl. Kurz darauf wurden zwei Verfassungsinitiativen gestartet, welche beide zustandekamen. Es handelt sich dabei um die eidgenössische Volksinitiative «Stopp dem Atomkraftwerkbau (Moratorium)» (BB1 198711 1377), welche für die Dauer von zehn Jahren die Erteilung von Bewilligungen für neue Einrichtungen zur Erzeugung von Atomenergie verbieten will, und um die Initiative «für den Ausstieg^ aus der Atomenergie» (BB1 1988 l 95). ,

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Parlamentarische Vorstösse betreffend Nichtrealisierung eines Kernkraftwerks in Kaiseraugst

In der Frühjahrssession 1988 der eidgenössischen Räte reichten Ständerat Schönenberger und Nationalrat Stucky gleichlautende Motionen zum Thema Kernkraftwerk Kaiseraugst ein (88.334 Motion Stucky und 88.340 Motion Schönenberger vom 3. März 1988 Kernkraftwerk Kaiseraugst. Nichtrealisierung). Die beiden Motionen haben folgenden Wortlaut: Der Bundesrat wird beauftragt: - mit der Kernkraftwerk Kaiseraugst AG eine Vereinbarung über die Nichtrealisierung ihres Kernkraftwerkprojekts abzuschliessen; - die Kernkraftwerk Kaiseraugst AG für die im Zusammenhang mit dem Projekt aufgelaufenen Gesamtkosten angemessen zu entschädigen; - die Massnahmen für eine zukunftssichernde Energiepolitik, in der die Kernenergie als Option offen bleibt, mit Nachdruck weiterzuführen.

Zur Begründung ihrer Vorstösse wiesen die Motionäre darauf hin, dass eine zeitgerechte Realisierung des Kraftwerkprojekts trotz rechtsgültiger Standortund Rahmenbewilligung aus politischen, staatsbürgerlichen und gesellschaftlichen Gründen praktisch unmöglich geworden sei. Die Fortführung des Projekts sei aus volkswirtschaftlicher Sicht deshalb nicht mehr vertretbar. Die Kaiseraugst AG habe für die Gründe, die zur Nichtrealisierung des Projektes führten, nicht einzustehen. Sie habe aus diesem Grund Anspruch auf angemessene Entschädigung.

Die beiden Motionen wurden in der Herbstsession der eidgenössischen Räte als Postulate überwiesen.

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Stellungnahme des Bundesrates

In seiner Stellungnahme zu hängigen energiepolitischen Vorstössen vom September 1988 äusserte sich der Bundesrat auch zu den Motionen Schönenberger und Stucky.

, · Er stellte fest, dass die Annahmen und Perspektiven, die er bei seinem Entscheid über die Rahmenbewilligung der Bedarfsbejahung für das Kernkraftwerk 1256

Kaiseraugst zugrunde gelegt hatte, durch die zwischenzeitliche Verbrauchsentwicklung bestätigt wurden. In den letzten fünf Jahren hat der Stromverbrauch durchschnittlich um 3,5 Prozent zugenommen. Die Bedeutung dieser Zuwachsrate wird dadurch illustriert, dass eine Zunahme des Stromverbrauchs von jährlich 3 Prozent während fünf Jahren der Stromproduktion eines Kernkraftwerkes in der Grosse der Werke von Gösgen oder Leibstadt entspricht. Für die neunziger Jahre hat die schweizerische Elektrizitätswirtschaft etwa das Anderthalbfache der aus dem Kernkraftwerk Kaiseraugst erwarteten Strommenge in Frankreich eingekauft. Mit Blick auf die bisherige Bedarfsentwicklung und die Zunahme der Abhängigkeit der schweizerischen Stromversorgung vom Ausland ist die Realisierung des Kernkraftwerks in Kaiseraugst gerechtfertigt. Auf das Kernkraftwerk in Kaiseraugst kann deshalb nur verzichtet werden, wenn vermehrt Anstrengungen zum haushälterischen Gebrauch der Energie unternommen werden. Die Erforschung neuer Energien und die Bestrebungen im Bereich Aus- und Weiterbildung sollen verstärkt werden. Auch soll künftig eine Besteuerung der Energie zu einer sparsameren Verwendung führen. Entsprechende Vorschläge gehen demnächst in das Vernehmlassungsverfahren. Der Bundesrat hat zudem das Eidgenössische Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement beauftragt, ihm einen vorgezogenen Energienutzungsbeschluss zu unterbreiten.

Die Nichtrealisierung von Kaiseraugst könnte in staatspolitischer Hinsicht negative Auswirkungen haben. Sie könnte zur Annahme verleiten, dass der andauernde, harte Widerstand einer Minderheit der Bevölkerung die Durchsetzung von Entscheidungen zuständiger staatlicher Organe zu verhindern vermag.

Künftige Vorhaben in wichtigen Bereichen (z. B. Militär, Verkehr, Umweltschutz, Energie), die sich aus lokaler oder regionaler Sicht nachteilig auswirken, würden unter Umständen auf heftigeren Widerstand stossen. Dies könnte dazu führen, dass bei Kollision von lokalen und nationalen Interessen je länger je mehr Projekte von nationaler Bedeutung verunmöglicht werden.

Indessen überwiegen nach Ansicht des Bundesrates die Argumente, welche für die in den Motionen verlangte Nichtrealisierung sprechen. Der bei einem Bau des Kernkraftwerks Kaiseraugst unter Umständen erforderliche Einsatz der staatlichen Machtmittel
könnte vermieden werden. Die Motionen versuchen, politisch und wirtschaftlich das nachzuvollziehen, was seit Tschernobyl weitgehend als Realität betrachtet wird, nämlich, dass es in naher Zukunft nicht möglich sein wird, mit dem Bau des Kernkraftwerks zu beginnen. Das Problem soll nicht weiter verdrängt, sondern angepackt und gelöst werden. Die künftigen energiepolitischen Auseinandersetzungen sollen von der Belastung durch das Kernkraftwerkprojekt Kaiseraugst befreit werden. Die Nichtrealisierung erlaubt eine Versachlichung der energiepolitischen Diskussion und verschafft mehr Handlungsspielraum. Die Aufweichung der erstarrten energiepolitischen Fronten ist für die kommenden Jahre nötig.

Die Nichtrealisierung von Kaiseraugst ermöglicht die Aufgabe eines Projektes, dessen Standort heute als nicht mehr optimal bezeichnet werden muss (dicht besiedelte Agglomerationen in unmittelbarer Nähe; mehrere Kernkraftwerke in derselben Region). Dies trug stark zur Bildung von Widerstand der Bevölkerung in der betroffenen Region bei.

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Die Einstellung derProjektrealisierung kann nicht mit einem Widerruf der Rahmenbewiiligung gestützt auf das Atomgesetz bewirkt werden, : denn die Bewilligungsvoraussetzungen sind heute nicht anders zu beurteilen als im Jahr 1981 bei der Erteilung bzw. 1985 bei der Genehmigung der Rahmenbewilligung. Dies gilt für die Sicherheit der Anlage, den Bedarfsnachweis und das Bewilligungskriterium «Schutz wichtiger Rechtsgüter». Der von den Motionären vorgeschlagene Weg einer Nichtrealisierungsvereinbarung erweist sich daher als richtig.

Mit den Motionären ist der Bundesrat der Auffassung, dass die Nichtrealisierung von Kaiseraugst nicht mit der Aufgabe der Option Kernenergie zu verbinden ist. Aus versorgungspolitischen, ökologischen und wirtschaftlichen Gründen ist an der Kernenergie festzuhalten. In erster Linie geht es darum, den Weiterbetrieb der bestehenden Kraftwerke sicherzustellen. Längerfristig ist zudem der Bau weiterer nuklearer Kapazitäten nicht auszuschliessen, falls die Versorgungslage dies erfordert. Der Bundesrat wird deshalb dem Parlament die Moratoriums- (BB1 198711 1377 ff.) wie auch die Ausstiegsiriitiative (BB1 :1988 I 95 ff.) ohne Gegenvorschlag mit dem Antrag auf Ablehnung unterbreiten.

Indessen verlangt das Offenhalten der Option Kernenergie, soll sie glaubhaft bleiben, unter anderem eine wirksame Sparpolitik. Massnahmen auf Verfassungs- und Gesetzesstufe, Inbegriffen eine im Vernehmlassungsverfahren befindliche Besteuerung der Energie, sind sofort an die Hand zu nehmen.

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Verhandlungen mit der Kaiseraugst AG

Am 28. Juli 1988 beauftragte der Bundesrat Dr. Jean-Claude Wenger^ Rechtsanwalt in Zürich, in Verhandlungen mit der Kaiseraugst AG abzuklären, unter welchen Voraussetzungen eine freiwillige Einstellung der Projektierungsarbeiten durch die Kaiseraugst AG möglich wäre. Ziel der Verhandlungen sollte eine einvernehmliche, den besondern Umständen Rechnung tragende, faire Lösung sein.

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.

Dr. Wenger führte hierauf mit den Verantwortlichen der Kaiseraugst AG mehrere Vorgespräche, um die Grundbestimmungen einer Vereinbarung zu eruieren. Eine erste Verhandlungsphase konnte am 14. September 1988 mit einer Einigung über derartige: Bestimmungen abgeschlossen werden.

Darauf aufbauend erarbeiteten die Parteien einen Vereinbarungstext. Dieser konnte am 7. November 1988 unterzeichnet werden.

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Vertragliche Hauptleistungen

Die Kaiseraugst AG war nur unter der Voraussetzung zur Einstellung der Projektierungsarbeiten bereit, dass ihr der Bund als Gegenleistung eine Entschädigung ausrichte. Hauptleistungen der Vertragspartner bilden somit, einerseits die Nichtrealisierung des Kernkraftwerkprojektes und anderseits die Entschädigung.

, .

..

Die Kaiseraugst AG ist im Besitz einer rechtsgültigen Standortbewilligung. Der Bundesrat erteilte ihr zudem die Rahmenbewilligung, die im Frühjahr 1985 von 1258

den eidgenössischen Räten genehmigt wurde. Aufgrund der geltenden Rechtsordnung besteht für den Inhaber dieser Bewilligungen ein Rechtsanspruch auf die Erteilung der Bau- und Betriebsbewilligung, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen insbesondere in bezug auf die Sicherheit der Anlage und auf die Gewährleistung der Entsorgung erfüllt sind (Art. l Abs. 2 und 12 Abs. 2 des Bundesbeschlusses vom 6. Okt. 1978 zum Atomgesetz; SR 732.01; Art. 5 des Atomgesetzes vom 23. Dez. ,1959; SR 732.0). Rechtlich besteht für die Kaiseraugst AG mithin die Möglichkeit, das Projekt weiterzuverfolgen und eine Bau- und Betriebsbewilligung zu erlangen. Es ist legitim, wenn die Kaiseraugst AG nur gegen ; Entschädigung bereit ist, die Projektierungsarbeiten einzustellen. Sie könnte denn auch mit einer Entschädigung rechnen, wenn die Projektrealisierung gegen ihren Willen mit rechtlichen Mitteln verhindert würde. In der Tat lässt sich aus dem Atomgesetz und dem Bundesbeschluss zum Atomgesetz ein Entschädigungsanspruch für den Inhaber einer Rahmenbewilligung ableiten, wenn diese aus Gründen, für die er nicht einzustehen hat, widerrufen wird.

Es ist auch nicht so, dass die Kaiseraugst AG ihre Projektierungstätigkeit gegen den Willen der Bundesbehörden durchgeführt hätte. Der Bundesrat unterstützte das Projekt seit seiner Inangriffnahme und hatte konkrete Vorstellungen über den zeitlichen Ablauf des Bewilligungsverfahrens. Mitte Juli 1975 stellte er die Erteilung der nuklearen Baubewilligung für 1976 in Aussicht. Am 25. Oktober 1975 teilte die Eidgenössische Kommission für die Sicherheit von Atomanlagen der Projektantin,mit, der Baubeginn könne anfangs Juni 1977 erfolgen. In der verwaltungsinternen Terminplanung von 1977 war die Erteilung der nuklearen Baubewilligung je nach Variante für Ende 1978 bzw. Mitte 1979 vorgesehen. Im Januar 1979 erklärten ferner die Mitglieder der bundesrätlichen Energiedelegation gegenüber der Kaiseraugst AG, dass der Bundesrat voll zum Kernkraftwerk Kaiseraugst stehe und das Rahmenbewilligungsgesuch nach der Abstimmung über die Ergänzung des Atomgesetzes ohne Verzug behandelt werde. Anderseits war seit der Überweisung des Postulates Egli im Dezember 1979 durch den Ständerat, das den Bundesrat zu Gesprächen mit den Betroffenen über den Verzicht der Projektverwirklichung beauftragte, auch bekannt,
dass der Bund bereit war, gegebenenfalls die Einstellung der Projektierungsarbeiten in Kauf zu nehmen.

Seit der Katastrophe von Tschernobyl bestehen Verhältnisse, welche einer Projektverwir.klichung in absehbarer Zukunft entgegenstehen. Für die in den letzten Jahren eingetretenen und nicht voraussehbaren Veränderungen der Umstände hat die Kaiseraugst AG nicht einzustehen. Diese Tatsache rechtfertigt ebenfalls, dass der Bund einen Teil des aus der Nichtrealisierung erwachsenden Schadens übernimmt.

Auch das öffentliche Interesse an einem endgültigen Entscheid zur Nichtrealisierung rechtfertigt die Leistung einer Entschädigung durch den Bund. Durch die Projektaufgabe wird ein bedeutendes Hemmnis für eine tragfähige Energiepolitik beseitigt und gleichzeitig eine Auseinandersetzung vermieden, die den Rechtsstaat auf eine harte Probe stellen könnte.

Nach dem Bekanntwerden der bundesrätlichen Absicht, mit der Kaiseraugst AG eine Nichtrealisierungsvereinbarung herbeizuführen, wurden von verschie-

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denen Seiten Einwendungen gegen eine Entschädigungsleistung durch den Bund erhoben. Geltend gemacht wurde insbesondere, dass die bisherigen Projektierungsarbeiten nutzlos gewesen seien, da der Realisierung des Kernkraftwerks aus verschiedenen Gründen neue Projektierungsunterlagen zugrunde zu legen wären.

Es wurde bereits erwähnt (Ziff. 111), dass die Kaiseraugst AG im Jahre 1986 im Interesse einer Standardisierung der Anlagen in der Schweiz beschloss, für den nuklearen und thermischen Teil eine neue Projektierung durchzuführen 1 ). Für das neue Projekt könnten demnach die bisherigen Arbeiten nur zum Teil verwendet werden. Diese Tatsache steht indessen einem Entschädigungsbeitrag durch den Bund nicht entgegen. Es geht nicht darum, die Kaiseraugst AG nur für Aufwendungen zu entschädigen, welche für ein realisierungsreifes Projekt gemacht wurden. Sowohl die Neuprojektierung wie auch vorgängige Projektänderungen sind im wesentlichen auf Verzögerungen wegen des Widerstandes gegen das Projekt und der Neuregelung des Bewilligungsverfahrens zurückzuführen. Sie wurden hauptsächlich durch Entwicklungen im Bereich der Sicherheit notwendig und fanden in Absprache mit oder auf Anweisung der zuständigen Sicherheitsbehörde des Bundes statt.

Es erscheint dem Bundesrat als geboten, ohne weiteren Verzug die Einstellung bzw. Beendigung des Projektes herbeizuführen. Ohne Entschädigung ist die Kaiseraugst AG nicht bereit, auf die Ausübung der ihr rechtlich zustehenden Möglichkeit zu verzichten, eine kommerziell betreibbare Anlage zu verwirklichen. Es geht somit darum, einen angemessenen Preis für die Aufgabe eines Projektes zu bezahlen, dessen Verwirklichung infolge veränderter Umstände in naher Zukunft nicht mehr möglich erscheint.

Damit ist es. auch Sache des Ermessens, die Höhe des vom Bund zu leistenden Beitrages festzulegen. Der Bundesrat ist der Auffassung, mit der Summe von 350 Millionen Franken zu einer vertretbaren Lösung Hand geboten zu haben.

Nicht in Frage kommen konnte eine Übernahme der ganzen bisher aufgelaufenen und bei der Projektaufgabe anfallenden Kosten (rund 1,3 Mia. Fr.; vgl.

Ziff. 223). Der Entscheid zur Realisierung eines Kernkraftwerks beinhaltet ein unternehmerisches Risiko. Nachdem weitgehend von den Bundesbehörden unabhängige Umstände die Einstellung der Arbeiten am Projekt nahelegen,
muss diese Tatsache dazu führen, dass der Hauptteil der finanziellen Lasten bei der Kaiseraugst AG und ihren Aktionären verbleibt. Unter diesen Umständen ist die ausgehandelte Summe von 350 Millionen Franken vertretbar.

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Stellung des Kantons Aargau

Am 3. Oktober 1988 übermittelte der Regierungsrat des Kantons Aargau dem Bundesrat seine Erklärung vom 19. September 1988, in welcher er den! Bund aufforderte, den Entschädigungsbetrag wesentlich über die vorgesehenen 350 '' Eine derartige Projektänderung ist durchaus mit den erteilten Bewilligungen vereinbar, umschreiben diese doch einzig den Standort sowie Leistung und Kühlungsart der Anlage. Die Prüfung der Projektdetails ist dem späteren Baubewilligungsverfahren vorbehalten.

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Millionen Franken anzuheben. Zur Begründung dieser Forderung machte er geltend, dass der Kanton Aargau als Standortkanton und durch seine Beteiligung an Gesellschaften, die Aktien an der Kaiseraugst AG halten, in einer besondern Beziehung zur vorgesehenen Vereinbarung über die Nichtrealisierung stehe. Aufgrund der bisher eingenommenen eindeutigen Haltung und mit Blick auf die eidgenössische Solidarität erwarte der Regierungsrat eine Regelung, die weder den aargauischen Stromkonsumenten noch den aargauischen Steuerzahler über Gebühr belaste.

Der Bundesrat erachtet es nicht als opportun, wegen der besonderen Stellung des Kantons Aargau den Beitrag des Bundes, der ihm als angemessen erscheint, aufzustocken. Von einer Erhöhung der Entschädigungssumme würde nämlich bei einer anteilsmässigen Verteilung der Kosten auf die Partneraktionäre der Kaiseraugst AG der Kanton Aargau nur beschränkt profitieren, da er über seine Beteiligung an der Nordostschweizerischen Kraftwerke AG und am Aargauischen Elektrizitätswerk bloss zu rund 10 Prozent an der Kaiseraugst AG beteir ligt ist. Anderseits erscheint auch eine direkte Zahlung des Bundes an den Kanton Aargau nicht gerechtfertigt. Einzig die Kaiseraugst AG als Inhaberin der Rahmenbewilligung kann rechtsgültig auf die Realisierung des Kernkraftwerkprojektes verzichten. Es ist daher richtig, dass nur sie als Vertragspartnerin des Bundes auftritt und die Entschädigung als Gegenleistung für die Nichtrealisierung erhält. Der Kanton Aargau kann sein Anliegen somit nur verwirklicht sehen, wenn die Aktionäre der Kaiseraugst AG eine Lösung beschliessen, welche diejenigen Partner, an denen, der Kanton Aargau beteiligt ist, begünstigt. Der Bundesrat würde eine derartige Lösung begrüssen. Er wird sich jedoch nicht bei den einzelnen Partneraktionären dafür einsetzen, handelt es sich doch um ein privatrechtliches Problem, zu dessen Lösung sich staatliche Beeinflussung verbietet.

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Andere Kernkraftwerkprojekte

Nach dem heutigen Stand der Dinge darf nicht davon ausgegangen werden, dass das Kernkraftwerk Kaiseraugst durch ein anderes, bestehendes Projekt abgelöst werden kann. Von den andern Projekten sind verfahrensmässig Graben und Verbois am weitesten fortgeschritten. Für beide Werke besteht eine bundesrechtliche Standortbewilligung (vom Oktober 1972 für Graben und vom Mai 1974 für Verbois). Für das Projekt Graben ist zudem das Rahmen- und das nukleare Baubewilligungsgesuch hängig. Im Unterschied zu Kaiseraugst wurde jedoch bis heute keine Rahmenbewilligung erteilt.

Der Bundesrat ist auch in diesen beiden Fällen im Sinne der am 28. September 1988 vom Nationalrat als Postulate überwiesenen Motionen Luder (M 88.342 KKW Graben. Verzicht), der Grünen Fraktion (M 88.345 KKW Graben. Verzicht), Ruf (M 88.346 KKW Graben. Verzicht) und der SP-Fraktion (M 88.383 Kernkraftwerk Graben. Verzicht) sowie der Grünen Fraktion (M 88.347 KKW Verbois. Verzicht) bereit, mit den Projektinhabern Gespräche zu führen. In Anbetracht der von Kaiseraugst unterschiedlichen Sach- und Rechtslage besteht jedoch aus heutiger Sicht kein Grund, auf Entschädigungsforderungen einzugehen.

1261

Für iandere Projekte, wie Inwil im Kanton Luzern oder Neuanlagen an bestehenden Standorten, wurden bis jetzt keine bundesrechtlichen Bewilligungen erteilt. Hier wäre das ordentliche Rahmenbewilligungsverfahren durchzuführen, mit gleichzeitigem Entsorgungsnachweis.

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Finanzierung der Entschädigung

Die Entschädigung der Kaiseraugst AG kann entweder aus allgemeinen Bundesmitteln oder durch eine Sonderfinanzierung über die Erzeugung oder den Verbrauch von Energie erfolgen. Als Sonderfinanzierung kommt, wohl nur eine Abgabe auf dem Stromverbrauch in Frage. Bei einer Finanzierung mittels einer Abgabe auf der Elektrizität wären es mehrheitlich wieder die Stromkunden der an der Kaiseraugst AG beteiligten Überlandwerke, welche den Grossteil der Mittel aufzubringen hätten. Eine Entschädigung über eine Abgabe auf der Elektrizität wäre also nicht grundsätzlich verschieden von einem entschädigüngsloseh Verzicht.

, Der Bundesrat beantragt deshalb eine Lösung, bei der die Entschädigung aus allgemeinen Bundesmitteln geleistet wird. Einzig diese Lösung erlaubt eine rasche Nichtrealisierung des Kaiseraugst-Projektes. Ein entsprechender Zahlungskredit wurde in den Voranschlagsentwurf für das Jahr 1989 aufgenommen.

Diese Lösung hat den Vorteil, dass die aus der Nichtrealisierung erwachsenden Kosten letztlich aufgeteilt sowohl vom Steuerzahler Wie vom Strombezüger übernommen werden.

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Vorverfahren

Es besteht für beide Vertragsparteien ein grosses Interesse an einer raschen endgültigen Klärung der Lage. Ein speditives Vorgehen verhindert insbesondere, dass über Gebühr weitere' Kosten auflaufen. Deshalb legt der Bundesrat Wert darauf, dass die Vorlage bereits in der Dezembersession 1988 vom Erstrat behandelt wird.

Nachdem der definitive Wortlaut der Vereinbarung und die Modalitäten der Kostenüberprüfung erst mit der Unterzeichnung am 7. November 1988 feststanden, war es aus zeitlichen Gründen nicht möglich, ein Vernehmlassungsverfahren zur Vorlage durchzuführen. Der Verzicht auf ein Vernehmlassungsverfahren ist zu verantworten, da der Bundesrat der Öffentlichkeit bereits am 14. September 1988 von seiner grundsätzlichen Einigung mit der Kaiseraugst AG über die Nichtrealisierung und eine Entschädigungsleistung Kenntnis gab. Zudem haben sich bereits die eidgenössischen Räte in der Herbstsession 1988 im Rahmen der Behandlung verschiedener energiepolitischer Vorstösse mit der Frage befasst.

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2

Besonderer Teil

21

Inhalt des Bundesbeschlusses

Die mit der Kaiseraugst AG unterzeichnete Vereinbarung1} findet im geltenden Atomrecht des Bundes keine Rechtsgrundlage. Dementsprechend sieht Ziffer 4 der Vereinbarung vor, dass diese nur in Kraft tritt, wenn der entsprechende Bundesbeschluss rechtskräftig geworden ist. Als Inhalt des Bundesbeschlusses genügt mithin, den Bundesrat zum Abschluss der in Frage stehenden Vereinbarung zu ermächtigen.

Sobald die gegenseitigen Verpflichtungen aus der Vereinbarung erfüllt sind, wird der Beschluss gegenstandslos. Er wird deshalb entsprechend befristet (Art. 2).

22

Inhalt der Vereinbarung

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Allgemeines

Die Vereinbarung ') besteht aus zwei Teilen. In einem ersten Teil sind die Gegebenheiten und Randbedingungen aufgeführt, welche die Parteien zur Unterzeichnung einer Nichtrealisierungsvereinbarung veranlassten. Aus diesem Teil lassen sich keine Rechte und Pflichten ableiten. Es handelt sich um diejenigen Umstände, welche im allgemeinen Teil dieser Botschaft dargestellt und kommentiert werden.

Im andern Teil des Vereinbarungstextes sind die Rechte und Pflichten des Bundes und der Kaiseraugst AG niedergelegt.

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Einstellung der Arbeiten am Projekt für ein Kernkraftwerk in Kaiseraugst

Die Hauptleistung der Kaiseraugst AG besteht darin, dass sie die Arbeiten am Projekt für ein Kernkraftwerk in Kaiseraugst einstellt (Ziff. l der Vereinbarung). Sie wird mithin von den ihr rechtsgültig erteilten Bewilligungen (Standort- und Rahmenbewilligung) nicht Gebrauch machen, also keine nukleare Baubewilligung für eine Kernkraftwerkanlage in Kaiseraugst anbegehren. Damit wird die erteilte Rahmenbewilligung nach Eintritt der Rechtskraft des vorliegenden Bundesbeschlusses gegenstandslos (Ziff. 4 Abs. 2 der Vereinbarung).

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Beitrag des Bundes

Als Gegenleistung für die Einstellung der Arbeiten bezahlt der Bund der Kaiseraugst AG einen pauschalen Beitrag von 350 Millionen Franken an diejenigen Aufwendungen und Verpflichtungen, die von der Kaiseraugst AG in guten Treuen gemacht und eingegangen wurden, um die erforderlichen Bewilligungen Abgedruckt in der Beilage.

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zu erhalten und das Projekt Kaiseraugst zu realisieren (Ziff. 2 der Vereinbarung). Diese Aufwendungen und Verpflichtungen werden in gegenseitigem Einvernehmen überprüft. Ergibt sich bei der Überprüfung, dass sie weniger als l Milliarde Franken betragen, so ist der Beitrag des Bundes im gleichen Verhältnis herabzusetzen (Ziff. 3 der Vereinbarung).

Die Vereinbarung enthält ein zu konkretisierendes Element, müssen doch die in guten Treuen gemachten Aufwendungen und eingegangenen Verpflichtungen festgelegt und überprüft werden.

Unsere Rechtsordnung lässt den Bau von Kernkraftwerken zu und räumt, bei Erfüllung der Voraussetzungen, einen Rechtsanspruch auf die notwendigen Bewilligungen ein. Im Hinblick auf diese Rechtslage müssen alle Aufwendungen und Verpflichtungen als in guten Treuen gemacht und eingegangen gelten, welche vernünftigerweise geeignet erscheinen, die Realisierung eines Kernkraftwerks herbeizuführen. Es liegt dabei auf der Hand, dass bei einem Grossprojekt, insbesondere wenn sich die Projektierungsphase wie bei Kaiseraugst über mehr als 20 Jahre erstreckt, derartige Aufwendungen und Verpflichtungen auch diejenigen für Projektänderungen und Neuprojektierungen umfassen. Aufgrund der Vereinbarung können jedoch insbesondere projektfremde Aufwendungen und Aufwendungen für noch realisierbare Werte (z. B. Liegenschaften, Brennstoffe) nicht berücksichtigt werden.

Seit dem 1. Mai 1986 hat die Aare-Tessin-Aktiengesellschaft für Elektrizität in Ölten die Geschäftsleitung samt dem Finanz- und Rechnungswesen der Kaiseraugst AG inné. Von der Gründung der Kaiseraugst AG am 29. Januar 1974 bis Ende April 1986 war dafür die Motor-Columbus AG in Baden zuständig. Im Rahmen der Ausarbeitung der Vereinbarung hat die Geschäftsleitung der Kaiseraugst AG eine Schätzung des Schadens bei Nichtrealisierung des Kernkraftwerks Kaiseraugst vorgenommen, die sich wie folgt präsentiert:

1264

Positionen

Kosten und Erlöse bis 31. Dez. 1987 vom I.Jan.

1988 bis 30. Sept. 1988 Mio. Fr.

Mio: Fr.

Total

Mio. Fr.

Kostengruppen Werkanlagen und Projektierung Grundstücke Kernbrennstoff Zinsen und Finanzierungskosten Verwaltungs- und allgemeine Kosten . . . .

Steuern und Gebühren Total I

:

482,1 32,7 136,5 538,0 33,9 11,5

27,4 0,8 39,6 3,8 1,1

509,5 32,7 137,3 577,6 37,7 12,6

1234,7

72,7

1307,4

113,3

10,9

124,2

Bereinigungen Bedingt erlassene Zinsen der Aktionäre (inkl. Zinseszinsen) Verzicht auf verschiedene Aufwendungen (inkl. Zins) '..'

-50,5

Total II

1297,5

Verpflichtungen vom L Oktober 1988 bis 30. Juni 1989 Laufende Kosten Bedingt erlassene Zinsen der Aktionäre (inkl. Zinseszinsen) Lieferantenforderungen (zurzeit nicht schätzbar) Total III

-3,1 80,5

-53,6 1378,0

51,4 11,2 <

p. m.

1440,6

Mutmassliche Erlöse Grundstücke Kernbrennstoff Verschiedene

-- 67,4 -70,0 --1,0

Total IV

1302,2

Diese Schätzung basiert auf der ordnungsgemäss geführten, von den unabhängigen Büchersachverständigen (REVISUISSE) und der ordentlichen Kontrollstelle der Kaiseraugst AG jährlich geprüften Buchhaltung. Sie schliesst im Total I auch die vom 1. Januar bis 30. September 1988 aufgelaufenen Kosten ein.

In einem weiteren Schritt sind an Bereinigungen die von den Aktionären bedingt erlassenen Zinsen sowie der freiwillige Verzicht von verschiedenen getätigten Aufwendungen berücksichtigt worden. Die Zinssätze entsprechen den

1265

von der Schweizerischen Nationalbank veröffentlichten Renditen von Obligationen, der Kraftwerke und Elektrizitätsgesellschaften mit Restlaufzeiten von über fünf Jahren zuzüglich Y* Prozent Finanzierungskosten. Bei den Aufwendungen, auf die freiwillig verzichtet wird, handelt es sich vor allem um Studienund Projektkosten von rund 25 Millionen Franken, die für die Elektrizitätswirtschaft von allgemeinem Interesse sind, und um Leistungen für die Information im Bereich der Kernenergie von rund 21,5 Millionen Franken sowie um allgemeine Kosten von 7,1 Millionen Franken.

, .

In einer dritten Position sind die voraussichtlichen Verpflichtungen der Kaiseraugst AG vom 1. Oktober 1988 bis 30. Juni 1989 (voraussichtlicher Ablauf der Referendumsfrist des Bundesbeschlusses) aufgelistet worden, wobei die Lieferantenforderungen zurzeit nicht schätzbar sind.

: Vom Total III im Betrage von 1,44 Milliarden Franken sind die mutmasslichen Erlöse von insgesamt 138 Millionen Franken in Abzug gebracht worden. Die Grundstücke im Halte von rund 22,5 ha sind zu 300, Franken/m2 bewertet worden. Die Kaiseraugst AG hat von einem unabhängigen, von den aargauischen Gerichten anerkannten Experten eine Schätzung vornehmen lassen, die in dieser Grössenordnung liegt. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der Grosse Rat des Kantons Aargau am 20. Oktober 1987 die Gemeinde Kaiseraugst verpflichtet hat, die Industriezone zu überprüfen und um 20 ha Land zu verringern, falls das Kernkraftwerk Kaiseraugst nicht realisiert werden kann. Welche Wertminderung dieser Beschluss schliesslich auf den angenommenen Erlös der Grundstücke der Kaiseraugst AG haben wird, kann offenbleiben, da ein allfälliger Minderwert nicht durch den Bund im Rahmen dieses Verfahrens; sondern, wenn überhaupt, durch Kanton und Gemeinde wegen materieller Enteignung zu entschädigen wäre. Die Einnahmen aus dem Verkauf des Kernbrennstoffes sind optimistisch eingeschätzt worden. Je nach Entwicklung des Uranpreises und des Dollarkurses können noch wesentliche Veränderungen entstehen..

Damit beträgt die ermittelte gesamte Schadensumme gemäss Total IV rund 1,3 Milliarden Franken.

Gestützt auf Ziffer 3 der Vereinbarung sind die Aufwendungen und Verpflichtungen der Kaiseraugst AG im gegenseitigen Einvernehmen zu prüfen. Der Bundesrat hat die Eidgenössische Finanzkontrolle
mit dieser Prüfung beauftragt; von Seiten der Kaiseraugst AG hat die REVISUISSE die Zahlen der Aufstellung über die Schadenschätzung revidiert. Obwohl die Eidgenössische Finanzkontrolle ihren Bericht erst Mitte November 1988 abgeben kann, darf davon ausgegangen werden, dass der in Ziffer 3 der Vereinbarung festgelegte Kostenaufwand den Betrag von l Milliarde Franken überschreitet.

224

Inkrafttreten, Zahlung des Bundesbeitrags, Streitigkeiten

Das Inkrafttreten der Vereinbarung ist in Ziffer 4 geregelt. Voraussetzung dafür ist, dass der vorliegende Bundesbeschluss rechtskräftig wird. Sollte seine Annahme von der Bundesversammlung oder in einer allfälligen Referendumsabstimmung verweigert werden, so würde sie, ohne Rechtswirkungen entfaltet zu 1266

haben, ohne weiteres dahinfallen (Ziff. 5 der Vereinbarung). Bei einer Annahme des Bundesbeschlusses würde die Vereinbarung automatisch in Kraft treten.

Der Beitrag des Bundes wird mit dem Inkrafttreten der Vereinbarung zur Zahlung fällig (Ziff. 4 Abs. 3 der Vereinbarung).

Streitigkeiten aus der Vereinbarung entscheidet das Schweizerische Bundesgericht (Ziff. 8 der Vereinbarung). Diese Regelung ergibt sich aus Artikel 116 Buchstabe b des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege (SR 173.110).

3

Auswirkungen

31

Finanzielle Auswirkungen

Die Vereinbarung verpflichtet den Bund, der Kaiseraugst AG einen Entschädigungsbeitrag von höchstens 350 Millionen Franken zu leisten. Der notwendige Zahlungskredit soll mit dem Voranschlag 1989 bewilligt werden. Der Bund wird die Zahlung vornehmen, sobald die Vereinbarung in Kraft getreten ist.

32

Andere Auswirkungen

Durch die Nichtrealisierung des Projekts entsteht den Partneraktionären der Kaiseraugst AG eine erhebliche Abschreibungslast. Sie beträgt, wie oben (Ziff. 223) dargestellt, ungefähr 1,3 Milliarden Franken. Die Zahlung des Bundes mindert die Kosten, welche die Aktionäre zu übernehmen haben. Immerhin wird diesen eine Restbelastung von rund 950 Millionen Franken verbleiben.

4

Legislaturplanung

Die Vorlage ist in der Legislaturplanung 1987-1991 nicht angekündigt, da sie bei der Verabschiedung der Planung nicht voraussehbar war. Infolge der Überweisung der Postulate Stucky, Grüne Fraktion und Schönenberger über die Nichtrealisierung von Kaiseraugst und der Wichtigkeit des Entscheids ist es jedoch gerechtfertigt, sie im jetzigen Zeitpunkt vorzulegen.

5

Rechtliche Grundlagen

51

Verfassungsmässigkeit

Die Vorlage hat ihre Grundlage im Artikel 24qulnqllles der Bundesverfassung.

Nach dieser Bestimmung ist die Gesetzgebung auf dem Gebiet der Atomenergie Bundessache.

1267

52

Erlassform

Eine Entschädigung an Kernkraftwerk-Projektanten findet, aussèr beim Widerruf von Verfügungen, keine Grundlage im bestehenden Gesetzesrecht. Die Entschädigungsvereinbarung bedarf deshalb einer neu zu schaffenden spezialgesetzlichen Rechtsgrundlage. In Anbetracht der Besonderheit und Einmaligkeit des Falles schlägt der Bundesrat einen allgemeinverbindlichen Bundesbeschluss vor, der einzig die Vereinbarung mit der Kaiseraugst AG zum Gegenstand hat.

Diese Lösung mag zwar unter rechtsdogmatischen Gesichtspunkten und mit Blick auf Artikel 5 Absatz 2 des Geschäftsverkehrsgesetzes (SR 171.11) insofern als ungewöhnlich erscheinen, als Gesetze sich prinzipiell nicht auf Einzelfälle beziehen sollten. Eine generell gefasste Entschädigungsregelung für die Nichtrealisierung von Kernkraftwerkprojekten hätte jedoch unerwünschte präjudizielle Wirkungen. Solche sind zu vermeiden, zumal sich die Verhältnisse bei den anderen bestehenden Projekten grundlegend von jenen in Kaiseraugst unterscheiden.

Mit Rücksicht darauf, dass es auf Bundesebene kein Finanzreferendum gibt, wird die Höhe der Entschädigung im allgemeinverbindlichen Bundesbeschluss nicht genannt. Der Höchstbetrag von 350 Millionen Franken ergibt sich aus der unterzeichneten Vereinbarung und soll als Zahlungskredit mit dem Voranschlag 1989 bewilligt werden.

2801

1268

Beilage Originaltext

Vereinbarung zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, nachfolgend «Bund» genannt.

und der Kernkraftwerk Kaiseraugst AG, nachstehend «KWK» genannt, in Kenntnis der nachstehenden Gegebenheiten und Randbedingungen: - Die KWK verfügt für ihr Projekt eines Kernkraftwerkes in Kaiseraugst (AG) seit 15. Dezember 1969 über eine Standortbewilligung und seit 20. März 1985 (Genehmigung durch den Nationalrat) über eine Rahmenbewilligung im Sinne der Atomgesetzgebung. Die KWK hat Anspruch auf Erteilung der nuklearen Baubewilligung, sofern sie ein Projekt vorlegt, das die gesetzlichen Bedingungen erfüllt.

- Anderseits kann das Projekt der KWK infolge veränderter Verhältnisse weder jetzt noch in absehbarer Zukunft verwirklicht werden. Für diese Entwicklung hat die KWK nicht einzustehen. Es erscheint dem Bundesrat als geboten, ohne weiteren Verzug die Einstellung bzw. Beendigung dieses Projektes herbeizuführen.

- Im Hinblick auf den Erhalt der Bewilligungen und die Realisierung des Kernkraftwerkes sind seitens der KWK hohe Aufwendungen nötig gewesen, die zu einem wesentlichen .Teil durch die eingetretenen zeitlichen Verzögerungen und die veränderten behördlichen Anforderungen an das Projekt verursacht worden sind.

- Es ist keine rechtliche Voraussetzung gegeben, die den Widerruf der erteilten Bewilligungen rechtfertigen würde. Der Bundesrat hält den Bedarf für ein Kernkraftwerk mit vergleichbarer Leistung nach wie vor für gegeben und die Erfüllung der Sicherheitsauflagen für möglich.

- Ohne Widerruf der Rahmenbewilligung besteht seitens des Bundes keine gesetzliche Grundlage für eine Entschädigung an die KWK. Es würde aber der Billigkeit widersprechen, wenn sich der Bund für den Fall der Einstellung des Projektes an den entstandenen Aufwendungen nicht mit einem angemessenen Beitrag beteiligte. Es wäre auch staatspolitisch nicht zu rechtfertigen, die KWK bzw. deren Aktionäre die Folgen der Einstellung des Projektes allein tragen zu lassen.

- In dieser Hinsicht stellt das Projekt Kaiseraugst einen Sonderfall dar, der eine Ausnahmebehandlung in der Form eines allgemeinverbindlichen Bundesbeschlusses rechtfertigt.

- Der Bundesrat will gemeinsam mit der KWK eine politische Lösung herbeiführen, wobei die Option eines weiteren Ausbaues der Kernenergie in der Schweiz ausdrücklich offengehalten wird.

vereinbaren Bund und KWK:

1269

1. Die KWK stellt unter den gegebenen Umständen die Arbeiten am Projekt für ein Kernkraftwerk Kaiseraugst ein.

2. Der Bund leistet der KWK einen pauschalen Beitrag von 350 Millionen Franken an diejenigen Aufwendungen und Verpflichtungen, die von der KWK in guten Treuen gemacht und eingegangen wurden, um die erforderlichen Bewilligungen zu erhalten und das Projekt Kaiseraugst zu realisieren.

3. Die Aufwendungen und Verpflichtungen gemäss Ziffer 2 belaufen sich nach Angaben der KWK per Ende September 1988 auf über l Milliarde Franken.

, : Die entsprechenden Kosten werden in gegenseitigem Einvernehmen überprüft. Ergibt sich bei der Überprüfung ein zu berücksichtigender Kostenaufwand von weniger als l Milliarde Franken, so ist der Beitrag des Bundes im gleichen Verhältnis herabzusetzen.

, 4. Diese Vereinbarung tritt in Kraft, wenn der entsprechende allgemeinverbindliche Bundesbeschluss über die Nichtrealisierung des Projektes Kaiseraugst der KWK rechtskräftig geworden ist.

Damit wird die erteilte Rahmenb e willigung gegenstandslos.

In diesem Zeitpunkt wird auch der Beitrag des Bundes zur Zahlung fällig.

5. Verweigert das Parlament seine Zustimmung oder verwirft das Volk in einer nachfolgenden Referendumsabstimmung die Vorlage, so fällt die Vereinbarung ohne weitere Folgen dahin. In diesem Falle dürfen beide Parteien nicht bei Zugeständnissen behaftet werden, die im Rahmen dieser Vereinbarung gemacht wurden.

6. Mit dem Vollzug dieser Vereinbarung verzichtet die KWK per Saldo aller Ansprüche auf jegliche weitergehenden Forderungen gegenüber dem Bund.

7. Die vorliegende Vereinbarung ist in zwei numerierten Originalexemplaren ausgefertigt und unterzeichnet, von welchen das Exemplar Nr. l für den Bund und das Exemplar Nr. 2 für die KWK bestimmt ist, 8. Im Falle von Streitigkeiten aus dieser Vereinbarung entscheidet das Schweizerische Bundesgericht in Lausanne.

Bern, den 7. November 1988

Schweizerische Eidgenossenschaft: O. Stich, Bundespräsident

2S01

1270

Kernkraftwerk Kaiseraugst AG: E. Tappy, Präsident des Verwaltungsrätes F.J. Harder, Vizepräsident des Verwaltungsrates

Bundesbeschluss Entwurf über eine Vereinbarung betreffend Nichtrealisierung des Kernkraftwerks Kaiseraugst

vom

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft,

]

gestützt auf Artikel 24iuiniuies der Bundesverfassung, nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 9. November 19881\ beschliesst: Art. l

Ermächtigung des Bundesrates

Der Bundesrat ist ermächtigt, mit der Kernkraftwerk Kaiseraugst AG eine Vereinbarung über die Nichtrealisierung des Kernkraftwerkes Kaiseraugst abzuschliessen und ihr hiefür eine angemessene Entschädigung auszurichten.

Art. 2

Referendum und Inkrafttreten

1

Dieser Beschluss ist allgemeinverbindlich ; er untersteht dem fakultativen Referendum.

2

Der Bundesbeschluss tritt am Tag nach Ablauf der Referendumsfrist beziehungsweise nach der Annahme in einer allfälligen Volksabstimmung in Kraft.

3

Der Bundesrat hebt den Beschluss auf, wenn alle aus der Vereinbarung fliessenden Verpflichtungen erfüllt sind.

2801

>> BB1 1988 III 1253

1271

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft zu einem Bundesbeschluss über eine Vereinbarung betreffend Nichtrealisierung des Kernkraftwerks Kaiseraugst vom 9. November 1988

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Bundesblatt

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Foglio federale

Jahr

1988

Année Anno Band

3

Volume Volume Heft

47

Cahier Numero Geschäftsnummer

88.065

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

29.11.1988

Date Data Seite

1253-1271

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10 050 893

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