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Bundesblatt

Bern, 3I.Oktober 1977

129.Jahrgang

Band III

Nr. 44 Erscheint wöchentl. Preis : Inland Fr. 85.- im Jahr, Fr. 48.50 im Halbjahr ; Ausland Fr. 103.im Jahr, zuzüglich Nachnahme- und Postzustellgebühr. Inseratenverwaltung: Permedia, Publicitas-Zentraldienst für Periodika, Hirschmattstrasse 36, 6002 Luzern, Tel.041/236666

Botschaft über die Ergänzung des Atomgesetzes # S T #

77.053

vom 24. August 1977

Frau Nationalratspräsidentin, Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, Wir unterbreiten Ihnen hiermit unsere Botschaft über eine Ergänzung des Atomgesetzes durch einen allgemeinverbindlichen Bundesbeschluss und beantragen Ihnen, dem beigefügten Beschlussesentwurf zuzustimmen.

Wir versichern Sie, Frau Präsidentin, Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

24. August 1977

1977-365

Bundesblatt. 129. Jahrg. Bd. l

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Purgier Der Bundeskanzler: Huber

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Übersicht Das Bundesgesetz vom 23. Dezember 1959 über die friedliche Verwendung der Atomenergie und den Strahlenschutz (Atomgesetz; SR 732.OJ ist in verschiedener Hinsicht revisionsbedürftig geworden. Das bestätigen mehrere parlamentarische Vorstösse, drei Standesinitiativen und eine Volksinitiative.

Es sind namentlich drei Punkte, die möglichst rasch neu geregelt werden sollten: a. Das Verfahren für die Bewilligung von Atomanlagen ist im Sinne eines vermehrten Mitspracherechts der Bevölkerung umzugestalten; b. die Bewilligung einer Atomanlage soll vom Bedarfsnachweis abhängig gemacht werden; c. der Entscheid über die Bewilligung einer Atomanlage ist zu einem Politikum geworden; er soll deshalb in die Zuständigkeit einer politischen Behörde gestellt werden.

Die beantragte Ergänzung des Gesetzes sieht neu eine «Rahmenbewilligung» vor.

Das Gesuch dafür ist öffentlich aufzulegen, und jedermann kann dagegen Einwendungen erheben. Nach dem geltenden Gesetz ist die Bewilligung für eine Atomanlage vor allem aus sicherheitstechnischen oder politischen Gründen zu verweigern oder von der Erfüllung geeigneter Bedingungen oder Auflagen abhängig zu machen. Der vorgelegte Entwurf sieht für die Rahmenbewilligung als zusätzliche Voraussetzung den Bedarfsnachweis für die geplante Anlage vor. Sodann hat der Gesuchsteller bestimmte Nationalitätsanforderungen zu erfüllen. Schliesslich soll die Rahmenbewilligung davon abhängig gemacht werden können, dass der Inhaber eine zweckmässige Nutzung der erzeugten Wärme (z. B. für die Fernheizung oder für industrielle Prozesse) ermöglicht. Den Entscheid über das Bewilligungsgesuch soll zukünftig der Bundesrat treffen; er muss vorher die Kantone anhören und von Fachinstanzen die nötigen Gutachten einholen. Die Werke Kaiseraugst, Graben und Verbots bedürfen ebenfalls einer Rahmenbewilligung; im entsprechenden Verfahren wird jedoch nur noch geprüft, ob an der in diesen Werken erzeugten Energie im Inland voraussichtlich ein hinreichender Bedarf bestehen wird.

Als weitere bedeutsame Neuerung ist vorgesehen, die Erzeuger radioaktiver Abfälle für deren sichere Beseitigung verantwortlich zu machen. Der Bund soll soweit wie möglich im Hintergrund bleiben, notfalls aber eingreifen können. Die allfälligen Eingriffe in die Eigentumsgarantie und in die Handels- und Gewerbefreiheit müssen
nach dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit erfolgen.

Diese besonders dringlichen Änderungen des bestehenden Gesetzes sollen durch einen befristeten, allgemeinverbindlichen Bundesbeschluss rasch verwirklicht werden.

Das Atomgesetz bedarf jedoch einer umfassenderen Revision, denn es regelt bestimmte Fragen überhaupt nicht oder nur ungenügend. Diese weitern Fragen sollen im Rahmen der eingeleiteten Totalrevision des Gesetzes gelöst werden. Die damit betraute juristische Expertenkommission hofft, ihre Arbeiten in der zweiten Hälfte

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des laufenden Jahres abschliessen zu können. Das Vernehmlassungsverfahren, die Vorbereitung der Botschaft und die Behandlung der Vorlage in den eidgenössischen Räten werden aber soviel Zeit beanspruchen, dass nicht vor 1981 mit dem Inkrafttreten der Totalrevision gerechnet werden kann. Wir erachten es aber aus politischen Gründen nicht als richtig, über die.zur Zeit hängigen Gesuche um Bewilligung einer Atomanlage noch nach dem alten Recht zu entscheiden. Die Bewilligung einer Atomanlage, ist zum Politikum geworden; es soll darüber eine möglichst breite Diskussion geführt werden können. Zudem ist die Initiative «zur Wahrung der Volksrechte und der Sicherheit beim Bau und Betrieb von Atomanlagen», der kein Gegenvorschlag gegenübergestellt werden kann, möglichst bald der Abstimmung von Volk und Ständen zu unterbreiten. Die dringlich geforderte und heute unumgängliche Mitsprache der Bevölkerung lässt sich indessen über die Ergänzung des Atomgesetzes erreichen, wie wir sie mit dieser Botschaft beantragen.

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Botschaft I

Allgemeiner Teil

II III

Ausgangslage Entwicklung und heutiger Zustand

111.1 Am 24. November 1957 haben Volk und Stände Artikel 24iuinciuies der Bundesverfassung angenommen. Er hat folgenden Wortlaut: 1

Die Gesetzgebung auf dem Gebiet der Atomenergie ist Bundessache.

Der Bund erlässt Vorschriften über den Schutz vor den Gefahren ionisierender Strahlen.

2

Dadurch, dass die Gesetzgebung auf dem Gebiet der Atomenergie zur Bundessache erklärt wurde, stehen dem Gesetzgeber sämtliche Möglichkeiten offen. In der Botschaft zum zitierten Verfassungsartikel wurde freilich einschränkend folgendes ausgeführt (BB1 79571 1157): Das will indessen nicht heissen, dass das kommende Atomgesetz wirtschaftspolitische Interventionen vorsehen soll. Gegenteils sollte beim gegenwärtigen Stand der Dinge ohne solche Intervention auszukommen sein. Jedenfalls wird das künftige schweizerische Atomrecht davon auszugehen haben, dass die Nutzung der Kernenergie Sache der Wirtschaft sei, auch dass der freie Wettbewerb möglichst gewahrt bleiben soll...

Am 23. Dezember 1959 haben die eidgenössischen Räte das Bundesgesetz über die friedliche Verwendung der Atomenergie und den Strahlenschutz (Atomgesetz) verabschiedet. Nach Ablauf der Referendumsfrist hat der Bundesrat das Gesetz auf den 1. Juli 1960 in Kraft gesetzt. Das Atomgesetz geht vom Grundsatz einer privatwirtschaftlichen Nutzung der Atomenergie aus. Die aufgrund des Verfassungsartikels möglichen Lösungen : Staatsmonopol mit ausschliesslicher Befugnis des Bundes zur friedlichen Verwendung der Atomenergie, ein Konzessionssystem oder eine wirtschaftspolitische Bewilligungspflicht, wurden abgelehnt. Das Atomgesetz sieht ein bloss polizeiliches Aufsichtsrecht vor, das allerdings sehr streng ist.

Diese Aufsicht wird vom Bund durchgeführt.

111.2 Artikel 5 des Atomgesetzes zählt die Gründe abschliessend auf, aus denen die Bewilligung zu verweigern oder - als mildere Massnahme - von der Erfüllung geeigneter Bedingungen oder Auflagen abhängig zu machen ist. Wenn keine der Voraussetzungen fehlt, so besteht ein Rechtsanspruch auf die Bewilligung; die Bewilligungsbehörde muss dann die Bewilligung erteilen. Ausser der Wahrung der äusseren Sicherheit des Landes, der Einhaltung der von der Schweiz übernommenen völkerrechtlichen Verpflichtungen, gewissen Nationalitätsanforderungen und An-

297 forderungen an den Versicherungsschutz sind es Gründe der technischen Sicherheit, die zur Verweigerung der Bewilligung oder zu Bedingungen und Auflagen führen.

Im Bewilligungsverfahren ist die Prüfung, «ob alle nach dem Stand der Wissenschaft und Technik notwendigen und zumutbaren Sicherheitsbedingungen für den Bau und Betrieb von Atomanlagen zum Schutz von Menschen, fremden Sachen und wichtigen Rechtsgütern erfüllt sind» (Art. 3 der Verordnung vom 13. Juni 1960 über die Eidgenössische Kommission für die Sicherheit von Atomanlagen; SR 732.21) die Hauptsache. Die Sicherheitsnachweise, die der Gesuchsteller erbringen muss, und die Anpassung des Projekts an die Sicherheitsanforderungen, welche die mit der Prüfung betrauten staatlichen Organe stellen, beanspruchen mehrere Jahre. Sie beschäftigen bei den projektierenden Gesellschaften und ihren Lieferfirmen einen grossen Stab von Fachleuten und kosten bereits mehrere Millionen Franken. Weil das Projekt standortabhängig ist, das Gesetz aber für die Erstellung von Atomanlagen kein Enteignungsrecht vorsieht, ist die aufwendige Projektierung nur sinnvoll, wenn die Unternehmung über das betreffende Bauland verfügt. Sie ist gezwungen, dieses zu erwerben, bevor sie das Bewilligungsgesuch einreicht. Für gewisse Materialien und Ausrüstungen der Anlage bestehen sehr lange Lieferfristen, so zum Beispiel für Kernbrennstoffe. Sie werden deshalb von der Unternehmung unter Umständen schon vor Erhalt der nuklearen Baubewilligung auf ihr eigenes Risiko bestellt. Rechnet man zu diesen Aufwendungen noch die Bauzinsen hinzu, die während der jahrelangen Wartezeit auflaufen, so ergibt sich, dass dem Gesuchsteller bis zum Entscheid über die nukleare Baubewilligung bereits Kosten erwachsen, die nach bisherigen Erfahrungen hundert Millionen Franken weit übersteigen. Er gerät damit in einen immer stärkeren Zugzwang und möchte das Werk möglichst rasch erstellen, um einen Ertrag aus dem aufgewendeten Kapital zu erzielen. Auch die rasche technische Entwicklung drängt auf einen baldigen Baubeginn ; das Projekt muss laufend den technischen Neuerungen angepasst werden, bis der Gesuchsteller mit dem Bau beginnen kann.

111.3 In den siebziger Jahren haben sich Elektrizitätserzeugung und -verbrauch wie folgt entwickelt: TabMe, Hydrologi(1 10 - 30. 9.)

1970/71 1971/72 1972/73 1973/74 1974/75 1975/76

Erzeugung (Mio. kWh)

Verbrauch (Mio. kWh)

Uberschuss + = Export - = Import (Mio. kWh)

Export (Mio. kWh)

8213

5442-

7984 10418

8010

31 527

28756

+ 2771

29762 34744 35635 40973

29788

-

31 504 32482 32272

+ 3153 + 8701

34833

32588

+ 2245

26

+ 3240

9507 13838 9615

Import (Mio. kWh)

7 178 6354 5 137

7370

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Vom Verbrauch entfallen heute rund 53 Prozent auf das Winterhalbjahr. Im Sommer ist ausserdem die Produktion der Wasserkraftwerke wegen der grossen Zuflüsse an nicht speicherbarer Laufenergie bedeutend höher als im Winter. Deshalb ergeben sich in der Regel im Sommerhalbjahr Überschüsse, die exportiert werden. Bei der Beurteilung des Elektrizitätsbedarfs und seiner Deckung ist aus diesem Grunde auf das Winterhalbjahr abzustellen. Dank der guten Wasserführung der Flüsse und dank dem störungsfreien Betrieb der konventionell-thermischen und der Kernkraftwerke konnten, bei nur geringem Verbrauchsanstieg, in den letzten vier Winterhalbjahren Exportüberschüsse verzeichnet werden.

Tabelle 2 Winterhalbjahr (1. 10.-31.3.)

1970/71

1971/72 1972/73 1973/74 1974/75 1975/76 1976/77

Exportüberschuss Importüberschuss (Mio. kWh) · +

(+) (-·)

614

-1812 - 256 + 341 + 1094 + 1531 + 1705

In der Periode des starken wirtschaftlichen Aufschwungs von 1950 bis 1973 stieg der Elektrizitätsverbrauch im Winter von Jahr zu Jahr um durchschnittlich 5,4 Prozent. Wegen der Rezession und der milden Witterung war die Zunahme indenletzten vier Wintern geringer: die Zuwachsraten schwankten'zwischen'0,4 Prozent und 3,7 Prozent und betrugen im Durchschnitt 2,0 Prozent.

112 112.1

Wichtigste Anderungsbegehren

Die Kernkraftwerke Beznau I, Beznau II und Mühleberg wurden gebaut und in Betrieb genommen, ohne dass sich im Volk Opposition dagegen bemerkbar machte. Die nachfolgenden Projekte stiessen auf immer grösseren Widerstand aus der Bevölkerung. Am eindrücklichsten war der Widerstand gegen das projektierte Kernkraftwerk von Kaiseraugst, wo Kernkraftgegner 1975 das für den Bau des Werkes vorgesehene Gelände während mehrerer Wochen besetzten. Neuerdings ist auch das weitgehend fertiggestellte Kernkraftwerk Gösgen von ähnlichen Aktionen betroffen. Schon früher, besonders aber in der Folge der Ereignisse um das geplante Kernkraftwerk Kaiseraugst gab es zahlreiche parlamentarische Vorstösse, Standesinitiativen und Petitionen. Hinzu kam die noch hängige Volksinitiative auf Ergänzung von Artikel 24iuiniiuies der Bundesverfassung in Form eines

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ausgearbeiteten Entwurfs. In der nachstehenden Zusammenstellung werden nur diejenigen Vorstösse genannt, die eine Änderung der Gesetzgebung anstreben. Sie sind im Anhang im Wortlaut wiedergegeben.

112.11

Parlamentarische Vorstösse (chronologisch)

11268 Postulat Rothen vom 17. März 1972 betreffend Atomkraftwerke, vom Nationalrat am l I.Dezember 1972 überwiesen; 11 338 Postulat Rasser vom 5. Juni 1972 betreffend gesamtschweizerische Energiekonzeption. Dieser als Motion eingereichte Vorstoss wurde vom Nationalrat am I I.Dezember 1972 als Postulat überwiesen; 12140 Postulat Ziegler-Genf vom 4. Oktober 1974 betreffend radioaktiver Abfälle/ Transport und Lagerung, vom Nationalrat am 19.März 1976 überwiesen; 75.408 Postulat der Sozialdemokratischen Fraktion vom 17. Juni 1975 betreffend Revision des Atomgesetzes. Dieser als Motion eingereichte Vorstoss wurde vom Nationalrat am 24. Juni 1976 als Postulat überwiesen; 75.430 Postulat der Fraktion des Landesrings der Unabhängigen vom 20. Juni 1975 betreffend Änderung des Atomgesetzes. Dieser als Motion eingereichte Vorstoss wurde vom Nationalrat am 24. Juni 1976'als Postulat überwiesen; 76.388 Motion Morf vom 22. Juni 1976 betreffend Atomunfälle / Deckungssumme, vom Nationalrat am 29. September 1976 und vom Ständerat am 30. November 1976 überwiesen; 76.228 Parlamentarische Initiative Meizoz vom I.Dezember 1976 betreffend Kernkraftwerke / Baumoratorium, vom Nationalrat noch nicht behandelt.

Parlamentarische Vorstösse, die sich zwar ebenfalls mit der Kernenergie befassen, aber keine Änderung der Gesetzgebung anstreben, sind hier nicht genannt.

112.12

Standesinitiativen

Von drei Kantonen sind Standesinitiativen im Sinne von Artikel 93 Absatz 2 der Bundesverfassung eingereicht worden, die unter anderem eine Änderung des Atomgesetzes zum Ziel haben.

I I 671 Standesinitiative des Kantons Aargau vom 27. März 1973, von der Bundesversammlung mit Beschluss vom 4. Juni 1973 dem Bundesrat zum Bericht überwiesen ; 11 877 Standesinitiative des Kantons Basel-Landschaft vom 21. Januar 1974, von der Bundesversammlung mit Beschluss vom 29. Januar 1974 dem Bundesrat zum Bericht überwiesen; 12018 Standesinitiative des Kantons Basel-Stadt vom 29. März 1974, von beiden gesetzgebenden Räten mit Beschluss vom 10. Juni 1974 dem Bundesrat zum Bericht überwiesen.

300

112.13

Volksinitiative

Am 20. Mai 1976 ist mit 123 779 gültigen Unterschriften die Volksinitiative «zur Wahrung der Volksrechte und der Sicherheit beim Bau und Betrieb von Atomanlagen» eingereicht worden.

Wir nehmen zu dieser Initiative in einer besonderen Botschaft Stellung.

112.14

Petitionen

In den Jahren 1974 bzw. 1975 richteten die «BASNU, Basler Arbeitsgemeinschaft zum Schutz von Natur und Umwelt» (nach ihren eigenen Angaben eine Dachorganisation von 33 Vereinigungen mit total 36 000 Mitgliedern) bzw. Herr Jacques Dreyer und das «Nordwestschweizer Aktionskomitee gegen den Bau von Atomkraftwerken» je eine Petition an die Bundesversammlung.

112.2 Die wichtigsten Forderungen: - Zuständigkeit zur Erteilung der Bewilligungen bei Bundesrat oder Bundesversammlung; - Wechsel vom System der Polizeierlaubnis' zur Konzession ; - Einführung eines Bedarfsnachweises für Kernkraftwerke; - verbessertes Mitspracherecht der Bevölkerung; - Regelung der Beseitigung und Lagerung von radioaktiven Abfällen; - Neuregelung der Haftpflicht und Versicherungspflicht; - klare Kompetenzabgrenzung zwischen Bund und Kantonen, allenfalls Konzentration aller Bewilligungskompetenzen beim Bund; - Standortplanung für Kernkraftwerke, entsprechende Absprachen mit dem angrenzenden Ausland.

Schliesslich wird verlangt, dass überhaupt keine Bewilligungen mehr erteilt werden, bis eine Gesamtenergiekonzeption vorliegt, und die Probleme der Beseitigung und Lagerung radioaktiver Abfalle endgültig gelöst sind (Moratorium).

12 121

Würdigung der Ausgangslage Revision des Atomgesetzes

Es ist unbestritten, dass das Atomgesetz revisionsbedürftig geworden ist. Im Herbst 1975 hat der Vorsteher des Eidgenössischen Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartementes im Einvernehmen mit dem Bundesrat eine juristische Expertenkommission mit der Ausarbeitung des Entwurfs zu einer Totalrevision des Atomgesetzes betraut. Diese Kommission setzt sich zusammen aus den Herren alt Bundesrichter Dr. Werner Dubach, früherer Präsident der Staats- und verwaltun^-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts, Vorsitzender, den Professoren

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Charles-A.Morand, Universität Genf, Dr. Jörg-Paul Müller, Universität Bern, und Dr. Peter Saladin, früher Universität Basel, jetzt Universität Bern, sowie Fürsprecher Max Rudolf, Chef der Abteilung II für Rechtsetzung der Eidgenössischen Justizabteilung. Chefbeamte des Eidgenössischen Amtes für Energiewirtschaft nehmen an den Arbeiten der Kommission mit beratender Stimme teil.

Die Kommission rechnet damit, ihre Arbeiten in der zweiten Hälfte 1977 abschliessen zu können. Lässt sich dieses Ziel verwirklichen, werden das Vernehmlassungsverfahren und die nachfolgende Bereinigung der Vorlage mindestens ein weiteres Jahr beanspruchen. Botschaft und Gesetzesentwurf des Bundesrates können darum kaum vor 1979 der Bundesversammlung vorgelegt werden. Wie auch immer die Vorschläge für eine Neuregelung der politisch umstrittenen Punkte des geltenden Gesetzes lauten, sie dürften in der parlamentarischen Beratung zu längeren Diskussionen Anlass geben. Das revidierte Gesetz wird daher kaum vor 1981 in Kraft treten. Bis dahin müssten allfällige Bewilligungen für weitere Kernkraftwerke aufgrund des geltenden Gesetzes erteilt werden.

Wir sind zusammen mit der Expertenkommission der Ansicht, dass eine solche Verzögerung der Verwirklichung dringender Revisionsbegehren nicht vertretbar ist. Unaufschiebbare Neuerungen sollen deshalb vorweggenommen werden.

121.1

Neuregelung des Bewilligungsverfahrens

Am 1. März 1977 standen weltweit 197 Leistungsreaktoren in Betrieb. Die Erfahrung zeigt, dass der Grad der Sicherheit für das Betriebspersonal und die Umgebung sehr hoch ist. Alle fachlich zuständigen Organe des Bundes" sind der Auffassung, dass die friedliche Nutzung der Kernenergie vom sicherheitstechnischen Standpunkt aus verantwortbar ist. (Wir verweisen zu diesem Punkt auf die Ziffer 2 [Sicherheit der Atomanlagen, Schutz von Mensch und Umwelt] unserer Botschaft vom 24. August 1977 über die Volksinitiative «zur Wahrung der Volksrechte und der Sicherheit beim Bau und Betrieb von Atomanlagen».)

Trotzdem erwecken die Atomkernspaltung und die ionisierende Strahlung in weiten Kreisen der Bevölkerung tiefes Misstrauen, das von angesehenen Wissenschaftern geteilt wird. Das Unbehagen wird verstärkt durch die Tatsache, dass radioaktive Abfälle entstehen, von denen ein kleiner Teil während bis zu einigen zehntausend Jahren potentiell schädliche Strahlen aussendet (vgl. Ziff. 121.3). Die grosse. Energiekonzentration auf kleinem Raum, wie sie den Kernkraftwerken eigen ist, erweckt vielerorts Bedenken. Ein weiterer Grund für das Misstrauen in der Bevölkerung sind die ungewöhnlichen baulichen Ausmasse dieser Werke, namentlich der Kühltürme, und von der Wärme und dem Wasserdampf, die sie abgeben, werden klimatische Veränderungen befürchtet. Das verbreitete Gefühl, " Kommission für die Sicherheit von Atomanlagen, Kommission für Strahlenschutz, Kommission für die Überwachung der Radioaktivität, Sektion für Strahlenschutz des Gesundheitsamtes, Abteilung für die Sicherheit der Kernanlagen des Amtes für Energiewirtschaft, die einschlägigen Lehrstuhlinhaber der Technischen Hochschulen, die Fachleute des Instituts für Reaktorforschung

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dass die Menschen heute von der industriellen Entwicklung überrollt werden, entlädt sich an den für den technischen Laien undurchschaubaren Anlagen der Atomtechnik. Unterschwellig wirkt auch immer noch mit, dass die Kernenergie erstmals mit Atombombenexplosionen ins Bewusstsein der breiten Massen gedrungen ist. Es muss als Tatsache hingenommen werden, dass gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie in weiten Kreisen der Bevölkerung auf der ganzen Welt Unbehagen und Misstrauen bestehen. Bewilligung und Bau solcher Werke sind deshalb zum Politikum geworden. Dies erfordert dringlich eine Anpassung des Bewilligungsverfahrens.

Praktisch alle Begehren auf Änderung des Atomgesetzes beanstanden, dass das Bewüligungsverfahren, wie es im geltenden Gesetz gestaltet ist, der sich betroffen fühlenden Bevölkerung weder genügenden Einblick noch die Wahrung ihrer Interessen erlaube. In der Tat verlangt das Gesetz ausser einem Gutachten über die Frage, ob das Projekt alle zumutbaren Massnahmen zum Schutz von Menschen, fremden Sachen und wichtigen Rechtsgütern vorsieht, nur die Stellungnahme des Kantons, in dem die Atomanlage erstellt werden soll (Art. 7). Wen der Kanton seinerseits anhören will, ist ihm überlassen. In der Regel sind es nur interessierte kantonale Amtsstellen und die Standortgemeinde. Über die Beteiligung Dritter am Verfahren enthält das Atomgesetz keine Bestimmungen. Das Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (SR 172.021) vermag den Besonderheiten der Bewilligungen, die auf dem Gebiet der Kerntechnik zu erteilen sind, nicht ausreichend gerecht zu werden.

Nach der früheren Praxis wurden die Bewilligungen nur dem Gesuchsteller und dem Kanton formell eröffnet. Gestützt auf einen Beschwerdeentscheid des Bundesrates vom H.Januar 1976 betreffend die Standortgenehmigung für das Kernkraftwerk Verbois (Kanton Genf) wurde diese Praxis geändert. In Kenntnis des Entwurfs dieses Entscheids hat das Eidgenössische Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement bereits die am 19. Dezember 1975 erteilte erste Teilbaubewilligung für das Kernkraftwerk Leibstadt im Bundesblatt veröffentlicht (BEI 7975 II 2328). Von der Möglichkeit der Beschwerde an den Bundesrat ist ausgiebig Gebrauch gemacht worden.

Die polizeilichen Bewilligungen, die vom Kanton und der Gemeinde zu erteilen sind, dürfen
den Entscheid des Bundes über die Bewilligung einer Atomanlage nicht in Frage stellen. Dies hat das Bundesgericht in einem Urteil betreffend das Kernkraftwerk Kaiseraugst festgestellt (BGE 99 la 247). In einem neuesten Urteil betreffend das Kernkraftwerk Verbois, dessen schriftliche Begründung im Zeitpunkt der Redaktion dieser Botschaft noch nicht vorlag, hat das Bundesgericht jedoch dem Standortkanton aufgrund des Raumordnungsrechts und des Wasserrechts bestimmte Kompetenzen zuerkannt, die zu Konflikten mit der Kompetenz des Bundes für die Bewilligung von Atomanlagen führen könnten. Hier handelt es sich aber um Verfahren ausserhalb des Atomgesetzes.

Die Behörden und die Bevölkerung der weiteren Umgebung einer geplanten Atomanlage sind von den Entscheidungsprozessen ausgeschlossen. Sie können Einwände höchstens indirekt über den Standortkanton geltend machen. Mit un-

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serer Vorlage möchten wir die Möglichkeit schaffen, dass die Bevölkerung sich schon in einem frühen Zeitpunkt über das Projekt informieren und gegebenenfalls dagegen Einwendungen erheben kann. Den Entscheid soll eine politische Behörde fallen.

121.2

Bedarfsnachweis

Zu Recht mehren sich die Stimmen, wonach der Entschluss, ob ein Kernkraftwerk gebaut werden soll, nicht allein vom Belieben des Erstellers abhängen darf.

Ob ein Kernkraftwerk gebaut werden soll, ist in der Tat nicht eine bloss unternehmerische Frage von Investition und Rendite. Mit der Nutzung der Kernenergie sind zwangsläufig Risiken für Mensch und Umwelt verbunden. Diese Risiken zu beherrschen und nach menschlichem Ermessen auszuschalten, ist zwar eine Pflicht des Unternehmers. Dass sie erfüllt wird, muss durch eine anspruchsvolle Prüfung des Projekts und durch eine peinlich genaue Überwachung sowohl des Baus als auch des Betriebs sichergestellt werden. Diese Aufgaben muss entsprechend ihrer Bedeutung das Gemeinwesen übernehmen. Sollte einmal, was allerdings als unwahrscheinlich betrachtet wird, ein Grossschaden eintreten, für den die Deckung durch die Versicherung nicht erhältlich ist, so hätte der Bund helfend einzuspringen. Diese Beispiele mögen zeigen, dass Bau und Betrieb von Kernkraftwerken weit in den Bereich der Politik hineinreichen.

Ein Kernkraftwerk der heute üblichen Leistungsklasse produziert ungefähr einen Fünftel des heutigen gesamtschweizerischen Elektrizitätsverbrauchs. Werden Kernkraftwerke in rascherer Folge gebaut, als durch einen sinnvollen Energiebedarf gerechtfertigt ist, besteht die Gefahr, dass der Stromabsatz künstlich, d.h. entgegen den Zielen der Energiepolitik und des Umweltschutzes gefördert wird. Es könnten Bedürfnisse geweckt werden, die letzten Endes zu einer weiteren Energieverschleuderung, einer vermehrten Umweltbelastung und zu einem vorzeitigen Verbrauch der Ressourcen führen würden. Es sollen daher - abweichend von der heutigen Rechtslage - künftig keine Kernkraftwerke bewilligt werden müssen, wenn die damit erzeugte Energie zur Deckung des Inlandbedarfs nicht nötig ist. Die von uns aufgrund neuester Unterlagen der Kommission für die Gesamtenergiekonzeption angestellten Berechnungen über die Entwicklung des Bedarfs an elektrischer Energie zeigen, dass die Verwirklichung der projektierten Werke unter Umständen erstreckt werden muss, wenn nicht hohe Überschüsse produziert werden sollen.

Die Einführung des Bedarfsnachweises entbindet jedoch die Elektrizitätswirtschaft nicht von ihrer Aufgabe, für die Bereitstellung von genügend Produktionsanlagen zu sorgen. Die
«Steuerung» der Produktionskapazität durch den Bedarfsnachweis ist nur passiv. Die Bundesbehörden können den Bau eines Kernkraftwerks damit höchstens verhindern, nicht aber eine notwendige zusätzliche Anlage verlangen. Mit dem Instrument des Bedarfsnachweises übernehmen die politischen Behörden aber auch einen Teil der Verantwortung, wenn sie ein Werk ablehnen, dessen Bau sich nachträglich als nötig erweist.

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121.21

Die Stellung der Kernenergie in der schweizerischen Energiewirtschaft

121.211 Perspektiven des Gesamtenergieverbrauchs Es ist davon auszugehen, dass die gegenwärtige wirtschaftliche Stagnation nicht andauern wird. Ein wenn auch gegenüber der Zeitspanne von 1960 bis 1973 gedämpftes Wirtschaftswachstum ist notwendig. Zwischen der Entwicklung des Bruttoinlandprodukts und dem Energieverbrauch bestand bisher ein enger Zusammenhang.

Die Kommission für die Gesamtenergiekonzeption hat in letzter Zeit durch aussenstehende, von der Energiewirtschaft unabhängige Institutionen verschiedene Varianten der Entwicklung des Energieverbrauchs bis zum Jahre 2000 untersuchen lassen. Die Ergebnisse weichen stark voneinander ab, je nachdem, ob man ausgeht von a. einer Entwicklung ohne staatliche Eingriffe, b. einer Entwicklung mit Einführung von Energiesparmassnahmen, die gestützt auf bestehende eidgenössische und kantonale Verfassungskompetenzen angeordnet werden können, c. einer Entwicklung unter Ausschöpfung von Energiesparmassnahmen, die gestützt auf einen noch zu schaffenden Energieartikel der Bundesverfassung an· geordnet werden könnten.

Geht man aus von einer starken Abnahme des Bevölkerungswachstums, einer Abnahme der Zahl der Arbeitskräfte und einer Steigerung der Energiepreise parallel zur Steigerung des allgemeinen Preisniveaus, so ist für die Zeit von 1975 bis 2000, selbst wenn der Staat nicht eingreift (Bst. a), eine wesentlich geringere jährliche Zuwachsrate des Endenergieverbrauchs11 zu erwarten als in den Jahren 1960 bis 1973,nämlich 2,5 Prozent gegenüber 6,6 Prozent. Bei einer Entwicklung nach Bst. b könnte die mittlere Wachstumsrate 1975 - 2000 auf 2,2 Prozent und nach Bst. c sogar auf 1,5 Prozent pro Jahr absinken.

Durch eine Arbeitsgruppe, die ein Nullwachstum des Energieverbrauchs postuliert, hat die Kommission für die Gesamtenergiekonzeption auch Vorschläge für eine sogenannte Stabilisierungsvariante ausarbeiten lassen. Danach'sollte der Energieverbrauch von 1985 an - d. h. vom frühest möglichen Termin, von dem an entsprechende gesetzliche Massnahmen wirksam werden könnten - nicht mehr anwachsen. Diese Variante wird in die spätere öffentliche Diskussion des Schlussberichts der Kommission für die Gesamtenergiekonzeption und die Meinungsbildung über die künftige Energiepolitik einbezogen werden.

121.212 Einsparung von Energie Die Möglichkeiten, Energie zu sparen,
sind mannigfaltig und sollen hier nicht einzeln dargelegt werden. Die Kommission für die Gesamtenergiekonzeption hat ') Endenergie = Energiemenge, die schliesslich dem Verbraucher zur Verfügung steht.

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als Beilage zu ihrem Zwischenbericht vom Mai 1976 eine Broschüre abgegeben, welche solche Möglichkeiten aufzeigt. Das Amt für Energiewirtschaft hat in einem periodisch erscheinenden Bulletin ebenfalls auf Sparmöglichkeiten hingewiesen. Im kommenden Herbst und Winter soll eine öffentliche Energiesparkampagne durchgeführt werden. Der Bund verfügt vorläufig nur über sehr beschränkte gesetzgeberische Kompetenzen, um Energiesparmassnahmen vorzuschreiben. Das Eidgenössische Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement hat im Mai dieses Jahres die Kantone eingeladen, alle in ihrer Zuständigkeit liegenden Massnahmen zur Einsparung von Energie zu ergreifen.

Die folgenden Beispiele zeigen einige Möglichkeiten, Energie wirksam zu sparen.

Von grosser Bedeutung ist die Wärmeisolation der Gebäude, denn fast die Hälfte des Energieverbrauchs der Schweiz entfällt auf die Raumheizung. Ein wichtiges Verfahren für die rationelle Energieverwendung ist die sogenannte Wärme-KraftKopplung in Industrie und thermischen Kraftwerken. Durch die kombinierte Erzeugung von Wärme und Elektrizität lässt sich der Brennstoff wesentlich besser ausnützen als durch die Erzeugung von Wärme oder Elektrizität allein. Hiefür kommen in erster Linie grosse Heizkraftwerke in Frage, die Strom erzeugen und zugleich Siedlungen mit Fernwärme versorgen. Eine kürzlich erschienene Studie (Plenar) empfiehlt, die Abwärme von konventionell-thermischen und Kernkraftwerken sowie ferner von industriellen und anderen Betrieben zu sammeln und grösseren Siedlungen zuzuführen, wo sie mit Hilfe von Wärmepumpen für die Raumheizung genutzt würde. Nach den Verfassern der Studie Hessen sich dadurch mehrere Millionen Tonnen Heizöl pro Jahr einsparen. Es ist aber zu beachten, dass der Antrieb der Wärmepumpen hochwertige, teure Energie erfordert, wobei die Elektrizität im Vordergrund steht. Die Studie wird zurzeit von den Fachinstanzen des Bundes geprüft. Im Verkehrswesen kann Energie am wirksamsten gespart werden durch eine Verlagerung vom individuellen zum öffentlichen Verkehr.

121.213

Alternativenergien

Oft wird die Meinung vertreten, dass auf die Nutzung der Kernenergie verzichtet werden könnte, wenn Energie gespart, erneuerbare Energiequellen besser erschlossen und neue Technologien entwickelt würden.

121.213.1

Erneuerbare Energiequellen

Der Schweizerische Wasserwirtschaftsverband hat im Januar/Mai 1977 im Auftrag der Kommission für die Gesamtenergiekonzeption einen Bericht über «Ausmass und Bedeutung der noch ungenützten Schweizer Wasserkräfte» erarbeitet.

Auf das Ergebnis und die Bedeutung dieses Berichtes kommen wir unter Ziffer 121.222 zurück.

Eine weitere einheimische erneuerbare Energiequelle neben der Wasserkraft ist das Brennholz. Seine vermehrte Nutzung ist auch für die Erhaltung des Waldes

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erwünscht. Durch moderne Anlagen kann die Holzschnitzelfeuerung automatisiert werden.

121.213.2

Neue Technologien

Unter den neuen Technologien steht die Nutzung der Sonnenenergie im Vordergrund. Sie eignet sich besonders für die Warmwasserbereitung und für die Raumheizung in der Übergangszeit. Auch die Erstellung von Sonnenkraftwerken, namentlich in nebelfreier Lage in den Alpen, könnte bei steigenden Energiepreisen der Prüfung wert werden. Dafür müssten aber ausgedehnte Kollektorflächen erstellt werden, die aus Gründen des Landschaftschutzes vermutlich nicht unangefochten bleiben würden.

In einzelnen Ländern kann die Wärme des Erdinnern (geothermische Energie) für die Raumheizung und z. T. für die Stromproduktion verwendet werden. Diese Möglichkeiten werden auch für unser Land studiert.

Die Wärmepumpe gestattet die Nutzung der Umgebungswärme (Luft, Wasser, Grundwasser, Erdreich), indem die Temperatur des Wärmeträgers für Raumheizung und Warm Wasserbereitung auf ein höheres Niveau gehoben wird. Die Wärmepumpe benötigt zwar Antriebsenergie, sie vermag aber bedeutend mehr Energie in Form von Wärme abzugeben, als für ihren Antrieb aufgewendet werden muss.

In landwirtschaftlichen Betrieben kann auch die Nutzung von Biogas (Gas, das aus Stallmist und Jauche entsteht) eine gewisse Bedeutung erlangen. Unter günstigen Voraussetzungen könnte die Erzeugung von Biogas die Selbstversorgung von landwirtschaftlichen Betrieben mit Brennstoff sicherstellen.

Schliesslich lassen sich auch bei der Müllverwertung Wärme und Elektrizität gewinnen.

Die Kommission für die Gesamtenergiekonzeption schätzt den Beitrag, den diese erneuerbaren Energien (exkl. Wasserkraft) und neuen Technologien im Jahre 2000 an die Deckung des Endenergiebedarfs zu leisten vermögen, je nach Förderungsmassnahmen, auf 3-8 Prozent.

121.214

Substitution des Erdöls

Der weit überwiegende Teil des Energiebedarfs wird auf absehbare Zukunft hinaus noch mit den heute vorherrschenden Energieträgern gedeckt werden müssen.

Eine kürzlich veröffentlichte Untersuchung der OECD (Perspectives énergétiques mondiales) kommt allerdings zum Ergebnis, dass die erdölproduzierenden Länder schon im Jahre 1985 nicht mehr in der Lage sein könnten, den gesamten Erdölbedarf der Welt zu decken. Neben drastischen Sparmassnahmen ist daher die Substitution des Erdöls unumgänglich. Sie ist für unser Land schon deshalb nötig, weil unsere Energieversorgung sehr einseitig von den Erdölprodukten abhängt; diese decken heute rund drei Viertel seines gesamten Energiebedarfs. Einen be-

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deutsamen Beitrag zum Ersatz des Erdöls vermögen einstweilen nur die Kohle, das Erdgas und die Kernenergie zu leisten.

Die Kohlevorräte der Erde reichen beim heutigen Verbrauch noch für Jahrhunderte. Die Kohle ist aber vorläufig meistens noch nicht konkurrenzfähig und wegen der Luftverschmutzung umstritten. Mehr Erfolg verspricht man sich deshalb auf lange Sicht von der Verflüssigung, Vergasung und «Verstromung» der Kohle. Es ist denkbar, dass diese Veredelungsformen die Kohle mit zunehmender Verknappung und Verteuerung von Erdöl und Erdgas konkurrenzfähig werden lassen.

Erdgas ist eine verhältnismässig saubere Energie. Es ist überall verwendbar, wo entsprechende Versorgungsnetze bestehen. In wichtigen Industriestaaten deckt es einen weit grösseren Anteil am Energieverbrauch als in der Schweiz, wo es wegen der Kosten des langen Antransportes von weit entfernten Vorkommen durch das Erdöl stark konkurrenziert ist. Ein grösserer Anteil am Energieverbrauch wäre aber im Interesse einer möglichst breitgefächerten Energieversorgung erwünscht.

Allerdings sind auch die Reserven an Erdgas begrenzt. Möglichkeiten für seine spätere Ablösung werden in der Vergasung von Kohle und in der Wasserstofftechnologie gesehen.

121.215 Kernenergie Zurzeit werden in unserem Land rund 20 Prozent des Strombedarfs durch Kernkraftwerke gedeckt. Wenn die schweizerische Wirtschaft im internationalen Konkurrenzkampf bestehen soll, wird sie auch künftig Rationalisierungsmassnahmen durchführen müssen. Diese erfordern meistens einen vermehrten Einsatz von elektrischer Energie.

In letzter Zeit wird gelegentlich geltend gemacht, Rationalisierung sei sozial schädlich; sie spare Arbeitsplätze ein und führe deshalb zu Arbeitslosigkeit. Dem ist entgegenzuhalten, dass eine solche Argumentation von der Annahme ausgeht, der technische Stand und der Rationalisierungsgrad der schweizerischen Wirtschaft könnten beliebig gewählt werden. Dies träfe nur zu, wenn die Schweiz ein vom Aussenhandel unabhängiges Land wäre. Sogar in diesem Fall würde ein Verzicht auf technischen Fortschritt zu einer Stagnation des Lebensstandards führen.

Zum Beispiel würde bereits eine Erhöhung der durchschnittlichen Lebenserwartung, bei gleichbleibendem Pensionierungsalter, eine Senkung des pro Kopf der Bevölkerung verfügbaren Einkommens bewirken.

Die Schweiz
ist jedoch ein rohstoffarmer Kleinstaat mit begrenzter Produktionsbreite. Ihre Bevölkerung ist eine freie Konsumwahl gewohnt. Eine der Nachfrage entsprechende Versorgung mit Rohstoffen, Gütern und Dienstleistungen bedingt eine erhebliche Einfuhr. Um diese bezahlen zu können, ist eine entsprechende Ausfuhr notwendig. Die schweizerische Wirtschaft muss sowohl auf dem Inlandmarkt als auch auf den Exportmärkten gegenüber der ausländischen Konkurrenz wettbewerbsfähig sein. Zudem gehört die Schweiz bezüglich des Lohnniveaus zur Spitzengruppe der Industriestaaten. Ihre Wirtschaft kann diesen Kostenfaktor

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nur kompensieren durch einen hohen technischen Stand der angebotenen Produkte und der Produktionstechnik. Sie kann nur konkurrenzfähig bleiben, wenn sie zu tragbaren Preisen jene Energiemenge beziehen kann, die sie braucht, um dem internationalen Wettbewerb standhalten zu können. Ein Verzicht auf Rationalisierung, auf eine ausreichende und preislich günstige Energieversorgung würde nicht Arbeitsplätze erhalten, sondern gefährden. Während der Jahre der Hochkonjunktur und der Unterbewertung des Schweizerfrankens wurde manchenorts die Verbesserung von Produkten und Produktionsanlagen vernachlässigt. Die seither eingetretenen Verluste an Arbeitsplätzen haben die sozialen Folgen einer Verringerung der Wettbewerbsfähigkeit allen vor Augen geführt.

Der Zusammenhang zwischen Vollbeschäftigung und Energieverbrauch wird gegenwärtig im Auftrag der Kommission für die Gesamtenergiekonzeption durch Experten eingehend untersucht.

Stromeinsparungen sind in vielen Bereichen möglich und anzustreben. Sie werden allein jedoch die steigende Nachfrage nicht auszugleichen vermögen. Eine weitere, wenn auch gegenüber früher verlangsamte Zunahme des Stromverbrauchs ist zu erwarten (vgl. Ziff. 121.221). Nach dem Abschluss des Ausbaus der wirtschaftlich nutzbaren Wasserkräfte stehen unserem Land für die Deckung des Mehrbedarfs der Stromimport, die Produktion von Elektrizität durch Kohle-, Öl- oder Gaskraftwerke und schliesslich Kernkraftwerke zur Verfügung.

Stromimport würde uns allzusehr von der Lieferfähigkeit und Lieferbereitschaft des Auslandes abhängig machen.

Von den konventionell-thermischen Kraftwerken steht aus Gründen der Wirtschaftlichkeit die Befeuerung mit Schweröl im Vordergrund. Eines der Hauptziele unserer Energiepolitik muss aber die Verminderung unserer Abhängigkeit von den Erdölprodukten sein, da Erdöl aller Voraussicht nach schon mittelfristig nicht mehr unbeschränkt vorhanden sein wird. Der Bau von ölthermischen Kraftwerken würde der wünschbaren Entwicklung ganz und gar zuwiderlaufen.

Kohle- und erdgasbefeuerte Kraftwerke produzieren bei andauerndem Betrieb vorläufig teurer als ölthermische und Kernkraftwerke, und die Erstellung von Kohlekraftwerken stösst im Ausland wegen der Luftverschmutzung auf Widerstand.

Die Lagerhaltung an Brennstoff für Zeiten gestörter Zufuhr wird für Erdgas in unserem Land
zurzeit untersucht. Die Vorratshaltung von Öl und Kohle erfordert grösseren Aufwand als die von Kernbrennstoff und beansprucht auch wesentlich mehr Raum.

Öl- und Kohlekraftwerke belasten, wie erwähnt, die Atmosphäre mit Abgasen.

Nebst den direkten Auswirkungen durch die in den Abgasen enthaltenen Schadstoffe befürchtet man als indirekte Auswirkungen globale Veränderungen des Klimas durch das. bei der Öl- und Kohleverbrennung entstehende Kohlendioxid.

Demgegenüber entstehen bei Kernkraftwerken weder Kohlendioxid noch schädliche Abgase. Die Abgabe von Radioaktivität an die Umwelt ist nach den auf der ganzen Welt gemachten Erfahrungen derart gering, dass die überall natürlicher-

309

weise vorhandene Radioaktivität in der Umgebung der Kernkraftwerke höchstens um wenige Prozente ansteigt. Diese Erhöhung ist jedoch wesentlich kleiner als die örtlichen Unterschiede in der natürlichen Radioaktivität in der Schweiz.

Auch bei Ausschöpfung aller heute durchsetzbarer Energiesparmassnahmen ist, insbesondere wegen des Einsatzes der Kernenergie zur Substitution von Erdöl, ein Verzicht auf den Bau einer beschränkten Zahl weiterer Kernkraftwerke nicht möglich. Sie sind nötig für die Elektrizitätsproduktion und die Erzeugung von Wärme für die Städtefernheizung und für industrielle Prozesse. Sie ermöglichen es, Erdöl zu ersetzen und damit die einseitige Abhängigkeit unserer Energieversorgung von dieser versiegenden Energiequelle zu vermindern.

121.22

Die mutmassliche Entwicklung des Bedarfs und der Erzeugung elektrischer Energie

Die Kommission für die Gesamtenergiekonzeption hat sich in ihrem Zwischenbericht einlässlich mit der voraussichtlichen Entwicklung und der Deckung des schweizerischen Bedarfs an elektrischer Energie in den Jahren 1975-1985 befasst.

Sie ist - unter Berücksichtigung der soeben dargestellten Aspekte - zum Schluss gekommen, das in die Wege geleitete Bauprogramm mit den Kernkraftwerken Gösgen, Leibstadt und Kaiseraugst sei in bezug auf Umfang und Zeitplan gerechtfertigt und angemessen. Das nächste Kernkraftwerk (im Vordergrund steht das Projekt Graben) werde um die Mitte der achtziger Jahre benötigt. Die Kommission ist bei ihren Überlegungen von einer relativ schnellen wirtschaftlichen Erholung ausgegangen. Der Wiederaufschwung hat aber bekanntlich bisher noch auf sich warten lassen. In der Folge ist auch der Elektrizitätsverbrauch nicht im erwarteten Mass angestiegen. Die Voraussagen sind deshalb heute zu überprüfen.

121.221 Vorausschau auf die Entwicklung des Verbrauchs Entsprechend den bisherigen Ausführungen ist allerdings zu erwarten, dass der Elektrizitätsverbrauch auch in Zukunft ansteigen wird. Die Zunahme dürfte aber langsamer verlaufen als im letzten Vierteljahrhundert. Auch bei Aussagen über den künftigen Verbrauch muss man sich aber stets der Unsicherheit von Progno^ sen bewusst bleiben. Die eidgenössische Kommission für die Gesamtenergiekonzeption hat das St. Galler Zentrum für Zukunftsforschung mit der Ermittlung der Entwicklungsperspektiven für den Endenergiebedarf beauftragt. Die Kommission und ihre volkswirtschaftliche Untergruppe haben diese Perspektivstudie, in der eine Vielzahl von Einflussfaktoren berücksichtigt werden, eingehend gewürdigt.

Die nun vorliegenden Zahlen dürften die zuverlässigsten Werte sein, die uns heute zur Verfügung stehen. Wir legen sie deshalb unseren weiteren Überlegungen zugrunde.

Bei unbeeinflusster Entwicklung des Elektrizitätsverbrauchs (vgl. Ziff. 121.211) ist in den nächsten Jahren im Winterhalbjahr mit Zuwachsraten von 3,2 Prozent und gegen Ende dieses Jahrhunderts von 2,3 Prozent zu rechnen; das ergibt bis zum

310

Jahre 2000 auf der Endenergiestufe einen durchschnittlichen jährlichen Anstieg des Elektrizitätsverbrauchs im Winterhalbjahr von rund 2,7 Prozent. Bei der Bedarfsberechnung darf man jedoch nicht von der unbeeinflussten Entwicklung des Verbrauchs elektrischer Energie ausgehen, sondern muss die Substitution des Erdöls und die möglichen Spärmassnahmen berücksichtigen.

Zur Substitution des Erdöls durch Elektrizität hat sich die Kommission für die Gesamtenergiekonzeption vorläufig nur in ihrem Zwischenbericht vom Mai 1976 geäussert. Als Höchstwerte für die Substitution von Erdöl sind denkbar: 1985 4,5 Mia. kWh (davon 3,5 Mia. kWh im Winter); im Jahr 2000 18,5 Mia. kWh (davon 12,5 Mia. kWh im Winter). Der tatsächlich zu erreichende Substitutionsumfang dürfte jedoch wesentlich geringer sein.

Die Auswirkungen von Energiesparmassnahmen auf den Elektrizitätsverbrauch können heute erst geschätzt werden. Um die Sparmöglichkeiten aufgrund der heutigen Rechtsgrundlagen abschätzen zu können, hat die Kommission für die Gesamtenergiekonzeption bei den Kantonen eine Umfrage darüber angestellt, welche Spärmassnahmen sie aufgrund der heutigen Verfassungsgrundlagen einzuführen gedenken. Aufgrund der Angaben aus den Kantonen und unter Berücksichtigung der Resultate der Studien der Kommission für die Gesamtenergiekonzeption ergibt sich bei diesen Einsparungen und ohne Substitution ein Verbrauchszuwachs von 2,3 Prozent pro Jahr. Unter Einbezug der erwähnten maximal möglichen Substitution erhöht sich der durchschnittliche jährliche Zuwachs im Winterhalbjahr auf höchstens 3,8 Prozent. Den nachfolgenden Berechnungen und Grafiken (Ziff. 121.223) werden diese beiden Werte 2,3 Prozent-bzw. 3,8 Prozent zugrunde gelegt.

121.222 Die voraussichtliche Entwicklung der Produktion Unsere Stromproduktion beruht auf den drei Pfeilern Wasserkraft, Kernenergie und konventionell-thermische Energie. Ihre Anteile an der Gesamterzeugung betrugen im Winterhalbjahr 1976/77 71 Prozent für die Wasserkraftwerke, 22 Prozent für die Kernkraftwerke und 7 Prozent für die konventionell-thermischen Kraftwerke.

Die Wasserkräfte unseres Landes sind weitgehend ausgenutzt. Im Auftrag der Eidgenössischen Kommission für die Gesamtenergiekonzeption hat der Schweizerische Wasserwirtschaftsverband im Januar 1977 einen Bericht über «Ausmass und Bedeutung der
noch ungenutzten Schweizer Wasserkräfte» ausgearbeitet, der im Mai 1977 noch gewissen Korrekturen unterzogen wurde. Der Verband gelangte zu folgenden Ergebnissen : Die zurzeit im Bau befindlichen Wasserkraftanlagen werden die mittlere jährliche Erzeugungsmöglichkeit um ungefähr 0,38 Mia. kWh erhöhen. Durch Umbau und Ausbau bestehender Anlagen wäre es möglich, die mittlere jährliche Produktion bis zum Jahre 2000 um 1,5-2 Mia.

kWh zu steigern (bis 1985 um ungefähr 0,3 Mia. kWh). Durch den Bau neuer Kraftwerke, deren Verwirklichung als «wahrscheinlich» oder «möglich» beurteilt wird, könnten bis zum Jahr 2000 ungefähr weitere l ,5 Mia. kWh pro Durch-

311

schnittsjahr zusätzlich produziert werden (bis 1985 voraussichtlich kein neues Werk).

Durch den Um- und Ausbau bestehender und den Bau neuer Wasserkraftwerke könnte somit die jährliche hydraulische Elektrizitätserzeugung bis zum Jahr 2000 um 3-3,5 Mio. kWh gesteigert werden (ohne Fertigstellung der begonnenen Anlagen, die 0,38 Mia. kWh pro Jahr erzeugen werden). Dieser Zuwachs entspricht ungefähr der halben Produktion eines Kernkraftwerks der 1000-MegawattKlasse. Es ist aber zu berücksichtigen, dass sich unter den der Berechnung zugrundeliegenden Projekten auch solche befinden, die aus Gründen des Naturund Heimatschutzes aufgegeben worden sind, und dass der Bund den Ausbau alter oder die Erstellung neuer Wasserkraftwerke nicht unmittelbar erzwingen kann. Auf das Winterhalbjahr, worauf sich die folgenden Betrachtungen beziehen, dürfte etwas weniger als die Hälfte der zusätzlich möglichen Produktion entfallen. In den nachstehenden Tabellen und Grafiken ist diese zusätzlich mögliche Produktion, weil unbestimmt, nicht enthalten.

Bei der Ermittlung der mutmasslichen künftigen Produktion ist einerseits zu berücksichtigen, dass die Erzeugung von Elektrizität aus Wasserkraft stark witterungsabhängig und deshalb nicht konstant ist. Anderseits ergeben sich bei Kernkraftwerken mehr Betriebsunterbrüche als bei Wasserkraftwerken. Länger dauernde Stillstandszeiten sind nicht auszuschliessen.

Die Möglichkeit zum Bezug von Elektrizität aus den beiden französischen Kernkraftwerken Fessenheim und Bugey sind in den Berechnungen unter Ziffer 121.223 berücksichtigt, ebenso die Lieferverpflichtungen der beiden Kernkraftwerke Leibstadt und Kaiseraugst an ihre ausländischen Partner. Bei der Berechnung der zu erwartenden Elektrizitätsproduktion sind die Erfahrungen aus der Inbetriebnahme von thermischen Kraftwerken zu beachten. Man unterstellt deshalb eine langsam ansteigende Erzeugung, wobei die Normalproduktion erst nach sechs Jahren erreicht wird. Damit berücksichtigt man mögliche Anlaufschwierigkeiten. Es ist jedoch durchaus möglich, dass neue Kernkraftwerke schon in ein bis zwei Jahren ihre Normalproduktion erreichen. Dadurch können sich die den nachstehenden Abbildungen zugrunde gelegten Produktionswerte ganz wesentlich erhöhen.

Den Berechnungen sind folgende an sich mögliche Inbetriebnahmedaten der im Bau befindlichen und geplanten Kernkraftwerke zugrunde gelegt worden: Werk

Gösgen-Däniken Leibstadt Kaiseraugst Graben '.

a

Mögliche Inbetriebnahme

März Dezember Oktober Oktober

1978 1980 1984 1986

Inbetriebnahmedaten für die weiteren geplanten Kernkraftwerke Verbois, Rüthi und Inwil lassen sich noch nicht angeben.

312

121.223 Gegenüberstellung von Erzeugungsmöglichkeit und Bedarf Bei der Beurteilung der Versorgungslage sind auch unterdurchschnittliche Wasserführung und mögliche längere Stillstände von Kernkraftwerken mit zu berücksichtigen. Es stellt sich dabei die Frage, wie weit mit extrem ungünstigen Ereignissen, d. h. mit einer minimalen Wasserführung und dem Ausfall eines Kernkraftwerkes während eines ganzen Winters zu rechnen ist. Über die Schwankungen der Produktion aus Wasserkraft wissen wir verhältnismässig gut Bescheid. Seit Anfang der fünfziger Jahre werden Indizes der Erzeugungsmöglichkeiten berechnet.

Dagegen stehen die schweizerischen Kernkraftwerke erst seit einigen Jahren in Betrieb. Es können deshalb noch keine fundierten Schlüsse über die Wahrscheinlichkeit von länger dauernden Ausfällen gezogen werden. Auch ist bisher die Frage des erwünschten Grades der Versorgungssicherheit weder umfassend diskutiert noch beantwortet worden. Die Erdölkrise 1973/74 hat zwar die Bedeutung der dauernden Verfügbarkeit von Energie gezeigt und deutlich gemacht, wie sehr Wirtschaft und Gesellschaft von einer sicheren Versorgung abhängen. Doch erachten Umweltschutzkreise eine verminderte Versorgungssicherheit bei der Elektrizität als tragbar, wenn damit auch gelegentliche Engpässe und Rationierungen in Kauf zu nehmen wären. Sowohl Überkapazitäten als auch Energielücken verursachen volkswirtschaftliche Kosten. Der wirtschaftlich optimale Grad der Versorgungssicherheit lässt sich aus den heute verfügbaren Daten nicht bestimmen.

Wir möchten deshalb im folgenden anhand von Modellfällen die Deckung des Elektrizitätsbedarfs im Winterhalbjahr aufzeigen. Wir betrachten vier Varianten, denen eine maximale Substitution von Erdöl durch Elektrizität zugrunde liegt (vgl. Ziff. 121.221): Variante I

Mittlere Produktion aus Wasserkraft; normaler Betrieb der Kernkraftwerke 1 ' Winter

1979/80 1984/85 1989/90 1994/95

Erzeugung (Mio. kWh)

Bedarf^ (Mio. kWh)

Produktionsüberschuss ( + ) Produktionsfehlbetrag (-) (Mio. kWh)

22300

20400 25000 30300 36200

+ 1900 + 4200 + 4000 - 700

29200 34300 35500

Ergebnis: Stets Überschuss bis 1993/94, im Maximum 1986/87 mit 5 300 Mio.

kWh, Fehlbetrag ab 1994/95.

" Angenommene Inbetriebnahmedaten der Kernkraftwerke: Gösgen-Däniken März 1978, Leibstadt Dezember 1980, Kaiseraugst Oktober 1984, Graben Oktober 1986.

Angenommene Betriebsdauer: 1. und 2. Betriebsjahr 2000 Vollaststunden, im 3. Betriebsjahr 2500 Vollaststunden, im 4. Betriebsjahr 3000 Vollaststunden, im 5. Betriebsjahr 3500 Vollaststunden, ab 6. Betriebsjahr 4000 Vollaststunden im Winter.

2 > Zuwachsrate durchschnittlich 2,3% pro Winter plus Bedarf für Substitution (vgl. Ziff.

121.221).

313 Variante II Minimale Produktion aus Wasserkraft; normaler Betrieb der Kernkraftwerke 1 '

Winter

1979/80

1984/85 1989/90 1994/95

Erzeugung (Mio. kWh)

Bedarf?'

(Mio. kWh)

Produktionsüberschuss ( +) Produktionsfehlbetrag (-) (Mio. kWh)

20200 27100 32200 33400

20400 25000 30300 36200

-· 200 + 2 100 + 1900 -2800

Ergebnis: Auf anfänglich bescheidene Fehlbeträge folgen Überschüsse bis 199l/ 92, nachher wachsende Fehlbeträge.

Variante HI Mittlere Produktion aus Wasserkraft und Ausfall des jeweils grössten Kernkraftwerks während des ganzen Winters 1 * Winter

1979/80

1984/85 1989/90 1994/95

Erzeugung (Mio. kWh)

Bedarf?)

(Mio. kWh)

20 500 25500 30700 30900

20400 25000 30300 36200

Produktionsüberschuss ( + ) Produktionsfehlbetrag (-) (Mio. kWh)

+ 100 + 500

+ 400 -5300

Ergebnis: Bis 1989/90 zumeist Überschüsse.

Von 1990/91 an rasch steigende Fehlbeträge.

Variante IV Produktion aus Wasserkraft, wie sie durchschnittlich in jedem vierten Winter unterschritten wird, bei gleichzeitigem Ausfall des jeweils grössten Kernkraftwerks während des ganzen Winters1* Winter

1979/80

1984/85 1989/90 1994/95

Erzeugung (Mio. kWh)

Bedarf?)

(Mio. kWh)

Produktionsüberschuss ( + ) Produktionsfehlbetrag ( -) .

(Mio. kWh)

19800 24800 29900 30200

20 400 25000 30300 36200

- 600 - 200 - 400 -6000

Ergebnis: Immer Fehlbeträge mit drei bescheidenen Ausnahmen (siehe graphische Darstellung).

') 2> Fussnoten siehe vorstehende Seite.

314

Der Fall, dass im gleichen Winter eine minimale hydraulische Produktion und der dauernde Ausfall eines Kernkraftwerks zu verzeichnen sind, ist wenig wahrscheinlich. Wollte man auch für diesen Fall eine absolute Versorgungssicherheit gewährleisten, so müssten übertrieben viele Reserveanlagen bereitgehalten werden.

Die Erfahrungen im Ausland zeigen, dass wegen des möglichen Ausfalls des jeweils grössten Kernkraftwerks eine Produktionsreserve von ungefähr 20 Prozent bereitgestellt werden sollte.

Nachstehend sind die mutmassliche Entwicklung des Bedarfs und der Erzeugungsmöglichkeit unter den vier Annahmen graphisch dargestellt.

121.23

Folgerungen

Die Bereiche der Energiewirtschaft sollen im Gesamtzusammenhang und nicht isoliert betrachtet werden. Die Energiepolitik ist in die Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik einzubetten, wobei eine angemessene Energieversorgung, die Sicherung der Arbeitsplätze, die Verringerung der politischen und wirtschaftlichen Abhängigkeit vom Ausland bzw. die Vermeidung einseitiger Abhängigkeiten, der Schutz der Menschen, die Erhaltung einer lebenswerten Umwelt und die Schonung der natürlichen Ressourcen gewahrt werden sollen.

Eine Lenkung der Wirtschaft über die Energiepolitik steht dabei nicht zur Diskussion. Sie liesse sich auch nicht befriedigend durchführen.

Bei der Erarbeitung der Gesamtenergiekonzeption sind insbesondere auch die Möglichkeiten des Einsatzes von energiesparenden und umweltfreundlichen Technologien, der Forschung und Entwicklung, sowie eines sinnvollen, haushälterischen Konsums in Rechnung zu stellen. Untersuchungen in dieser Richtung, wie sie die Kommission für die Gesamtenergiekonzeption in ihrem von der Öffentlichkeit überwiegend positiv aufgenommenen Zwischenbericht vom Mai 1976 angestellt hat und weiter anstellen wird, haben aber nur dann einen Sinn, wenn sie bei künftigen Entscheidungen berücksichtigt werden.

Wir schlagen vor, die Erstellung weiterer Kernkraftwerke davon abhängig zu machen, dass der Bedarf an der neu zu erzeugenden Energie nachgewiesen ist.

121.3

Radioaktive Abfälle

Radioaktive Abfälle entstehen nicht nur in der Kerntechnik, sondern (jedenfalls volumenmässig) in vergleichbaren Mengen auch in Spitälern, Forschungslaboratorien und in der Industrie. Nach Artikel 106 der Verordnung vom 30. Juni 1976 über den Strahlenschutz (SR 814.50) muss das Eidgenössische Departement des Innern für diese nicht aus Kernkraftwerken stammenden radioaktiven Abfälle Stapelplätze schaffen, und die Abfalle sind dorthin abzuliefern.

.Für die Beseitigung der radioaktiven Abfälle aus Kernkraftwerken dagegen müssen zurzeit die Werkinhaber selbst sorgen. Die schweizerischen Kernkraftwerkbe-

Milliarden kWh

Mutmasslicher Bedarf elektrischer Energie und voraussichtliche Erzeugungsmöglichkeiten im Winterhalbjahr

Abbildung l

Verbrauch mit Substitution Mittlere hydraulische Erzeugung; Betrieb der Kernkraftwerke normal Minimale hydraulische Erzeugung; Betrieb der Kernkraftwerke normal

Verbrauch ohne Substitution

1977/78 79/80

84/85

89/90

94/95

1999/2000

» Jahr

Mutmasslicher Bedarf elektrischer Energie und voraussichtliche Erzeugungsmöglichkeiten im Winterhalbjahr

Abbildung 2

Verbrauch mit Substitution Mittlere hydraulische Erzeugung; Betrieb der Kernkraftwerke normal Mittlere hydraulische Erzeugung; Ausfall eines Kernkraftwerkes Verbrauch ohne Substitution

Mögliche Inbetriebnahme der Kernkraftwerke

Jahr

316

Milliarden kWh

Milliarden kWh

Mutmasslicher Bedarf elektrischer Energie und voraussichtliche Erzeugungsmöglichkeiten im Winterhalbjahr

Abbildung 3

45 -Verbrauch mit Substitution 40

Mittlere hydraulische Erzeugung; Betrieb der Kernkraftwerke normal

f

35 / Hydraulische

Erzeugung, wie sie in jedem vierten Winter unterschritten wird, zusätzlich Ausfall eines Kernkraftwerkes

30

s

25

Verbrauch ohne Substitution

20

15 Mögliche Inbetriebnahme der Kernkraftwerke

10

1.3.78 ^ Gösgen 1977/78 Fessenheim + Bugey 0

l

1

l

1

1977/78 79/80

l

l

l

L_

84/85

89/90

94/95

1999/2000

-> Jahr

318

treiber und -Projektanten haben 1972 die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (NAGRA) gegründet. Auch der Bund ist Gründungsmitglied dieser Genossenschaft, um die von ihm zu stapelnden Abfälle in das oder die von der NAGRA zu schaffenden Lager verbringen zu können. Es besteht kein Grund, die Abfälle aus Kernkraftwerken und jene aus den genannten andern Quellen nicht gemeinsam zu lagern bzw. zu beseitigen.

Die vom Bund gesammelten schwach radioaktiven Abfälle wurden bisher zusammen mit solchen aus Kernkraftwerken in Übereinstimmung mit den Vorschriften der «Londoner Konvention zum Schütze der Meere» durch das Eidgenössische Institut für Reaktorforschung konditioniert, in Beton vergossen und im Rahmen gemeinsamer Aktionen der Kernenergieagentur der OECD im Atlantik versenkt.

Wie lange diese Aktionen noch möglich sind, ist ungewiss. Vorsorglich sollen deshalb möglichst bald auch für die vom Bund zu stapelnden Abfälle aus Spitälern, Laboratorien usw. inländische Abfallager geschaffen werden.

Mittelstark aktive Abfälle aus den Kernkraftwerken werden einstweilen in Betonbunkern auf dem Kraftwerksgelände gelagert. Deren Kapazität reicht noch für längere Zeit aus.

Hochaktive Abfälle entstehen nur in den Brennstoffelementen der Kernkraftwerke. Die abgebrannten Elemente werden zur Wiederaufbereitung ausländischen Spezialfabriken übergeben. Dort werden das restliche Uran und das während des Betriebs im Kraftwerk entstandene Plutonium zur Weiterverwendung von den Zerfallsprodukten abgetrennt. Diese hochaktiven Abfälle sollen während etwa 5 bis 10 Jahren in flüssiger Form gelagert werden. In dieser Zeit geben sie Wärme ab und verlieren einen Teil ihrer Radioaktivität. Dann sollen sie in feste Form übergeführt werden, wofür zurzeit als Verfahren die Verglasung im Vordergrund steht. Die wasserunlöslichen Glaskörper sollen schliesslich zur Endlagerung in geologische Formationen eingebracht werden, die seit geologisch erheblichen Zeiträumen weitgehend stabil sind, insbesondere was die Auslaugung durch Wasser betrifft. Diese Formationen müssen der Bestrahlung aus dem Lagergut widerstehen und dessen weitere Zerfallswärme ableiten können. Ziel jeder Einlagerung ist die völlige Isolierung der radioaktiven Stoffe von der Biosphäre, also zu verhindern, dass die Abgabe von Radioaktivität aus
dem Endlager Konzentrationen erreicht, die für Mensch und Umwelt schädlich sein könnten. Die sichere Lagerung muss nach dem heutigen Stand der Technik, über Jahrtausende hinweg gewährleistet werden.

Die Verträge der schweizerischen Kernkraftwerkbetreiber mit ausländischen Wiederaufbereitungsunternehmen sehen vorläufig keine Verpflichtung vor, die hochradioaktiven Abfälle in die Schweiz zurückzunehmen. Es muss aber mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass nach Ablauf der laufenden und mit dem Abschluss neuer Verträge für die Zukunft diese Rücknahme verlangt wird. Weil die Abfälle vorerst während mehreren Jahren zur Abkühlung im Werk gelagert und erst dann verfestigt und damit transportierbar werden, wird eine solche Rücknahme voraussichtlich frühestens gegen Ende der achtziger Jahre aktuell. Der Beseitigung der schwach-, mittel- und hochradioaktiven Abfälle muss aber schon

319

heute volle Aufmerksamkeit geschenkt werden, weil die Schaffung solcher Lager vielseitige und zeitraubende Abklärungen verlangt.

In der Bundesrepublik Deutschland, betrachtet man Steinsalzformationen von mehreren hundert Metern Mächtigkeit für die Einlagerung schwach-, mittel- und hochradioaktiver Abfälle als am besten geeignet. In der Schweiz sind derart mächtige Salzlager nicht bekannt. Die NAGRA interessiert sich deshalb hauptsächlich für die in unserem Land bestehenden Anhydritschichten. Sie hat beim Eidgenössischen Amt für Energiewirtschaft fünf Gesuche um Bewilligung von Versuchsbohrungen und Versuchsstollen in solchen Formationen eingereicht; die Versuche stossen allerdings bei der örtlichen Bevölkerung auf Widerstand. Die betreffenden Kantone sind zur Vernehmlassung eingeladen worden. Sie möchten aber ihre Stellungnahme erst abgeben, wenn das Gutachten der Eidgenössischen Kommission für die Sicherheit von Atomanlagen vorliegt.

Das Problem der Entsorgung der Kernkraftwerke, insbesondere der Behandlung des Brennstoffs nach der Entfernung aus dem Reaktor, erhält möglicherweise eine neue Dimension, hat doch der Präsident der Vereinigten Staaten angekündigt, dass die USA die Wiederaufbereitung abgebrannter Brennstoffelemente verhindern wollen, um die Gewinnung von Plutonium, Ausgangsstoff für die Herstellung von Kernwaffen, zu verunmöglichen. Wenn sich diese Politik durchsetzt, müssen die abgebrannten Brennelemente unter Umständen als solche gelagert werden. Die Probleme der Entsorgung sind also noch im Fluss, und neue Umstände können neue Lösungen verlangen. Die NAGRA, die Gruppe der Kernkraftwerkbetreiber und -Projektanten, das Eidgenössische Institut für Reaktorforschung und die Abteilung für die Sicherheit der Kernanlagen des Amtes für Energiewirtschaft befassen sich seit Jahren mit Fragen der Entsorgung. Die Abteilung hat vor einiger Zeit einen Koordinationsausschuss für die Lagerung radioaktiver Abfälle eingesetzt, der ein umfangreiches Material aufgearbeitet hat. Mit der Weiterbehandlung soll nun eine Arbeitsgruppe betraut werden, die unter der Leitung des Eidgenössischen Institutes für Reaktorforschung steht und in der die interessierten Bundesstellen vertreten sein sollen. Das Eidgenössische Institut für Reaktorforschung wird zudem die im Auftrag dieser Arbeitsgruppe auszuführenden
Arbeiten, Untersuchungen usw. besorgen, nötigenfalls unter Beizug von Ingenieurbüros und weiteren Fachleuten.

Das Atomgesetz bekennt sich zu einer grundsätzlich privatwirtschaftlichen Lösung bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie, und der vorliegende Beschlusses-Entwurf hält an diesem Grundsatz fest. Folgerichtig ist, dass auch das Problem der radioaktiven Abfälle in erster Linie durch die Erzeuger der Abfälle selbst zu lösen ist. Die sichere Beseitigung der radioaktiven Abfälle liegt jedoch unzweifelhaft im öffentlichen Interesse. Der Bund soll deshalb die Möglichkeit haben, die Werke und die NAGRA bei der Erfüllung ihrer Aufgabe zu unterstützen oder notfalls die Verantwortung selbst zu übernehmen; angemessene Einschränkungen der Handels- und Gewerbefreiheit sowie des Eigentums wären dabei in Kauf zu nehmen. Im Vordergrund steht nicht die Übernahme der Verantwortung durch den Bund, sondern eine angemessene Unterstützung der Werke

320

oder der NAGRA durch gezielte Massnahmen. Dafür fallen unter anderem in Betracht : Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Forschung, Mithilfe bei der Suche nach geeigneten Standorten oder zur Verfügung stellen von bundeseigenem Land; aber auch auf internationaler Ebene kann der Bund seine guten Dienste zur Verfügung stellen, nicht zuletzt mit dem Abschluss entsprechender Staatsverträge. Dass dies alles auf Kosten der Erzeuger der radioaktiven Abfälle geschehen würde, ist selbstverständlich. Als letzte, jedoch einschneidende Massnahme kommt schliesslich die Übertragung des Enteignungsrechtes an Dritte oder dessen Ausübung durch den Bund selbst in Betracht.

121.4

Nicht in die Vorlage einbezogene Revisionsbedürfnisse

Nachfolgend seien kurz die wichtigsten unter den übrigen revisionsbedürftigen Punkte des geltenden Atomgesetzes angedeutet, deren Verwirklichung entweder nicht gleich dringlich oder noch nicht entscheidungsreif ist.

Nicht hierher gehört die Erhöhung der Deckungssumme für Drittschäden, die infolge der Geldentwertung und der Leistungssteigerung der Kernkraftwerke seit dem Inkrafttreten des Atomgesetzes am 1. Juli 1960 nötig geworden ist. Gestützt auf Artikel 21 des Atomgesetzes haben wir mit Verordnung vom 6. Juli 1977 (AS 1977 1424) die Deckungssumme für Atomanlagen, in denen elektrische Energie erzeugt wird, von bisher 40 auf 200 Millionen Franken erhöht. Diese Änderung tritt am I.Oktober 1977 in Kraft.

Revisionsbedürftig am geltenden Recht sind besonders die Bestimmungen über Haftpflicht und Versicherung. Das Gesetz sollte vor allem auch dem «Pariser Übereinkommen über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiete der Kernenergie» vom 29. Juli 1960 und dem «Brüsseler Zusatzübereinkommen» vom 31. Januar 1963 angepasst werden. Diese im Jahre 1968 bzw. 1974 in Kraft getretenen Übereinkommen sind von der Schweiz zwar unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert worden. Wir sahen bisher vom Antrag auf Anpassung des Atomgesetzes an die beiden Übereinkommen ab, weil eine Revision des Pariser Übereinkommens zur Diskussion stand, und wir vermeiden wollten, das Gesetz kurz nacheinander zweimal ändern zu müssen. Ein Abschluss der Revision des Pariser Übereinkommens ist indessen nicht abzusehen. Die Verhandlungen konzentrieren sich gegenwärtig auf eine Neuumschreibung der verwendeten Währungseinheit, allenfalls verbunden mit einer Erhöhung der Deckungssummen. Es liegt aber einstweilen kein Entwurf vor. Eine baldige Ratifikation wäre aber nicht zuletzt deshalb erwünscht, weil sie die Fragen um die grenzüberschreitenden Schäden regeln. Das bedingt aber eine Anpassung zahlreicher Vorschriften des Atomgesetzes, wie sie durch die Übereinkommen zum Teil unmittelbar vorgezeichnet ist.

Im geltenden Gesetz ist sodann das Verhältnis der Kompetenzen des Bundes zu denen der Kantone (das auch Gegenstand der drei erwähnten Standesinitiativen ist) ungenügend geregelt. Wiederholt musste sich deshalb das Bundesgericht mit der Abgrenzung von Kompetenzen beschäftigen.

321

Die Standesinitiativen und andere Eingaben verlangen vom Bund für den Bau von Kernkraftwerken eine Standortplanung, die auch mit den angrenzenden Staaten abgesprochen wird. Für eine solche verbindliche Planung fehlt heute die gesetzliche Grundlage.

Von verschiedener Seite wird angeregt, das heutige Bewilligungssystem für Atomanlagen durch ein Konzessionssystem zu ersetzen. Bestimmte Kreise fordern ein Enteignungsrecht für die Errichtung von Atomanlagen.

Im Vernehmlassungsverfahren verlangten einzelne Kantone, das Gesetz solle kleineren Elektrizitätsunternehmungen einen Rechtsanspruch auf Beteiligung an Kernkraftwerken gewähren.

Das geltende Gesetz regelt schliesslich auch nicht die Demontage ausgedienter. Anlagen.

Die Versorgung der Kraftwerke mit Kernbrennstoff und die Beseitigung der anfallenden radioaktiven Abfälle bedürfen, insbesondere auch wegen der damit verbundenen internationalen Aspekte, der behördlichen Mitwirkung. So muss der Bund z. B. aufgrund bilateraler und multilateraler völkerrechtlicher Verpflichtungen gewährleisten, dass die Anlagen, Brennstoffe und Rückstände nur für friedliche Zwecke verwendet werden. Die Einhaltung dieser Verpflichtungen wird durch ein internationales Kontrollsystem überwacht. Um die unerwünschte Prolifération von spaltbarem Material - über Staaten, die dem Vertrag vom I.Juli 1968 über die Nichtverbreitung von Kernwaffen nicht beigetreten sind - soweit wie möglich zu unterbinden, haben sich die wichtigsten «nuklearen» Ausfuhrstaaten, darunter auch die Schweiz, bereit erklärt, auch die Ein- und Ausfuhr bestimmter «nuklearer» Informationen einer Kontrolle zu unterstellen. Die dafür notwendige gesetzliche Grundlage ist durch die Aufnahme einer entsprechenden Bestimmung in das Atomgesetz zu schaffen.

Diese und weitere offene Fragen bedürfen einer einlässlichen Abklärung, womit sich vor allem die juristische Expertenkommission Dubach befasst. Um die rasche Verwirklichung der heute vorgeschlagenen dringlichen Änderung nicht zu gefährden, sollten sie getrennt von dieser und zum grössten Teil erst im Rahmen der schon stark vorangetriebenen Totalrevision des Atomgesetzes behandelt werden.

122

Lösungsmöglichkeiten

122.1

Allgemeines

Die Einführung des Bedarfsnachweises, die Einsetzung einer politischen Behörde als Bewilligungsinstanz und die Verbesserung des Mitwirkungsrechts des Bürgers im Bewilligungsverfahren bedingen eine Neugestaltung dieses Verfahrens. An sich wäre es möglich, sämtliche Neuerungen durch eine Revision des bestehenden Atomgesetzes zu verwirklichen. Dafür müssten jedoch zahlreiche Artikel geändert und eine Anzahl neuer Artikel eingefügt werden. Das Gesetz würde dadurch unübersichtlich und kaum mehr lesbar. Wir haben uns deshalb entschlossen, das Atomgesetz zu belassen, wie es ist, und dem darin festgelegten Verfahren neu ein

322

gesondertes Verfahren voranzustellen. Da es sich dabei bloss uni eine Übergangsregelung bis zum Inkrafttreten des total revidierten Atomgesetzes handeln soll, ist unser Vorschlag nicht als Gesetz sondern als grundsätzlich befristeter allgemein verbindlicher Bundesbeschluss formuliert (Art. 6 des Geschäftsverkehrsgesetzes ; SR 171.11). Er untersteht damit auch dem fakultativen Referendum.

122.2

Zuständige Behörde

Heute werden die Polizeibewilligungen für Atomanlagen, in denen elektrische Energie erzeugt werden soll, vom Eidgenössischen Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement, jene für andere Atomanlagen (wie z. B. Forschungsreaktoren und Lager für radioaktive Abfälle aus der Kerntechnik) vom Eidgenössischen Amt für Energiewirtschaft erteilt. Diese Kompetenz hat ihnen der Bundesrat mit Artikel 3 der Verordnung vom 13. Juni 1960 / 23. Dezember 1968 über Begriffsbestimmungen und Bewilligungen im Gebiete der Atomenergie (SR 732.11) delegiert. Angesichts der vorwiegend technischen Natur der Aufgabe war diese Delegation damals zweckmässig. Es sind die vom Bundesrat gestützt auf das Atomgesetz beauftragten Experten, welche den Entscheid vorbereiten und für diesen in erster Linie eine fachliche Verantwortung tragen.

Wie ausgeführt, hat die Bewilligung einer Atomanlage infolge der «nuklearen» Kontroverse in den vergangenen Jahren zunehmend politischen Charakter erhalten. Wegen dieser Entwicklung sollte deshalb inskünftig eine politische Behörde über die Bewilligung einer Atomanlage entscheiden. Es kommen dafür entweder der Bundesrat oder die Bundesversammlung in Frage.

122.21

Entscheid durch den Bundesrat

Für den Entscheid durch den Bundesrat spricht unser staatspolitisches System, wonach der Vollzug der Bundesgesetze Sache des Bundesrates ist (Art. 102 Ziff. 5 BV). Die neu vorgesehene Bewilligung soll wie die bisherigen Bewilligungen nach dem Atomgesetz eine Polizeibewilligung sein. Sie ist reiner Gesetzesvollzug, weil sie erteilt werden muss, wenn die gesetzlich umschriebenen Voraussetzungen erfüllt sind. Schon allein aus diesem Grunde-drängt sich die Bezeichnung des Bundesrates als zuständige Behörde auf. Dafür spricht auch, dass viele technische Aspekte zu prüfen sind und das Verfahren rascher abgewickelt werden kann.

Schliesslich sollte auch dem immer wieder erhobenen Ruf, unserem ohnehin stark belasteten Milizparlament nicht ohne Not neue Aufgaben zu übertragen, Folge geleistet werden.

122.22

Entscheid durch die Bundesversammlung

Freilich ist für die Erfüllung von Bundesaufgaben die Trennung zwischen gesetzgebender und ausführender Gewalt nie rein durchgeführt worden. Verwaltungs-

323

akte, denen man grosse politische Bedeutung beimass, sind verschiedentlich in die Kompetenz des Parlaments gelegt worden, so z. B. die Erteilung von Eisenbahnkonzessionen, die Bewilligung neuer Linien der SBB und die Festlegung des Nationalstrassennetzes. Die Bewilligung von Atomanlagen lässt sich unter den Gesichtspunkten ihrer Bedeutung für die Wirtschaft des Landes und der politischen Tragweite der Entscheide mit diesen Aufgaben des Parlaments durchaus vergleichen.

Abgesehen davon würde man dem Begehren nach einem erweiterten Mitspracherecht des Volkes entsprechen, wenn der Entscheid über die Bewilligung von Atomanlagen in die Hand der Bundesversammlung als Vertretung des ganzen Volkes gelegt wird. Diese Lösung hätte ausserdem den Vorteil, dass Befürworter und Gegner im Rahmen des Bewilligungsverfahrens öffentlich ihre Argumente vortragen könnten.

122.23

Entscheid durch den Bundesrat mit Beschwerdemöglichkeit an die Bundesversammlung

Eine dritte mögliche Zuständigkeitsordnung besteht darin, dass der Bundesrat in erster Instanz entscheidet und dass sein Entscheid an die Bundesversammlung weitergezogen werden kann (Art. 85 Ziff. 12 und Art. 113 Abs. 2 BV sowie Art. 79 VwVG; SR 172.021). Das entsprechende zweistufige Verfahren würde aber sehr viel Zeit beanspruchen und zu Verzögerungen führen.

122.24

Entscheid durch eine Volksabstimmung

Natürlich könnte auch eine Bewilligung durch Volksabstimmung erteilt werden.

Dies bedingt jedoch eine Änderung der Bundesverfassung. Diese kennt bis jetzt keine Referenden im Rahmen des Gesetzesvollzugs und Artikel 24iuintiuies BV bildet für die Einführung keine genügende rechtliche Grundlage. Diese Lösung ist jedoch auch aus andern Gründen abzulehnen (vgl. die Ausführungen unter Ziff. 122.32).

122.3

Verfahren

Dass das geltende Verfahren nicht zu befriedigen vermag, wurde bereits dargetan.

Es gilt vor allem einen Weg zu finden, der einem möglichst grossen Teil der Bevölkerung erlaubt, sich am Bewilligungsverfahren zu beteiligen, ohne dass das Verfahren über Gebühr in die Länge gezogen wird.

122.31

Beschränkung auf die Betroffenen im Sinne des Verwaltungsverfahrensgesetzes (SR 172.021)

Eine solche Beschränkung würde im wesentlichen der heute geltenden Regelung entsprechen, die aus den bereits dargelegten Gründen nicht .befriedigt (Ziff. 121.1).

324

122.32

Die Beteiligung von «jedermann»

Heute melden sich zu jedem Projekt einer Atomanlage in jedem Stadium des Bewilligungsverfahrens und der Ausführung aus der ganzen Schweiz und aus dem angrenzenden Ausland Einzelpersonen und Organisationen zum Wort. Eine extreme gesetzgeberische Lösung wäre deshalb die, dass sich jedermann sowohl zum Gesuch wie zu den eingeholten Gutachten äussern könnte und dass letztlich über die Bewilligung in einer Volksabstimmung entschieden würde. Gegen den Entscheid in einer Volksabstimmung spricht aber klar unser Staats- und DemokratieVerständnis. Unser Staat ist eine Wahl- und Gesetzgebungsdemokratie. Die eidgenössischen Abstimmungen haben grundsätzlich nie Einzelverfügungen zum Gegenstand. Die Bau- oder Betriebsbewilligung für ein Kernkraftwerk wäre eine solche Einzelverfügung und wäre also auf die gleiche Stufe zu stellen wie eine andere Baubewilligung, auch wenn sie von ganz anderer besonderer Tragweite ist.

Die Volksinitiative «zur Wahrung der Volksrechte und der Sicherheit beim Bau und Betrieb von Atomanlagen» verlangt regionale Abstimmungen. Auch solche örtlichen, mehr oder weniger begrenzten Volksabstimmungen als verbindliche oder auch nur konsultative Entscheidungsgrundlagen für den Vollzug eines Bundesgesetzes würden unserer staatsrechtlichen Auffassung zuwiderlaufen. Abgesehen davon ist es unmöglich, eine befriedigende Abgrenzung der betroffenen Region, in der eine Abstimmung durchzuführen wäre, zu finden. Ein Kernkraftwerk dient nicht nur einer bestimmten Region, sondern trägt zur Stromversorgung der ganzen Schweiz bei. Es ist aber zu befürchten, dass regionale Abstimmungen zu einer unerwünschten Regionalisierung des Denkens und damit zu einer Gefährdung unserer staatlichen Gemeinschaft führen könnten. Wir verweisen hiezu auch auf unsere Botschaft vom 24. August 1977 zur genannten Volksinitiative.

122.33

Übergangsrecht

Die Einführung des Bedarfsnachweises bildet ohne Zweifel einen wesentlichen Punkt dieser Vorlage. Man muss sich daher fragen, welche Bewilligungen für Kernkraftwerke inskünftig von dieser Voraussetzung abhängig zu machen sind.

Eine Möglichkeit wäre, bei allen Kernkraftwerken, die noch nicht im Betrieb sind (Gösgen, Leibstadt, Kaiseraugst, Graben, Verbois, Rüthi, Inwil), die nächste nötige Bewilligung vom Nachweis des Bedarfes an der im Werk zu erzeugenden Energie abhängig zu machen. Eine andere Möglichkeit ist, den Bedarfsnachweis nur für diejenigen Projekte zu verlangen, für die der Bund noch keine Baubewilligung, aber bereits die Standortbewilligung erteilt hat (Kaiseraugst, Graben, Verbois). Letztlich bestünde die Möglichkeit, nur für jene Werke den Bedarfsnachweis als zusätzliche Bewilligungsvoraussetzung einzuführen, die noch über keine Bewilligung des Bundes nach dem geltenden Atomgesetz verfügen (Rüthi, Inwil).

Je nach der Lösung, die der Gesetzgeber wählt, stellt sich zwingend die Frage einer anfälligen Entschädigungspflicht des Bundes: Hat der Inhaber einer Standortbewilligung nach Recht und Billigkeit Anspruch auf einen Ersatz für Aufwen-

325

düngen, die er im Vertrauen auf die Standortbewilligung getätigt hat, falls ihm aufgrund des geänderten Rechts, weil sich zum Beispiel der Bedarf nicht nachweisen lässt, die - neu erforderliche - Rahmenbewilligung nicht erteilt wird ? Nach heutiger Rechtslage stellt die Standortbewilligung lediglich fest, dass am bestimmten Ort ein Kernkraftwerk der vorgesehenen Art und Leistung so gebaut und betrieben werden kann, dass im Sinne von Artikel 7 des Atomgesetzes der Schutz von Menschen, fremden Sachen und wichtigen Rechtsgütern gewährleistet ist.

Entspricht das Projekt diesen Anforderungen, so besteht ein Anspruch auf die Baubewilligung nach Atomgesetz. Das gleiche gilt für die Betriebsbewilligung.

Doch hat niemand Anspruch darauf, dass ein Gesetz für alle Zeiten unverändert beibehalten wird. Die Frage stellt sich aber, ob ein gesetzgeberischer Eingriff in eine rechtmässig begonnene Tätigkeit mit schwerwiegenden wirtschaftlichen Nachteilen dem Betroffenen entschädigungslos zugemutet werden darf.

Die juristischen Experten haben diese Fragen einlässlich erwogen. Sie haben dabei festgestellt, dass die vorstehend aufgeworfenen Probleme weder durch die Rechtsprechung noch durch die Lehre hinreichend geklärt sind, und dass jedenfalls die Grundsätze, die im Baurecht entwickelt worden sind, nicht unbesehen herangezogen werden könnten. Zu bezweifeln ist auch ein Entschädigungsanspruch aufgrund von Artikel 9 Absatz 5 des Atomgesetzes.

13 131

Vernehmlassungsverfahren Allgemeines

Am" 10. Dezember 1976 unterbreitete das Eidgenössische Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement den von der Kommission für die Revision des Atomgesetzes erarbeiteten Beschlussesentwurf mit einem erläuternden Bericht den Kantonsregierungen, den Spitzenverbänden der Wirtschaft und weiteren interessierten Organisationen zur Vernehmlassung. Zur Diskussion gestellt wurden die Einführung des Bedarfsnachweises und die Schaffung einer sogenannten Rahmenbewilligung. Die Frage, welche Behörde - Bundesversammlung oder Bundesrat - für die Erteilung dieser Rahmenbewilligung zuständig sein soll, wurde offengelassen. Der Entwurf regelte das Bewilligungsverfahren nur in den Grundzügen. Zum Problem der Beseitigung der radioaktiven Abfälle enthielt er überhaupt keine Bestimmungen.

In grundsätzlicher Hinsicht hat das Vernehmlassungsverfahren ergeben, dass die Befragten eine rasche Totalrevision des Atomgesetzes der mit dieser Vorlage vorgeschlagenen Ergänzung fast einhellig vorziehen würden. Die Mehrheit aber scheint sich angesichts der Dringlichkeit der zu verwirklichenden Postulate mit dem Ergänzungsbeschluss abzufinden, erwartet aber, dass die Totalrevision beförderlich vorangetrieben wird.

In den Sachfragen gehen die Meinungen weit auseinander; die einen wollen den Bau weiterer Kernkraftwerke fördern, andere wollen ihn bremsen oder gar verunmöglichen. Einige Vernehmlassungen schlagen als Überbrückungsmassnahme bis zum Inkrafttreten eines neuen Gesetzes ein Moratorium vor.

Bundesblau. 129.Jahrg. Bd.III

326

132

Die Vernehmlassungsergebnisse im einzelnen

132.1

Bedarfsnachweis

Der Nachweis des hinreichenden Inlandbedarfs an der Energie, die in der neuen Anlage erzeugt werden soll, als Voraussetzung für die Erteilung der Rahmenbewilligung wird von den meisten Kantonen abgelehnt (Zürich, Bern, Uri, Nidwaiden, Glarus, Zug, Schaffhausen, beide Appenzell, St. Gallen, Graubünden, Aargau, Thurgau, Wallis, Neuenburg, Genf). Gleicher Meinung sind die Freisinnigdemokratische Partei, der Gewerbe verband, die Bankiervereinigung, der Vorort des Schweizerischen Handels- und Industrievereins, das Energieforum, die Schweizerische Vereinigung für Atomenergie und der Verband schweizerischer Elektrizitätswerke. Für die Bedürfnisklausel sprechen sich aus: die Kantone Schwyz, Obwalden, Solothurn, Basel-Stadt, Basel-Landschaft; der Landesring, die Partei der Arbeit, die Sozialdemokratische Partei ; der Schweizerische Bauernverband, der Schweizerische Gewerkschaftsbund, der Christlichnationale Gewerkschaftsbund, die Christlichsoziale Arbeiterbewegung, der Landesverband freier Schweizer Arbeiter, der Verband evangelischer Arbeitnehmer, die Schweizerische Gesellschaft für Umweltschutz, der Schweizerische Bund für Naturschutz und die Schweizerische Energiestiftung.

Kurz zusammengefasst wird folgendes vorgebracht: - Es erscheine wenig sinnvoll, aus Gründen, die sich wesentlich auf die Energiewirtschaft als Ganzes beziehen, nur einen kleinen Teilbereich, nämlich die Erzeugung elektrischer Energie durch Kernspaltung kontrollieren zu wollen. Das widerspreche sowohl der Vernunft als auch dem Gleichheitsprinzip. Wenn zu verhindern sei, dass Energie unbeschränkt zur Verfügung gestellt werde, so müsse dies für jede Energieart gelten. Die vorgesehene Lösung werde aber nur die unerwünschte Folge haben, dass die Produzenten auf die freien Energieträger ausweichen, und zwar - was naheliege - vor allem auf die fossilen Brennstoffe, wobei doch gerade diese wenigstens teilweise ersetzt werden sollten.

- Die Kantone hätten seit über 80 Jahren das Wachstum der Elektrizitätserzeugung gelenkt. Es sei gelungen, die Elektrizitätserzeugung stetig dem Bedarf anzupassen und grosse zeitweilige Überproduktionen ebenso zu vermeiden wie Versorgungslücken. Weder bestehe ein Anlass anzunehmen, die Kantone und die von ihnen gelenkten Elektrizitätsunternehmen würden in der Zukunft dieser Aufgabe nicht mehr gewachsen sein,
noch wäre der Bund in der Lage, sie besser zu erfüllen.

- Mit der Einführung der Bedürfnisklausel auf Bundesebene übernehme der Bund nicht bloss die Verpflichtung für eine Energieplanung, sondern auch die volle Verantwortung für eine ausreichende Energieversorgung. Die bestimmende Stellung, die der Bund dadurch erhalte, lasse sich mit der Struktur der Elektrizitätswirtschaft nicht vereinbaren.

- Es sei zu bezweifeln, dass eine taugliche Beurteilung des Bedarfs überhaupt möglich sei, würde man doch dabei auf unbekannte künftige Zuwachsraten der schweizerischen Wirtschaft abstellen müssen. Es sei abgesehen davon stets

327

auch Rücksicht zu nehmen auf die unumgängliche europäische Verbundwirtschaft, ohne die die nationale Elektrizitätswirtschaft wesentlich grössere Kapazitäten bereitzuhalten gezwungen wäre. Anderseits wird gerade die Verbundwirtschaft von Kernkraftwerkgegnern scharf kritisiert, und es werden Möglichkeiten gesucht, um deren Einfluss auf den Gesamtverbrauch bzw. die Gesamtproduktion zu mindern.

- Gegner und Befürworter der Kernkraftwerke sind sich jedoch - auch wenn sie unterschiedlich argumentieren - darin einig, dass die Umschreibung der Bedürfnisklausel im Beschlussesentwurf viel zu unbestimmt sei. Die Kernkraftgegner wollen der Bedürfnisklausel insbesondere noch einen zusätzlichen Sinn verschaffen. Der Bund sollte nach ihrer Auffassung Sparmassnahmen sowie den Ersatz der herkömmlichen Energiearten durch andere, ökologisch unbedenklichere erzwingen können.

132.2

Die für die Rahmenbewilligung zuständige Behörde

Die Kantone geben in überwiegender Mehrheit der Zuständigkeit des Bundesrates den Vorzug. Für die Zuständigkeit der Bundesversammlung sprechen sich lediglich die Kantone Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Aargau, Tessin und Genf aus, wobei der Kanton Tessin den Beschluss der Bundesversammlung noch dem fakultativen Referendum unterstellen möchte.

Von den Parteien äussern sich die Christlichdemokratische Volkspartei, die Freisinnig-demokratische Partei und die Liberaldemokratische Union der Schweiz für die Zuständigkeit des Bundesrates, während die Evangelische Volkspartei, der Landesring, die Partei der Arbeit, die Schweizerische Volkspartei und die Sozialdemokratische Partei für die Zuständigkeit der Bundesversammlung eintreten.

Von den Verbänden und anderen interessierten Organisationen sprechen sich für die Zuständigkeit des Bundesrates aus: Bauernverband, Gewerbeverband, Bankiervereinigung, Christlichnationaler Gewerkschaftsbund, Vorort, Energieforum Schweiz, Schweizerische Vereinigung für Atomenergie, Verband schweizerischer Elektrizitätswerke, Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfalle, Christliche Sozialbewegung der Schweiz. Für die Zuständigkeit der Bundesversammlung treten ein: Gewerkschaftsbund, Verband evangelischer Arbeitnehmer, Landesverband freier Schweizer Arbeitnehmer, Schweizerischer Bund für Naturschutz, Schweizerische Gesellschaft für Umweltschutz, Schweizerische Energiestiftung, Initiativkomitee der Volksinitiative «zur Wahrung der Volksrechte und der Sicherheit beim Bau und Betrieb von Atomanlagen». Einzelne Gruppierungen möchten den Beschluss der Bundesversammlung dem fakultativen Referendum unterstellen.

132.21

Argumente zugunsten des Bundesrates

Nach Ansicht vieler Gruppierungen und Behörden bietet der Bundesrat mehr Gewähr für einen sachlich-rechtlichen Entscheid als die Bundesversammlung. Es

328 seien ausserdem sehr viele technische Fragen zu prüfen, was die Bundesversammlung überfordere. Es werden Schwierigkeiten in der Entscheidsfindung (Zweikammersystem) und. unerwünschte zeitliche Verzögerungen befürchtet, falls die Bundesversammlung für zuständig erklärt wird. Schliesslich spreche auch unser Staatssystem für die Zuständigkeit des Bundesrates, dem der Vollzug der Bundesgesetze obliegt.

132.22

Argumente zugunsten der Bundesversammlung

Für die Befürworter der Zuständigkeit der Bundesversammlung ist der Entscheid über die Rahmenbewilligung ein politischer Entscheid. Die Bundesversammlung biete Gewähr dafür, dass die Meinungsvielfalt vollständig zum Ausdruck komme, das Verfahren soweit wie möglich durchschaubar und öffentlich bleibe. Ausserdem sei hier die Gefahr der Beeinflussung durch Verwaltung und Verbände geringer als beim Bundesrat.

132.3

Bewilligungsverfahren

Das vorgeschlagene Institut der Rahmenbewilligung wird mit wenigen Ausnahmen akzeptiert; einzelne Vernehmlassungen zögen jedoch ein Konzessionssystem vor (Sozialdemokratische Partei, Landesring, Schweizerischer Gewerkschaftsbund, Schweizerischer Bund für Naturschutz, Kanton Aargau eventuell). Auch die Einführung eines verbesserten Mitspracherechts der Bevölkerung wird allgemein begrüsst. Von verschiedener Seite wird jedoch beanstandet, dass mit dem Wort «Betroffenen» der Kreis der zu Einwendungen Legitimierten nicht eindeutig umschrieben sei. Es wird auch vorgeschlagen, jede Einschränkung der Legitimation aufzuheben. Vereinzelt wird verlangt, dass die Bevölkerung nicht nur ein Mitsprache- sondern auch ein Mitentscheidungsrecht haben soll. Auch die Anhörung der Gemeinden solle in irgendeiner Form geregelt werden.

Häufig wird bemängelt, dass sich die Einsprecher nicht zu den Gutachten äussern können, da diese erst nach dem Einspracheverfahren eingeholt werden.

132.4

Übergangsrecht

132.41

Einleitung

Der Expertenentwurf, der in das Vernehmlassungsverfahren geschickt wurde, stellte folgende Lösung zur Diskussion: 1

Bei Atomanlagen, für die die Standortbewilligung erteilt ist, ist im Verfahren vor der Bundesversammlung (Variante: im Verfahren nach diesem Bundesbeschluss) nur noch zu prüfen, was in der Standortbewilligung nicht bereits entschieden wurde, sofern sich nicht wegen einer wesentlichen Änderung der Umstände seit ihrer Erteilung oder wegen des neuesten Standes von Wissenschaft und Technik eine Neubeurteilung aufdrängt.

329 2

Atomanlagen, welche bereits im Betrieb stehen oder für die bereits eine Baubewilligung nach dem Atomgesetz erteilt ist, bedürfen keiner Rahmenbewilligung.

Die Rahmenbewilligung wäre nach diesem Vorschlag grundsätzlich an die Stelle der Standortbewilligung nach bisherigem Recht getreten, ohne diese jedoch aufzuheben. Sie hätte eine erweiterte Prüfung nach zusätzlichen Gesichtspunkten ermöglichen sollen. Konkret heisst das, dass für dieses oder jenes Werk die Rahmenbewilligung nicht mehr hätte erteilt werden können, weil der entsprechende Bedarf fehlte; die Standortbewilligung hätte aber trotzdem weiter bestanden.

Von dieser Lösung wären die Werke Kaiseraugst, Graben und Verbois betroffen worden.

132.42

Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens

Die Kantone (ausgenommen beide Basel), die Elektrizitätswirtschaft und verschiedene Wirtschaftsverbände lehnen die von den Experten vorgeschlagene Übergangsbestimmung als unzulässig ab. Es wird darauf hingewiesen, dass die Kantone und die von ihnen getragenen Elektrizitätsunternehmen seit vielen Jahrzehnten die Elektrizitätsversorgung sichergestellt hätten. Aufgrund ernsthafter Prognosen des künftigen Bedarfs und im Vertrauen auf die geltende Gesetzgebung seien die Projekte Kaiseraugst, Graben und Verbois ausgearbeitet und es seien hiefür erhebliche Investitionen gemacht worden. Wenn der Bund in diesem Bereich eingreife, so habe er den daraus entstehenden Schaden voll zu vergüten (vgl. hiezu auch vorne Ziff. 122.33). Mit Nachdruck wird geltend gemacht, die vorgeschlagenen Bestimmungen widersprächen den Grundprinzipien des Rechtsstaates, wobei insbesondere das Verbot der Rückwirkung und die Gebote der Rechtssicherheit und von Treu und Glauben erwähnt werden.

Vereinzelt wird jedoch auch verlangt, dass die Standortbewilligungen für die drei Projekte Kaiseraugst, Graben und Verbois überhaupt dahinfallen und die Bewilligungsverfahren völlig neu durchgeführt werden sollen. Einige wenige Vernehmlassungen stimmen der im Expertenentwurf vorgesehenen Übergangsregelung vorbehaltlos zu (Evangelische Volkspartei der Schweiz, Schweizerischer Bauernverband, Landesverband freier Schweizer Arbeitnehmer, Schweizerischer Verband evangelischer Arbeitnehmer).

2

Der Entwurf eines allgemeinverbindlichen Bundesbeschlusses über die Ergänzung des Atomgesetzes

21

Allgemeines

211

Bewilligungsverfahren

Es soll eine sogenannte Rahmenbewilligung des Bundesrates eingeführt werden, die eine Voraussetzung und zugleich Grundlage für alle nachfolgenden Bewilligungen wäre.

330

Das Gesuch für die Rahmenbewilligung ist zu veröffentlichen, und jedermann soll die Möglichkeit erhalten, Einwendungen zu erheben, bevor der Entscheid gefällt wird. Nicht mehr allein der Standortkanton ist zur Vernehmlassung einzuladen, sondern alle Kantone. Die Kantone haben die interessierten Gemeinden anzuhören. Das Gesuch, die allfälligen Einwendungen aus der Bevölkerung und die Vernehmlassungen der Kantone sollen alsdann von den zuständigen Organen des Bundes geprüft werden. Dazu müssen Gutachten der Fachkommissionen und nötigenfalls aussenstehender Experten eingeholt werden. Zu den Schlussfolgerungen der Vernehmlassungen und Gutachten kann wiederum jedermann Einwendungen erheben. Das gleiche Recht steht allen Kantonen und interessierten Gemeinden zu. Diese erneuten Einwendungen werden den Verfassern der Vernehmlassungen und Gutachten zur Stellungnahme unterbreitet. Schliesslich prüft der Bundesrat das Gesuch sowie die eingegangenen Vernehmlassungen, Gutachten, Einwendungen und Stellungnahmen und trifft auf Grund all dieser Unterlagen seinen Entscheid.

Wir haben uns nach Abwägung der Vor- und Nachteile, wie sie vorne in Ziffer 132.2 dargelegt sind, für die Zuständigkeit des Bundesrates entschieden. Der Grundsatz, wonach dem Bundesrat der Vollzug der Gesetze obliegt, sollte nicht ohne Not durchbrochen werden ; besonders nicht in einer Frage, bei der es zwar zweifellos um hochpolitische aber doch auch um technische Entscheide geht. Das System der Polizeibewilligung, das beibehalten werden soll, verträgt sich ausserdem besser mit einer bundesrätlichen Entscheidungskompetenz.

Hinsichtlich des Mitwirkungsrechtes der Bevölkerung schlagen wir vor, dem Bedürfnis nach vermehrter Mitsprache so weit wie möglich zu entsprechen; das Bewilligungsverfahren soll aber nicht zeitlich überdehnt werden.

Die der Rahmenbewilligung nachfolgenden Bewilligungen sind vorwiegend technischer Natur. Die Entscheide werden heute aufgrund einer Kompetenzdelegation in erster Instanz vom Eidgenössischen Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement getroffen und können nach Artikel 72 des Bundesgesetzes über das Verwaltungsverfahren (SR 172.021) mit Beschwerde an den Bundesrat weitergezogen werden. Das Departement entscheidet aufgrund eines Gutachtens der Eidgenössischen Kommission für die Sicherheit von Atomanlagen, der die
Abteilung für die Sicherheit der Kernanlagen des Amtes für Energiewirtschaft zur Seite steht und die auch weitere Fachleute zuziehen kann. Weil dem Bundesrat im Beschwerdeverfahren keine Experten mit höherem Fachwissen als die vom Departement konsultierten Gremien zur Verfügung stehen, kann man sich fragen, ob der bisherige Instanzenzug in diesen vorwiegend technischen Belangen überhaupt sinnvoll sei. Wir verneinen das und nehmen deshalb in Aussicht, die Kompetenzdelegation an das Departement und gewisse Kompetenzdelegationen an das Amt für Energiewirtschaft rückgängig zu machen. Demzufolge hätte inskünftig der Bundesrat als einzige Instanz auch über die der Rahmenbewilligung folgenden Bewilligungen zu entscheiden. Die Parteien im Sinne von Artikel 6 des Verwal-

331 tungsverfahrensgesetzes '> wären trotzdem in der Lage, ihre Interessen zu wahren, weil die Gesuche in geeigneter Weise zu veröffentlichen und öffentlich aufzulegen wären.

212

Ermittlung des Bedarfs

Für die Beurteilung der Frage, ob ein neues Kernkraftwerk nötig ist, sind sowohl der Bedarf wie die Produktion zu untersuchen.

212.1

Bedarf

Die Eidgenössische Kommission für die Gesamtenergiekonzeption kam in ihrem Zwischenbericht vom Mai 1976 u. a. zum Schluss, dass nicht jede, sondern nur die Nachfrage nach Energie zu befriedigen ist, die sich nach Berücksichtigung der Energiesparmöglichkeiten ergibt. Dabei ist vor allem an Sparmassnahmen zu denken, welche die Nutzung der Energie verbessern, ohne dass sich dadurch wesentliche Einschränkungen in den Lebensgewohnheiten ergeben. Dies bedingt allerdings in der Regel Investitionen, die erst eine rationellere Energieverwendung ermöglichen (Isolation bestehender Gebäude, Sanierung von Heizanlagen, Wärmerückgewinnung und Verfahrensänderungen in der Industrie, Wärme-Kraft-Kopplung in Industrie und bei der Elektrizitätsproduktion in den konventionell-thermischen und den Kernkraftwerken u. a. m.). Vor allem mit der Wärme-KraftKopplung können bei nur geringer Einbusse an Elektrizitätsproduktion grosse Wärmemengen für die Raumheizung, die Warmwasserbereitung und für industrielle Prozesse nutzbargemacht werden. Die Energie wird besser genutzt und das Abwärmeproblem entschärft. Die Studien der Kommission zeigen, dass auch im Elektrizitätsbereich wesentliche Einsparungen möglich sind, z. B. durch Gebäudeisolation, rationelle Verwendung von Haushaltgeräten und zurückhaltenden Einsatz von Klimaanlagen. In der Industrie fallen zudem erneut Wärmerückgewinnung, Wärme-Kraft-Kopplung und Verfahrensänderungen in Betracht.

Neben einem sparsamen Energieverbrauch ist zudem eine teilweise Substitution von Erdöl durch andere Energieträger im Sinne einer besseren Diversifikation unserer Energieversorgung unumgänglich. Dies ist übrigens eine der nachdrücklichsten Forderungen, welche die Internationale Energieagentur an ihre Mitgliedstaaten richtet. Sie weist darauf hin, dass bei der zu erwartenden Verbrauchsentwicklung der weltweite Erdölbedarf trotz Sparmassnahmen im Jahre 1985 nicht mehr gedeckt werden kann.

Der Abbau des Erdölanteils an der gesamten Energieversorgung ist auch ein vordringliches Ziel unserer Energiepolitik. Die Substitution ist zudem besonders in " «Als Parteien gelten Personen, deren Rechte oder Pflichten die Verfügung berühren soll, und andere Personen, Organisationen oder Behörden, denen ein Rechtsmittel gegen die Verfügung zusteht.»

332

Agglomerationsgebieten eine dringliche Forderung der Lufthygiene. An einigen Orten in der Schweiz erreicht der Gehalt an Schwefeldioxid und Rauchgasen bei Inversionslagen die Toleranzgrenze. Der Ersatz von Erdöl durch Elektrizität ist vor allem denkbar in industriellen Prozessen (z. B. für die Dampferzeugung), bei der Warmwasserbereitung (Elektroboiler) und der Raumheizung. Besonders zweckmässig ist der Einsatz von Wärmepumpen und Elektroboilern, da er ermöglicht, die im Sommer mit schlechtem Wirkungsgrad arbeitenden sogenannten Kombikessel ausser Betrieb zu setzen.

Für die Substitution von Erdöl können aber auch Erdgas, Kohle, Brennholz und neue Technologien wie Sohnenenergie, Erdwärme und Wärmepumpen vermehrt eingesetzt werden (vgl. Ziff. 121.21). Je nach dem eingeschlagenen Weg sind somit unterschiedliche Elektrizitätsmengen für die Substitution zu berücksichtigen.

Letztlich ist, wegen der demographischen und wirtschaftlichen Entwicklung und weil sich die Verbraucher auch weiterhin mit grösseren und kleineren elektrischen Apparaten ausrüsten werden, auch in Zukunft mit einer «natürlichen» Bedarfssteigerung zu rechnen.

212.2

Elektrizitätsproduktion

Die Produktion der Wasserkraftwerke hängt von der Wasserführung der Flüsse ab. Die Unterschiede zwischen Sommer- und Winterhalbjahr sind erheblich, und die Erfahrung zeigt, dass Mangellagen am ehesten während der Winterhalbjahre zu erwarten sind (vgl. auch vorne Ziff. 121.22). Unterschiedliche hydrologische Verhältnisse in den beiden Halbjahren können zu zusätzlichen Schwankungen in der Elektrizitätsproduktion führen.

Bei thermischen Kraftwerken, insbesondere bei Kernkraftwerken, sind längerdauernde Produktions-Unterbrüche möglich (z. B. beim Wechsel der Brennelemente). Zusätzlich ist bei Kernkraftwerken zu berücksichtigen, dass die Zeitspanne zwischen Planung und Inbetriebnahme sehr gross ist, und dass sie ihre volle Leistung erst nach einer längeren Anlaufzeit von etwa sechs Jahren erreichen.

Weiter ist in Betracht zu ziehen, dass sich schweizerische Elektrizitätsunternehmungen durch Mitfinanzierung ausländischer Kernkraftwerke Bezugsrechte gesichert haben. Im Sinne eines Gegenrechts gestatten wir Lieferungen an ausländische Unternehmungen, die sich an schweizerischen Kraftwerken beteiligen. Diese grenzüberschreitenden Lieferungen sind bei der Ermittlung des Bedarfs zu berücksichtigen. Die Bilanz der Bezugsrechte lautet jedoch zugunsten der Schweiz. Gestützt auf die Mitfinanzierung von Kernkraftwerken in Frankreich wird unser Land von dort eine Leistung von rund 600 Megawatt beziehen können. Die Lieferungen beginnen bereits 1977. Demgegenüber betragen die ausländischen Bezugsrechte gegenüber der Schweiz 440 Megawatt (115 MW bei Leibstadt, 325 MW bei Kaiseraugst). Der Einfuhrüberschuss von 160 Megawatt entspricht ungefähr der halben Produktion des Kernkraftwerks Mühleberg.

333

Einige schweizerische Elektrizitätsunternehmungen haben seit langer Zeit Gebiete im benachbarten Ausland mit Elektrizität zu versorgen.

Für wasserarme Winter und für geplante oder störungsbedingte Betriebsunterbrüche in den Kernkraftwerken ist eine angemessene Produktionsreserve bereitzuhalten. Es ist zu vermeiden, dass wegen eines ungenügenden Angebots an Elektrizität aus Wasser- und Kernkraftwerken auf ölthermische Kraftwerke ausgewichen wird. Dies wäre aus Gründen des Umweltschutzes unerwünscht und würde ausserdem unsere einseitige Abhängigkeit von den Erdölprodukten verstärken.

Die Kraftwerke müssen ihre Produktion auf das Winterhalbjahr ausrichten. Es lässt sich deshalb nicht vermeiden, dass im Sommer Überschüsse entstehen, die exportiert werden müssen.

212.3

Einsetzung einer Energiewirtschaftskommission

Wir sehen vor, nach Abschluss der Arbeiten der Eidgenössischen Kommission für die Gesamtenergiekonzeption eine besondere Energiewirtschaftskommission einzusetzen, die u. a. die Bedarfsentwicklung laufend neu zu schätzen hätte.

213

Radioaktive Abfälle

Der Entwurf, welcher in die Vernehmlassung geschickt wurde, enthielt noch keine Regelung der Beseitigung radioaktiver Abfälle. Abgesehen davon, dass in vereinzelten Vernehmlassungen eine ausdrückliche gesetzliche Regelung dieser Frage gefordert wurde, ist die Abfallbeseitigung in jüngster Zeit zu einem zentralen Punkt in der Diskussion um die Kernenergie geworden. Eine sofortige, wirkungsvolle gesetzliche Regelung der Materie ist deshalb unumgänglich. Wir verweisen im übrigen auf unsere Ausführungen unter Ziffer 121.3.

214

Übergangsregelung

214.1

Der Expertenvorschlag

214.11 Der Expertenentwurf, der ins Vernehmlassungsverfahren gegeben wurde, sah vor, dass die Werke, die über eine Standortbewilligung, aber noch über keine Baubewilligung verfügten, nachträglich eine Rahmenbewilligung einholen mussten (vgl.

dazu und über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens Ziff. 122.33 und 132.4).

214.12 Eine verfassungsrechtliche oder aus dem Atomgesetz abzuleitende Entschädigungspflicht des Bundes in Fällen, wo dem über eine Standortbewilligung verfü-

334

genden Unternehmen die Rahmenbewilligung nachträglich nicht erteilt würde, ist nach Auffassung der Expertenkommission kaum wahrscheinlich (vgl.

Ziff. 122.33).

Es ist aber zu beachten, dass gestützt auf erteilte Standortbewilligungen und im Vertrauen auf die ihnen nach bisherigem Recht zukommende Bedeutung erhebliche Beträge in Projekte investiert worden sind und weiter investiert werden.

Wird für die Werke Kaiseraugst, Graben und Verbois die Rahmenbewüligung nur mit grosser zeitlicher Verzögerung oder überhaupt nicht erteilt, können die finanziellen Verluste der betroffenen Gesellschaften gesamthaft mehrere hundert Millionen Franken erreichen. Dazu käme wahrscheinlich der Verlust von Arbeitsplätzen insbesondere bei der Zulieferindustrie. Diese Schäden müssten auf irgendeine Weise gedeckt werden. Würde der Bund durch einen Entscheid des Bundesgerichts dazu verpflichtet, so müsste er die Entschädigung mit Steuergeldern bezahlen. Ginge eine Kernkraftwerkgesellschaft in Konkurs, so wären die Geldgeber (Aktionäre, Obligationäre, Darleiher), die Zulieferindustrie usw. die Leidtragenden. Wären die Aktionäre, zumeist Elektrizitätsunternehmen, bereit, die Verluste zu übernehmen, so müssten sie diese durch Strompreiserhöhungen decken.

In jedem Fall hätten letztlich die Konsumenten und Steuerzahler die Verluste zu tragen.

214.2 214.21

Die beantragte Übergangsregelung

Die Abbildungen zu Ziffer 121.223 zeigen folgendes: Werden die Werke Gösgen, Leibstadt, Kaiseraugst und Graben in der vorausgesetzten Kadenz in Betrieb genommen, so sind vor Beginn der neunziger Jahre Mangellagen in der Elektrizitätsversorgung eigentlich nur zu erwarten, wenn die maximale Substitution von Erdöl durch Elektrizität verwirklicht wird und - zusätzlich - das jeweils grösste im Betrieb stehende Kernkraftwerk ausfällt.

Lässt sich die angestrebte Substitution von Erdöl durch Elektrizität nicht im gewünschten Mass verwirklichen, so wird in der Schweiz selbst bei schlechten Voraussetzungen in der Produktion bis in die zweite Hälfte der neunziger Jahre auch im Winterhalbjahr zu viel Strom erzeugt werden.

214.22 In Ziffer 22 unserer Botschaft zur Volksinitiative «Zur Wahrung der Volksrechte und der Sicherheit beim Bau und Betrieb von Atomanlagen» haben wir ausgeführt, dass die Nutzung der Kernenergie unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit und des Strahlenschutzes zulässig und verantwortbar ist. Trotzdem drängt sich die Frage auf, ob es sich verantworten lässt, weitere Werke zu bauen, solange die von ihnen erzeugte Energie nicht unbedingt benötigt wird. Wird diese Frage verneint, so muss man sich bewusst sein, dass man damit unter besonders ungünsti-

335

gen Umständen vorübergehende Engpässe in der Versorgung mit elektrischer Energie in Kauf nimmt.

214.23 Nach Abwägung aller Gesichtspunkte sind wir zum Schluss gelangt, dass der Bevölkerung solche kurzfristige Engpässe bei der Versorgung mit elektrischer Energie schlimmstenfalls zugemutet werden dürfen. Wir beantragen Ihnen daher, auch diejenige Werke, die zwar über eine Standortbewilligung, nicht aber über eine Baubewilligung des Bundes verfügen, der Rahmenbewilligungspflicht zu unterstellen. Allerdings soll im Verfahren für die Erteilung der Rahmenbewilligung nur noch geprüft werden, ob an der von diesen Werken erzeugten Energie im Inland voraussichtlich ein hinreichender Bedarf bestehen wird. Es handelt sich somit um ein beschränktes Rahmenbewilligungsverfahren. Von dieser Regelung würden die Werke Kaiseraugst, Graben und Verbois betroffen.

214.3

Entschädigungspflicht

Wie bereits ausgeführt (vgl. Ziff. 214.12), können den für die Werke Kaiseraugst, Graben und Verbois zuständigen Gesellschaften Verluste entstehen, wenn die Baubewilligung nicht oder nur mit grosser zeitlicher Verzögerung erteilt wird. Ob dies eine Entschädigungspflicht des Bundes zur Folge hätte, steht nicht eindeutig fest.

Wir verzichten hier auf ausführliche Erörterungen über die Tragweite der Standortbewilligung und über die Abgrenzung zwischen entschädigungsloser Eigentumsbeschränkung und materieller Enteignung. Über beide Fragen besteht rechtlich keine eindeutige Klarheit. Dies zu klären, wäre Sache des Bundesgerichtes, sofern sich der Gesetzgeber einer Regelung enthält.

215

Abschreibung von parlamentarischen Vorstössen und Standesinitiativen

Die Begehren der in der Einleitung (Ziff. 11 und 12) aufgeführten parlamentarischen Vorstösse und Standesinitiativen werden durch die von uns vorgeschlagene Ergänzung des Atomgesetzes nur zum Teil verwirklicht. Die übrigen Begehren sind im Rahmen der laufenden Totalrevision des Gesetzes zu behandeln. Wir können deshalb die Abschreibung dieser Vorstösse heute noch nicht beantragen.

22

Die einzelnen Bestimmungen des Entwurfs

Wir erläutern hier die einzelnen Bestimmungen des Entwurfs nur noch soweit, als wir dies nicht bereits in den vorangehenden Ausführungen getan haben.

336

221

Titel und Ingress

Der Bundesbeschluss bildet eine befristete Ergänzung zum Atomgesetz. Er hebt keine Bestimmungen dieses Gesetzes auf, sondern stellt zusätzliche Vorschriften auf. Für rechtsetzende befristete Erlasse ist nach Artikel 6 des Geschäftsverkehrsgesetzes (SR 171.11) die Rechtsform des allgemeinverbindlichen Bundesbeschlusses zu wählen.

Aus Artikel 6 Absatz 2 des Entwurfs geht hervor, dass beim Bau und Betrieb von Atomanlagen auch der Umweltschutz, Natur- und Heimatschutz und die Raumplanung zu beachten sind. Der Ingress nennt deshalb als verfassungsmäßige Grundlage des Bundesbeschlusses neben Artikel 24<)uin
222

1. Abschnitt: Rahmenbewilligung

222.1

Artikel l (Gegenstand, Zuständigkeit, Inhalt und Tragweite)

Artikel l führt als neues Rechtsinstitut die «Rahmenbewilligung» ein. Er umschreibt ihren Gegenstand, den Inhalt und die Tragweite und nennt die für die Bewilligung zuständige Behörde.

Was unter den Begriff «Atomanlagen» fällt, ergibt sich aus Artikel l Absatz 2 des Atomgesetzes: «Einrichtungen zur Erzeugung von Atomenergie oder zur Gewinnung, Aufbereitung, Lagerung oder Unschädlichmachung von radioaktiven Kernbrennstoffen und Rückständen».

Die Rahmenbewilligung legt den Standort der geplanten Anlage und in den Grundzügen das Projekt fest. Allerdings muss hier Raum für eine gewisse Flexibilität bleiben; bessere Lösungen, die sich erst bei der Detailprojektierung ergeben, müssen sich verwirklichen lassen.

Dem Gesuchsteller steht es frei, Gesuche für mehr als nur ein Reaktorsystem einzureichen. Die Rahmenbewilligung kann sich entsprechend auf mehrere Systeme beziehen, dies müsste jedoch ausdrücklich festgehalten werden, nötigenfalls indem die Rahmenbewilligung in mehrere Bewilligungen aufgeteilt würde.

Mit der Rahmenbewilligung werden die grundsätzlichen allenfalls politisch umstrittenen Fragen (z. B. Bedarf) entschieden. Sie ist eine Voraussetzung für die weiteren Bewilligungen, die vorwiegend technischer Natur sind, nämlich der Baubewilligung (die in Teilbaubewilligungen aufgegliedert werden kann), der Inbetriebnahme- und der Betriebsbewilligung. Die entsprechenden Gesuche werden nach wie vor nach dem geltenden Atomgesetz begutachtet und erteilt werden. Wir behalten uns, wie gesagt, vor, gewisse Kompetenzdelegationen an das Eidgenössische Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement und das Amt für Energiewirtschaft rückgängig zu machen.

337

Es ginge zu weit, Atomanlagen zu Forschungszwecken generell von der Rahmenbewilligungspflicht auszunehmen. Für solche Anlagen sollen ebenfalls der Bedarfsnachweis erbracht werden müssen und Einwendungen dagegen möglich sein.

Ob für Anlagen eidgenössischer Anstalten und Institute zu Forschungs- und Lehrzwecken eine Rahmenbewilligung erforderlich ist, hängt von den für diese Anstalten und Institute geltenden Vorschriften ab. Das Eidgenössische Institut für Reaktorforschung, nationales Forschungszentrum auf dem Gebiete der Kernenergie, ist eine unselbständige Anstalt ohne eigene Rechtspersönlichkeit und benötigt keine Rahmenbewilligung.

Zu Absatz 4: Nach Artikel 22iuater Absatz 3 der Bundesverfassung (BV) muss der Bund bei der Erfüllung seiner Aufgaben die Erfordernisse der Landes-, Regionalund Ortsplanung berücksichtigen. Diese Verfassungsbestimmung hat ihre Parallele in der von Artikel 24sexies Absatz 2 BV über den Natur- und Heimatschutz.

Auch ohne weitere Konkretisierung auf Gesetzesebene sind diese Bestimmungen sowohl für die Bundesbehörden als auch für den Gesetzgeber verbindlich. Wenn daher der Bund, gestützt auf seine Gesetzgebungshoheit aus Artikel 24iuinillics BV, es unternimmt, das Bewilligungsverfahren für Atomanlagen insbesondere auch hinsichtlich deren Standort zu überprüfen und neu zu ordnen, so muss er dabei nach Artikel 22c'uater Absatz 3 BV den Erfordernissen der Landes-, Regional- und Ortsplanung Rechnung tragen. Der Raumplanung ist mithin im Rahmen der Ergänzung des Atomgesetzes zwingend Geltung zu verschaffen, soweit sie tatsächlich der zweckmässigen Nutzung des Bodens und der geordneten Besiedlung des Landes dient. Analog zu andern Beispielen baurechtlicher Plangenehmigung in Spezialgesetzen des Bundes (z. B. Eisenbahngesetz, Art. 18, bes. Abs. 2-4 [SR 742.101], Rohrleitungsgesetz, Art. 23 [SR 746.1]) sollte die Prüfung und Entscheidung der Frage, ob sich das Bauprojekt mit den normalerweise von den kantonalen Behörden zu wahrenden andern öffentlichen Interessen verträgt, einer einzigen Stelle, nämlich der nach Bundesrecht zuständigen Bewilligungsbehörde übertragen werden. Das ist bei Fragen der Raumplanung durchaus möglich, weil dem Bund nach Artikel 22iuater Absatz l BV ohnehin die Kompetenz zusteht, «auf dem Wege der Gesetzgebung Grundsätze ... für eine durch die Kantone
zu schaffende, der zweckmässigen Nutzung des Bodens und der geordneten Besiedlung des Landes dienende Raumplanung» aufzustellen und als der Standort einer Atomanlage in erster Linie Probleme der nuklearen Sicherheit und des Umweltschutzes aufwirft, Fragen aus Sachgebieten also, für deren Ordnung der Bund' umfassende Gesetzgebungshoheiten hat. Schliesslich wäre es nicht zu verantworten, wenn die in die Zuständigkeit des Bundesrates gelegte, grundlegende Rahmenbewilligung durch einen späteren kantonalen oder kommunalen Entscheid wieder in Frage gestellt werden könnte. Das Bundesrecht muss daher, um den Anforderungen der Rechtssicherheit im Sinne von Orientierungs- und Durchsetzungsgewissheit für die Betroffenen zu genügen, die Rahmenbewilligung grundsätzlich so regeln, dass der Entscheid des Bundesrates auch für Kantone und Gemeinden verbindlich ist.

338

222.2

Artikel 2 (Befristung)

Weil die Rahmenbewilligung vom Bedarfsnachweis abhängig ist, müssen mit ihr auch Fristen für die Gesuche um die weiteren Bewilligungen (Bau- oder Teilbau-, Inbetriebnahme-, Betriebsbewilligung) sowie für den Bau und die Inbetriebnahme nach Erteilung der betreffenden Bewilligungen gesetzt werden. Wird eine der Fristen - die aus zureichenden Gründen erstreckt werden können - nicht eingehalten, soll die Rahmenbewilligung dahinfallen, damit gegebenenfalls für ein anderes Projekt die Rahmenbewilligung erteilt werden kann, um den nachgewiesenen Bedarf zu decken.

222.3

Artikel 3 (Voraussetzungen)

Im bisherigen Verfahren für die Erteilung der Standortbewilligung, welche die Praxis als erste Voraussetzung zur Baubewilligung eingeführt hat, wird im wesentlichen geprüft, ob die vorgesehene Anlage am geplanten Standort so gebaut und betrieben werden kann, dass der Schutz von Menschen, fremden Sachen und wichtigen Rechtsgütern gewährleistet ist. Insbesondere ist nach geltendem Recht nicht zu prüfen, ob die neue Anlage für unsere Energieversorgung erforderlich ist. Artikel 3 Absatz l Buchstabe b des Entwurfs führt nun für die Rahmenbewilligung die Bedingung des Bedarfsnachweises ein.

Sind die Voraussetzungen nach Artikel 3 Absatz l erfüllt, so besteht ein Rechtsanspruch auf die Rahmenbewilligung. Dabei sind jedoch auch die Anliegen des Umweltschutzes, des Natur- und Heimatschutzes und der Raumplanung zu berücksichtigen (vgl. Erläuterungen zu Art. l Abs. 4). Dies ist eine aus der Verfassung fliessende Verpflichtung. Sie ergibt sich auch aus Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe a des Beschlussesentwurfs, wonach diese Anliegen als «wichtige Rechtsgüter» im Sinne von Artikel 5 Absatz l des Atomgesetzes gelten ; ist es zu ihrem Schutz nötig, so ist nach Absatz l die Rahmenbewilligung zu verweigern oder von der Erfüllung geeigneter Bedingungen oder Auflagen abhängig zu machen.

Dadurch erhält die Rahmenbewilligung einen weit umfassenderen Inhalt als die bisherige Standortbewilligung.

Absatz 2 stellt die nötigen Nationalitätsvorschriften auf, um zu verhindern, dass ausländisch beherrschten Gesellschaften eine Rahmenbewilligung erteilt werden muss, wenn die Voraussetzungen nach Absatz l erfüllt sind.

Nach Absatz 3 kann die Rahmenbewilligung von einer kombinierten Erzeugung von Wärme und Elektrizität (Wärme-Kraft-Kopplung) abhängig gemacht werden. Diese Technik ermöglicht eine wesentlich bessere Ausnützung des Brennstoffs als die blosse Stromproduktion allein, und die Lieferung von Wärme aus Kernkraftwerken für die Fernheizung oder für industrielle Prozesse erlaubt eine entsprechende Einsparung von Heizöl und führt damit zu einer Verminderung der Luftverschmutzung. Natürlich soll die Wärme-Kraft-Kopplung wirtschaftlich sein.

339

222.4

Artikel 4 (Einreichung und Inhalt des Gesuches)

Das Gesuch als solches soll in möglichst knapper Form gehalten sein, damit es sich für die in Artikel 5 Absatz l des Entwurfs vorgesehene Veröffentlichung im Bundesblatt eignet. Zu begründen ist es in Beilagen, die öffentlich aufgelegt werden.

222.5

Artikel 5 (Veröffentlichung des Gesuches, Auflegen der Unterlagen, Einwendungen)

In Absatz l ist absichtlich offen gelassen, wo die Gesuche und Unterlagen aufgelegt werden. Nur so ist es möglich, dem Einzelfall Rechnung zu tragen. Sicher wird eine Auflage stattfinden in unmittelbarer Nähe des Standorts, bei der Verwaltung der «Standortgemeinde» oder der des «Standortbezirks». Wir sehen ausserdem vor, Gesuch und Unterlagen bei der Verwaltung derjenigen Kantone aufzulegen, die vom Alarmsystem des geplanten Kernkraftwerkes erfasst werden (vgl. Ziff. 24 unserer Botschaft vom 24. August 1977 über die Volksinitiative «zur Wahrung der Volksrechte und der Sicherheit beim Bau und Betrieb von Atomanlagen»).

Absatz 2 sieht vor, dass jedermann gegen die Erteilung der Rahmenbewilligung Einwendungen erheben kann. Der Expertenentwurf, der in die Vernehmlassung ging, wollte dieses Recht nur den «Betroffenen» zugestehen. Dieser Begriff wurde vielerorts als zu unbestimmt empfunden. Eine genaue Umschreibung erweist sich als schwierig. Sollen darunter die vom normalen Betrieb der Anlage Betroffenen verstanden werden oder jene, die von einer - höchst unwahrscheinlichen - Kernkraftwerk-Katastrophe betroffen sein könnten? Und warum sollen begründete Einwände, die von Leuten ausserhalb des Kreises der Betroffenen vorgebracht werden, nicht entgegengenommen und geprüft werden müssen?

Der Bundesrat wird natürlich nicht jede einzelne Eingabe gesondert behandeln und beantworten können, sondern er wird zu den vorgebrachten Einwendungen, die sich zweifellos in Gruppen zusammenfassen lassen werden, Stellung nehmen.

Der Verzicht darauf, die Legitimation zu Einwendungen räumlich einzuschränken, verursacht daher keinen unzumutbaren Mehraufwand, gibt aber anderseits allen durch das Projekt Beunruhigten Gewähr, sich Gehör verschaffen zu können. Auch die Expertenkommission war deshalb zur Ansicht gelangt, dass es eigentlich jedermann ermöglicht werden sollte, Einwendungen zu erheben. Wir schliessen uns dieser Auffassung an. Unter «jedermann» sind auch Personenvereinigungen ohne Rechtspersönlichkeit und andere Organisationen zu verstehen.

Eine Parteistellung im Bewilligungsverfahren kommt aber demjenigen, der Einwendungen erhebt, nicht zu. Das vorgesehene Verfahren führt also auch nicht zur sogenannten Popularbeschwerde oder Popularklage, die seinerzeit bei der Einführung des Bundesgesetzes über das Verwaltungsverfahren
(SR 172.021) und der Revision des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege (SR 173.110) ausdrücklich ausgeschlossen wurden (vgl. dazu unsere Botschaft vom

340

24. Sept. 1965 über den Ausbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Bunde; BB1 1965 II 1265 ff., bes. 1318ff.).

Die Frist von 90 Tagen für die Einwendungen mag lang erscheinen. Eine gründliche und ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Gesuch und den umfangreichen Beilagen ist aber innert kürzerer Frist kaum möglich. Mit der Prüfung des Gesuchs durch die Sachverständigen kann'trotzdem vor Ablauf dieser 90 Tage begonnen werden; ihre Prüfung nimmt ohnehin längere Zeit in Anspruch. Die Einwendungen brauchen nicht von Anfang an vorzuliegen; sie können auch später noch dienlich sein, z.B.. dadurch, dass sie die Sachverständigen veranlassen, zu prüfen, ob sie alle vorgebrachten Gesichtspunkte abgeklärt haben.

222.6

Artikel 6 (Vernehmlassungen und Gutachten)

222.61

Anhörung der Kantone und Gemeinden

Wird jedermann zu Einwendungen berechtigt, so muss folgerichtig auch allen Kantonen die Möglichkeit geboten werden, sich vernehmen zu lassen. Insbesondere die Einführung des Bedarfsnachweises für die Rahmenbewilligung kann zur Folge haben, dass auch entfernte Kantone den Wunsch haben, sich zu äussern, denn massgeblich ist der gesamtschweizerische Bedarf. Es würde aber zu weit führen, wenn die Kantone auch alle ihre Gemeinden anhören müssten. Hier genügt eine Beschränkung auf die interessierten Gemeinden, d. h. auf die Gemeinden, die Stellung nehmen wollen. Anderseits haben auch diejenigen Kantone, die selbst vom Recht der Vernehmlassung keinen Gebrauch machen, allfällige Meinungsäusserungen ihrer interessierten Gemeinden dem Bundesrat zur Kenntnis zu bringen. Es ist zu beachten, dass weder den Kantonen noch den Gemeinden vorgeschrieben wird, wie ihre Stellungnahmen zustande kommen sollen.

222.62

Anhörung der zuständigen Fachstellen des Bundes

Wie bis anhin im Standortbewilligungsverfahren, so wird auch vor dem Entscheid über die Rahmenbewilligung allen irgendwie interessierten Bundesstellen Gelegenheit gegeben werden, zum Gesuch Stellung zu nehmen. Es sind dies voraussichtlich: Direktion für Völkerrecht, Gesundheitsamt, Amt für Umweltschutz, Bundesamt für Zivilschutz, Delegierter für Raumplanung, Direktion der Militärverwaltung, Handelsabteilung, Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit, Delegierter für Konjunkturfragen, Delegierter für wirtschaftliche Kriegsvorsorge, Amt für Wasserwirtschaft, Amt für Energiewirtschaft.

222.63

Einzuholende Gutachten

Für die nach Artikel 6 Absatz 2 zu erstattenden Gutachten bestehen folgende Organe :

341

a. Beurteilung der «nuklearen» Sicherheit: Eidgenössische Kommission für die Sicherheit von Atomanlagen und die Abteilung für die Sicherheit der Kernanlagen des Amtes für Energiewirtschaft; b. Beurteilung vorsorglicher Massnahmen unter den Gesichtspunkten der Umweltradioaktivität und des Schutzes der Bevölkerung: Eidgenössische Kommission zur Überwachung der Radioaktivität und deren Alarmausschuss ; c. Beurteilung der Auswirkungen unter den Gesichtspunkten des Umweltschutzes und des Gewässerschutzes: Eidgenössische Kühlturmkommission und die in ihr vertretenen eidgenössischen Ämter, Anstalten und Institute sowie die Eidgenössische Kommission Meteorologie für das schweizerische Gebiet Hochrhein/Oberrhein; d. Beurteilung des Projekts unter den Gesichtspunkten des Natur- und Heimatschutzes : Eidgenössische Natur- und Heimatschutzkommission und die Abteilung Natur- und Heimatschutz des Oberforstinspektorates ; e. Beurteilung des Bedarfs: Eidgenössische Kommission für die Gesamtenergiekonzeption, die nach Beendigung ihres Mandates durch eine Energiewirtschaftskommission in der die interessierten Kreise vertreten sind, abgelöst werden soll.

222.7

Artikel 7 (Veröffentlichung der Vernehmlassungen und Gutachten, zweite Frist für Einwendungen)

Im Vernehmlassungsverfahren haben verschiedene Stellen grossen Wert darauf gelegt, dass sich der Bürger auch zu den Gutachten der Sachverständigen äussern könne. Es wäre tatsächlich stossend, wenn der Bürger sich zwar zum Gesuch äussern, sich aber mit den Schlussfolgerungen der Gutachten nicht auseinandersetzen dürfte. Wir erinnern daran, dass die während der Auflage des Gesuches erhobenen Einwendungen den Experten nicht zuletzt dazu dienen sollen, zu prüfen, ob sie auch die vorgebrachten Gesichtspunkte abgeklärt haben. Selbst wenn es dort nicht darum geht, jedes einzelne Argument jeder einzelnen Eingabe zu diskutieren, so soll doch der Einwender die Möglichkeit haben, festzustellen, ob die Experten den vorgebrachten Fragenkreis überhaupt behandelt haben. Ist dies seines Erachtens nicht, unrichtig oder ungenügend geschehen, dann soll er seine Anliegen nochmals anbringen dürfen. Das Recht, während dieser zweiten Frist Einwendungen zu erheben, ist nicht auf diejenigen beschränkt, die schon anlässlich der Gesuchsauflage Einwendungen erhoben haben.

Den Kantonen und interessierten Gemeinden (vgl. Ziff. 222.61) steht ebenfalls erneut das Recht zu, Einwendungen zu erheben. Auch jetzt sollen die Gemeinden durch die Kantone angehört werden. Die Meinungsäusserungen der Gemeinden sind dem Bundesrat mit ihrem vollen Wortlaut zur Kenntnis zu bringen. Die

342

Kantone dürfen deshalb die Meinungsäusserungen ihrer interessierten Gemeinden nicht in einem zusammenfassenden Bericht an den Bundesrat weiterleiten.

Die Verfasser der Vernehmlassungen und Gutachten, deren Schlussfolgerungen beanstandet werden, erhalten abschliessend eine angemessene Frist zur Stellungnahme zuhanden des Bundesrates.

222.8

Artikel 8 (Entscheid durch den Bundesrat)

Keine Bemerkungen.

222.9

Artikel 9 (Ergänzende Verfahrensvorschriften)

Der Bundesrat wird sich beim Erlass weiterer Verfahrensvorschriften an das Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren anlehnen. Er muss aber wegen der Besonderheit der Materie hievon abweichen können und wird dabei Artikel 4 jenes Gesetzes1) berücksichtigen müssen.

223

2. Abschnitt: Radioaktive Abfälle (Art. 10)

Wir verweisen auf die Ausführungen in Ziffer 121.3 und 213. Artikel 10 lässt bewusst offen, wie die radioaktiven Abfälle zu beseitigen sind. Im Vordergrund steht zur Zeit die Endlagerung in geologischen Formationen ; die technische und wissenschaftliche Entwicklung soll jedoch nicht behindert werden, weshalb der Text auch andere Arten der Beseitigung zulässt. Auch die Frage, ob die Beseitigung im In- oder im Ausland zu erfolgen hat, ist bewusst nicht geregelt; beide Möglichkeiten stehen offen.

224

3. Abschnitt: Schlussbestimmmungen

224.1

Artikel 11 (Übergangsrecht)

Die Werke Kaiseraugst, Graben und Verbois bedürfen einer beschränkten Rahmenbewilligung, welche die erteilten Standortbewilligungen nicht antastet. Es wird vielmehr zwischen das abgeschlossene Verfahren für die Standortbewilligung und das nach bisherigem Recht daran anschliessende Verfahren für die Baubewilligung des Bundes das nach Artikel 1-9 des Entwurfs vorgesehene Rahmenbe-

" «Bestimmungen des Bundesrechts, die ein Verfahren eingehender regeln, finden Anwendung, soweit sie den Bestimmungen dieses Gesetzes nicht widersprechen».

343

willigungsverfahren eingeschoben. Dieses zusätzliche Verfahren ist auf die Frage des Bedarfsnachweises beschränkt. Dadurch wird die bisherige Rechtswirkung der Standortbewilligung etwas eingeschränkt, aber nicht im Sinne einer Wiedererwägung oder eines Widerrufes, sondern im Sinne eines neuen, zusätzlichen Erfordernisses für die Erteilung der Baubewilligung des Bundes. Ein allfälliger Widerruf der Standortbewilligungen und die sich daraus unter Umständen ergebende Entschädigungspflicht des Bundes richten sich unverändert nach dem bisher geltenden Recht (Art. 9 Abs. 2 und 5 des Atomgesetzes). Aus diesem Grund ist auch das Eidgenössische Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement als für einen allfälligen Widerruf der Standortbewilligung zuständig bezeichnet, also diejenige Instanz, welche seinerzeit diese Standortbewilligungen erteilt hat. Ein Widerrufsentscheid dieses Departements könnte an den Bundesrat weitergezogen werden.

Im übrigen verweisen wir auf unsere Ausführungen unter Ziffer 214.

224.2

Artikel 12 (Referendum, Inkrafttreten und Geltungsdauer)

Der Beschluss wird auf den 3I.Dezember 1983 befristet. Spätestens bis dahin dürfte die Totalrevision des Atomgesetzes durchgeführt sein. Wir sehen davon ab, einen dringlichen Bundesbeschluss vorzuschlagen. Der Beschluss sollte aber möglichst bald, spätestens auf Anfang 1979 in Kraft treten können.

3

Finanzielle und personelle Auswirkungen

31

Finanzielle Auswirkungen für Bund, Kantone und Gemeinden

Die dem Amt für Energiewirtschaft im Zusammenhang mit dem Bewilligungsverfahren und der Aufsicht über die Kernkraftwerke entstehenden Kosten werden seit jeher den Gesuchstellern und Bewilligungsinhabern auferlegt. Auch durch die neue Aufgabe, gemäss Artikel 10 für die sichere Beseitigung der radioaktiven Abfälle zu sorgen, erwachsen dem Bund keine zusätzlichen Kosten, da die Erzeuger der Abfalle die Kosten tragen müssen.

Den Kantonen und Gemeinden dürften keine ins Gewicht fallenden finanziellen Belastungen erwachsen.

32

Personelle Auswirkungen

Die Durchführung des Verfahrens, die Prüfung der zu erwartenden Einwendungen und die Ausarbeitung des Antrags an den Bundesrat werden eine Mehrbelastung verschiedener Dienststellen des Amtes für Energiewirtschaft zur Folge haben. Im Hinblick auf eine möglichst zügige Abwicklung des Verfahrens und mit Rücksicht auf den ohnehin zu knappen Personalbestand des Amtes im allgemeinen und der betroffenen Stellen im besonderen wird eine gewisse Personalvermehrung um schätzungsweise zwei bis drei Beamte nicht zu umgehen sein.

344

33

Belastung der Kantone und Gemeinden durch den Vollzug

Für die Kantone und Gemeinden sind aus dem Vollzug keine wesentlichen Änderungen zu erwarten.

4

Verfassungsmässigkeit

Artikel 31 der Bundesverfassung gewährleistet die Handels- und Gewerbefreiheit nur, «soweit sie nicht durch die Bundesverfassung und die auf ihr beruhende Gesetzgebung eingeschränkt ist». Die Ausführung des Atomenergieartikels 24quinquies darf nach herrschender Auffassung von der Handels- und Gewerbefreiheit abweichen. Die bundesrätlichen Botschaften zum Verfassungsartikel über die Atomenergie (BB1 1957 I 1157) und zum Bundesgesetz über die Atomenergie (BB1 1958 II 1526) brachten das wie folgt zum Ausdruck: «Indem die Gesetzgebung auf dem Gebiet der Atomenergie zur Bundessache erklärt wird, stehen dem Gesetzgeber sämtliche Möglichkeiten offen...». Als grundsätzlich denkbare Lösungen wurden damals erwähnt: Staatsmonopol, Konzessionssystem, wirtschaftspolitische Bewilligungspflicht, blosses polizeiliches Aufsichtsrecht. Die vorgeschlagene Revision mit der Einführung des Bedarfsnachweises ist nicht wirtschaftspolitisch, sondern durch die Sorge um die allgemeine Sicherheit begründet.

Aber auch wenn darin ein Eingriff in die Handels- und Gewerbefreiheit gesehen würde, so wäre dieser durch Artikel 24iuiniuies der Bundesverfassung gedeckt.

5525

345

Parlamentarische Vorstösse und Initiativen

Anhang

Texte der parlamentarischen Vorstösse, der Standesinitiativen der Kantone Aargau, Basel-Landschaft und Basel-Stadt sowie der Volksinitiative «zur Wahrung der Volksrechte und der Sicherheit beim Bau und Betrieb von Atomanlagen».

I

Parlamentarische Vorstösse (chronologisch)

11268 Postulat Rothen vom 17. März 1972 betreffend Atomkraftwerke, vom Nationalrat am l I.Dezember 1972 überwiesen: Atomkraftwerke sind nach übereinstimmender Auffassung der Fachleute praktisch die einzige in Frage kommende Möglichkeit, um die künftige Zunahme des Stromverbrauchs der Schweiz zu decken. Ihr Bau stösst aber auf wachsende Schwierigkeiten.

Nach der heutigen "Rechtsordnung sind für den Bau von Atomkraftwerken Bewilligungen sowohl des Bundes als auch des Kantons und der Gemeinde erforderlich. Jedem neuen Atomkraftwerk kommt gesamtschweizerische Bedeutung zu. Der Entscheid sollte deshalb in die Hand der Landesregierung gelegt werden, wobei die Kantone und Gemeinden ihre Interessen im Vernehmlassungsverfahren wahren könnten.

Der Bundesrat wird daher ersucht, Bericht und Antrag darüber zu erstatten, ob das Bundesgesetz über die friedliche Verwendung der Atomenergie und den Strahlenschutz nicht in dem Sinne zu revidieren sei, dass Bau und Betrieb von Atomkraftwerken, mit Einschluss der erforderlichen Einrichtungen zur Abführung der Abwärme, der eidgenössischen Konzessionspflicht unterstellt werden.

I I 338 Postulat Rasser vom 5. Juni 1972 betreffend gesamtschweizerische Energiekonzeption. Dieser als Motion eingereichte Vorstoss wurde vom Nationalrat am l I.Dezember 1972 in nachstehender Form eines Postulates überwiesen: Der Bundesrat wird eingeladen zu prüfen, ob nicht eine gesamtschweizerische Energiekonzeption auszuarbeiten, die Standorte der projektierten Kraftwerke im Zusammenhang mit der Raumplanung, dem Umweltschutz und der biologischen Forschung festzulegen und sofort die erforderlichen gesetzlichen Grundlagen zu schaffen seien, welche verhindern, dass neue Atomkraftwerke in Betrieb genommen werden können, bevor die entsprechende Gesamtgesetzgebung in Kraft getreten ist.

12140 Postulat Ziegler-Genf vom 4. Oktober 1974 betreffend radioaktive Abfälle/ Transport und Lagerung, vom Nationalrat am 19.März 1976 überwiesen: Die radioaktiven Abfälle der Kernkraftwerke sind für die Bevölkerung eine grosse Gefahr, und zwar noch mehrere hundert Jahre nach ihrer Ablagerung.

Nach den neuesten Informationen können die radioaktiven Abfälle der schweizerischen Reaktoren nicht mehr in den Salinen der Bretagne gelagert werden. Die Ablagerung der schweizerischen Abfälle in der Nordsee ist fragwürdig geworden; pazifistische und ökologische Kreise Hollands versuchen, die Transporte durch Strassensperren zu verhindern.

346

Der Bundesrat denkt zur Zeit an eine Lagerung der radioaktiven Abfalle in Höhlen der Alpen und des Juras.

In einem kleinen Land wie dem unsrigen, das keine zugänglichen unbewohnten Gegenden hat, stellt die Lagerung radioaktiver Abfälle - welche Lösung man auch wählt - fast unlösbare Probleme.

Bevor der Bundesrat die Lagerstellen in den geologischen Schichten der Alpen oder des Juras bestimmt, wird er ersucht: 1. das Verfahren des Versenkens der Abfalle in besondere unterirdische Lagerstätten zu prüfen, die in Zusammenarbeit mit andern europäischen Staaten gebaut werden könnten; 2. zu prüfen, inwieweit der Bund die Behandlung der radioaktiven Abfalle selbst (durch die Schaffung eines besonderen Dienstes, der mit der Beförderung, der Überwachung und der Lagerung beauftragt ist) sicherstellen kann.

75.408 Postulat der Sozialdemokratischen Fraktion vom 17. Juni 1975 betreffend Revision des Atomgesetzes. Dieser als Motion eingereichte Vorstoss wurde vom Nationalrat am 24. Juni 1976 in nachstehender Form eines Postulates überwiesen: Die Ereignisse um das geplante Kernkraftwerk Kaiseraugst haben erkennen lassen, dass das Atomenergiegesetz aus dem Jahre 1959 verschiedene Mängel aufweist, die so rasch wie möglich durch Gesetzesänderung behoben werden sollten. Der Bundesrat wird daher eingeladen zu prüfen, ob es nicht angezeigt wäre, die Revision des Atomenergiegesetzes so rasch wie möglich anhand zu nehmen und folgende Zielvorstellungen zu beachten: 1. Es sind Vorkehren zu treffen zur Steuerung des Energiebedarfes und zur Erschliessung neuer Energiequellen.

2. Es ist eine gesamtschweizerische Standortplanung für Atomenergieanlagen zu erarbeiten unter Einbezug benachbarter ausländischer Anlagen.

3. Atomkraftwerke sind nur nach Massgabe des mutmasslichen Energiebedarfs zu bewilligen.

4. Das Mitspracherecht der Region ist im Rahmen des Bewilligungsverfahrens zu gewährleisten.

5. Es ist eine klare Kompetenzausscheidung zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden im Zusammenhang mit der Bewilligung von Atomenergieanlagen und Energieanlagen zu schaffen.

6. Es ist ein förmliches Auflageverfahren im Sinne des Bau- und Enteignungsrechtes einzuführen.

7. Es ist eine unbeschränkte Haft- und Versicherungspflicht der Anlageinhaber zu statuieren.

8. Den Anlageinhabern sind die Kosten aus dem Verkehr mit Brennstoffen (inkl. Aufbewahrung der ausgebrannten Brennelemente-Atommüll) aufzuerlegen.

9. Es sind Regeln über die Behandlung ausgedienter Anlagen aufzustellen.

10. Alles gegebenenfalls auch durch Ergänzung von Artikel 24
75.430 Postulat der Fraktion des Landesrings der Unabhängigen vom 20. Juni 1975 betreffend Änderung des Atomgesetzes. Dieser als Motion eingereichte Vorstoss wurde vom Nationalrat am 24. Juni 1976 in nachstehender Form eines Postulates überwiesen:

347

Der Bundesrat wird eingeladen zu prüfen, ob es nicht angezeigt wäre, das Gesetz vom 23. Dezember 1959 über die friedliche Verwendung der Atomenergie und den Strahlenschutz (Atomgesetz) raschmöglichst nach folgenden Gesichtspunkten zu ändern und dem Parlament Bericht und Antrag zu stellen: 1. Der Bau und die Erweiterung von Atomkraftwerken sowie von Anlagen zur Lagerung radioaktiver Kernbrennstoffe und Rückstände sind konzessionspfiichtig.

2. Zuständig für die Konzessionserteilung ist die Bundesversammlung.

3. Die Konzession darf nur erteilt werden, wenn der Schutz von Mensch und Umwelt, insbesondere für den Katastrophenfall, vollumfänglich sichergestellt ist.

4. Die Mitwirkungsrechte nicht nur der Standortgemeinde und der angrenzenden Gemeinden, sondern auch der Bevölkerung der betroffenen Region müssen bei der Konzessionierung gewährleistet sein.

5. Durch das Atomgesetz muss ferner eine gesamtschweizerisch konzipierte und mit den angrenzenden Nachbarstaaten abgestimmte Standortplanung für Kernkraftwerke gewährleistet werden.

76.388 Motion Morf vom 22. Juni 1976 betreffend Atomunfälle / Deckungssumme, vom Nationalrat am 29. September 1976 und vom Ständerat am 30. November 1976 überwiesen: Der Bundesrat wird beauftragt, dem Parlament eine Revision des Bundesgesetzes über die friedliche Nutzung der Atomenergie und den Strahlenschutz (23. 12. 59) vorzulegen, und zwar nach folgenden Gesichtspunkten: 1. Die Deckungssumme für allfällige Schäden - bisher maximal 40 Millionen Franken - ist den heutigen technischen, finanziellen und wirtschaftlichen Gegebenheiten und vor allem auch dem öffentlichen Interesse anzupassen.

2. Die Finanzierung von Spätschäden ist besser zu gewährleisten.

3. Die Frist der Verjährung von Schadenersatzansprüchen ist zu verlängern.

76.228 Parlamentarische Initiative Meizoz vom I.Dezember 1976 betreffend Kernkraftwerke / Baumoratorium, vom Nationalrat noch nicht behandelt: Gestützt auf Artikel 21sexies des Geschäftsverkehrsgesetzes schlägt der Unterzeichnete dem Nationalrat vor, im Sinne von Artikel 89bis der Bundesverfassung einen allgemeinverbindlichen Bundesbeschluss zu erarbeiten, der jede Standortbewilligung und jede Baubewilligung für Atomkraftwerke bis zum 31. Dezember 1981 ausschliesst.

2

Standesinitiativen

Von drei Kantonen sind der Bundesversammlung Standesinitiativen im Sinne von Artikel 93 Absatz 2 der Bundesverfassung eingereicht worden, die unter anderem eine Änderung des Atomgesetzes zum Ziel haben.

11 671 Standesinitiative des Kantons Aargau vom 27. März 1973, von beiden gesetzgebenden Räten dem Bundesrat mit Beschluss vom 4. Juni 1973 zum Bericht überwiesen. Sie hat folgenden Wortlaut:

348

Gestützt auf das den Kantonen aufgrund von Artikel 93 Absatz 2 der Bundesverfassung zustehende Initiativrecht unterbreitet der Grosse Rat des Kantons Aargau dem Bund die Begehren: 1. Das Bundesgesetz über die friedliche Verwendung der Atomenergie und den Strahlenschutz vom 23. Dezember 1959 sei in dem Sinne abzuändern, dass die Bewilligungsverfahren für Kernkraftwerke Sache des Bundes werden.

2. Es sei eine Standortkonzeption betreffend Kernkraftwerke in der Schweiz zu erstellen.

3. Den Kantonen und den betroffenen Gemeinden sei ein gebührendes Mitspracherecht einzuräumen.

4. Der Bund wird eingeladen, mit den angrenzenden Staaten über den Standort von Atomkraftwerken in den Grenzgebieten Verhandlungen zu führen und für eine gegenseitige Abstimmung der Planung zu sorgen.

11 877 Standesinitiative des Kantons Basel-Landschaf t vom 21. Januar 1974, von beiden gesetzgebenden Räten mit Beschluss vom 29. Januar 1974 dem Bundesrat zum Bericht überwiesen. Sie hat folgenden Wortlaut: Gestützt auf das den Kantonen aufgrund von Artikel 93 Absatz 2 der Bundesverfassung zustehende Initiativrecht unterbreitet der Landrat des Kantons Basel-Landschaft dem Bund die Begehren: 1. Das Bundesgesetz über die friedliche Verwendung der Atomenergie und den Strahlenschutz vom 23. Dezember 1959 sei in dem Sinne abzuändern, dass die Bewilligungsverfahren für Kernkraftwerke Sache des Bundes werden; dabei sei den Standort- und Nachbarkantonen ein Mitspracherecht einzuräumen.

2. Es sei eine umfassende Standortplanung für die Erstellung von Kernkraftwerken in der Schweiz zu erarbeiten, die sich auf ein Gesamtenergiekonzept stützt und den Grenzen der Belastbarkeit unserer Umwelt Rechnung trägt.

12 018 Standesinitiative des Kantons Basel-Stadt vom 29. März 1974, von beiden gesetzgebenden Räten mit Beschluss vom 10. Juni 1974, dem Bundesrat zum Bericht überwiesen. Sie hat folgenden Wortlaut: Gestützt auf das den Kantonen aufgrund von Artikel 93 Absatz 2 der Bundesverfassung zustehende Initiativrecht unterbreitet der Grosse Rat des Kantons Basel-Stadt dem Bund die folgenden Begehren: 1. Es sei von den zuständigen Bundesbehörden ein Gesamtenergiekonzept zu erarbeiten, das auch neue Energiequellen miteinbezieht. Für die allfällige Erstellung von Kernkraftwerken sei eine umfassende Standortplanung vorzusehen. Dabei sei den Grenzen
der Belastbarkeit der Umwelt und den Belangen der Raumordnung und Landesplanung Rechnung zu tragen. Bewilligungen für die Erstellung und den Betrieb von Kernkraftwerken seien solange auszustellen, bis die genannten Bedingungen erfüllt sind.

2. Das Bundesgesetz über die friedliche Verwendung der Atomenergie und den Strahlenschutz vom 23. Dezember 1959 sei in dem Sinne abzuändern, dass die Bewilligungsverfahren für Kernkraftwerke Sache des Bundes werden. Den Stimmberechtigten derjenigen Gemeinden und Kantone, in deren Bereich eine Kernkraftwerkanlage geplant ist, sei zur Standortfrage vor Erteilung der Bewilligung ein Mitspracherecht einzu-

349 Der Bund wird eingeladen, mit den angrenzenden Staaten über den Standort von Kernkraftwerken in den Grenzgebieten Verhandlungen zu führen und für eine gegenseitige Abstimmung der Planung, unter Berücksichtigung der Umweltbelastbarkeit, zu sorgen.

3

Volksinitiative

Am 20. Mai 1976 ist eine mit 123 779 gültigen Unterschriften versehene Volksinitiative «zur Wahrung der Volksrechte und der Sicherheit beim Bau und Betrieb von Atomanlagen» mit folgendem Wortlaut eingereicht worden: Artikel 24iuin£iuies der Bundesverfassung wird durch folgende neue Absätze ergänzt: Art. 24i"'"i"'es Abs. 3-9 BV (neu) 3 Atomkraftwerke und Anlagen zur Gewinnung, Aufbereitung oder Lagerung von radioaktiven Kernbrennstoffen und Rückständen, nachstehend Atomanlagen genannt, bedürfen einer Konzession, ebenso Erweiterungen bestehender Anlagen. Für Atomkraftwerke beträgt die Konzessionsdauer höchstens 25 Jahre; eine Verlängerung ist mit einem neuen Verfahren möglich.

4 Zuständig für die Erteilung der Konzession ist die Bundesversammlung.

Voraussetzung für eine Erteilung ist die Zustimmung der Stimmberechtigten von Standortgemeinde und angrenzenden Gemeinden zusammen, sowie der Stimmberechtigten jedes einzelnen Kantons, dessen Gebiet nicht mehr als 30 km von der Atomanlage entfernt liegt.

5 Eine Atomanlage darf nur konzessioniert werden, wenn der Schutz von Mensch und Umwelt und die Bewachung des Standortes bis zur Beseitigung aller Gefahrenquellen gewährleistet sind. Die Massnahmen zum Schutz der Bevölkerung, insbesondere für den Katastrophenfall, müssen mindestens sechs Monate vor der ersten Abstimmung öffentlich bekannt gemacht werden.

6 Wenn der Schutz von Mensch und Umwelt es verlangt, muss die Bundesversammlung die einstweilige oder endgültige Stillegung oder Aufhebung der Atomanlage ohne Entschädigungsfolge verfügen.

7 Der Inhaber der Konzession haftet für jeden Schaden, der seine Ursache in Betrieb oder, Beseitigung der Anlage, in dafür bestimmten Kernbrennstoffen oder daraus stammenden radioaktiven Abfällen hat. Ebenso haftet derjenige, der Kernbrennstoffe oder radioaktive Abfälle transportiert, für jeden dabei entstehenden Schaden, Die Forderungen der Geschädigten gegenüber dem Haftpflichtigen und der Versicherung verjähren nicht früher als neunzig Jahre nach Eintritt des schädigenden Ereignisses. Der Gesetzgeber sorgt mit Vorschriften über die obligatorische Haftpflichtversicherung für genügende Dekkung der Ansprüche aller Geschädigten. Ebenso errichtet er einen Fonds, an welchen die Versicherungspflichtigen Beiträge zur Abgeltung allenfalls nicht gedeckter Kosten entrichten.
8 Bei Atomanlagen im in- und ausländischen Grenzgebiet setzt sich der Bund dafür ein, dass der Schutz von Mensch und Umwelt beidseits der Landesgrenze gewährleistet wird.

9 Beschwerdeberechtigt wegen Verletzung dieser Verfassungsbestimmungen und deren Ausführungserlassen sind auch die gemäss Absatz 4 mitwirkenden Gemeinden und Kantone.

350 Übergangsbestimmung Für bereits bestehende Atomanlagen ist das Konzessionsverfahren nachzuholen, wobei für diejenigen, die am I.Juni 1975 im Bau oder Betrieb sind, die Zustimmung der Stimmberechtigten von Gemeinden und Kantonen gemäss Absatz 4 nicht erforderlich ist. Kann die Konzession innert dreier Jahre nicht erteilt werden, so ist die Anlage stillzulegen.

351

Bundesbeschluss zum Atomgesetz

Entwurf

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf die Artikel 22iuater, 24iuiniuies, 24sexies und 24sePties der Bundesverfassung, nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 24. August 1977", beschliesst:

I.Abschnitt: Rahmenbewilligung Art. l

Gegenstand, Zuständigkeit, Inhalt und Tragweite

1

Wer eine Atomanlage im Sinne von Artikel l Absatz 2 des Bundesgesetzes vom 23. Dezember 19592) über die friedliche Verwendung der Atomenergie und den Strahlenschutz (Atomgesetz) erstellen will, braucht dazu eine Rahmenbewilligung des Bundesrates. Für die Erstellung von Anlagen eidgenössischer Anstalten und Institute zu Forschungs- und Lehrzwecken finden die für diese Anstalten und Institute geltenden Vorschriften Anwendung.

2 Die Rahmenbewilligung ist eine Voraussetzung für die Erteilung der Bau- und der Betriebsbewilligungen nach Artikel 4 Absatz l Buchstabe a des Atomgesetzes.

3

Sie legt fest: a. den Standort; b. das Projekt in seinen Grundzügen : 1. bei Kernreaktoren insbesondere das Reaktorsystem, die Leistungsklasse, das Hauptkühlsystem sowie die ungefähre Grosse und Gestaltung der wichtigsten Bauten; 2. bei Lagern für radioaktive Abfälle insbesondere die Lagerkapazität, die Abfallkategorien sowie die ungefähre Gestaltung der unter- und oberirdischen Bauten.

4

Die Rahmenbewilligung bindet auch die Kantone und Gemeinden.

» BEI 1977 III 293 2> SR 732.0

352

Art. 2 Befristung 1 Die Rahmenbewilligung wird befristet.

2 Wird die Projektverwirklichung durch vom Berechtigten nicht zu vertretende Umstände verzögert, so kann die gesetzte Frist erstreckt werden.

Art. 3 Voraussetzungen 1 Die Rahmenbewilligung ist zu verweigern oder von der Erfüllung geeigneter Bedingungen oder Auflagen abhängig zu machen, wenn a. die in Artikel 5 Absatz l des Atomgesetzes genannten Anliegen es erfordern; b. an der Anlage oder an der Energie, die in der Anlage erzeugt werden soll, im Inland voraussichtlich kein hinreichender Bedarf bestehen wird. Bei der Ermittlung des Bedarfs ist dem Ersatz von Erdöl durch Kernenergie Rechnung zu tragen.

2 Die Rahmenbewilligung wird nur Schweizerbürgern mit Wohnsitz in der Schweiz erteilt, sowie juristischen Personen des schweizerischen Rechts mit Sitz in der Schweiz, die eindeutig schweizerisch beherrscht sind.

3 Die Rahmenbewilligung kann davon abhängig gemacht werden, dass der Inhaber eine zweckmässige Nutzung der erzeugten Wärme ermöglicht.

Art. 4 Einreichung und Inhalt des Gesuches 1 Das Gesuch ist schriftlich der Bundeskanzlei einzureichen.

2 Es hat die für die Erteilung der Rahmenbewilligung erforderlichen Angaben zu enthalten. Die zu seiner Begründung dienenden Unterlagen sind beizulegen.

Art. 5

Veröffentlichung des Gesuches, Auflegen der Unterlagen, Einwendungen 1 Der Bundesrat veröffentlicht das Gesuch im Bundesblatt und legt die Unterlagen in geeigneter Weise öffentlich auf.

2 Jedermann kann innert 90 Tagen seit der Veröffentlichung bei der Bundeskanzlei schriftlich Einwendungen gegen eine Erteilung der Rahmenbewilligung erheben. Wer von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, erwirbt dadurch nicht die Stellung einer Partei im Bewilligungsverfahren.

3 Die Einwendungen müssen ein begründetes Begehren enthalten; verfügbare Beweismittel sind beizulegen, nicht verfügbare näher zu bezeichnen. Alle Einwendungen müssen vom Einwendenden oder seinem Vertreter unterzeichnet sein.

Art. 6 Vernehmlassungen und Gutachten 1 Der Bundesrat holt von den Kantonen und den zuständigen Fachstellen des Bundes Vernehmlassungen ein. Er setzt dafür eine angemessene Frist an. Die Kantone haben auch die Meinungsäusserungen von interessierten Gemeinden einzuholen und sie in ihren Vernehmlassungen wiederzugeben.

353 2

3

Der Bundesrat holt Gutachten ein. Diese beurteilen insbesondere: a. den Schutz von Menschen, fremden Sachen und wichtigen Rechtsgütern einschliesslich der Anliegen des Umweltschutzes, des Natur- und Heimatschutzes sowie der Raumplanung; b. den Bedarf nach Artikel 3 Absatz l Buchstabe b; c. die eingereichten Einwendungen und Vernehmlassungen.

Die Kosten der Gutachten trägt in der Regel der Gesuchsteller.

Art. 7

Veröffentlichung der Vernehmlassungen und Gutachten, zweite Frist für Einwendungen 1 Der Bundesrat veröffentlicht die Schlussfolgerungen der eingegangenen Vernehmlassungen und Gutachten im Bundesblatt. Mit Ausnahme derjenigen Teile, für die im Sinne von Artikel 27 Absatz l des Bundesgesetzes über das Verwaltungsverfahren" Geheimhaltungsgründe bestehen, legt er die Vernehmlassungen und Gutachten in geeigneter Weise zur allgemeinen Einsichtnahme auf.

2 Innert 90 Tagen seit der Veröffentlichung kann jedermann schriftlich bei der Bundeskanzlei Einwendungen gegen die Schlussfolgerungen der Vernehmlassungen und Gutachten erheben. Das gleiche Recht steht den Kantonen und den interessierten Gemeinden zu. Wer von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, erwirbt dadurch nicht die Stellung einer Partei im Bewilligungsverfahren.

3 Die Einwendungen haben die genaue Beanstandung der Schlussfolgerungen zu enthalten, und sind zu begründen; verfügbare Beweismittel müssen beigelegt, nicht verfügbare näher bezeichnet werden. Alle Einwendungen müssen vom Einwendenden oder seinem Vertreter unterzeichnet sein.

4 Der Bundesrat lädt die Kantone, Bundesstellen oder Sachverständigen, gegen deren Schlussfolgerungen sich die Einwendungen richten, zur Stellungnahme ein.

Er setzt dafür eine angemessene Frist an.

Art. 8 Entscheid durch den Bundesrat Der Bundesrat prüft das Gesuch sowie die eingegangenen Vernehmlassungen, Gutachten, Einwendungen und Stellungnahmen und trifft seinen Entscheid.

Art. 9 Ergänzende Verfahrensvorschriften 1 Der Bundesrat ordnet die weiteren Einzelheiten des Verfahrens.

2 Der Bundesrat kann seine Zuständigkeiten nach Artikels Absatz l, Artikel 6 Absätze l und 2 sowie Artikel 7 Absätze l und 4 an das Eidgenössische Verkehrsund Energiewirtschaftsdepartement delegieren.

» SR 172.021

354

2. Abschnitt: Radioaktive Abfalle

Art. 10 1 Wer radioaktive Abfälle erzeugt, hat auf eigene Kosten für deren sichere Beseitigung zu sorgen; vorbehalten bleibt das Recht des Bundes, die radioaktiven Abfalle auf Kosten der Erzeuger selbst zu beseitigen.

2 Der Bundesrat regelt die Einzelheiten; er kann nötigenfalls das Enteignungsrecht an Dritte übertragen.

3. Abschnitt: Schlussbestimmungen Art. 11 Übergangsrecht 1 Atomanlagen, die im Betrieb stehen oder für die eine Baubewilligung nach dem Atomgesetz erteilt worden ist, bedürfen keiner Rahmenbewilligung mehr.

2 Bei Atomanlagen, für die eine Standortbewilligung, aber noch keine Baubewilligung besteht, wird im Verfahren für die Erteilung der Rahmenbewilligung nur noch geprüft, ob an der Energie, die in der Anlage erzeugt werden soll, im Inland voraussichtlich ein hinreichender Bedarf bestehen wird; bei der Ermittlung des Bedarfs ist dem Ersatz von Erdöl durch Kernenergie Rechnung zu tragen. Ein Widerruf der Standortbewilligung ist nur nach Massgabe von Artikel 9 des Atomgesetzes zulässig; er ist durch das Eidgenössische Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement zu verfügen. Anordnungen nach Artikel 8 des Atomgesetzes bleiben vorbehalten.

Art. 12 Referendum, Inkrafttreten und Geltungsdauer 1 Dieser Beschluss ist allgemeinverbindlich ; er untersteht dem fakultativen Referendum.

2 Der Bundesrat bestimmt das Inkrafttreten.

3 Dieser Beschluss gilt bis zum Inkrafttreten eines neuen Atomgesetzes, längstens jedoch bis zum 3I.Dezember 1983.

5525

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Botschaft über die Ergänzung des Atomgesetzes vom 24. August 1977

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1977

Année Anno Band

3

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44

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31.10.1977

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