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Botschaft 77.067 über die Gewährleistung der geänderten Verfassungen der Kantone Bern, Solothurn, Schaffhausen, Appenzell-Ausserrhoden und Graubünden # S T #

vom 3. Oktober 1977

Frau Nationalratspräsidentin, Herr Ständeratsprä'sident, sehr geehrte Damen und Herren, Wir unterbreiten Ihnen den Entwurf zu einem Bundesbeschluss über die Gewährleistung der geänderten Verfassungen der Kantone Bern, Solothurn, Schaffhausen, Appenzell-Ausserrhoden und Graubünden mit dem Antrag auf Zustimmung.

Wir versichern Sie, Frau Präsidentin, Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen'Hochachtung.

3. Oktober 1977

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Purgier Der Bundeskanzler: Huber

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Übersicht Nach Artikel 6 Absatz l der Bundesverfassung sind die Kantone verpflichtet, für ihre Verfassung die Gewährleistung des Bundes nachzusuchen. Nach Absatz 2 des gleichen Artikels gewährleistet der Bund kantonale Verfassungen, wenn sie weder die Bundesverfassung noch das übrige Bundesrecht verletzen, die Ausübung der politischen Rechte in republikanischen Formen sichern, vom Volk angenommen worden sind und revidiert werden können, sofern die absolute Mehrheit der Bürger es verlangt. Erfüllt eine kantonale Verfassungsnorm diese Voraussetzungen, so muss sie gewährleistet werden; erfüllt eine kantonale Verfassungsnorm eine oder mehrere dieser Voraussetzungen nicht, so darf sie nicht gewährleistet werden.

Die vorliegenden Verfassungsänderungen haben zum Gegenstand: - im Kanton Bern: Verfassungsgrundlagefür den Kanton Bern in seinen neuen Grenzen; - im Kanton Solothurn: Erhöhung der Unterschriftenzahlen für Initiative und Referendum ; Gerichtsorganisation; - im Kanton Schaffhausen: Stellungnahme bei Aufnahmen von Strossen ins Nationalstrassennetz ; - im Kanton Appenzell-Ausserrhoden: Einbürgerung, Bürgergemeinden ; - im Kanton Graubünden: Anpassung des Steuerrechts an die Massnahmen des Bundes zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Rezession.

Alle Änderungen entsprechen dem Artikel 6 Absatz 2 der Bundesverfassung, weshalb sie zu gewährleisten sind.

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Botschaft

I

Die einzelnen Revisionen

II

Verfassung des Kantons Bern

In der Volksabstimmung vom 5. Dezember 1976 haben die Stimmberechtigten des Kantons Bern mit 200 600 Ja gegen 62 597 Nein eine Verfassungsgrundlage für den Kanton Bern in seinen neuen Grenzen angenommen. Mit Schreiben vom 13. April 1977 ersucht der Berner Regierungsrat um Erteilung der eidgenössischen Gewährleistung.

Verfassungsgrundlage für den Kanton Bern in seinen neuen Grenzen Neuer Text 1. Für kantonale Angelegenheiten, welche ausschliesslich die Zeit nach der Abtrennung der Amtsbezirke Delsberg, Freiberge und Pruntrut betreffen, ist stimmberechtigt, wer im Gebiet wohnhaft ist, das nach der Trennung beim Kanton Bern verbleibt. Im übrigen gilt Artikel 3 der Staatsverfassung.

2. Der Grosse Rat verhandelt und beschliesst in Angelegenheiten, welche ausschliesslich die Zeit nach der Trennung betreffen, in den ihm nach der Staatsverfassung zustehenden Verrichtungen ohne die Mitglieder der Wahlkreise Delsberg, Freiberge und Pruntrut.

3. Im übrigen gelten die Bestimmungen der Staatsverfassung vom 4. Juni 1893 mit den seitherigen Änderungen.

4. Diese Bestimmungen treten mit ihrer Annahme durch das Volk in Kraft.

In den gemäss dem Zusatz zur Staatsverfassung des Kantons Bern vom l. März 1970 hinsichtlich des jurassischen Landesteils am 23. Juni 1974, 16. März 1975, 7.

und 14. September 1975 sowie am 19. Oktober 1975 durchgeführten Volksabstimmungen hat der nördliche Teil des Juras beschlossen, einen neuen Kanton zu bilden.

Dieser neue Kanton wird sich auf den Zeitpunkt seiner Entstehung, d. h. der Aufnahme seines staatlichen Wirkens, zusätzlich zur bereits beschlossenen Verfassung auch die nötigen Gesetze sowie eine Regierungs-, Verwaltungs- und Gerichtsorganisation zu geben haben.

Der Kanton Bern in seinen neuen Grenzen muss seine Staatsorganisation und Rechtsgrundlagen auf den Zeitpunkt der Abtrennung des zukünftigen Kantons hin ebenfalls anpassen. In der bis dahin verbleibenden Zeit müssen alle diesbezüglichen Entscheidungen auf verfassungsrechtlich einwandfreie Weise vorbereitet und getroffen werden. Deshalb bestimmt die Verfassungsgrundlage für den Kanton Bern in seinen neuen Grenzen in einem ersten Schritt die Organe, das Verfahren und die Zuständigkeit für diese Vorbereitungsarbeiten. Sämtliche Beschlüsse,

460 die gemäss der Verfassungsgrundlage getroffen werden, treten erst auf den Zeitpunkt der Kantonsteilung in Kraft. Dieser Zeitpunkt fallt mit der Inkraftsetzung der gegebenenfalls geänderten Artikel l und 80 der Bundesverfassung zusammen.

Für Abstimmungsgegenstände, die für den ganzen Kanton gelten und demzufolge schon vor der Kantonsteilung in Kraft treten, bleibt die derzeitige Staatsverfassung massgebend. Sie gilt somit gleichzeitig mit der neuen Verfassungsgrundlage.

Diese befasst sich ausschliesslich mit dem der Trennung folgenden Rechtszustand : Sie schafft einen vorläufigen Verfassungszustand, aufgrund dessen die Entscheidungen getroffen und Beschlüsse gefasst werden, die für die .Zeit nach der Trennung bestimmt sind. Die Verfassungsgrundlage bildet einen folgerichtigen Schritt auf dem Weg, den der erwähnte Zusatz zur Staatsverfassung vorzeichnet und den die Bundesversammlung mit Gewährleistungsbeschluss vom 7. Oktober 1970 gebilligt hat. Die vorgesehene Regelung des S'timmrechts entspricht dem Artikel 43 der Bundesverfassung ;im übrigen bewegt sich die Verfassungsgrundlage im Rahmen der kantonalen Organisationsautonomie und enthält nichts, was dem Bundesrecht zuwiderläuft. Die eidgenössische Gewährleistung ist deshalb zu erteilen.

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Verfassung des Kantons Solothurn t;

In der Volksabstimmung vom 13. März 1977 haben die Stimmberechtigten des Kantons Solothurn mit 34 898 Ja gegen 22 445 Nein der Änderung der Artikel 18 Absatz 3, 19 Absatz 2, 25, 36, 76 Absatz l und 80bis Absatz 2, sowie mit 29 538 Ja gegen 26 833 Nein der Änderung der Artikel 31 Ziffer 14 Buchstaben a und c und 43 Absatz 2 ihrer Kantonsverfassung zugestimmt. Mit Schreiben vom 18. März 1977 ersucht der Solothurner Regierungsrat um Erteilung der eidgenössischen Gewährleistung.

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Erhöhung der Unterschriftenzahlen für Initiative und Referendum

Der bisherige und der neue Text lauten: Bisheriger Text Art. 18 Abs. 3 3 Der Volksentscheid muss stattfinden, wenn 2000 Stimmberechtigte oder eine Anzahl von Gemeindeversammlungen, an denen wenigstens 2000 Stimmberechtigte dafür gestimmt haben, ein solches Begehren stellen und der Kantonsrat demselben nicht entspricht.

Art. 19 Abs. 2 2

Wenn wenigstens 2000 Stimmberechtigte ein solches Begehren stellen, hat der Regierungsrat unverzüglich die Volksabstimmung darüber anzuordnen.

461 Art. 25

'

Das Volk kann jederzeit den Kantonsrat abberufen. Auf Begehren von wenigstens 4000 Stimmberechtigten hat innerhalb vier Wochen, von der Einreichung der Unterschriften an gerechnet, die daherige Volksabstimmung stattzufinden (Art. 6).

Art. 36 Das Volk kann jederzeit den Regierungsrat abberufen. Auf das Begehren von wenigstens 4000 Stimmberechtigten findet innerhalb vier Wochen von der Einreichung der Unterschriften an die daherige Volksabstimmung statt.

Art. 76 Abs. l 1

Die Revision der Verfassung durch einen Verfassungsrat findet statt, wenn auf das mittelst Unterschrift oder durch Stimmgebung in Gemeindeversammlungen gestellte Verlangen von wenigstens 3000 Stimmberechtigten oder auf den Antrag des Kantonsrates die Mehrheit der Stimmenden die Vornahme einer Revision beschliesst.

Art. 80«s Abs. 2 2

Die Initiative bezweckt den Erlass, die Aufhebung oder Abänderung bestimmter Artikel der Staatsverfassung. Dieselbe muss von wenigstens 3000 Stimmberechtigten ausgehen, welche sich entweder durch Unterschrift oder Stimmabgabe in Gemeindeversammlungen dafür aussprechen.

Neuer Text

Art. 18 Abs. 3 3 Der Volksentscheid muss stattfinden, wenn 3000 Stimmberechtigte oder eine Anzahl von Gemeindeversammlungen, an denen wenigstens 3000 Stimmberechtigte dafür gestimmt haben, ein solches Begehren stellen und der Kantonsrat diesem nicht entspricht.

Art. 19 Abs. 2 2 Wenn wenigstens 4000 Stimmberechtigte ein solches Begehren stellen, hat der Regierungsrat unverzüglich die Volksabstimmung darüber anzuordnen.

Art. 25 Das Volk kann jederzeit den Kantonsrat abberufen. Auf das Begehren von wenigstens 8000 Stimmberechtigten hat innerhalb von 8 Wochen, von der Einreichung der Unterschriften an gerechnet, die Volksabstimmung stattzufinden (Art. 6).

Art. 36 Das Volk kann jederzeit den Regierungsrat abberufen. Auf das Begehren von wenigstens 8000 Stimmberechtigten hat innerhalb von 8 Wochen, von der Einreichung der Unterschriften an gerechnet, die Volksabstimmung stattzufinden.

Art. 76 Abs. l ' · i Die Revision der Verfassung durch einen Verfassungsrat findet statt, wenn es 6000 Stimmberechtigte durch Unterschrift oder Stimmabgabe in Gemeindeversammlungen oder der Kantonsrat beantragen, und wenn die Mehrheit der Stimmenden die Vornahme der Revision beschliesst.

462 Art. 80bis Abs. 2 2

Die Initiative bezweckt den Erlass, die Aufhebung oder Änderung bestimmter Artikel der Kantonsverfassung. Sie muss von wenigstens 4000 Stimmberechtigten ausgehen, die sich unterschriftlich oder durch Stimmabgabe in Gemeindeversammlungen dafür aussprechen.

Artikel 18 der Verfassung regelt ein - inhaltlich als Volksinitiative ausgestaltetes fakultatives Referendum. Nach altem Text konnten 2000 Stimmberechtigte unterschriftlich oder durch Stimmabgabe in Gemeindeversammlungen den Erlass, die Aufhebung oder Änderung eines Gesetzes oder, im Rahmen der staatsrechtlichen Ordnung, eines Beschlusses des Kantonsrates verlangen. Durch die Revision wurde die Zahl der erforderlichen Unterschriften oder Stimmen auf 3000 heraufgesetzt.

In Artikel 19 ist das Recht, eine sogenannte Standesinitiative zu erheben - das Vorschlagsrecht der Kantone in Bundesangelegenheiten (Art. 86, 89, 89bis und 93 BV) -, enthalten. Die erforderliche Anzahl Unterschriften wurde von 2000 auf 4000 angehoben.

Mit der Revision der Artikel 25 und 36 wurde die Zahl der Unterschriften für das Begehren auf Abberufung des Kantons- oder Regierungsrates von 4000 auf 8000 erhöht und die Frist für die Volksabstimmung aus praktischen Gründen - die vier Wochen erwiesen sich regelmässig als zu kurz - von vier auf acht Wochen verlängert.

Nach Artikel 76 konnten bisher 3000 Stimmberechtigte die Totalrevision der Verfassung verlangen; künftig werden es 6000 sein.

Artikel 80bis regelt die Teilrevision der Verfassung. Die hiefür notwendige Anzahl Unterschriften oder Stimmen wurde von 3000 auf 4000 erhöht.

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Gerichtsorganisation

Der bisherige und der neue Text lauten: Bisheriger Text, Art. 31 Ziff. 14 Bst. a und c (14. Der Kantonsrat wählt:) a. die Mitglieder und Ersatzrichter des Obergerichtes und des Kassationsgerichtes, die Mitglieder des Verwaltungsgerichtes, den Präsidenten, die Mitglieder und die Ersatzrichter des Versicherungsgerichtes, den Obmann, seinen Stellvertreter und die Mitglieder der Arbeitsgerichte, den Präsidenten, Vizepräsidenten, die übrigen Mitglieder und Ersatzmänner der Kantonalen Rekurskommission, die Mitglieder des Erziehungsrates, den Staatsschreiber und seinen Stellvertreter; c. den Obergerichtsschreiber, den Staatsanwalt und seinen Stellvertreter, den Jugendanwalt, den Kreiskommandanten, zugleich Departementssekretär des Militär-Departements, den Zeughausverwalter, die Beamten der Bau- und Forstverwaltung mit Ausnahme der Kreisförster, den Chef der kantonalen Finanzverwaltung, die Ver-

463 walter der Anstalt Rosegg, des Kantonsspitals, der Arbeitsanstalt und der Strafanstalt, sämtliche auf Ausschreibung dieser Stellen;

Art. 43 Abs. 2 2 Der Kantonsrat kann für Amteien, in denen sich infolge der Geschäftslast die Notwendigkeit hiezu ergibt, beschliessen, dass zwei Amtsgerichtspräsidenten, zwei Amtsgerichtsstatthalter, achtAmtsrichter und zwei Gerichtsschreiber zu wählen sind. Die Organisation der beiden Abteilungen, insbesondere die Verteilung der Geschäftslast, erfolgt durch ein Reglement des Obergerichtes.

Neuer Text Art. 31 Ziff. 14 Bst. a und c (14. Der Kantonsrat wählt:) a. die Mitglieder und Ersatzrichter des Obergerichtes und des Kassationsgerichtes, die Mitglieder des Verwaltungsgerichtes, den Präsidenten, die Mitglieder und die Ersatzrichter des Versicherungsgerichtes, den Obmann, seinen Stellvertreter und die Mitglieder der Arbeitsgerichte, den Präsidenten, Vizepräsidenten, die übrigen Mitglieder und Ersatzrichter der Kantonalen Rekurskommission, den Präsidenten und die Mitglieder der Kantonalen Schätzungskommissionen, die Mitglieder des Erziehungsrates, den Staatsschreiber und seinen Stellvertreter; c. den Obergerichtsschreiber, den Staatsanwalt und seine Stellvertreter, den ersten und die weiteren Untersuchungsrichter, den Jugendanwalt und seinen Stellvertreter, den Kreiskommandanten, zugleich Departementssekretär des Militär-Departementes, den Zeughausverwalter, die Beamten der Bau- und Forstverwaltung mit Ausnahme der Kreisförster, den Chef der Kantonalen Finanzverwaltung, die Verwalter der Kantonalen Psychiatrischen Klinik, des Kantonsspitals, der Arbeitsanstalt und der Strafanstalt, sämtliche auf Ausschreibung dieser Stellen;

Art. 43 Abs. 2 Der Kantonsrat kann für Amteien, in denen sich infolge der Geschäftslast die Notwendigkeit ergibt, .beschliessen, dass 2 oder mehr Amtsgerichtspräsidenten, 2 'oder mehr Amtsgerichtsstatthalter, 8 Amtsrichter und 2 oder mehr Gerichtsschreiber zu wählen sind. Die Organisation der Abteilungen, insbesondere die Verteilung der Geschäftslast, erfolgt durch ein Reglement des Obergerichts.

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In der Volksabstimmung vom 13. März 1977 wurde das Solothurner Gesetz über die Gerichtsorganisation total revidiert ; das bedingte zwei Änderungen der Kantonsverfassung.

In Artikel 31 Ziffer 14 Buchstabe a war die Wahl des Präsidenten und der Mitglieder der Kantonalen Schätzungskommission und in Buchstabe c die Wahl des Jugendanwalt-Stellvertreters sowie des ersten und der weiteren Untersuchungsrichter durch den Kantonsrat aufzuführen. Bei dieser Gelegenheit wurde in Anpassung an den neuen Sprachgebrauch bei der Kantonalen Rekurskommission das Wort «Ersatzmänner» durch «Ersatzrichter» ersetzt, da ja auch Frauen wählbar sind.

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Die Änderung von Artikel 43 Absatz 2 ermöglicht es, zwei oder mehrere Amtsgerichtspräsidenten und Gerichtsstatthalter sowie zwei oder mehr Gerichtsschreiber zu wählen.

Das Recht, Volksbegehren zu stellen und zu unterstützen, gehört zu den Eigenarten einer demokratischen staatlichen Ordnung. Werden solche Begehren von einer Mindestzahl Stimmberechtigter unterstützt, so muss eine Volksabstimmung darüber stattfinden. Sie soll Auskunft darüber geben, ob die Mehrheit die Ansicht der Initiantén teilt. Die Zahl der Stimmbürger, die ein Begehren stellen und die Durchführung einer Volksabstimmung verlangen können, ist in einem angemessenen Verhältnis zur Gesamtheit der Stimmbürger zu halten. Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe c der Bundesverfassung bestimmt, dass eine Kantonsverfassung geändert werden muss, wenn die «absolute Mehrheit der, Bürger es verlangt».

Die Zunahme der Zahl der Stimmberechtigten - sie hat sich seit 1887 rund verachtfacht - veranlasste den Kanton Solothurn, die Mindestzahlen zu erhöhen.

Das konnte er im Rahmen seiner Organisationsautonomie tun, zumal er dabei die in der Bundesverfassung verankerte Grenze bei weitem nicht überschritt. Die Revision verletzt daher weder die Bundesverfassung noch übriges Bundesrecht; die eidgenössische Gewährleistung ist zu erteilen.

Gleiches gilt für die Neufassung der Grundlagen des Gerichtsorganisationsgesetzes. Auch diese Revision beruht auf der kantonalen Organisationshoheit, hält sich demnach an die Kompetenzäusscheidung zwischen Bund und Kantonen und ist deshalb zu gewährleisten.

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Verfassung des Kantons Schaffhausen

In der Volksabstimmung vom 15. Mai 1977 haben die Stimmberechtigten des Kantons Schaffhausen mit 16 105 Ja gegen 8 786 Nein den Artikel 42 Absatz l Ziffer 4 ihrer Kantonsverfassung geändert. Mit Schreiben vom 17. Mai 1977 ersucht der Schaffhauser Regierungsrat um Erteilung der eidgenössischen Gewährleistung.

Stellungnahme bei Aufnahmen von Strassen ins Nationalstrassennetz Der bisherige und der neue Text lauten: Bisheriger Text Art. 42 Abs. l Ziff. 4 1 Der Volksabstimmung, welche ordentlicherweise im Frühling stattfinden soll, sind zu unterstellen: 4. Schlussnahrnen, welche der Grosse Rat von sich aus zur Abstimmung bringen will.

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Neuer Text Art. 42 Abs. l Ziff. 4 1 Der Volksabstimmung, welche ordentlicherweise im Frühling stattfinden soll, sind zu unterstellen : 4. die Stellungnahme des Kantons Schaffhausen zu Händen des ßundes über die Aufnahme von neuen Nationalstrassen ins Nationalstrassennetz; (5. bisherige Ziff. 4).

Durch Annahme des geänderten Artikels 42 der Schaffhauser Kantonsverfassung ist die Zuständigkeit zur Stellungnahme an den Bund über die Aufnahme von Strassen ins Nationalstrassennetz vom Regierungsrat an die Stimmberechtigten übergegangen. Der Stimmbürger erhält das Recht zur Meinungsäusserung in einer konsultativen Abstimmung zuhanden der Bundesversammlung, die nach Anhören der Kantone die abschliessenden Entscheide im Bereich des Nationalstrassenbaus trifft.

Nach Artikel 10 des Bundesgesetzes vom 8. März 1960 über die Nationalstrassen (SR 725.11) führt das Eidgenössische Amt für Strassen- und Flussbau in Zusammenarbeit mit den interessierten Bundesstellen und Kantonen die Planung der Nationalstrassen durch. Die Planung - so Artikel 9 - hat abzuklären, welche Gebiete eine Verbindung durch Nationalstrassen benötigen und welche allgemeinen Linienführungen und Strassenarten in Betracht fallen. Bevor 1960 das Nationalstrassennetz festgelegt wurde, wurden die Kantone über den Vorschlag der damaligen Planungskommission zur Vernehmlassung eingeladen. Auch bei Netzergänzungen oder bei einer allfalligen Ausklammerung bestimmter Nationalstrassenzüge aus dem Netz werden die betroffenen Kantone um ihre Meinung befragt.

Bundesrechtlich vorgeschrieben sind Stellungnahmen «der Kantone». Wer interkantonal berufen ist, im Namen des Kantons Stellungnahmen abzugeben - ob die Regierung, das Parlament oder die Stimmbürger -, regelt das kantonale Staatsrecht. Die Regelung des Kantons Schaffhausen, durch Artikel 42 Absatz l Ziffer 4 den Entscheid über die kantonale Stellungnahme den Stimmbürgern zuzuweisen, stützt sich auf die bundesrechtlich anerkannte Organisationsautonomie.

Diese Regelung verletzt weder die Bundesverfassung noch übriges Bundesrecht und ist deshalb zu gewährleisten.

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Verfassung des Kantons Appenzell-Ausserrhoden

In der Landsgemeinde vom 24. April 1977 in Hundwil haben die Stimmberechtigten des Kantons Appenzell-Ausserrhoden ihre Kantonsverfassung geändert.

Durch Annahme einer ersten Vorlage wurden Artikel 74 Absatz l durch eine Ziffer la ergänzt, Artikel 76 Absatz 2 gekürzt und dem Artikel 79 Absatz l eine Ziffer 9 angefügt; durch Annahme einer zweiten Vorlage wurde die Kantonsverfas-

466. ; sung um einen neuen Artikel.76bis erweitert. Mit Schreiben vom 26. April 1977 ersucht der appenzell-ausserrhodische Regierungsrat um Erteilung der eidgenössischen Gewährleistung.

Einbürgerung, Bürgergemeinden Der bisherige und der neue Text lauten: Bisheriger Text

Art. 76 Abs. 2 2 Sie (die Bürgergemeinde) entscheidet über Aufnahme neuer Gemeindebürger und über diejenigen Geschäfte, welche ihr durch die Gesetzgebung zugewiesen werden.

Neuer Text Art. 74 Abs. l Ziff. 7a (neu) 1 Die Einwohner-Gemeindeversammlung hat folgende Obliegenheiten und Befugnisse: la. Aufnahme von Ausländern ins Gemeindebürgerrecht.

Art. 76 Abs.2 2 Sie (die Bürgergemeinde) entscheidet über diejenigen Geschäfte, welche ihr durch die Gesetzgebung zugewiesen werden.

Art. 76bis (neu) 1 Die Bürgergemeinden können durch Beschluss der Bürgergemeindeversammlung aufgehoben werden.

2 Mit der Auflösung der Bürgergemeinde tritt die Einwohnergemeinde vollumfänglich in deren Rechte und Pflichten ein.

Art. 79 Abs. l Ziff. 9 (neu) 1 Der Gemeinderat hat folgende Obliegenheiten und Befugnisse: 9. Aufnahme von Schweizerbürgern ins Gemeindebürgerrecht.

Indem die Befugnis, Ausländer einzubürgern, von der Bürger- auf die Einwohnergemeinde übergeht, wird die seit einiger Zeit immer wieder erhobene Forderung erfüllt: dass nicht eine ständig kleiner werdende Minderheit (Gemeindebürger) über die Erteilung des Gemeindebürgerrechts, dessen Auswirkungen von der Einwohnergemeinde zu tragen sind, entscheiden sollte. Diese Kompetenzverschiebung entspricht der steten Entwicklung, dass das Wohnortsprinzip in weiten Bereichen das Heimatprinzip abgelöst hat.

Dass die Einbürgerung von Bürgern anderer Kantone Sache des Gemeinderates wird, bringt eine Erleichterung für die Schweizer; deren Gleichstellung mit den Ausländern war seit langem kritisiert worden.

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Mit der Übertragung der Einbürgerung auf die Einwohnergemeinden haben die Bürgergemeinden eine der wichtigsten ihnen noch verbliebenen Aufgaben verloren. Zwischen dem verständlichen Postulat, die Bürgergemeinden von Verfassungs wegen aufzuheben, und dem ebenso verständlichen Anliegen, Traditionen zu wahren, wählte man eine Mittellösung: die Bürgergemeinde selbst soll über ihren Fortbestand entscheiden; gegebenenfalls übernimmt die Einwohnergemeinde deren Rechte und Pflichten.

Die Verleihung des Kantons- und Gemeindebürgerrechts ist innerhalb hier nicht interessierender bundesrechtlicher Schranken Sache der Kantone. Ob neben Einwohner- auch Bürgergemeinden bestehen sollen, bestimmt der Kanton aufgrund seiner Organisationsautonomie. Die appenzell-ausserrhodische Verfassungsänderung beachtet demnach die Kompetenzausscheidung zwischen Bund und Kantonen und enthält nichts, was dem Bundesrecht zuwiderläuft. Die eidgenössische Gewährleistung ist ihr daher zu erteilen.

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Verfassung des Kantons Graubünden

Am 26. September 1976 haben die Stimmberechtigten des Kantons Graubünden mit 15 558 Ja gegen 13 548 Nein eine'Ergänzung von Artikel 19 ihrer Kantonsverfassung durch einen dritten Absatz angenommen. Mit Schreiben vom 14. April 1977 ersucht die Standeskanzlei Graubünden um Erteilung der eidgenössischen Gewährleistung.

Anpassung des Steuerrechts an die Massnahmen des Bundes zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Rezession Neuer Text Art. 19 Abs. 3 (neu) 3 Stehen grössere Defizite des Kantons im Zusammenhang mit Massnahmen des Bundes zur Förderung einer ausgeglichenen konjunkturellen Entwicklung und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, kann der Grosse Rat vorübergehend auf Steuererhöhungen verzichten.

Artikel 19 Absatz l der Kantonsverfassung überträgt dem Grossen Rat die Überwachung der ganzen Landesverwaltung. Absatz 2 schreibt vor, dass der Grosse Rat jährlich die Staatsrechnung sowie die Jahresrechnungen der Bündner Kantonalbank prüfe, den jährlichen Voranschlag der Einnahmen und Ausgaben des Staatshaushaltes nach Massgabe der bestehenden Gesetze und Beschlüsse sowie die zur Deckung des Ausfalles nötige Steuer aufgrund des jeweiligen Steuergesetzes bestimme. Diese Vorschrift setzt Ausgabenüberschüssen enge Grenzen. Die Massnahmen des Bundes zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Rezession sind jedoch nur wirksam, wenn die Kantone bereit und in der Lage sind, sich

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daran zu beteiligen. Damit diese Bundesmassnahmen durchgeführt werden können, musste Artikel 19 in dem Sinne revidiert werden, dass grössere Ausgabenüberschüsse im Zusammenhang mit Massnahmen des Bundes zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Rezession zulässig sind.

Diese Änderung der Kantonsverfassung bewegt sich innert der Grenzen der kantonalen Finanz- und Organisationsautonomie. Sie verstösst weder gegen die Bundesverfassung noch gegen das übrige Bundesrecht. Die eidgenössische Gewährleistung ist ihr daher zu erteilen.

2

Verfassungsmässigkeit

Der beantragte Beschluss stellt eine Anwendung von Artikel 6 der Bundesverfassung dar, für die nach Artikel 85 Ziffer 7 der Bundesverfassung die Bundesversammlung zuständig ist.

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Bundesbeschluss Entwurf über die Gewährleistung geänderter Kantonsverfassungen

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf Artikel 6 der Bundesverfassung, nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom S.Oktober 1977'), beschliesst :

Art. l Die Gewährleistung des Bundes wird erteilt: 1. Bern der in der Volksabstimmung vom 5. Dezember 1976 angenommenen Verfassungsgrundlage für den Kanton Bern in seinen neuen Grenzen; 2. Solothurn den an der Volksabstimmung, vom 13. März 1977 angenommenen Artikeln 18 Absatz 3, 19 Absatz 2, 25, 36, 76 Absatz l und 80bis Absatz 2 sowie den Artikeln 31 Ziffer 14 Buchstaben a und c und Artikel 43 Absatz 2 der Verfassung; 3. Schaffhausen dem an der Volksabstimmung vom 15. Mai 1977 angenommenen Artikel 42 Absatz l Ziffer 4 der Verfassung ; 4. Appenzell-Ausserrhoden den an der Landsgemeinde vom 24. April 1977 angenommenen Artikeln 74 Absatz l Ziffer la, 76 Absatz 2, 76bls und 79 Absatz l Ziffer 9 der Verfassung; 5. Graubünden dem an der Volksabstimmung vom 26. September 1976 angenommenen Artikel 19 Absatz 3 der Verfassung.

Art. 2

Dieser Beschluss ist nicht allgemeinverbindlich ; er untersteht nicht dem Referendum.

» BB11977 III 457 5599

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft über die Gewährleistung der geänderten Verfassungen der Kantone Bern, Solothurn, Schaffhausen, Appenzell-Ausserrhoden und Graubünden vom 3. Oktober 1977

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1977

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Cahier Numero Geschäftsnummer

77.067

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

07.11.1977

Date Data Seite

457-469

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