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Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung über das Begnadigungsgesuch des Josef Udry, Kavallerierekruten, von Räschweil (Freiburg). T (Vom 12. Oktober 1877.)

Tit.!

Donnerstags den 28. Juni 1877 wurde dem Dragonerrekruten: August Huber von Dottikon, Kantons Aargau, in der Kaserne zu Aarau aus einem Reisesak, den er verschlossen unter seinem Bett verwahrt hatte, Geld entwendet, und zwar nach der Meinung des Bestohlenen Fr. 25. Der Verdacht fiel bald auf Josef Udry, welcher mit dem Bestohlenen im gleichen Zimmer schlief. Huber stellte den Udry darüber zur Rede, und dieser gestand nach einigem Läugnen ein, aus der fraglichen Reisetasche 3 Fünffrankenthaler entwendet zu haben. Er bot dem Bestohlenen Fr. 5 an, wenn er dazu schweige. Der Diebstahl wurde indessen angezeigt, und in der Voruntersuchung wiederholte der Beklagte das schon dem Damnifikaten gegenüber gemachte Zugeständniß. Er sagte, er habe gewußt, daß sein Zimmerkamerad Huber in seinem Reisesak Geld habe, da er oft gesehen, daß Huber das Geld aus dem Sak herausgenommen.

An jenern Donnerstag sei er nach der Wache auf das Zimmer ge-

85 gangen, habe den Reisesak des Huber unter dem Bett hervorgezogen, aufgerissen, den Geldbeutel herausgenommen und aus demselben 3 Fünffrankenstüke entwendet. Nachher habe er den Geldbeutel wieder in den Sak und diesen unter das Bett geschoben.

Vom Kriegsgericht der V. Division wurde Josef Udry unterm 20. Juli 1877, in Anwendung der Artikel 131, 132, Litt, e und 133 des eidg. Militärstrafgesezes verurtheilt : 1) zu einer Gefängnißstrafe von sechs Monaten ; 2) zur Restitution des gestohlenen Geldes mit Fr. 15; 3) zu den Kosten, und überdies 4) wurde der Verurtheilte unwürdig erklärt für den Dienst des Vaterlandes.

In einem vom 21. Juli 1877 datirten, von seinem gewesenen Vertheidiger, Herrn Fürsprech Kurz, verfaßten Gesuche bittet nun der Verurtheilte, es möchte ihm die Hälfte der Strafzeit in Gnaden erlassen werden.

Zur Unterstüzung dieses Gesuches wird angeführt: 1) Dem Gesuchsteller stehe der Artikel 33 des Bundesgesezes über die Strafrechtspflege für die eidgen. Truppen zur Seite, indem er gleich nach der That eine thätige Reue bezeigt und dem Beschädigten freiwillig den Schaden ersezt habe. Dieser habe den Petenten aufgefordert, seinen Diebstahl zu bekennen, unter dem feierlichen Versprechen, ihn in diesem Falle nicht zu verzeigen.

Diesen Worten vertrauend, habe Udry seine Schuld bekannt und ein Reugeld von Fr. 5 angeboten. Das Bekenntniß und Versprechen sei angenommen, aber wider alle Treue und Glauben handkehrum Strafanzeige gemacht worden.

2) Der Bittsteller habe sich in bitterer Geldverlegenheit befunden, und sei durch die Nachläßigkeit des Bestohlenen, welcher zu den verschiedensten Malen ostensibel gezeigt, wo er sein Geld habe, und durch die Gunst des Augenbliks verführt worden. Dies sei sein erstes Vergehen, obwohl seine Erziehung nicht dazu angethan gewesen sei, ihn sicher und fest in die Bahnen zum Guten zu lenken.

3) Die Strafbestimmungen des Gesezes über die Strafrechtspflege der eidgen. Truppen seien drakonisch und namentlich dem Friedensdienst und insbesondere einer Rekrutenschule nicht angepaßt.

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Endlich wird auf die Praxis der hohen Bundesbehörde verwiesen, welche keinem kriegsgerichtlich Verurtheilten die Gnade verrsage.

Der Bundesrath findet jedoch keine Gründe, das vorliegende Begnadigungsgesuch zu befürworten.

Vorerst ist aus den Akten nicht ersichtlich, daß der Verurtheilte dem Beschädigten den Schaden wirklich ersezt habe. Ebensowenig ist aus den Akten ersichtlich, daß der Beschädigte versprochen, den Diebstahl nicht zu verzeigen, wenn Udry ein offenes Bekenntniß ablege. Ein solches Versprechen konnte der Beschädigte übrigens gültig nicht abgeben, weil nach Artikel 298 alle Verbrechen und Vergehen (mit Ausnahme von Ehrverlezungen) im Interesse der öffentlichen Sicherheit untersucht und bestraft werden sollen, und allen Militärpersonen bei eigener Verantwortlichkeit untersagt ist, solche Straffälle außergerichtlich zu beseitigen.

Die Geldnoth, in welcher sich der Verurtheilte seit der That befunden haben will, kann ebenfalls nicht als Begüadigungsgrund in Betracht kommen, zumal sich aus den Akten ergibt, daß Udry ziemlich viel Geld gebraucht zu haben scheint. Beim Eintritt in den Militärdienst, den 30. Mai, hatte er nach seiner Deposition Fr. 100 bei sich. In Aarau entlehnte er bei verschiedenen Kameraden Fr. 52 und in einer Wirthschaft Fr. 5. Inzwischen ging er einmal nach Hause und brachte wieder Fr. 50 mit, wovon er an jene Fr. 52 Fr. 22 zurükbezahlt haben will. Im Auftrage seiner Mutter wurde denn auch am Ì. Juli an Udry geschrieben, er möchte mit dem Gelde ein wenig sparsamer umgehen. Es muß also angenommen werden, die Geldnoth sei wenigstens nicht eine unverschuldete gewesen.

Daß der Petent nach dem Leumundszeugniß des Gemeinderaths von St. Ursen ,,sich bis dato nie eines Diebstahls schuldig gemacht und eine sehr verwahrlosete Erziehung genossen hat", ist schon durch das Urtheil berüksichtigt worden, indem das Gericht bloß das Minimum der gesezlichen Strafe ausgesprochen hat.

Gegenüber der Behauptung des Verfassers des Begnadigungsgesuches, die Strafbestimmungen des Gesezes über die Strafrechtspflege der eidgen. Truppen seien drakonisch, und durch die konsequente Praxis der Bundesversammlung werde keinem kriegsgerichtlich verurtheilten Potenten die Gnade versagt, muß denn doch darauf aufmerksam gemacht werden, daß sechs Monate Gefängniß für einen Diebstahl der vorliegenden Art keine zu harte Strafe ist, und daß gegenüber den häufig vorkommenden Diebstählen in Kasernen

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der Ernst des Gesezes durch allzuhäufige Begnadigungen nicht allzu sehr abgeschwächt werden darf.

Deßhalb wird beantragt, das Begnadigungsrgesuch des Josef Udry sei abzuweisen.

Genehmigen Sie, Tit., die erneuerte Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.

B e r n , den 12. Oktober 1877.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident: Dr. J. Heer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft:

Sckiess.

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Botschaft des Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung über das Begnadigungsgesuch des Josef Udry, Kavallerierekruten, von Räschweil (Freiburg). (Vom 12. Oktober 1877.)

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27.10.1877

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