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Bericht der

Mehrheit der Kommission des Nationalrathes, betreffend den Gesezentwurf über den telegraphischen Verkehr im Innern der Schweiz.

(Vom 22. März 1877).

Tit.!

Die Kommission*), welche Sie mit Begutachtung des Gesezentwurfs über den telegraphischen Verkehr im Innern der Schweiz beauftragten, hat die Ehre, Ihnen folgende Anträge zu unterbreiten: I. Betreffend die E i n t r e t e n s f r a g e : Die Kommissionsmehrheit beantragt: einstweilen nicht einzutreten, bis der Bundesrath über Herstellung des finanziellen Gleichgewichts den durch Postulat vom 4. Juli 1876 verlangten Bericht erstattet hat, und inzwischen den Gesezentwurf an den Bundesrath zurükzuweisen, mit der Einladung, über den Art. l einen Expertenbericht von den Telegrapheninspektoren und den Chefs der Hauptbüreaux, *) Mitglieder der Kommission: Jolissaint.

Graf (Appenzell).

Künzli.

de Montheys.

Zinggeler.

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sowie ein Gutachten von den schweizerischen Handels- und Industrievereinen einzuholen.

Die M i n d e r h e i t der Kommission (Herr de Montheys) beantragt dagegen sofortiges Eintreten.

II. Im Falle des Eintretens beantragt die Mehrheit der Kommission, in Abänderung des Art. l, Litt, a des Gesezentwurfs, die Grundtaxe auf 25 Centimes (statt 35) zu reduziren.

Eine Minderheit beantragt, das System des Gesezes · von 1867, d. h. die gruppen- oder serienweise Taxe, beizubehalten.

Im Weitern behalten sich die Herren Zinggeler und de Montheys vor, in der Diskussion von Art. l persönliche Anträge zu stellen.

Die Kommission empfiehlt einstimmig die Annahme der andern Artikel.

Ueber die Vorfrage des Eintretens theilt sich die Kommission in eine Mehrheit (Graf, Künzli, Zinggeler, Jolissaint) und in eine Minderheit (de Montheys).

Die Kommissionsmehrheit hat Hrn. Künzli und den Unterzeichneten beauftragt, Ihnen die für einstweiliges Nichteintreten sprechenden Verumständungen und Gründe auseinanderzusezen.

Seit der Centralisation des Post- und Telegraphenwesens sind diese beiden Zweige der eidgenössischen Verwaltung öffentliche Dienstanstalten geworden, welche bisanhin hauptsächlich im allgemeinen Interesse der Bevölkerungen und nicht als vorzugsweise fiskale Regalien exploitirt worden sind. Insbesondere ist der Telegraph nach unserer Auffassung mehr eine gemeinnüzigo als eine dem privaten oder fiskalen Interesse zu widmende Anstalt.

Der wesentlich gemeinnüzige Charakter der Télégraphie hat den eidgenössischen Käthen wohl vorgeschwebt, als sie in der Session vom Juli 1867 die Taxe von Fr. l auf 50 Centimes für die einfache Depesche von 20 Worten herabsezten. Wie die Kommission des Ständeraths in ihrem Berichte vom 11. dieß*) es aussprieht, erfolgte diese Taxreduktion aus dem Wunsche, ,,die Télégraphie möglichst gemeinnüzig zu verwalten.a Vor dieser Taxherabsezung war die Zahl der inte.rnen Telegramme: beim höchsten Stande, im Jahr 1867 .

.

397,333 Im folgenden Jahre, 1868, stieg sie auf .

.

798,186 ,, Jahre 1869 stieg s i e a u f . . . .

951,337 *) Bundesblatt 1877, I, S. 488.

720 Sie wurde verdreifacht im Jahre 1870 mit .

vervierfacht ,, ,, 1873 T .

und verfünffacht ,, ,, 1875 ,, .

. 1,132,029 . 1,640,075 . 1,846,898

Diese progressive Zunahme in der Depeschenzahl beweist, daß der Bundesrath seinerseits es ist, der sich im Irrthum befindet, wenn er in seiner Botschaft*) sagt, es sei nicht richtig, daß der Telegraph von einem sehr großen Theile oder gar der Mehrzahl der Bevölkerung benuKt werde, vielmehr gelte dies höchstens von 4--5 °/o der Gesammtbevölkerung.

Abgesehen davon, daß die Berechnungen, wie sie auf statistische Erhebungen basirt sind, welche durch die Bureaux von Schaffhausen, Aarau und Glarus während des Monats Dezember 1876 an die Hand gegeben wurden, als Interessirte nur die Abgeber oder Versender berüksichtigen, nicht aber die mindestens ebenso sehr dabei interessirten Adressaten, ist zu bemerken, daß eine vom Chef einer Fabrik, einer Werkstätte oder industriellen Anstalt abgesandte Depesche keineswegs nur den Patron dieser Anstalt interessirt, sondern auch die Angestellten, die Arbeiter, überhaupt alle Personen, welche direkte oder indirekte bei dem Industrie- oder Handelszweige beschäftigt sind, der zu telegraphischen Weisungen ödet Bestellungen Anlaß gibt. Es besteht demnach ein enormer Unterschied zwischen der Zahl der Telegraphirenden oder Telegramme Empfangenden, und der Zahl der bei der Benuzung des Telegraphen Interessirten.

Zudem sind alle Klassen der Gesellschaft im Falle oder können in den Fall kommen, sich des Telegraphen zu bedienen. · Und sollten die politischen, ökonomischen und finanziellen Telegramme an die Presse nicht die gesammte schweizerische Bevölkerung interessiren ?

Endlich -- wenn, wie die Kommission des Ständerathes im obcitirten Berichte (Seite 2) bemerkt, Handel und Industrie nur in Gegenden aufkommen können, in denen es nicht an Gelegenheit zum Telegraphiren gebricht, -- wer könnte da noch behaupten, der Telegraph sei nicht eine gemeinnüzige Anstalt, welche das ganze Land interessirt, nicht nur 4 oder 5°/o der Bevölkerung?

Die Wdhlthaten dieser Anstalt müssen Allen zu gute kommen.

Damit aber der Gebrauch dieser herrlichen. Erfindung dem Publikum im Allgemeinen zugänglich sei, uûd um zu vermeiden, daß der Telegraph ein für das Volk allzu kostspieliges Kommunikationsmittel werde, darf man denselben nicht als eine fiskale Institution betrachten, welche als solche und wesentlich zu dem Zweke exploi*) Bundesblatt 1877, I, 305.

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tirt würde, die Bundeskasse durch den Ertrag erhöhter Taxen zu alimentiren.

Auch über diesen Punkt können wir die Auslegung nicht theilen, die der Bundesrath der Litt, c des Art. 42 der Bundesverfassung gibt; welche Litt, besagt, daß die Ausgaben des Bundes bestritten werden aus dem Ertrag der Post- und Telegraphenverwaltung. Wir geben nicht zu, daß diese Bestimmung in dem Sinne verstanden werden könne, es habe der Bund den öffentlichen Dienstzweig des Telegraphen zum Gegenstande einer Spekulation zu machen und vom Publikum möglichst viel Geld zu erheben mittelst übermäßiger Telegraphentaxen, welche nichts Anderes wären als eine indirekte Besteuerung des Handels, der Industrie und der Arbeit im Allgemeinen. Vielmehr will in unsern Augen diese Verfassungsbestimmung einfach das besagen, daß die Einnahrnenuberschüsse der Telegraphenverwaltung in die Bundeskasse fließen sollen.

Wenn nun aber, wie wir nachzuweisen versucht haben, der Telegraph vor Allem ein öffentlicher Dienstzweig und nicht eine rein fiskale Institution oder eine Art indirekter Steuer ist, so dürfen die Bundesbehörden nicht, ohne daß eine strenge Nöthigung dazu, vorliegt, den Weg der Freisinnigkeit verlassen, den einzigen, welcher der Nationalökonomie entspricht; die Bahn, in die sie entschlossen einlenkten bei Erlaß des Gesezes vom Jahr 1867, welches die Taxe für das Telegramm von 20 Worten von Fr. l auf 50 Centimes herabsezte. Mit andern Worten : v o r Ergreifung der Maßregel, die Taxen so bedeutend zu erhöhen, wie der Bundesrath es beantragt, müßte die Notwendigkeit und die Dringlichkeit derselben ganz gehörig dargethan, es müßte der eine oder der andere der folgenden Nachweise geleistet sein: 1) daß die direkten und indirekten Einnahmen (Ertrag der internen, der Transit- und der internationalen Taxen, der Gemeindeleistungen etc.) zur Dekung der mit dem Dienste und dem Unterhalte der Telegraphen verbundenen Kosten nicht hinreichen, -- oder 2) daß das Gleichgewicht in den eidgenössischen Finanzen nicht durch Ersparnisse mittelst Vereinfachung der Militärverwaltung und in andern Verwaltungszweigen, sowie durch Schaffung neuer Hülfsquellen hergestellt werden kann, ohne daß man genöthigt wäre, die Taxen für den Telegraphen verkehr zu erhöhen.

Nun ist aber weder der eine noch der andere dieser Beweise zu jeziger Stunde beizubringen.

722 Was den ersten Nachweis betrifft, daß die Telegraphenverwaltung nicht sich selbst genüge, daß sie vielmehr für den Staat eine Last sei und denselben zu Opfern führen müßte, -- so bemerken wir, daß die Geschäftsberichte und die Rechnungsergebnisse dieses Verwaltungszweiges beruhigend lauten. Wir erlauben uns, aus diesen amtlichen Aktenstüken folgende Stellen auszuziehen.

Im Geschäftsbericht von 1874, Abtheilung II, TelegraphenVerwaltung, lesen wir (auf den drei ersten Seiten) : ,,Gegenüber dem Voranschlage, welcher mit Inbegriff der bewilligten Nachtragskredite mit einem Passiv-Saldo von Fr. 169,000 abschließt, erzeigt die Jahresrechnung der Telegraphenverwaltung eine annähernde Ausgleichung zwischen Einnahmen und Ausgaben.

Dabei hat das Inventar der Verwaltung, insoweit dasselbe im allgemeinen Inventar der Eidgenossenschaft erscheint, um Fr. 43,000 zugenommen.

,,Wir glauben dieses Ergebniß um so mehr als ein befriedigendes bezeichnen zu dürfen, als dasselbe troz der Einwirkung mehrerer ungünstiger Umstände erreicht wurde (Errichtung von 99 neuen Bureaux; verhältnißmäßig geringe Fremdenfrequenz; Depeschenabnahme der Bureaux in Interlaken und Luzern).

,,Außer diesen beiden, speziell das Jahr 1874 beeinflussenden Faktoren machen sich noch zwei weitere Momente geltend, deren Einwirkung sich jedoch auf eine Reihe von Jahren vertheilt. Es sind dies die ausgedehntere Verwendung von i m p r ä g n i r t e n S t a n g e n und die V e r l e g u n g d e r L i n i e n an die Eisenbahnen. Hieraus erwachsen der Verwaltung m o m e n t a n ganz bedeutende Kosten ohne irgend welche sofortige Kompensation; die Vortheile machen sieh erst im Laufe der Zeit durch erleichterten und billigeren Unterhalt geltend und es sind daher die darauf verwendeten Mehrkosten nicht als eine eigentliche Betriebsausgabe, sondern vielmehr als eine vortheilhafte Kapitalanlage zu betrachten.

So wurden im Jahre 1874 nahezu Fr. 100,000 für solche Stangen ausgegeben und die dadurch gegenüber von gewöhnlichen Stangen erwachsenen Mehrkosten von zirka Fr. 50,000 bilden gewissermaßen einen R e s e r v e f o n d und einen auf dem Betriebe erzielten G e w i n n , welcher der Zukunft vermöge der längern Dauer der Stangen zu gut kommen wird.

,,Aehnlich verhält es sich mit der Verlegung der Linien an die neuen Eisenbahnen. Die hiefur bereits
ausgeworfenen und noch auszuwerfenden Summen finden keine sofortige Ausgleichung, sondern werden sich nur allmälig durch erleichterten und billigern Unterhalt der Linien kompensiren.

723 ,,Es darf nun wohl die bestimmte Erwartung ausgesprochen werden, daß, wenn einmal diese U e b e r g a n g s p e r i o d e vorbei ist und gleichzeitig die Vermehrung der Büreauzahl wieder in mäßige Grenzen zurükgeht, sich auch die. finanzielle Lage der Verwaltung wieder günstiger gestalten wird."

In gleichem Sinne spricht sich auch der Geschäftsbericht vom Jahre 1875 aus (Seite 2 der Telegraphenabtheilung ,,Das finanzielle Ergebniß der Verwaltung darf als ein durchaus befriedigendes bezeichnet werden. Denn, trozdem die vielen unvorhergesehenen Linienbauten (Verlegungen an die neuen Eisenbahnen) einen Nachtragskredit von Fr. 100,000 erforderten, und trozdem die Zahl der neu errichteten Bureaux sich um 43 höher stellte, als vorgesehen war, so wurde doch die aus dem Voranschläge sich ergebende Ausgleichung zwischen Einnahmen und Ausgaben nicht nur eingehalten, sondern die Jahresrechnung erzeigt noch einen Einnahmenüberschuß von Fr. 10,500, welcher sich noch erheblich höher gestellt hätte, wenn einzelne Forderungen an Eisenbahngesellschaften rechtzeitig eingegangen wären, um noch in die Rechnung aufgenommen zu werden."

Abgesehen von diesen aus den Geschäftsberichten von 1874 und 1875 geschöpften Erklärungen, welche beweisen, daß bedeutende Auslagen im Hinblik auf künftige Verwerthung oder spätere Wiedereinbringung gemacht wurden, bemerken wir noch, daß die Botschaft dos Bundesrathes selbst konstatirt, daß der auf den i n t e r n e n Depeschen sich ergebende Ausfall progressiv abnimmt (das Defizit, per Depesche war im Jahr 1868: 30 Cent,.; 1869: 23 Cent,; 1874 und 1875: bloß 16 Cent.) und daß er sich kompensirt durch den Gewinn auf den internationalen und transitirenden Telegrammen, sowie durch die indirekten Einnahmen, Gemeindeleistungeu etc. Es enthält die Botschaft unter Anderm folgende wichtige Stelle über den uns hier beschäftigenden Punkt: So lange diese Einnahmen (Gemeindeleistungen) den bisherigen gleich bleiben, werden sie ausreichen, den Verlust auf der Depeschenbeförderung zu deke und das Gleichgewicht in den Rechnungen der Verwaltung zu sichern.

Wir haben uns ein Verzeichniß der Gemeindeleistungen geben lassen, aus welchem erhellt, daß für die zwei Jahre 1877 und 1878 von diesen Leistungen Fr. 8500 wegfallen, daß aber noch 63,000 Franken übrig bleiben werden. In den spätem Jahren wird
der Reservefond, beziehungsweise es werden die im Hinblik auf künftigen Nuzen gemachten Auslagen die gehofften günstigen Wirkungen zeigen, so daß wahrscheinlich keine Rede mehr davon sein wird, einen Ausfall befürchten zu müssen.

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Da der Telegraph eine öffentliche Dienstanstalt ist, so kann von ihm ein Mehrere» nicht verlangt werden, als daß seine direkten und indirekten Einnahmen zur Dekung der Ausgaben ausreichen.

Dieß ist gegenwärtig wirklich der Fall und wird es auch künftig sein, wie wir nachgewiesen zu haben glauben.

Wenn wir einen Blik auf das Finanzergebniß der Telegraphenverwaltungen anderer Länder werfen, so finden wir als einzige Staaten, welche durch erhöhte Taxen einen mäßigen Gewinn erzielen, die Vereinigten Staaten, England, Frankreich und Italien: während in den übrigen Staaten die Rechnungen von 1875 einen ziemlich bedeutendden Ausfall erzeigen.

Dieser Ausfall betrug: 1) in Oesterreich Fr. 2,100,000 2) ,, Ungarn ,, 1,100,000 3) ,, Belgien ,, 400,000 4) ,, Holland ,, 880,000 5) ,, Rumänien ,, 730,000 Troz dieser Defizite wird von Seite der vorgenannten Staaten, die sich wohl bewußt sind, daß die Institution des Telegraphen eine gemeinaüzige ist, nicht daran gedacht, dieselben durch Erhöhung der Taxen zu beseitigen.

Und die Schweiz, welche bei ihren mäßigen Taxen das Gleichgewicht zwischen den Einnahmen und den Ausgaben ihrer Telegraphenverwaltung aufrecht erhalten hat, sollte sich verleiten lassen, aus f i s k a l e n Rüksichten ihre Taxen zu erhöhen! -- auf die Gefahr, die Funktion dieser schönen Institution zu hemmen, indem der Zugang zu derselben dem Publikum schwierig oder kostspielig gemacht wird !

Wir glauben nicht, daß das Schweizervolk eine solche Maßnahme gutheiße, wenn sie nicht in gebieterischer Weise durch die Finanzlage des Bundes gefordert wird. Dieß führt uns zur Prüfung des zweiten Motivs für eine Erhöhung der Telegraphentaxen, d. h.

zu dem zweiten von den oberwähnten Nachweisen.

Dieser Nachweis kann so lange nicht geleistet werden, bis der Bundesrath den Bericht vorgelegt hat, der ihm durch das Postulat vom 4. Juli 1876 (Nr. 86) abverlangt wurde, lautend: ,,Der Bundesrath wird eingeladen, bei Anlaß der Budgetvorlage für das Jahr 1877 über die finanzielle Lage des Bundes Bericht zu erstatten und im Weitem Anträge zu stellen, in welcher Weise, namentlich durch angemessene Ersparnisse in den Ausgaben der Bundesverwaltung ohne Benachtheiliguug der bundesgemäßen Zweke,

725 die Ausgaben und Einnahmen der eidgenössischen Staatsrechnung.

in ein normales Verhältniß gebracht werden können.1*' Wie aus diesem Postulate erhellt, ist der Bundesrath beauftragt worden, vor Allem sich nach E r s p a r n i s s e n umzusehen, welche in der Verwaltung eingeführt werden könnten, d. h. nach Ausgabenverminderungen und nicht nach Erhöhungen der Lüsten oder nach Complikationen für das Publikum im Telographendienste.

^r In einem Vorberichte vom 2. März 1877, welchen der Bundesrath an die Bundesversammlung gerichtet hat, um die Umstände anzugeben, die ihn bis jezt verhinderten, den verlangten Bericht über die Herstellung des finanziellen Gleichgewichts vorzulegen, heißt es: ,,Die noch zu erledigenden Postulate, betreffend V e r e i n f a c h u n g der M i l i t ä r v e r w a l t u n g , Reorganisation der Postverwaltung u. s. w., insbesondere aber die Revision des Zolltarifes, sezen so umfangreiche Studien und Vorarbeiten voraus, daß die Lösung dieser Aufgabe bis zum Beginne gegenwärtiger außerordentlicher Session unmöglich zu bewältigen war, und Sie wollen es deßhalb genehm halten, daß unsere Vorlage betreffs Herstellung des finanziellen Gleichgewichts, welche auf der Grundlage der Ergebnisse dieser Spezialfragen zu suchen ist, erst bei Anlaß der Erstattung unseres Geschäfsberichtes für 1876, somit erst zur kommenden Junisession Ihnen unterbreitet \verde.a Der Bundesrath stellt uns also in Aussicht, in 2 bis 3 Monaten einen Plan über Finanzreformen vorzulegen, der sowohl auf Ersparnisse (Vereinfachung der Militärverwaltung etc.) als auf neuen Einnahmsquellen beruht.

Bevor man nun aber dazu schreitet, die Telegraphentaxeu um mehr als einen Drittheil, selbst um fast die Hälfte zu erhöhen, und in dieser Weise den für Handel, Industrie und Arbeit überhaupt so förderlichen Telegraphenverkehr mit einer bedeutenden i n d i r e k t e n S t e u e r zu belegen, sollte nach dem Dafürhalten der Mehrheit Ihrer Kommission das Ergebniß der finanziellen Studien und Nachforschungen des Bundesrathes abgewartet werden, zumal sein Bericht uns für die nächste Junisession angekündigt wird.

Weist dieser Bericht dann die Notwendigkeit nach, die Telegrapbeutaxen zu erhöhen, so werden der Nationalrath und das Schweizervolk ein rationelles Gesez über diesen Gegenstand annehmen, während jezt zu befürchten wäre, daß der den Käthen in dieser Session vorgelegte Entwurf ungünstig aufgenommen und vom Volke verworfen würde.

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Zudem ist die Kommissionsmehrheit überzeugt, daß die Frage der Finanzlage des Bundes und diejenige der Maßnahmen zur Herstellung des Gleichgewichts im eidgenössischen Budget, gleichzeitig und insgesammt geprüft werden müssen, und daß bloß vereinzelte Geseze, -- Gesoze, die durch ihre Komplikationen oder Schwierigkeiten in der Ausführung mehr oder weniger vexatorisch sind, wie das uns hier beschäftigende, nur schwache, zur Heilung desUebels ohnmächtige Palliativmittel und nur geeignet sind, Verwirrung in den Organismus unserer industriellen, gewerblichen, überhaupt ökonomischen Enp»^ wiklung hineinzuwerfen.

Ein anderer Grund, welcher ebenfalls sehr zu Gunsten des einstweiligenNichteintreteus spricht, ist der Mangel eines konkludenten Gutachtens von Seiten der Mehrheit der Telegraphen-Inspektionen und Hauptbüreaux, welche über die Frage der Taxenerhöhung und der Aenderung des gegenwärtigen Gruppen- oder Serien-Systems konsultirt worden sind. Die administrative Untersuchung, welche die eidgenössische Telegraphenverwaltung anordnete, ist, abgesehen davon, daß die schweizerischen Handels- und Industrieveroine nicht zur Abgabe ihres Gutachtens eingeladen wurden, sehr unvollständig.

Sie enthält, statt einen Expertenbericht, nur vereinzelte und einander widersprechende Meinungsäußerungen. Aus den Akten, die wir übrigens nur als vorbereitende betrachten, geht hervor, daß unter den Telegraphen-Inspektionen und Hauptbüreaux Meinungsdifferenzen über das Taxensystem und die einzuführende Erhöhung, sowie selbst über die Zwekmäßigkeit einer Modifikation des bestehenden Gesezes obwalten. Die Mehrheit sprach sich für Beibehaltung des gegenwärtigen gruppen- oder serienweisen Taxensystems aus, mit einer kleinen Erhöhung des Tarifs (um 10 Cents, für die einfache Depesche von 20 Worten), oder mit einer Verminderung der Wortzahl der einfachen Depesche, von 20 auf 15 oder allfällig 10 Worte, jedoch mit Beibehaltung der Taxe von 50 Cents. Das vom Bundesrath befürwortete neue System: Kombination einer fixen Grundtaxe mit einer Worttaxe, hat unter den Inspektionen und Hauptbüreaux wenige Anhänger gefunden.

Ein Punkt jedoch, über welchen alle der zu Rathe gezogenen Inspektoren und Bureaux einig sind, geht dahin, daß die Taxen namhaft niedriger zu stellen seien, als dieß durch Art. l des neuen Entwurfs geschieht. Unseres
Erachtens wäre es von Wichtigkeit, diese Inspektoren und Chefs der Hauptbüreaux, als kompetente Fachmänner in dieser Materie sowohl in Theorie als Praxis, in einer Konferenz zu versammeln, um ihnen diesen Art. l vorzulegen, damit deren erst nach kontradiktorischen Debatten festgestellte Ansicht als eine gereiftere in die Wagschale fallen kann. Gewiß

727 würde eine gründlichere Prüfung und Durchbesprechung dieses Artikels durch solche Fachmänner wichtige praktische Anhaltspunkte für die gesezgebende Behörde bieten, welche darauf gestüzt mit voller Kenntniß des Sachverhalts ein Urtheil fällen könnte über die Nachtheile und die Vortheile der Abänderung des gegenwärtigen Systems der gruppen- oder serienweisen Taxen und die Frage der Zwekmäßigkeit einer Taxerhöhung und allfällig des Umfangs dieser Erhöhung.

Wir hatten das Vorstehende bereits geschrieben, als uns die Petition des Handels- und Industrievereins der Stadt Basel zukam.

Sie haben aus der Verlesung derselben entnommen, daß dieser Verein ebenfalls den Antrag stellt auf Verschiebung der Behandlung des neuen Gesezentwurfs und auf Rükweisung desselben an den BundesO rath mit der Einladung, das Gutachten des schweizerischen Handelstandes über die Zwekmäßigkeit der Ersezung des gegenwärtigen Systems der gruppen- oder serienweisen Taxen durch das System einer Gruudtaxe kombinirt mit einer Worttaxe einzuholen. Diese sehr gut motivirte Petition kam sehr gelegen zur ' kräftigen Unterstüzun«; der Anschauungsweise der Mehrheit Ihrer Kommission in O O Bezug auf die Verschiebung und eine gründlichere Prüfung der Frage. Diese Verschiebung ist nothwendig, damit es dem Postund Telegraphendepartement möglich werde, die Untersuchung dieser wichtigen Frage in der von uns angegebenen Richtung zu vervollständigen.

Ein lezter Grund endlich, der den Nationalrath veranlaßen muß, die Berathung des vorliegenden Gesezes nicht zu überstürzen, besteht in der von kompetenten Männern, d. h. von TelegraphenInspektoren und Büreauxchefs ganz zuversichtlich ausgesprochenen Bezweifelung der nach der Botschaft zu erwartenden Vermehrung der Einnahmen.

Erlauben Sie mir, die diesfällige Auffassung jener Fachmänner in wenigen Worten zu resümiren.

Der Inspektor und das Bureau von Chur sprechen sich gegen das System der Worttaxe aus, weil dasselbe keinen Gewinn einbringen werde, indem das Publikum die Zahl der Worte in den Depeschen vermindern werde.

Der Inspektor und das Bureau von St. Gallen warnen vor einer Taxerhöhung, welche eine Verminderung der Depeschenzahl und mithin der Einnahmen zur Folge hätte.

Das Bureau von Winterthur hält, bei Einführung des Systems einer Grundtaxe von 20--30 Cents, und einer Worttaxe von 2--3 Cents., eine namhafte Vermehrung der Einnahmen nicht für Bundesblatt. 29. Jabrg. Bd II.

50

728 wahrscheinlich. Das Publikum wird sich darauf verlegen, lakonische und unverständliche Depeschen abzufassen.

Das Bureau von Basel und die Inspektion von Ölten glauben, daß die Einführung des deutschen Systems nicht auf großen Widerstand stoßen werde, beeilen sich aber, beizufügen, daß -man damit wenig gewinne, da die Absender ihre Depeschen bedeutend abzukürzen wissen werden.

Bureau und Inspektor von Lausanne empfehlen eine nur mäßige Taxenerhöhung, um nicht eine Verminderung der Depeschenzahl und der Einnahmen zu veranlaßen. Sie halten dafür, daß eine Depesche von 10 Worten nicht zu mehr als 50 Cents, taxirt werden könne.

Wie man sieht, äußern 4 Inspektoren und 5 Hauptbüreaux sehr ernstliche Zweifel über das finanzielle Ergebniß der Annahme eines neuen Taxsystems oder der namhaften Erhöhung der bestehenden Taxen.

Wir fügen noch bei, daß das Bureau von Luzern, welches dem neuen Taxsystem günstig ist, eine Berechnung liber das finanzielle Ergebniß des deutschen Systems seit seiner Anwendung im Verkehre zwischen der Schweiz und Deutschland (1. Januar abhin) aufgestellt hat, und daß dieses Ergebniß, welches wie folgt lautet, nicht ermuthigend ist: Das Gesammterträgniß der 132 von Luzern abgegangenen Telegramme ist Fr. 212. 55 Nach der frühern Taxe hätte sich dasselbe gestellt auf ,, 231. 50 Differenz Fr. 18. 95 M i n d e r ertrag als bei der frühern Taxe.

Das Bureau von Luzern bemerkt : die Verwaltung könnte also durch die Einführung des neuen Systems etwas verlieren, was jedoch nur durch eine längere Erfahrung sich zeigen werde.

In Zusammenfassung des Vorgebrachten halten wir dafür, daß der Nationalrath die ßerathung des neuen Gesezentwurfes verschieben solle: weil der Telegraph ein öffentlicher Dienstzweig ist, der mit seinen gegenwärtigen Taxen sich selbst genügt und überdieß etwelchen Gewinn abwirft; weil vor der Vorlegung des bundesräthlichen Berichtes über Herstellung des finanziellen Gleichgewichts nicht bewiesen werden kann, daß die zu erzielenden Ersparnisse und Neubeschaffungen von Hülfsmitteln zur Dekung des Ausfalls der Staatsrechnung nicht genügen, ohne Zufluchtnah me zu einer Erhöhung der Telegraphentaxen ;

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weil die administrative Untersuchung der Frage der Zwekmäßigkeit und der finanziellen, überhaupt ökonomischen Folgen des neuen Taxsystems keine vollständige ist; endlich weil Fachmänner wie die Inspektoren und Chefs der Hauptbüreaux es bezweifeln, daß die Einnahmenvermehruug wirklich eintreten werde, welche der Bundesrath sich vom neuen Geseze verspricht, und weil das vor Augen geführte Finanzergebniß nicht durch eine hinlängliche Erfahrung erhärtet ist, indem das einzuführende System erst seit dem 1. März 1876 in Deutschland sich in Anwendung befindet.

Auf die vorausgeschikten Verhältnisse und Gründe gestüzt, schließt die Mehrheit Ihrer Kommission mit dem im Einsänge dieses O ö Berichtes näher formulirten Antrag auf einstweiliges Nichteintreten und Rükweisung an den Bundesrath.

Sollte gleichwohl derNationalrath sofortiges Eintreten beschließen, so behalten wir uns mündliche Erklärungen über die beim Art. i des Gesezentwurfs unserseits gewünschten Abänderungen vor.

B e r n , den 22. März 1877.

Namens der Mehrheit der nationalrathlichen Kommission : Der Berichterstatter: P. Jolissaint.

Note. Der Ständerath hat am 12. März 1877 den bundesräthlichen Gresezentwurf vom 21. Februar (Bundesblatt 1877, I, 322) unverändert angenommen; der Nationalrath seinerseits beschloß am 23. März einfache Verschiebung der Berathung dieses Gegenstandes auf die nächste Junisession.

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Bericht der Mehrheit der Kommission des Nationalrathes, betreffend den Gesezentwurf über den telegraphischen Verkehr im Innern der Schweiz. (Vom 22. März 1877).

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12.05.1877

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