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Bundesrathsbesschluss in

Sachen der Geschwister Marianne und Catharine Schacher in Delsberg, betreffend Bestrafung wegen Vorkauf von Lebensmitteln.

(Vom

7. September 1877.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s rat h hat

in Sachen der Geschwister Marianne und Catharine Schacher in Delsberg, betreffend Bestrafung wegen Vorkauf von Lebensmitteln ; nach angehörtem Bericht des Eisenbahn- und Handelsdepartements und nach Einsicht der Akten, woraus sich ergeben : Mit Urtheil vom 28. Juli abhin hat der Polizeirichter von Delsberg die Geschwister Schacher zu einer Strafe von Fr. 8 nebst Kosten im Betrage von Fr. 7. 60 verfällt, weil dieselben auf dem Markte daselb.st am 11. gl. Mts. Salat aufgekauft, um denselben zu höherem Preise wieder zu verkaufen.

Das Strafurtheil stüzt sich auf: Art. 202 des Polizeireglementes von Delsberg lautend : ,,II est défendu d'accaparer les denrées avant la clôture des ,,foires ou marchés.

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,,Est considéré comme accapareur, celui qui achète des ,,denrées ou autres comestibles dans le dessein de se rendre maître ,,du prix et de pouvoir l'élever ensuite.

,,Les objets qui auront donné lieu à la contravention seront ,,saisis ;" sowie auf Art. 233 des genannten Réglementes, wonach Verlezungen des Art. 202 mit Fr. 8 bis Fr. 12 bestraft werden.

Mit Zuschrift vom 3. August abhin rekurriren die Geschwister Schacher gegen dieses Urtheil an den Bundesrath. Sie berufen sich auf Art. 31 der Bundesverfassung, laut welchem die Freiheit des Handels und der Gewerbe gewährleistet ist. Gegenüber dieser Verfassungsbestimmung seien die Art. 202 und 233, auf welche sich das rekurrirte Urtheil stüze, nicht mehr haltbar.

Der Regierungsrath des Kantons Bern, welchem der Rekurs zur Vernehmlassung zugesandt worden ist, antwortet mit Schreiben vom 1. September abhin : Er habe die Rekursbeschwerde dem Polizeirichter und dem Gemeinderathe von Delsberg zu allfälligen Gegenbemerkungen mitgetheilt. Der Polizeirichter erkläre, er sehe sich nicht veranlaßt, der Begründung seines Entscheides vom 28. Juli etwas beizufügen. Der Gemeinderath von Delsberg dagegen mache Folgendes geltend: Die fragliche Bestimmung des Polizeireglementes habe ihren Grund in Mißbräuchen gehabt, welche die Wiederverkäuferinnen von Obst und Gemüse während langer Zeit getrieben. Dieselben seien den Landleuten, welche Erzeugnisse auf den Markt führten, vor die Stadt hinaus entgegengegangen, haben ihnen ganze Wagenladungen abgekauft und dadurch bedeutende Preiserhöhungen erwirkt. Im Interesse der ärmern Klasse der Bevölkerung sei deßhalb die fragliche Vorschrift aufgestellt worden.

Zu Gunsten dieser Bestimmung spreche auch der Umstand, bemerkt der Regierungsrath, daß die Märkte von den Gemeindebehörden angeordnet und auf dem Territorium der Gemeinde abgehalten werden. Es müsse der Gemeinde jedenfalls das Recht zugestanden werden, zu bestimmen, in welcher Weise dieses leztere ben uzt werden dürfe; in E r w ä g u n g : In der Bundesverfassung vom Jahre 1848 sind bei dem Grundsaze des freien Kaufs und Verkaufs von Lebensrnitteln ,,Verfügungen .gegen schädlichen Vorkauf" ausdrüklich vorbehalten (Art. 29, c).

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Dieser Vorbehalt ist in der Bundesverfassung von 1874 fallen gelassen. Art. 31 derselben gewährleistet die Freiheit des Handels und der Gewerbe. Vorbehalten sind ,,Verfügungen über Ausübung von Handel und Gewerben"-. (Art. 31, c.)

Nachdem der Vorbehalt des Vorkaufs von Lebensmitteln in die neue Verfassung nicht mehr aufgenommen worden ist, fragt es sich, ob derselbe unter die im Art. 31, c vorbehaltenen Verfügungen eingereiht werden dürfe.

Diese Frage ist zu verneinen. Denn gemäß Schlußsaz des Art. 31 der Bundesverfassung dürfen solche Verfügungen dem an die Spize jenes Artikels gestellten Grundsaze selbst nicht widersprechen.

Mit dieser Bestimmung steht aber der angefochtene Artikel 202 des Polizeireglementes von Delsberg nicht im Einklang, weil er den freien Kauf und Verkauf von Lebensmitteln nicht gestattet.

Wenn einerseits richtig ist, daß, wie der Regierungsrath in seiner Vernehmlassung sagt, die Gemeinderäthe Vorschriften über die auf ihrem Territorium abzuhaltenden Märkte aufzustellen befugt sind, so ist andererseits ebenso richtig, daß solche Vorschriften verfassungsmäßige Rechte nicht beeinträchtigen dürfen.

Der Bundesrath hat denn auch bereits anläßlich eines Rekurses grundsätzlich erkannt, daß das Verbot des Vorkaufes von Lebensmitteln mit Art. 31 der Bundesverfassung nicht vereinbar sei (vide Bundesblatt vom Jahr 1876, II, pag. 582 ff.), beschlossen: 1. Der Rekurs ist begründet, und die Regierung von Bern wird eingeladen, für Revision des Polizeireglementes von Delsberg zu sorgen.

2. Gegenwärtiger Beschluß ist der Regierung von Bern und den Geschwistern Schacher in Delsberg mitzutheilen.

Bern, den 7. September 1877.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Dr. J. Heer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schiess.

Bundesblatt. 29. Jahrg. Bd. IV.

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Bundesrathsbeschluss in Sachen der Geschwister Marianne und Catharine Schacher in Delsberg, betreffend Bestrafung wegen Vorkauf von Lebensmitteln. (Vom 7. September 1877.)

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1877

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15.12.1877

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723-725

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