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Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend das Begnadigungsgesuch für Barthélemy Rigoni von Vira (Tessin), gew. Korporal im Füsilierbataillon Nr. 7.

(Vom 23. November 1877.)

Tit.!

Barthélémy Prim Rigoni, 25 Jahre alt, von Vira, Kts. Tessin, domizilirt in Freiburg als Dekorationsmaler, Korporal bei der III. Kompagnie des Füsilierbataillops Nr. 7, wurde unterm 13. September 1877 vom Kriegsgericht der I. Division wegen ausgezeichneten Diebstahls, in Anwendung der Art. 131,132, litt, e und 133, litt, a des Bnudesgesezes über die Strafrechtspflege für die eidg.

Truppen vom 27. August 1851 verurtheilt : 1) zu einer Gefängnißstrafe von 8 Monaten ; 2) zum Verlust des Aktivbürgerrechts auf die Dauer von drei Jahren ; 3) zur Entsezung von seinem Korporalsgrad ; 4) zu Bezahlung von Fr. 10 Kosten (Zeugengelder) und 5) sur Restitution des Gestohlenen, insoweit dieses nicht durch Rükgabe der dem Rigoni abgenommenen Fr. 9 bereits erfolgt ist.

Aus den diesfälligen Untersuchungsakten ergibt sich über das Nähere dieses Straffalles Folgendes:

721 Am Morgen des 9. September 1877 beim Appell machte Louis Chappuis, der sich als Korporal der III. Kompagnie des Bataillons Nr. 7 auf dem Waffenplaze Bière befand, bei dem Hauptmann seiner Kompagnie die Anzeige, daß ihm während der Nacht aus der Tasche seiner Hosen, die über dem Bett aufgehangen, das Portemonnaie mit Inhalt, nämlich einem Zehnfrankenstük, drei Fünffrankenslüken und etwa Fr. 1. 50 bis Fr. 2 in kleiner Münze abhanden gekommen sei. Es entstund Verdacht gegen den im gleichen Zimmer in einem Bette unmittelbar neben Chappuis schlafenden Korporal Rigoni, weil derselbe von Kameraden Geld geliehen und in der Rükerstattung des Geliehenen nicht pünktlich gewesen, und weil er s. Z. von Lieutenant Contesse von Vivis, bei welchem er als Dekorationsmaler angestellt gewesen, -entlassen wurde aus Gründen, welche seine Redlichkeit in Zweifel sezen mußten. Der mit der Voruntersuchung beauftragte Offizier ließ Rigoni nach der Anzeige auf das Zimmer bescheiden und untersuchen. Das abhanden gekommene Portemonnaie fand sich zwar bei ihm nicht vor, dagegen ein anderes mit einem Inhalt von Fr. 12. 55, das Rigoni als das seinige bezeichnete, obschon er am Tage vorher hatte verlauten lassen, er habe sein Portemonnaie verloren. Gegen Abend erhielt Rigoni eine Depesche von einer Magdalena Werro, welche ihm meldete, daß seine Frau in Folge einer Entbindung schwer erkrankt sei und seine ungesäumte Rükkehr verlangt werde. Mit dieser Depesche wollte Rigoni seine Entlassung bewirken, und als ihm dies nicht gelang, brach er in Schluchzen aus, rief das Mitleid für sich und seine Frau an und gestand ein, daß er dem Korporal Chappuis das Portemonnaie mit Inhalt entwendet habe. Er sagte, er habe das Portemonnaie nicht aus den Hosen des Klägers genommen, sondern auf dem Stroh des Lagers gefunden ; es habe drei Fünffrankenstiike und kleine Münze enthalten und sei von ihm, nachdem er das Geld daraus behändigt, auf dem Exerzierplaz weggeworfen worden. Hierauf wurde Rigoni verhaftet. Am folgenden Tage wiederholte er sein Geständniß, gab den Inhalt des entwendeten Portemonnaie auf Fr. 15. 05 an und bemerkte in Betreff der Tags vorher erhaltenen Depesche, dieselbe rühre von seiner Frau her, der er zuvor unter ihrem frühem Namen telegraphirt, sie möge sofort telegraphisch wegen Krankheit oder aus einem andern Grunde um seine
Entlassung nachsuchen, da es sonst zu spät sei.

Bei seiner Verhaftung besaß Rigoni von dem entwendeten Gelde noch Fr. 9 und diese wurden dem Damnifikaten y.urükges teilt.

Das Urtheil ist in Rechtskraft erwachsen und der Regierung von Freiburg zur Vollziehung überwiesen worden.

722 Mit Schreiben vom 7. November 1877 bittet nun Jean Andrò Rigoni in Freiburg, der Vater des Verurtheilten, für diesen um Begnadigung, indem er einerseits auf die bisherige gute Aufführung seines Sohnes hinweist und andererseits geltend macht, die Strafe laste nicht allein schwer auf dem Verurtheilten, sondern auch auf ihm, dem Vater, und seiner ganzen Familie. Er hebt namentlich hervor, daß er mit seinem Sohne das gleiche Geschäft betreibe und daß es ihm bei seinem vorgerükten Alter von 61 Jahren und seiner Kränklichkeit nicht möglich sei, ohne die Hülfe seines Sohne» dasselbe fortzuführen und seinen fünf noch jungem Kindern das Auskommen zu sichern. Diesem Begnadigungsgesuche schließt sich die ganze Familie Rigoni an.

Wir können auch in diesem Falle eine Begnadigung nicht befürworten. Der Diebstahl ist qualifizirt, weil er zum Nachtheil eines Kriegskameraden begangen worden ist, und die gesezliche Strafe beträgt im Minimum 6 Monate Gefangniß. Die Diebstähle der vorliegenden Art in Kasernen und auf Waffenpläzen kommen so häufig vor, daß der Ernst des Gesezes durch unmotivirte Begnadigungen nicht abgeschwächt werden darf; und wenn das Gericht, das am besten in der Lage gewesen ist, alle Umstände des Verbrechens genau zu erwägen, gefunden hat, die Strafe dürfe nicht auf das Minimum herabgesezt,werden, so kann das Urtheil auf dem Wege der Begnadigung mir dann gemildert werden, wenn triftige Gründe dafür vorliegen. Diese Gründe fehlen. Daß die Strafe in ihren nachtheiligeu Wirkungen nicht allein den Schuldigen, sondern auch seine Angehörigen trifft, ist zu bedauern, kommt aber leider so häufig vor, daß der Konsequenz wegen dieser Umstand allein nicht zureichend erscheint, eine wohlverdiente gesezliche Bestrafung auf dem Begnadigungswege aufzuheben.

Wir tragen also auf Abweisung des vom Vater Rigoni für seinen Sohn Barthélémy Prim Rigoni eingereichten Begnadigungsgesuches an.

B e r n , den 23. November 1877.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Dr. J. Heer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Scüiess.

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Botschaft des Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend das Begnadigungsgesuch für Barthélemy Rigoni von Vira (Tessin), gew. Korporal im Füsilierbataillon Nr. 7. (Vom 23. November 1877.)

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15.12.1877

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720-722

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