#ST#

Schweizerisches Bundesblatt.

29. Jahrgang. II.

Nr. 19.

#ST#

28. April 1877.

ü Berichtt des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung über seine Geschäftsführung im Jahre 1876.

Geschäftskreis des Justiz- und Polizeidepartements.

A. Justizverwaltung.

I. Gesezgebung.

1. Mit Botschaft vom 25. Oktober 1876 legten wir den Entwurf z u einem B u n d e s g e s e z b e t r e f f e n d d i e p o l i t i s c h e n R e c h t e der Niedergelassenenund Auf-e n t h a l t e r und den V e r l u s t der politischeRechtee' der S c h w e i z e r b ü r g e r (Bundesblatt 1876, Band IV, S. 26) der Bundesversammlung vor. Der Nationalrath hat bekanntlich im Dezember 1876 diesen Entwurf in erster Lesung durchberathen, der Ständerath aber die Berathung desselben in das Jahr 1877 verschoben.

2. Den Gesezesentwurf b e t r e f f e n d die z i v i l rechtlichen Verhältnisse der schweizerischen Bundesblatt. 29. Jahrg. Bd. II.

34

502 N i e d e r g e l a s s e n e n u n d A u f e n t h a l t e r , welcher a u s Gründen der Logik und Zwekmäßigkeit von dem erstem Gesezesvorschlage ausgeschieden wurde, haben wir ebenfalls mit Botschaft vom 25. Oktober 1876 der Bundesversammlung vorgelegt, und es ist auch dieser Entwurf in der Dezembersession vom Nationalrath durchberathen, vom Ständerath aber in das Jahr 1877 verschoben worden (Bundesblatt 1876, IV, 39).

3. Das B u n d e s g e s e z b e t r e f f e n d die B e s e i t i g u n g d e r D o p p e l b e s t e u e r u n g behufs Ausführung v o n Art. 46 der Bundesverfassung ist als weniger dringlich verschoben geblieben, was nicht nachtheilig sein kann, da diese Materie noch einer bessern Abklärung bedarf und inzwischen durch die Entscheide des Bundesgerichtes allmälig eine Praxis sich herausbildet, durch welche den dringendsten Bedürfnissen genügt werden mag.

4. Dagegen konnten wir nach reiflicher Vorberathung mit Botschaft vom 2. Juni 1876 der Bundesversammlung den Entwurf z u einem B u n d e s g e s e z b e t r e f f e n d d i e E i n t h e i l u n g des Schweizerbürgerrechtes und den Verzicht auf d a s s e l b e vorlegen. Am 3. Juli 1876 haben die eidgenössischen Räthe die definitive Redaktion desselben festgestellt, und nachdem die Referendumsfrist unbenuzt abgelaufen, wurde dasselbe am 22. November 1876 als in Kraft getreten und mit dem 1. Januar 1877 vollziehbar erklärt. Die bezüglichen Aktenstüke sind gedrukt im Bundesblatt 1876, E, 897 ; HI, 321 ; Off. Samml., Neue Folge, Bd. II, S. 510 ; Bundesblatt 1876, IV, 253.

5. Die Vorberathung des Entwurfes zu einem s c h w e i z e rischen Obligationenrecht mit Einschluß des H a n d e l s - und W e c h s e l r e c h t e s (Art. 64 der Bundesverfassung) wurde im Laufe des Berichtjahres von unserm Justizund Polizeidepartement vorzugsweise gefördert. Die früher bestellte Kommission mußte aus verschiedenen Gründen ergänzt werden.

Nachdem der allgemeine Theil der französischen Uebersezung im Anfange des Monates Mai 1876 gedrukt war, trat die Kommission .am 16. bis 21. Mai 1876 in Zürich zusammen; sie konnte denselben in erster Lesung vollständig durchberathen. Die Kommission beschloß gleichzeitig, am 18. September in Genf wieder zusammen zu treten behufs Berathung des speziellen Theiles. Die Uebersezung, der Druk und andere damit
verbundene Arbeiten wurden der Art befördert, daß diesem Beschlüsse Folge gegeben werden konnte. Vom 18. September bis 7. Oktober 1876 hat dann die Kommission die erste Lesung auch des speziellen Theiles beendigen können, worauf der Redaktor, Herr Professor Fick in Zürich,

503 die Durcharbeitung des ganzen Entwurfes nach Maßgabe der Beschlüsse der erwähnten Kommission an die Hand nahm. Bis gegen Ende November führte Herr Professor Fick seine Arbeit aus. Der Druk des ganzen Entwurfes, wie er aus der ersten Lesung der Kommission hervorgegangen, kam tliedoch erst im Februar 1877 zum O O O > Abschlüsse. Von dem Wunsche ausgehend, daß diese Arbeit allseitig geprüft und durch die Kritik beleuchtet werden möchte, wurde dem Entwurfe eine möglichste Verbreitung verschafft. Sobald die französische Uebersezung der neuen Redaktion beendigt ist, wird die Kommission zur zweiten Berathung zusammentreten.

6. Der Entwurf zu einem B u n d e s g e s e z ü b e r S c h u l d b e t r e i b u n g und K o n k u r s wurde in Folge eines Beschlusses der Kommission zurükgestellt bis nach der Durchführung des oben erwähnten Gesezes über das Obligationenrecht. Im Anfange des Monates Februar 1876 wurde der Gegenantrag der Minderheit der Kommission den obersten Gerichtshöfen der Kantone mitgetheilt, mit der Andeutung, daß allfällige kritische Bemerkungen gerne entgegengenommen würden. Es sind jedoch bis jezt keine derartigen Mittheilungen gemacht worden.

7. Dagegen wurde die Revision des B u n d e s g e s e z e s betreffend die Verbindlichkeit zur Abtretung von P r i v a t r e e h t e n , vom 1. Mai 1850 (uff. S. I, 319) an die Hand genommen. Nachdem das Eisenbahn- und Handelsdepartement das Bedürfniß einer solchen Revision geprüft und in einem bezüglichen Gutachten bejaht hatte, wurde noch das Bundesgericht zu einem Berichte und eventuell zur Bezeichnung derjenigen Vorschriften jenes Gesezes eingeladen, welche mit Rüksicht auf die Entwikelung der Industrie und Gewerbe vorzugsweise einer Revision bedürfen. Es ist jedoch dieser leztere Bericht noch nicht eingegangen.

8. Im lezten Geschäftsberichte wurde zwar erwähnt, daß nun die Verhandlungen betreffend den B a u p l a z für das Ger i c h t s g e b ä u d e des B u n d e s g e r i c h t e s in Lausanne an das eidgenössische Departement des Innern, Abtheilung Bauwesen, übergehen werden. Allein da es sich gewissermaßen noch um die Vollziehung des Bundesgesezes über die Organisation der Bundesrechtspflege (Art. 11) und des Bundesbesehlusses betreffend den Amtssiz des Bundesgerichtes vom 26. und 27. Juni 1874 handelt, so wurde diese Angelegenheit auch fernerhin durch das Justiz- und Polizeidepartement behandelt, welches dieselbe von Anfang an geleitet hatte.

504

Die Verhandlungen ini Laufe des Jahres 1876 hatten einzig die Feststellung des Bauplazes zum Gegenstande, ohne daß es gelungen wäre, dieselben zum Abschlüsse zu bringen. Der Gemeinderath der Stadt Lausanne machte erst im Anfange des Monats Mai die schon zu Ende des Jahres 1875 erwarteten Vorschläge. Er bezeichnete sechs verschiedene Baupläze, welche am Ende des gleichen Monats durch Abordnungen des Bundesrathes und des Bundesgerichtes in Anwesenheit von Repräsentanten der Regierung des Kantons Waadt und des Gemeinderathes der Stadt Lausanne unter Zuzug von Experten einer einläßlichen Prüfung unterstellt wurden.

Die Experten eliminirten drei dieser Pläze und das Bundesgericht noch dazu einen vierten. Bezüglich der zwei übrigen Grundstüke, welche zum Bau des Bundesgerichtshauses geeignet schienen, indeß auch nur unter gewissen Bedingungen als konkurrenzfähig anerkannt werden konnten, mußte zum Zweke der Formulirung einiger der Umgebung aufzulegender Sei-vituten, Ermittlung der Sicherheit des Baugrundes, Sicherung der Zufahrten etc., noch eine weitere Expertise angeordnet werden, welche jedoch erst gegen Ende des Jahres zum Abschlüsse kam. Am 29. Dezember 1876 wurde dieser Expertenbericht dem Gemeinderathe von Lausanne mitgetheilt und damit die Einladung verbunden, nunmehr beförderlich den Entscheid der kompetenten Behörde über die definitive Wahl des Bauplazes zu veranlaßen.

Mittlerweilen machte sich in der Einwohnerschaft der Stadt Lausanne eine Opposition geltend gegen den Bau eines neuen Bundesgerichtshauses.

Der Gemeinderath erklärte jedoch am 16. Juni mittelst eines durch den Staatsrath eingesandten Beschlusses, daß er loyal und rechtzeitig (en temps voulu) die gegenüber der Eidgenossenschaft übernommenen Verpflichtungen erfüllen werde. Gleichwohl wurde eine vom 6. Juli datirte und von 817 Unterschriften bedekte Eingabe eingesendet, worin die Petenten das Gesuch stellten: a. es möchte der Bau eines Bundesgerichtshauses verschoben werden, da die bereits angewiesene Lokalität als genügend erscheine; t», es möchten bei den Behörden des Kantons Waadt und bei denjenigen der Gemeinde Lausanne die nöthigen Schritte gethan werden, um das gegenwärtige Sizungslokal zum definitiven Siz des Bundesgerichtes umzugestalten.

505

Wir sind jedoch am 12. Juli 1876 über diese Petition zur Tagesordnung geschritten, gestüzt auf folgende Erwägungen : 1) Der Art. 11 des G-esezes über die Organisation der Bundesrechtspflege überbindet der Stadt, welche als Amtssiz des Bundesgerichtes erkoren wird, die Verpflichtung, die für das Gericht und seine Abtheilungen, für die Kanzlei undl das Archiv jeweilen erforderlichen zwekentsprechenden Räumlichkeiten unentgeltlich zur Verfügung zu stellen, zu möbliren und zu unterhalten. Die Stadt Lausanne hat diese Verbindlichkeit in vollem Umfange gegenüber der Eidgenossenschaft übernommen und sich dadurch die Wahl als Bundesgerichtssiz gegenüber einer Anzahl mitkonkurrirender Städte zu sichern gewußt.

2) Die Räumlichkeit, in welcher zur Zeit das Bundesgericht untergebracht ist, mag als p r o v i s o r i s c h e Installation für eine kurze Zeitdauer ausreichen, genügt aber in keiner Beziehung weder den gegenwärtigen, noch den zukünftigen Bedürfnissen des Gerichtshofes, und es kann keine Rede davon sein, dieselbe als definitiven Siz und als Erfüllung der von Seite der Stadt Lausanne eingegangenen Verpflichtung anzunehmen. · 3) Uebrigens tritt in anerkennungswerther Weise selbst der Conseil Communal, als das zuständige Organ der Gemeinde Lausanne, durch Vermittlung des Staatsrathes des Kantons Waadt der Petition entgegen und gibt mittelst Protokollauszug vom 16. Juni die Erklärung ab, daß die Stadt Lausanne ihre Vertragspflicht loyal und zu gehöriger Zeit erfüllen werde." Der Bundesrath sezt sein volles Vertrauen darauf, daß die gegebenen Zusicherungen in besten Treuen gehalten und vollzogen werden.

In einer Zuschrift vom 13. Oktober machte der Syndic von Lausanne noch die Anregung, daß die Stadt Lausanne, nachdem sie ein Gerichtshaus gemäß dem vom Bundesrathe festgestellten und von der Gemeinde Lausanne grundsäzlich nicht bestrittenen Programm erstellt haben werde, sodann von weitern Leistungen und von der Pflicht des Unterhaltes entbunden werden soll.

In dem oben erwähnten Schreiben vom 29. Dezember beantwortete der Chef des Justiz- und Polizeidepartementes diese Anregung dahin, daß seines Erachtens zur Zeit hierauf nicht eingetreten werden könne.

Erst nachdem sowohl der Bauplaz, als auch der Bauplan definitiv festgestellt und von den Interessirten allgemein angenommen sein werden, könne der Bundesrath frühestens in der Lage sich befinden, die angeregte Frage in Erwägung zu ziehen.

506

9. Hier ist noch die M o t i o n des Herrn Ständerath Preuler anzureihen -- der Bundesrath sei einzuladen, dahin zu wirken, nöthigenfalls mit Hilfe der Gerichte , daß die in Bern und durch Filialinstitute auch in andern Kantonen domizilirte A k t i e n g e s e l l s c h a f t , , E i d g e n ö s s i s c h e Bank"· -- ,, B a n q u e f é d é ral e a -- aufhöre, in ihrer Firma das Prädikat ,,eidgenössisch" zu führen.

Nachdem der Ständerath diese Motiou am 10. März 1876 erheblich erklärt hatte, erfolgte am 2. Juni die von uns verlangte Berichterstattung. Am 17. Juni genehmigte der Ständerath unsern Antrag, dahingehend, es sei der Motion keine Folge zu geben, womit diese Angelegenheit erledigt ist. (Bundesblatt 1876, H, 741 und 994.)

II. Garantie von Kantonsverfassungen.

Das Justiz- und Polizeidepartement hatte im Laufe des Jahres 1876 folgende Revisionen von Kantonsverfassungen zu behandeln: 1) Die Staatsverfassung des Kantons S o l o t h u r n vom 13. November 1875, von der Bundesversammlung gewährleistet am 21. März 1876. Eine Reklamation gegen die §§ 12 und 14 betreffend die Aufsicht über die Schulen und die Organisation der kirchlichen Verhältnisse wurde als unbegründet erklärt. Bezüglich des § 12, wodurch der gesammte im Kanton ertheilte Unterricht unter die Aufsicht des Staates gestellt ist, kam der bei Anlaß der Gewährleistung der Verfassung des Kantons Luzern aufgestellte Gruudsaz (Amtliche Sammlung n. F. I, 592) abermals zur Anwendung, und im Weitern wurde der Gesichtspunkt in Betracht gezogen, daß Solothurn das Recht habe, das Requisit des Art. 27 der Bundesverfassung ü b e r die P r i m a r s t u f e h i n a u s auf den weiter folgenden Unterricht auszudehnen, weil die Bundesverfassung den höhern Unterricht in den Kantonen nicht berühre und somit den leztern das Recht gewähre, den vom Bunde anerkannten Grundsaz auf a l l e S c h u l s t u f e n zur Anwendung zu bringen. Die Einrede gegen § 14, welcher der Gesezgebung vorbehält, über die äußere Organisation der kirchlichen Genossenschaften und deren Vermögensverhältnisse Bestimmungen aufzustellen, wurde unter Hiuweisung auf die Botschaft, betreffend die Verfassung von Basel-Stadt (Bundesblatt 1875, III, 285 und 614), zurükgewiesen. Bundesblatt 1876,1, 497, offizielle Sammlung n. F. D, 114.

507

2) Die Revision der Verfassung des Kantons W alii s vom 26. November 1875. Dieser Verfassung wurde am 29. Juni 1876 unter zwei Bedingungen die eidgenössische Gewährleistung ertheilt.

Einerseits wurde erklärt, daß Alinea l von Art. 2, dahin lautend: ,,Die römisch-apostolisch-katholische Religion ist die Staatsreligion,a nur im Sinne der Art. 49, 50 und 53 der Bundesverfassung ausgelegt und angewendet werden dürfe. Sodann wurde mit Bezug auf Art. 11, worin nur der öffentliche Unterricht unter die Leitung und die Oberaufsicht des Staates gestellt ist, die unbeschränkte Anwendung von Art. 27 der Bundesverfassung im Sinne des Bundesbeschlusses, betreffend die Gewährleistung der Verfassung des Kantons Luzern, vorbehalten. Bundesblatt 1876, I, 707 ; III, 41, und offizielle Sammlung n. F. II, 364.

3) Die Partialrevision der Verfassung des Kantons Z u g vom 23. April 1876, wodurch die mit Bundesbeschluß vom 17. Juni 1874 zurükgewiesenen Artikel der Verfassung des Kantons Zug von 1873 revidirt und zugleich noch einige weitere damit zusammenhängige Bestimmungen der leztern abgeändert wurden. Die eidgenössische Gewährleistung wurde am 4. Juli 1876 ausgesprochen. Bundesblatt 1876, III, 167, offizielle Sammlung n. F. II, 368.

4) Die Verfassung des Kantons Seh ä f f h a u s en vom 14. Mai 1876, von der Bundesversammlung gewährleistet am 1. Juli 1876.

Bundesblatt 1876, III, 185; offizielle Sammlung n. F. II, 366.

5) Die Verfassung des Kantons S c h w y z vom 11. Juni 1876.

Die Botschaft des Bundesrathes, sowie die Berichte der ständeräthlichen und der Mehrheit der nationalräthlichen Kommission sind gedrukt im Bundesblatt 1876, IH, 369 und 1877, I 69 und 521.

Diese Verfassung wurde, mit Ausnahme einiger Bestimmungen, am v 20. März 1877 von der Bundesversammlung gewährleistet.

"O Ö 6) Die Verfassung des Kantons A p p e n z o l l A. R h. vom 15. Oktober 1876, gewährleistet am 23. Dezember 1876. Bundesblatt 1876, IV, 172; offizielle Sammlung n. F. H, 561.

7) Die zwei Verfassungsdekrete des Kantons T e s s i n vom 20. November 1875 und 24. November 1876. Der Bundesbeschluß über die Gewährleistung dieser beiden Dekrete vom 22. Dezember 1876 (offizielle Sammlung n. F. II, 559) enthält ebenfalls zwei Bedingungen, welche sich auf das Verfassungsdekret vom 20. November 1875 beziehen. In Art. 2 wurde nämlich lediglich die F r e i h e i t des Privatunterrichtes garantii t, ohne Vorsorge zu treffen, daß die in Art. 27 der Bundesverfassung vorausgesezten Organe für

508

die Leitung des Schulwesens vorhanden seien. Es mußte daher ähnlich, wie es bezüglich der Verfassungen von Luzern und Wallis geschah, konstatirt werden, daß getnäß Art. 27 der Bundesverfassung der g e s a m m t e Primarunterricht unter staatlicher Leitung stehen soll. Gegenüber Art. 12. jenes Verfassungsdekretes, wonach die Eigenschaft eines Abgeordneten in den Großen Rath unvereinbar sein sollte mit einer eidgenössischen Beamtung, wurde konstatirt, daß hierin eine Verleznng von Art. 4 der Bundesverfassung liege, indem der eidgenössische Beamte den Kantonen gegenüber nur als Bürger in Betracht komme und als solcher gleiche Behandlung vor dem Geseze beanspruchen könne. Im Uebrigen wird auf die bezüglichen gedrukten Aktenstüke verwiesen: Bundesblatt 1875, IV, 1189 -- 1876, I, 25, 106 und 684 -- offizielle Sammlung n. R II, 112 -- Bundesblatt 1876, IV, 791, 811 und 821 -- 1877, I, 1.

offizielle Sammlung n. F. u, 559.

III. Konkordate.

Mit Beschluß der Landsgemeinde vom 7. Mai 1876 ist der Kanton G l a r u s von dem Konkordate, betreffend Testirungsfähigkeit und Erbrechtsverhältnisse vom 15. Juli 1822 (alte offizielle Sammlung II, S. 36), zurükgetreten, sodaß, nachdem Thurgau schon im Jahr 1866 seinen Rüktritt erklärt hatte, gegenwärtig nur noch folgende elf Kantone in diesem Konkordate stehen, nämlich: Zürich, Bern, Luzern, Uri, Schwyz, Unterwaiden, Solothurn, Schaffhausen, Appenzell, Aargau und Tessin. Der Wortlaut des Beschlusses der glarnerischen Landsgemeinde ist zu finden in der offiziellen Sammlung n. F. H, 276.

IT. Verhältnisse zu auswärtigen Staaten.

a. Verträge und Konventionen.

1. Der F r e u n d s c h a f t s - , N i e d e r l a s s u n g s - und Hand e l s v e r t r a g mit dem Königreich der N i e d e r l a n d e konnte noch nicht definitiv zum Abschlüsse kommen, weil die niederländische Regierung eine Erläuterung desselben mittelst eines Zusazprotokolles glaubte antragen zu sollen. Es knüpften sich neue Verhandlungen an über den Wortlaut dieses Protokolles, welche sich durch das ganze Jahr hinzogen. Erst im Anfang des Jahres 1877 wurde zwischen den Bevollmächtigten eine neue Redaktion des Zusazprotokolles

509 vereinbart. Es ist nun zu gewärtigen, ob der Vertrag in dieser ergänzten Form den Beifall der Generalstaaten finden werde. Eine bezügliche Vorlage an die schweizerische Bundesversammlung wird, wie schon im lezten Berichte erwähnt wurde, erst erfolgen, nachdem die Ratifikation durch die Generalstaaten stattgefunden hat.

2. Ueber den Abschluß des N i e d e r l a s s u n g s v e r t r a g e s mit dem d e u t s c h e n R e i c h e haben wir mit Botschaft vom 3. Juni 1876 Bericht erstattet. Nachdem derselbe die beidseitige Ratifikation erhalten, ist er am 31. Dezember 1876 in Berlin ausgewechselt und mit dem 1. Januar 1877 in Vollziehung gesezt worden. Für die Vollziehung des von der Bundesversammlung bei Anlaß der Ratifikation dieses Vertrages am 27. Juni 1876 beschlossenen Postulates, dahin gehend : ,,Der Bundesrath wird beauftragt, dafür zu sorgen, daß, sei es im Protokoll über Auswechslung der Ratifikationsurkunden, sei es im Verbale der Aufnahme des Vertrages in die Gesezsammlung, sei es endlich in einem speziellen dem Vertrage anzuhängenden Akte, die aufgehobenen Verträge aufgezählt werden," -- -wurden die nöthigen Einleitungen getroffen.

Da es jedoch bis zur Auswechslung des Vertrages nicht möglich war, die einzelnen Vereinbarungen, welche durch den Vertrag betroffen werden, festzustellen, indem die Zahl derselben mehr als zwanzig beträgt, so wurde, nachdem das deutsche Reichskanzleramt seinerseits sich hiemit einverstanden erklärt hatte, in dem Protokoll über die Auswechslung des Vertrages festgestellt, daß vom 1. Januar 1877 hinweg nicht bloß die im Art. 11 des Vertrages erwähnten früher zwischen der Schweiz und einzelnen deutschen Staaten abgeschlossenen Niederlassungsverträge ihre Gültigkeit verlieren, sondern daß von demselben Zeitpunkte hinweg auch alle sonstigen zwischen dem deutschen Reiche, dem vormaligen norddeutschen Bunde, oder einzelnen deutschen Staaten, und der schweizerischen Eidgenossenschaft, oder einzelnen Kantonen der Schweiz, abgeschlossenen besondern Uebereinkommen über solche Gegenstände, welche der Niederlassungsvertrag mit dem deutschen Reiche umfaßt, außer Wirksamkeit treten, soweit sie nicht als schon früher durch generelle Abkommen der gleichen Art dahin gefallen zu betrachten sind. Dabei bleibt vorbehalten, durch Austausch entsprechender Noten im Einzelnen
festzustellen, welche frühere Abkommen der gedachten Art hienach als aufgehoben anzusehen sind.

Die aufgehobenen Verträge und Üebereinkünfte werden wir seinerzeit im Bundesblatt und in der offiziellen Gesezessammlung aufzählen. Die bezüglichen Aktenstüke sind gedrukt : Bundesblatt 1876, II, 877; EI, 138; IV, 757; offizielle Sammlung n. F. U, 566.

510

3. Die kaiserlich b r a s i l i a n i s c h e Regierung hat bis jezt ihrem Wunsche zum Abschluß eines A u s l i e f e r u n g s v e r t r a g e s keine weitere Folge gegeben, sodaß die im lezten Geschäftsbericht in Aussicht gestellten bezüglichen Unterhandlungen nicht eröffnet werden konnten.

4. Dagegen hat der im Dezember 1875 von der schweizerischen Bundesversammlung ratiftzirte N i e d e r l a s s ü n g s v e r t r a g mit Oes t er r e i c h - U n g a r n die Ratifikation dieses leztern Staates erhalten und konnte am 22. April 1876 in Bern ausgewechselt werden.

Gemäß Art. 9 ist dieser Vertrag mit dem 20. Mai 1876 in Kraft getreten. Geschäftsbericht pro 1875: Bundesblatt 1876, II, 243; Botschaft des Bundesrathes: Bundesblatt 1875, IV, 1147; Kommissionsbericht: Bundesblatt 1876, I, 64; Ratifikation und Vertrag: offizielle Sammlung n. F. II, 146 und 148.

5. Ueber den Abschluß des im lezten Geschäftsberichte erwfchnten Vertrages mit dem Großherzogthum L u x e m b u r g , betreffend gegenseitige Auslieferung von Verbrechern und A n g e s c h u l d i g t e n , haben wir der Bundesversammlung mit Botschaft vom 25. Februar 1876 Bericht erstattet. Nachdem dieser Vertrag die beidseitige Ratifikation erhalten hatte, wurde derselbe am 11. April 1876 in Paris ausgewechselt und auf den 1. Mai gì. J.

in Vollziehung gesezt. Bundesblatt 1876, I, 602; offizielle Sammlung n.-F. II. 119 und 120.

6. Mit Rüksicht auf den Umstand, daß der A u s l i e f e r u n g s v e r t r a g z w i s c h e n der S c h w e i z und I t a l i e n vom 22. Juli 1868 keine Bestimmung enthält, betreffend die B e w i l l i g u n g des T r a n s i t e s von Verbrechern, welche von einem dritten Staate an die Schweiz oder an Italien ausgeliefert werden und das Gebiet des andern Staates transitiren müssen, und unter Berufung auf die Thatsache, daß die Vereinbarung vom 25. Juli 1873 (B.-B1. 1873, III, 569) nur auf Individuen sich beschränkt, welche zwischen Italien und Deutschland ausgeliefert werden, stellte die italienische Regierung den Antrag, es möchte mittelst einer einfachen Erklärung ein diesen Mangel ergänzender Zusaz zu dem Ablieferungsverträge vereinbart werden. Wir erklärten uns bereit, auf die angeregte Ergänzung des Auslieferungsvertrages einzutreten, glaubten aber, aus konstitutionellen Gründen die vorgeschlagene Form nicht
annehmen zu können, da wir die Ratifikation der eidg. Räthe einholen müßten. Die italienische Regierung ist jedoch auf diesen Gegenstand nicht mehr zurükgekommen.

7. Einen ähnlichen Antrag des deutschen Reichskanzleramtes Behufs A u s d e h n u n g d e s A u s l i e f e r u n g s V e r t r a g e s

511

z w i s c h e n d e r S c h w e i z u n d d e m D e u t s c h e n Reich vom 24. Januar 1874 auf gewisse in diesem Vertrage nicht vorgesehene Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit mußten wir im gleichen Sinne beantworten , wie die oben erwähnte Anregung von Italien.

8. Dagegen haben die Erfahrungen in einigen neuern Spezialfällen uns veranlaßt, bei dem deutschen Reichskanzleramte den Abschluß einer U e b e r e i n k u n f t in Anregung zu bringen zum Zweke der Regulirung und Vereinfachung des V e r f a h r e n s für den T r a n s i t von I n d i v i d u e n durch Belgien, Deutschl a n d u n d L u x e m b u r g , welche von England, Belgien, Holland und Luxemburg an die Schweiz oder . umgekehrt von der Schweiz an Luxemburg, Belgien, England und Holland gemäß den bestehenden Staatsverträgen ausgeliefert werden. Wir haben dabei eine Uebereinkunft -im Auge, ähnlich der oben erwähnten vom 25. Juli 1873, betreffend den Transit von Individuen, die zwischen Deutschland und Italien über schweizerisches Gebiet ausgeliefert werden, indem die dort vereinbarten Vorschriften im Falle gehöriger Anwendung sich als ganz zwekmäßig bewährt haben. Wir betrachten die angeregte Vereinbarung mit Deutschland, Belgien und Luxemburg bloß als eine Vollziehungsmaßregel der in den Auslieferungsverträgen mit diesen Staaten enthaltenen bezüglichen Vorschriften und daher eine weitere Vorlage derselben an die Bundesversammlung nicht als nothwendig, zumal im Falle sie zu Stande käme, bloße Erklärungen der Regierungen der betheiligten Staaten ausgetauscht würden. Das deutsche Reichskanzleramt hat sich vorläufig zürn Austausche solcher Erklärungen bereit gefunden. Die Rükäußerungen der Regierungen von Belgien und Luxemburg stehen noch aus.

b. A n w e n d u n g des V e r t r a g e s mit Frankreich v o m 15. J u n i 1869.

9. Die Stadt Genf, als Uni versai legatarin des Herzogs von Braunschweig, wurde von einem Herrn Weiß, ursprünglich aus Preußen, in Paris gerichtlich belangt für Bezahlung einer Summ« von Fr. 108,000 als Entschädigung für Besorgung gewisser ökonomischer Interessen des Herzogs in Berlin. Das erstinstanzliche Gericht erklärte sich kompetent, gestüzt darauf, daß Hr. Weiß mit ,,Décret du Gouvernement de la Défense nationale" vom 7. September 1870 zum Genuß der Rechte eines französischen Bürgers zugelassen worden
sei, daß nach Art. 14 des Code civil ein Fremder vor die französischen Gerichte citirt werden könne behufs Erfüllung von Verpflichtungen, welche er in Frankreich gegen einen

512 Franzosen eingegangen habe, daß diese Vorschrift ebenfalls auf den Erben oder auf den Universallegatar dieses Fremden übergehe, und daß somit der internationale Vertrag vom 15. Juni 1869 hier keine Anwendung finde, weil der Herzog von Braunschweig nicht der schweizerischen Nationalität angehört habe. Da die Stadt Genf bei der Gerichtsverhandlung sich nicht repräsentiren ließ, so wurde sie in contumaciam verurtheilt, an Hrn. Weiß die Summe von 25,200 Franken zu bezahlen.

Gegen dieses Urtheil legte die Stadt Genf Opposition ein und bestritt nun die Kompetenz der französischen Gerichte, einerseits weil Hr. Weiß nicht bewiesen habe, daß er französischer Bürger sei, und andererseits-weil der Art. l des Vertrages vom 15. Juni 1869 hier zur Anwendung komme.

Die erste Kammer des Zivilgerichtes der .Seine erklärte nun wirklich die französischen Gerichte als inkompetent und wies Hrn. Weiß vor die Gerichte des Kantons Genf.

10. Ein zweiter Fall bezog sich auf die Frage des Gerichtsstandes, betreffend die Gültigkeit des Testamentes eines Jakob A c k e r m a n n von Buochs , Kantons Unterwaiden nid dem Wald, welcher lange in Frankreich wohnte und in Paris starb. Er hinterließ ein Testament, womit er einige Legate zu Gunsten von Franzosen in Uebersehreitung der Erbgeseze von Nidwaiden ausgesezt hatte. Die Legatare wollten dennoch ihre ganzen Ansprüche nach dem Wortlaute des Testamentes in Paris geltend machen, während die Intestaterben behaupteten, sie müßten ihre Ansprüche am Heimatorte des Erblassers einklagen. Die zweite Kammer des Zivilgerichtes der Seine anerkannte die schweizerische Gerichtsbarkeit gemäß Art. 5 des Vertrages vom 15. Juni 1869.

c. M i l i t ä r p f l i c h t .

11. Die im lezten Geschäftsberichte erwähnte Reklamation gegen die Eintragung der S c h w e i z e r in Algier in die Kontrole der Territorialarmee Algeriens hat die erwünschte Erledigung gefunden. Es wurde anerkannt, daß das französische Gesez vom 6. November 1875 nur den Militärdienst der in Algier wohnhaften Franzosen betreffe, sowie daß für diese Kolonie kein anderes Militärgesez bestehe, und daß daher dasselbe für Algier die gleiche Bedeutung haben müsse, wie das andere Gesez über die Rekrutirung der französischen Armee vom 27. Juli 1872 für den europäischen Theil von Frankreich. Da nun nach Inhalt des Niederlassungsvertrages zwischen der Schweiz und Frankreich vom 30. Juni 1864 die Schweizer in Frankreich von dem Militärdienst befreit

513 sind , so müssen sie auch vom eigentlichen Militärdienst in Algier enthoben sein. Infolge dessen werden gemäß Art. 2 der Erklärung vom 24. Juli 1865 (Amtl. Samml. VIII, 456 und 547), betreffend die Ausdehnung des Niederlassungsvertrages auf Algier und die französischen Kolonien, die in Algier wohnhaften Schweizer nicht in die Kontrolen der Territorialarmee der Kolonie, welche durch das erwähnte Gesez vom 6. November 1875 eingeführt worden, eingeschrieben, sondern bloß auf Speziallisten zum Zweke der Anwendung der Erklärung vom 24. Juli 1865.

12. Obschon in den Geschäftsberichten pro 1872, 1873, 1874 und 1875 an verschiedenen Spezialfällen gezeigt wurde, wie die S ö h n e v o n F r a n z o s e n , w e l c h e sich i n d e r S c h w e i z h a b e n n a t u r a l i s i r e n l a s s e n , verfahren müssen, wenn sie zum Militärdienst nach Frankreich aufgerufen werden, und obschon die Nuzlosigkeit diplomatischer Verhandlungen für alle jene Söhne, die v o r der Naturalisation der Väter geboren worden, wiederholt nachgewiesen wurde, sind dennoch auch im Laufe des Jahres 1876 wieder sechs solche Ansuchen um unsere diplomatische Vermittelung gestellt worden. Wir konnten jedoch nicht darauf eintreten, weil wir angesichts der französischen Gesezgebung und der vom obersten Gerichtshofe aufgestellten Grundsäze zum voraus der Abweisung gewiß sein konnten.

Daß diese Voraussezung richtig ist, ergibt sich aus der Erledigung eines siebenten Falles, betreffend den in Basel gebornen Sohn eines Angehörigen von Elsaß-Lothringen, welcher vor dem Kriege zwischen Deutschland und Frankreich in Basel naturalisirt und nachher zu den französischen Waffen berufen wurde. Seine Reklamation wurde ganz im gleichen Sinne abgelehnt, wie es in andern ähnlichen Fällen geschehen ist (BB1. 1875, II, 572, Nr. 16).

Die französische Regierung beharrte ungeachtet der Einreden Deutschlands auf ihrer Interpretation der in Art. 2 des Friedensvertrages vom 10. Mai 1871 enthaltenen Worte ,,originaires des territoires cédés". Darnach werden als ,, o r i g i n a i r e s " französischerseits nur die Individuen ,, n é s dans les territoires cédés" verstanden, und es ist somit der außer dem Gebiete von Elsaß-Lothringen geborne Sohn eines Angehörigen von Elsaß-Lothringen Franzose geblieben.

!

{ 13. Das mit dem 1. Januar 1877 in Vollziehung
getretene Bundesgesez betreffend die Ertheilung des Schweizerbürgerrechtes und den Verzicht auf dasselbe, vom 3. Juli 1876, hat uns indeß die Möglichkeit geboten, gegen das Ende des Jahres 1876 die Rogulirung der Frage b e t r e f f e n d die Militärpflicht der

514

Söhne n a t u r a l i s i r t e r F r a n z o s e n im Allgemeinen bei der französischen Regierung wieder in Anregung zu bringen, und wir glauben uns diesmal der angenehmen Hoffnung hingeben zu können, daß es endlich gelingen werde, mit Frankreich eine Vereinbarung zu erzielen , welche den seit 14 Jahren immer häufiger gewordenen Konflikten vorbeugen dürfte. Wir werden mit Vergnügen der Bundesversammlung hierüber nähere Mittheilungen machen, sobald die zur zeit schwebenden Verhandlungen ihren Abschluß gefunden haben werden.

14. Euer ist noch einer neuen Erscheinung in Bezug auf Frankreich zu erwähnen, als Folge des französischen Gesezes vom 16. Dezember 1874, betreffend die N a t i o n a l i t ä t und den Militärd i e n s t von S ö h n e n , w e l c h e in F r a n k r e i c h einem Fremden g e b o r e n w o r d e n s i n d , der auch selbst in Frankreich geboren ist. Nach diesem Geseze werden jene Söhne als Franzosen betrachtet , wenn sie nicht in dem Jahre, das auf die eingetretene Mündigkeit nach französischem Rechte folgt, also zwischen dem 21.

und 22. Jahre, ihre Eigenschaft als Fremde geltend machen mittelst einer förmlichen Erklärung vor der Gemeindebehörde des Wohnortes in Frankreich oder vor einem diplomatischen oder konsularischen Agenten Frankreichs im Auslande, und wenn sie nicht gleichzeitig durch eine Bescheinigung der Behörden der ursprünglichen Heimat nachweisen, daß sie hier noch als Bürger anerkannt seien (BB1. 1875, I, 40 ff.). Es ergibt sich nun, daß viele Nachkommen von Schweizern, und zwar zum Theil auch von solchen, welche in den Schweizerregimentern Dienste gethan, in Frankreich leben, die keine Papiere aus ihrer Heimat besizen und deren Existenz den heimatlichen Behörden überhaupt unbekannt war, ohne Zweifel weil ihre Eltern und Großeltern die Schwierigkeiten, die nach den frühern kantonalen Gesezen ihren Ehen entgegenstanden, nicht heben konnten, während sie gleichwohl ihre Anhänglichkeit an ihre ursprüngliche Heimat beibehielten und den Wunsch, Schweizer zu bleiben, auch auf ihre Söhne und Enkel übertrugen. Damit aber Leztere den Vorschriften des erwähnten französischen Gesezes genügen können, müssen sie vorher ihre Beziehungen zu der ursprünglichen Heimat in Ordnung bringen und der leztern gegenüber ihre eheliche Abstammung nachweisen. Im Laufe des Jahres 1876 sind fünf
solcher Fälle in Behandlfmg gewesen, die sämmtlich mit der Anerkennung des schweizerischen Heimatrechtes in den Kantonen Zürich, Bern, Graubünden und Tessin (2) ihre Erledigung gefunden haben. Ein sechster Fall ist noch pendent.

15. Von Seite der S ö h n e n a t u r a l i s i r t e r I t a l i e n e r lagen vier Reklamationen vor, welche in Uebereinstimmung mit den be-

515

züglichen Vorschriften des Niederlassungsvertrages mit Italien ihre Erledigung fanden. Es scheint, daß die periodischen Publikationen, worüber im lezten Geschäftsberichte referirt wurde, die Betheiligten aufmerksam machen, ihre Position rechtzeitig von sich aus zu ordnen.

16. Von n a t u r a l i s i r t e n D e u t s c h e n sind vier Reklamationen bei uns anhängig gemacht worden, weil ihnen der Aufenthalt in der ursprünglichen Heimat in Deutschland nicht gestattet werden wollte. Die thatsächlichen Verhältnisse aller dieser Fälle mußten zu der Ueberzeugung führen, daß die Potenten ihre Entlassung aus den respektiven deutschen Staaten nicht in der Absicht genommen haben, um ihren Aufenthalt in die Schweiz zu verlegen, und daß daher auch weder ihr Austritt aus dem deutschen Staatsverbande, noch die Bewerbung um die schweizerische Nationalität von ernsten allgemeinern Motiven begleitet sein konnte. Der Eine verließ seine Familie nie auf längere Zeit, sondern unterstuzte seinen Vater in allen Arbeiten der Landwirtschaft und seines G-ewerbes und hatte in der Schweiz kein festes Domizil genommen. Der Andere war schon 16'/2 Jahre alt, als er die Entlassung aus dem deutschen Reichsverbande nahm, und kehrte bald wieder in das bedeutende kaufmännische Geschäft seiner Mutter zurük. Für den Dritten besorgte dessen Vater die Entlassung aus dem deutschen Staatsverbande; er kam aber gar nie in die Schweiz und erklärte selbst auf amtliches Befragen, daß er dieses auch nie beabsichtigt habe.

Für den Vierten lehnten wir unsere Vermittlung ohne Weiteres ab, nachdem es sich schon aus den uns vorgelegten Akten ergeben, daß er nur seiner Ausbildung wegen einige Zeit in der Schweiz sich aufgehalten und bald nach seiner Einbürgerung wieder in seine alte Heimat zurükgekehrt sei und als Kaufmann im Handelsgeschäfte seiner Eltern dauernd sich beschäftigt habe.

d. V e r s c h i e d e n e s . ) 17. Es wird unsere d i p l o m a t i s c h e V e r w e n d u n g für A u s l ä n d e r sowohl von Kantonsregierungen, als von den Betheiligten selbst oft in Anspruch genommen; allein wir müssen solche Gesuche von der Hand weisen, wenn nicht ganz besondere Verhältnisse vorliegen, denn es ist allgemein anerkannter Gruudsaz, daß es Sache der Ausländer sei, ihre Privatangelegenheiten selbst zu besorgen, um den Vorschriften der Gesezgebung
am Wohnorte zu genügen. Die Schweizer im Auslande werden von den dortigen Behörden ganz auf dem gleichen Fuße behandelt. Es kann dalier nicht Sache der schweizerischen Behörden sein, die Interessen der Ausländer gegenüber ihren eigenen heimatlichen Behörden zu ver-

516 treten, vielmehr haben sie sich hiefür direkt an diese heimatlichen Behörden selbst zu wenden, oder an die Gesandtschaften ihres Landes, deren Aufgabe gerade darin besteht, die Interessen ihrer Landsleute zu schüzen.

18. Der f r a n z ö s i s c h e M i n i s t e r der J u s t i z hat von einem Dekret, datirt 27. März 1876, Mittheilung gemacht, wonach auf dem genannten Ministerium eine S a m m l u n g d e r G o s e z g e b u n g e n f r e m d e r S t a a t e n angelegt werden soll, behufs Förderung der vergleichenden Gesezeskunde und damit das Gesuch verbunden, es möchten ihm auch die in Kraft stehenden Geseze des Bundes und der Kantone, ferner die vorhandenen Kommentare, erläuternden Berichte von Kommissionen und Referenten, sowie auch solche Werke von Privaten, welche den angegebenen Zwek zu fördern geeignet scheinen, durch eine eidgenössische Stelle periodisch mitgetheilt werden.

Der Bundesrath glaubte dieses Ansuchen nicht von der Hand weisen zu sollen und bezeichnete sein Justiz- und Polizeidepartement als diejenige Stelle, welche mit der vom französischen Justizminister bestellten Kommission zur Sammlung und Ordnung sämmtlicher Druksachen und zur Bezeichnung von auswärtigen Gesezen, deren Publikation in Frankreich nüzlich scheint, in Verbindung treten und die schweizerischen Mittheilungen besorgen solle.

Zu diesem Ende ersuchte das genannte Departement mit Kreisschreiben^vom 10. November 1876 sämmtliche Kantonsrcgierungen um Mittheilung der Sammlung ihrer Geseze und anderer bezüglicher offizieller Druksachen. Auch erhielt dasselbe Departement die Ermächtigung zur unentgeltlichen Ablieferung der sämmtlichen Bundesgeseze und übrigen Druksachen der Bundesadministration, sowie zum Ankaufe einiger literarischer Werke staatsrechtlichen oder juristischen Inhaltes auf Rechnung der Bundeskasse.

19. Aus der Behandlung von zwei Fällen, betreffend die S c h e i d u n g der Ehe n v o n A n g e h ö r i g e n des K a i s e r s t a a t e s O e s t e r r e i c h , ergibt es sich, daß in dem Falle, wo österreichische Eheleute nie in Oesterreich gewohnt haben, der Gerichtsstand am Wohnorte mit demjenigen des Heimatortes konkurriren kann, daß aber, wenn die Scheidung am Wohnorte ausgesprochen wurde, die Anerkennung des Urtheils durch die österreichischen Gerichte nicht zuläßig ist, sondern nur im
Exekutionsverfahren und immer nur auf dem Wege der instanzenmäßigen Entscheidung zum Austrage gebracht werden kann. Eine Prüfung des ausländischen Urtheiles durch die österreichischen Gerichte findet nicht von Amtes wegen statt. Es bleibt den betheiligten Parteien über-

517

lassen, von sich aus die Thätigkeit der Gerichte zu bewirken. Die österreichisch-ungarische Regierung muli jede Mitwirkung, sei es für eine Delegation der Gerichtsbarkeit, oder sei es behufs der Prüfung des ausländischen Urtheiles durch inländische Gerichte, ablehnen, weil es dem Ministerium ausdrüklich untersagt ist, sich in eine Erläuterung oder Anwendung der in Oesterreich bestehenden Geseze auf einen bestimmten Fall einzulassen, damit der freien Interpretation und Anwendung der Geseze von Seite des kompetenten Richters in keiner Weise vorgegriffen werde. (Ebner und Webdi.} 20. In folgendem Falle haben wir in Uebereinstimmung mit den unter Ziffer 26 und 27, Rubrik ,,Civilstand und Ehea, des lezten Geschäftsberichtes (Bundesblatt 1876, II, 281 und 282) erwähnten Gesichtspunkten unsere diplomatische Verwendung abgelehnt. -- Es hatte sich nämlich ein F r a n z o s e , nachdem er im Jahr 1869 durch das kompetente französische Gericht persönlich und vermögensrechtlich von seiner e r s t e n F r a u g e s h i e d e n und im Jahr 1872 protestantisch geworden war, im Jahr 1874 im Kanton Bern naturalisiren lassen.

Bald hernach bewirkte er durch den bernischeu Richter die gänzliche Lösung seiner ersten Ehe und verheiratete sich dann ebenfalls im Kanton Bern zum zweiten Mal mit einer Französin. Nachdem die erste Frau hievon Kenntnil.l erhalten, erhob sie in Paris, wo der Betreffende gewöhnlich wohnte, Klage wegen Bigamie und auf Nichtigerklärung der Naturalisation und der zweiten Ehe im Kanton Bern. Der Beklngte konnte sich der drohenden Verhaftung entziehen und rief dann unsern Schuz an. Wir haben uns jedoch überzeugt, daß die französischen Gerichte keine Naturalisation eines Franzosen in einem andern Staate als ernstlich anerkennen, wenn es sich aus den Thatsachen ergibt, daß d i e s e M a ß r e g e l nur ergriffen wurde, um die französischen Geseze zu u m g e h e n . Im vorliegenden Falle konnte aber hierüber kein Zweifel walten. Auch der Umstand, daß vor einem französischen Gerichte die Frage der Gültigkeit der Naturalisation in der Schweiz zur Sprache gebracht werden wollte, konnte uns nicht veranlaßen, zu Gunsten des Petenten zu interveniren, einerseits weil es uns schien, daß die französischen Gerichte weniger die Gültigkeit der schweizerischen Naturalisirung als vielmehr die andere Frage beurtheilen
werden, ob der Pèlent noch Franzose und als solcher noch der französischen Gesezgebung unterstellt sei, und andererseits weil die französische Regierung unsere Ansicht nur dann bei dem betreffenden Gerichte hätte vertreten lassen, wenn sie selbst dieselbe auch getheilt und sie als im Interesse der öffentlichen Ordnung liegend anerkannt hätte, wozu jedoch nach dea Bundesblatt. 29. Jahrg. Bd. II.

35

518

eingezogenen Erkundigungen durchaus keine Aussicht vorhanden war. (16. August 1876.)

V. Rekurswesen. Anwendung der Bundesverfassung.

a. S t a t i s t i k .

Im Jaire 1876 waren mit Einschluß der aus dem Vorjahr pendent gebliebenen Fälle 96 Rekurse zu behandeln , wovon 91 erledigt wurden und 5 als pendent auf das Jahr 1877 übergingen.

In 48 der erledigten Rekurse traten wir jedoch materiell nicht ein, theils weil sie Gegenstände betrafen, die außerhalb der Bundeskompetenz liegen , oder weil für deren Entscheid (in 24 Fällen) das Bundesgericht als kompetent erschien, und theils weil da (in 10 Fällen), wo die Kompetenz des Bundesrathes materiell wirklich begründet erschien , der kantonale Instanzenzug noch nicht erschöpft war.

Die übrigen 43 erledigten Rekurse betraten dem Gegenstande nach : 5 die Erneuerung der Niederlassungsbewilligungen; 10 die Verweigerung und den Entzug der Niederlassung ; l die Pflicht zur Niederlassung; 16 die Verweigerung von Ausweisschriften in der Heimat und die Rükhaltung von solchen am lezten Wohnorte ; l Aufenthaltsgebühren ; 7 Stimmrecht und Wahlen, und 3 die Vollziehung von Entscheiden der Bundesbehörden.

Bei diesen 43 Rekursen waren betheiligt die Kantone Tessin mit 6, Genf mit 5, Bern, Luzern, Schwyz, Waadt und Wallis mit je 3, Zürich, Solothurn, Basellandschaft, St. Gallen und Neuenburg mit 2 , und Uri, Uiitcrwalden ob dem Wald , Glarus , Freiburg, Baselstadt, Graubünden und Aargau je mit einem. Nicht betheiligt waren die Kantone Unterwaiden nid dem Wald , Zug, Schaffhausen, Appenzell beide Rhoden und Thurgau.

In 17 derselben war indeß ein Entscheid des Bundesrathes nicht nöthig, weil nach Mittheilung der Beschwerde zur Beantwortung die kantonalen Behörden von sich aus den Petenten entsprachen. Es blieben also 26 Beschwerden übrig, die durch förmlichen Beschluß zu erledigen waren ; 18 derselben wurden abgewiesen und 8 als begründet erklärt. Die wichtigsten dieser Beschlüsse werden ihrem Hauptinhalte nach in dem folgenden speziellen Theile mitsretheilt.

519

Die Bundesversammlung hatte sich im Jahr 1876 mit 9 Beschwerden und Rekursen zu befassen (1875 : 19). In 7 derselben wurden die Beschlüsse des Bundesrathes bestätigt, bezw. seine Anträge genehmigt; die übrigen 2 Rekurse blieben pendent.

b . K o m p e t e n z e n u n d V e r f a h r e n d e s Bundesraths.

Wir haben unter dieser Rubrik im lezten Geschäftsbericht darauf aufmerksam gemacht, daß eine große Zahl von Beschwerden und Eintragen mit Umgehung der kantonalen Behörden direkt an uns gerichtet werden , daß wir aber darauf halten müssen, erst dann darauf einzutreten , nachdem die kantonalen Behörden entschieden haben. Wir beschränken uns hier darauf, einfach diesen Standpunkt in Erinnerung zu bringen , und im Uebrigen auf die weitern Bemerkungen im Geschäftsbericht pro 1875 zu verweisen (BBl. 1876, II, 258).

Am gleichen Orte haben wir darauf hingewiesen, es habe sich die Praxis festgestellt, daß der Entscheid über das Stimmrecht der Niedergelassenen und Aufenthalter den politischen Verwaltungsbehörden zustehen soll. Die Kommission des Nationalrathes sprach m ihrem Berichte über die Geschäftsführung den Wunsch aus, es möchte eine solche Praxis dem Publikum bekannt gemacht werden.

Wir haben darauf nur zu bemerken, daß die Ansicht des Bundesgerichtes in einem Schreiben betreffend den Rekurs Nessi niedergelegt und im Geschäftsberichte pro 1875 au dieser Stelle ausführlich referirt ist. Nachdem wir uns der Ansicht des Bundesgerichtes angeschlossen und dieselbe durch die Behandlung der verhält uißmäßig zahlreichen Reklamationen dieser Art, welche im Jahr 1875 vorkamen, thatsächlich anerkannt haben, ist es kaum nöthig, weiter darauf einzutreten. Unsere Entscheide sind, soweit sie allgemeines Interesse bieten , ebenfalls im Geschäftsberichte unter der Rubrik ,,Stimmrecht und Wahlangelegenheiten" erwähnt , und vier derselben sind durch Rekurs an die Bundesversammlung gezogen, also dadurch hinlänglich bekannt geworden.

c'.N i e d e r l a s s u n g » - und A u f e n t h a l t s v e r h ä l t n i s s e .

aa. P r ü f u n g k a n t o n a l e r Geseze ü b e r die Niederlasung u n d d a s S t i m m r e c h t.

1. Das Gesez betreffend das Gemeindewesen des Kantons Z ü r i c h , vom 27. Juni 1875, hat unsere Genehmigung erhalten, jedoch mit Ausnahme des § 37 und der Berufung dieses Paragraphen in dem § 42. Es war nämlich im § 37 die Vorschrift enthalten, daß der Niedergelassene ,,außer dem Heimatschein" hinreichende

520

Ausweise über seine Zivilstandsverhältnisse und, wenn er im militärpflichtigen Alter stehe , über Erfüllung seiner Militärpflicht (Art. 230 der Militärorganisation der Schweiz. Eidgenossenschaft vom 13. November 1874) beizubringen habe, und im § 42 war bestimmt, daß Personen, welche die Beibringung dieser Ausweisschriften unterlassen, nach fruchtlos erfolgter Mahnung weggewiesen werden können. Wir fanden, daß diese Bestimmungen im Widerspruche stehen mit Art. 45 der Bundesverfassung, indem das Recht der freien Niederlassung an keine lästigeren Bedingungen geknüpft werden dürfe, als dieser Art. 45 enthalte, und daß auch " die Wegweisung eines Niedergelassenen nicht aus andern Gründen verfügt werden dürfe, als im gleichen Artikel der Bundesverfassung aufgestellt seien. Der im § 37 dieses Gemeindegesezes citirte Art. 230 der eidg. Militärorganisation schreibe nur vor, daß der Schweizerbürger, welcher ,,Aufenthalt oder Niederlassung g e n o m m e n hat", einen Ausweis über die Erfüllung seiner Militärpflicht oder der daherigen Ersazleistung beibringen müsse, nicht aber, daß dieser Ausweis schon von Demjenigen verlangt werden könne, welcher erst die A b s i c h t h a b e , Aufenthalt oder Niederlassung zu1 nehmen.

Die im erwähnten § 37 des vorliegenden Gesezes geforderten Ausweise über die Zivilstandsverhältnisse können indeß gleichwohl gefordert werden, nur dürfe das unter Umständen nöthige Zwangsmittel nicht in der Wegweisung des Niedergelassenen bestehen. Es können hiefür Bußen und andere Ungehorsamsstrafen angewendet werden.

2. Das Gesez des Kantons G r a u b ü n d e n über die Niederlassung von Schweizerbürgern vom 1. September 1874, vom Großen Rathe mit der Bundesverfassung in Uebereinstimmung gebracht am 7. Dezember 1875, erhielt unsere Genehmigung, indem dasselbe mit Bezug auf die Niederlassung, die Ausweisung Niedergelassener und die bezüglichen Gebühren, Stimmrecht etc. nichts enthält, was der Bundesverfassung zuwider wäre. In einem Punkte geht dieses Gesez sogar weiter, indem es den schweizerischen Niedergelassenen gegen eine billige Entschädigung und unter Vorbehalt des eigenen Bedarfes der Bürger den Mitgenuß an den Gemeindegütern, insbesondere an Alpen, Weiden und Wäldern, und überdies das Stimmrecht in diesen ökonomischen Nuzungsangelegenheiten nach einer Niederlassung von 2 Jahren einräumt.
bb. Erwerb und E r n e u e r u n g der Niederlassungsbewilligung.

3. In dieser Beziehung verweisen wir zunächst auf die Kreiss c h r e i b e n vom 6. Dezember 1875 und 31. Januar 1876, womit

521

wir einige auf diese Materie bezügliche Entscheide von allgemeinerem Interesse den Kantonen und durch das Bundesblatt auch einem größern Publikum zur Kenntniß gebracht haben (BB1. 1875 , IV, 1011; 1876, l, 245).

4. Die Beschwerde des Franz B eis er von Kienberg, Kts.

Solothurn , wohnhaft in Therwil, Kts. Baselland, gegen die Verfügung dieser Regierung , · womit er angehalten wurde, besondere Legitimationspapiere zu deponiren und für sich die Niederlassung zu nehmen, ungeachtet seine Eltern in der gleichen Gemeinde Therwil wohnen, wurde als unbegründet abgewiesen, weil der Petent in dieser Gemeinde eine Liegenschaft (ein Haus) besizt, somit nach § l des Einsaßengesezes des Kantons Baselland die Niederlassung zu nehmen hat, zumal er von seiner Familie getrennt dieses Haus bewohnte (28. April 1876).

5. Hieher gehören auch die Reklamationen des in Genf wohnhaften Louis D é n é r é a z aus dem Kanton Waadt gegen das Verfahren der Genfer Behörden in verschiedenen Fragen, welche die Niedergelassenen und Aufenthalter betreffen , womit jene Behörden mit einigen von uns gegebenen Entscheiden sich in Widerspruch sezten. Hr. Dénéréaz machte bekanntlich seine Beschwerden zum Gegenstand einer Eingabe an die Bundesversammlung, worüber wir unterm 24. November 1876 einläßlichen Bericht erstatteten, auf den wir hiemit verweisen. Die Bundesversammlung erledigte sie mit motivirtem Entscheide vom 17. März 1877 (BBl. 1876, IV, 641 -- 1877, I, 570).

6. Joh. Jakob Fr e y von Aadorf, Kts. Thurgau, fiel im Jahr 1875 in Straubenzell, Kts. St. Gallen , in Konkurs. Nach Durchführung des Konkursverfahrens erklärte ihn das Bezirksgericht von Gossau in Anwendung von Art. 99 des Konkursgesezes von St. Gallen als ,,theilweise" leichtsinnigen Fallit und verurtheilte ihn zur Einstellung in der Stimm- und Wahlfähigkeit bis zur Rehabilitation , sowie zum Entzuge der Zeugnißfähigkeit für drei Jahre.

Gestüzt auf dieses Urtheil, sowie auf den Art. 45, Abs. 2 der Bundesverfassung, verweigerte ihm die Regierung von St. Galleu die Niederlassung in der Stadt St. Gallen. Allein der Bundesrath hob unterm 17. Juni 1876 diesen Beschluß auf, indem er in Erwägung zog : 1) Der Art. 45, Abs. 2 der Bundesverfassung gibt, den Kantonen allerdings die Berechtigung, a u s n a h m s w e i s e Demjenigen die Niederlassung zu verweigern oder zu entziehen, welcher infolge eines s t r a f g e r i c h t h l i c h e n Urtheils nicht im Besize der bürgerlichen Rechte und Ehren ist.

522 2) Das Urtheil des Bezirksgerichtes Gossau kündigt sich nun wirklich als ein ,,strafrechtliches" an , inderrî es im Eingang die Worte ,,in Strafsachen"1 enthält und im Abschlüsse erklärt, daß den Verklagten ,,folgende Strafen treffen". Allein dem Wesen nach ist das Urtheil doch nur ein Ausspruch über die Frage, ob der Konkurs des Frey ein völlig unverschuldeter gewesen oder nicht, und der Entzug der bürgerlichen Ehrenrechte wird lediglich darauf begründet, daß Frey durch Ausführung einer seine Kräfte übersteigenden Hausbaute seine Zahlungsunfähigkeit mehr oder weniger selbst verschuldet und daher ,,t h ei l w e i s e " als leichtsinniger Fallit zu betrachten sei.

3) Ein derartiger Ausspruch kann aber offenbar nicht als ein s t r a f r i c h t e r l i c h e s Urtheil im Sinne von Art. 45 der Bundesverfassung angesehen werden; der französische Text, wo von einem ,,jugement p é n a l " die Rede ist. beweist zur Genüge, daß es eines Urtheils wegen eines wirklichen V e r b r e c h e n s oder V e r g e h e n s bedarf, um an die durch den Richter ausgesprochene Entziehung der bürgerlichen Elirenrechte die weitere Rechtsfolge zu knüpfen, daß dem davon Betroffenen die freie Niederlassung innerhalb der Schweiz verweigert werden könne. Dieser Fall liegt, aber hier augenscheinlich nicht vor.

7. Ein Belgier wurde von der Kantonspolizei des Kantons G-enf zur Begründung; seines Aufenthaltes angehalten , neben dem Ausweis über seine Nationalität, noch ein Zeugniß darüber, ob er gerichtlich bestraft worden sei (casier judiciaire), beizubringen. Die belgische Gesandtschaft reklamirte gegen diese Forderung, gestüzt auf Art. l des Niederlassungsvertrages mit Belgien vom 11. Dezember 1862 (Off. S. VII, 484).

Der Staatsrath des Kantons Genf rechtfertigte jene Forderung damit, daß nach dem erwähnten Vertrage selbst der Aufenthalt der Gesezgebung des Landes untergeordnet sei. Nun schreibe das Genfer Gesez über die Fremdenpolizei vorn 9. Februar 1844 vor, daß der Fremde, welcher eine Aufenthaltsbewilligung verlange, ein Zeugniß über gute Sitten, ausgestellt von der Behörde seines lezten Wohnortes, und genügende Sicherheit beibringen müsse, daß er im Falle sei, sich und seine Familie zu erhalten. Nach Art. 27 des gleichen Gesezes könne eine Aufenthaltsbewilligung zurükgerufen werden, wenn der Fremde Fallit geworden
oder ein Urtheil der Zahlungsunfähigkeit über ihn ergehen lasse. Da es bei der Ausstellung der Leumundszeugnisse oft zu leicht genommen werde, so sei der Nachweis , ob der Fremde gerichtlich bestraft worden sei oder nicht, vorzuziehen. Das Justiz- und Polizeidepartement habe deßhalh die Forderung eines ,,casier judiciaire" grundsäzlich auf-

523 gestellt, und zwar nicht bloß gegenüber den Belgiern, sondern auch gegenüber den Italienern und Franzosen. Der Staatsrath linde diese Forderung vollständig gerechtfertigt, insbesondere für einen Grenzkanton wie Genf, welcher der Gefahr ausgesezt sei, daß sieh Diebe, Falliten , Bankrottirer daselbst aufzuhalten suchen. Wenn nach Art. l des Vertrages mit Belgien die Belgier in jedem Kanton in Beziehung auf ihre Person und ihrEigenthumm auf dem nämlichen Fuße aufgenommen werden müssen, wie die Angehörigen der andern Kantone, so können darunter nur jene Personen verstanden werden, w e l c h e den PolPolizeigesezenn der b e t r e f f e n d e n K a n t o n e g e n ü g t h a b e n . Die gleiche Behandlung der Belgier wie der Schweizer könne nicht in absolutem Sinne verstanden werden.

Diese Gesichtspunkte wurden unterm 9. Juni 1876 als unstatthaft beantwortet wie folgt : Die Regierung befinde sich im Irrthum, wenn sie von der Ansicht ausgehe, daß bezüglich des Aufenthaltes der Belgier das Genfer Gesez von 1844 maßgebend sei; vielmehr sei eiuzig und allein der Niederlassungsvertrag von 1862 entscheidend. Dieser Staatsvertrag bilde das allgemeine, für alle Kantone gleichmäßig verbindliche Gesez, dem die speziellen Kantonsgeseze weichen müssen.

Nun sei nach dem klaren Inhalt von Art. l jenes Vertrages von Seite der S c h w e i z dem Königreich Belgien zugesichert worden, daß seine Angehörigen zu den gleichen Bedingungen a u f g e n o m men werden, wie die Angehörigen der andern Kantone. Angesichts von Art. 45 der Bundesverfassung genüge also jedes Papier, wodurch die Identität der Person und die Nationalität derselben konstatirt werde. Das Gleiche habe der Bundesrath mit Kreisschreiben vom 24. Oktober 1874 (BBl. 1874, 111, 250) auch sämmtlichen Kantonen eröffnet, und der Inhalt dieses Kreisschreibens habe mit einer Ergänzung auch im Geschäftsberichte pro 1874 (BBl. 1875, II, 624") Aufnahme gefunden, ohne daß von irgend einer Seite Einsprache erhoben worden sei. Es dürfe daher kein Kanton die Bedingungen für die Aufnahme der Belgier einseitig erschweren, was mit der Forderung eines ,,casier judiciaire" unstreitig der Fall wäre. Der Staatsrath werde daher eingeladen, diese Forderung nicht bloß im Spezialfalle, sondern überhaupt gegenüber allen Staaten, mit welchen die Schweiz Niederlassungsverträge
abgeschlossen habe fallen zu lassen , da sie mit keinem dieser Verträge vereinbar sei.

Was speziell Italien betreffe, so sei dieses angesichts von Art. l, Lemma l des Vertrages ganz klar, und die Franzosen haben gemäß der unzweideutigen Vorschrift von Art. 2 des Vertrages mit

524

Frankreich den Ausweis über sittliche Aufführung n i c h t d e n K a n t o n e n zu leisten, sondern der französischen Botschaft vor Ausstellung der Immatrikulationsscheine. Aehnlich verhalte es sich "mit den Angehörigen der andern Staaten.

Daß viele Fremde in Genf sich aufhalten, sei wohl bekannt;, ebenso beweisen die vielen Auslieferungsgeschäfte, daß auch zahlreiche Verbrecher dahin kommen. Allein sie könnten auch in andern Kantonen sein, ohne daß daraus für irgend einen derselben das Recht erwachsen würde, von den Vorschriften der Staatsverträge abzuweichen.

Das in Art. 2 des Vertrages mit Belgien ausbedungene Recht der Wegweisung solcher Belgier, welche die Polizei- und Sittengeseze verlezen, dürfe nicht zu einer Bedingung für die Bewilligung des Aufenthaltes umgewandelt werden.

cc. V e r w e i g e r u n g der Legitimationspapiere durch den Heimatkauton.

8. Johann Jakob L e u z i n g e r von Netstal, Kantons Glarus,, wohnhaft in Davos-Plaz, Kantons Graubünden, beschwerte sich, weil das Polizeiamt der Gemeinde Netstal sich weigere, ihm die zum auswärtigen Aufenthalte nöthigen Legitimationspapiere auszustellen.

Die Staudeskommission des Kantons Glarus fand diese Weigerung begründet, weil ein dortiges Gesez vorschreibe, daß Jedermann eigenen Rechts, bevor er den Kanton verlasse, den Rechnuugsruf ,,wegen vorhabender Abreise11 in das Amtsblatt einrüken müsse, bevor er seine Schriften erhalten könne. Diese Vorschrift sei allgemein und müsse von Jedermann beobachtet werden, gleichviel ob die Gläubiger befriedigt seien oder nicht. Es handle sich also lediglich um eine öffentliche Kontrole des Wohnsizes, die mit dem 'Bundesrechte nicht im Widerspruch stehe.

Der Bundesrath erklärte am 17. Oktober 1876 diese Beschwerde als begründet, gestüzt auf folgende Erwägungen: 1) Der Petent könnte zwar nach konstanter Praxis zur Zeit abgewiesen werden, weil er seine Beschwerde noch nicht bei der Regierung des Kantons Glarus anhängig gemacht hatte. Da jedoch die leztere nicht auf diesen formellen Standpunkt sich beruft, sondern aus materiellen Gründen auch ihrerseits das Verfahren des Polizeiamtes von Netstal als gerechtfertigt erklärt, so kann auch der Bundesrath schon jezt in der Hauptsache entscheiden.

2) Nach konstanter bundesrechtlicher Praxis muß die Frage,, unter welchen Umständen der Heimatkanton berechtigt sei, die

525

Ausstellung von Legitimationspapieren an seine eigenen Bürger zu verweigern oder zu erschweren, nach den gleichen Grundsäzen beurtheilt werden, wie die Gründe zum Entzug der Niederlassung, indem der Heimatkanton das Recht der freien Niederlassung nicht mehr beschränken darf, als der Niederlassungskanton.

3) Nach Art. 45 der'Bundesverfassung darf aber die Niederlassung nur denjenigen entzogen werden, welche in Folge eines gerichtlichen Urtheils nicht im Besize der bürgerlichen Rechte und Ehren, oder welche wegen schwerer Vergehen wiederholt gerichtlich bestraft worden sind, sowie denjenigen, welche dauernd der öffentlichen Wohlthätigkeit zur Last fallen.

4) Da nun keiner dieser Gründe gegenüber dem Rekurrenten, welcher schon seit Jahren nicht mehr in seiner Heimat sich aufhält, geltend gemacht wird, so darf gemäß Erwägung 2 die Ausstellung seines Heimatscheins nicht verweigert werden.

9. Dagegen wurde die Beschwerde der Anna K ü s t e r von Engelberg, Kantons Unterwaiden O/W., wohnhaft im Kanton Wallis, gegen die Verweigerung eines Heimatscheines durch ihre heimatlichen Behörden mit Entscheid vom 28. September 1876 mit folgender Begründung abgewiesen: 1) Durch Art. 45 der Bundesverfassung ist jedem Schweizer das Recht eingeräumt, sich innerhalb des schweizerischen Gebietes an. jedem Orte niederzulassen, w e n n er einen Heimatscheiu oder eine andere gleichbedeutende Ausweisschrift besizt.

2) Die Frage dagegen, ob der Heimatkanton verpflichtet sei, einem Angehörigen unter allen Umständen die zur Niederlassung nöthigen Papiere auszustellen, ist in der Bundesverfassung nicht entschieden. Es versteht sich aber von selbst und ist durch die konstante Praxis anerkannt, daß die Frage über die Verpflichtung des Heimatkantons zur Ausstellung von Legitimationspapieren nach den gleichen Grundsäzen beurtheilt werden muß, wie diejenige über den Entzug der Niederlassung.

3) Nach Lemma 2 und 3 des erwähnten Art. 45 der Bundesverfassung kann jedoch die Niederlassung denjenigen entzogen werden, welche in Folge eines strafgeriehtlichen Urtheiles nicht im Besize der bürgerlichen Rechte und Ehren stehen, sowie denjenigen, welche wegen schwerer Vergehen wiederholt bestraft wurden. Nach den Akten liegen aber beide Voraussezungen gegenüber der Rekurrentin vor.

10. Hier ist noch zu erwähnen die Beschwerde der Maria B r u n geb. S t a l d e r von Wohlhusen, Kantons Luzern, wohnhaft in Winterthur, welche durch die Weiterziehung an die Bundes-

526

Versammlung bereits bekannt ist. Der Beschluß des Bundesrathes ist gedrukt im Bundesblatt 1876, II, S. 909. Die Bundesversammlung hat diesen abweisenden Entscheid am 9. Juni 1876 bestätigt.

dd. A u f e n t h a 11 s g e b ü h r e n.

11. Der Italiener M a r i a n t i , weither an die Behörden der S t a d t L uz er n für eine Aufenthaltsbewilligung für 6 Monate Fr. 6. 70 Cts. bezahlen sollte, reklamirte gegen diese Forderung, gestüzt auf den Niederlassungsvertrag mit Italien. Es ergab sich, daß der Stadtrath von Luzern im Jahre 1868 behufs Dekung der Kosten für genaue Kontrolirung der Aufenthalter und Niedergelassenen und für die verbesserten Einrichtungen in der Gemeinde eine polizeiliche Verordnung erlassen hatte , wonach k a n t o n s fr e m d e Personen, die in der Stadtgemeinde wohnen, ohne Steuern zu bezahlen, je nach ihren Vermögensverhältnissen eine Kontrolegebühr von Fr. 5 bis Fr. 20 und bei Zurükziehung der Schriften, wenn der Aufenthalt länger als ein Jahr gedauert, die gleiche Kontrolegebühr noch einmal zu entrichten haben. Nach einer weitern Bestimmung der gleichen Verordnung mußten k an t o n s a n g e h ö r ige Lehr jungen, Dienstboten etc. eine Kontrolegebühr von 70 Cts. und unbemittelte Handwerks- und geringere Gewerbsleute, welche einen Heimatschein einzulegen haben, zu den gesezlichen Gebühren noch eine Zuschlagstaxe bezahlen, welche je nach Umständen Fr. 1. 50 Cts. oder Fr. 3 oder Fr. 6 betragen konnte.

Wir sahen uns veranlaßt, die Regierung des Kantons Luzern einzuladen, diese Verordnung des Stadtrathes außer Kraft zu sezen.

Im Allgemeinen erscheint es nicht als statthaft, daß eine solche Verordnung, durch welche interkantonale und zum Theil internationale Verhältnisse berührt werden, nur von einer Gemeindebehörde und auch nur für ein einzelnes Gemeinwesen erlassen werden kann, da in dieser Weise innerhalb des gleichen Kantons manigfaltige Formen und Tarife aufgestellt werden könnten. Solche Verhältnisse sind vielmehr auf dem Wege der Gesezgebung zu ordnen. Im Speziellen fanden wir die Unterscheidung zwischen k a n t o n s f r e m d e n und k a n t o n s a n g e h ö r i g e n Gesellen oder Commis etc. nicht statthaft, weil mit Art. 60 der Bundesverfassung im Widerspruche stehend.

Ebenso fanden wir die Forderung einer Kontrolegebühr von Fr. 5 bis Fr. 20 als unstatthaft. Wenn auch bezüglich der Aufenthalter keine gesezlichen Bestimmungen bestehen, wie für die Niedergelassenen im Bundesgesez vom 10. Dezember 1849 und in Art. 45 und 47 der Bundesverfassung, so versteht es sich doch von selbst, daß die Aufenthalter nicht höhere Gebühren bezahlen müssen, als die Niedergelassenen, zumal die leztern ohnehin günstiger gestellt sind als

527

die erstem, indem sie das Stimmrecht in kantonalen und Gemeindeangelegenheiten und selbst eine beschränkte Unterstüzungsberechtigung genießen. Wenn aber ein Aufenthalter in der Stadt Luzern im Minimum zwei Mal Fr. 5 und im Maximuni zwei Mal Fr. 20 be zahlen müßte, so wäre er jedenfalls ungünstiger gestellt als ein Niedergelassener, von dem nur die einmalige Gebühr von bloß Fr. 6 gefordert werden darf. Es scheint uns daher, daß nur eine mäßige Kanzleigebühr zuläßig sei, die nicht den Charakter einer Steuer ohne gesezliche Grundlage haben darf, und jedenfalls auf alle Personen in gleicher Lage gleichmäßig angewendet werden muß. Endlich erschien uns auch die den unbemittelten Handwerks- und Gewerbsleuten aufgelegte Zuschlagstaxe nicht zuläßig. Nach § 59 des luzernischen Gesezes über Fremdenpolizei und Niederlassungswesen haben Personen dieser Klasse bloß 70 Cts. zu bezahlen, und es müssen ihnen die Legitimationspapiere unentgeltlich aushingegeben werden. Es standen daher die vom Stadtrath noch weiter geforderten Fr. 1. 50 Cts. resp. Fr. 3 oder Fr. 6, die unter Umständen bei der Zurükziehung der Papiere nochmals bezahlt, werden mußten, auch im Widersprüche mit dem Geseze des eigenen Kantons.

ee. E n t z u g der N i e d e r l a s s u n g u n d des A u f e n t h a l t e s .

12. Der Franzose Nikiaus F i c h o n beschwerte sich darüber, daß man ihn aus dem Kanton Wallis wegweisen wolle, während er nach Art. l des NiederlassungsVertrages zwischen der Schweiz und Frankreich gleiche Behandlung wie die Schweizer beanspruchen könne und keine der Bedingungen vorliege, unter welchen nach Art. 45 der Bundesverfassung die Wegweisung zuläßig wäre.

Der Bundesrath wies am 7. Juni 1876 die Beschwerde ab, gestüzt darauf: 1) daß laut den amtlichen Berichten des Staatsrathes von Wallis, sowie nach den Ergebnissen einer in diesem Kanton gegen den Petenlen erhobenen Untersuchung, derselbe dort einen unsittlichen Lebenswandel geführt habe; 2) daß aber der Niederlassungsvertrag mit Frankreich in Saz 2 von Art. l den freien Aufenthalt nur denjenigen gewährleiste, welche den Gesezen und Polizeiverordnungen nachleben, und in Art. 5 den beiden Staaten das Kerbt vorbehalte, die Angehörigen des andern Landes "durch gerichtliches Urtheil oder gemäß den Gesezen und Verordnungen über Sitten- und Armenpolizei wegzuweisen".

13. Ebenso wurde am 12. April 1876 die Beschwerde des französischen Geistlichen Jos. Horace Marie M o r e t gegen seine

528

Ausweisung aus dem Kanton Genf als unbegründet abgewiesen, da es sich aus den amtlichen Berichten des Staatsrath.es von Genf und des dortigen Polizeidepartementes, in Verbindung mit den Verbalprozessen der Polizeiagenten, ergab, daß der Beschwerdeführer sich wiederholter Zuwiderhandlungen gegen die im Kanton bestehenden Geseze und Polizeivorschriften schuldig gemacht hatte, und daß er wegen solcher Handlungen schon einmal richterlich bestraft werden mußte.

14. Die Regierung des Kantons Luzern bestätigte die von dem Stadtrathe von Luzern verfügte Wegweisurig der Frau Kath.

R e n g g l i von Entlebuch (Luzern) aus der Stadtgemeinde Luzern, weil sie bereits mehrmals wegen Diebstahl und Diebstahlsbegünstigung gerichtlich bestraft und in einem dieser Strafurtheile zum Verluste der bürgerlichen Rechte und Ehren verurtheilt worden sei.

Hiegegen rekurrirte der Ehemann Reuggli au den Bundesrath, indem er geltend machte, daß diese Wegweisung dem § 46 des bürgerlichen Gesezbuches von Luzern widerstreite, wonach die Frau verpflichtet sei, dem Manne in seinem Wohnsize zu folgen. Es sei unstatthaft, ein Ehepaar auf solche Weise durch polizeiliche Verfügung zu trennen ; auch habe die Frau nicht eine eigene Niederlassung, sondern sei in derjenigen des Mannes inbegriffen. Sie könne also nicht allein weggewiesen werden. Gegen ihn, den Ehemann liegen aber keine Gründe hiefür vor.

Der Bundesrath wies jedoch mit Beschluß vom 13. November 1876 die Beschwerde ab aus folgenden Gründen: 1) Die Stellung einer Ehefrau in Niederlassungsverhältnissen unterscheidet sich nur insofern von derjenigen des Mannes, als sie aus zivilrechtlichen Gründen gehindert ist, einen Wohnsiz gegen den Willen des Mannes zu w ä h l e n.

2) Dagegen steht die Frau in Bezug auf die Entziehung der Niederlassung unter demselben Rechte wie der Mann, d. h. sie kann von einer Behörde vveggewiesen werden, sobald ein verfassungsmäßiger Grund dazu vorliegt, obgleich eine Wegweisung des Ehemannes nicht stattfindet. Die zivilrechtliche Pflicht der Ehefrau, dem Manne zu folgen, ist den staatlichen (politischen und strafrechtlichen) Interessen untergeordnet.

3) Ueber die Frage, ob die Bestimmungen der Bundesverfassung betreffend die Niederlassungsverhältnisse auch inner den Kantonen gelten, kann ebensowenig ein Zweifel bestehen, als darüber, daß im Spezialfa] le die thatsächlichen Voraussezungen vorhanden seien, die gemäß Art. 45 der Bundesverfassung zur Wegweisung berechtigen.

529

d. S t i m m r e c h t und W a h l a n g e l e g e n h e i t e n .

15. Zwei Entscheide, welche unter diese Rubrik gehören, sind au die Bundesversammlung gezogen worden und durch die da herigen Verhandlungen bereits bekannt, nämlich : a. Entscheid vom 31. Januar 1876 in Sachen des G e m e i n d e rathes von D ü r n t e n , Kts. Zürich, betreffend Stimmrecht der Niedergelassenen. Die Bundesversammlung kam bekanntlich im Laufe des Jahres 1876 noch zu keinem definitiven Entscheid. Der Beschluß des Bundesrathes und der Bericht der ständeräthlichen Kommission sind gedrukt im Bundesblatt 1876, I, 437 und 975.

b. Entscheid vom 4. Februar 1876 in Sachen des Hrn. F r a n z N e s s i von Orselina, Kts. Tessin, und Genossen, betreffend die Gültigkeit der Großrathswahlen im Kreise Locamo vorn 21. Februar 1875. Dieser Entscheid wurde durch die Bundesversammlung am 1. Juli 1876 bestätigt. Bundesblatt 1876, I, 953 und III, 191.

16. Die Gemeindeversammlung von O r b e , Kts. Waadt, hatte im März 1876 mehrere Wahlen in den Gemeinderath vorzunehmen.

Von vier Wahlen fielen zwei auf Personen, die nicht Bürger der Gemeinde sind. Gestüzt auf Art. 84 der Verfassung und auf das Gesez über die Organisation der Gemeinden, wonach die Mehrheit der Mitglieder des Gemeinderathes Gemeindebürger sein müssen, erklärte das Wahlbüreau die Wahlen der Nichtbürger als ungültig und beschloß, daß von fünf Mitgliedern des Gemeinderathes vier Bürger der Gemeinde sein müssen. Der gegen diese Verfugung eingelegte Rekurs wurde am 12. Juni 1876, gestüzt auf folgende Erwägungen, begründet erklärt: 1) Nach Art. 43, Alinea 4 der Bundesverfassung soll der niedergelassene Schweizerbürger in Beziehung auf die politischen Rechte nicht nur dem Kantonsbürger, sondern auch dem G e m ei n d e b ü r g e r gleichgestellt werden. Dieser Grundsaz schließt eine Organisation aus, wie sie der Art. 84 der Verfassung des Kantons Waadt und die darauf beruhenden Art. 4, 23 und 45 des Gesezes vom 26. Mai 1862 aufstellen, und wonach den Gemeindebürgern bei der Bestellung der Gemeindebehörden ein P r i v i l e g i u m eingeräumt wird.

2) Allerdings gewährt das gleiche Alinea 4 von Art. 43 der Bundesverfassung den schweizerischen Niedergelassenen nicht den Mitantheil an Bürger- und Korporationsgütern, und ebenso auch nicht das Stimmrecht in rein bürgerlichen
Angelegenheiten. Allein diese Bestimmung trifft auf den vorliegenden Rekursfall nicht zu, weil im Kanton Waadt eine Trennung zwischen Bürger- und Einwohnergemeinde nicht besteht, und nur eine einheitliehe Verwaltung

530 sowohl für die bürgerlichen Güter, als für die Ortsgemeinde im eigentlichen Sinne des Wortes organisirt ist. Obwohl in einer solchen Organisation irn Ganzen eine Begünstigung des Einwohnerprin/,ipes liegt, so erhält deßhalb der Kauton Waadt doch nicht das Recht, gewissermaßen als Ersaz oder zur Ausgleichung der gemachten Einräumungen die politische Gleichstellung der Schweizerbürger in einer andern Richtung zu schmälern, wo jene durch die Bundesverfassung a u s d r ü k l i c h g a r a n t i r ! wird ; die Kantonalgesezgebungen können nach den Schlußworten des angeführten Artikels der Bundesverfassung nur die noch zugelassenen Beschränkungen mildern oder wegfallen lassen.

3) Nach Art. 2 der Uebergaugsbestimmungen sind aber die Vorschriften der kantonalen Verfassungen und Geseze, welche mit der Bundesverfassung im Widerspruche stehen, außer Kraft getreten.

e. K o n f e s s i o n e l l e V e r h ä l t n i s s e .

17. »Mehrere Bürger der Gemeinde Bagnes, Kts. Wallis, machten unier Hinweisung auf die heftigen politischen Reibungen in der Gemeinde die Mittheilung, daß im August 1876 der die bürgerliche Ehe und gegen Alles, was nicht mit dem Ultramontanisnms im Einklänge stehe, gepredigt habe, und gaben der Erwartung Ausdruk, daß diesem Vorgehen von hier aus ein Ziel gesezt werde, damit nicht die betrübenden Vorgänge des .labres 1868 in der Gemeinde sich wiederholen. -- Die Regierung von Wallis sprach sich in ihrer Vernehmlassung dahin aus : Bagnes, in Frankreich wohnhaft und nur auf einige Tage zum Besuch nach Ba.gnes gekommen. Er habe auch die Schweiz bereits wieder verlassen. Nach dem Berichte des Regierungsstatthalters habe derselbe allerdings gegen jene Katholiken, welche der bürgerlichen nicht auch die kirchliche Trauung folgen lassen, sowie auch gegen die Katholiken gepredigt, welche, nachdem sie Jahre hindurch den Pflichten gegen die Religion sich entzogen, dann mit Pomp in der Kirche sich begraben lassen, was beides auf neueste Vorgänge in der Gemeinde Bezug gehabt habe. Allein die Predigt sei ganz im Sinne der Lehre der katholischen Kirche gewesen, und nach Art. 49 der Bundesverfassung unterliegen die Ansichten des der Rüge durch die bürgerlichen Behörden, indem die Glaubensund Gewissensfreiheit unverlezlich sei und Niemand wegen religiöser Meinungen mit Strafe belegt werden könne.

Wir sprächen uns jedoch der Regierung von Wallis gegenüber wie folgt aus : Der Bundesrath könne die Folgerungen, welche die

531 Regierung aus Art. 49 der Bundesverfassung ableite, nicht ihrem ganzen Umfange nach anerkennen, und namentlich nicht zugeben, daß aus der Freiheit des Gewissens und des Glaubensbekenntnisses auch das Recht folge, Andersdenkende von öffentlicher Kanzel, wo Widerlegung und Widerspruch unmöglich sei, in verlebender Weise, zu kritisiren. Dagegen mache er darauf aufmerksam, daß den Jesuiten und den dieser Gesellschaft affiliirten Orden, beziehungsweise den einzelnen Mitgliedern derselben, durch Art. 5l der Bundesverfassung ausdrüklich peremptorisch jede Verrichtung auch im Dienste der Kirche untersagt sei, und daß sonach die Thatsache, wonach unbekannt sein könne, unter jene Verfassungsbestimmung falle, in Bagnes zur Predigt zugelassen worden, eine flagrante Verlegung jener Vorschrift in sich schließe. Der Bundesrath müsse deßhalb an die Regierung das ausdrükliche Verlangen stellen, daß der Wiederkehr ähnlicher Vorkommnisse in geeigneter Weise vorgebeugt und gegebenen Falles die widerhandelnden Behörden oder Personen zur verdienten Bestrafung gezogen werden.

f. V o l l z i e h u n g der E n t s c h e i d e von B u n d e s b eh ö r d e n bünden, rekurrirten gegen den Bundesrathsbeschluß vom 20. Januar 1073 betreffend Gerichtsstand (Bundesblatt 1873, I, 409) an die Bundesversammlung. Nachher zog Hr. a Marca für sich persönlich den Rekurs zurük. Nachdem die Bundesversammlung mit Beschluß vom 21. Juli 1873 (Bundesblatt 1873, III, 466) den erwähnten Beschluß des Bundesrathes aufgehoben und die Gerichte des Kantons Tessin zur Beurtheilung der Forderungsklage gegenüber den im Kanton Graubünden wohnenden Beklagten als inkompetent erklärt hatte, zitirte das Bezirksgericht Belliuzona die Herren a Marca und Genossen dennoch abermals vor sein Forum, und glaubte an seiner Kompetenz wenigstens mit Bezug auf Hrn. a Marca festhalten zu sollen, weil der Entscheid der Bundesversammlung ihn nicht berühre.

Er beschwerte sich bei dem Bundesgerichte, welches jedoch den Entscheid uns zuwies, weil es sich lediglich uni die Vollziehung des Bundesbeschlusses vom '21. Juli 1873 handle (Amtliche Sammlung der Entscheide des Bundesgerichtes Bd. I, S. 288).

Am 22. Mai 1876 erließen wir den Entscheid, das Gericht des Bezirkes Bellinzona habe sich jeder weitem Vorladung des Hrn.

Ulrich a Marca und Genossen in dem fraglichen
Prozesse zu eutO halten, gestüzt auf folgende Gründe: 1) Was zunächst die Streitgenossen des Ulrich a Marca betrifft, so dürfen dieselben Angesichts des Bundesbeschlusses vom 21. Juli

532

1873 in diesem Prozesse in keinem Falle und in keiner Weise dem tessinischen Gerichtsstande weiter unterworfen werden, vielmehr sind sie an ihrem natürlichen Gerichtsstande im Kanton Graubünden zu belangen.

2) Das Gleiche gilt aber auch bezüglich des Hrn. a Marca persönlich, da durch den erwähnten Entscheid der Bundesversammlung der Gerichtsstand in dem fraglichen Prozesse allgemein für alle zu demselben adzithten Betheiligten aus dem Kanton Graubünden festgestellt wurde. Hienach kann der Umstand, daß Hr. Ulrich a Marca den an die Bundesversammlung ergriffenen Rekurs für seine Person zurükgezogen hat, nicht in Berüksichtigung kommen, vielmehr muß der Entscheid derselben auch für seine Person maßgebend sein.

3) Es liegt also sowohl bezüglich des Hrn. a Marca persönlich, als bezüglich seiner Streitgenossen aus dem Misox, eine Verlezung des Bundesbeschlusses vom 21. Juli 1873 vor, welche der Bundesrath nach Maßgabe von Art. 102, Ziff. 5 der Bundesverfassung in Vollziehung dieses Bundesbeschlusses zu remediren berufen ist.

Guthaben gerichtlich belangt. Er protestirte hiegegen und verlangte Schuz seines persönlichen Gerichtsstandes. Die Kläger nahmen indeß keine Rüksicht hierauf, vielmehr erwirkten sie Arreste auf einige Forderungen, welche dem Hrn. Fäßler an Jungo und Zwick in Freiburg zustanden. Hr. Fäßler sah sich daher genöthigt, gestüzt auf Art. 59 der Bundesverfassung, an das Bundesgericht zu rekurriren, welches auch den Rekurs begründet erklärte und die erwähnten Arrestverfügungen aufhob. Mittlerweile hatte aber der Friedensrichter in Freiburg diese Arreste bestätigt und die Beträge, welche von Jungo und Zwick bei ihm deponirt worden waren, an Hr. Egger und Frau Kern aushin gegeben. Hr. Fäßler stellte nun unter Berufung auf die Art. 188 und folg, des Bundesgesezes über das Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten an den Staatsrath von Freiburg das Begehren, daß der Friedensrichter zur Vollziehung des bundesgerichtlichen Entscheides angehalten und demgemäß verpflichtet werde, die fraglichen Beträge ihm aushin zu geben resp.

zu vergüten. Der Staatsrath erklärte, er habe den Entscheid des Bundesgerichtes dem Friedensrichter zugestellt und weiteres könne er nicht thun. Das Kantonsgericht, an welches Hr. Fäßler sich nachher wandte, erklärte sich als inkompetent.

In Folge dessen beschwerte
er sich bei dem Bundesrathe und stellte das Gesuch, daß gemäß Art. 191 des zitirten Bundesgesezes die zum Vollzuge nöthigen Maßregeln angewendet werden möchten.

Dieser Rekurs wurde am 23. Oktober 1876 abgewiesen. Gründe:

533 1) Der Rekurrent beschwert sich darüber, daß die Regierung von Freiburg sowohl, als das dortige Obergericht sich geweigert haben, das ,,Urtheil" des Bundesgerichtes vom 17. Marx 1876 in Sachen des Advokaten Fäßler in Rorschach zu vollziehen; er verlangt demnach die Intervention des Bundesrathes im Sinne von § 191 des Bundesgesezes über das Verfahren vor Bundesgericht in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten.

2) Die Weigerung des Obergerichtes von Freiburg stüzt sich indeß unzweifelhaft auf einen durchaus unanfechtbaren Grund, indem die V o l l z i e h u n g gerichtlicher Urtheile nicht in die Kompetenz eines Gerichtshofes fällt, und ebenso kann der ablehnende Bescheid der Regierung von Freiburg nicht als eine unstatthafte Rechtsverweigerung aufgefaßt werden, weil er sich lediglich darauf beruft, daß die V o l l z i e h u n g eines Urtheils nur solche Punkte beschlagen könne, über welche sich das fragliche Urtheil in seinen Dispositiven bestimmt ausspricht. Das Bundesgericht ist nun aber in seinem Beschluß vom 17. März einfach dabei stehen geblieben, den erhobenen s t a a t s r e c h t l i c h e n Konflikt zu entscheiden, d. h. den auf ein Guthaben Fäßlers im Kanton Freiburg gelegten Arrest aufzuheben, ohne gleichzeitig sich darüber auszusprechen, wie nun die hiedurch erforderlich gewordene restitutio i n integrum in's Werk zusezeni sei. D e r Anordnung bezüglicher Maßregeln nicht unter den Begriff des Urt h e i l s V o l l z u g e s im Sinne von Art. 188 und 189 des Bundesgesezes über das Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten falle.

3) Es kann somit eine Verlegung derjenigen Pflichten, welche den Kantonen nach Maßgabe der zitirten §§ 188 und 189 obliegen, seitens der freiburgischen Behörden nicht angenommen worden, und es fällt daher auch für den Bundesrath die Veranlaßung dahin, nach Maßgabe von Art. 191 des nämlichen Gesezes gegen jene Behörden einzuschreiten.

20. Das im Laufe der 1860er Jahre wiederholt in Behandlung gewesene und endlich im September 1875 auch bei der Bundesversammlung anhängig gemachte Gesuch der a a r g a u i s c h e n Isr a e l i t e n um ihre Einbürgerung in Gemeinden ist mit Beschluß vom 21. März 1876, von beiden eidgenössischen Räthen, in bejahendem Sinne entschieden worden. Bundesblatt 1875, IV, 1223 ; -- 1876, I, 822 und 848, II, 757 und 766.

Dieser Beschluß
enthält die Einladung an uns, bei der Regierung des Kantons Aargau auf endliche Erledigung der Angelegenheit der Israeliten betreffend die Einbürgerung und die, volle bürgerliche Gleichstellung mit den Kantons- und Schweizerrge Bundesblatt. 29. Jahrg. Bd. U.

36

534 bürgern zu dringen und derselben hiefür einen angemessenen Termin zu sezen.

In Vollziehung dieses Beschlusses erließen wir an die Regierung des Kantons Aargau zunächst die Einladung, mit Nachdruk auf möglichst baldige Vollziehung des Bundesbeschlusses hinzuwirken. Von der Ansehung einer Frist wurde vorerst noch Umgang genommen, da uns die Thatsachen, welche billigerweise für die Feststellung des Termins hätten in Betracht kommen müssen, nicht bekannt waren. Immerhin ersuchten wir dio genannte Regierung, bis Ende August darüber sich vernehmen zu lassen, bis zu welchem Zeitpunkte die Einbürgerung und bürgerliche Gleichstellung der Israeliten in sichere Aussicht genommen werden könne.

Gegen Ende September übermachte uns die Regierung des Kantons Aargau den Entwurf zu einem bezüglichen Dekrete, welchen sie dem Großen Rathe in seiner Novembersizung vorzulegen beabsichtigte. Wir konnten diesem Dekretsentwurfe unsere Zustimmung nicht versagen und sprachen auch sowohl zu Händen des Großen Rathes als der gesammten Bevölkerung des Kantons Aargau unsere Hoffnung aus, daß sie durch die Annahme desselben die definitive Erledigung dieser wichtigen Angelegenheit herbeiführen möchten.

Die Regierung war jedoch gegen Ende November im Falle, uns mitzutheilen, daß die vom Großen Rathe niedergesezte Kommission diesem die Eröffnung gemacht habe, daß sie sich in Rüksicht auf die Wichtigkeit und Schwierigkeit dieses Gegenstandes noch nicht in der Lage sehe, darüber Bericht erstatten zu können, daß sie dagegen ihr Referat in der außerordentlichen Session des Großen Rathes im Februar 1877 vorzutragen gedenke. Wir haben jedoch über diese Verhandlung noch keinen Bericht erhalten.

g. V e r s c h i e d e n e s .

Das Justiz- und Polizeide.partement hatte noch in mehreren Angelegenheiten, deren Behandlung nach den Vorschriften des Bundesgesezes über die Organisation und den Geschäftsgang des Bundesrathes in den Geschäftskreis anderer Departemente gehörte, sei es auf Ansuchen dieser Departemente, oder sei es in Folge besonderer Beschlüsse des Bundesrathes, gewisse Fragen vom juristischen oder polizeilichen Standpunkte aus zu prüfen und zu begutachten.

Da über diese Geschäfte in den Abtheilungon derjenigen Departemente berichtet werden wird, welchen die definitive Behandlung derselben zukam, so ist hier nicht weiter darauf einzutreten.

Dagegen sind noch zwei Rekurse von dem Departemente behandelt worden, welche unter keine der obigen Rubriken eingereiht

535

werden konnten, aber noch erwähnt werden müssen, weil sie an die Bundesversammlung gezogen wurden. Indeß genügt auch eine summarische Erwähnung, indem das Detail aus den Verhandlungen der Bundesversammlung und durch die gedrukten Aktenstüke bekannt ist.

a. Rekurs des S t a a t s r a t h e s des K a n t o n s W al lis gegen die Kompetenz des Polizeirichters von Saanen, Kts. Bern, in Strafsachen Savièse, Kts. Wallis. Der Beschluß des Bundesrathes vom 30. Dezember 1875 ist gedrukt im Bundesblatt 1876, III, 625.

Der deunitive Entscheid der Bundesversammlung ist noch nicht erfolgt.

b. Rekurs des 150 Einwohnern der Stadtgemeinde Lausanne gegen den Bezug der Gemeindesteuern in Form einer verhältnißmäßigen Zuschlagstaxe zu der Militärsteuer. Unser Bericht über diese Angelegenheit vom 17. Juni 1876 und der Beschluß der Bundesversammlung vom 4. Juli 1876 sind gedrukt im Bundesblatt 1876, III, 178 und 251.

B. Polizeiverwaltung.

I. Auslieferung von Yerbrechern und Angeschuldigten.

a. E i n l e i t u n g .

Das Jahr 1876 erzeigt gegenüber dem Vorjahre eine kleine Verminderung der Auslieferungsangelegenheiten. Die /ahi der Auslieferungen, welche von Seite der Schweiz bei auswärtigen Staaten nachgesucht wurden, ist zwar ziemlich die gleiche geblieben, wie im Jahre 1875, nämlich 66 gegen 67 im Vorjahre. (Dieso Zahl betrug 1874: 59; 1873: 56.) Dagegen ist die Zahl der Auslieferungsbegehren von Seite auswärtiger Staaten an die Schweiz, welche im Jahre 1875 auf 254 angestiegen war, auf 219 zurilkgegangen (1874: 180; 1873: 154). Diese Verminderung betrifft hauptsächlich die Auslieferungsbegehren von Seite Frankreichs, von woher blos 71 einkamen gegen 96 im Vorjahre. Es waren also im Ganzen 285 Angelegenheiten dieser Art zu behandeln.

In Folge Einsprache gegen die Anwendbarkeit der betreffenden Staatsverträge mußten gemäß Art. 58 des Bundesgesezes über die Organisation der Bundesrechtspflege von 1874 zehn Fälle betreuend

536 11 Personen dem Bundesgerichte zum Entscheide überwiesen werden.

Dasselbe erklärte in allen diesen Fällen die Einsprachen als unbegründet. Bezüglich der Grundsäze, welche dasselbe adoptirt hat, wird auf die amtliche Sammlung seiner Entscheide verwiesen.

Die von Seite der S c h w e i z bei auswärtigen Staaten verlangten Auslieferungen betrafen : 2 Mord und Mordversuch, l Körperverlezung, l Nothzucht, 1 Raub, 7 Fälschung von öffentlichen und Privaturkunden, 13 Betrug, 7 betrüglichen Bankerott, 16 Unterschlagung, 2 Pfandunterschlagung, 16 einfachen und ausgezeichneten Diebstahl.

66 Die von a u s w ä r t i g e n S t a a t e n bei der Schweiz verlangten Auslieferungen betrafen: a. D e u t s c h e s R e i c h .

1 gewerbsmäßige Abtreibung der Leibesfrucht, 2 Nothzucht, 2 schwere Körperverlezung, 3 Meineid, l Bestechung von öffentlichen Beamten, 30 Betrug und Fälschung, 7 betrüglichen Bankerott, 17 Unterschlagung, 35 einfachen und ausgezeichneten Diebstahl.

98 b. F r a n k r e i c h.

5 Mord, l Kindesmord, 6 Nothzucht und andere Vergehen gegen die Sittlichkeit, l schwere Körperverlezung, l Erpressung, 8 Betrug und Fälschung, 13 betrüglichen Bankerott, l Unterschlagung öffentlicher Gelder, 16 Vertrauensmißbrauch, 18 einfachen und ausgezeichneten Diebstahl, Hehlerei, l Gerichtliche Verleumdung.

71

537 c. I t a l i e n .

4 Mord und "Mordversuch, 3 Körperverlezung mit nachgefolgtem Tode, 2 Straßenraub, l Blutschande, l Inverkehrsezen falscher Banknoten, 3 Fälschung von Privatschriften, 1 Unterschlagung durch öffentliche Beamte, 2 Vertrauensmißbrauch, l Betrug, 5 bezüglichen Bankerott, 9 einfachen und ausgezeichneten Diebstahl.

32 d. O e s t e r r e i e h.

1 schwere Körperverlezung, 2 Wechselfäl schung, 1 Unterschlagung öffentlicher Gelder, 2 Betrug, 1 Vertrauensmißbrauch, 2 Diebstahl.

e. B e l g i e n .

3 betrüglichen Bankerott, 2 Unterschlagung.

o f. R u ß l a n d .

l Wechselfälschung und Betrug, l Unterschlagung.

2 g. G r o ß b r i t a n n i e n .

l betrüglichen Bankerott.

h. N i e d e r l a n d e .

l betrüglichen Bankerott.

Das weitere Detail ergibt sich aus den folgenden Tabellen:

538 b. S t a t i s t i k A. der v o n Seite d e r S c h w e i z bei auswärtigen Staaten n a c h g e s u c h t e n Auslieferungen.

Anzahl BeUnent- Ver- Zurük- Pender Indi- willigt. dekt. weigert. gezogen. dent.

viduen.

Kantone.

Zürich . . .

Bern Luzern . . .

Zug . . . .

Freiburg . .

Solothurn . .

Basel-Stadt . .

Basel-Landschaft Schaffhausen '.

St. Gallen . .

Aargau . . .

Thurgau . .

Tcssin . . .

Waadt . . .

Neuenburg . .

Genf

.

.

.

.

.

.

.

4 11

10 16

4 1 1 1 2 -- 1 2 1

4 1

3 1 5 1 2

.

.

4 1

.

.

.

3 1 6 4 4

S t a a t e n , bei denen diese Auslieferungen nachgesucht wurden : Belgien Deutsches Reich .

Frankreich .

Großbritannien und britisch Indien .

Italien . . .

Niederlande Oesterreich . 1 .

--2 --3 1 1 -- -- --

-- -- __ --

-- !J -- 2

-

38

11

-- 4

1

1



1

4 -1

-- -- -- -- -- --

·

--

2 -- -- -- --2

3

66

1 1

3

^_

-- --1

.^

--2 2

·

7

:

i , · i 2 22 26

1 17 14

7 2 3 4

1 1 1

. - . . . . . . =-_.,-_..,_ .66

38

1 --

8

1 _-r-

2 .^ __

3 11

2 ,

1 -- 4

UL ^

--1 1 2 1 --1 6

3 3 j_,_ -.

,

1 -- 7

539 B. der d u r c h die S c h w e i z an auswärtige Staaten bewilligten Auslieferungen.

Anzahl BeUnent- Ver- Zurükder Indi- willigt. dekt. weigert. gezogen.

viduen.

Staaten.

Belgien . . .

Deutsches Reich Frankreich . .

Großbritannien Italien . . .

Niederlande .

Oesterreich . .

Rußland. . .

.

.

.

.

.

.

.

5

98 71 1 32 1 9 2 219

K a n t o n e , bei denen diese Auslieferungen nachgesucht wurden : Zürich . . . .

Bern Luzern . . . .

Uri Schwyz . . . .

Zug ". . . .

Solothurn . . .

Basel-Stadt . . .

Basel-Landschaft .

Schaffhausen . .

Appenzell A. Rh.

St. Gallen . . .

Graubünden . .

Aargau . . . .

Thurgau . . .

Tessin . . . .

Waadt . . . .

Wallis . . . .

Neuenburg . .

Genf Schweiz im Allgemeinen . . .

-- 67 42

13

5

13 21 10 1

--5 --

--2

127

52

37 15 7 2 1 2 4 18 2 7 1 11 1

21 11

7 1

4

2 2 1

4 2 22 13 5 2 55

4 1 9 5 4 1 35

8 219

1 2 11 2 6 1 9 ^_

1 5 -- -- -- 2 1 _ 5 5 -- -- 13

_.

7

127

52

-

--

Pendent.

7 3

11 5 1

3

6

--1 --

2 ..._

1

14

25

1

3

5 3 1

-- -- -- -- -- 1 --

--

-- -- -- -- -- __ .-- -- 1

--1 1 1 --1

-- -- --2 -- --1

1 -- -- -- -- -- -- 1 6 3 1

3 i

-- ' 4

1

-

14

25

540

c. F o r m e l l e s V e r f a h r e n .

1. Es ist schon wiederholt in verschiedenen Geschäftsberichten der m a n g e l h a f t e n A u s s t e l l u n g d e r Verhaftsbefehle, welche zur Begründung von Auslieferungsbegehren in das Ausland gehen müssen, erwähnt und darauf hingewiesen worden, daß die k a n t o n a l e n B e h ö r d e n oft weder die Vorschriften der bestehenden Auslieferungsverträge berathen, noch die verschiedenen Kreisschreiben, noch die in den Geschäftsberichten oder bei Anlaß der Behandlung von Einzelnfällen gegebenen Anleitungen beobachten. Dergleichen Uebelstände verursachen erhebliche Vermehrung der Korrespondenzen und der Kosten und für die betreffenden Individuen Verlängerung der Haft. -- In sechs Fällen mußte die Ergänzung von Verhaftsbefehlen, welche von Gesandtschaften a n d e r e r S t a a t e n zur Begründung von Auslieferungsbegehren vorgelegt wurden, verlangt werden, weil die zur juristischen Begriffsbestimmung der eingeklagten Handlung nöthigen Thatsachen entweder gar nicht oder nur mangelhaft angegeben waren. In jenen Fällen, wo ein Angeklagter gegen seine Auslieferung keine Einwendung erhebt, kann man sich mit der einfachen Bezeichnung des Verbrechens begnügen, vorausgesezt, daß es sich nicht um eine Anklage handelt, welche nach dem betreffenden Vertrage in den beiden Staaten gleichmäßig strafbar sein muß, um die Auslieferung zu begründen. Wenn aber der verhaftete Angeklagte gegen die Anwendbarkeit des Staatsvertrages und somit gegen seine Auslieferung protestirt, so muß der Verhaftsbefehl jedenfalls in der durch den betreffenden Vertrag vorgeschriebenen Form vorliegen.

Wir verweisen in dieser Beziehung auf die Geschäftsberichte pro 1871 (Bundesblatt 1872, H, 514 ff.) -- 1874 (Bundesblatt 1875, Bd. II, 616 ff.) -- 1875 (Bundesblatt 1876 H, S. 293 und 294). -- Im Weitern sind zu beachten die Kreisschreiben vom 14. Januar 1870 (Bundesblatt 1870 I, 61), vom 3. Juli 1874 (Bundesblatt 1874 H, 535 bis 538), vom 12. Dezember 1874 (Bundesblatt 1874 IH, 885), und vom 11. September 1876 (Bundesblatt 1876 III, 564). -- U n t e r a l l e n U m s t ä n d e n i s t i n d e n F ä l l e n , wo d i e p r o v i s o r i s c h e V e r h a f t u n g p e r Telegramm nachgesucht wurde, unverzüglich, ohne das Resultat abzuwarten, das Ausliefer u n g s b e g e h r eu im d i p l o m a
t i s c h e n Wege einzuleiten.

2. Mit ganz besonderer Vorsicht ist zu verfahren, wenn es sich um die provisorische Verhaftung und das Gesuch um Auslieferung von Individuen handelt, welche sich nach G r o ß b r i t a n n i e n geflüchtet haben, weil hier ein Verfahren stattfindet, das

541 von demjenigen in allen andern europäischen Staaten ganz verschieden ist. Dieses Verfahren ist gesezlich geordnet (zulezt durch die Auslieferungsakte von 1870). Es darf auch die großbritannische Regierung keinen Auslieferungsvertrag abschließen, ohne die Beobachtung jenes Verfahrens zu stipuliren. Darnach muß jedes Individuum, dessen Verhaftung von den Behörden eines andern Staates in England veranlaßt wurde, um dessen Auslieferung zu erlangen, nach London gebracht und einem Richter zugeführt werden, vor welchem der die Auslieferung verlangende Staat den Beweis für die gegen den Verhafteten eingeklagte Handlung i n d e m U m f a n g e v o r l e g e n m u ß , (laß dem R i c h t e r die V e r s e z u n g des A n g e k l a g t e n in A n k l a g e z u s t a n d gerechtfertigt erschiene, wenn die gleiche Tha t i n E n g l a n d v e r ü b t w o r d e n w ä r e . Diese Vorschrift i s t auch in Art. 9 und 11 des Ablieferungsvertrages zwischen der Schweiz und Großbritannien enthalten, und ist in Verbindung mit den ohnehin strengen Formen des englischen Strafverfahrens die Hauptursache, weßhalb in den Auslieferungsangelegenheiten mit diesem Staate ganz besondere Umsicht angewendet werden muß, wenn die dießfälligen Bemühungen von Erfolg sein sollen und eine Klage auf hohen Schadensersaz abgewendet werden will, welche das freigewordene Individuum sehr leicht erheben kann. Um die Kantone vor dieser Eventualität möglichst zu schüzen, wird unser Justiz- und Polizeidepartement eine kurze Anleitung an die kantonalen Polizeibehörden erlassen.

3. Was die K o s t e n in Auslieferungsangelegenheiten betrifft,, so wird nach dem Grundsaze verfahren, daß sie in der Regel von den Kantonen zu tragen seien, weil das ganze Gebiet des Strafrechtes Sache der Kantone ist, und der Bundesrath, soweit es sich um strafprozessualische Maßnahmen handelt, somit nur Namens der Kantone und behufs Ausübung der ihnen zustehenden Strafgerichtsbarkeit als politischer Repräsentant des Bundes nach Außen mitzuwirken berufen ist. In der Praxis wird jedoch nicht absolut in diesem Sinne verfahren. Die im regelmäßigen Verlaufe eines Auslieferungsgeschäftes entstehenden Kosten für Telegramme und Porti werden von der Bundeskasse bestritten. Sobald jedoch durch ungenaues Verfahren von Seite kantonaler Behörden besonders vermehrte Kosten für
Telegramme etc. oder durch das ausnahmsweise gesezliche Verfahren eines auswärtigen Staates (Großbritannien) Kosten für Rechtsgutachten, Advokatenrechnungen, Uebersezungen, Reisekosten für Zeugen etc. entstehen, so fallen diese Kosten auf Rechnung der Kantone. Unter allen Umständen aber haben die Kantone die Kosten des Transportes und der Bewachung etc. von

542

solchen Individuen zu tragen, welche von Staaten, die nicht an die Schweiz grenzen, an diese ausgeliefert werden, während diese leztern Kosten für Individuen, welche aus angrenzenden Staaten ausgeliefert werden, von jedem Staate (resp. Kauton), soweit sie auf seinem Gebiete erwachsen sind, an sich selbst getragen werden müssen.

In Anwendung dieser Grundsäze hatte im Laufe des Jahres 1876 ein Kanton starke Telegraphiekosten zu vergüten, welche dadurch erwachsen sind, daß das Auslieferungsbegehren nicht sogleich nach bewirkter provisorischer Verhaftung des Angeklagten uns eingesendet wurde, und aus diesem Grunde dessen Freilassung angedroht ward. Ein anderer Kanton hatte die sehr bedeutenden Kosten zu vergüten, welche durch die Auslieferung eines Individuums aus England und durch diejenige eines andern aus den Niederlanden entstanden sind.

4. Im Jahr 1874 wurde die Auslieferung eines Franzosen wegen Vertrauensmißbrauches bewilligt. Da es sich hiebei ergeben hatte, daß derselbe wegen Theilnahme an der Commune von Paris (1871} in contumaciam zu 20 Jahren Deportation nach einem befestigten Plaz verurtheilt worden war, so wurde die Bedingung beigefügt, daß er wegen dieser Handlung nicht verfolgt werden dürfe. Nach Ablauf der Strafzeit, zu welcher er wegen der Handlung, welche die Auslieferung veranlaßte, verurtheilt worden, wurde er im Januar dieses Jahres wirklich nach der Schweiz zurükgeliefert.

5. Nachdem die Auslieferung eines Badensers wegen betrüglichen Bankerottes nach dessen Protestation durch das Bundesgericht an England bewilligt worden war, zog die englische Gesandtschaft das Auslieferungsbegehren zurük wegen der Schwierigkeiten, welche dem Durchtransporte desselben durch Frankreich sich entgegengestellt haben. In Folge dessen sahen wir uns veranlaßt, der/englischen Gesandtschaft zu Händen ihrer Regierung zu eröffnen, daß ?m Falle der während zwei Monaten in Sitten verhaftet gewesene Angeklagte, gegenüber der Eidgenossenschaft Schadensersazansprüche' erheben würde, der Regreß auf die englische Regierung gewahrt werde.

d. M a t e r i e , ! I Q E n t s c h e i d , e.

; ;6. Ein Franzose, dessen Auslieferung bei England gleichzeitig von der Schweiz und von Frankreich wegen Betrugs nachgesucht worden warj wurde an Frankreich ausgeliefert, weil die Regierung dieses Staates Äe/Auslieferung einige Tage früher nachgesucht hatte.

Unser Anauchen, daß der Angeklagte von den französischen Ge-

543 richten auch für die in der Schweiz verübten Betrügereien beurtheilt werden möchte, wurde von der französischen Regierung abgelehnt, gestüzt darauf, daß nach der Interpretation, welche der Art. 5 des Code d'instruction criminelle durch die Gerichtspraxis erhalten habe, der Angeklagte ohne seine Zustimmung wegen der im Auslande verübten strafbaren Handlungen nicht verfolgt werden könne, da e r n i c h t f r e i w i l l i g n a c h F r a n k r e i c h z u r U k g e k e h r t s e i , und eine ausdrükliche Zustimmung von ihm nicht erhaltlich gewesen.

7. Die großherzoglich badische Regierung verweigerte die Auslieferung eines Bürgers des Kantons Zürich, welcher in seiner Heimat wegen Pfandunterschlagung in Untersuchung stand, und begründete die Verweigerung, wie folgt: Die Unterschlagung sei nach Art. I, Ziff. 12 des Auslieferungsvertrages nur in denjenigen Fällen als Auslieferungsgrund anerkannt, in welchen d i e s e l b e , d. h. die Unterschlagung, von der Landesgesezgebung der vertragenden Theile mit Strafe bedroht sei.

Diese Bestimmung seze also ausdrüklich eine nach den b e i d e r s e i t i g e n G e s e z g e b u n g e n mit Strafe bedrohte Unterschlagung voraus. Nun sei zwar nach § 137 des Strafgesezbuches des deutschen Reiches die Beseifigung gepfändeter Sachen auch mit Strafe bedroht, aber nicht als ,, U n t e r s c h l a g u n g " , sondera als ein ,,Ve r g e h e n wider die ö f f e n t l i c h e O r d n u n g " .

Nach § 246 des Strafgesezbuches für das deutsche Reich mache sich nur Derjenige der Unterschlagung schuldig, welcher eine fr enti d e bewegliche Sache, die er in Besiz oder Gewahrsam habe, rechtswidrig sich zueigne. Da somit eine That in Frage liege, welche nach der Gesezgebung des einen Landes die Auslieferung begründen würde, während sie nach der Gesezgebung des andern Staates zwar auch mit Strafe bedroht, aber nicht als Auslieferuugsgrund zu betrachten sei, so entspreche es dein Sinn und Geiste des Vertrages, die Auslieferung in einem solchen Falle auszuschließen, weil der Vertrag im Ganzen und in seinen einzelnen Bestimmungen auf dem Grundsaze der Gegenseitigkeit beruhe, das Maß der gegenseitigen aus dem Vertrage abgeleiteten Rechte und Verpflichtungen aber nicht das Gleiche sein würde, wenn, wie im vorliegenden Falle, der eine Theil in der Lage wäre, wegen derselben
That die Auslieferung herbeizuführen, wegen deren der andere Theil einen Anspruch auf Auslieferung nicht erheben könne.

Wir machten diesem Standpunkt gegenüber umsonst geltend, daß es für die Anwendbarkeit des Staatsvertrages genüge, wenn die in Frage liegende Handlung in beiden Staaten mit Strafe bedroht sei.

(In einem ähnliehen Falle fand das Bundesgericht am 25. November

544

1876, es sei nicht nöthig, daß der eingeklagte Thatbestand in den beidseitigen Gesezgebungen auch u n t e r d e n g l e i c h e n s t r a f r e c h t l i c h e n B e g r i f f f a l l e , wenn er nur nach der Gesezgebung des angesprochenen Staates ein Verbrechen oder Vergehen bilde, w e l c h e s n a c h d e m A u s l i e f e r u n g s v e r trag auch die Auslieferungspflicht begründen w U r d e.)

8. Mit Bezug auf 6 Personen, welche wegen gemeiner Verbrechen vorfolgt worden und sich gleichzeitig der Desertion schuldig gemacht hatten, wurde die Auslieferung nur unter der Bedingung bewilligt, daß sie wegen Desertion nicht bestraft werden dürfen.

9. Dem Grundsaze entsprechend, daß kein Staat seine eigenen Angehörigen an die Strafjustiz eines andern Staates ausliefere, wurde von Deutschen Staaten in 7, von Italien in 3 und von Frankreich in 2 Fällen, zusammen gegen 15 Personen, die Beurtheilung und Bestrafung in der Heimat für Verbrechen übernommen, deren sie in der Schweiz angeklagt waren. In 7 Fällen fand eine Verurtheilung statt, in einem wurde der Prozeß Mangels Beweises niedergeschlagen,.

und in den 4 weitern Fällen steht der Bericht über die Erledigung noch aus.

Gleiche Gesuche wurden in 2 Fällen gegen 3 Personen auch an die Schweiz gestellt. 2 dieser Personen wurden in ihren Heimatkantonen zu Strafen verurtheilt, über die dritte dagegen ist das Urtheil noch nicht gefällt.

II. Bundesstrafrecht.

a. G e f ä h r d u n g des E i s e n b a h n b e t r i e b e s , etc.

10. Im Jahr 1876 sind 41 neue Fälle von G e f ä h r d u n g des E i s e n b a h n b e t r i e b e s den kantonalen Gerichten zur Untersuchung und Beurtheilung überwiesen worden. 7 Fälle waren aus dem Jahr 1875 pendent geblieben, so daß im Ganzen 48 Untersuchungen gegen 85 Personen in gerichtlicher Behandlung waren (1875: 22 Untersuchungen gegen 28 Personen; 1874: 36 Untersuchungen gegen 44 Personen).

Von jenen 48 Untersuchungen wurden 11, worin 15 Personen betheiligt waren, durch Verfügung von Gerichtsbehörden aufgehoben, und 20 durch gerichtliches Urtheil erledigt. In 4 Fällen wurden 23 Personen freigesprochen und in 16 Fällen ebenfalls 23 Personen zu größern oder geringern Strafen verurtheilt. Die übrigen 17 Untersuchungen gegen 24 Personen blieben pendent. Gegen 2 Urtheile

sahen wir uns veranlaßt, die Appellation zu ergreifen, und 2 weitere Urtheile wurden direkt von der Staatsanwaltschaft der betreffenden Kantone an die obere kantonale Instanz appellirt.

Die höchste der ausgesprochenen Strafen gegen 2 Bahnangestellte' die durch grobe Fahrläßigkeit den Zusammenstoß zweier Personenzüge veranlaßt hatten, wodurch ein Schaden am Material von 4136 Franken entstanden war, betrug für Joden 2 Monate Gefängniss und 200 Franken Geldbuße. Die geringste Strafe dagegen wurde gegen einen Dienstknecht ausgesprochen, welcher unmittelbar vor Ankunft eines Zuges eigenmächtig eine Barriere geöffnet hatte und mit einem beladenen Fuhrwerk über die Bahnlinie gefahren war; sie betrug 2 Tage Gefängniß und 10 Franken Buße.

Von den 16 Strafurtheilen sind 9 gegen 14 Personen bereits vollzogen; die Vollziehung der übrigen ist eingeleitet. Die Urtheile aus dem Jahr 1875 sind vollzogen, mit Ausnahme eines einzigen.

Das Gesuch eines Verurtheilten aus dem Jahr 1875 um Erlaß der Geldbuße auf dem Wege der Begnadigung (Bundesblatt 1876, Bd. II, S. 924) wurde im Juni 1876 von der Bundesversammlung abgewiesen. Die Gefängnißstrafe hatte er schon vorher erstanden, und die Buße wurde nachträglieh bezahlt.

11. B e i B e s t i m m u n g d e s G e r i c h t s s t a n d e s nach Art. 74 des Bundesgesezes über das Bundesstrafrecht zur Untersuchung und Beurtheilung des Eisenbahnunfalles vom 7. Juli 1876 zwischen Palézieux, Kts. Freiburg, und Chexbres, Kts. Waadt, waren die Thatsachen zu würdigen, daß der Unfall auf dem Gebiete des Kts. Freiburg stattgefunden hat, daß dagegen die möglichen Angeklagten und Zeugen im Kt. Waadt wohnten. Wir entschieden uns für den Gerichtsstand des Kantons Waadt, gestüzt auf folgende Erwägungen : daß zwar allerdings im Strafrechte der ordentliche Gerichtsstand am Orte der That ist und das Domizil der Angeschuldigten für die Bestimmung des Gerichtsstandes als untergeordnet ci scheint; daß jedoch dieser Grundsaz nur in Frage kommen kann, wenn eine Konkurrenz verschiedener möglicher Gerichtsstände vorliegt, wobei natürlich auch die Konkurrenz verschiedener Gesezgebungen vorausgesezt ist; daß aber im vorliegenden Falle nicht verschiedene Gerichtsstände und auch nicht verschiedene Gesezgebungen in Frage sind, indem lediglich das Bundesgesez über das Bundesstrafrecht vom 4. Februar 1853 maßgebend ist, und nach Art. 74 dieses Gesezes

546

die urtheilenden Gerichte verpflichtet sind, auf jeden Fall die Bestimmungen dieses Gesezes anzuwenden ; daß somit die ganze Schweiz nur einen und denselben Gerichtskreis bildet, innerhalb welchem das genannte Bundesstrafrecht zur Anwendung kommt und sich somit der Ort der That nicht nach den Grenzen der einzelnen Kantone bestimmt; daß nun im Spezialfallo diejenigen Personen, welchen möglicherweise eine Schuld bezüglich des fraglichen Unfalles zugeschrieben werden kann, im Kanton Waadt wohnen, also auch die wesentlichern Untersuchungshandlungen auf dem Gebiete dieses Kantones vorgenommen werden müssen, es sich somit rechtfertigt, daß die weitere Untersuchung und Beurtheilung dieser Angelegenheit den Gerichten des Kantons Waadt übertragen werde.

12. Neben diesen Fällen wurden auf Grund des Bundesstrafrechtes noch drei weitere Untersuchungen erhoben, die eine wegen m e h r f a c h e r A u s ü b u n g des S t i m m ree h tes bei den Nationalrathswahlen vom Oktober 1875 im Kanton Tessin, und die beiden andern wegen S t ö r u n g des T e l e g r a p h e n v e r k e h r e s . Die eine dieser beiden leztern Untersuchungen endigte mit der Niederschlagung des Prozesses durch Verfügung der Staatsanwaltschaft des betreffenden Kantones, und die andere mit einem freisprechenden Urtheil. Auch in der dritten Untersuchung erfolgte eine Freisprechung des Angeklagten durch Urtheil der ersten Instanz: die Staatsanwaltschaft von Tessin hat jedoch die Appellation an den obersten Gerichtshof erklärt, dessen Urlheil indeß zur Zeit noch aussteht.

13* In Genf wurde ein Geschäftsbüreau eröffnet, dessen Unternehmer einen runden Stempel gebrauchte mit dem eidgenössischen Kreuz in Strahlen und mit der Umschrift: ,,Office judiciaire suisse.

· Genève." Die Anfrage des Justiz-und Polizeidepartementes des Kantons Genf, ob gegen diesen Mißbrauch, gestüzt auf ein Bundesgesez, eingeschritten werden könne, wurde von unserm Justiz- und Polizeidepartement verneinend beantwortet, jedoch mit dem Wunsche verbunden, daß die Mittel zur Unterdrükung angewendet werden möchten, welche die Kantonalgesezgebung an die Hand gibt. Der Gebrauch von Stempeln und Siegeln mit dein Wappen der Eidgenossenschaft und mit quasi offiziellem Titel überschrieben, kann den Privaten ohne Zweifel nicht gestattet werden.

b. W e r b u n g .

14. Die im lezten Geschäftsberichte erwähnte, den Gerichten des Kantons Wallis überwiesene Untersuchung wegen Werbung

547

hat mit Urtheil des korrektionellen Gerichtes von Martigny dadurch ihre Erledigung gefunden, daß Theodore G a n i o z von Sitten der Werbung schuldig erklärt und zu l Monat Gefängniß, 20 Pranken Buße und zu l Jahr Einstellung in den bürgerlichen Rechten, sowie zu 2 Drittel Kosten verurtheilt wurde, während der Mitangeklagte, Louis Delez von Sitten, von Strafe freigesprochen, aber zur Bezahlung des andern Drittels der Kosten verurtheilt wurde.

Die Untersuchung stellte heraus, daß Ganioz als Agent des Major Steck handelte, welch' lezterer auch wegen Anwerbung von Deutschen für die holländisch-indische Armee in Darmstadt zu acht Monat Gefängniß verurtheilt worden ist.

15. Der Krieg von Holland gegen Atchin hatte überhaupt eine merkbare Vermehrung der Werbung in der Schweiz, Deutschland und Frankreich zur Folge. Das mörderische Klima dos Kriegsschauplazes schrekte die Holländer zurük, so daß die holländische Regierung im eigenen Lande die Verluste nicht ersezen konnte, sondern suchen mußte, in andern Staaten zu rekrutiren. Es wurde jedoch allseitig diesem Unfuge nach Kräften entgegengetreten. Der bekannte in der Schweiz schon wiederholt verurtheiltete Werber Ha uptmann H i t z von Seewis, welcher in neuerer Zeit m gleichem Zweke in Frankreich wirkte und einem Werbbüreau in Beifort vorstand, wohin die in der Schweiz und in Süddeutschland Angeworbenen zunächst gebracht wurden, isdeßwegenen auch dort gestraft und auf administrativem Wege aus Frankreich ausgewiesen worden.

c. L o 11 e r i e v e r b o t.

16. Es scheint, daß in neuerer Zeit in verschiedenen Kantonen der Vertrieb von Lotterieloosen sich stark vermehrt hat.

Ueber die Stellung der Bundesbehörden in der Ausübung der Polizei gegen dieses Unwesen bestehen jedoch zur Zeit noch keine bundesgesezlichen Vorschriften, zu welchen gemäß Art. 35 der Bundesverfassung der Bund ohne Zweifel kompetent wäre. Es muß daher den kantonalen Polizeibehörden das gerichtliche Einschreiten gegen jenes Unwesen überlassen werden, zumal die Strafjustiz Sache der Kantone ist. Es ist wohl nicht zu zweifeln, daß die Kantone hierin gegenseitig sich unterstüzen werden, da der Schaden, den die Lotterie verursacht, ein gemeinsamer ist.

d. L i q u i d a t i o n der Kosten.

17. Johann D o b e l i wurde im April 1875 von dem korrektionellen Gericht in Basel der Werbung schuldig erklärt, und

548 zu einer Gefängnißstrafe von l Monat, einer Geldbuße von Fr. 5 und zum Verlust des Aktivbürgerrechtes auf die Dauer von einem Monat, sowie zur Bezahlung der Prozeßkosten vcrurthcilt.

Die Regierung des Kantons Baselstadt reklainirte den Ersaz der Kosten für die Vollziehung der Gefängnißstrafe, weil sie nach der Gesezgebung dieses Kantons nicht zu den ,,Prozeßkosten11 gehören, und Döbeli nach der gleichen Gesezgebung auch nicht zur Bezahlung der Vollziehungskosten hätte verurtheilt werden können.

Wir sprachen uns bei diesem Anlaß dahin aus, daß in allen Fällen, in denen die S t r a f g e s e z g e b u n g des B u n d e s zur Anwendung komme, auch hinsichtlich d e r K o s t e n die Vorschriften der Bundesgesezgebung angewendet werden müssen, nicht jene der kantonalen Geseze. Nun müsse nach Art. 29 des Bundesgesezes betreffend das Verfahren bei Uebertretungen fiskalischer und polizeilicher Bundesgeseze vom 30. Juni 1849 (Off. Samml. I, 87") und nach Art. 15 des Bundesgesezes über die Kosten der Bundesrechtspflege vom 24. September 1856 (Off. Samml. V, 408) dem Verurtheilten die Bezahlung der Kosten auferlegt werden. Hiezu gehören auch die Kosten-für die Vollziehung der Gefängnißstrafe, da in den angeführten Gesezesvorschriften keine Ausnahme gemacht werde, wie es in Art. 188 des Bundesgesezes über die Bundesstrafrechtspflege vom 27. August 1851 (Off. Samml. II, 743) hinsichtlich von Urtheilen der eidgenössischen Asissen der Fall sei.

Die Darstellung im Geschäftsbericht pro 1866 (Bundcsblatt 1867 I, ·646 ff.) habe gerade den Zwek, zu zeigen, daß die Ungleicheit, welche aus kantonalen Gesezen entspringen könnte, unstatthaft sei.

Uebrigens werde bezüglich der Vollziehung des Bundesgesezes betreffend die Werbung und den Eintritt in fremden Kriegsdienst vom 30. Juli 1859 auf das Kreisschreiben vom 16. August 1859 (Bundesmatt 1861 II, 574) verwiesen.

18. Das Begehren des F i n a n z d é p a r t e m e n t s des K a n t o n s F r e i b u r g um Ersaz der Kosten, welche durch die polizeiliche Feststellung des Thatbestandes einiger Eisenbahnunfälle verursacht worden waren, wurde mit Bezug auf solche Fälle abgelehnt, in welchen bloß Zufall vorlag und darum die Feststellung des Gerichtsstandes gemäß Art. 74 des Bundesstrafrechtes nicht stattgefunden hatte, und zwar gestüzt auf den Gesichtspunkt, daß solche
Kosten, wie alle andern, die wegen eines ungiüklichen Zufalles entstehen , zunächst von den Kantonen zu tragen seien, indem gemäß Art. 15 des Bundesgesezes über die Kosten der Bundesrechtspflege unter den dort angegebenen Voraussezungen die Kosten nur in denjenigen Fällen vom Bunde zu tragen seien, in

549 welchen eine formliche Ueberweisung, beziehungsweise die Einleitung des Strafprozesses, stattgefunden habe. Mit Bezug auf die Frage dagegen, ob die Kantone nicht bei Jemand anders Ersaz suchen können, neigten wir uns zu der Ansicht, daß die Kantone sie von den Eisenbahnverwaltungen zurükfordern können. Allerdings bietet das Bundesgesez, betreffend die Haftpflicht der Eisenbahnen vom 1. Juli 1875, keinen Anhaltspunkt für diese Ansicht, da man es hier mit Untersuchungen zu thun hat, welche ergeben haben, daß die Art. 2 und 3 dieses Gesezes keine Anwendung finden, weil sonst die Einleitung eines Strafprozesses hätte stattfinden müssen. Dagegen sind die Eisenbahnen als vom Staate konzessionirte Unternehmungen wegen ihrer besondern hervorragenden Aufgaben nicht bloß zur eigenen Disziplinarpolizei verpflichtet, sondern es liegt ihnen auch ob, den Betrieb konzessionsmäßig und in einer Weise zu überwachen, daß das Puklikum keinen Gefahren oder Schädigungen ausgesezt ist. Die besonders bevorzugte Stellung der Eisenbahnen im Verkehrsleben und dem Staate gegenüber legfr ihnen auch größere Pflichten auf und berechtigt den Staat, sie auch in polizeilicher Beziehung anders zu behandeln, als es im gewöhnlichen bürgerlichen Leben der Fall ist.

III. Fremdenpolizei.

19. Behufs der Vollziehung von Art. 3 des Staatsvertrages zwischen der Schweiz und Italien betreffend die Verbindung der Gotthardbahn mit den italienischen Bahnen bei Chiasso und Pino vom 23. Dezember 1873 (Off. S. XI, 478) wurden im Jahre 1874 diejenigen Räumlichkeiten festgesezt, welche auf der in t o r n a t i o n a l e n S t a t i o n zu C h i a s s o für die Besorgung des Polizeidieustes der beiden Staaten nöthig schienen. In neuerer Zeit machte das italienische Ministerium des Innern die Anregung zum Abschlüsse eines Modus vivendi über die Beziehungen der beidseitig seit Eröffnung der Eisenbahnlinie Lugano-Chiasso auf der leztern Station placirten Polizeiposten. Da die gewöhnliche Fremdenpolizei in erster Linie Sache der Kantone ist, so veranlaßten wir die Regierung des Kantons Tessin zur Bezeichnung eines Delegirten. Die beidseitigen Delegirten werden zusammentreten, die zu normirenden Punkte besprechen und einen Modus vivendi vereinbaren, immerhin unter Vorbehalt unserer Ratifikation, da unter Umständen politische Verhältnisse oder Vorgänge internationaler Natur auch die Intervention der Bundespolizei nöthig machen können und für solche Fälle die Kompetenzen des Bundes gewahrt bleiben müssen.

Bundesblatt. 29. Jahrg. Bd. II.

37

550

20. Die V e r b e s s e r u n g der G e s u n d h e i t s - und Wohnungsverhältnisse der Arbeiter am G o t t h a r d t u n n e l , sowie die Organisation der Polizei und einer dauernden Kontrole, haben uns vielfach beschäftigt. In Airolo war von Anfang an in annehmbarer Weise vorgesorgt; Die mangelhafte Ausbildung der Gesezgebung des Kantons Uri machte dagegen für Göschenen eine besondere Polizeiverordnung nothwendig. Sie umfaßt die Frerndenpolizei, die Polizei zum Schuze von Personen und Eigenthum , die Gesundheits-, Wirthschafts- und Straßenpolizei, mit angemessenen Strafbestimmungen. Eine feste Vollziehung ist nicht bloß nothwendig im Interesse des. W o h l b e f i n d e n s der A r b e i t e r , sondern eben so sehr im, Interesse der p e r s ö n l i c h e n S i c h e r h e i t und des F r i e d e n s u n t e r den A r b e i t e r n s e l b s t , da Excesse verschiedener Art, körperliche Mißhandlungen und sogar zwei Morde, welche im Laufe des Jahres unter den Arbeitern vorgekommen sind, beweisen, daß nicht bloß soziale, sondern auch sittliche Uebelstände zu bessern oder doch nach Möglichkeit einzuschränken sind.

Die Regierung des Kantons Uri wurde wiederholt gemahnt, die Polizei nach beiden Richtungen stets im Auge zu behalten, das Personal zu vermehren und "' einer strengen und kundigen Leitung zu unterstellen.

1

Herr Oberst Hold hatte in seinem Berichte vom 16. Oktober 1875 (B.-B1. 1875, Bd. IV, S: 630) auf die dringende Notwendigkeit hingewiesen, für die Arbeiter in Göschenen bessere Wohnund Schlafstätten zu beschaffen. Die Einladung an die Regierung des Kantons Uri, dießfalls in, Bälde, geeignete Fürsorge zu treffen, hatte nicht den gewünschten Erfolg. Wir sahen uns daher veranlaßt, im Anfang des Monates März eine besondere Expertise durch zwei Fachmänner, einen Arzt und einen Architekten, behufs Untersuchung der Wohnungsverhältnisse in Göschenen und Bezeichnung der zur Beseitigung der bestehenden Uebelstände geeigneten Mittel anzuordnen. Als Experten wurden Hr. Sanitätsrath Dr. Sonderegger, Direktor des Kantonsspitals in St. Gallen, und Herr Großrath Hektor Egger, Baumeister in Langenthal, bezeichnet. Nach genauer Untersuchung aller Verhältnisse an Ort und Stelle erstatteten sie am 18. März einen Bericht über die Resultate und verbanden damit verschiedene Vorschläge, welche auf die Erstellung von wenigstens drei Arbeiterhäusern in Größe und Styl der bestehenden Favre'schen Arbeiterkasernen, auf reichlichere Wasserversorgung der Ortschaft und der Arbeiterwohnungen, auf planmäßige Beaufsichtigung der leztern hinsichtlich der Reinlichkeit, Ventilation der Wohnungen, der Krankenpflege und Nahrungsmittel etc. abzielten. In Würdigung der zur Begründung dieser Anträge von den HH. Experten geltend

551 gemachten Momente luden wir die Regierung des Kantons Uri ein, durch regelmäßige polizeiliche Inspektionen darüber zu wachen, daß in den Wohnungen zu Göschenen nient eine au große Zahl von Personen untergebracht (als Norm habe das Verhältriiß von 4 Quadratmeter Grundfläche per Kopf als Minimum zu dienen) und daß für gehörige Reinlichkeit derselben gesorgt werde. Behufs der Vollziehung dieser Vorschrift wurde ferner beschlossen, den Eigenthümern von Gebäulichkeiten in Gröschenen, in denen Arbeiter wohnen, durch die Regierung des Kantons Uri zu eröffnen, es werde der Bundesrath alle Wohnungen schließen lassen, in denen bei einer vorzunehmenden Inspektion die in dem Expertenberichte gerügten Uebelstände noch fortdauernd gefunden würden.

An die Gotthardbahndirektion wurde die Einladung gerichtet, in Göscheueu auf den nächsten Winter eine Arbeiterkaserne, in Größe und Styl ähnlich derjenigen des Herrn Favre, zur Unterbringung von 3--400 Arbeitern zu erstellen. Im Uebrigen richteten wir an die Kommission, welche behufs der Rekonstruktion des Gotthardunteinehmens niedergesezt worden, die Einladung, bei ihren Konferenzverhandlungen auch diese Frage zum Gegenstände ihrer Erörterungen zu machen. Wir hielten indeß nicht für angemessen, schon gegenwärtig bei der unsichern Situation des GotthardUnternehmens die Direktion zur Erweiterung der Arbeiterwohnungen zu verhalten. Diese Maßregel soll jedoch unbedingt, soweit erforderlich, in's Leben treten, sobald sich die Verhältnisse am Gotthard wieder consolidili haben.

Hinsichtlich der Wasserversorgung wurde keine besondere Verfügung nöthig, indem diese vorher zur Ausführung kam und schon Mitte Juli in Thätigkeit gesezt werden konnte.

IV. Politische Polizei. -- Flüchtlinge.

21. Der mit Beschluß vom 11. Juli 1870 (B.-B1. 1870, II, 1039) wegen des im Juni gleichen Jahres von Lugano aus über den S. Luciopaß versuchten bewaffneten Einfalles in Italien gestüzt auf Art. 57 der Bundesverfassung aus der Schweiz ausgewiesene Joseph N a t h a n stellte das Gesuch um Bewilligung zur Rükkehr auf seine Bcsizung in Lugano. Wir bewilligten dieses Gesuch, sprachen jedoch die Erwartung aus, daß Nathan seineu Aufenthalt in der Schweiz nicht wieder zu Handlungen mißbrauchen werde, welche geeignet wären, die freundschaftlichen Beziehungen der Schweiz zu Nachbarstaaten zu stören oder zu Uebelständen im Innern zu führen.

552

22. Im Laufe des Jahres 1876 sind vier Pässe an p o l i t i s c h e F l ü c h t l i n g e zur Abreise aus der Schweiz und behufs ihrer ersten Ansiedelung im Auslande bewilligt worden. An üblichen Unterstüzungen für einige kranke und alterschwache Polen wurden Fr. 805. 20 ausgelegt.

V. Heimatlosenwesen.

23. Im Kanton T e s s i n sind durch den Staatsrath 47 einzelne Fälle erledigt und damit die bürgerliche und politische Stellung von 62 Personen geregelt worden. Dagegen hat der Große Rath von den bei ihm, als Rekursinstanz, pendenten 16 Fällen nur einen erledigt, ungeachtet unserer wiederholten Mahnung um Beförderung.

Es scheinen die politischen Vorgänge hierin zögernd gewirkt zu haben. 24 andere Fälle sind noch in Behandlung mit italienischen Behörden zum Zweke der Anerkennung der betreffenden Personen als Italiener^ Der Staatsrath berichtete, daß er stets sich angelegen sein lasse, auf beförderliche Antworten zu dringen, allein erst nach schleppenden Verhandlungen die eine oder andere Erledigung erwirken könne. Dio im lezten Geschäftsberichte ausgesprochene Besorgniß, daß das neue Bundesgosez über Civilstand und Ehe mancherlei Unregelmäßigkeiten aufdeken werde, hat sich nach dem neuesten Berichte wirklich bestätigt. Indeß scheint uns, daß es sich hier weniger um wirkliche Heimatlosenfälle handeln werde, als vielmehr um Personen, deren Eintragung in den Kontrolen der Heimatgemeinde der Eltern unterlassen worden ist. Dennoch scheint die Sache von einiger Bedeutung zu sein, indem der Staatsrath die Absicht hat, dem Großen Rathe einen besondern Gesezesentwurf vorzulegen zum Zweke der Regulirung dieser Angelegenheit. "Wir werden diesen Gegenstand nicht aus dem Auge verlieren, zumal wir überhaupt genöthigt sind, auf die Vollziehung der Einbürgerung im Kanton Tessin angesichts der ganz besondern und verwikelten Verhältnisse, wie sie in keinem andern Kantone in gleichem Umfange vorkommen, unsere vermehrte Aufmerksamkeit hinzulenken Wenn auch die sofortige Erledigung einzelner Fälle unmöglich ist, weil sie von der Mitwirkung auswärtiger Behörden abhängt, auf welche man keinen Einfluß hat, so ist denn doch zu erwarten, daß endlich der Große Rath selbst die bei ihm liegenden Fälle beförderlich zum Austrag bringen werde.

24. Im Kanton W a l l i s sind nur noch etwa 120 Personen einzubürgern, welche aus verschiedenen Gründen dem ganzen Kanton angehören. Die Vollziehung dieser Einbürgerung wurde darum

553 verzögert, weil noch sieben andere mit deutschen Kantonen streitige Fälle bei dem eidg. Untersuchnngsbeamten in Heimatlosensachen pendent waren und der definitive Ausgang dieser Prozesse abgewartet werden wollte, um allfällig dem Kanton Wallis zufallende Personen gleichzeitig mit den oben Genannten einbürgern zu können.

Gegenwärtig .sind die zulezt genannten 7 Fälle erledigt in der Weise, daß unsere Beschlüsse in 6 Fällen von den belasteten Kantonen anerkannt worden sind und daß nur ein einziger Beschluß an das Bundesgcricht gezogen wurde, welches auch diesen Fall nächstens definitiv beurtheilen wird. Es sind also jezt die Verhältnisse im Kanton Wallis vollständig abgeklärt und es kann nun auch die Einbürgerung des lezten Restes heimatloser Personen hier vollzogen werden. So viel wir wissen, soll dieses in nächster Zeit wirklich geschehen.

25. Was die noch pendenten Untersuchungen über heimatlose Personen, die zwischen verschiedenen Kantonen streitig sind, betrifft, so ist im Laufe des Jahres eine größere Zahl von Untersuchungen wesentlich gefördert und dem Abschlüsse nahe gebracht worden. Außer den oben erwähnten 7 Walhser Untersuchungen wurden noch zwei andere erledigt, so daß in 9 Fällen 41 Personen eingebürgert wurden. 7 Entscheide betreffend 31 Personen wurden von den betheiligten Kantonen anerkannt und definitiv vollzogen, während in 2 Fällen die belasteten Kantone gegen unsere Entscheide protestirten, um das Urtheil des Bundesgerichtes anzurufen.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung über seine Geschäftsführung im Jahre 1876.

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1877

Année Anno Band

2

Volume Volume Heft

19

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

28.04.1877

Date Data Seite

501-553

Page Pagina Ref. No

10 009 537

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.