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Schweizerisches Bundesblatt.

29. Jahrgang. IV.

Nr. 52.

24. November 1'877.

J a h r e s a b o n n e m e n t (portofrei in der ganzen Schweiz): 4 Franken.

E i n r ü k u n g s g e b ü h r per Zeile 15 Rp. -- Inserate sind franko an die Expedition einzusenden.

Druk und Expedition der Stämpflischen Buchdrukerei in Bern.

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Bundesrathsbeschluss in

Sachen des Alessandro Riboni von Civita-Vecchia, Aufenthalter in Castagnola, und der Marta Rezzonico von und in Castagnola, betreffend Verweigerung der Ermächtigung zur Trauung.

(Vom 27. Juli 1877.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r a t h hat in .Sachen des Alessandro Riboni von Civita-Vecchia (Italien), Aufenthalter in Castagnola (Tessin), und der Marta Rezzonico von und in Castagnola, betreffend Verweigerung der Ermächtigung zur Trauung ; nach Einsicht der Akten, woraus sich ergibt : I. Das Eheversprechen wurde in Civita-Vecchia verkündet und hierüber am 1. April vom dortigen Standesbeamten ein von der Gerichtsbehörde beglaubigter Schein ausgestellt.

Das Bürgermeisteramt von Civita-Vecchia erklärte unter dem 1"5. Februar, daß Riboni das italienische Bürgerrecht besize und in Civita-Vecchia geboren sei, und welches die auf den Eheabschluß von Italienern im Ausland bezüglichen Bestimmungen des italienischen Gesezes seien. Diese Erklärung wurde von dem Präfekten in Rom und dem Ministerium des Auswärtigen beglaubigt.

II. Auf Grund dieser Ausweise gestattete der Regierungsrath des Kantons Tessin mit Beschluß vom 18./20. April die Verkündung in Castagnola mit dem Bemerken, daß die Ermächtigung zur Bundesblatt. 29. Jahrg. Bd. IV.

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Trauung besonders eingeholt und dann diesen Ausweisen der für das Ausland ausgestellte Paß des Verlobten beigefügt werden müsse.

·Gegen das Verlangen eines Passes kam Riboni beim gedachten Regierungsrath nochmals ein. Dieser beharrte jedoch mit Beschluß vom 15./19. Mai auf seinem Ausspruche, indem er geltend machte, daß, wenn auch den Anforderungen der Artikel 31 und 37 des 'Bundesgesezes über Civilstand und Ehe im vorliegenden Falle durch die Beibringung des Verkündscheines von Civita-Vecchia Genüge geleistet sei, die Ermächtigung zur Trauung noch von dem tessinischen Gesez vom 9. Juni 1853 über die Fremden abhänge, welches Gesez im Artikel 50 der Verordnung vom 13. Dezember 1875 über die Beurkundung des Civilstandes in Erinnerung gebracht werde.

Der Artikel 38 dieses Gesezes verpflichte die fremden Ehewerber zur Vorweisung eines Passes. Derselbe werde als ein Ausweispapier angesehen, das dem Inhaber freie Rükkehr in's Heimatland zusichere, welche ihm ohne dasselbe möglicherweise verweigert werden könne.

Deßhalb habe die Regierung auf das Kreisschreiben des Bundesrathes vom 2. August 1869 hin (Bundesblatt 1869, II, Seite 727 ; Tessiner Amtsblatt 1869, Seite 782) wohl den im erwähnten Artikel 31 des Gesezes vom 9. Juni 1853 verlangten Heimatschein, nicht aber den ebenda geforderten Paß fallen lassen.

III. Gegen diesen Beschluß rekurriren die Brautleute an den Bundesrath und verlangen Aufhebung desselben 1) wegen irrthünflicher und entstellender Interpretation des Bundesgesezes über Civilstand und Ehe, 2) wegen Verlezung der Gegenseitigkeitsrechte und internationalen Verträge mit Italien. Sie stüzen sich auf Folgendes : Zwek des Bundesgesezes sei unter Anderm gewesen, Einheit im Civilstandswesen herzustellen, damit zum Beispiel in einem Kantone nicht erlaubt werde, was in einem andern verboten sei, und umgekehrt ; überdies sei das Recht zur Ehe daselbst unter den Schuz des Bundes gestellt, es dürfe demselben kein Hinderniß in den Weg gelegt werden u. s. w. Unter den Pflichten, die das Bundesgesez dem fremden Ehewerber, welcher eine Schweizerin heiraihen wolle, auferlege, sei nicht die Beibringung eines Passes, sondern nur eines Ausweises über ihre Heimat, beziehungsweise einer Erklärung, wie sie der Rekurrent besize, vorgesehen.

Der Regierung von Tessin stehe es nicht zu, mehr zu verlangen,
indem der Bundesrath in jenem Artikel 50 des Reglements vom 13. Dezember 1875, wo das Gesez vom 9. Juni 1853 angezogen werde, den Zusaz habe machen lassen : ,,soweit es nicht im Widerspruch mit dem Bundesgesez vom 24. Dezember steht."-

375 Dies sei aber hier der Fall, da es einem Italiener eine Verpflichtung auferlege und eine Schweizerin hindere, zum Eheschluß zu gelangen.

In Italien verlange man vom schweizerischen Ehewerber keinen Paß, und es solle dies nach dem Rechte der Gegenseitigkeit und den Verträgen mit Italien also auch nicht in der Schweiz geschehen.

IV. Der Regierungsrath von Tessin verweist in seiner Vernehmlassung auf die in seinem Beschlüsse vom 15./19. Mai enthaltenen Gründe und fügt hinzu, die Verlangung des Passes sei eine Vorsichtsmaßregel gegen solche, welche aus Menschlichkeitsrüksichten, z. B. weil sie in einen politischen Prozeß verwikelt oder von einem politischen Strafurtheil betroffen sind, nicht in die Heimat geschikt werden können.

Der Verkündschein von Civita-Vecchia könne den Paß, welcher einen Ausweis für die freie Rükkehr des Verlobten bilde, nicht ersezen. Diese Bestimmung des Gesezes vom 9. Juni 1853 widerspreche dem Bundesgeseze nicht. Lezteres verordne in Artikel 31 und 37, daß ein Ausweis über die Anerkennung der Ehe mit allen ihren Folgen geleistet werden solle ; hiedurch werden die Anforderungen der Kantone, betreffend Maßregeln zur Sicherung der praktischen Gestaltung eben dieser Folgen, nicht beschränkt. Der Bundesrath habe den Vorbehalt bezüglich des Gesezes vom 9. Juni 1853 auf den Artikel 40 desselben gestüzt, welcher von Nichtigkeitsgründen handle, wodurch das Recht der Regierung, die Ermächtigung zur Trauung von Fremden den in demselben Geseze vorgeschriebenen polizeilichen Maßregeln äußerlicher Art unterzuordnen, nicht berührt werde.

Der Artikel 2 des schweizerisch-italienischen Niederlassungsvertrages vom 22. Juli 1868 verpflichte allerdings Italien, seine Bürger unter allen Umständen wieder zurükzunehmen, allein man solle sich der Exilirten erinnern.

In diesem Falle befinde sich Riboni, der in einen Prozeß wegen Militäraufstandes verwikelt gewesen, in welchem ein Anderer zum Tode vorurtheilt worden sei, und deßhalb bleibe ihm die Rükkehr nach Italien untersagt und könne er keinen Paß erhalten.

V. Riboni ist im Besiz einer regierungsräthlich Aufenthaltsbewilligung für Castagnola.

In E r w ä g u n g : 1) Die Regierung des Kantons Tessin stüzt sich auf eine Bestimmung des Gesezes vom 9. Juni 1853, welche sie von dem Vorbehalt, durch welchen der Bundesrath dessen Anwendbarkeit beschränkt hat, nicht betroffen behauptet. -- Die Kompetenz des

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Bundesrathe steht demnach mit Rüksicht auf Artikel 59, Ziffer 7 des Bundesgesezes über die Organisation der Bundesrechtspflege und Artikel 60 des Bundesgesezes über Civilstand und Ehe außer Zweifel.

2) Der erwähnte Vorbehalt ist ganz allgemeiner Natur und wird durch die spezielle Begründung, womit der Bundesrath die Veranlaßung, warum er denselben mache, erklärte, nicht beschränkt.

Die Genehmigung des Bundesrathe hat überhaupt nur den Sinn, Widersprüche zwischen der kantonalen und eidgenössischen Gesezgebung möglichst im voraas zu beseitigen ; es kann daraus aber für Widersprüche, die sich erst in der Praxis ergeben, keine Sanktionirung abgeleitet werden.

3) Es ist ein allgemein anerkannter Grundsaz des internationalen Rechts, daß der im Lande wohnende Fremde im Privatrecht gegen die Einheimischen nicht zurükgesezt werden darf, sofern nicht in den Gesezen selbst Ausnahmen bestimmt statuirt sind.

Es kann also in Fällen, wie der vorliegende, der Ausländer sich ohne Zweifel auf den Schuz des Eherechtes durch die Bundesgesezgebung berufen. Diese normirt die Beschränkungen, welchen das Recht zur Ehe unterliegt, und die auf dieselbe Bezug habenden Förmlichkeiten, und es steht den Kantonen nicht zu, weitere Schwierigkeiten in den Weg zu legen.

4) Solche für die Trauung von Fremden festgesezte Ausnahrnsbestimmtingen sind nur in den Artikeln 31 und 37 des Bundcsgesezes über Civilstand und Ehe enthalten, und es kann aus dem Wortlaut und Zwek dieser Artikel nicht geschlossen werden, daß der Nachweis der Nationalität nicht durch jede hiezu passende Urkunde, z. B. einen Heimathschein, geleistet werden könne. Die Regierung von Tessin anerkennt diese Auslegung, indem sie im vorliegenden Falle einmal ausdrüklich zugibt, daß dem Bundesgeseze durch die Beibringung des Verkündscheines von Civita-Vecchia Genüge geleistet sei und dann ihr Begehren auf Gründe stüzt, die nicht dem Bundesgesez entnommen sind.

5) Ein Paß ist auch gar nicht im Stande, diejenigen guten Folgen hervorzubringen, welche die Regierung von Tessin vorauszusezen scheint ; denn einmal können seit der Ausstellung des Passes Ereignisse eintreten, die der heimathlichen Regierung eine Rükweisung des Inhabers zu rechtfertigen scheinen, und dann würde dieser Paß, weil vor der Ehe ausgestellt, nicht für die später erworbene Familie gelten. Gegenüber von Italienern aber kann derselbe mit Rüksicht auf Artikel 2 des erwähnten Niederlassungsvertrags sogar als werthlos bezeichnet werden.

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6) In Fällen, wie der vorliegende, wo die Regierung von Tessin zugibt, daß aus politischen Gründen ein Paß gar nicht erhältlich wäre, kommt das Verlangen desselben einer Eheverweigerung faktisch gleich, und es ist mindestens fraglich, ob eine solche Maßregel gegen Individuen, welche man aus Menschlichkeitsrüksichten im Falle der Verarmung nicht in die Heimath zu spedircn sich vornimmt, ohne Verlezung eben derselben Menschlichkoitsrüksichten möglich sei, zumal wenn dadurch eine Schweizerin mitbetroffen wird.

7) Die durch eine nicht näher begründete Behauptung der Rekurrenten angeregte Frage, ob das Verlangen eines Passes gegenüber von Italienern den Staatsverträgen widerspreche, ist nach obigen Ausführungen interesselos geworden ; beschlossen: Ì. Der Rekurs ist im Sinne obiger Erwägungen begründet.

B e r n , den 27. Juli 1877.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Dr. J. Heer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Schiess.

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Bericht des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend Gewährleistung der Verfassung des Kantons Unterwaiden nid dem Wald von 1877.

(Vom 6. November 1877.)

Tit.!

Mit Schreibon vom 4. Juni 1877 übermachten uns Landammann und Rath des Kantons Unterwalden nid dem Wald die neue Verfassung dieses Kantons, mit dem Ersuchen, für dieselbe gemäß Artikel 6 der Bundesverfassung die Gewährleistung der Bundesversammlung veranlaßen zu wollen.

Diese Verfassung ist am 2. April 1877 in außerordentlicher Landsgemeinde angenommen und als Grundgesez für den Kanton Unterwaiden nid dem Wald erklärt worden.

^ Indem wir hiemit dem Wunsche der Regierung von Nidwalden entsprechen, haben wir nur wenige Bemerkungen zu machen.

Der Artikel 3 dieser Verfassung lautet: ,,Der Staat gewährt der römisch-katholischen Kirche, zu welcher sich das Nidwaldner Volk in seiner großen Mehrheit bekennt, seinen v o l l e n Schuz, s o w i e er überhaupt die Glaubens- und Gewissensfreiheit und die Ausübung gottesdienstlicher Handlungen nach Maßgabe der Artikel 49 und 50 der Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 gewährleistet."

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Bundesrathsbeschluss in Sachen des Alessandro Riboni von Civita-Vecchia, Aufenthalter in Castagnola, und der Marta Rezzonico von und in Castagnola, betreffend Verweigerung der Ermächtigung zur Trauung. (Vom 27. Juli 1877.)

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Jahr

1877

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4

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52

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

24.11.1877

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373-378

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