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Schweizerisches Bundesblatt.

X. Jahrgang. II.

Nr. 35.

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31. Juli 1858.

Bericht

des .Bundesrathes an den h. schweiz. Ständerath über die vom h. Stande Genf erhobene Beschwerde wegen Anwendung des Art. 57 der Bundesverfassung.

(Vom 17. Juli 1858.)

T i t. !

.

Durch Beschluß vom 13. dieß haben Sie uns eingeladen, Jhneu unsere Ansichten über die Schlußfolgerungen mittheilen , welche in dem vom Kanton Gens bei der h. Bundesversammlung eingereichten Rekurse gegen unsere Schlußnahmen vom 24. April und 24. Mai 1858, betreffend die Jnternirung einiger Jtaliener, die der italienischen Gesellschaft zu gegenseitiger Unterstüzung angehört haben, enthalten find.

Wie man sieht, beschlägt die Frage, die zu dem Rekurse Veranlassung gegeben, die politische Emigration im Kanton Gens und die Maßregeln, welche wir seit dem Monat Januar. lausenden Jahres gegen dieselbe anzu- .

ordnen im Falle gewesen sind. Wir waren weit entfernt zu glauben, daß sie eine Berufung an die eidg. Räthe begründen könnte und man uns aus Anlaß derselben der Verlezung der Bundesverfassung beschuldigen würde, während alle unsere Bestrebungen dahin giengen, inner der versassungsmäßigen Schranken uns zu halten und wir die Ueberzeugung hatten , bei dieser Angelegenheit nur im allgemeinen Jnteresse der Eidgenossenschaft zu handeln, indem wir einem Konflikt zwischen ihr und dem Auslande vor-.

beugten.

.

^ Wenn auch der Jhnen gegenwärtig vorliegende Konflikt nicht vermieden werden konnte. so werden, wir zweifeln durchaus nicht daran, die Akten Jhnen aufs klarste beweisen , . daß es nicht in unserer Macht lag, ..inen solchen Ausgang zu verhindern; und wenn die Thatsachen, welche den h. Stand Genf zu diesem Schritte bewogen haben, auch nicht von so hoher

..'...undesblatt. Jahrg. X. Bd. II.

...5

242 Bedeutung find, um an und für fich eine Berufung an die eidgenössische....

Räthe uothwendig machen, so kann der Bundesrath seinerseits mit Be.^ friedigung die Gelegenheit benuzen, die ihm dadurch geboten wird, . di^ oberste Behörde der Eidgenossenschaft über den wahren Stand der Dinge hinsichtlich der Beziehungen zwischen Genf und der Bundesbehörde in Betxess der Flüchtlingsangelegenheit aufzuklären.

Nach einer ersten Prüfung der Jhnen vom Genferifchen Staatsrathe unterbreiteten Denkschrift hatten wir geglaubt, von einem Eintreten auf die Argumentation, welche derselben zu Grunde liegt, Umgang nehmen zu.

können. Da unsere Handlungen es sind, die man angreift, so konnten.

wir nichts besseres thun, als sämmtliche, unsere Handlungs- und Anschauungsweise in dieser Sache amtlich darstellenden Akten Jhnen vorzulegen, indem diese umfassende Korrespondenz besser als alles Andere ge^ eignet ist, Jhr Urtheil über unser Vorgehen und dasjenige des eidg. Kommissariats in der vorliegenden Angelegenheit zn erleuchten und zu leiten.

Da wir offen in dieser Weise handeln, so hoffen wir, wenigstens den.

Beweis zu leisten, daß wir auch das Auge des streugsten Richters.

nicht fürchten, so wie gleichzeitig den h. Stand Gens zu überzeugen, daß wir mit ihm wünschen, die oberste Behörde der Eidgenossenschaft entscheide in lezter Jnstanz und mit aller ihr eigenen Unparteilichkeit über das wohl oder übel Begründete der bei ihr angehobenen Beschwerde. -- Diese Beschwerde aber befremdet uns, wie wir schon oben gesagt haben, um so mehr, als noch selbst vor Abordnung der Kommissarien der Staatsratl^ von Genf mit unserer Anschauungsweife über diese Frage einig zu sein und keine Zweifel über unsere Befuguiß zu hegen fchien ; denn er äußerte sich in feinem Schreiben vom ^3. Januar 1858 unter Anderm wie folgt: ,,Um J h n e n übrigens, getreue, liebe Eidgenossen! zu b e w e i s e n , .

,,daß w i r b e r e i t sind, so v i e l an uns l i e g t , alles Mögliche zu ^thun, um der Schweiz jede Verwikiung mit Frankreich wegen der poli,,tischen Flüchtlinge ans Jtalien zu ersparen, erklären wir Jhnen unsere ,,Bereitwilligkeit, die italienischen Flüchtlinge, deren Ausweisung oder Jn..

^ternirung Sie von uns verlangen werden, aus unferm Kanton fortzu^ ,,weisen, oder Jhnen nach Bern zuzusenden...

Diese sehr bestimmte Erklärung
wurde seither durch die Genferbehörden, die .sie felbst auf andere Ausländer, obgleich diese in ihren Augen keine Flüchtlinge waren, ausgedehnt hal.en, zu wiederholten.. Malen bestätigt.

Um sich hievon zu überzeugen, genügt eine Einsichtnahme des Schlusses i^ dem bei den Akten liegenden Berichte unsers Justiz^ und Polizeideparte-

ments vom 19. April 18.^8.

Die Zeit erlaubt. uns nicht, eine vollständige Rülschau aus d^e ver^ fchiedenen Phasen zu richten, welche der Konflikt ^ durchlaufen hat, der seit mehreren Jahren in größerer oder geringerer Stärke zwifcheu Genf und der Bunde^sbehörde in Bezug auf die politifche Emigration zu Tage. getreten.

ift. Die Jhnen gegenwärtig vorliegenden Akten enthalten übrigens in dieser

Hinsicht Aufschlüsselte wenigstens dessen Bedeutung im Allgemeinen klar

243 inachen. Da indessen, um über die Stellung, die man in Genf gegenüber den Bundesbehörden stets eingenommen hat, bessere Einsicht zu verschaffen, einige Details^ hier am Plaze sein dürften, so beginnen wir damit, Jhnen nachstehend einige Abschnitte aus der in den lezten Jahren zwischen Genf und Bern über diesen Gegenstand gewechselten Korrespondenz mittheilen.

Am 14. Mai l850 meldete die Zentralpolizeidirektion d..s Kantons Genf unserm Justiz- und Polizeidepartement, daß sie, in der Absicht, eine zu große Anhäufung von französischen D e s e r t e u r s oder Flüchtlingen.

a u f Genfergebiet, ,, w a s (sagte die Direktion) b e i d e n g e g e n w ä x t i g e n V e r h ä l t n i s s e n g e f ä h r l i c h sein k o n n t e t zu vermeiden, vier Jndividnen nach Lausanne inftradirt habe., um da internirt zu werden, und daß denselben wahrscheinlich noch drei bis vier andere folgen würden. Damals hatten wir den Jnternirungsra.^on noch nicht so weit ausgedehnt, wie.dieß durch unfern fpäteru Beschluß vom 15. Februar 1851 geschehen ist; und doch anerkannte, wie man sieht, die Genserpolizei zu jener Zeit, daß es gefährlich sei, die Anhäufung. von franzöfifchen Des e r t e u r s oder Flüchtlingen auf ihrem Gebiete zu gestatten; demgemäß schritt sie selbst zur Jnternirung, wobei fie sowol den in Kraft bestehenden eidg. Verordnungen als den Vorschriften des Bundesrathes nachlebte.

Mit Schreiben vom 15. Juni gleichen Jahres Antwortete die nämliche Direktion unserm Justiz^ ^nd Poii^eidepartemente, es sei ihr nicht

möglich , die Zahl der im Kanton Gens sich aufhaltenden Flüchtlinge anzugeben,

da d^efe Leute im Allgemeinen eine sehr

flottante

Bevölkerung

bilden. Sie schlug die Zahl der damals G e n f zur L a s t f a l l e n d e n Flüchtlinge kaum an^ 15 an. Und unterm 1. des nächstfolgenden Juli bestätigte sie diese Thatfache mit den Worten: ^.Sie werden leicht begreisen , daß bei der Ankunft sowol der italienischen als der deutschen Flüchtlinge i n d e r Schweiz w i r n u r d i e j e n i g e n i n u n s e r e L i st en e i n t r a g e n k o n n t e n , w e l c h e o h n e E x i s t e n z m i t t e t w a r e n und die U n t e r s t ü z u n g dex E i d g e n o s s e n s c h a f t n a c h s u c h e n m u ß t e n . ^ Diese Stelle allein genügt zur Erklärung des Umftandes, daß man in Genf nie dazu hat gelangen können, uns ein geuaues Namensverzeichniß ^der daselbst geduldeten Flüchtlinge einzusenden, da man von ihrer Anwesenheit gewöhnlich nur dann Notiz nahm, wenn sie um Unterstüzung nachsuchten, oder von der Polizei Schristen verlangten.

Man erinnert sieh noch, daß der Bundesrath durch Beschluß vom .^9. März 1852 die Ausweisung von zehn in Gens geduldeten deutschen Flüchtlingen an^ der Schweiz verfügte und dabei auf die Gefahr sich gründete, welche die damalige Ansammlung von meistenteils in ihrer Heimath bedeutend kompromittirten Flüchtlingen für die Schweiz darbot. Bei diesem Anlaß schrieb die zur Zeit mit dem Flüchtlingswesen beauftragte Genferbehörde nnterm 6. April gleichen Jahres : ,,Der Bundesrath ist der An-

,,ficht, diese Flüchtlinge kon.promitttiren die Schweiz, und entzieht ihnen ,,das Asr^lrecht ; w i r w e r d e n d a r a u f h a l t e n , d a ß s i e o h n e . . S ä u m n i ß d a s h e l v e t i s c h e G e b i e t v e r l a s s e n u . s . w.^

244 Weiterhin fügt fie bei. ,,Belieben Sie, Herr Bundesrath, mit uns direkte ..zu verhandeln (die Herren Kommissäre K e r n und T r o g befanden sich ..damals in Genf. und uns in der Wahl der Mittel zur Entdekung der ,,Wahrheit freie Hand zu lassen! Wir und auch Sie werden Alles erfahren.

,,Wollen Sie aber zwischen uns einen Dritten stellen, so werden alle Be,,theiligteu sich verbergen; wir werden nichts mehr inne werden, und Sie noch ,,weniger. Wollen Sie nur einen Vorwand suchen, um Genf zu besezen, ,,so schreiten Sie unmittelbar zur Besezung, ohne uns länger im Zweifel ,,zu lassen. -- Wenn wir der Sündenbok sein sollen, der^.des Schweizer,,volkes Sünden trägt, so opfern Sie uns, aber erniedrigen Sie uns ,,nur nicht. ^ Als die Bundesbehörde, einzig um in zuverlässiger Weise

über die wirkliche Vollziehung der gegen einen Ausländer verfügten Ausweisung sich Gewißheit

zu verschaffen,

die ^Genferbehörde einlud,

dieser

zu geben, und antwortete unter

ihn

bis zur Gränze begleiten zu lassen, so hi.^t die leztere es nicht für nöthig, Einladung Folge

^. April I852:

Anderm am

,,Um uns zu dieser Verschärfung der Maßregel zu vermögen, hätten ,,Sie uns, Herr Bundesrath, Gründe angeben und sich nicht damit be,,gnügen sollen, uns bloß Befehle zu ertheilen. Jch glaube, daß die Herren ,,Kommissäre durch Beobachtung dieses Vorgehens ihrer Würde nichts ,,vergeben hätten ; denn die Kantone sind nicht Soldaten, die Kommissaren ,,nicht Korparale und der Bundesrath kein Hauptmann.

Wir leben gott,,lob unt..r dem 46. Breite- und dem 4. Längegrad, in einem Lande, ,,wo vollständige Oeffentlichkeit herrscht, in einem Lande, wo das er^e ,,Recht auch des geringsten Bürgers darin besteht, sich zu weigern , jedem ,,nicht b e g r ü n d e t e n Befehle zu gehorchen... Vorstehendes beweist wenigstens soviel. daß 1852 man dem .Bundesrathe das Recht zuerkannt hat, die Verweisung gewisser d e u t f ch e r, in Genf niedergelassener Flüchtlinge aus der Schweiz zu verfügen, daß der Regierung von Genf nicht in den Sinn kam, gegen diese Maßregel, als fie auf Deutsche angewendet wurde, Einsprache zu erheben, daß^ man sie aber heute nicht mehr als rechtsgültig anerkennt gegenüber einer gewissen Kategorie von J t a l i e n e r n. Es ergibt fich ferner hieraus, daß die geringsten Begehren der Bundesbehörde, wie z. B.

die Maßnahmen zur Konftatirung des Austritts von Jndividuen , die aus der Schweiz verwiesen oder auch internirt werden sollten, in Genf auf Bedenklichkeiten stoßen, an welche man in keinem and.^n Kanton nur denken würde. Und doch^ wäre es nicht schwer, an der Hand der Akten nachzuweisen, daß gerade diesem Mangel an Vorsicht die allmälige Rükkehr nach Genf von Jndividuen zuzuschreiben ist, die, fei es durch Ent^ scheid der kantonalen, oder auf Begehren der Bundesbehörde, aus dem Gebiete dieses Standes entfernt worden sind.

Ohne Zweifel ist es nicht überflüssig, hier anzuführen, daß von den zehn durch den Bundesrath unterm 29. März 1852 verwiefenen deutschen Flüchtlingen, nach den Angaben der Genferbehörde, vier mit r e g e l m ä ß i g e n Schriften versehen waren, und daß auf die vom eidg. Depar^

245 .l.ement mit gutem Rechte ausgesprochene Besorgniß, sie bald wiedex au.^ Sardinien nach Genf zurükkehren zu sehen, von dieser Behörde unterm ^7. April 185.... geantwortet wurden. ,,Hinsichtlich der vier Deutschen, ..deren Ausweisung aus den Sardinischen Staaten Sie befürchten, sind .,,wir ohne Besorgniß, d e n n s i e s i n d m i t v o l l k o m m e n r e g e l ,,m ä ß i g e n, von ihren respektiven Regierungen ausgestellten P ä s s e n ,,versehen, und nur Sie und ich kennen ihren Aufenthaltsort.^ Troz dex regelmäßigen Papiere, welche diese Ausländer besaßen , hielt es dazumal die Genserbehörde nicht für thunlich, einen Kompetenzkonflikt anzuheben.

Einer der damals durch Beschluß des Bundesrathes vom I7. .Närz 1852 aus der Schweiz fortgewiesenen deutschen Flüchtlinge (Hx. E.), ...ex sich ^nach Sardinien begab , um dieser Maßregel sich zu entziehen , konnte bald nachher nach Genf zurükkehren und dort selbst die ^Naturalisation erlangen, obgleich die Genferbehörde mit Schreiben vom 17. April 185..^ unserm Justiz^ und Polizeidepartement erklärt hatte: ,,E. hat Genf sogleich, ,,nachdem seine Papiere angelangt waren, verlassen; w e n n er zu uns ,, z u r ü k k o m m e n sollte, so w ü r d e er s o f o r t unter Begleitung naeh ,,Bern g e f ü h r t werden...^ Wie man sieht, lag der Genferpolizei damals nicht besonders daran, ihr Anrecht zu Gunsten der d e u t s c h e n Flüchtlinge geltend zu machen, und sle schien selbst zu wünschen, daß sie insgesammt ausgewiesen würden^ '^denn unter dem bereits angeführten Datum vom I7. April 1852 schrieb sie: ,,Da wir v o l l k o m m e n e n t s c h l o s s e n sind, uns aller durch ,, d e n B u n d e s r a t h in G e n f i n t e r n i r t e n oder mit Ermächtigung dex ,,kantonalen Polizeibehörden hieher gekommenen Deutschen zu entledigen, ,,so hegen wir die bestimmte Erwartung, Herr Bundesrath, alle Maßnahmen, ,,welche wir zu diesem Ende treffen werden , ^künftighin mit Jhren Wünschen ,,durchaus in Uebereinstimmung zu sehen. ^

Der Streit über den Begriff des Wortes Flüchtling ist nicht neu;

Vielmehr bildete er schon seit ().-.' Jahren die Grundlage des Verhaltens dex G.enferbehörde , und hinter diesen Begriff hat sie sich auch jedes Mal verschanzt, wenn sie mit der Bundesbehörde in Zwist gerieth. So kam es schon im Jahr I852 und während der Anwesenheit der eidg. Kommissarien (l^r. K e r n und T r o g in Genf) zu einer Erörterung über diesen Gegenstand, und die Genserbehörde fchrieb am 9. April Folgendes an das eidgenössische Departement: ,,Was die Anhäufung von Flüchtlingen in Genf betrifft, von dex ^,,Sie, Herr Bundesrath, in Jhrem Schreiben sprechen, so stelle ich die ,,Thatsache durchaus in Abrede.

Herr T r o g bezeichnet in seinem ..Schreiben den Flüchtling als ,,einen Ausländer ohne Ausweisschriften, ,,,,der nicht nachweisen ka..n , daß seiner Anwesenheit kein anderer Grund ,,,,als ein politisches Motiv unterliegt, oder auch als einen Ausländer, .,,,,der zwar mit regelmäßigen Papieren versehen ist, auf dem jedoch ein.

...,,Urtheil lastet.^

Wir pflichten dieser Definition vollkommen bei und

..erklären u n s b e r e i t , j e d e s J n d i v i d u u m , d a s u n s b e z e i c h n e t

246

.

^

,, w e r d e n w i r d und b e i ^em e i n e d i e s e r V o r a u s s e z u n g e n zu-.

,,trifft, aus dem schweizerischen Gebiete f o r t z u w e r f e n oder.

..nach B e r n zu s e n d e n ; allein so lange man uns nicht die Anwesenheit ,,eines einzigen f r a n z ö si scheu, politisch V e r n r t h e i l t e n bei uns nach..weisen wird, werden wir auch bestimmt in Abrede stellen, daß ein solcher ..in unserm Kanton sich befinde... Die Wortklaubereien fortsezend, wird im

Schreiben vom 24. April bemerkt: ,,Da schließlich nicht wir es sind,

,,sondern der B u n d e s r a t h , der ihre (gewisser Flüchtlinge) Entfernung will, ,.fo ist es auch nur billig,^ ihm die Sorge für e i n e U e b e r w a c h n n g ,,zu ü b e r l a s s e n , d i e d e^n G e f ü h l e auch d e s g e r i n g s t e n d e r . G e n ,,ser'schen P o l i z e i a g e n t e n w i d e r s t r e b t , s o b a l d e s sich u m ,, e i n e n P r o s e r i b i r t e n handelt. Sie verlangen, Herr Bundesrath, ,,daß Jhnen ungesäumt alle französischen Flüchtlinge, die man Genf be..zeichnen wird, zugewiesen werden. Wir wüßten nicht, wie wir es anzu,,fangen hätten, um diesem Begehren zu willfahren; denn wir kennen in ,,Genf keinen Franzosen,. g e g e n den ein p o l i t i s c h e s U r t h e i l ,, a u s g e f ä l l t oder der ohne Ausweisschriften w ä r e . ^ Diese nämliche Erklärung wird in einem weitern Schreiben vom 25. Mai 1852

bestätigt.

Das gleiche System findet sich in den Sehreiben des Staatsraths von Genf an den Bundesrath vom 28. Januar und 4. Februar 1858 wieder, und aus Anlaß eben dieser gezwungenen Auslegung der Eigenschast eines F l ü c h t l i n g s richtete das eidgenössische Kommissariat an die genannte Regierung sein Schreiben vom 1.'. Februar, das eine Antwort vom 19. gleichen Monats zur Folge hatte, auf welche wir die h. Bundesversammlnng besonders aufmerksam machen.

Hinwieder hätte man Unrecht, wenn man annehmen wollte, daß die ^Männer, welche an der Spize der Geschäfte im Kanton Gens stehen, im Allgemeinen alle diese ^Retieenzen aus Vorliebe für die Flüchtlinge begehen; vielmehr scheint die nachfolgend sehr charakteristische Stelle aus einem Schreiben an unser Justiz^ und Polizeidepartement, deren Anführung vom Verfasser selbst bewilligt worden ist, wenigstens zu beweisen, daß man durchaus nicht für sie eingenommen ist. Sie lautet: ,,Uebrigens, Herr Bundesrath, kennen Sie hinreichend diese Mata^doren des Sozialismus und der Universairepublik; Sie kennen den voll^ ,,ständigen Mangel an vernünftigen Jdeen, den zu oft nur das Getön ihrer ,,großen Worte verdekt; den geringen gefunden Menschenverstand, dex in ,,dem .^ortkram ihres Geschwäzes liegt; den Mangel an Selbstverleugnung, ^au Bürgertugend und wahrhaft liberaler Gesinnung, den die meisten dieser ,,Kämpen für 1a gloire de la ^rrrrance und dieser künstigen Magnaten ^des deutschen Kaiserreichs im Grund des Herzens habend Schon bei Anlaß der Sendung der Herren K e r n und T r o g nach Genf machte der Hr. Staatsrathspräsident alle Vorbehalte in Betreff der Kantonsfouveränetät , indem er sagte , daß die Angabe über die ^ahl der Flüchtlinge in Genf eine unrichtige sei, und im Weitern beifügte (Schreibe^

.^

^47

^.oom 6. März I.^2): ,,Wir glauben, daß hinsichtlich der Flüchtlinge ^uufere Polizei viel besser gehandhabt worden ist, als diejenige anderer ^Kantone, und als selbst die eidgenössische.^ Diese Ansicht ^wurde auch ^om Ehef der Fremdenpolizei geltend gemacht, der am 3. Oktober gl. J.

Schrieb . ,,Wir bestehen bis zum Beweise des Gegentheils auf unserer Be.,,hauptung, besser u n t e r r i c h t e t zu sein, b e s s e r die P o l i z e i zu ..handhaben, ^ b e s s e r e G a r a n t i e n u n f e r n N a c h b a r n zu bieten, .,,als j e d e a n d e r e s c h w e i z e r i s c h e Regierung.

Der Gedanke, der Bundesgewalt das Recht zu bestreiten, in die kanZonalen Angelegenheiten Einficht zu thun, weil kein dießfälliges Gefez bestehe, ist schon im Jahr 1852 ausgesprochen worden, und schon damals suchte man die Bundesbehörde durch die Drohung einzuschüchtern, zu

^llen möglichen Mitteln der Oesfentlichkeit zu greifen, wodurch jedoch nicht

^er Zwek erreicht wurde, den man im Auge zu haben schien.

Das Jahr 1854. bietet keine Korrespondenz von großem Jnteresse dar.

Jm Jahr 18.^ machte man uns auf gewisse Umtriebe französischer Flüchtlinge in G e n f , und unter Anderm auch auf ihre Versammlung in ^der Brasserie Stras^ourgeoise, die etwelches Aufsehen erregte, aufmerksam.

.Hx. E a st o ld i erstattete am 13. Oktober den Bericht, daß eine Versammlung ^wirklich in der Brasserie Stra^hourgeoise staltgefunden habe ; sie sei jedoch ^hne Bedeutung und bloß von e t w a 20 mehr oder weniger u n b e k a n n t e n Jndividuen besucht gewesen; sie habe zum Gegenstand eine Zustimmung zum M a n i f e s t M a z z in i, K o s s u t h u n d L e d r u - R o l l i n gehabt; nur wenige Flüchtlinge haben ihr beigewohnt, und sie sei durch einen Agent provocateur Veranstaltet worden , den das Departement nennen konnte. Fünf Flüchtlinge Wurden verhaftet, und auf andere fahndete man. Am 14. Okt. telegraphirte ^as eidg. Departement, daß es .n kürzester Frist umständlichen Bericht ^.nd Verhörprotokolle in Betreff jedes der entdekten Ausländer gewärtige, ^um dem Bundesrathe davon Mittheilung zu machen und einen Entscheid zu veranlassen. Es fügte bei , daß man die Flüchtlinge, die der erwähnten ^.Versammlung beigewohnt hatten, nebst dem Agent provocateur verhaften solle. Die Weisungen und Anleitungen waren schon am 6. Oktober ertheilt ^vorden, und am 18. gleichen Monats fragte die Genferbehörde durch den ^Telegraphen an, was mit den verhafteten Flüchtlingen zu thu^n fei, da ^nan sie nicht länger im Untersuchungshaft halten könne. Das eidgenössische Departement antwortete hierauf das Erforderliche.

Diese Umstände bewogen^ den Bundesrath , sich an den Staatsrath direkte zu wenden , ^ und ^ das Departement erneuerte am 3. und 19. Nov. seine frühern Weisungen .Ind Begehren.

Erst am 27. Oktober konnte man ein kleines Pro^okoll über das schon am 6. stattgefundene Verhör von 4 Flüchtlingen erhalten; von dem Agent provocateur aber sagte man nichts mehr. Jndem ^ie Regierung dieses sog. Protokoll einschikte, begleitete sie es mit folgen.den Bemerkungen: ,,Schon so lange sind wir stets die Zielscheibe von .,,Anklagen und Verdächtigungen, deren Begründetheit nie nachgewiesen ^worden ^ist, daß es uns scheint, man dürfte ein für alle Male unsern

24^ ...unermüdlichen Anklägern antworten ^ Worin haben fie ihre internationale^ ..Pflichten verlezt.^ Gebet uns Thatsachen an!^ Diese Replik des Staatsrathes wurde in angemessener Weise beantwoxtet ; allein erst am 29. November meldete das Genfer^Depart.ment di^ ^ Fortweisung von einigen Flüchtlingen, die späterhin theilweise nach Genf wieder znrük kamen. Die Behörde hütete fich indessen wohl, den Agent provo-.

cateur aus der Brasserie Strashourgeoise zu verzeigen , obgleich das eidg.

Departement sie drei oder vier Mal daran erinnert hatte.

Wir wollen diese Rükschau auf die amtlichen Beziehungen zwischen den ^beiden Behörden nicht weiter sortsezen; allein wir hielten es für unerläßlich, das Geschichtliche der gegenwärtigen Frage durch die obstehenden wenigen An-

gaben zu vervollständigen. Diese sehr gedrängte Darstellung der Vorgänge

zu den Thatsachen, welche den gegenwärtigen bei der höchsten Behörde de.^ Eidgenossenschaft anhängigen Konflikt herbeigeführt haben, wird dazu beitragen, die Beschaffenheit der Beziehungen, die zwischen der Bundesbehörde und der Regierung des h. Standes Genf bestanden haben, bis zu einem gewissen Punkte in ihr wahres Licht zu stellen. Es dürfen diese Vorgänge durchaus nicht aus dem Auge gelassen werden, wenn man die auf den Vorliegenden Rekurs bezüglichen Verhältnisse gehörig würdigen will. Jndem.

wir ihrer hier erwähnen , beabsichtigen wir keineswegs, eine aufreizende und vollkommen nuzlose Polemik wach zu rufen, indem unser Zwek einzig der ist, die h. Bundesversammlung über Thatsachen aufzuklären, die, wenn gleich dex^ Vergangenheit angehörend, doch mit dem Ursprung der gegenwärtigen An^ stände in ^nger Beziehung stehen und zu deren Aufklärung dienen.

Was den Verlauf der auf die bei Jhnen anhängige Streitfrage bezüglichen Vorgänge betrifft , die schon im November 1857 ihren Anfang.

nahmen, so glaubt d..r Bundesrath, sich um so eher einer Darstellung derselben entheben zu dürfen , als die Akten , die er am 5. dieß Jhne.^ mitzntheilen die Ehre hatte , und besonders diejenigen Dokumente, auf welche er Jhre besondere Aufmerkfamkeit geleitet hat , ^ in dieser Hinsicht alle wünfchbaren Erläuterungen und Auffchlüsse über das in diesem Zwiste eingehaltene Verfahren an die Hand geben. Wir berufen uns daher aus die Akten, von denen Jhre Kommission bereits Einsieht genommen hat, und wir betonen hier besonders, daß wir den in den verschiedenen Denkschriften.

der Herren Kommissäre entwikelten Ansichten vollkommen beipflichten , so wie wir auch ihr Vorgehen in dieser Angelegenheit nach jeder Richtung^ billigen und wir es uns zum Vergnügen und zur Pflicht machen , hier unsere volle Zufriedenheit über die einsichtsvolle Mitwirkung ^uszusprechen..

die sie uns bei der Behandlung dieser schwierigen und heikeln Fr.^ge haben zu Theil werden lassen. Wir hoffen auch , die h. Bundesversammlung^ werde, nachdem sie von^dieser ganzen Korrespondenz Kenntniß genommen haben wird, ebenfalls unfere Meinung in Betreff des vollkommen gerechtfertigten Verhaltens des eidg. Kommissariates bei dieser Gelegenheit theilen.

Wir gehen nun zur Besprechung der vom h. Stande Genf einge^ .reichten Rekursschrift selbst über.

^

.

^

Dieselbe schließt mit dem Begehren an die Bundesversammlung , fie^ ^.möge die Reklamationen des Kantons Genf in zweifacher Hinficht prüfen^

nämlich ^

,,Erstens anerkennen, .daß gegen G h e l f a , S a l v i , Eomini, B e r n a s e o n i , E a r r a x a , Masnata, Narra, Vercellesi, Rv^ b i a t i , Biraghi, L e o n i und D o s s e n a keine Thatsaehen vorliegen, welche die Schweiz nach Jnnen oder nach Außen gefährten könnten, un^ ^.aß folglich der Art. 57 der Bundesverfassung nicht auf fie anwendbar sei.

,, Z w e i t e n s den Rekurs des Kantons Genf gegen die Entscheidungen^ des Bundesrathes vom 24. April und 24. Mai 1858 genehmigen, .......

dieselben die Kompetenz des Bundesrathes überschreiten^ welcher, beim Abgang eines Bundesgesezes über die Fremdenpolizei, eine Ausweisung, falls die kan^ tonalen Polizeibehörden dagegen Einsprache erheben, nur dann anordnen.

kann , wenn er sich mit diesen darüber einigt, aber im Falle einer Mei^ nungsverschiedenheit die Sache zur Entscheidung entweder vor das Buu.^ desgericht oder vor die Bundesversammlung bringen muß.^ Ad l. . Da diese erste Frage von der Entscheidung über die zweite,.

nämlich über^ den Grnndsaz der ^undeskompetenz in Sachen der Fremden-.

polizei abhängig ist, so werden wir uns hiebei nicht aufhalten, und zwar um so weniger, als fich in den Akten, die wir die Ehre haben, Jhnen.

vorzulegen, und hauptsächlich in den besondern Berichten oder Denkschristen, die uns von den Kommissarien unterm 27. Februar, 1^. April, 20. Mai, 28., 29. und 30. Juni eingereicht worden sind, in dieser Beziehung ge.^ nügende Aufschlüsse .vorfinden. Wir ersuchen die h. Bundesversammlung,.

auch dem Umftande Rüksicht zu tragen, daß das Verzeichniß der ehemaligen^ Mitglieder der italienifchen Gefellschaft, deren Entfernung aus Genf be.^ schlossen worden ist, durch die Genfer-Behörde vor der Abreife des Kom-.

missariats förmlich und bestimmt gutgeheißen wurde, so wie auch, daß von^ ihrer V e r w e i s u n g ans d e r S c h w e i z nie die Rede gewesen ist, son^ dern bloß von ihrer J n t e r n i r u n g in der Schweiz, ausgenommen, da^ denjenigen, die anderswohin sich begeben wollten und könnten, die Mittel zux Bewerkstelligung der Reise angeboten wurden. Der h. Stand Genf ist^ daher vom f o r m e l l e n Standpunkte aus im Jrrthum, wenn er zu ihre.^ Gunsten den Art. .^7 der Bundesverfassung ^anruft , indem es sich hier^ nicht ^um Ausweisung, sondern um Jnternirung handelt. Die Bericht^ unsers Justiz^ und
Polizeidepartements werden übrigens zur Herstellung des wahren Standes der vorliegenden Frage genügen und wir dürfen uns,.

um Wiederholungen und Weiterungen zu vermeiden, darauf beschränken, auf dieselben zu verweisen, ohne hier die daselbst entwikelten Motive z.^ ^ wiederholen.

Unsere, diese Ausländer beschlagenden Befchlüsse vom 24. April un^ 24. Mai halten nur die gegen fie durch das eidg. Kommissariat i.r^ ^ l e b e r e i n s t i m m u n g mit der G en se r-B eh ör de ^angeordnete Jnter^ .nirungsmaßregel aufrecht.

^50 Bei den obwaltenden Verhältnissen kann diese Maßregel wol kaum ^.als ein Akt der Schwäche gegen das Ausland dargestellt werden ; denn fie.

.ist nicht nur durchaus nicht die Folge von Gesuchen, und noch weniger ^on F o r d e r u n g e n des Auslandes, sondern der Bundesrath glaubt, schon .zu wiederholten Malen den Beweis geleistet zu haben , daß er mit eben .so vieler Festigkeit als Mäßigung die Zumuthungen der auswärtigen ReVierungen zurükznweisen weiß. Ex hat dieß z. B. im Jahr 1852 gegen^ über F r a n k r e i c h gezeigt, das damals von Oesterreich unterstüzt wurde und nichts weniger verlangte, als die Oberaufsicht in Beziehung auf die ..Flüehtlingspolizei in der Schweiz auszuüben. Wenn ex damals derartige .Zumuthungen als einen Angriff auf die Ehre und Unabhängigkeit des ^Schweizervolkes zurükzuweisen gewußt hat, so wird man es ihnr nicht zum Vorwurf machen, wenn er internationalen Rükfichten, so weit er sie für

.begründet hält, Rechnung trägt.

Die Anwesenheit der Flüchtlinge an der Gränze, namentlich im Kan.^ .ton Genf, gibt dem^ Auslande ohne Zweifel fortwährend Grund zu der Annahme , oder wenigstens Anlaß zu der Behauptung, daß ^die Schweiz ^in ihrem Schoße eine große Anzahl den Staaten Europas feindselig gesinnter politischer Flüchtlinge berge, und daß sie unaufhörlich den Herd von ^Umtrieben und Verschwörungen gegen die Sicherheit^ der benachbarten Län^ der bilde. Dieß kann für die Eidgenossenschaft nur Unannehmlichkeiten mit .den auswärtigen Regiernngen und unaufhörlich sich erneuernde Klagen über

Bibeln Willen oder Ohnmacht, die gefaßten Beschlüsse zu vollziehen, so wie

Reklamationen und P.lakereien jeder Art, mehr oder weniger lästige diplo.rnatische Noten und kostspielige Maßregeln zur Folge haben. Der Bundesrath ^mochte, wie die Erfahrung der lezten Jahre leider zur Genüge es .gezeigt .hat, strenge Maßregeln gegen die Flüchtlinge beschließen und vollziehen .lassen, diejenigen ausweifen, gegen welche Beschwerden vorlagen, und noch .so klar darthu^ , daß die Angaben über Umtriebe und Unternehmungen ^on Seite der Flüchtlinge meistens geglichen. Grundes entbehrten , daß die .Klagen der auswärtigen Staaten nicht gerechtfertigt waren : alles dieses

^hat wenig oder nichts genüzt; die Anzeigen, die falschen Berichte, die Re-

^klamationen haben sich mit geringen Abänderungen periodisch erneuert ; .alles, was man gesagt, bewiesen, wiederholt hat, ist vergessen uud nicht ^geschehen angesichts dieser f i x e n , in den Köpfen der auswärtigen RegieZungen so zu sagen verknöcherten Jdee , daß die Schweiz ein beständiger .Herd von Verschwörungen der unversöhnlichen Feinde der Gesellschaft^ sei, ^ine Jdee , die durch den Ausenthalt einer kleinen Anzahl wenig bedeuSender, jedoch nicht unbemerkter Flüchtlinge, welche noch.. das As^l in ^den Kantonen genießen , genährt und gekräftigt wird. Es wäre Zeit, ^aß dieser anormale Zustand ein Ende nähme; daß die Schweiz einmal aufhörte, der Gegenstand meistens unbegründeter Anschuldigungen zu sein, ^.ie vom Auslande gegen sie erhoben werden und die der Bundesrath indessen auch künftighin. wie bisher, überallhin zurük zu weifen wissen wird.

Uebrigens wünscht der Bundesrath nichts mehr, als die Kantone gegeu

251 falsche oder ^ist es eben liefern die ^veise , die

erdichtete Beschuldigungen verteidigen zu können ; allein hiesür nothwendig , daß er genau wisse , was Thatsache ist und in Vorwürfe unbegründet find. Dieses ist auch die Handlung^ wir im vorliegenden Falle einzuhalten bestrebt gewesen find.

Die Akten zeigen, daß wir einzig die Ergründung der Wahrheit der gegen

^Genf erhobenen Beschwerden im Auge hatten, und um zu beweisen, daß .wir hier nicht nur so obenhin vorgegangen sind und gleich von vorn herein ^en Anschuldigungen Glauben geschenkt haben, wird es wol nicht unpassend, sein, hier eine Stelle des Schreibens wieder zu geben, welches der Staats^rath von Genf unlerm 7. Dezember 1857. in Beantwortung unsers Be.gehrens um ^lufschlußertheilung vom 16. November, an uns gerichtet hat.

Es heißt nämlich in dieser Antwort:

,,Vor einigen Monaten glaubten wir, in einer für die .Nachbarstaaten

^durchaus günstigen Absicht Erkundigungen über die italienischen Flüchtlinge,

^die sich etwa in Genf oder an der Gränze aufhalten möchten, einziehen ....lassen zu sollen. Das Ergebniß unserer Erhebungen war ein Bericht, ....der , wie wir weiter oben gesagt haben , beinahe wörtlich gleichlautend ....mit dem ist, den Sie uns übermacht haben. Es läßt uns dieß auf eine ^Untreue von Seite des Agenten schließen , dessen wir uns bedient haben, ^oder eines Jndividuums, das (selbst ^ein auswärtiger, in Genf wohnhafter

....Agent) mit ihm in Beziehungen fteht...

Wenn man .^as As.^l den Flüchtlingen ,. die dessen bedürfen , seiner Würdig sind und die internationalen Jnkeressen des Bundes nicht gefährden, gewähren ^und wahren will und soll, so muß man auch nötigenfalls Ver^hältnisse beseitigen , die zu Verwiklungen mit dem Auslande führen oder Anlaß dazu geben könnten, besonders dann, wenn man dadurch weder der ^hre des Landes , noch den Pflichten der Menschlichkeit etwas vergibt.

.Ad 1l. Die zu entscheidende Frage ist also folgende:

A. Ob der Bundesrath durch seine Beschlüsse vom 24. April und 24.

Mai seine Kompetenz überschritten habe .^ ^ .B. Ob das Bundesgericht oder die Bundesversammlung im Falle einer . Meinungsverschiedenheit zwischen der kantonalen Behörde und dem Bundesrathe in lezter Jnstanz über die Fortweisung von Ausländern ans dem Gebiete der Eidgenossenschaft entscheiden müsset Zu A. Der Art. 57 der Bundesverfassung gibt dem Bunde das Stecht, F r e m d e , welche die innere oder äußere Sicherheit der Eidgenos.senschaft gefährden, aus dem schweizerischen Gebiete wegzuweisen.

Wie man sieht, findet diefer Artikel auf alle F r e m d e n ohne Unterschied ^Anwendung, auf die mit vollkommen regelmäßigen Papieren versehenen sowol, ^als aus die, welche keine solche befizen, fei es, weil sie politische Flüchtlinge, .Deserteurs oder einfache Refraktärs sind. Jndem der Gesezgeber der Buu^esgewalt, beziehungsweise dem Bunde, diese Befugniß in Betreff der ad.ministrativi oder politischen Polizei zuheilte, hat er offenbar den Willen.

^2 ausgesprochen, der mit den internationalen Angelegenheiten beauftragte^ Behörde das bestimmte und förmliche Recht zu ertheilen, auf polizeilichem Wege jeden Fremden aus dem Lande zu entfernen , der durch fein Ver^ halten, seine Handlungen oder aus irgend einer Ursache die Sicherheit und^ die Beziehungen der Schweiz zum Auslande gesährden sollte. Nun gilt als Regel, daß wer das Mehr k a n n , auch das W e n i g e r d a r f , ^und daß wenn der Bund, beziehungsweise der Bundesrath, das Recht hat, einen Fremden aus d.er Schweiz wegzuweisen , er um so mehr das.

Recht haben muß , ihn in gewissen Fällen zu interr.ireu und ihm ...en^Aufenthalt an der Gränze zu untersagen.

Wie wir bereits erwähnt haben , ist die Folgerung des Staatsraths^

von Genf, da unsere Beschlüsse vom 24. April und 24.^ Mat tatsächlich

uur die J n t e r n i x u n g anordnen, schon von diesem f o r m e l l e n Standpunkte aus nicht richtig, selbst wenn man Anstand nimmt, anzuerkennen, daß das Recht dex Wegweisung auch das der Jnternixung in sich begreift.

Man wird auch zugeben müssen, daß die mit regelmäßigen Schriften versehenen und nicht zu der Klasse der politischen Flüchtlinge, der Desexteurs und Resraktärs gehörenden Fremden in einem günftigern Rechtsverhältniß in Bezug auf die Niederlassung und den Aufenthalt in dex

Schweiz sich befinden als die erstern , indem sie nötigenfalls den Schuz

der Verträge und die Dazwischeukunft ihrer Vertreter bei der Eidgenossen^ fchaft anrufen können. Trozdem kann ihnen die Schweiz das Niederlassungs- oder Aufenthaltsrecht , u.id zwar schon aus einem der im Art.

41 der Bundesverfassung in Betreff der Schweizerbürger vorgesehener..

Motive entziehen, abgesehen davon, daß ihre Ausweisung, wie wir gesehen haben, auch aus den Art. 57 sich gründen kann.

Die Flüchtlinge, Deserteurs, Refraktärs haben hingegen auf alle diese.

vertrag^ oder verfassungsmäßigen Vortheile keinen Anspruch. Sie genießen

die Gastfreiheit des Landes, das ihnen das As^l gewährt und folglich auch

berechtigt ist, es ihnen zu entziehen.

Das As^l ist eines dex Attribute der Kantonalsouveränetät, jedoch kein u n b e d i n g t e s und u n b e s c h r ä n k t e s ; denn damit es dieß sein könnte, müßte man nicht nur den ^lrt. ^7 unserer Bundesverfassung, son-^ dern auch die Bestimmungen der Art. 74, Ziff. 13 und Art. 90, Ziff. 2, 8,.

.), 10 beseitigen, welche in dieser Beziehung auch die Kantonalsouveränetät beschränken, indem fie der Bundesbehörde nicht nur ein Aufsichtsrecht zusicherte, sondern auch das Recht , handelnd in Allem einzuschreiten, was^ mit der politischen Emigration in näherer oder weiterer Beziehung steht...

Es kann somit nicht von dem guten Willen eines Kantons abhangen, ob ein Fremder aus der Schweiz entfernt werde oder nicht, welchen die Bundesbehörde für den Bestand der internationalen Beziehungen als gefährlich betrachtet und demzufolge ausgewiesen hätte. Bisher hat kein Kanton diese Theorie aufgestellt; denn man erkennt, wie weit sie führen.

könnte, besonders wenn, was immer geschehen kann und auch hier wirklich.

.dex Fall ist, eine Meinungsverschiedenheit zwischen der Kantons- und de^

253 .Bundesbehörde hinsichtlich der Auffassung der die Maßregel begründende^ Thatsachen obwalten sollte. Es genügt, auf diese Konsequenz hinzuweisen, ^um^ .zu der Einsicht zu führen, daß bei einem System, wie G e n f es jezt geltend ^machen möchte , die Bestimmungen des angeführten Art. .^7 und die dieselben ^ergänzenden im Grunde nur eine lächerliche und bedeutungslose Forschrift, eine unversiegliche Ouel.le unaufhörlicher Konflikte zwischen dex ^Bundesbehörde und den Kantonsregierungen sein würden. Wenn der Art. 57, ..n Verbindung mit dem Art. 90 , Ziff. 8 und 9 , nur in so weit eine wirkliche Bedeutung haben sollte, als der darin aufgestellte Grundsaz in ^inem besondern Bundesgesez über die Fremdenpolizei sich entwikelt und erläutert fände, und wenn die nun vom h. Stande Genf ausgesprochene Auffassung im Geiste unserer neuen Bundesverfassung liegen sollte, so wäre sofort die Notwendigkeit vorhanden gewesen , ein solches Bundesgesez zu .erlassen. ^ix sehen indessen eine solche Notwendigkeit auch jezt noch keineswegs ein, weil die Verfassung klar und deutlich sich ausspricht..

Da die Kompetenz des Bundes in diesem Zweige der Fremdenpolizei durch die übrigen eidg. Stände nie bezweifelt worden ist, so hieße es gewissermaßen ihre biedern und von richtiger Einsicht zeugenden Gesinnungen verkennen, wenn man durch die Beantragung eines Gesezes zur Erläuterung einer klaren und bestimmten Vorschrift des Grundgesezes des Schweizervolkes so zu sagen Mißtrauen zu erkennen geben würde. Wenn der Axt. 74 Ziff. 13, als Gegenstände, die in den Geschäftskreis der beiden Räthe fallen, auch die gesezlichen Verfügungen über Fremdenpolizei bezeichnet, und wenn der Staatsrath von Genf aus dem Umstande , daß ein besonderes

Gesez bis zur Stunde sachbezüglich nicht erlassen worden ist, den Schluß zieht,

daß die Anwendung des Art. 5.' von dem gütlichen Einverständniß zwischen dem Bundesrathe und der kantonalen Polizeibehörde oder von dem Urtheile des Bundesgerichtes abhange , jedenfalls aber dex Bundesrath, . wenn er die Wegweisung eines Fremden beschließe, nicht a l l e i n und von sich ans handeln könne . so sind wir unsererseits der Anficht , es sei nicht unbedingt nothwendig, daß ein solches Gesez bestehe , um die Besugniß des Bundesrathes zu begründen, un.^ es will uns ziemlich befremdend scheinen, daß man hier daraus fallen kann, den Entscheid des Bundesgerichts anzurufen, während es sich nicht um eine gerichtliche Verur. theilung , sondern einzig um eine administrative , präventivpvlizeiliche Maßregel handelt , die durch Gründe politischer Natur geboten wird.

Ziff. 13 des von Genf angeführten Art. 74 spricht ebenfalls von gesezlichen Verfügungen über die Niederlassung , und doch ist , mit Ausnahme des Gesezes über Dauer und Kosten der Niederlassungsbewilligung vom ^ 12. Dezember 184.), noch kein besonderes Gesez zur Regelung der Nieder.^ lassungsverhältnisse u. s. w. erlassen worden. Dieß hindert jedoch den Bundesrath nicht, rechtsgültig über die zahlreichen Rekurse, welche ihm

wegen Entziehung der Niederlassung^ oder Ansenthaltsbewilligung für

Sehweizerbürger eingereicht werden , zu entscheiden und sich dabei ganz .einfach an die Bestimmungen .vom Artikel 41 der Bundesverfassung zu halten.

^ ^ ^

254 Allein die Kompetenz des Bundesrathes

scheint uns auch klar au^

dem Wortlaut des Art. 90, Ziffer 2, 8, 9 und 1..) sich zu ergeben,

indem es dort heißt: ,,Art. 9.).

Der Bundesrath hat inner den Schranken der gegen-

wärtigen Verfassung vorzüglich folgende Befugnisse und Obliegenheiten :

,,2. Er hat für Beobachtung der Verfassung ^. zu wachen.

,,8.

Er wahrt die Jnteressen der Eidgenossenschaft nach Außen, wie namentlich ihre völkerrechtlichen Beziehungen, und besorgt die auswärtigem Angelegenheiten überhaupt.

,,9.

Er wacht für die äußere Sicherheit, für die Behauptung der Unabhängigkeit und Neutralität der Schweiz.

,,10. Er sorgt für die innere Sicherheit der Eidgenossenschaft, für Handhabung von Ruhe und Ordnung.^ Wenn man diese Bestimmungen mit der Vorschrift des Art. 57 zusammenhält , so wird man bald einsehen . daß im Geiste des Gesezgebers über die wahre Tragweite dieser Artikel kein Zweifel walten konnte.

Wir können hier einfach anführen, was wir dießfalls dem Staatsxath von. Genf in unserm Schreiben vom 24. Mai bemerkt haben, indem .. wir sagten : .

^ ,,Uebrigens wird sicherlich Niemand fich beifallen lassen, dem Bundesrathe das Recht zu bestreiten, Flüchtlinge, Deserteurs, Refraktärs und andere Fremde dieser Art von der.Gränze zu entfernen, wenn ihre Anwesenheit Anlaß zu Verwiklungen, zu Schwierigkeiten mit dem Auslande

geben sollte; denn da diese Behörde die Pflicht und Obliegenheit hat, die

Jnte.reffen der Eidgenossenschaft nach Außen und namentlich ihre völker^ rechtlichen Beziehungen zu wahren (Art. 90, Ziffer 8 und 9), so muß ihr natürlich auch die Befugniß und das Recht zustehen , unter ihrer Ver^ antwortlichkeit zu diesem Ende dle ihr angemessen und zwekdienlich scheinenden Maßregeln anzuordnen.^ Dieß scheint indessen auch der Staatsrath von Genf implizite selbst anzuerkennen, indem er sagt, daß der Bundesrath, als vollziehende Behörde der Eidgenossenfchaft, die Jnitiative für die zu ergreifenden Maßregeln habe, daß er aber, um fie zu vollziehen, sich an die gesezlicheu .Formen halten müsse und daß, im Falle der betreffende Kanton sich widersezen würde, die Bundesversammlung oder das Bundesgericht endgültig zu entscheiden habe.

Die leztere Folgerung ist schon in ihrer Grundlage, wie wir^oben sagten, unrichtig; tenu wollte man sie als richtig annehmen, so mangelte der Verantwortlichkeit und den Obliegenheiten, welche die angeführten Bestimmungen dem Bundesrathe in Bezug auf die völkerreehtlichen Verhältnisse auferlegen, ein Gegengewicht, ^ ein Korrelativ, indem dann nicht nur von ihm das abhangen würde^, was diese Obliegenheiten und diese^ Verantwortlichkeit von der vollziehenden Bundesb^hörde fordern, er vielmehr ^über das wohl oder übel Begründete einer im allgemeinen Jnteresse der Schweiz beschlossenen Maßnahme noch rechten müßte. Es könnte z. B. sich ereignen, daß der Bundesrath kraft der oben erwähnten

^ 2^ ..Bestimmungen sich genöthigt sände, die sofortige Wegweisung oderJntex^ uirung einer Anzahl an der Grär.ze niedergelassener Fremder zu beschließen..

^deren Anwesenheit oder Verhalten unsere Beziehungen zu einem Nachbar^ staate zu stören drohte, und daß nach der von Genf aufgestellten Theorie die kantonale Polizei es angemessen erachtete, gegen die Vollziehung dex^ Maßnahme Einsprache zu .erheben , wo dann mit der Ausführung zuge-^ wartet werden müßte, bis das Bundesgericht oder die Bundesversammlung..

den vom Bundesrathe als gefährdend bezeichneten Sachverhalt^ geprüft^

Chatte.

Dieß wäre die natürliche Folge der von Genf gestellten Schlußbegehren.

Man wird gestehen müssen, daß ein solcher Zustand in einem gegebenen.

Augenblike nicht besonders geeignet wäre, wirksam die Sicherheit der Schweiz..

nach Außen zu wahren und eben so wenig unsere Neutralität angemessen zu behaupten. Monate könnten verfließen . bevor der Bundesrath , der doeh in erster Linie für die Wahrung der völkerrechtlichen Beziehungen verantwortlich ist, nötigenfalls das beseitigen könnte, was für einen Nachbarstaat Grund zu Störungen und ernstlichen Besorgnissen geben dürfte. Wen.^ die Würdigung der Thatsachen ihm nicht zukommt , so darf er auch nicht für die Behauptung dex guten völkerrechtlichen Beziehungen verantwortlich.

gemacht werden.

Ueberdieß hätte, wenn die Kompetenz des Bundesrathes in dieser^ Hinficht wirklich bezweifelt werden könnte, die von uns aufgestellte Anschauungsweise wenigstens die konstante praxis .^er lezten zehn Jahre sür^ .sieh, und es ist kaum wahrscheinlich, ja felbft sehr zweifelhaft, daß die^ kantonalen Behörden nicht schon früher würden reklamirt haben, wenn, wie jezt behauptet wird, der Bundesrath ^fich Befugnisse und Rechte angemaßt hätte, die von der Bundesverfassung nie in seine Hände gelegt worden sind. Wir können nicht wol annehmen , daß Gens bei dieser Vorausfezung der e i n z i g e Kanton ware, der es gewagt und daraus Bedacht genommen hätte, seine Rechte geltend zu machen und die kantonale Son^eränetät zn wahren. Und dennoch ist seit 1848 bis heute nie eine Re^ klamation, noch eine sörmliche Widersezung gegen die zahlreichen Answeifungs- oder Jnternirungsbefchlüsse erfolgt , die wir erlassen haben ; wir können vielmehr ohne Furcht, einen Jrrthum zu begehen, behaupten, daß von den 29..) und einigen Flüchtlingen oder andern derartigen Fremden gegen welche wir die Wegweisnng aus dem Gebiete der Eidgenossenschaft.

seit 1848 beschlossen haben. wenigstens ein Dritttheil, wenn nicht die^ Hälfte , auf ausdrükliches Begehren der Kantonsbehörden oder aus derer^. .

Anzeige hin ausgewiesen worden sind, was eben nicht dafür spricht, daß sie sich eines ihnen zustehenden Rechtes, selbst nur theilweife, sorglos be-^ geben hätten. Genf selbst hat sich s.^ wenig als ein anderer Kanton da.mals widersezt; und wir können im (gegentheil aus unse.. n ^lrchivakten den .Beweis führen, ^daß wir auch Flüchtlinge in Folge von Begehren oder Wünschen der Genferbehörd.^ aus der Schweiz fortgewesen haben. Täusche man sich übrigens nicht, diese Behörde hat hiefü... nicht immer den mate-

^56

^

riellen oder rechtlichen Beweis der gegen einen auszuweisenden Flüchtling vorgebrachten Thatsachen verlangt, sondern hat fich wie die andern oft mit ihrer moralischen Ueberzeugnng von dem Vorhandensein der strafbaren .oder kon.promittirenden Fakta begnügt.

Was sodann die JnternirungsBeschlüsse anbelangt, so haben alle Kantone, G e n f nicht ausgenommen, dieselben in mehr oder weniger strenger Weise in Vollzug gesezt, und ^ da.durch diese Maßregel als eine verfassungsmäßige uud gesezliehe anerkannt.

Noch mehr.

Das Vorgehen des Bundesrathes hat die hoheitliche und definitive Genehmigung der h. Bundesversammlung feit 1848 bis ^.heute jedesmal erhalten, ^wenn dieselbe die Geschäftsführung der vollziehende.n Bundesbehörde zu^ prüfen hatte.

Es ist nicht wahrscheinlich, daß, wenn wir in diesem Theile unserer Verwaltung die Gränzen unserer Befugniß überschritten hätten, man rool schwerlich während zehn Jahren dieß mit Stillschweigen übergangen und kein Vertreter der Kantonalsouveränetät gegen einen solchen Eingriff der Bundesgewalt reklarnirt hätte.

Die Bundesversammlung hat unter Anderm durch ihren Beschluß vom

27. Nov. 1848, betreffend die italienischen Flüchtlinge im Kanton Tessin,

die Jnternirung versügt und deren Grundlagen festgestellt.

Jndem sie unter Anderm unsere allgemeinen Beschlüsse vom 16. Juli 1850 und ....2. März 1850 über die Wegweisung der Flüchtlingschefs, so wie aller

Mitglieder^ der deutschen Arbeitervereine (gleichviel, ob Flüchtlinge oder nicht), guthießen, haben die eidg. Räthe dem Bundesrath förmlich die

Besugniß zuerkannt, derartige Maßnahmen zu ergreifen.

Sie haben sie auch durch die Genehmigung des Beschlusses vom 15. Februar 1851 anerkannt, der den Jnternirungsra^on für die italienischen und französischen Flüchtlinge auf alle an Frankreich gränzenden und demselben benachbarten Kantone ausdehnte, und durch unfern Beschluß vom 15. Februar 1858 bestätigt worden ist. Uebrigens darf nicht übersehen werden, daß wir jezt wie im Jahr I851 immer Ausnahmen von dieser allgemeinen Regel ^aus Rüksichien der Humanität oder andern stichhaltigen Gründen gestattet haben.

Vielleicht ist es nicht überflüssig^ hier auch auf das Gesez vom 3. Dez.

^1850, betreffend das Heimathlose.nwesen , aufmerksam zu machen , das dem Bundesrathe unter .Anderm ^die Pflicht auferlegt, nicht nur für die Ein^ürgerung der jezt in der Schweiz sieh aufhaltenden heimathlosen Jndi.oiduen .zu sorgen , sondern anch das Erforderliche , um künftigen Heimathlosensällen vorzubeugen, nach Maßgabe der in den Artikeln 15 -^2 dieses ^Gesezes enthaltenen Bestimmungen vorzukehren. Dieses in gewisser Hinficht die Kantonalsouveränetat beschrankende Gesez gibt dem Bundesrathe un^zweifelhaft das Recht, die Handhabung der Fremdenpolizei in den Kantonen .^is zu einem gewissen Grade zu überwachen , in fo weit sie die ohne irgend welche Ausweisschriften oder mit ungenügenden Papieren geduldeten Auslander befchlägt, um später deren Wiederausnahme in ihrem Heimathlande zu sichern. Und da dieses ..lufsichtsrecht sich aus alle Kantone aus dem Grunde erftrekt, weil die Fahrläßigkeit eines e i n z i g e n späterhin die Jntere^en ^.ller und der ganzen Schweiz gefährden könnte, so muß immerhin zug..^

257 Banden werden, daß fragliche Bestimmungen auch auf die durch politische Flüchtlinge , Deserteurs und Refraktärs gebildete Klasse von Ausländern

^Anwendung zu finden hat; denn die Gefahr der Heimatlosigkeit ist bei

^hnen viel größer, als hinsichtlich anderer Fremden, die ihre Heimath aus ^ganz andern Gründen als wegen der Politik oder Militärdienstpflicht vexfassen haben. Die meisten der in der Schweiz befindlichen Deserteurs und .Refraktärs könnten ohne Gefährde heimkehren, indem fast alle begnadigt sind; allein sie finden es meistens vortheilhafter, davon keinen Gebrauch zu machen, ^hre Schriften nicht in Ordnung zu bringen, und nach und nach bleiben ^diese Leute als Heimathlose im Lande, da sie durch ihre verlängerte AbWesenheit und mit Rüksicht auf ihre Vergangenheit ihr ursprüngliches Heimathxecht verloren haben. Man wird daher leicht begreifen, daß man diese Fremden nicht ganz dem freien Ermessen einer Kantonspolizeibehörde überlassen darf, sondern daß das allgemeine Jnteresse sämmtlicher Kantone selbst eine gewisse Aufsicht von Seite des Bundesrathes resp. der Bundesbe^hörde schon mit Rüksicht. auf das Heimathlofenwesen nothwendig macht. Die Erfahrung wird, aber vielleicht zu spät, lehren, daß alle Kantone dabei betheiligt sind , daß diese Fremden besonders überwacht werden, indem sie sich eines Tages durch die Nachläßigkeit einer zu willfährigen und um die Zukunft zu wenig besorgten Kantonspolizeibehörde um ihr Heimath^echt gebracht finden könnten.

Zu B. Nachdem wir, wie wir wenigstens hoffen, nachgewiesen haben,.

^daß der Bundesrath befugt war, die Maßregeln zu beschließen, gegen

welche der h. Stand Genf gegenwärtig Einsprache erhebt, findet ^sich die zweite durch den Rekurs angeregte Frage großenteils schon erledigt.

Man wird es daher begreiflich .. finden, ^aß wir uns nicht ausführlicher damit befassen.

Die Kompetenz der h. Bundesversammlung in der vorliegenden Sache findet sich unter Anderm im Art. 74 der Bundesverfassung ausgesprochen.

^ie Bundesversammlung ist die oberste gesezgebende Behörde der Eidgenossenschaft, und es steht ihr somit auch unbestreitbar das Recht zu, die allgemeinen Verfügungen zu erlassen, so wie ihr auch nach^ Maßgabe von Ziffer 17, Litt. a und h des Art. 74 zukommt, über den vom h. Stand ^ Gens angehobenen Kompetenzkonflikt zu entscheiden. Vernünftigerweise aber kann nicht behauptet werden, daß sie die einzelnen Thatsachen, welche eine leitende oder vollziehende Oberbehörde bewogen haben, in Vollziehung ....der Anwendung der Vorschriften der Bundesverfassung eine Maßregel zu beschließen, zu benrtheilen habe. Wir glauben auch nicht, daß wegen eines Rekurses dieser Art die Vollziehung der rekurrirten Polizeimaßregel sufpendirt werden müsse.

Die Frage sodann, ob in Fällen, wie der vorliegende, dem Bundesgerichte die Beurteilung und Entscheidung über die Ursachen der Wegweifung aus der Schweiz oder^der Jnternirung eines Ausländers durch ^en Bundesrath in lezter Jnstanz zukomme, scheint uns angesichts des be-

.^unde^la^. ^ahrg. X. .^d. II.

26

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5 8

stimmten Wortlautes der Bundesverfassung und drs Buudesgesezes kauur haltbar und wir^ sehen nirgends, daß der Staatsrath von Genf diese seine .Behauptung durch eine irgend wie gültige Beweisführung unterstüzt und begründet hat. Genf beruft fich einfach auf Ziffer c des Art. 104 der Bundesverfassung, dahin lautend, daß das Assisengericht mit Zuziehung vou Geschworuen, welche über die Thatfrage absprechen, unter Anderm ..über Verbrechen und Vergehen gegen das Völkerrecht.. urtheilt. Diese Bestimmung kann indessen nur mit Recht angerusen werden, wenn ein Verbrechen oder Vergehen gegen das. Völkerrecht vorliegt, mithin ein Gegenstand, der dem eidg. Geschwornengerichte zu überweisen ist. Die Akten, die wir die Ehre haben, Jhnen vorzulegen, beweisen nun aber, daß dieser.

Fall nicht vorhanden ist und also auch die durch .unsere Beschlüsse vom

^4. April und 24. Mai lezthin bestätigte Jnternirungsmaßnahme nicht zu Grunde liegen konnte. Wenn das Bunde...gericht über derartige Fälle entscheiden müßte , so folgte natürlich , daß auch die Genfergerichte befugt waren, in lezter Jnstanz über die Gründe der Fortweisung ..ines Fremden aus dem Ka.nton abzusprechen , wenn dieselbe durch die kantonale Verwaltungsbehörde verfügt worden wäre.

Wie wir schon wiederholt bemerkt haben, handelt es sich im besondern Falle um präventivpolizeiliche Maßregeln; unsere Beschlüsse bezweken vorzugsweise, den internationalen Verpflichtungen ein Genüge zu leisten. Allein es war nicht die Rede von der strafrechtlichen Verfolgung und Bestrafung ein..s Verbrechens, welche den Gerichten und nicht der vollziehenden Oberbehörde der Eidgenossenschaft obliegen würde.

Nach ^dieser Beleuchtung der konstitutionellen Seite der vorliegenden Frage glauben wir unterlassen zu dürfen , gewisse mehr oder weniger gewagte Angaben zu berichtigen, welche uns in der Rekursfchrift des h. Standes Genf an die beiden Räthe der Bundesversammlung aufgefallen sind. Wir können in dieser Beziehung uns füglich aus d..e Ulkten, so wie aus die Hauptberichte d.^r Herren eidg. Kommissäre Dubs und B i s c h o f f berufen.

Eine der Angaben dürfen wir indessen nicht ganz mit Stillschweigen über.^ gehen. Man will nämlich glauben machen, als hätten wir in dieser Angelegenheit gesucht, gegen die kantonale Polizei einen Vorgang zu schassen, der einen willkürliche..^ unbeschränkten Einfluß auf die Fremdenpolizei, und zwar beim Abgang jedes fachbezüglichen Gesezes , in unfere Hände geben würde. Um jedoch die Schwere die er Beschuldigung etwas zu mildern, gibt der Staatsrath von Genf zu verstehen, d.^ß der Bundesrath sich durch den Einfluß untergeordneter, zu eifriger und gewissermaßen übelwollender Be.amten bewegen lasse,. außerordentliche und verfassungswidrige Befugnisse sich anzumaßen.

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Wir müssen uns gegen die Beschuldigungen und Anzüglichkeiten, welche diese Stelle der Genferschen Rekursschrift enthält, in unserm wie i..n Namen des Kommissariats ausdriiklichst verwahren. Wir fürchten eine Prüfung unsers Verhaltens in dieser ganzen Angelegenheit nicht, und indem wir die

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Handlnngsweife der Kommissarien, die uns ihren Beistand in diesem sehwierigen und undankbaren Geschäfte bereitwillig haben angedeihen lassen, vollkommen billigen, müssen wir, da ohne Zweifel ^dex Vorwarf der Regierung von Genf gegen sie gerichtet ist, hier in bestimmtester Weise ^ erklären, daß, wenn es auch Thatfache ist., daß ^sie den lobenswertesten Eifer und die größte Hingebung an den Tag gelegt haben, die Behauptung hingegen, sie hätten be f o n d e r e Absichten^ gehegt und seien unter dem Einflnsse des Partei-

geistes u. dgl. bei Erfüllung ihrer heiklen und beschwerlichen Sendung ge-

standen, durchaus unrichtig ist. Alle ihre Akte legen übrigens das Zeugniß von dem Geiste ab, der sie stetsfort beseelt hat, und nach dessen Eingebungen sie von Anfang an gehandelt haben. Wir he^en daher die Ueberzeugung, daß die h. ^Bundesversammlung die ^Anspielung, deren wir .so eben erwähnt^ haben, nach ihrem wahren Werthe zu würdigen wissen werde.

Jndem wir mit aller Zuversicht der Entschließung entgegensehen, ^welch^ die h. Bundesversammlung über den ihr eingereichten Rekurs zu fassen für sachgemäß erachten .^ird, benuzen wir diesen Anlaß, Sie, Tit., unserer vollkommensten Hochachtung zu versichern.

. Bern, den 17. Juli 1858.

Jm Namen des schweiz. Bundesrathes , Der Bundespräsident : I)r. ^.urrer Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Schieß.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrathes an den h. schweiz. Ständerath über die vom h. Stande Genf erhobene Beschwerde wegen Anwendung des Art. 57 der Bundesverfassung. (Vom 17. Juli 1858.)

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1858

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2

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35

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31.07.1858

Date Data Seite

241-259

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10 002 533

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