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Bericht der

Commission des Ständerathes über den Recurs des Gemeinderathes Dürnten.

(Vom 12. Dezember 1877.)

Tit.!

Der Recurs des Gemeinderathes Dürnten gelangt heute zum dritten Male zur Berathung. Seine bisherigen Stadien waren folgende : Der den Recurs abweisende Beschluß des Bundesrathes, datirt vom 31. Januar 1876.

Am 14. März 1876 beschloß der Ständerath, auf Antrag seiner Commission, den Entscheid auszustellen bis zum Erlasse eines neuen Stimmrechtsgesetzes, indem die constitutionelle Frage, welche zu dem Recurse Veranlaßung gab, auf dem Wege der Gesetzgebung und nicht auf demjenigen des Recursentscheides zu lösen sei. Dieser Beschluß wurde mit 20 gegen 18 Stimmen gefaßt.

Der Nationalrath seinerseits trat der Motivirung des Bundesrathes am 28. Juni 1876 bei und wies den Recurs mit 59 gegen 17 Stimmen ab.

Am 6. December 1876 hielt der Ständerath an seinem Verschiebungsbeschluß vom 14. März mit 19 gegen 18 Stimmen fest, und am Ì8. December 1876 beharrte der Nationalrath mit 51 gegen 42 Stim men auf seinem den Recurs abweisenden Beschlüsse vom 28. Juni 1876.

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Seither beriethen und vollendeten beide Räthc in der MärzSession von 1877 das Bundesgesez betreffend die politischen Rechte der Niedergelassenen und Aufenthalter, welches durch seinen Artikel 11 den Recurs Dürnten entschied. Da aber gegen dieses Gesetz das Referendum ergriffen wurde, so mußte der Ständerath das Ergebniß der Abstimmung abwarten, bevor er den Recurs in erneuerte Behandlung zog.

Dieser Zeitpunkt ist nunmehr gekommen, indem das Stimmrechtsgesez am 21. October in der Volksabstimmung verworfen wurde. Diese Thatsache nöthigt gleichzeitig den Ständerath zu einem materiellen Entscheide, da keine Aussicht vorhanden ist, daß in der nächsten Zeit ein neues Stimmrechtsgesez zur Vorlage gelangen werde. Mit um so größerer Umsicht wird dieser materielle Entscheid zu treffen sein.

Das Thatsächliche des Recurses darf in der heutigen Berichterstattung als bekannt vorausgesetzt werden; es handelt sich um den Ausweis eines Niedergelassenen über sein Stimmrecht bei einer eidgenössischen Wahl. Der Bundesrath und mit ihm der Nationalrath nehmen an, es genüge der Nachweis der Heimatberechtigung und des 20. Altersjahres; der Gemeinderath von Dürnten verlangt dagegen unter Berufung auf Artikel 43 der Bundesverfassung auch den Nachweis des Activbürgerrechts. Auf diesen Punkt muß demnach die Untersuchung gerichtet sein, und es wird dabei wesentlich der Einfluß der Bundesverfassung von 1874 auf die Niederlassungsund Stimmrechtsverhältnisse in Betracht kommen.

Das Stimmrecht der Niedergelassenen und Aufenthalter in eidgenössischen Angelegenheiten war in der Verfassung von 1848 im engen Zusammenhange mit den Bestimmungen über Niederlassung geordnet.

Art. 42 der 1848er Verfassung besagte: ,,Jeder Niedergelassene kann am Niederlassungsorte seine politischen Rechte in eidgenössischen Angelegenheiten ausüben ;lt und für die Niederlassung gab es nach Art. 41 drei Requisite : a. den Heimatschein, b. das Zeugniß sittlicher Aufführung, c. die Bescheinigung, daß der die Niederlassung Nachsuchende in bürgerlichen Rechten und Ehren stehe (das Activitätszeugniß).

Für das Stimmrecht bei Nationalrathswahlen verlangte Art. 63

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a. das zurückgelegte 20. Altersjahr; b. den Besitz des Activ-Bürgerrechts nach der Gesetzgebung des Wohnsitz-Kantons.

Diese sämmtlichen Bestimmungen standen in Harmonie unter einander; denn mit seinen Ausweisen über das Recht zur N i e d e r l a s s u n g hatte der Niedergelassene auch den Ausweis für seine S t i m m B e r e c h t i g u n g geleistet : das Activitätszeugniß, das er zur Ausübung seines S t i m m r e c h t e s bedurfte, befand sich bereits bei seinen N i e d e r l a s s u n g s p a p i e r e n .

Ebenfalls in Harmonie mit diesen Bestimmungen stehen diejenigen des Bundesgesezes vom 19. Juli 1872 über eidgenössische Wahlen und Abstimmungen.

Art. 2 dieses Gesetzes wiederholt den Art. 63 der Bundesverfassung von 1848 und Art. 5 bestimmt: "Jeder in einer Gemeinde wohnhafte Schweizerbürger ist von Amtswegen in das Stimmregister einzutragen, i n s o f e r n n i c h t d e r b e t r e f f e n d e n B e h ö r d e d i e B e w e i s e d a f ü r v o r l i e g e n , d a ß e r n a c h de n G e s e t z e n d e s K a n t o n s v o m A c t i v b ü r g e r r e c h t e ausgeschlossen ist. " Diese Vorschrift congruirt vollständig mit den bereits angeführten Artikeln der 1848er Verfassung; denn zur Niederlassung bedurfte der Niedergelassene ein Activitätszeugniß; trat nachher ein Grund ein, der ihn vom Activbürgerrechte ausschloß, so war dieser Grund ex officio der Behörde des Wohnortes bekannt und sie konnte ihn vom Stimmregister streichen.

Alle diese Bestimmungen der Bundesverfassung von 1848 und des unter ihrer Herrschaft entstandenen Gesetzes vom 19. Juli 1872 passen so richtig und logisch in einander, daß man wohl sagen kann, ein Streitfall, wie der vorliegende, wäre damals gar nicht möglich gewesen.

Nun kam die Bundesverfassung von 1874.

Sie brachte für die N i e d e r l a s s u n g n e u e Bestimmungen und consequenter Weise auch für die Ausübung des Stimmrechtes.

Von den f r ü h e r e n Requisiten für die Niederlassung wurden fallen gelassen: 1) das Zeugniß sittlicher Aufführung, 2) das Activitätszeugniß.

Als e i n z i g e s Requisit verblieb der Heimatschein oder eine gleichbedeutende Ausweisschrift.

762 Nun mußte sofort die Frage entstehen: Sind dann auch alle Niedergelassenen in eidgenössischen Angelegenheiten stimmfähig?

Darauf antworten zwei Artikel der Bundesverfassung: 1) Art. 74, welcher verlangt, a. daß der Stimmende das 20. Altersjahr zurükgelegt habe und b. daß er nach der Gesetzgebung des Kantons, iu weichern eisernen Wohnsitz hat, nicht vom Activbürgerrecht ausgeschlossen sei; und 2) Art. 43, welcher lautet : Jeder Kantonsbürger ist Schweizerbürger.

Als solcher kann er bei allen eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen an seinem Wohnsitze Antheil nehmen, n a c h d e m e r sich ü b e r seine S t i m m b e r e c h t i g u n g gehörig a u s g e w i e s e n hat.

Diese n e u e D i s p o s i t i o n (welche übrigens bereits in der verworfenen Bundesverfassung von 1872 enthalten war) erscheint als nothwendige Folge der veränderten Bestimmungen über die Niederlassung; denn nunmehr befand sich der Ausweis über die Stimmberechtigung nicht mehr wie früher in den Ausweisschriften für die Niederlassung und die Requisite für die Niederlassung und das Stimmrecht d e c k t e n s i c h nicht mehr wie früher.

Da man aber das Requisit des A c t i v b ü r g e r r e c h t e s für die Ausübung des S t i r n m r e c h t e s nicht preisgeben wollte (wie man es für die Niederlassung gethan hatte), so blieb schlechterdings nichts Anderes übrig, als demjenigen, der das Stimmrecht ausüben wollte, den Beweis für seine Berechtigung zu überbinden, und das geschah durch Art. 43 der Bundesverfassung, der mit eben so kurzen als präcisen Ausdrücken sagt, daß der Stimmende vor seiner Zulassung sich über seine Stimmberechtigung auszuweisen habe.

Die Tragweite dieser Consequenz wurde klar und gelangte zum vollen Bewußtsein, als die Räthe im Jahre 1874 an die Ausarbeitung eines Bundesgesetzes über die politische Stimmberechtigung der Schweizerbürger schritten.

Die Stimmberechtigung wurde wiederum an 3 Requisite gebunden :x a. das Schweizerbürgerrecht, b. das 20. Altersjahr und c. das Activbürgerrechi'. Bezüglich des Nachweises dieser Requisite spaltete man aber und sagte : Ueber das Schweizerbürgerrecht und das Alter muß sich derjenige ausweisen, welcher stimmen will; es ge-

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schiebt das durch die Vorweisung eines einfachen Heimatscheines welcher die Heimat und das Alter angiebt; für den Besitz des A cti v b ü r g e r r e c h ts dagegen wird eine Präsumtion, eine Rechtsvermuthung aufgestellt, welche so lange dauert, bis der G e g e n b e w e i s geleistet ist, sei es durch die Behörde, sei es durch einen dritten Einsprecher.

Diese Spaltung in der Beweislast für die Requisite des Stimmrechtes fiel mit der Verwerfung des ganzen Gesetzes in der Volksabstimmung dahin.

Bei der zweiten Bearbeitung des Stimmrechtsgesetzes wurde die Präsumtion für das Activbürgerrecht fallen gelassen und an deren Stelle eine vom Stimmenden selbst ausgehende Erklärung gesetzt, daß bei ihm die gesetzlichen Gründe für Ausschluß vom politischen Stimmrechte nicht vorhanden seien. Die Räthe glaubten der Vorschrift der Verfassung Genüge zu leisten, wenn sie für den Nachweis des Activbürgerrechtes wenigstens eine positive Thätigkeit des Stimmenden verlangten und eine wissentlich falsch abgeO O gebene Erklärung mit Strafe bedrohten.

Allein auch dieses zweite Stimmrechtsgesetz wurde in der Volksabstimmung vom 21. Oktober abhin verworfen.

Wir sind somit wiederum an den einfachen Wortlaut der Bundesverfassung zurückverwiesen.

Bei dieser Sachlage glaubt Ihre Commission, könne es den Räthen, wenn sie ihre Stellung zu der nunmehrigen Einrichtung der eidgenössischen Gesetzgebung richtig auffassen, nicht zukommen, durch einen Rekursentscheid, der dem Referendum nicht unterliegt, in eine an sich vollkommen klare Verfassungsbestimmung Weiteres oder O ö Anderes hineinzulegen, als sie selbst besagt.

Daß durch die neue Verfassung Bestimmungen eidgenössischer Gesetze, sowie kantonaler Verfassungen und Gesetze, welche mit ihr im Widerspruche stehen, außer Kraft treten, ist selbstverständlich, auch wenn es Art. 2 der Uebergangsbestimmungen vom 31. Januar 1874 nicht deutlich sagen würde.

Von dieser Wirkung wird Art. 5 des Gesetzes vom 19. Juli 1872 betroffen, indem derselbe n e g a t i v darauf abstellt, daß der Behörde nicht der Beweis für den Ausschluß vorn Aktivbürgerrechte vorliege, während Art. 43 der Bundesverfassung .von 1874 eine p o s i t i v e Thätigkeit des Stimmenden verlangt: er hat sich über sein Stimmrecht auszuweisen.

764 Dieser Widerspruch zwischen dem altern Gesetze und der neuern Verfassung ist, wie bereits dargethan worden, die Folg« der veränderten Bestimmungen über die Niederlassung. Früher war der Niedergelassene, weil er zur Niederlassung ein Aktivitätszeugniß bedurfte, eo ipso stimmberechtigt und konnte nur d a n n nichtstimmen, wenn der Behörde die Beweise dafür vorlagen, daß er nach den Gesezen des Kantons vom Aktivbürgerrechte ausgeschlossen sei.

Jetzt dagegen weiß die Behörde nicht mehr, ob sie einen Aktivbürger vor sich hat oder nicht; denn aus seinen Niederlassungspapieren kann sie ein Mehreres nicht ersehen, als ob der Betreffende in der Schweiz heimatberechtigt und 20 Jahre alt ist; sie muß ihm daher den Nachweis für das dritte Requisit des Stimmrechts, nämlich das Aktivbürgerrecht, a b v e r l a n g e n , und der Stimmende muß ihr diesen Nachweis liefern. Das und nichts weiter besagt Art. 43 der Bundesverfassung.

"&· Nicht im Widerspruch, sondern in Uebereinstimmung mit der Verfassung ist hinwieder Art. 10 des Bundesgesetzes betreffend Volksabstimmung über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse vom 17. Juui 1874, indem er wörtlich den Art. 74 der Bundesverfassungreproduzirt und wie dieser, was den N a c h w e i s der Stimmberechtigung anbelangt, durch den Art. 43 der Verfassung ergänzt wird.

Nach dieser Darstellung und Abwägung der Verfassungs- und Gesetzesbestimmungen für sich und in ihrem Zusammenhange erübrigt uns noch eine kurze Besprechung der vom Bundesrathe und Nationalrathe adoptirten Erwägungsgründe.

Der Bundesrath bezeichnet den Widerspruch zwischen Art. 5 des Bundesgesetzes vom 19. Juli 1872 und Art. 43 der späteren Bundesverfassung von 1874 nur als einen s c h e i n b a r e n , indem in Art. 43 nicht vorgesehen sei, in w e l c h e m U m f a n g e der Ausweis für die Stimmberechtigung zu leisten sei, ob nur für das Schweizerbürgerrecht und das 20. Altersjahr, oder auch für das Aktivbürgerrecht, jedenfalls sei nicht ausdrücklich gesagt, daß der Stimmende auch den Nachweis für das Aktivbürgerrecht zu erbringen habe.

Darauf ist zu erwidern, daß Art. 43 von der ,,Stimmberechtigungtt im Allgemeinen spricht, also doch wohl von a l l e n Requisiten derselben; er nennt auch das Schweizerbürgerrecht und das 20. Altersjahr nicht speziell, und dennoch wird hier der Nachweis für unerläßlich
betrachtet. Wollte nur der Nachweis des einen oder andern Requisites verlangt werden, so mußte das gesagt werden, und man kann deßhalb nicht argumentiren: weil das Re-

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quisit des Aktivbürgerrechts nicht besonders g e n a n n t sei, so sei «s auch nicht g e m e i n t . Vielmehr tritt hier die bekannte Interpretationsregel ein: Wo das Gesetz nicht unterscheidet, soll auch der Richter nicht unterscheiden.

Im Weitern erwähnt der Bundesrath, daß Art. 74, Satz l der jetzigen Bundesverfassung schon im Art. 63 der früheren Bundesverfassung gestanden habe und durch Art. 5 des Bundesgesetzes vom 19. Juli 1872 von der Bundesversammlung dahin interpretirt worden sei, daß der Besitz des Aktivbürgerrechtes zu präsumiren sei.

Diese Argumentation trifft nicht zu, weil sie sich auf dem Boden der Verfassung von 1848 bewegt, während hier gerade der Einfluß O .

Öl o der neuen Bundesverfassung und besonders ihres Artikels 43 zu untersuchen ist. Die von der Bundesversammlung von 1872 aufO .gestellte Präsumtion ist nun aber bereits durch die Verfassung von 1874 zerstört worden, und noch prägnanter hat es die Volksabstimmung über das Stimmrechtsgesetz gethan.

Der Bundesrath erwähnt sodann in Ziffer 5 seiner Entscheidungsgründe, daß Art. 74, Satz l der Bundesverfassung in das spätere Gesetz vom 17. Juni 1874, betreffend Volksabstimmung über Bundesgesetze, übergegangen sei. Die Thatsache ist richtig, beweist aber nichts. Denn dieser Art. 74 wird seinerseits ergänzt durch Art. 43 der Bundesverfassung, und wenn er wörtlich in ein Bundesgesetz übergeht, so findet er auch an dieser Stelle seine Ergänzung durch Art. 43 der Verfassung, der die Beweispflicht für die Stimmberechtigung dem Stimmenden auflegt.

Daß die von den eidgenössischen Räthen im ersten und zweiten Stimmrechtsgesetze dem Art. 43 gegebene Auslegung (Präsumtion und eigene Déclaration des Stimmenden) nicht als taugliches Interpretationsmittel verwendet werden kann, liegt auf der Hand, nachdem diese beiden Gesetze vom Volke verworfen worden sind.

Endlich sagt der Bundesrath: ,,Die Bundesbehörden haben stets, auch unter der neuen Bundesverfassung, festgehalten, daß die Ausübung des Stimmrechts in eidgenössischen Angelegenheiten nicht an unnöthige oder unberechtigt erschwerende Forderungen geknüpft werden dürfe. tt Die Commission hat gegen d i e s e n Satz durchaus nichts einzuwenden, so lange er sich innerhalb den Schranken der Verfassung bewegt; es wird auch schwerlich damit gesagt sein wollen, daß diese Schranken gelegentlich bei Recursentscheiden überschritten werden dürfen.

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Fragt man m a t e r i e l l , ob die Forderung des Nachweises des Activbürgerrechts eine unnöthige oder unberechtigt erschwerende sei, so wird man sie eine u n n ö t h i g e nicht nennen können, ohne in den directesten Widerspruch mit Art. 43 der Bundesverfassung zu kommen, denn so lange das Activbürgerrecht als Requisit des Stimmrechts in eidgenössischen Angelegenheiten im Grundgesetz selbst aufgestellt wird, so lange ist man nicht berechtigt, den Nachweis dieses Requisites als eine u u n ö t h i g e Forderung zu bezeichnen.

Ob sie eine u n b e r e c h t i g t e r s c h w e r e n d e sei, darüber kann man de lege ferenda allerdings verschiedener Ansicht sein; de lege lata aber ist sie wenigstens nicht u n b e r e c h t i g t , denn Art. 43 der Bundesverfassung schreibt sie vor.

Daß in der Forderung des Nachweises des Activbürgerrechts eine E r s c h w e r u n g für die Ausübung des Stimmrechtes liegt, soll nicht geläugnet werden: allein diese Erschwerung ist offenbar bewußt in den Art. 43 gekommen, sonst wäre es ja ein Leichtes gewesen, dieser Bestimmung eine andere Fassung zu geben. Aber auch wenn sie unbewußt, beziehungsweise aus Versehen in die Verfassung sollte aufgenommen worden sein, so würde daraus noch keineswegs gefolgert werden dürfen, daß nun die Räthe berechtigt seien, über den klaren Wortlaut der Verfassung hinauszugehen und dem Art. 43 einen Inhalt zu geben, der zu den Worten nicht paßt.

Die Commission empfiehlt Ihnen deßhalb einstimmig, nachfolgenden Antrag zum Beschlüsse des Ständerathes zu erheben.

Der schweizerische Ständerath hat in Sachen des Gemei nderathes von Dürnten, Kantons Zürich, betreffend Stimmrecht der Niedergelassenen ; nach Einsicht der Acten und des Beschlusses des Bundesrathes vom 31. Januar 1876; im Anschlüsse an diein diesem Beschlüsse enthaltene Darstellung des Thatsächlichen, jedoch in Erwägung: 1. Die Bundesverfassung von 1848 gewährleistete in Art. 41 allen Schweizern das Recht der freien Niederlassung im ganzen

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-Umfange der Eidgenossenschaft, wenn sie folgende Ausweisschriften besaßen : a) einen Heimatschein oder eine andere gleichbedeutende Ausweisschrift ; b) ein Zeugniß sittlicher Aufführung; e) e i n e B e s c h e i n i g u n g , daß sie in b ü r g e r l i e h e n R e c h t e n und Ehren stehen.

Art. 42 derselben Verfassung bestimmte: ,, Jeder Kantonsbürger ist Schweizerbürger. Als solcher kann er in den eidgenössischen und kantonalen Angelegenheiten die politischen Rechte in jedem Kanton ausüben, i n w e l c h e m er n i e d e r g e l a s s e n ist." 1 Endlich verfügte Art. 63 für die Theilnahme an den Nationalrathswahlen : ,,Stimmberechtigt ist jeder Schweizer, der das zwanzigste Altersjahr zurückgelegt hat und im Uebrigen nach der Gesetzgebung des Kantons, in welchem er seinen Wohnsitz hat, nicht vom Activbürgerrecht ausgeschlossen ist. "· 2. Aus dem Zusammenhalte dieser Bestimmungen der Verfassung von 1848 ergibt sich, daß der Ausweis über die Stimmberechtigung eines Niedergelassenen bereits in seinen Ausweisschriften für die Niederlassung enthalten war; denn der Nachweis für die Requisite des Schweizerbürgerrechts und das zwanzigste Altersjahr lag in dem Heimatschein oder der gleichbedeutenden Ausweisschrift, deren er zur Niederlassung bedurfte, und der Nachweis für das Requisit des Activbürgerrechts lag in der Bescheinigung, daß er in bürgerlichen Rechten und Ehren stehe, die er ebenfalls zur Erlangung der Niederlassung beizubringen hatte. Es erklärt sich daraus die Passung von Art. 5 des unter der Herrschaft der Bundesverfassung von 1848 entstandenen Bundesgesetzes betreffend die eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen vom 19. Juli 1872, welcher lautet : ,,Jeder in einer Gemeinde wohnende Schweizerbürger ist von Amtes wegen in das Stimmregister, einzutragen, insofern nicht der betreffenden Behörde die Beweise dafür vorliegen, daß er nach den Gesetzen des Kantons vom Activ-Bürgerrecht ausgeschlossen sei.a 3. Die Bundesverfassung von 1874 bindet in Artikel 45 den Erwerb der Niederlassung nur noch an den Besitz eines Heimatscheins oder einer gleichbedeutenden Ausweisschrift. Für die S t i m m b e r e c h t i g u n g dagegen stellt sie in Artikel 47 genau die-

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selben Requisite auf, wie sie in Artikel 63 der alten Verfassung enthalten waren, nämlich : a) das Schweizerbürgerrecht ; b) das 20. Altersjahr und c) den Besitz des Activ-Bürgerrechts nach der Gesetzgebung des Wohnsitz-Kantons.

In den Ausweisschriften für die Niederlassung findet sich demnach bloß noch der Ausweis für z w e i Requisite der Stimmberechtigung: das Schweizerbürgerrecht und das 20. Altersjahr. Zur Ergänzung dieser Lücke tritt Artikel 43 der Bundesverfassung ein, welcher (den Artikel 42 der alten Bundesverfassung in diesem Punkte rnodificirend) bestimmt : Jeder Kantonsbürger ist Schweizerbürger.

Als solcher kann er bei allen eidgenössischen Wahlen und ö Abstimmungen Antheil nehmen, n a c h d e m er s i c h ü b e r s e i n e S t i m m b e r e c h t i g u n g g e h ö r i g a u s g e w i e s e n hat.

Es folgt daraus mit Notwendigkeit, daß der Nachweis für .das dritte Requisit der Stimmberechtigung, das Activ-Bürgerrecht, von dem Stimmenden zu erbringen ist, indem eine Verfügung, wonach die Behörde den Beweis des Ausschlusses eines Stimmenden vom Stimmrechte zu erbringen hätte, weder in der Bundesverfassung noch in einem unter ihrer Herrschaft erlassenen und vom Volke angenommenen Bundesgeseze enthalten ist.

4. Die eidgenössischen Räthe haben zwar versucht, diesen Nachweis für das Activ-Bürgerrecht zu ersetzen, sei es durch eine Präsumtion desselben, sei es durch eine schriftliche Erklärung des Stimmenden^ über den Besiz des Aktiv-Bürgerrechts. Die betreffenden Gesetze sind aber beide in der Volksabstimmung unterlegen und die Bestimmungen, welche sie enthielten, können daher nicht für die Auslegung des Artikel 43 der Verfassung verwendet werden, um so weniger, als es sich hier um einen der Volksabstimmung nicht unterliegenden Recurs-Entscheid handelt.

5. Der Wortlaut des Artikel 43 ist an sich klar, und die Vergleichung desselben mit dem Artikel 42 der alten Verfassung ergibt, daß die veränderte Bestimmung mit Bewußtsein und im Zusammenhang mit der veränderten Regulirung der Niederlassungsverhältnisse getroffen worden ist, daher nicht auf eine ungenaue Rédaction zurückgeführt werden kann.

6. Kantonale Verfassungs- und Gesotzes-Bestimmungen, wie auch eidgenössische, welche mit der neuen Bundesverfassung im

769 "Widerspruche stehen, sind mit Annahme dieser Verfassung außer Kraft getreten, gemäß Artikel 2 der Uebergangsbestimmungen vom 29. Mai 1874, und es wird damit die Berufung auf Artikel 5 des Bundesgesezes vom 19. Juli 1872 hinfällig.

7. Der Recurs fällt nur insoweit dem Entscheide durch die eidgenössischen Räthe anheim, als es sich um die Stimmberechtigung des Eduard Bodenmüller bei e i d g e n ö s s i s c h e n Wahlen und Abstimmungen handelt; beschlossen: Der Recurs des Gemeinderathes Dürnten wird als begründet erklärt.

Bern, den 12. Dezember 1877.

Namens der Commission, Der B e r i c h t e r s t a t t e r :

Stehlin.

Die M i t g l i e d e r der C o m m i s s i o n waren: Stehlin.

Schaller.

Birmann.

Nagel.

Hold.

Bundesblatt. 29. Jahrg. Bd. IV.

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Bundesrathsbeschluss in

Sachen der Direktion der Bank in Zürich, betreffend Verlezung der Gewerbefreiheit.

(Vom 3. Dezember 1877.)

' Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r a t h hat in Sachen der Direktion der B a n k in Z ü r i c h , betreffend Verlezung der Gewerbefreiheit ; nach angehörtem Berichte des Justiz- und Polizeidepartements und nach Einsicht der Akten, woraus sich ergeben: I. Am 15. April 1877 wurde im Kanton Zürich in der Volksabstimmung ein Gesez b e t r e f f e n d A u s g a b e von Bankn o t e n angenommen, von folgendem Inhalte: ,,§ 1. Die Zürcher Kantonalbank hat auf dem Gebiete des Kantons Zürich allein das Recht, Banknoten auszugeben.

,,§ 2. Die bisanhin den Privatbanken ertheilten Bewilligungen zur Ausgabe von Banknoten werden zurükgezogen, und es sind diese Banken nicht weiter berechtigt, ihre eingegangenen Noten wieder auszugeben. Ueberdies haben sie dafür zu sorgen, daß inner zwei Jahren vom Inkrafttreten dieses Gesezes an ihre sämmtlichen Banknoten aus dem Verkehre zurükgezogen, nötigenfalls, gerichtlich aufgerufen und als kraftlos erklärt werden.

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Bericht der Commission des Ständerathes über den Recurs des Gemeinderathes Dürnten.

(Vom 12. Dezember 1877.)

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22.12.1877

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