805

# S T #

Bericht des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend Umwandlung von Strohbedachungen längs des Bahnkörpers der Nationalbahn.

(Vom 7. Dezember 1877.)

Tit.!

Die Direktion der schweizerischen Nationalbahn beschwert sich bei Ihnen über einen Beschluß, durch welchen wir diese Gesellschaft verpflichtet haben, gewisse mit Stroh gedekte Häuser in Ober-Entfelden mit einer feuerfesten Bedachung zu versehen, und ersucht uns dabei, Ihnen zugleich die auf die Frage bezüglichen Akten zu überweisen.

Indem wir diesem Begehren hiemit entsprechen, beehren wir uns, den Rekurs mit folgenden orientirenden Bemerkungen zu begleiten.

Als im Jahr 1875 die Nationalbahn die Baupläne für mehrere aargauische Gemeinden, darunter Ober-Entfelden, zur Genehmigung vorlegte, machten einige Bewohner von Ober-Entfelden auf die Feuersgefahr aufmerksam, welche einigen mit Stroh gedekten Häusern (sie führten beispielsweise 3 speziell an) vom Funkenwurf der Lokomotiven drohe, und die Regierung von Aargau stellte dann das Begehren, daß entweder die Station Entfelden aus dem dortigen Häuserknäuel verlegt oder die bedrohten Strohdächer mit Ziegeln gedekt werden.

806

Die Direktion der Nationalbahn, welcher die Petition von OberEntfelden und die Vernehmlassung der aargauischen Regierung zur Kenntniß gebracht worden war, erklärte sich bereit, das Strohdach eines der speziell bezeichneten Häuser durch eine feuersichere Bedachung zu ersezen, -wenn ihr die gesezliche Prämie dafür zugesprochen werde.

Durch Beschluß vom 7. September 1875 genehmigten wir die betreffenden Pläne unter der Bedingung : ,,Die bedrohten Strohdächer bei der Station Entfelden sollen mit Ziegeln eingedekt werden."

Als dann im Laufe dieses Jahres die Regierung von Aargau sich darüber beschwerte, daß die Nationalbahn diese ihre Verbindlichkeit noch immer nicht erfüllt habe, präzisirten wir obige Bedingung durch Beschluß vom 7. September 1877 dahin, daß die Nationalbahn vier speziell bezeichnete Häuser in Ober-Eutfelden mit einer feuerfesten Bedachung zu versehen habe.

Auf abermalige Beschwerde der Kantonsregierung von unserem Eiseubahndepartement an ihre Verpflichtung gemahnt, stellt nunmehr mit Eingabe vom 21. vorigen Monats die Nationalbahndirektion bei Ihnen das Gesuch, es möchte unsere Schlußnahme aufgehoben, eventuell jedenfalls vor einer grundsäzlichen, alle schweizerischen Bahnen in gleicher Weise verbindlich machenden Ordnung deiMaterie nicht in Vollzug gesezt werden.

Die Gründe, auf welche die Rekurrentin sich stüzt, sind im Wesentlichen folgende : An Plangenehmigungen können nur solche Bedingungen geknüpft werden, welche sich auf das Eisenbahngesez gründen und demselben entlehnt sind ; es dürfen den Bahnen nicht Leistungen an Private und Korporationen auferlegt werden, welche mit dem Bau und Betrieb der Bahn selbst nichts zu thun haben. Dieses Requisit treffe im vorliegenden Falle nicht zu. Insbesondere könne die Schlußnahme nicht durch Artikel 16, Absaz 2 des Eisenbahngesezes, auf welchen der Bundesrath sich stüzte, gerechtfertigt werden. Nach dem Wortlaut und nach der Entstehungsgeschichte interpretirt, beziehe sich diese Gesezesstelle nur auf Vorkehrungen (Einfriedigungen, Bahnwärterposten), welche die Bewegung von Menschen und Thieren vor dem Bahnbetrieb und umgekehrt sicher stellen sollen.

Die der Nationalbahn gemachte Auflage verstoße in hohem Grade auch gegen die Billigkeit ; die Gefahr, welcher begegnet werden wolle, sei nicht durch die Bahn erzeugt, sondern nur durch sie gesteigert; sie liege vielmehr in einer polizeiwidrigen Konstruktion, welche als gemeingefährlich schon längst hätte verpönt werden

807

sollen. Nun aber würden die Besizer der verwerflichen Strohdächer nicht nur jeder Verpflichtung, sie zu beseitigen oder wenigstens an die Kosten der Umdekung beizutragen, entbunden, sondern auf Unkosten der Bahngesellschaft einen erheblichen Gewinn davontragen.

Eventuell sollte die Materie nicht durch Spezialerlasse geregelt werden, sondern durch eine allgemein verbindliche Vollziehungsverordnung, welche die gefährlichen Konstruktionen und Distanzen näher zu bezeichnen und das Maß, in welchem die E igen l,h timer jener Konstruktionen für die Kosten in Mitleidenschaft gezogen werden können, festzusezen hätte. Diese Verordnung sollte dann auch auf die bereits im Betriebe befindlichen Bahnen Anwendung finden; denn es sei kein Grund vorhanden, einen Zustand, der hier als gefährlich erklärt werde, an einem andern Orte (es werden mehrere an andern Linien liegende Strohdachhäuser angeführt, welche nicht weiter vom Bahnkörper entfernt sind, als die fraglichen Häuser in Ober-Entfelden) zu dulden, bloß weil man zur Zeit des Baues die Gefährlichkeit nicht eingesehen habe.

Der Rekurs scheint uns formell und materiell unzuläßig, resp.

unbegründet zu sein.

Ganz abgesehen davon, ob die rekurrirte Schlußnahme gerechtfertigt gewesen sei oder nicht, ist im gegenwärtigen Stadium der Sache eine Beschwerde überhaupt nicht mehr statthaft. Die Regierung von Aargau machte seinerzeit ihre Zustimmung zu den Bauplänen davon abhängig, daß entweder die Station aus dem Häuserknäuel verlegt oder aber die bedrohten Strohdächer beseitigt werden. Der Nationaibahn wurde lezteres befohlen, und sie führte das Tracé (die Station mitten im Dorfe") aus, und nun nach zwei Jahren, wo die stillschweigend und durch konkludente Handlungen acceptirte Bedingung erfüllt werden soll, wo das Trace nicht mehr geändert werden kann, lehnt sie sich auf einmal gegen die Bedingung auf.

Ein solches Verfahren darf unseres Erachtens in keiner Weise anerkannt und geschüzt werden.

Der Rekurs ist sodann deßwegen unzuläßig, weil sieh die angefochtene Schlußnahme innerhalb der Schranken unserer Kompetenz hält und einen Gegenstand beschlägt, welcher der endgültigen Entscheidung des Bundesrathes unterliegt.

Unbestreitbar und unbestritten ist, daß in der Nähe des Bahnkörpers liegende leicht brennbare Objekte der Gefahr der Entzündung* durch den Funkenwurf
der Lokomotiven ausgesezt sind.

Die Verhütung von Feuersbrünsten aber ist nach mehr als einer Richtung ein eminentes öffentliches Interesse, also eines derjenigen

808

Interessen, welche der Bundesrath nach Anhörung der kantonalen und lokalen Behörden gemäß Artikel 14, Absaz 2 des Eisenbahngesezes zu wahren berufen ist. Der zweite Saz von Lemma 2 des Artikels 16 des nämlichen Gesezes sodann soll ohne Zweifel nicht bloß noch einmal wiederholen, was der erste Saz dieses Lemma bereits besagt, sondern er enthält das allgemeine Prinzip, daß die Bahnen alles vorzukehren haben, damit durch sie die öffentliche Sicherheit nicht gefährdet werde. Es ist das nämliche Prinzip, welches auch Artikel 7 des Bundesgesezes betreffend die Verbindlichkeit zur Abtretung von Privatrechten aufstellt. Daß leztere Bestimmung auch gegen die durch den Bahnbetrieb herbeigeführte Feuersgefahr angerufen werden kann, daß speziell die Besizer der vier Häuser, welche nach unserer Schlußnahme der Umdekung unterliegen, vom Standpunkt des Privatrechtes und Privatinteresse Ansprüche gegen die Nationalbahn hätten erheben können, unterliegt wohl keinem Zweifel; die Cahndirektion scheint denn auchdurch Vertrag sich zur Umdekung wenigstens eines der Häuser verpflichtet zu haben und machte von Anfang an keine ernstliche Einwendung dagegen, daß ihr in diesem beschränkten Umfang vom Standpunkt der öffentlichen Interessen eine Umdekung anbefohlen werde.

Wir können noch hinzusezen, daß in Oesterreich die Frage prinzipiell gleich gelöst worden ist; durch eine Reihe von Spezialerlassen der Staatsverwaltung und der Staatseisenbahnverwaltung wurden theils allgemein alle Bahnen, theils einzelne speziell verpflichtet, alle Strohdächer in einem Rayon von 15 (ursprünglich 30) Klaftern von der Geleisemitte umzudeken, und zwar, wie sich aus dem Zusammenhang unzweideutig ergibt, auf ihre alleinigen Kosten.*) Und in denjenigen Staaten, wo Vorschriften darüber bestehen, welche Entfernung vom Bahnkörper einer bereits gebauten Bahn neu zu errichtende Gebäude einzuhalten haben, ergibt sich als Corollar die Pflicht einer im Bau befindlichen Bahn, von einem bereits bestehenden Gebäude entweder eben so weit entfernt zu bleiben oder dasselbe gegen die Feuersgefahr zu schüzen, resp. zu expropriiren.

Aus dem Gesagten erhellt wohl mit genügender Klarheit, daß die von uns gesezte Bedingung keineswegs willkürlich herbeigezogen, sondern daß sie durch den Bahnbau, resp. den in Aussicht gestandenen Bahnbetrieb veranlaßt worden ist. Die
von uns der Nationalbahndirektion gegenüber erwähnten Analogien (Verpflichtung zu Uferversicherungen an Flüssen und Seen, zürn Schuze der benach*) Pollanez, Samml. der das österreichische Eisenbahnwesen betreifenden G-eseze etc., I. Bd., S. 73, 77, 78, 81, 82.

809 harten Grundstüke und Gebäude gegen das Weichen von Dämmen und Einschnittböschungen) können nicht besser aus dem Eisenbahngesez abgeleitet und damit begründet werden als die Verpflichtung zum Umbau von Strohdächern, und doch sind begreiflicher Weise jene Beispiele von der Rekurrentin nicht angefochten worden.

Das Stoßende bei der ganzen Angelegenheit ist der Umstand, daß der Bahngesellschaft wegen solcher Konstruktionen, die aus allgemein polizeilichen Gründen allerdings verwerflich sind, Kosten erwachsen und daß der durch die Umdekung geschaffene Mehrwerth in der Hauptsache (abgesehen von der Prämie) nicht ihr, sondern dem Eigenthürner des Hauses zufällt. So sehr dieser Mißstand zu bedauern ist, so wenig kann er das Prinzip der Entscheidung ändern. So lange die mit Stroh gedekten Häuser vom kantonalen Rechte geduldet werden, haben sie auch gegenüber den Eisenbahnen und vor den Bundesbehörden Anspruch auf Schuz. In hundert andern Beziehungen müssen ja faktische Zustände respektirt werden, deren Neubegründung nicht bewilligt würde. In besonders grellen Fällen könnte die Bahngesellschaft sich vielleicht damit helfen, daß sie das ganze Gebäude enteignen und dem dasselbe allenfalls revindizirenden Eigenthümer die darauf verwendeten Kosten in Anschlag bringen würde. (Bundesgerichtliche Entscheidungen, '1877, Nr. 28.)

Zu dem eventuellen Begehren endlich halten wir die Nationalbahn nicht für legitimirt. Es kann ihr füglich gleichgültig sein, ob sie durch Spezia.lverfügung oder kraft allgemeiner Vorschrift zur Umdekung der 4 Häuser verhalten werde ; denn so viel ist sicher, daß eine Verordnung die Zone, in welcher keine Strohdächer geduldet werden können, nicht enger ziehen könnte, als es geschehen ist (15 Meter von der Bahnachse). Der Grund liegt in der Natur der Sache. Weiter hinab geht denn auch keines der uns bekannten Geseze, resp. Réglemente.

Zumal jezt, wo die Bauthätigkeit in Eisenbahnsachen ganz oder nahezu zum Stillstand gekommen ist, halten wir eine allgemeine Regulirung der Materie für kein Bedürfniß. Dieselbe könnte übrigens, wenn wenigstens den Häuserbesizern eine gewisse Beitragspflicht zugeschoben werden sollte, nicht im Wege einer bundesräthlichen Verordnung, sondern nur im Wege des Gesezes stattfinden. Sofern bei Entscheidung der einzelnen Fälle die gleichen Grundsäze befolgt werden, so wird durch Spezialverfügungen ganz das nämliche Resultat erreicht, wie durch eine allgemeine Verordnung.

810

Wenn einzelne Kantonsregierungen früher, wo die Genehmigung der Eisenbahnbaupläne ihnen zustand, Strohdächer in gefährlicher Nähe der Bahnen geduldet haben, so ist dies kein Grund, sobald heute ein begründetes diesfälliges Begehren gestellt wird, dasselbe abzuweisen. Wo verschiedene Behörden über einen gleichartigen administrativen Gegenstand zu entscheiden haben, lassen sich solche Ungleichheiten überhaupt kaum vermeiden.

Den vorstehenden Ausführungen gemäß beantragen wir Ihnen, auf den Rekurs der Nationalbahn nicht einzutreten, eventuell denselben als unbegründet abzuweisen.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommensten Hochachtung.

B e r n , den 7. Dezember 1877.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident: Dr. J. Heer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft:

Schiess.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend Umwandlung von Strohbedachungen längs des Bahnkörpers der Nationalbahn. (Vom 7. Dezember 1877.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1877

Année Anno Band

4

Volume Volume Heft

57

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

29.12.1877

Date Data Seite

805-810

Page Pagina Ref. No

10 009 804

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.