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Schweizerisches Bundesblatt.

29. Jahrgang. I.

Nr. 8.

24. Februar 1877.

J a h r e s a b o n n e m e n t (portofrei in der ganzen Schweiz): 4 Franken.

E i n r ü k u n g s g e b ü h r per Zeile 15 Rp. -- Inserate sind franko an die Expedition einzusenden.

Druk und Expedition der StämpflischenBuchdrukereii in Bern.

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Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend die: Frage, ob Vorlagen an das Schweizervolk mit einer erläuternden Botschaft zu begleiten seien.

(Vom 14. Februar 1877.)

Tit.!

Unterm 1. Juli 1875 hat die Bundesversammlung folgendes Postulat angenommen : ,,Der Bundesrath wird eingeladen, die Frage zu prüfen und darüber Bericht zu erstatten, ob bei Volksabstimmungen über Geseze und Beschlüsse nicht eine offizielle Kundgebung von Seiten der Bundesversammlung (Delegirten) oder des Bundesrathes an das Schweizervolk gerichtet werden soll."

Bin passender Anlaß, diese Frage zur Sprache zu bringen, hätte sich bei Berathung des revidirten Entwurfes eines Bundesgesezes über den Geschäftsverkehr zwischen den eidgenössischen Räthen dargeboten, welchen Entwurf der Bundesrath infolge Ihrer Einladung vom 10./17. März 1876 in Bearbeitung gezogen hat.

. Da jedoch die Traktandenliste der Bundesversammlung bereits mit mehreren andern Gesezentwürfen und zwar höchst wichtigen überladen ist, so glaubten wir für einstweilen die Vorlage des leztgedachten Gesezentwurfes verschieben und uns darauf beschränken zu sollen, die dringendere Spezialfrage der hier in Rede stehenden amtlichen Kundgebung bei Referendumsvorlagen zu behandeln.

Bundesblatt. 29. Jahrg. Bd. I.

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266 Seit Erlaß der Bundesverfassung sind vier Bundesgeseze gemäß Artikel 89 der Verfassung der Volksabstimmung unterstellt worden, nämlich : das Gesez über Civilstand und Ehe (wurde angenommen), das Gesez über Stimmberechtigung, das Gesez über Banknoten, das Gesez über Militär-Ersazsteuer, welche leztern drei sämmtlich verworfen worden sind.

Von diesen drei leztern sind zwei wieder vor den gesezgebenden Räthen hängend, und wiewohl nicht mit Sicherheit vorauszusagen ist, ob für das eine oder das andere oder für beide von diesen, oder auch für eint oder das andere von den nicht minder wichtigen übrigen Gesezen, die gegenwärtig in Berathung liegen, vom Referendumsrechte Gebrauch gemacht werden wird, so erscheint es immerhin zwekmäßig, bereits jezt, im Hinblike auf solche näher in Aussicht stehende Eventualitäten, auf den Punkt einzugehen, den das Postulat vom 1. Juli 1875 im Auge hat.

In den meisten Kantonen, wo das Referendum besteht, ist es üblich, jeden der Volksabstimmung unterliegenden Gesezentwurf mit einer Botschaft der betreffenden Behörde zu begleiten, welche den Bürgern die Motive, die dem Geseze zu Grunde liegen, auseinandersezt. Man findet diese Uebung ganz demokratisch, und es ist in der That nur natürlich, daß dem Volke, das eine Frage souverän entscheiden soll, von seinen Mandataren alle Erläuterungen ertheilfc werden, welche nothwendig erscheinen, um seiner Stimmgebung über die -- oft sehr schwierigen -- Gegenstände eine möglichste Abklärung vorausgehen zu lassen.

Allerdings wird hiezu von anderer Seite -- von der Presse, von einflußreichen Männern -- mitgewirkt ; man wird jedoch nicht in Abrede stellen können, daß ihre Beurtheilungen im Allgemeinen vom Parteigeist beeinflußt und nicht von der wünschbaren Objektivität sind. Die Anhänger eines Gesezes sind natürlich geneigt, die ersprießlichen Wirkungen desselben zu übertreiben, die Gegner aber pflegen den Sinn und die Tragweite des Entwurfs zu entstellen, und oft bloß eingebildete Uebelstände aus ihm abzuleiten. Zwischen diese zwei sich widersprechenden Stimmen gestellt, und in vielen Fällen nur im Besize eines Purteiblattes, weiß der Gewissenhafte, der sich Aufklärung verschaffen will, nicht, wo er einen sichern und leidenschaftslosen Kommentar finden könnte, der ihm -doch nothwendig wäre, um über die Bedeutung aller Bestimmungen
eines Gesezes sich gehörig zu orientiren. Diesen Kommentar nun legt man eben in seine Häjide, wenn das Gesez mit einer solchen amtlichen Botschaft oder Kundgebung begleitet wird, -- welche in sehr

267 objektivem Sinne zu redigiren ist und im Wesentlichen die Gründe wiedergeben soll, die in der gesezgebenden Behörde zur Annahme des Gesezes beigetragen haben.

In unsern Augen rechtfertigt sich demnach eine solche amtliche Kundgebung vollständig. Von gegnerischer Seite will dagegen die Bache so aufgefaßt werden, als würde durch eine solche Kundgebung auf die Stimmenden ein von der Behörde ausgehender Druk ausgeübt. Will man aber überhaupt von Druk reden, so läge ein solcher eher in dem exclusiven Auftreten der Parteien bei Volksabstimmungen, keineswegs aber darin, daß in ruhiger, vernünftiger Sprache auseinandergesezt wird, warum die oberste Landesbehörde die betreffenden, der Volksabstimmung unterstellten Gesezesbestimmungen annehmen zu sollen glaubte.

Es verhält sich mit diesen Manifesten wie mit den Botschaften, welche in jedem Staate durch die Vollziehungsbehörde den der geschehenden Behörde unterstellten Gesez- oder Beschlußentwürfen beigegeben werden. Es kann im Allgemeinen nicht gesagt werden, diese Botschaften seien überflüssig oder involviren einen ungehörigen Druk der Vollziehungsbehörde auf die Gesezgeber. Wenn es aber in der Ordnung ist, daß Parlamentsmitglieder darauf halten, die Gründe zu kennen, welche bei Abfassung eines Gesezes maßgebend waren, so muß um so mehr ein solches Bedürfniß auch bei den Bürgern eines Staates vorausgesezt werden, wo die Demokratie auf dem Referendumswege ausgeübt wird.

Indem wir uns daher entschieden zu Gunsten der Einrichtung, Vorlagen an das Volk mit einem amtlichen Manifeste zu begleiten, aussprechen, was übi'igens keine Neuerung auf eidgenössischem Gebiete ist -- man erinnere sich diesfalls an die Proklamationen an das Schweizervolk, mit denen die Bundesbehörden die lezten Bundesrevisionsentwürfe begleiteten -- erübrigt uns noch die Prüfung des zweiten Theiles der Frage : w e r soll in der Regel diese Kundgebung abfassen ?

Man könnte diese Frage unentschieden lassen, indem vorbehalten bliebe, sie in jedem Spezialfalle, sei es durch eine Verfugvmg der Bundesversammlung, sei es einfach durch Bundesrathsbeschluß, zu erledigen. Nur müßte die Bundesversammlung jedesmal nach Annahme eines Gesezes oder Beschlusses von allgemeinem Intel-esse einen eventuellen Entscheid, auf den Fall hin, daß das Refîrendum ins Werk gesezt würde, über die Frage treffen,
wer das Manifest zu redigiren und zu unterzeichnen habe. Diese eventuelle Verfügung könnte oft als eine unnüze sich herausstellen, denn nicht jedes Referendumsbegehren muß von Erfolg sein. Solche Begehren

268 machen sich gewöhnlich in der Zwischenzeit zweier Sessionen geltend ; es wäre aber mit Uebelständen verbunden, wollte man jedesmal die nächste Session der Räthe abwarten, vor Anordnung der Volksabstimmung über den betreffenden Erlaß.

Sollte dagegen der Bundesrath über die Proklamationsfrage entscheiden, so könnte er bisweilen in der Richtung verlegen sein, ob er die Proklamation von sich aus erlassen oder sie den Bureaux der gesezgebenden Räthe anheimstellen, oder ob er den Wiederzusammentritt lezterer abwarten solle. Es scheint uns daher angemessen, die Frage nicht so im Vagen zu belassen, sondern klar und bestimmt zu normiren.

Am praktischesten dürfte es sein, im Allgemeinen den Bundesrath, der die Protokolle der Räthe zur Hand hat, mit der Redaktion und Unterzeichnung des Manifestes zu beauftragen. Da aber Fälle eintreten könnten, wo aus besondern Gründen es im Wunsche der Bundesversammlung läge, ihre eigenen Bureaux oder eine aus ihrem Schöße gewählte Delegation damit zu betrauen, oder Fälle, wo der Bundesrath seinerseits des Auftrages enthoben zu sein wünschte, so sollte man nach unserm Dafürhalten der gesezgebenden Behörde in diesen Richtungen volle Latitude belassen, je nach Umständen das Gutfindende zu verfügen.

Wir resümiren unsere Anträge betreffend das fragliche Postulat vom 1. Juli 1875 in dem nachfolgenden Beschlußentwurf, den wir Ihrer Entscheidung unterstellen, und benuzen nebenbei diesen Anlaß, um Sie, Tit., unserer vollkommensten Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 14. Februar 1877.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Dr. J. Heer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schiess.

269

(Entwurf)

Bundesbeschluss betreffend

Begleitung der einer Volksabstimmung zu unterstellenden Bundesgeseze oder Bundesbeschlüsse mit erläuternden Botschaften.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft beschließt: Art. 1. Wenn ein Bundesgesez oder ein Bundesbeschluß nach Art. 89 der Bundesverfassung einer Volksabstimmung unterstellt wird, so soll jeweilen gleichzeitig mit dem Gesez oder Beschluß den stimmberechtigten Bürgern eine objektiv gehaltene offizielle Kundgebung über die Gründe zugestellt werden, welche die Bundesversammlung zur Annahme des Gesezes oder Beschlusses bewegen haben.

Art. 2. In der Regel ist der Bundesrath beauftragt, diese Botschaft abzufassen und zu unterzeichnen. Immerhin kann die Bundesversammlung in getrennter Berathung der beiden Räthe bestimmen, daß sie einen Ausschuß aus ihrer Mitte beauftrage, die Botschaft zu entwerfen und zu unterzeichnen, oder sie im Einverständniß mit dem Bundesrathe auszuarbeiten und zu unterzeichnen.

Art. 3. Gegenwärtiger Beschluß tritt sofort in Wirksamkeit.

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Botschaft des Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend die Frage, ob Vorlagen an das Schweizervolk mit einer erläuternden Botschaft zu begleiten seien. (Vom 14. Februar 1877.)

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24.02.1877

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265-269

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