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Bericht des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend Gewährleistung der Verfassung des Kantons Unterwaiden nid dem Wald von 1877.

(Vom 6. November 1877.)

Tit.!

Mit Schreibon vom 4. Juni 1877 übermachten uns Landammann und Rath des Kantons Unterwalden nid dem Wald die neue Verfassung dieses Kantons, mit dem Ersuchen, für dieselbe gemäß Artikel 6 der Bundesverfassung die Gewährleistung der Bundesversammlung veranlaßen zu wollen.

Diese Verfassung ist am 2. April 1877 in außerordentlicher Landsgemeinde angenommen und als Grundgesez für den Kanton Unterwaiden nid dem Wald erklärt worden.

^ Indem wir hiemit dem Wunsche der Regierung von Nidwalden entsprechen, haben wir nur wenige Bemerkungen zu machen.

Der Artikel 3 dieser Verfassung lautet: ,,Der Staat gewährt der römisch-katholischen Kirche, zu welcher sich das Nidwaldner Volk in seiner großen Mehrheit bekennt, seinen v o l l e n Schuz, s o w i e er überhaupt die Glaubens- und Gewissensfreiheit und die Ausübung gottesdienstlicher Handlungen nach Maßgabe der Artikel 49 und 50 der Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 gewährleistet."

379 Wenn auch im Eingange dieses Artikels der Schuz der römischkatholischen Kirche besonders betont wird, so glauben wir doch, es sei mit Rüksicht auf den übrigen Inhalt desselben kein Anlaß vorhanden, jene mehr redaktionelle Form m beanstanden. Es versteht sich von selbst, daß der römisch-katholischen Konfession keinerlei Bevorzugung aus diesem Artikel zukommen darf.

Der Artikel 4 gewährleistet den Fortbestand der Klöster und kirchlichen Stiftungen mit Vorbehalt der Bestimmungen der Bundesverfassung.

Die Bundesversammlung hat jedoch bereits in ihrem Beschlüsse vom 20. März 1877, betreffend die Gewährleistung der Kantonsverfassung von Schwyz (Amtliche Sammlung, Neue Folge, Bd. III, S. 66) erklärt, daß der Bund eine Gewährleistung der Klöster nicht übernehmen könne, vielmehr bezüglich derselben die aus Artikel 51, Saz 2, der Bundesverfassung für ihn entspringende Befugniß vorbehalten müsse. Das Gleiche gilt auch von den kirchlichen Stiftungen.

Da nun der Artikel 4 der Nidwaldner-Verfassung die Bestimmungen der Bundesverfassung ausdrüklich vorbehält, so genügt hier die Erwähnung, in welchem Sinne dieselben zu verstehen sind.

In Artikel 6 sind nur den Kantonsbürgern u n d allen gemäß der Bundesverfassung rechtlich niedergelassenen Schweizerbürgern die gleichen staatsbürgerlichen Rechte zugesichert.

In dieser Allgemeinheit ist der Saz nicht richtig, da gemäß Artikel 43 und 74 der Bundesverfassung in eidgenössischen Angelegenheiten auch schweizerische Aufenthalter im Kanton Uuterwalden nid dem Wald die gleichen staatsbürgerlichen Rechte mit den Kantonsbürgern und mit den Niedergelassenen theilen. Diese Auslassung hat indeß keine Bedeutung, da in Artikel 22 und 33 erklärt ist, daß das Stimmrecht für eidgenössische Wahlen und Abstimmungen nach der Bundesgesezgebung sich richte. Der Artikel 6 kann also nur auf k a n t o n a l e Angelegenheiten sich beziehen.

In Uebereinstimmung hiemit haben gemäß den Artikeln 34, 37, 69, 74 und 79 an der Landsgemeinde, in den Gemeinden und in den verschiedenen Abtheilungen derselben bloß die im Kanton wohnhaften K a n t o n s h u r l e r und die in demselben seit drei Monaten n i e d e r g e l a s s e n e n S c h w e i z e r b ü r g e r nach zurükgelegtem achtzehnten Altersjahre Stimmrecht. Durch Artikel 47 der Bundesverfassung ist aber auch die Zulassung der
schweizerischen A u f e n t h al t e r zur Ausübung der politischen und bürgerlichen Rechte im Grundsaze ausgesprochen. Es erscheint daher der Ausschluß derselben von allen öffentlichen Angelegenheiten des O

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Kantons und der Gemeinde, bis das im Artikel 47 vorgesehene Bundesgesez in Kraft sein wird, etwas hart, allein nicht im Widerspruche mit der Bundcsverfassung.

Artikel 12 lautet: ,,Die freie Meinungsäußerung in Wort und Schrift und die Freiheit der Presse innert den Schranken der Wahrheit, Sittlichkeit und Religion ist zugesichert. Den Mißbrauch dieser Freiheit bestraft der Richter."

Diese Bestimmung ist aber offenbar zu enge, indem sie jede freie Meinungsäußerung fast zur Unmöglichkeit machen würde.

,,Wahrheit"1, ,,Sittlichkeit", ,,Religion", sind nicht abgeschlossene, formell feste Begriffe, vielmehr bilden sie selbst oft den Gegenstand heftiger Kämpfe, sowohl in der wissenschaftlichen, als auch in der publizistischen Presse. Es ist also Niemand ausschließlich begabt, zu sagen, welches der Inhalt jener Begriffe sei. Soweit es sich um äußere. Erscheinungen handelt, kann wohl festgestellt werden, inwiefern eine Behauptung der Wahrheit entspreche. Allein dieses Verfahren gehört in das Prozeßrecht, nicht in die Verfassung.

Wenn der Nidwaldner Gesezgeber den Grundsaz aufstellen, will, daß in sogenannten Preßprozessen die Einrede der Wahrheit statthaft sei, so mag er es in einer Prozeßordnung thun, damit der Richter in die Möglichkeit versezt wird, aus den vom Kläger und Angeklagten vorgebrachten Thatsachen die Wahrheit herauszufinden, aber der Richter darf nicht von der Verfassung mit der Befugniß ausgestattet sein, von sich aus, ohne diese Prüfung der Thatsachen, erklären zu können, was ,,die Schranken der Wahrheit" überschreite, oder mit andern Worten: was unwahr sei.

Aehnlich verhält es sich mit der Prüfung der Frage, was die Schranken der Sittlichkeit, und Religion überschreite. Hierdurch würde also nur eine e i n s e i t i g e , nicht aber ,,die freie Meinungsäußerung" gesichert. Da jedoch in Artikel 55 der Bundesverfassung die Preßfreiheit allgemein und ohne Schranken gewährleistet, wenn . auch gleichzeitig der Mißbrauch mit Strafe bedroht ist, und in Artikel 49 die Glaubens- und Gewissensfreiheit als unverlezlich erklärt sind, so kann dem Artikel 12 der vorliegenden Kantonsverfrtssung die Garantie nur im Sinne dieser beiden Bundesvorschriften gegeben werden.

In Artikel 14 wird den Korporationen ihre bisherige Gerichtsbarkeit gewährleistet, jedoch die Appellation an die ordentlichen Gerichte
gestattet.

Es bezieht sich j^~-diese Bestimmung, gleichwie in Artikel 8 der ~ Verfassung von Obw^alden, auf die Bestrafung von Frevel an Korporationsgut und auf die Uebertretung von Korporationsverordnungen.

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Sie durchbricht also den in Artikel 23, allerdings auch mit einem Vorbehalt zu Gunsten des Landammanns, aufgestellten Grundsaz der Trennung der Gewalten. Allein, so wünschbar es wäre, solche ganz und ungeschwächt durchgeführt zu sehen, so ist hier doch der Theorie keinerlei Einfluß zu gestatten, zumal keine Vorschrift der Bundesverfassung als verlezt erscheint.

Gemäß Artikel 26 sorgen die Gemeinden nnter Aufsicht und Leitung des Staates und nach Maßgabe des Artikel 27 der Bundesverfassung für den ö f f e n t l i c h e n Unterricht. Absaz 2 lautet sodana : ,,Die Freiheit des P r i v a t-Untemeli tes wird unter Wahrungder gesezlichen A u f s i c h t der S t a a t s b e h ö r d e n ü b e r Err e i c h u n g d e s L e h r z i e l e s d e r o f f en t l i e h e n P r i m a r s c h u l e grundsäzlich anerkannt. Bundes Vorschriften bleiben immerhin vorbehalten."

Diese leztere Bestimmung fand sich, mit Ausnahme des Nachsazes (Bundesvorschriften etc.), mit den nämlichen Worten bereits in der Verfassung des Kantons Luzern vom Jahr 1875. Die Bundesversammlung hat jedoch erklärt, daß sie dem Artikel 27 der Bundesverfassung nicht ganz entspreche, indem dieser leztere verlange^ daß die staatliche Behörde den g a n z e n Primarunterricht nicht bloß beaufsichtige, sondern ihn l e i t e . Der Nachsaz, daß Bundesvorschi'iften immerhin vorbehalten sein sollen, ist also in diesem Sinne zu verstehen, und damit hierüber kein Zweifel walten kann, beantragen wir auch hier den gleichen Vorbehalt, wie er iu dem Bundesbeschlusse vom 2. Juli 1875 über die Gewährleistung der ·Verfassung des Kantons Luzern (Amtliche Sammlung, Neue Folge, Bd. I, S. 592) aufgestellt wurde.

Hiemit steht in Verbindung die Vorschrift in Artikel 79, wonach die Schulgemeinde das Lehrerpersonal wählt ,,mit A u s n a h m e d e r j e n i g e n Lehrer, denen durch U e b e r n a h m e e i n e r P f r ü n d e oder d u r c h V e r t r a g d i e S c h u l e ü b c r b u n d e n ist, für so l a n g e , als dieses V c r h ä l t n i ß d a u e r t . a Die sechs Kirchgemeinden des Kantons (Artikel 28) sind in eilf Bezirke eingetheilt (Artikel 29). Die nach Artikel 34 stimmberechtigten Kantonsbürger und die seit drei Monaten niedergelassenen Schweizerbürger, welche einen Bezirk bewohnen, bilden nach Artikel 78 in der Regel die Schulgemeinde. Nach Artikel 71 der
Verfassung von 1850 wählt diese die Schullehrer nach Maßgabe des Schulgesezes. ,,Ausgenommen von der Wahl (so bestimmte Ziffer 2 dieses Artikel 71) sind diejenigen Schullehrer, welchen als Filialgeistlichen der Gemeinde das Schulwesen durch die Pfrund

382 selbst überbunden ist."

Durch Artikel 79 der neuen Verfassung ist diese Ausnahme von der Wahl bestätigt, aber durch eine neue erweitert, indem auch solche Lehrer ausgenommen sind, denen durch Vertrag die Schule überbunden ist, so lange dieses Verhältniß dauert. Auf welcher gesezlichen Grundlage dieses Vertragsverhältniß beruht, ist nirgends sichtbar. Nach den Bestimmungen der §§ 20 und 21 des Gesezes über das Schulwesen im Kanton Unterwalden nid dem Wald von 1851 müssen die Kandidaten für eine Lehrersteile vorher ein Befähigungszeugniß des Kantonsschulrathes erwerben, und findet die Anstellung der Lehrer auf die Dauer von drei Jahren statt, mit Wiederwählbarkeit. Die Bewerber geistlichen Standes brauchen kein Befähigungszeugniß.

Es ist nun anzunehmen.'

o O daß, wo immer die Anstellung eines Lehrers durch Vertrag stattgefunden hätte, dieser Vertrag mit dem Geseze nicht im Widerspruche stellen dürfe, und daß nach Ablauf der dreijährigen Amtsdauer wieder das freie Wahlrecht der Gemeinden eintreten müsse, wie es die Verfassung ihnen sichert. Wir beantragen, dem Artikel 79 nur in diesem Sinne die Garantie zu ertheilen.

Was dagegen den Theil von Artikel 79 betrifft, wodurch jede periodische Wahl derjenigen Lehrer, denen durch Uebernahme einer Pfründe die Schule überbunden ist, ausgeschlossen wird, so glauben wir, daß derselbe mit dem Artikel 27 der Bundcsverfassung im Widerspruche stehe und daher zur Abänderung zurükgewiesen werden müsse. Die Bundcsverfassung fordert, daß die Primarschule a u s s c h l i e ß l i c h unter staatlicher Leitung stehen solle. Unter dieser ,,Leitung" ist aber offenbar nicht bloß die oberste Schulbehörde zu verstehen, sondern auch die Lehrerschaft. Uebrigens ist auch der Kantonsschulrath, welcher nach § 4 des Gesezes über das Schulwesen das gesammte Volksschulwesen in Nidwaiden leitet, nicht eine ausschließlich staatliche Behörde, indem er nach § 2 des gleichen Gesezes aus dem im Amte abgetretenen Landammann als Präsident, aus drei verpfründeten geistlichen und drei weltlichen Mitgliedern besteht. Der Kantonsschulinspektor ist von Amtes wegen auch Mitglied des Kantonsschulrathes und zählt zu den drei verpfründeten geistlichen Mitgliedern, er ist also auch selbst Geistlicher. Es kann also urn so weniger von einer s t a a t l i c h e n Leitung der Schule die Rede sein. Es
kann indeß der erwähnten Verfassungsbestimmung die eidgenössische Garantie darum nicht gewährt werden, weil sie ein Privilegium zu Gunsten der Geistlichen enthält und der Artikel 27 der Bundesverfassung auch die Konfessionslosigkeit der Schule fordert.

o Laut Artikel 46 sollen bei der Berechnung der Bevölkerung für die Feststellung der Zahl der in jedem Bezirke zu wählenden Mitglieder des Landrathes die Ausländer nicht in Betracht fallen.

383 Bei Anlaß der Gewährleistung der revidirten Verfassung des Kantons Uri vom 5. Mai 1872 (Amtliche Sammlung, Bd. XI, S. 436), wurde anerkannt, daß die Kantone durch die Bundesverfassung nicht gehindert seien, das Repräsentationsvevhältniß nach der schweizerischen Wohnbevölkerung zu normiren (Bundesblatt 1873, Bd. IV", Seite 253)-.

Gegenüber der Ziffer 18 im Artikel 48, wodurch die Erthei lung der Amnestie bei politischen Vergehen in die Befugniß des Landrathes gelegt wird, müssen wir daran erinnern, daß bezüglich derjenigen politischen Verbrechen und Vergehen, auf welche das Bundesstrafgesez vom 4. Februar 1853 Anwendung findet, nur die Bundesversammlung kompetent ist, d. h. die gleiche Behörde, welcher auch das Recht der Begnadigung zukommt.

Die übrigen Artikel geben zu keinen Bemerkungen Anlaß.

Wir fügen bloß noch bei, daß nach Vorschrift der Schlußbestimmungen die Revision dieser Verfassung jederzeit möglich ist und daß gemäß Artikel 3 der Uebergangsbestimmungen dieser Verfassung der neue Landrath bevollmächtigt ist, die von der Bundesversammlung allfällig zurükgewiesenen Artikel von sich aus zu berichtigen.

Wir empfehlen die Gewährleistung dieser Verfassung durch die Annahme des nachfolgenden Beschlusses.

Genehmigen Sie, Tit., die erneuerte Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.

B e r n , den 6. November 1877.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, %

Der Bundespräsideut: Dr. J. Heer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schiess.

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(Entwurf)

Bundesbeschluss betreffend

die eidg. Gewährleistung der Verfassung des Kantons Unterwaiden nid dem "Wald vom 2. April 1877.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft hat

nach Einsicht eines Berichtes und Antrages des Bundesrathes vom 6. November 1877 über die Verfassung des Kantons Unterwaiden nid dem Wald von 1877, in Erwägung: 1) daß der Artikel 12 dieser Verfassung nicht anders, als im Sinne von Artikel 49 und 55 der Bundesverfassung verstanden und angewendet werden darf; 2) daß laut Artikel 27 der Bundesverfassung der ges a m m t e Primarunterricht unter staatlicher Leitungo stehen soll, somit der Artikel 26 der Nidwaldener Verfassung nicht die Wirkung haben kann, jene Vorschrift in irgend welcher Weise einzuschränken ; 5) daß der Artikel 79 dieser Verfassung, soweit dadurch die periodische Wahl derjenigen Lehrer, welchen durch Uebernahme einer Pfründe die Schule überbunden ist, ausgeschlossen wird, mit dem Artikel 27 der Bundesver-

385 fassung im Widerspruche steht, indem derselbe fordert, daß die Primarschule a u s s c h l i e ß l i c h unter s t a a t l i c h e r Leitung stehen soll ; 4) daß im Uebrigen diese Verfassung nichts enthält, was den Vorschriften der Bundesverfassung zuwider wäre, vom Volke des Kantons Unterwaiden nid dem Wald angenommen worden ist, und zu jeder Zeit revidirt werden kann, beschlossen: \. Der Landrath voû Unterwaiden nid dem Wald ist eingeladen, die neue Verfassung dieses Kantons bezüglich des beanstandeten Artikel 79 mit der Bundesverfassung in Einklang zu bringen, und den revidirten Artikel nachträglich vorzulegen.

Im Uebrigen ist dieser Verfassung die bundesgemäße Garantie ertheilt.

2. Dieser Beschluß ist dem Bundesrathe zur Vollziehung mitzutheilen.

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Bericht des Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend Gewährleistung der Verfassung des Kantons Unterwalden nid dem Wald von 1877. (Vom 6. November 1877.)

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24.11.1877

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