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Bericht der

nationalräthlichen Petitionskommission, betreffend den Rekurs der Auswanderungsagentur Christ-Simmener in Genf.

(Vom 15. März 1877.)

Tit.

Herr Christ-Simmener, von Basel-Stadt, niedergelassen in Genf, rekurrirt an die Bundesversammlung auf Grund folgender Umstände: 1) Am 30. März 1876 richtete der Bundesrath an die Kantonsregierungen ein Kreisschreiben, in welchem es heißt : Die Auswanderungsagentur Christ-Simmener in Genf habe in westschweizerischen Zeitungen angekündigt, sie sei geneigt, denjenigen als Vermittlerin zu dienen, welche nach der brasilianischen Provinz Pavana auswandern wollen. Er lud die- Regierungen ein, den Anerbietungen dieser Agentur nicht zu trauen und ihren Angehörigen davon abzurathen, mit ihr diesfällige Auswanderungsverträge zu schließen.

2) Das genannte Kreisschreiben stütze sieh lediglich auf die Präcedenzen des Herrn Christ-Simmener, und behandle, während es die Geschäftsführung der Auswanderungsagentur zu besprechen scheine, nur seine Persönlichkeit und enthalte nach seiner Ansicht eine Verleumdung.

3) Da diese Verleumdung ihm großen Schaden zugefügt habe, so habe er am 25. August 1876 eine Klage beim Bundesgericht

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Dieser Klage gegenüber beschränkte sich der Bundesrath die Einrede der Inkompetenz des Bundesgerichts, gestutzt auf Bestimmungen von Artikel 59, Ziffer 8, des Gesetzes über Bundesrechtspflege vom 27. Juni 1874.

der auf die die

Das Bundesgericht erklärte sich durch Entscheid vom 15. Dezember 1876 kompetent, gestützt auf das Bundesgesetz vom 9. Dezember 1850 über die Verantwortlichkeit der eidgenössischen Behörden und Beamten, und sprach sich dahin aus, daß eine finanzielle Verantwortlichkeit des Bundesrathes nur durch eine Schlußnahme der Bundesversammlung Platz greifen könne.

Deßhalb und unter Hinweisung darauf, daß der Bundesrath am 5. Januar 1877 ein weiteres Kreisschreiben in gleichem Sinne erließ, verlangt Rekurrent, daß Sie über die genannten Kreisschreiben Beschluß fassen wollen, gemäß dem Urtheil des Bundesgerichts und zum Zwecke, die Bundesversammlung in die Lage zu versetzen, zu beurtheilen, ob es in ihrem Willen liege, daß die Handlungen des Bundesrathes eine finanzielle Haftbarkeit der Eidgenossenschaft nach sich ziehen.

Wir kommen demnach zur Frage der Kompetenz.

Artikel 85, Ziffer 13, der Bundesverfassung spricht der Bundesversammlung das Recht zu, über Kompetenzkonflikte zwischen Bundesbehörden Entscheidung zu treffen.

Diese Bestimmung findet sich bestätigt durch Artikel 56 des Gesetzes über die Bundesrechtspflege, welcher ausdrücklich vorschreibt: ,,Ist dagegen zwischen Bundesrath und Bundesgericht streitig, ob ein Fall durch die eine oder die andere dieser Behörden zu beurtheilen sei, so entscheidet hierüber die Bundesversammlung."

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Es besteht demnach kein Zweifel, daß diese Streitfrage ausschließlich in die Kompetenz der Bundesversammlung falle.

Nach genauer Prüfung dieser Angelegenheit findet Ihre Kommission, daß die Kompetenz über diesen Rekurs der Bundesversammlung zustehe, und daß die Kompetenz zur Entscheidung über die Entschädigungsforderung nur in dem Falle dem Bundesgerichte zustünde, wenn die Bundesversammlung erklären würde, daß der Bundesrath durch diese Kreisschreiben die Bundesverfassung oder die Bundesgesetze verletzt habe.

Das Bundesgericht betrachtete die Klage Christ-Simmener als eine rein civilrechtliche, welche durch Artikel 110, Ziffer 2

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der Bundesverfassung und Artikel 27, Ziffer 2 der Bundesrechtspflege geregelt sei. Das Bundesgericht glaubt nicht, hier den Artikel 113 der Bundesverfassung oder den Artikel 59 der Bundesrechtspflege anwenden zu sollen. Dasselbe bemerkt, daß die genannten Bestimmungen dem Gerichte nicht in u n b e d i n g t e r Weise die Kompetenz absprechen in Bezug auf die durch sie aufgeführten Artikel, sondern daß sie sich darauf beschränken, den politischen Behörden der Eidgenossenschaft die Erledigung a d m in i s t r a t i v e r Streitfälle vorzubehalten, die mit den betreffenden Artikeln in Beziehung stehen, d. h. die s t a a t s r e c h t l i c h e n Streitfälle, auf welche sich der obgenannte Artikel 59 bezieht.

Das Bundesgericht fügt sodann bei, daß, da die Fragen betreffend Verantwortlichkeit der Eidgenossenschaft durch das Gesetz vom 9. Dezember 1850 geregelt sind, die Schadenersatzklage, nach diesem Gesetze, vor Allem der Bundesversammlung vorgelegt werden müsse, da der Art. 33 desselben vorschreibt: ,,Beschließen die beiden Räthe, es sei der Klage Folge ,,zu geben , so wird dieselbe dem Bundesgerichte zur Be,,handlung nach den Vorschriften des Zivilprozesses über,,wiesen. Im entgegengesetzten Falle steht die Eidgenossen,,schaft für den Beamten ein, und es ist der klagenden ,,Partei unbenommen,t ihre Entschädigungsforderung gegen lì O O O O O ,,sie zu richten."

Wir zweifeln nicht, daß nach dem Gesetze vom 9. Dezember 1850 das Bundesgericht in derartigen Fragen kompetent sei ; da aber der Art. 64 des Gesetzes über Bundesrechtspflege nicht nur die Gesetze, die es erwähnt, sondern überhaupt alle Bestimmungen auch anderer Bundesgesetze, die mit demselben im Widerspruche stehen könnten, umfaßt, so ist zu prüfen, welches der gegenwärtige Stand der Gesetzgebung über diese Materie ist.

Die zivilrechtliche Klage auf Schadenersatz, herrührend von einer Verwaltungsmaßregel, ist nur die Konsequenz und die Folge der Thatsache, welche den Gegenstand der Klage bildet.

Da die Zivilklage in der Administrativklage enthalten ist, so ist es die letztere , welche jener ihren wahren Charakter verleiht, und so lange die erstere nicht jedes administrativen Elementes enthoben worden ist, kann die Schadenersatzklage nicht als eine Zivilklage aufgefaßt werden ; andernfalls würde es den Parteien sehr leicht fallen, eine
Streitsache ihres wahren Charakters zu entkleiden, unter einer Schadenersatzklage eine eigentliche Frage des öffentlichen Rechts zu verstecken und derart die von der Verfassung und den Gesetzen festgestellten Kompetenzen zu eludiren.

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Unter diesem falschen Gesichtspunkte ist die Frage erhoben und ist sie auch vom Bundesgericht beurtheilt worden.

Wenn also die Schadenersatzklage der Administrativklage untergeordnet ist und man die cratere nicht beurtheilen kann, ohne zugleich die letztere zu beurtheilen, so hat sie nicht mehr den Charakter von eigentlichen zivilrechtlichen Streitigkeiten, von welchen Art. 110 der Bundesverfassung und Art. 27, Kiffer 2 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege sprechen; -- Streitigkeiten, welche unabhängig von der Hauptklage bestehen und die in die unmittelbare Kompetenz desBundesgerichtsH fallen. In diesem Falle kann sich das Gericht nicht mit der Schadenersatzklage befassen, bevor die Hauptklage beurtheilt ist, welche im Allgemeinen in die Kompetenz der Bundesversammlung fällt, d. h. erst dann, wenn diese entschieden hat, daß eineThat-sache, welche zu verantworten ist,wirklichh besteht. Es wäre sonderbar, wenn, die Kompetenz der Bundesversammlung angenommen , diese entscheiden würde , daß eine Verantwortlichkeil, nicht bestehe, und das Gericht dann urtheilte, es sei eine Zivilklage begründet.

Es wäre dies bis in idem im Widerspruch mit den einfachsten Rechtsgrundsätzen.

Die gegenwärtige Gesetzgebung läßt diesen Widerspruch nicht zu. Während das Gesetz von 1850 die Bundesversammlung selbst zur Streitpartei machte, ist sie jetzt als oberster Richter für Streitigkeiten aus dem öffentlichen Verwaltungsrecht konstituirt.

Art. 34 der Bundesverfassung statuirt das Aufsichtsrecht des Bundesrathes über die Auswanderungsagenturen, und Ari. 113 hat, nachdem er dem Bundesgericht die Kompetenzconflikte zwischen Bundes- und Kantonalbehörden, die Streitigkeiten staatsrechtlicher Natur zwischen Kantonen und die Beschwerden beireffend Verletzung verfassungsmäßiger Rechte der Bürger, sowie solche von Privaten wegen Verletzung von Konkordaten und Staatsverträgen zugewiesen hat, die durch die Bundesgesetzgebung näher festzusleilenden Administrativstreitigkeiten vorbehalten. Diese Vorbehalte, oder besser gesagt, diese Ausnahmen, siud in Art. 59 der Gerichtsorganisation bestimmt, welcher nach Aufzählung der Kompetenzen des Bundesgerichts in staatsrechtlichen Fragen deutlich sagt : ,,Vorbehalten sind nach Art. 113, Abs. 2 der Bundesverfassung Administrativstreitigkeiten, welche sieh auf
folgende Bestimmungen der Bundesverfassung beziehen, und deren Erledigung nach Maßgabe der Art. 85, Ziff. 12 und 102, Ziff. 2 derselben dem Bundesrath, bzw. der Bundesversammlung, zusteht." In Ziff. 8 der folgenden

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Bestimmungen erwähnt das Gesetz ausdrückliche Beschwerden über die Anwendung der in den Artikeln 25, 33, 34, 39, 40 und 69 der Bundesverfassung vorgesehenen Bundesgesetze. Angesichts dieser genau präzisirten Vorbehalte sagt das Bundesgericht, das Organisationsgesetz benehme ihm seine Kompetenz nicht in absoluter Weise; aber wie hätte man dies denn besser thun können, als durch eine förmliche Ausnahme? Das Gesetz braucht nicht befehlende Ausdrücke, wie z. B.: Das Gericht k a n n sich nicht beschäftigen mit u. s. w., aber Jedermann weiß, daß in der Jurisprudenz ein ausdrücklicher Vorbehalt oder vielmehr eine förmliche Ausnahme mehr gilt als die imperative Form, welche hie und da Zweifel läßt, ob das Verbot unter Strafe der Nullität erlassen ist oder nicht.

Uebrigens gesteht das Bundesgericht implicite selbst zu, daß, wenn das Gesetz es auch nicht in absoluter Weise gethan hat, es ihm doch in jedem Fall die Kompetenz in dieser Sache benommen hat. Im vorliegenden Falle ist die Frage der Verantwortlichkeit in Folge Mißbrauclis des Aufsichtsrechtes eine administrative und staatsrechtliche Frage, da es sich darum handelt, festzustellen, wie weit Akte dieser Aufsicht in Gemäßheit von Art. 34 der Bundesverfassung reichen können und ob sie begründet seien.

Das Gesetz hat Beschwerden über die Anwendung der in Art. 34 der Bundesverfassung vorgesehenen Gesetze in die Kompetenz der Bundesversammlung gelegt, wie es auch mit den Artikeln 25, 33, 39, 40 und 69 der Fall ist. Nun aber sollte man nach der Auffassung des Bundesgerichts meinen, daß Streitigkeiten betreffend Jagd, Fischerei, Ausübung wissenschaftlicher Berufsarten, Ausgabe und Einlösung von Banknoten, Aufsicht über die Vollziehung der Gesetze betreffend Maß und Gewicht und über die Gleichheit der Schweizerbürger in der Gesetzgebung und im gerichtlichen Verfahren in die Kompetenz des Bundesgerichts fallen. Aber Jedermann wird einverstanden sein, daß Fragen dieser Art rein administrativer Natur .sind, die den politischen Behörden nicht entzogen werden können, ohne daß die öffentliche Verwaltung gestört wird.

Demgemäß sind Fragen der öffentlichen Verwaltung, die in den Ziff. l --10 des angeführten Artikels genannt sind, so u. A.

das Unterrichtswesen, die Ausrüstung der Soldaten, Freiheit des Handels und der Gewerbe, die Gewissensfreiheit, und Verträge
mit fremden Staaten, ihrer Natur nach Fragen des öffentlichen Verwaltungsrechtes.

Sie werden übrigens, Herren Nationalräthe, sehen, daß Art. 59 der Gerichtsorganisation nicht blos einen Vorbehalt gemacht hat, sondern just vor Ziffer 8 sagt er; ,,Gleichermaßen sind dem Entscheide des Bundesrathes, bzw. der Bundesversammlung unterstellt" :

578 Es liegt also nicht bloß ein Vorbehalt, sondern eine ausdrückliche Erklärung vor.

Man beweist nicht die Evidenz, aber wenn wir andere Quellen konsultiren, so können wir die französische, russische und belgische Gesetzgebung anführen, und besonders auch nachsehen, welches der leitende Gedanke im Vorprojekt für das Bundesgesetz über Auswanderungsageuturen ist, in welchem das erste Kriterium die administrative Ordnung der Angelegenheit durch den Bundesrath und das Departement des Innern ist.

Ganz das Gegentheil wäre zu sagen, wenn es sich um ein durch Ziffer 4 von Art. 32 der Bundesrechtspflege vorgesehenes Vergehen handelte. In diesem Falle würde das Urtheil der Assistin und dasjenige der Krimiualkammer einen Titel abgeben, und das Bundesgericht könnte berufen werden, über dieSchadenersatzforderung abzusprechen; aber auch in diesem Falle käme die Kompetenz für die Hauptsache niemals dem Bundesgerichte zu.

In Bezug auf die Kompetenz könnte man im Zweifel sein zwischen der civilen und der administrativen Ordnung, wenn das Gesetz nur sagen würde, die Civilklage sei in der Kompetenz der richterlichen Gewalt und die administrative Klage in derjenigen der politischen Gewalt. In diesen Fällen sind die Grenzen bisweilen sehr schwierigO zu finden,i so zu sagen unmerklich. Indessen O müßte man nach Autoritäten (Cormeuin, Romagnosi etc.) sich eher zu Gunsten der richterlichen Gewalt aussprechen, um die Möglichkeit eines Mißbrauchs der politischen Gewalt zu verhindern in Fragen, welche direkte die Staatsfinanzen angehen. Allein im vorliegenden Falle ist die Sache nicht zweifelhaft, da die Kompetenzen durch das Gesetz klar präcisirt sind, sowohl in den Ausnahmen als in den allgemeinen Normen.

Wir glauben daher, daß die Hauptsache (die materielle Seite der Frage) in der Kompetenz der Bundesversammlung liegt, und daß das Bundesgericht mit der Entschädigungsklage sich nur dann befassen könnte, wenn die Klage von jedem administrativen Elemente getrennt und g e g e n den Bundesrath entschieden würde.

Wenn aber die Bundesversammlung finden sollte, daß der Bundesrath gemäß der Bundesverfassung und den Gesetzen gehandelt hat, so denken wir, daß mit der Hauptfrage auch die Schadenersatzklage fallen müsse.

Der Bundesrath, der sich darauf beschränkte, sich der Kompetenz zu widersetzen, hat sich noch nicht über seine Gründe in materieller Hinsicht ausgesprochen.

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Wir stellen daher folgende Anträge : 1) Die vorliegende Streitfrage betreffend die Ausübung des durch Art. 34, zweites Alinea, der Bundesverfassung vorgesehenen Aufsichtsrechts liegt in der Kompetenz der Bundesversammlung.

2) Sollte die Bundesversammlung finden, der Bundesrath habe der Bundesverfassung oder den eidgenössischen Gesetzen zuwidergehandelt, so wird das Bundesgericht als zuständig erklärt für Aburtheilung der von Hrn. Christ-Simmener gegen den Bundesrath erhobenen Entschädigungsklage.

3) Der Bundesrath wird eingeladen, durch einen einläßlichen Bericht über die Frage in administrativer Hinsicht die Bundesversammlung in den Fall zu setzen, sich darüber auszusprechen.

B e r n , den 15. März 1877.

Im Namen der Petitionskommission des Nationalrathes, Der B e r i c h t e r s t a t t e r : Lurati.

Kommissionsmitglieder : Herr Escher, ,, Fischer, ,, Lurati, ,, Mayor-Vautier, . Kitschard.

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31.03.1877

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