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Bericht der

Commission des Schweiz. Nationalrathes puncto Berücksichtigung der Schweiz. Landwirtschaft.

(Vorn 17. März 1877.}

Tit. !

Der Beweggrund zur Motion Baumgartner liegt in dem allgemein anerkannten Satze, daß o h n e b l ü h e n d e L a n d w i r t h schaft das Wohl des Staates nicht gedeihen könne; denn die große Mehrzahl des schweizerischen Volkes treibt Landwirthschaft und ihr widmet sie ihre ganze Zeit, ihre angestrengteste Thätigkeit.

Schon die schweizerische statistische Gesellschaft, in ihrer Versammlung zu Bern im Jahre 1874, erklärte, ,,daß die Landwirth,,schaft unter den einzelnen Produktionszweigen der h e r v o r ,, r a g e n d s t e und vor allem die gesundeste Grundlage des ,, wirtschaftlichen und sozialen Lebens sei, daß sie daher die ,,eifrigste Beobachtung von Seite der Wissenschaft und die s o r g ,,samste P f l e g e von Seite der Regierungen verdiene."

Nun aber dokumentirt die Landwirtschaft ü b e r a l l und jederzeit die eminenteste E n t w i c k l u n g s f ä h i g k e i t , aber ihr Betrieb im Ganzen entspricht n i c h t dem jeweiligen Stande der Wissenschaft und der Erfahrung, und zwar v o r z ü g l i c h d e ß w e g e n nicht, weil die Regierungen nicht eine richtige und objektive Kenntniß der vorhandenen Zustände und Bedürfnisse besitzen; eine

199 solche Kenntniß nur durch Mitwirkung der nächstbetheiligten, mitten im Leben stehenden M ä n n e r von Fach gewonnen werden kann.

Aus diesen Gründen kommt die schweizerische Landwirthschaft je länger je mehr zu der Ueberzeugung, daß beim Vergleich ihrer Stellung mit andern gewerblichen Thätigkeiten, mit Handel und Industrie, sie bedeutend zurückgesetzt sei und im großen Nachtheile sich befinde und daß ihr Bestreben dahin gerichtet sein müsse, eine Aenderung dieses Zustandes herbeizuführen und gleiche Stellung und Berechtigung mit andern volkswirthschaftlichen Zweigen im Staatsleben zu erlangen. Vor Allem muß daher das Bestreben dahin gerichtet sein, daß ein Organ im Staatsleben geschaffen werde, durch welches sie ihre Wünsche und Verlangen zur Geltung bringen könne und ihre Interessen vertreten sehe.

Das, Herr Präsident, meine Herren! der B e w e g g r u n d zur Stellung des Antrages für Errichtung e i n e r C e n t r a l s t e l l e für Landwirthschaft. Durch Erheblicherklärung dieses Antragesam 23. Juni 1875 haben Sie dieser Anschauung gewissermaßen Rechnung getragen.

-- In Folge der Motion Escher vom 16. Dezember 1876, lautend : ,,Der Bundesrath wird eingeladen, die Frage, ob nicht dem Handels,,und dem Zolldepartement ein aus Fachmännern bestehendes stän,,diges Collegiurn für Handel, Industrie und Gewerbe und dem ,,Departement des Innern ein solches für Land- und V o l k s w i r t h ,, s c h a f t beizugeben sei,-- in der Meinung, daß diese Kollegien die ,,Befugniß erhalten sollen, dem betreffenden Departement innerhalb ,,der bezeichneten Gebiete sowohl von sich aus die ihnen durch ,,die Verhältnisse als geboten erscheinenden Vorschläge zu machen ,,als auch ihr Gutachten über alle einschlägigen Angelegenheiten, ,,welche eine besondere Wichtigkeit haben, abzugeben, -- einer ,,eingehenden Prüfung zu unterziehen und der Bundesversammlung ,,sachbezüglichen Bericht und Antrag zu hinterbringen,1' wir sagen, durch Stellung dieser Motion hat sich die Sachlage in dem Sinne verändert, daß Ihre Commission einstimmig der Ansicht huldigt, durch jetzige Behandlung der Frage über ,,Errichtung einer Centralstelle für Landvvirthschaft tt nach Motion Baumgartner würde die Behandlung der Motion Escher präjudizirt und sie hat daher einstimmig den Beschluß gefaßt, die Behandlung der Frage über Errichtung
einer Centralstelle für Landwirthschaft, sowie auch des Postulates über die Errichtung von Kursen für Wanderlehrer zu verschieben, bis vor Ihrem hohen Rathe die Behandlung der Motion Escher stattgefunden haben wird.

Ganz unabhängig von Postulat l und 3 kann aber Postulat 2, nämlich die ,,Errichtung einer chemischen Versuchsstation in Ver-

200 ,,bindung mit dem chemischen Laboratorium an der land- und ,,forstwirtschaftlichen AMheilung am Polytechnikum" behandelt werden.

Der Ständerath hat in klarer, bezeichnender Redigirung dieses Postulats dasselbe richtig bezeichnet als ,,Stelle für l a n d w i r t h s c h a f t l i c h e U n t e r s u c h u n g e n " , mit welcher Bezeichnung Ihre Commission vollständig einverstanden und nach einläßlicher Behandlung dieses Postulats im Falle ist, Ihnen hierüber bestimmte Anträge zu stellen.

Die geschichtlichen Verhältnisse sind kurz folgende: Im Anfange der 50er Jahre verbreiteten sich als landwirtschaftliche Versuchsstationen ähnliche Anstalten über Deutschland, besonders über Sachsen.

Jetzt im Jahre 1877 existiren nach Dr. Krämer bereits 46 solcher Anstalten. . Davon sind 6 einzig in Preußen und zwar an landwirtschaftlichen Hochschulen gegründete. Dieselben erhalten jährlich eine Staats-Subvention von Fr. 77,250.

Von Deutschland verbreiteten sich diese Anstalten über Frankreich, Italien, England, Oesterreich und bereits alle europäischen Länder. Die Schweiz allein, auf der Hochwarte der Cultur und der Gesittung, genießt dieses bedeutungsvolle Moment der Cultur noch nicht, wie solches ihrer Stellung würdig wäre.

In Deutschland unterscheidet man zwei Systeme dieser Anstalten : F o r s c h u n g s s t a t i o n e n und U n t e r s u c h u n g s s t a t i o n e n . Unter F o r s c h u n g s s t a t i o n e n verstehen wir diejenigen großen Anstalten , welche die Aufgabe haben des Anstellens und Durchführens physiologischer Experimente im Reiche der Pflanzen- und Thier-Produktion, betreffend deren Cultur, Lebensprozeß und Ernährung (Cultur-, Fütterungs- und Züchtungsversuche).

Diese Stationen erfordern sehr bedeutende Summen. Deutschland besitzt mehrere solcher Schulen, und zwar eine ganz vorzügliche in Halle.

Das andere System, nämlich die U n t e r s u c h u n g s s t a t i o n e n , befassen sich hauptsächlich mit Düngerund Boden-Analysen, Kontrole von Futtermitteln und Sämereien etc.

Bei Gründung der landwirtschaftlichen Abtheilung des Schweiz.

Polytechnikums wurde vom Schweiz. Schulrath darauf hingewiesen, daß, weil eine solche Stelle für landwirtschaftliche Untersuchungen der Landwirthschaft von g r o ß e m Nutzen sei, sie aothwendigerweise mit der landwirtschaftlichen Abtheilung des Polytechnikums verbunden werden sollte.

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Um einen kleinen Begriff über die Thätigkeit dieser gewünschten Stationen zu geben, erwähnen wir aus dem großen Geschäftskreise und den chemischen Untersuchungen dieser Anstalt nur zweier Punkte, der Samenkontrole und der Düngerkontrole. Die Schweiz hatte nach Dr. Hebler an Sämereien, Klee, Luzerne etc. mehr Einais Ausfuhr: Anno 1874 73,000 Centner, ,, 1875 76,000 ,, Ein Quantum von mehr als 80,000 Centner wird im Lande selbst produzirt, also immerhin ein Quantum von 150,000 Centner; berechnet zu Fr. 100 per Centner macht solches eine Summe von 15 Millionen Franken.

Zu Samen verwendete eingeführte Cerealien erreichen ebenfalls wenigstens, gering angeschlagen, ein Quantum von einigen hunderttausend Centnern, im Betrage von wenigstens 15 Millionen Franken, so daß die Schweiz jährlich für mehr als 30 Millionen Franken kontrol bedürftige Sämereien konsumirt.

Daß bei diesen Sämereien häufig großartiger Unfug und Verfälschungen vorkommen, ist allbekannt. Nehmen wir eine Verfälschung im Betrage von nur 4 °/o an, so erreicht dieses schon einen Schaden von Fr. 1,200,000, welcher Schaden, der Schweiz.

Landwirtschaft zugefügt, einzig durch eine richtig geführte SamenKontrolstation abgewehrt werden kann.

Der Hauptschaden aber, welcher durch A u s s a a t schlechten Samens der Landwirtschaft erwächst, ist in seinen weitern Folgen eminent größer, so daß in dieser Beziehung der landwirtschaftlichen Produktion der Schweiz Millionen entzogen werden.

Alle diese Schädigungen, meine Herren ! können durch gehörige Samenkontrole m e i s t e n t h e i l s abgewendet werden.

Aehnliche, wenn auch nicht so auffällige Resultate weisen die Düngerkontrolen auf.

Welche bedeutende Summen hier in Betracht kommen, kann daraus entnommen werden, daß Ihrer Commission von den k l e i n s t e n Gemeinden der Schweiz bekannt sind, welche alljährlich über 1000 Centner künstlicher Düngmittel, Kali-Superphosphate etc., verwenden.

Eine solche Untersuchungsstation, welche, wir wiederholen es, ein Bedürfniß für die Schweiz ist, und welche sowohl vom schweizerischen Schulrathe, als vom technischen Experten des Bundesrathes und vom Bundesrathe selbst Ihnen empfohlen wird, läßt sich

202 s e h r l e i c h t an der landwirtschaftlichen Abtheilung des Schweiz.

Polytechnikums errichten.

Der gegenwärtige Vorsteher des chemischen Laboratoriums am Polytechnikum, Professor Dr. Schulze, ist der frühere Vorsteher der landwirtschaftlichen Versuchs- und Auskunftsstation in Darmstadt, einer Anstalt, welche, wie allgemein bekannt, größter Anerkennnung sich erfreute.

Was die Kosten dieser auf breiter Grundlage zu errichtenden Stelle für landwirtschaftliche Untersuchungen, einer Stelle, welche wir dermalen im Gegensatze zu den Forschungsstationen e i n z i g im Auge haben, betrifft, so dürfte ein Betrag von Fr. 6000 für laufendes Jahr im Hinblicke auf die schon vorhandenen günstigen Lokalitäten genügen. Experte Dr. Krämer, in seinem vortrefflichen, sehr einläßlichen Gutachten, glaubte es mit Fr. 4000, der Schweiz.

Schulrath mit Fr. 8000 machen zu können. Nach sehr genauer Prüfung dieser finanziellen Seite halten wir aber an dem Ansätze von Fr. 6000 fest und hoffen, daß für laufendes Jahr damit wohl auszukommen sein wird.

Fassen wir all das Gesagte zusammen, so kommen wir einstimmig zu dem Antrage, es möchte dem Nationalrathe belieben, in Unterstützung des Antrages des Bundesrathes, sowie des Beschlusses des Ständerathes : a. die Kreirung einer ,,Stelle für landwirtschaftliche Untersuchungen an der landwirtschaftlichen Abtheilung des Schweiz.

Polytechnikums" zu beschließen.

b. Die Behandlung von Postulat i und 3 seien zu verschieben bis nach Erledigung der vorhin erwähnten Motion Escher.

B e r n , 17. März 1877.

Namens der Commission des Nationalrathes : Franz Beck-Leu.

Die Commission war bestellt aus den Herren: Beck-Leu.

Dénériaz.

Joos.

M o s e r.

Faulet.

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Landwirtschaft. (Vorn 17. März 1877.)

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