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Bericht der

ständeräthlichen Commission über den Gesetzesentwurf betreffend die Freizügigkeit der Medizinalpersonen.

(Vom 14. Juni 1877.)

Tit!

Als durch die schweizerische Verfassung von 1848 unter sehr begünstigenden Verhältnissen der Staatenbund der kleinen Republiken in einen Bundesstaat sich umgestaltete, schuf diese Umformung zugleich eine Reihe von materiellen Fortschritten, die rasch der populärsten Anerkennung sieher waren.

Einige der anstößigsten Selbstherrlichkeiten, wie der kantonale Münzprägestock und der-eigene Postgaul, wurden .schon damals abgedankt, ganz besonders aber erstarkten, von lästigen Banden und Fesseln entledigt, > Handel und Gewerbe, nachdem den kantonalen Schlagbäumen, Grenzsperren, Weg- und Brückengeldern das längst verdiente Urtheil gesprochen war. Dazu gesellte sich in folgerichtiger Weise das Recht des freien Zugs: der solide, fleißige Schweizermann erhielt überall in den Kantonen offenen Zugang, um mit Gewerbe, Handel, Kunst oder Arbeit für sich und sein Hauswesen, sei es die Mittel der Existenz, oder Mehrung und Wachsthum seiner Glücksgüter zu gewinnen; kurz, neue konstitututionelle Institutionen legten eine breitere Basis für den Nationalwohlstand, mehrten und befruchteten die Beziehungen unter allem Volke, und waren wohl geeignet, nicht nur national-ökonomischen,

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sondern durch die Bande von Freundschaft und Achtung auch höhern sozial-politischen Vortheilen zur fruchtbaren Grundlage zu dienen.

Tit! Uns dünkt, gewissen thatsächlichen Verhältnissen liegt eine logische Kraft, eine dialektische Notwendigkeit inné, sie namentlich an solchen andern mit vergleichendem Maßstabe zu messen, welche weniger befriedigen und deßhalb damit zu kontrastiren scheinen. Es kann dabei das Argument der Analogie, oder dasjenige höherer Fortentwicklung, oder selbst ein Schluß a minori ad majus zur Anwendung kommen. In unserm Falle konnte und mußte jeder Denkende sich fragen : sind der Künstler und der Handelsbeflissene, der Gewerbsmann und der Arbeiter die Einzigen, denen kantonale Absperrung und Grenzeifersucht Unrecht und Nachtheil zugefügt haben? Gebührt der Vortheil des freien Zuges, und, wenn er nicht illusorisch sein soll, der damit verbundenen freien Fachthätigkeit nicht ebensowohl wie dem Gewerbsmann auch den Männern der Wissenschaft, die durch jahrelange Studien zur Ausübung eines besondern höhern Lebensberufes sich tüchtig gemacht haben? Und sofort wird ein verständiges Urtheil die erste Frage verneinen und die zweite bejahen müssen. Tritt man aber bei deu einzelnen wissenschaftlichen Berufsarten auf das Maß des für die Freizügigkeit vorhandenen Bedürfnisses ein, so müssen wir mit dem Bundesrath zugeben, daß man hier auf einen sehr großen Unterschied stößt. Bei den Geistlichen z. B. begründen die Verschiedenheit der Konfession und nicht minder die Differenzen in der gleichen Konfession sehr große Hemmnisse für gesetzliche Freizügigkeit, und wir sehen sie daher von den betreffenden Personen ebensowenig verlangt, als wie sie überhaupt in den besondern Interessen dieses Berufes begründet ist. Ein Urgireu in dieser Richtung imißte also beinahe den Verdacht gegen sich haben, auf ganz andern Tendenzen als auf Wohlwollen für die betreffenden Individuen und für deren Berufsthätigkeit gegründet zu sein. Ein ähnliches Verhältniß zeigt sich bei den Juristen. Die Verschiedenheit der Civil- und S Imfgesetze wie des wichtigen Formalverfahrens bilden, wenigstens zur Zeit, noch Schranken, welche die Rechtspraktikanten gt'rne freiwillig beachten, und anderseits stehen im einzelnen Falle der Wohnsitzänderung oder auch der bloßen Ingebrauclmehung außerkantonaler renommirter Juristen keine
großen Hinderungen entgegen, da bereits die Hälfte der Kantone schon jetzt die volle und bedingungslose Freizügigkeit für die Angehörigen dieser Wissensehall gewährt.

Bei diesem Fache ist also geradezu ein Zuwarten mit den gesetzgeberischen Bestimmungen bestens indizirt.

In ganz anderm Lichte erzeigen sich jedoch die Verhältnisse der Medizinalpersonen. Hier ist die ganze Wissenschaft allüberall

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die eine und nämliche, und sie hat dieselbe Grundlage und vollkommen gleiche Ziele; ebenso ist der geschickte Kliniker, der bewährte Praktiker, der scharfsinnige Diagnostiker oder der gewandte Operateur eine gewiß überall geschätzte und erwünschte Persönlichkeit und es ist nicht bloß ein Unrecht für die betreffenden Individuen , sondern zugleich auch ein offenbarer Nachtheil für hülfsbedürftige Dritte, solche Männer mit dem Kantonalbann, mit der Einschließung in die Grenzen ihrer Heimath zu belegen. Wenn also hier der Unsinn der Absperrung schon unter dem persönlichen Gesichtspunkte als ein doppelter sich darstellt, so kommt dazu, daß umgekehrt bei den Medizinalpersonen das Recht des freien Zuges bei gutem Verfahren als eine wahre Pflege und als eine äußerst wirksame Unterstützung der Wissenschaft sich herausstellt. Selbstverständlich können die Kantone nie gezwungen werden, bei dieser Berufsart auf den Ausweis der Befähigung zu verzichten, und wenn auch zwei Kantone ein freiwilliges Experiment in dieser Richtung angestellt haben, so dürften die Erfahrungen kaum so einladender Art sein, daß solche Versuchsstationen sich mehren werden. So sehr sich demnach die Freizügigkeit des Medizinalpersonals als Postulat vernünftiger sozialer Verhältnisse herausstellt, ebenso richtig muß dieselbe mit sachgemäßen Cautelen umgeben werden, d. h.,sie kann nur stattfinden unter Voraussetzungen, welche den Nachtheilen des Mißhrauchs vorzubeugen geeignet sind. In keiner Weise kann es nämlich gestattet sein, unter dem Axiom einer Hochschätzung für die Wissenschaft die Unwissenheit, die Unfähigkeit und gefährdende Ignoranz mit Lizenz und Machtbrief auszustatten, das ganze große Publikum mit einem Schrnarotzerthum des schlimmsten Charakters heimsuchen zu dürfen. Der freie Zug der Medizinalpersonen muß also notwendiger Weise an den erbrachten Ausweis für die wissenschaftliche Befähigung geknüpft sein.

Diesen ganzen Gedanken, wie wir ihn bisher entwickelt haben, erfaßten praktisch zuerst die Kantone, welche im August 1867 zur Abschließung eines Konkordates sich vereinigten, um einerseits mit Bezug auf die Heilkunde den geistigen Schlagbaum unter sich zu beseitigen, und anderseits durch i-eglementarische Forderungen an die Examinanden die richtige Vorsorge zu treffen, daß nur begabte, tüchtige, vertrauenswürdige Elemente
sich die Wohlthat eines solcher Maßen erweiterten Wirkungsgebietes zu Nutzen machen können. Bei der wohlvorbereiteten und der Sache günstigen öffentlichen Meinung wuchs rasch die Zahl der Konkordatsstände und am heutigen Tage sind es nur mehr sechs Kantone, welche dieser Vereinigung noch nicht beigetreten sind.

465 Blickt man jetzt nach dem Umfluß von zehn Jahren auf die durch dieses Konkordat gewonnenen Resultate zurück, so muß man gestehen, daß sie sehr befriedigender Art sind. Dom Arzte, dem Pharmazeuten und Veterinär wurde ein ehrender weiter Wirkungskreis geschaffen, wie er in der Würde der Wissenschaft wohl begründet ist. Anderseits hat, wie wir schon angedeutet, die wissenschaftliche Ausbildung einen Stimulus erhalten, der gar nicht zu unterschätzen ist. Gewiß ist das medizinische Studium an sich ein äußerst ernstes und umfangreiches, welches neben vorzüglicher angeborner Begabung großen Fleiß und treue Hingabe ab Seite seiner Bekenner erfordert. In den engen, kleinen Verhältnissen der Kantone hat jedoch aus Schuld von Konnivenzen, Gunstbuhlerei oder momentaner Gleichgültigkeit der studirende Jüngling nicht immer die rechte Anregung und Einwirkung für ein stets anhaltendes und kräftig vorwärts strebendes Studium gefunden, so daß manches zu wünschen übrig blieb. Anders erzeigen sich die Wirkungen des Konkordats. Wer in diesen studirenden Kreisen sich schon umgesehen hat, erkennt sofort, daß durch die Prüflingsforderungen des Konkordats ein großer Impuls in das medizinische Studium gekommen ist. Der Nachläßige oder von Natur aus Minderbefähigte hält sich aus guten Gründen schon boi der Berufswahl scheu von der Medizin zurück, bei den Kandidaten selbst aber haben sich die Kollegienversäumnisse und Zeitvertändelungen auf ein kleinstes Maß rarifizirt, und es arbeiten diese jungen Männer mit einer Rastlosigkeit und Ausdauer, welche von ihrem Bewußtsein, ihr weites Ziel nur mit, großen Mühen erreichen zu können, klares.

Zeugniß ablegen. So sind die konkordirenden Kantone die Pionniere geworden nicht nur für die unbestreitbare Richtigkeit dieser Freizügigkeit im Prinzip, sondern auch für die beste Weise, sie für dit: allgemeine Wohlfahrt am meisten fruchttragend zu machen.

Die medizinische Freizügigkeit hat so zu sagen keine Gegner mehr, sie ist schon lange ein populärer Satz geworden und in das allgemeinste Verständniß übergegangen. Als bei den Revisionen der Bundesverfassung von 1872 und 1874 die freie Ausübung der wissenschaftlichen Berufsarten im Allgemeinen ventilirt und sodann auch wirklich als Verfassungsartikel festgestellt wurde, so waren es doch gerade die medizinischen Berufsarten, welche als
der eigentlich praktische Kern derselben anerkannt waren, und für die man das ausgereifteste Bedürfniß in Anspruch nahm. Dieses Bedürfniss wurde aber noch höher gesteigert durch die Weise, wie man den Gegenstand in der revidirten Verfassung von 1874 festgestellt und redigirt hat. Es lautet nämlich der Artikel 33 :

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,,Den Kantonen bleibt es anheimgestellt, die Ausübung der wissenschaftlichen Berufsarten von einem Ausweise der Befähigung abhängig zu machen.

Auf dem Wege der Bundesgesetzgebung ist dafür zu sorgen, daß derartige Ausweise für die ganze Eidgenossenschaft gültig erworben werden können."· Die Tendenz dieses Artikels ist einleuchtend. Sie geht dahin, allgemein gültige Diplome für die wissenschaftlichen Berufsarten eidgenössisch zu regeln und durch den Erlaß eines solchen Gesetzes die Prüfungsbehörden der Kantone, soweit es nämlich das Recht der Freizügigkeit betrifft, zu abrogiren. Anderseits hatte man das klare Gefühl, daß die Rechtsstellung aller Praktikanten der Wissenschaft in einer Uebergangsbestimmung zu regeln sei. Selbstverständlich konnte den alten Praktikern zum Zwecke einer Erweiterung ihres Wirkungskreises nicht etwa die Zumuthung eines neuen Examens auferlegt werden, und ebenso hätte es verletzt, unter Belassung des vorgefundenen Thatbestandes, zwei Klassen von Berechtigten zu schaffen, wobei gerade die altern Diener der Wissenschaft mit dem Makel der Inferiorität beladen worden wären. Die Uebergangsbestimmung konnte also nur in einem weitherzigen Sinne abgefaßt werden. Es, lautet daher die fünfte derselben: ,,Personen, welche den wissenschaftlichen Berufsarten angehören und welche bis zum Erlasse der im Art. 33 vorgesehenen Bundesgesetzgebung von einem Kantone oder von einer mehrere Kantone repräsentirenden Konkordatsbehörde den Ausweis der Befähigung erlangt haben, sind befugt, ihren Beruf in der ganzen Eidgenossenschaft auszuüben.11 ·'e" Diese Uebergangsbestimmung hat nun gerade mit Bezug auf den ärztlichen Beruf eine Folge gehabt, an die bei ihrer Feststellung wohl nur Wenige gedacht hatten. Es wird nämlich behauptet -- und die Möglichkeit eines solchen Herganges liegt allerdings sehr nahe, -- daß gerade minderbegabtere, weniger .fleißige, in kleinerer Semesterzahl ihre Studien durchlaufende Kandidaten in Ausbeutung dieser Bestimmung etwa in einem Niehtkonkordatskanton sich einem geringere Anforderungen stellenden Examen unterzogen und sich also mit weniger Wissen^ minderei' Mühe und kleinern opfern die gleichen Vortheile errangen wie die große Zahl ihrer wissenschaftlich besser ausgebildeten Kollegen. Wir haben schon oben an einer andern Stelle angedeutet, wie sehr allerdings selbst
auch im Interesse der Wissenschaft eine solche Wirkung dieser Uebergangsbestimmung zu beklagen ist, und haben also dagegen nichts einzuwenden, wenn die dadurch geschaffene Lage vom Bundesrath als eine für die

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Dauer unerträgliche erklärt wird. Dieses Mißverhältniß veranlaßte die Räthe schon im Jahre 1875 zum Beschlüsse des Postulates !^r. 35, das Gesetz über die Ausführung des Art. 33 mit thunlichster Beförderung vorzulegen ; es verursachte ferner eine besondere Beleuchtung desselben im Geschäftsberichte von 1876 und nicht minder lief es Reklamationen ab Seite einzelner Kantone. Mit einem Worte: es gab den nähern Anstoß, die Präge gerade mit Bezug auf die Medizinalpersonen zu einer sehr brennenden zu machen, und der Bundesrath verabsäumte nicht, sich alsbald mit derselben in der einläßlichsten Weise zu beschäftigen.

Nach der Sammlung der bezüglichen kantonalen Gesetze, der Ansichten und Wünsche der Standesregierungen, sowie des schweizerischen Aerzte-, Apotheker- und Juristenvereins wurde unter Beigabe dieses Materials Herr Dr. Friedrich Müller in Basel mit der Ausarbeitung eines Entwurfes beauftragt, und hinwiederum diese Arbeit einer Vorberathungskommission aus Professoren und Praktikern vorgelegt. An diese gründlichen Vorstudien schließt sich nun die Vorlage des Bundesrathes, die bloß 8 fast ausschließlich organisatorische Arlikel umfaßt und in Art. 6. nach der Meinung der Kommission in nicht ganz gerechtfertigter Weise, den eigentlich wichtigsten Theil dieses Gesetzes, den Erlaß des Prüfungsregulafivs, einer Ausführungsverordnung dos Bundesrathes vorbehält.

Die bundesräthliche Botschaft gibt eine erschöpfende Detailprüfung des Entwurfes und wir unterlassen es, an dieser Stelle weiter darauf einzutreten, da wir die Darlegung der jeweilen abweichenden Ansichten der Kommission der Diskussion vorbehalten.

Mit den Bemerkungen dieses Berichtes beabsichtigen wir einfach, Ihnen die immer mehr gesteigerte Dringlichkeit der Vorlage, sowie die Gründe ihrer jetzigen Beschränkung auf die medizinischen Berufsarten nachzuweisen, und wir schließen demnach mit dem Antrage, es sei auf die artikelweise Berathung des Entwurfes einzutreten.

B e r n , den 14. Juni 1877.

Namens der Kommission des Ständeraths : Der Berichterstatter:

J. v. Hettlingen.

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Bericht der

Minderheit der Kommission des Nationalrathes, betreffend den Gesezentwurf über den telegraphischen Verkehr im Innern der Schweiz.

(Vom 20. Juni 1877.)

Herr Präsident, Meine Herren !

Ich habe mich in Betreff der Telegraphentaxerhöhung weder dem Vorschlage des Bundesrathes, noch demjenigen der Kommissionsmehrheit anschließen können. Grundsätzlich bin ich gegen jede Taxerhöhung im Post- wie im Telegraphenwesen und besonders da heute noch diese beiden Anstalten sich vollständig selber tragen, es sich also -- offen gesagt -- nur um die Herstellung einer indirekten Steuer für andere Bundeszwecke handelt.

Wie aber die Sachen gegenwärtig liegen, läßt sich das fragliche Postulat nicht mehr annulliren oder rückgängig machen, und kann es wohl nur noch unsere Aufgabe sein, die zweckmäßigste Art und Weise zu finden, die im Wurfe liegende Erhöhung auszuführen.

Ich habe lange darüber nachgedacht, wie es möglich wäre, bei diesem Anlaße die beiden Interessen, nämlich das Interesse des Fiscus und dasjenige des Publicums, mit einander nu vereinigen,

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht der ständeräthlichen Commission über den Gesetzesentwurf betreffend die Freizügigkeit der Medizinalpersonen. (Vom 14. Juni 1877.)

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1877

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34

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28.07.1877

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