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Bericht des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung über das Begnadigungsgesuch des Théodore Ganioz von Sitten.

(Vom 2. Juni 1877.)

Tit. !

Mit Urtheil des korrektionellen und kriminellen Gerichtes des Bezirkes Martigny vom 23. August vorigen Jahres wurde Théodore G a n i o z von Sitten , ehemals Oberinstruktor der Milizen und Kommandant der Gendarmerie des Kantons Wallis, gegenwärtig Arbeiter in einer Cigarrenfabrik zu Vivis, in Anwendung von Art. 3 des Bundesgesezes vom 30. Juli 1859, betreffend die Werbung und den Eintritt in fremden Kriegsdienst, wegen Anwerbung dreier junger Leute in den holländisch - indischen Militärdienst zu einem Monat Gefängniß, 20 Fr. Buße und zur Einstellung im Aktivbürgerrechte auf die Dauer von einem Jahre, sowie zur Bezahlung von zwei Dritteln der Prozeßkosten verurtheilt. Sein Mitangeklagter Louis Délez, Notar in Sitten, wurde dagegen Mangels hinreichenden Beweises von Strafe freigesprochen, immerhin aber zur Bezahlung des lezten Drittels der Kosten verfällt. In dem Urtheile ist konstatirt, daß gegen Ganioz vollständiger und gesezlicher Beweis der Anklage vorliege, dabei aber als strafmildernder Umstand in Betracht gezogen, daß er kein Vermögen besize und den Unterhalt seiner noch kleinen und mutterlosen Kinder lediglich durch seine Arbeit" bestreiten müsse.

163 Es ergibt sich, daß Ganioz als Unteragent eines gewissen Steck, pensionirter Major der holländisch - indischen Truppen, handelte, welch' lezterer bereits in Darmstadt wegen Anwerbung von Deutschen für diese Truppen zu acht Monaten Gefängniß verurtheilt worden ist. Steck konnte jedoch der Untersuchung im Kanton Wallis sich entziehen. Ob Ganioz außer jenen drei jungen Leuten auch noch andere in fremden Kriegsdienst angeworben hat, ist aus den Akten nicht ersichtlich.

Ganioz bezahlte den ihm auffallenden Betrag der Kosten mit 142 Fr. 40 Cts., sowie die Buße, wandte sich dann aber, als auch die Gefänißstrafe gegen ihn vollzogen werden wollte, mit dem Gesuche an die Bundesversammlung, daß ihm diese Strafe in Gnaden erlassen werden möchte. . Zur Unterstüzung machte er geltend : Durch die Handlungen, welche ihm zur Last gelegt werden können, sei die öffentliche Ordnung kaum in dem Maße bedroht worden, um die gegen ihn ausgesprochenen Strafen zu rechtfertigen. Auch die Regierung von Wallis scheine diese Ansicht getheilt zu haben, da sie die Vollziehung der Gefängnißstrafe bis heute verschoben habe. Jezt müßte aber dieser Vollzug ihn nur um so härter treffen.

Ebenso scheine auch 'das Gericht selbst von seiner Schuld nicht vollständig überzeugt gewesen zu sein, was sich daraus ergebe, daß es bloß das Minimum der in Art. 3 des Bundesgesezes vom 30. Juli 1859 angedrohten Gefängnißstrafe ausgesprochen habe.

An dem Urtheilstage sei er nicht vor dem Gericht erschienen, weil ihm der Präsident desselben erklärt habe, daß er nicht nöthig habe, dieß zu thun, weil seine Unschuld bereits konstatirt sei. Es bestehen also alle Chancen dafür, daß, wenn er erschienen wäre und sich hätte vertheidigen können, das Gericht ihn, wie seinen Mitangeklagten, ebenfalls freigesprochen hätte. Allerdings müsse er jezt das Urtheil, nachdem es in Rechtskraft erwachsen, anerkennen.

Durch die Vollziehung der Gefängnißstrafe würden nun hauptsächlich seine vier Kinder, wovon eines noch ganz klein und ein anderes kränklich sei, betroffen, da er in diesem Falle ganz sicher aus seiner Anstellung entlassen würde und Schwierigkeiten hätte, eine andere zu finden. Diese Folge würde ihn in gleicher Weise treffen, auch wenn er jene Strafe nur zum Theil ausstehen müßte. Im Uebrigeu bezog sich Ganioz auf zwei Zeugnisse des Bürgerrathes und
des Richteramtes von Sitten, .welche in Betreff seines bisherigen Leumundes sehr günstig lauten.

Der Staatsrath des Kantons Wallis digungsgesuch, namentlich in Betracht, zu der fraglichen Anwerbung gedrängt scheine in der That einige Berüksichtigung

unterstiizto das Begnadaß Ganioz ans Noth worden sei.

Derselbe zu verdienen und werde

164 auch von der Staatsanwaltschaft zur Schonung empfohlen. Er sei durch häusliche Unglüksfalle sehr zurükgekommen und erwerbe in Vivis kaum so viel, um seine Familie nothdürftig durchzubringen.

Es sei wahrscheinlich, daß Ganioz, wenn die Gefängnißstrafe vollzogen werden sollte, auch diesen Erwerb verlieren würde.

Wir unsererseits können uns dieser Empfehlung nicht anschließen. Das Bundesgesez von 1859, betreffend das Werbverbot, bedroht allerdings die für die Nationaltruppen eines ausländischen Staates A n g e w o r b e n e n nicht mit Strafe, und es zählen wirklich die holländisch-indischen Truppen zu den Nationaltruppen der Niederlande (Bundesblatt von 1867, Bd. I, S. 652). Gegenüber den W e r b e r n dagegen wird nicht unterschieden, ob sie für nationale Truppen oder für andere angeworben haben, indem der Art. 3 des zitirten Bundesgesezes jedes Anwerben ,,für fremden Militärdienst"1 mit Strafe bedroht. Ganioz ist also als Werber dem Strafgesez verfallen und er kann um so weniger auf milde Berüksichtigung Anspruch machen, als er zufolge seiner frühern Stellung im Polizeidienste wohl wissen mußte, daß er ein verbotenes Gewerbe treibe. Auch der Umstand, daß die drei Angeworbenen noch in der lezten Stunde in Rotterdam dem holländischen Militärdienste sich entziehen konnten, vermag ihn nicht zu entschuldigen.

Wenn derselbe sich endlich den Anschein geben will, als ob er unschuldig verurtheilt worden, so war die Frage seiner Schuld oder Unschuld von dem Gerichte zu würdigen, und sie ist von demselben auch bestimmt im erstem Sinne entschieden worden. Wir schließen daher, angesichts der Thatsache , daß die Werbung seit den lezten Jahren wieder eifriger betrieben wird, mit dem Ant r a g e: Es sei der Petent mit seinem Gesuche abzuweisen.

B e r n , den 2. Juni 1877.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der V i z e p r ä s i d e n t :

Schenk.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schiess.

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Bericht des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung über das Begnadigungsgesuch des Kaspar Wernli von Thalheim (Kts. Aargau), "Weichenwärter in Aarau.

(Vom 11. Juni 1877.)

Tit.!

Mit Beschluß vom 2. August vorigen Jahres haben wir in Anwendung von Art. 74 des Bundesgesezes über das Bundesstrafrecht vom 4. Februar 1853 die Untersuchung und Beurtheilung einer am 5. Juli 1876 auf der Station Aarau vorgefallenen Gefährdung des Eisenbahnbetriebes den Gerichten des Kantons Aargau übertragen.

An dem erwähnten Tage sollte nämlich auf jener Station die Maschine eines von Brugg angekommenen Bahnzuges ausgewechselt werden. Sie wurde jedoch, als sie auf die Drehscheibe gebracht werden wollte, in Folge unrichtiger Weichenstellung wieder gegen die Personenwagen des gleichen Zuges zurükgeleitet und prallte, da die Distanz ganz kurz war, an dieselben an, wobei einige Beschädigungen am Material entstanden und der Heizer Rudolf Dürsteier eine Kontusion am rechten Handgelenk erlitt. Lezterer konnte jedoch den Dienst schon nach wenigen Tagen wieder aufnehmen.

Der Weichenwärter K a s p a r W e r n l i von Thalheim gab zu, aus Unachtsamkeit gefehlt zu haben, und entschuldigte sich damit, daß er in dem kritischen Augenblike über eine unangenehme Familiennachricht nachgedacht habe.

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Bericht des Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung über das Begnadigungsgesuch des Théodore Ganioz von Sitten. (Vom 2. Juni 1877.)

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1877

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16.06.1877

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162-165

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